Über den Umgang mit Menschen

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Zweites Kapitel: Über den Umgang mit sich selbst

1.

Die Pflichten gegen uns selbst sind die wichtigsten und ersten, und also der Umgang mit unsrer eigenen Person gewiss weder der unnützeste noch uninteressanteste. Es ist daher nicht zu verzeihn, wenn man sich immer unter andern Menschen umhertreibt, über den Umgang mit Menschen seine eigene Gesellschaft vernachlässigt, gleichsam vor sich selber zu fliehn scheint, sein eigenes Ich nicht kultiviert und sich doch stets um fremde Händel bekümmert. Wer täglich herumrennt, wird fremd in seinem eigenen Hause; wer immer in Zerstreuung lebt, wird fremd in seinem eignen Herzen, muss im Gedränge müßiger Leute seine innere Langeweile zu töten trachten, büßt das Zutrauen zu sich selber ein und ist verlegen, wenn er sich einmal vis à vis de soi-même befindet. Wer nur solche Zirkel sucht, in welchen er geschmeichelt wird, verliert so sehr den Geschmack an der Stimme der Wahrheit, dass er diese Stimme zuletzt nicht einmal mehr aus sich selber hören mag; er rennt dann lieber, wenn das Gewissen ihm dennoch unangenehme Dinge sagt, fort, in das Getümmel hinein, wo diese wohltätige Stimme überschrien wird.

2.

Hüte Dich also, Deinen treuesten Freund, Dich selber, so zu vernachlässigen, dass dieser treue Freund Dir den Rücken kehre, wenn Du seiner am nötigsten bedarfst. Ach, es kommen Augenblicke, in denen Du Dich selbst nicht verlassen darfst, wenn Dich auch jedermann verlässt; Augenblicke, in welchen der Umgang mit Deinem Ich der einzige tröstliche ist – was wird aber in solchen Augenblicken aus Dir werden, wenn Du mit Deinem eignen Herzen nicht in Frieden lebst, und auch von dieser Seite aller Trost, alle Hilfe Dir versagt wird?

3.

Willst Du aber im Umgange mit Dir Trost, Glück und Ruhe finden, so musst Du ebenso vorsichtig, redlich, fein und gerecht mit Dir selber umgehn als mit andern, also dass Du Dich weder durch Misshandlung erbitterst und niederdrückest, noch durch Vernachlässigung zurücksetzest, noch durch Schmeichelei verderbest.

4.

Sorge für die Gesundheit Deines Leibes und Deiner Seele; aber verzärtle beide nicht. Wer auf seinen Körper losstürmt, der verschwendet ein Gut, welches oft allein hinreicht, ihn über Menschen und Schicksal zu erheben und ohne welches alle Schätze der Erde eitle Bettelware sind. Wer aber jedes Lüftchen fürchtet und jede Anstrengung und Übung seiner Glieder scheut, der lebt ein ängstliches, nervenloses Austerleben und versucht es vergeblich, die verrosteten Federn in den Gang zu bringen, wenn er in den Fall kommt, seiner natürlichen Kräfte zu bedürfen. Wer sein Gemüt ohne Unterlass dem Sturme der Leidenschaften preisgibt oder die Segel seines Geistes unaufhörlich spannt, der rennt auf den Strand oder muss mit abgenutztem Fahrzeuge nach Hause lavieren, wenn grade die beste Jahreszeit zu neuen Entdeckungen eintritt. Wer aber die Fakultäten seines Verstandes und Gedächtnisses immer schlummern lässt oder vor jedem kleinen Kampfe, vor jeder Art von minder angenehmer Anstrengung zurückbebt, der hat nicht nur wenig wahren Genuss, sondern ist auch ohne Rettung verloren da, wo es auf Kraft, Mut und Entschlossenheit ankommt.

Hüte Dich vor eingebildeten Leiden des Leibes und der Seele. Lass Dich nicht gleich niederbeugen von jedem widrigen Vorfalle, von jeder körperlichen Unbehaglichkeit. Fasse Mut! Sei getrost! Alles in der Welt geht vorüber; alles lässt sich überwinden durch Standhaftigkeit; alles lässt sich vergessen, wenn man seine Aufmerksamkeit auf einen andern Gegenstand heftet.

5.

