Zwielicht 13

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Ein lauer Frühling erfrischte die Stadt mit seinen milden Zephyren und dämpfte den Gestank des Unrats, sodass das Leben mit neuer Lust erblühte. Das Aufatmen nach der Pest erreichte einen Höhepunkt. Zwar griff die lutherische Ketzerei immer weiter um sich, doch Köln schien den Zorn Gottes durch Predigt und Gebet von sich abgelenkt zu haben. Auch Gottes Engel wandelte nicht länger sichtbar auf den Straßen. Hoogstratens Spruchzettel trug Donatus trotzdem noch bei sich.

Als der junge Mönch den Gürzenich erreichte – jenen prachtvollen Festsaal, in dem ein Jahr zuvor die Kurfürsten getagt hatten –, sah er aus dem Augenwinkel etwas hell aufblitzen. Erst dachte er, seine Immaculata sei zurückgekehrt, doch dann wurde ihm klar, dass es nur die Reflexion der Sonne auf einem metallenen Gegenstand sein konnte. Was genau das Licht zurückwarf, konnte er nicht sehen, da sich unmittelbar vor dem Gebäude eine große Menschenmenge versammelt hatte, die ihm die Sicht verstellte.

Weil er bis zu Bruder Sebastianus‘ Ankunft noch Zeit zu haben glaubte, beschloss Donatus, der Sache nachzugehen. Mit etwas Mühe bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Er war noch nicht bis ganz nach vorne durchgedrungen, als er den unbekannten Redner mit voller Stimme marktschreierisch verkünden hörte:

„Bürger Kölns! Erlebt das Größte der Mysterien, in dem Saturn und Sol die Plätze miteinander tauschen! Bezeugt selbst, dass auch das stumpfeste Blei zu Gold werden kann!“

Ein kalter Schauer des Entsetzens überlief Donatus, als er diese Worte hörte. Gerade erst hatte die Stadt den Zorn Gottes überstanden und nun führte dieser Mann die Bürger mit seiner teuflischen Goldmacherei erneut in Versuchung! Eines war Donatus klar: Gott hatte seinen Weg zu dieser Zeit an diesen Ort gelenkt, um diesem Übel Einhalt zu gebieten.

„Et libera nos a malo … Und erlöse uns von dem Bösen …“, sagte er leise vor sich hin, um sich für die Konfrontation Mut zu machen, und umklammerte fest den Beutel, der Hoogstratens Engelsspruch enthielt. Im nächsten Augenblick brach er in die vorderste Zuschauerreihe durch.

Vor ihm stand ein nicht sehr großer Mann in einer pelzverbrämten Schaube, dessen beeindruckendste Züge in einem langen, gut gepflegten Bart und einer herrisch gekrümmten Nase bestanden. In der Hand hielt er einen hölzernen Stab mit einer goldenen Kuppe, die das Sonnenlicht in alle Richtungen zurückwarf und Donatus mit ihrem wilden Funkeln blendete.

„Mein Name …“ – mit einer theatralischen Geste breitete der Mann die Arme aus – „… ist Georg Sabellicus Faust der Jüngere, Magister und Quellbrunn der Nekromanten, Astrologe, Zweiter der Magier. Ebenso bin ich bekannt als Chiromant und Pyromant, Aeromant und Zweiter in der erhabenen Kunst der Hydromantie …“

„Silentium!“, rief Donatus so laut es ihm möglich war, um die nicht enden wollende Auflistung von Teufeleien zu unterbrechen. Kurzentschlossen stellte er sich zwischen die Menge und ihren Verführer, um den Menschen seinerseits die Sicht auf diesen gefährlichen Schwarzmagier zu versperren.

„Aufhören! Seid ruhig!“ Es wurde still um ihn. Die Stimmung, die ihm entgegenschlug, war so erwartungsvoll, dass er zunächst nicht wusste, was er sagen sollte. Schließlich brachte er etwas unsicher hervor: „Im dritten Buch Mose heißt es, du sollst die Zauberer nicht leben lassen. Das gilt auch für die falschen Wahrsager und Zeichendeuter.“

Dieser Verweis auf die Heilige Schrift schien die Menge, wenn nicht zu überzeugen, so doch zu verunsichern. Der selbsternannte Magister Faust hingegen packte Donatus unbeirrt bei der Schulter und schob ihn zur Seite.