Respektiere Dich selbst, wenn Du willst, dass andre Dich respektieren sollen. Tue nichts im Verborgenen, dessen Du Dich schämen müsstest, wenn es ein Fremder sähe. Handle weniger andern zu gefallen, als um Deine eigene Achtung nicht zu verscherzen, gut und anständig! Selbst in Deinem Äußern, in Deiner Kleidung sieh Dir nicht nach, wenn Du allein bist. Gehe nicht schmutzig, nicht lumpig, nicht unrechtlich, nicht krumm, noch mit groben Manieren einher, wenn Dich niemand beobachtet. Misskenne Deinen eigenen Wert nicht! Verliere nie die Zuversicht zu Dir selber, das Bewusstsein Deiner Menschenwürde, das Gefühl, wenn nicht ebenso weise und geschickt als manche andre zu sein, doch weder an Eifer, es zu werden, noch an Redlichkeit des Herzens, irgend jemand nachzustehn.

6.

Verzweifle nicht, werde nicht missmutig, wenn Du nicht die moralische oder intellektuelle Höhe erreichen kannst, auf welcher ein andrer steht, und sei nicht so unbillig, andre gute Seiten an Dir zu übersehn, die Du vielleicht vor jenem voraus haben magst – und wäre das auch nicht der Fall! Müssen wir denn alle groß sein?

Stimme Dich auch herab von der Begierde zu herrschen, eine glänzende Hauptrolle zu spielen. Ach, wüsstest Du, wie teuer man das oft erkaufen muss! Ich begreife es wohl, diese Sucht, ein großer Mann zu sein, ist bei dem innern Gefühle von Kraft und wahrem Werte schwer abzulegen. Wenn man so unter mittelmäßigen Geschöpfen lebt und sieht, wie wenig diese erkennen und schätzen, was in uns ist, wie wenig man über sie vermag, wie die elendesten Pinsel, die alles im Schlafe erlangen, aus ihrer Herrlichkeit herunterblicken – Ja! es ist wohl freilich hart! – Du versuchst es in allen Fächern; im Staate geht es nicht; Du willst in Deinem Hause groß sein, aber es fehlt Dir an Geld, an dem Beistande Deines Weibes; Deine Laune wird von häuslichen Sorgen niedergedrückt, und so geht denn alles den Werkeltagsgang; Du empfindest tief, wie so alles in Dir zugrunde geht; Du kannst Dich durchaus nicht entschließen, ein gemeiner Kerl zu werden, in dem Fuhrmannsgleise fortzuziehn – das alles fühle ich mit Dir; allein verliere doch darum nicht den Mut, den Glauben an Dich selber und an die Vorsehung! Gott bewahre Dich vor diesem vernichtenden Unglücke! Es gibt eine Größe – und wer die erreichen kann, der steht hoch über allen –, diese Größe ist unabhängig von Menschen, Schicksalen und äußerer Schätzung. Sie beruht auf innerem Bewusstsein, und ihr Gefühl verstärkt sich, je weniger sie erkannt wird.

7.

Sei Dir selber ein angenehmer Gesellschafter. Mache Dir keine Langeweile, das heißt: Sei nie ganz müßig! Lerne Dich selbst nicht zu sehr auswendig, sondern sammle aus Büchern und Menschen neue Ideen. Man glaubt es gar nicht, welch ein eintöniges Wesen man wird, wenn man sich immer in dem Zirkel seiner eigenen Lieblingsbegriffe herumdreht, und wie man dann alles wegwirft, was nicht unser Siegel an der Stirne trägt.

Der langweiligste Gesellschafter für sich selber ist man ohne Zweifel dann, wenn man mit seinem Herzen, mit seinem Gewissen in nachteiliger Abrechnung steht. Wer sich davon überzeugen will, der gebe acht auf die Verschiedenheit seiner Launen! Wie verdrießlich, wie zerstreuet, wie sehr sich selbst zur Last, ist man nach einer Reihe zwecklos, vielleicht gar schädlich hingebrachter Stunden, und wie heiter, sich selbst mit seinen Gedanken unterhaltend dagegen am Abend eines nützlich verlebten Tags.

8.

Es ist aber nicht genug, dass Du Dir ein lieber, angenehmer und unterhaltender Gesellschafter seiest, Du sollst Dich auch, fern von Schmeichelei, als Dein eigener treuester und aufrichtigster Freund zeigen, und wenn Du ebenso viel Gefälligkeit gegen Deine Person als gegen Fremde haben willst, so ist es auch Pflicht, ebenso strenge gegen Dich als gegen andre zu sein. Gewöhnlich erlaubt man sich alles, verzeiht sich alles und andern nichts; gibt bei eigenen Fehltritten, wenn man sich auch dafür anerkennt, dem Schicksale oder unwiderstehlichen Trieben die Schuld, ist aber weniger tolerant gegen die Verirrungen seiner Brüder – das ist nicht gut getan.

9.

Miss auch nicht Dein Verdienst darnach ab, dass Du sagest: »Ich bin besser als dieser und jener von gleichem Alter, Stande«, und so ferner; sondern nach den Graden Deiner Fähigkeiten, Anlagen, Erziehung und der Gelegenheit, die Du gehabt hast, weiser und besser zu werden als viele. Halte hierüber oft in einsamen Stunden Abrechnung mit Dir selber und frage Dich als ein strenger Richter, wie Du alle diese Winke zu höherer Vervollkommnung genutzt habest.

Drittes Kapitel: Über den Umgang mit Leuten von verschiedenen Gemütsarten, Temperamenten und Stimmung des Geistes und Herzens

1.

Man pflegt gewöhnlich vier Hauptarten von Temperamenten anzunehmen und zu behaupten, ein Mensch sei entweder cholerisch, phlegmatisch, sanguinisch oder melancholisch. Obgleich nun wohl schwerlich je eine dieser Gemütsarten so ausschließlich in uns wohnt, dass dieselbe nicht durch einen kleinen Zusatz von einer andern modifiziert würde, da dann aus dieser unendlichen Mischung der Temperamente jene feinen Nuancen und die herrlichsten Mannigfaltigkeiten entstehen, so ist doch mehrenteils in dem Segelwerke jedes Erdensohns einer von jenen vier Hauptwinden vorzüglich wirksam, um seinem Schiffe auf dem Ozean dieses Lebens die Richtung zu geben. Soll ich mein Glaubensbekenntnis über die vier Haupttemperamente ablegen, so muss ich aus Überzeugung folgendes sagen:

Bloß CholerischeLeute flieht billig jeder, dem seine Ruhe lieb ist. Ihr Feuer brennt unaufhörlich, zündet und verzehrt, ohne zu wärmen.

Bloß Sanguinischesind unsichre Weichlinge, ohne Kraft und Festigkeit.

Bloß Melancholischesind sich selbst, und bloß Phlegmatischeandern Leuten eine unerträgliche Last.

Cholerisch-sanguinischeLeute sind die, welche in der Welt sich am mehrsten bemerken, gefürchtet, welche Epoche machen, am kräftigsten wirken, herrschen, zerstören und bauen; cholerisch-sanguinisch ist also der wahre Herrscher, der Despotencharakter; aber noch ein Grad von melancholischem Zusatze, und der Tyrann ist gebildet.

Sanguinisch-Phlegmatischeleben wohl am glücklichsten, am ruhigsten und ungestörtesten, genießen mit Lust, missbrauchen nicht ihre Kräfte, kränken niemand, vollbringen aber auch nichts Großes; allein dieser Charakter im höchsten Grade artet in geschmacklose, dumme und grobe Wollust aus.

 

Cholerisch-Melancholischerichten viel Unheil an; Blutdurst, Rache, Verwüstung, Hinrichtung des Unschuldigen und Selbstmord sind nicht selten die Folgen dieser Gemütsart.

Melancholisch-Sanguinischezünden sich mehrenteils an beiden Enden zugleich an, reiben sich selber an Leib und Seele auf.

Cholerisch-phlegmatischeMenschen trifft man selten an; es scheint ein Widerspruch in dieser Zusammensetzung zu liegen; und dennoch gibt es deren, bei welchen diese beiden Extreme wie Ebbe und Flut abwechseln, und solche Leute taugen durchaus zu keinen Geschäften, zu welchen gesunde Vernunft und Gleichmütigkeit erfordert werden. Sie sind nur mit äußerster Mühe in Bewegung zu setzen, und hat man sie endlich in die Höhe gebracht, dann toben sie wie wilde Tiere umher, fallen mit der Tür in das Haus und verderben alles durch rasendes Ungestüm.

Melancholisch-phlegmatischeLeute aber sind wohl unter allen die unerträglichsten, und mit ihnen zu leben, das ist für jeden vernünftigen und guten Mann Höllenpein auf Erden.

2.

HerrschsüchtigeMenschen sind schwer zu behandeln und passen nicht zum freundschaftlichen und geselligen Umgange. Sie wollen allerorten durchaus die erste Rolle spielen; alles soll nach ihrem Kopfe gehn. Was sie nicht errichtet haben, was sie nicht dirigieren, das verachten sie nicht nur, nein, sie zerstören es, wenn sie können. Wo sie hingegen an der Spitze stehen, oder wo man sie wenigstens glauben macht, dass sie an der Spitze stünden, da arbeiten sie mit unermüdetem Eifer und stürzen alles vor sich weg, was ihrem Zwecke im Wege steht. Zwei herrschsüchtige Leute nebeneinander taugen zu gar nichts in der Welt und zertrümmern alles um sich her aus Privatleidenschaft. Hieraus nun ist leicht abzunehmen, wie man sich gegen solche Leute zu betragen habe, wenn man mit ihnen leben muss, und ich glaube darüber nichts hinzufügen zu dürfen.

3.

EhrgeizigeMenschen müssen ungefähr auf eben diese Art behandelt werden. Der Herrschsüchtige ist zugleich auch ehrgeizig, aber umgekehrt der Ehrgeizige nicht immer herrschsüchtig, sondern begnügt sich auch wohl mit einer Nebenrolle, insofern er darin nur mit einigem Glanze zu erscheinen hoffen darf; ja es können Fälle vorkommen, wo er selbst in der Erniedrigung Ehre sucht; doch verzeiht er nichts weniger, als wenn man ihn an dieser schwachen Seite kränkt.

4.

Der Eitlewill geschmeichelt sein; Lob kitzelt ihn unaussprechlich, und wenn man ihm Aufmerksamkeit, Zuneigung, Bewunderung widmet, so braucht nicht eben große Ehrenbezeigung damit verbunden zu sein. Da nun jeder Mensch mehr oder weniger von dieser Begierde zu gefallen und vorteilhafte Eindrücke zu machen, an sich hat, so kann man ohne Sünde hie und da einem sonst guten Manne, dem diese kleine Schwachheit anklebt, in diesen Punkten ein wenig nachsehn, ein Wörtchen, so er gern hört, gegen ihn fallen lassen, ihm erlauben, an dem Lobe, so er einerntet, sich zu erquicken oder sich selbst nach Gelegenheit ein wenig zu loben. Das schändlichste Handwerk aber treiben die niedrigen Schmeichler, die durch unaufhörliches Weihrauchstreuen eiteln Leuten den Kopf so einnehmen, dass diese zuletzt nichts anders mehr hören mögen als Lob, dass ihre Ohren für die Stimme der Wahrheit verschlossen sind und dass sie jeden guten, graden Mann fliehen und zurücksetzen, der sich nicht so weit erniedrigen kann oder es für eine Art von Unbescheidenheit und Grobheit hält, ihnen dergleichen Süßigkeiten ins Gesicht zu werfen. Gelehrte und Damen pflegen am mehrsten in diesem Falle zu sein, und ich habe deren einige gekannt, mit denen ein schlichter Biedermann deswegen fast gar nicht umgehn konnte. Wie die Kinder dem Fremden nach den Taschen schielen, um zu erfahren, ob man ihnen keine Zuckerpletzen mitgebracht hat, so horchen jene auf jedes Wort, das Du sprichst, um zu vernehmen, ob es nicht etwas Verbindliches für sie enthält, und werden mürrischer Laune, sobald sie sich in ihrer Hoffnung betrogen finden. Der höchste Grad dieser Eitelkeit führt zu einem Egoismus, der zu aller gesellschaftlichen und freundschaftlichen Verbindung untüchtig macht, und dem Eiteln ebenso sehr zur Last, als dem zum Ekel wird, der mit ihm leben muss.

Obgleich man nun solchen eiteln Leuten nicht schmeicheln soll, so hat doch auch nicht jeder Beruf, sie zu bessern, zum Pädagogen an ihnen zu werden, besonders nicht an solchen Menschen, die mit ihm in gar keiner Verbindung stehen, ihnen auf ungeschliffene Art den Text lesen, sie zu demütigen oder weniger Höflichkeit und Gefälligkeit gegen sie zu üben, als man jedem andern widmen würde, und es ist unbillig, wenn diejenigen, welche täglich mit ihnen leben müssen, dies von uns verlangen, wenn sie fordern, dass wir mit Hand anlegen sollen, ihre verzogenen Freunde umzubilden.

Eitle Leute pflegen gern andre zu schmeicheln, um dagegen wieder mit Weihrauch eingeräuchert zu werden und weil sie das für das einzige würdige Opfer, für die einzige vollwichtige Münze halten.

5.

Von Herrschsucht, Ehrgeiz und Eitelkeit ist Hochmutsowie von Stolzunterschieden. Ich möchte gern, dass man Stolz als eine edle Eigenschaft der Seele ansähe; als ein Bewusstsein wahrer innrer Erhabenheit und Würde; als ein Gefühl der Unfähigkeit, niederträchtig zu handeln. Dieser Stolz führt zu großen, edlen Taten; er ist die Stütze des Redlichen, wenn er von jedermann verlassen ist; er erhebt über Schicksal und schlechte Menschen und erzwingt selbst von dem mächtigen Bösewicht den Tribut der Bewunderung, den er wider Willen dem unterdrückten Weisen zollen muss. Hochmut hingegen brüstet sich mit Vorzügen, die er nicht hat, bildet sich auf Dinge etwas ein, die gar keinen Wert haben. Hochmut ist es, der den Pinsel von sechzehn Ahnen aufbläht, dass er die Verdienste seiner Vorfahren – die oft nicht einmal seine echten Vorfahren sind und oft nicht einmal Verdienste gehabt haben – dass er diese sich anrechnet, als wenn Tugenden zu dem Inventar eines alten Schlosses gehörten. Hochmut ist es, der den reichen Bürger so grob, so steif, so ungesellig macht. Und wahrlich, dieser pöbelhafte Hochmut ist, da er mehrenteils von Mangel an Lebensart und ungeschickten Manieren begleitet wird, womöglich noch empörender als der des Adels. Hochmut ist es, der den Künstler mit so viel Zuversicht zu Talenten erfüllt, die, sollten sie auch von niemand anerkannt werden, ihn dennoch in Gedanken über alle Erdensöhne hinaussetzen. Er wird, wenn niemand ihn bewundert, eher auf die Geschmacklosigkeit der ganzen Welt schimpfen, als auf den natürlichen Gedanken geraten, dass es wohl mit seiner Kunst nicht so ganz richtig aussehn müsse.

Wenn dieser Hochmut nun gar in einem armen, verachteten Subjekte wohnt, dann wird er ein Gegenstand des Mitleidens und pflegt eben nicht viel Unheil anzurichten. Er ist aber übrigens fast immer mit Dummheit gepaart, also durch keine vernünftigen Gründe zu bessern und keiner bescheidenen Behandlung wert. Hier hilft nichts, als Übermut gegen Übermut zu setzen, oder zu scheinen, als bemerkte man ein hochmütiges Betragen gar nicht; oder Leute, die sich aufblasen, gar keiner Achtsamkeit zu würdigen, sie anzusehn, als wie man auf einen leeren Platz hinblicke, selbst wenn man ihrer bedarf; denn wahrhaftig! – ich habe das oft erfahren – je mehr man nachgibt, desto mehr fordern, desto übermütiger werden sie, bezahlt man sie aber mit gleicher Münze, so weiß ihre Dummheit nicht, wie sie das Ding nehmen soll, und spannt gewöhnlich andre Saiten auf.

6.

Mit sehr empfindlichen, leicht zu beleidigenden Leuten ist es nicht angenehm umzugehn. Allein diese Empfindlichkeit kann verschiedene Quellen haben. Hat man daher nachgespürt, ob der Mann, mit welchem wir leben müssen, und der leicht durch ein kleines unschuldiges Wörtchen oder durch eine zweideutige Miene oder durch einen Mangel an Aufmerksamkeit gekränkt und vor den Kopf gestoßen wird, ob dieser Mann, sage ich, aus Eitelkeit, wie es mehrenteils der Fall ist, oder aus Ehrgeiz, oder weil er oft von bösen Menschen hintergangen und geneckt worden, oder endlich deswegen so leicht zu beleidigen ist, weil sein Herz zu zärtlich fühlt, weil er von andern ebenso viel verlangt, als er ihnen selbst gibt, so muss man sein Betragen darnach einrichten, und jeden Anstoß von der Art zu vermeiden suchen; doch pflegt das schwer zu sein. Ist er übrigens redlich und verständig, so wird seine Verstimmung nicht lange dauern; er wird durch eine grade, freundliche Erklärung bald zu besänftigen sein; er wird nach und nach seinen besten Freunden trauen lernen und vielleicht zuletzt, wenn man immer edel und offen mit ihm verfährt, von seiner Schwachheit zurückkommen.

Von diesen allen sind in der Tat diejenigen am schwersten zu befriedigen und der Gesellschaft am lästigsten, die sich jeden Augenblick vernachlässigt, zurückgesetzt, nicht genug geehrt glauben: Man hüte sich also, in diesen Fehler zu verfallen, wodurch man sich selber quält und andern peinliche Mühe macht.

7.

EigensinnigeMenschen sind viel schwerer zu behandeln als sehr empfindliche. Noch ist mit ihnen auszukommen, wenn sie übrigens verständig sind. Sie pflegen dann, insofern man ihnen nur in dem ersten Augenblicke nachzugeben scheint, bald von selbst der Stimme der Vernunft Gehör zu geben, ihr Unrecht und die Feinheit unsrer Behandlung zu fühlen und wenigstens auf eine kurze Frist geschmeidiger zu werden; ein Elend aber ist es, Starrköpfigkeit in Gesellschaft von Dummheit anzutreffen und behandeln zu müssen. Da helfen weder Gründe noch Schonung. Es ist da mehrenteils nichts weiter zu tun, als einen solchen steifsinnigen Pinsel blindlings handeln zu lassen, ihn aber so in seine eigenen Ideen, Pläne und Unternehmungen zu verwickeln, dass er, wenn er durch übereilte, unkluge Schritte in Verlegenheit gerät, sich selbst nach unsrer Hilfe sehnen muss. Dann lässt man ihn eine Zeitlang zappeln, wodurch er nicht selten demütig und folgsam wird und das Bedürfnis geleitet zu werden fühlt. Hat aber ein schwacher, eigensinniger Kopf von ungefähr ein einzigmal gegen uns recht gehabt oder uns über einen kleinen Fehler erwischt, dann tue man nur Verzicht darauf, ihn je wieder zu leiten. Er wird uns immer zu übersehn glauben, unsrer Einsicht und Rechtschaffenheit nie trauen; und das ist eine höchst verdrießliche Lage.

Bei beiden Gattungen von Leuten aber helfen in dem ersten Augenblicke keine weitläufigen Vorstellungen, indem sie dadurch nur noch mehr verhärtet werden. Hängen wir von ihnen ab, und sie geben uns Aufträge, wovon wir wissen, dass sie dieselben nachher selbst missbilligen werden, so kann man nichts Klügeres tun, als ihnen ohne Widerrede Gehorsam zu versprechen, aber entweder die Befolgung so lange zu verschieben, bis sie sich indes eines Bessern besinnen, oder in der Stille die Sache nach eigenen Einsichten einzurichten, welches sie gewöhnlich in ruhigen Augenblicken zu billigen pflegen, insofern man nur etwa tut, als habe man ihren Befehl also verstanden, sich aber ja nie seiner größern, kaltblütigen Einsicht rühmt.

Nur in sehr wenig eiligen oder sonst höchst wichtigen Fällen kann es nützlich und nötig sein, Eigensinn gegen Eigensinn aufzuspannen und schlechterdings nicht nachzugeben. Doch geht alle Wirkung dieses Mittels verloren, wenn man es zu oft und bei unbedeutenden Gelegenheiten oder gar da anwendet, wo man unrecht hat. Wer immer zankt, der hat die Vermutung gegen sich, immer unrecht zu haben; es ist also weise gehandelt, den andern in diesen Fall zu setzen.

8.

Eine besondre Gemütsart, die mehrenteils aus Eigensinn entspringt, doch auch wohl zuweilen bloß Bizarrerie oder ungesellige Laune zur Quelle hat, ist die Zanksucht. Es gibt Menschen, die alles besser wissen wollen, allem widersprechen, was man vorbringt, oft gegen eigne Überzeugung widersprechen, um nur das Vergnügen zu haben, disputieren zu können; andre setzen eine Ehre darin, Paradoxazu sprechen, Dinge zu behaupten, die kein Vernünftiger irgend ernstlich also meinen kann, bloß damit man mit ihnen streiten solle; endlich noch andre, die man Querelleurs, Stänkernennt, suchen vorsätzlich Gelegenheit zu persönlichem Zanke, um eine Art von Triumph über furchtsam Leute zu gewinnen, über Leute, die wenigstens noch feiger sind als sie, oder, wenn sie mit dem Degen umzugehen wissen, ihren falschen Mut in einem törichten Zweikampfe zu offenbaren.

In dem Umgange mit allen diesen Leuten rate ich die unüberwindlichste Kaltblütigkeit an, und dass man sich durchaus nicht in Hitze bringen lasse. Mit denen von der ersten Gattung lasse man sich in gar keinen Streit ein, sondern breche gleich das Gespräch ab, sobald sie aus Mutwillen anfangen zu widersprechen. Das ist das einzige Mittel, ihrem Disputiergeiste, wenigstens gegen uns, Schranken zu setzen und viel unnütze Worte zu sparen. Denen von der zweiten Gattung kann man je zuweilen die Freude machen, ihre Paradoxa ein wenig zu bekämpfen oder, noch besser, zu persiflieren. Die letztern aber müssen viel ernsthafter behandelt werden. Kann man ihre Gesellschaft nicht vermeiden, kann man in derselben durch ein entfernendes, fremdes Betragen sie sich nicht vom Leibe halten, ihren Grobheiten nicht ausweichen, so rate ich, einmal für allemal ihnen so kräftig zu begegnen, dass ihnen die Lust vergehe, sich ein zweites Mal an uns zu reiben. Saget ihnen auf der Stelle in unzweideutigen, männlichen Ausdrücken Eure Meinung und lasset Euch durch ihre Aufschneiderei nicht irremachen! Man wird mir zutrauen, dass ich über den Zweikampf so denke, wie jeder vernünftige Mann darüber denken muss, nämlich dass er eine unmoralische, unvernünftige Handlung sei; sollte nun aber auch jemand seiner bürgerlichen Lage nach, zum Beispiel ein Offizier, durchaus sich dem Vorurteile unterwerfen müssen, eine Beleidigung durch die andre und durch persönliche Rache auszulöschen, so kann doch dieser Fall nie dann eintreten, wenn er ohne die geringste Veranlassung von seiner Seite hämischerweise angetastet wird, und der hat doppelt unrecht, der gegen einen sogenannten Stänker mit andern Waffen als mit Verachtung, oder, wenn es ihm gar zu nahe gelegt wird, anders als mit einem geschmeidigen spanischen Rohre kämpft, und hat nachher unrecht, wenn er ihm Satisfaktion gibt, wie man das zu nennen pflegt.

 

Im allgemeinen aber wohnt in manchen Menschen ein sonderbarer Geist des Widerspruchs. Sie wollen immer haben, was sie nicht erlangen können, sind nie von dem zufrieden, was andre tun, murren gegen alles, was grade sie nicht also bestellt haben, und wäre es auch noch so gut. Er ist bekannt, dass man solche Leute sehr oft dadurch leiten kann, dass man ihnen entweder das Gegenteil von dem vorschlägt, was man gern durchsetzen möchte, oder auf andre Weise sorgt, dass sie unsre eigenen Ideen gegen uns durchsetzen müssen.

9.

JähzornigeLeute beleidigen nicht mit Vorsatz. Sie sind aber nicht Meister über die Heftigkeit ihres Temperaments, und so vergessen sie sich in solchen stürmischen Augenblicken selbst gegen ihre geliebtesten Freunde und bereuen nachher zu spät ihre Übereilung. Ich brauche wohl nicht zu erinnern, dass Nachgiebigkeit – vorausgesetzt, dass diese Leute andrer guten Eigenschaften wegen einiger Schonung wert scheinen, denn außerdem muss man sie gänzlich fliehn –, dass weise Nachgiebigkeit und Sanftmut die einzigen Mittel sind, den Jähzornigen zur Vernunft zurückzuführen. Allein ich muss dabei erinnern, dass phlegmatische Kälte dem Erzürnten entgegenzusetzen ärger als der heftigste Widerspruch ist; er glaubt sich dann verachtet und wird doppelt aufgebracht.

10.

Wenn der Jähzornige nur aus Übereilung Unrecht tut und über den kleinsten Anschein von Beleidigung in Hitze gerät, nachher aber auch ebenso schnell wieder das erwiesene Unrecht bereuet und das erlittene verzeiht, so verschließt hingegen der Rachgierigeseinen Groll im Herzen, bis er Gelegenheit findet, ihm vollen Lauf zu lassen. Er vergisst nicht, vergibt nicht, auch dann nicht, wenn man ihm Versöhnung anbietet, wenn man alles, nur keine niederträchtigen Mittel anwendet, seine Gunst wieder zu erlangen. Er erwidert sowohl das ihm zugefügte wahre als vermeintliche Übel, und dies nicht nach Verhältnis der Größe und Wichtigkeit desselben, sondern tausendfältig; für kleine Neckereien wirkliche Verfolgung; für unüberlegte Ausdrücke, in Übereilung geredet, tätige Rache; für eine Kränkung unter vier Augen öffentliche Genugtuung; für beleidigten Ehrgeiz Zerstörung reeller Glückseligkeit. Seine Rache schränkt sich nicht auf die Person ein, sondern erstreckt sich auf die Familie, auf die bürgerliche Existenz und auf die Freunde des Beleidigers. Mit einem solchen Manne leben zu müssen, das ist in Wahrheit eine höchst traurige Lage, und ich kann da nichts raten, als dass man soviel wie möglich vermeide, ihn zu beleidigen, und zugleich sich in eine Art von ehrerbietiger Furcht bei ihm setze, die überhaupt das einzige wirksame Mittel ist, schlechte Subjekte im Zaume zu halten.

11.

Fauleund phlegmatischeMenschen müssen ohne Unterlass getrieben werden, und da doch fast jeder Mensch irgendeine herrschende Leidenschaft hat, so findet man zuweilen Gelegenheit, durch Aufrührung derselben solche schläfrigen Geschöpfe in Bewegung zu setzen.

Es gibt unter ihnen solche, die bloß aus Unentschlossenheitdie kleinsten Arbeiten jahrelang liegen lassen. Auf einen Brief zu antworten, eine Quittung zu schreiben, eine Rechnung zu bezahlen – ja das ist eine Haupt- und Staatsaktion, zu welcher unbeschreibliche Vorbereitungen gehören. Bei ihnen muss man zuweilen wirklich Gewalt brauchen, und ist das schwere Werk einmal überstanden, dann pflegen sie sich recht dankbar zu bezeigen, so übel sie auch anfangs unsre Zudringlichkeit aufnahmen.

12.

Misstrauische, argwöhnische, mürrische und verschlosseneLeute sind wohl unter allen die, in deren Umgange ein edler, grader Mann am wenigsten von den Freuden des geselligen Lebens schmeckt. Wenn man jedes Wort abwägen, jeden unbedeutenden Schritt abmessen muss, um ihnen keine Gelegenheit zu schändlichem Verdachte zu geben; wenn kein Funken von erquickender Freude aus unserm Herzen in das ihrige übergeht; wenn sie keinen frohen Genuss mit uns teilen; wenn sie die Wonne der seltenen heitern Augenblicke, welche uns das Schicksal gönnt, nicht nur durch Mangel an Teilnehmung uns unschmackhaft machen, sondern sogar mitten in unsern glücklichsten Launen uns unfreundlich stören, aus unsern süßesten Träumen uns verdrießlich aufwecken; wenn sie unsre Offenherzigkeit nie erwidern, sondern immer auf ihrer Hut sind, in ihrem zärtlichsten Freunde einen Bösewicht, in ihrem treuesten Diener einen Betrüger und Verräter zu sehn glauben; dann gehört wahrlich ein hoher Grad von fester Rechtschaffenheit dazu, um nicht darüber selbst schlecht und menschenfeindlich zu werden. Hierbei ist nichts zu tun, wenn ein ungezwungenes, immer gleich redliches Betragen vergebens angewendet wird; wenn es nicht hilft, dass man ihnen jeden Zweifel, sobald man denselben gewahr wird, hebt, als dass man sich um ihren Argwohn und um ihr mürrisches Wesen schlechterdings nichts bekümmere, sondern mutig und munter den Weg fortgehe, den uns Klugheit und Gewissen vorschreiben. Übrigens sind solche Menschen herzlich zu bedauern; sie leben sich und andern zur Qual. Es liegt bei ihnen nicht immer Bösartigkeit zugrunde, nein, eine unglückliche Stimmung des Gemüts, dickes Blut, oft auch Einwirkung des Schicksals, wenn sie gar zu oft sind hintergangen worden – das sind mehrenteils die Quellen ihrer Seelenkrankheit. Und diese Krankheit ist in jüngern Jahren nicht ganz unheilbar, wenn die, welche einen solchen Mann umgeben, stets edel und grade gegen ihn handeln, ohne sich um seine Grillen und Launen zu bekümmern, und er dadurch endlich überzeugt wird, dass es noch Redlichkeit und Freundschaft in der Welt gibt. Bei alten Personen hingegen fasst dies Übel immer tiefre Wurzel und muss mit Geduld ertragen werden.

Am mehrsten sind diejenigen zu beklagen, bei denen dies Misstrauen bis zum Menschenhassgestiegen ist. Der liebenswürdige Verfasser des Schauspiels »Menschenhass und Reue« lässt in demselben den Major sagen, ich hätte vergessen, Vorschriften für den Umgang mit dieser Art von Menschen zu geben. Es ist wahr, ich habe wenig darüber gesagt; allein es ist auch unmöglich, dazu allgemeine Regeln vorzuschlagen, da es notwendig ist, bei jedem einzelnen Falle genau mit den Quellen des Übels bekannt zu sein.

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