„Seid unbesorgt, Herrschaften!“, wandte er sich an das Volk. „Bei meinen Methoden hat der Teufel seine Hand gewiss nicht im Spiel. Ich habe sie allesamt von christlich gelehrten Männern.“

Mehr brachte er zu seiner Verteidigung nicht vor, denn seine Aufmerksamkeit ruhte nun auf Donatus. Um sein Geschäft nicht zu schädigen, nannte er den Versammelten den Namen des Gasthauses, in dem er wohnte, bevor er den Mönch grob am Arm packte und um einige Straßenecken herum aus dem Sichtfeld der Leute schleifte. Sobald sie alleine waren, schleuderte er ihn gegen eine Wand und begann, ihn abzutasten, als suche er etwas Bestimmtes in den Falten seines Habits. Erschrocken riss Donatus sich los und stolperte rückwärts ein paar Schritte tiefer in die düstere Gasse hinein.

„Weiche von mir, Höllenschlange!“, befahl er und zitierte hastig den Psalmvers „Ecce enim Deus adiuvat me“.

Faust lachte nur und näherte sich erneut. Rasch nahm Donatus das Kreuz, das er an einer Kordel um den Hals trug, und hielt es ihm vors Gesicht. Faust fing seine Hand ab.

„Warum so feindselig?“ Aus der Nähe roch sein Atem unangenehm nach Wein. „Wir haben viel gemeinsam, du und ich.“

Er verzog das Gesicht zu etwas, das vielleicht ein Lächeln sein sollte, aber in Donatus‘ Augen nichts als eine hämische Grimasse abgab. Seine gelben Zähne lagen entblößt. Viele davon hatte er bereits an einen unsteten Lebenswandel verloren, einige wahrscheinlich an die Syphilis. Donatus wurde abwechselnd rot und bleich, so unangenehm war ihm dieser Mann, doch er weigerte sich, dem Bösen in Menschengestalt auch nur einen Fingerbreit zu weichen.

„Wir haben nichts gemeinsam! Nichts!“, zischte er. „Rein gar nichts!“ Seine freie Hand fuhr zu seinem Beutel und umklammerte ihn wie einen Talisman. Faust bemerkte es sofort.

„Aha!“ Mit Schwung riss er den Beutel von Donatus‘ Zingulum. Gleich darauf zog er Hoogstratens Spruchzettel hervor.

„Lügner! Wie alle Kuttenträger! Du bist ein Lügner! Ich kann die Magie förmlich an dir riechen. Hast du eine Beschwörung aufgesagt?“

Donatus versuchte, Faust den heiligen Spruch wieder zu entreißen. Es gelang ihm nicht und er musste sich in das Verhör ergeben, unwillig, das Geheimnis seines schönen Engels ausgerechnet mit einem selbstbezeugten Nekromanten zu teilen. Trotzdem nickte er, die Arme trotzig vor der Brust verschränkt.

Grinsend entfaltete Faust Hoogstratens Zettel.

„Angelus lucis. In nomine Adonai, El, Elohim …”, las er laut. Mit jedem Wort, das über seine Lippen kam, wurde er etwas blasser.

„Wo hast du das her?“, fragte Faust schroff, nachdem er das Blatt mehrmals überflogen hatte. Offensichtlich war es nicht, was er bei Donatus zu finden erwartet hatte.

„Aus dem Nachlass unseres seligen Priors Jakob van Hoogstraten“, erwiderte Donatus. Er fühlte sich überlegen. Sein Engel hatte dem Teufelskünstler offensichtlich Ehrfurcht eingejagt.

„Du lügst! Hoogstraten hat nicht an Magie geglaubt. Verblendeter Irrer! Dachte nur, dass es gefährlich ist, daran zu glauben. Den Spruch hätte er sofort verbrannt. Also: wo hast du das Ding her?“

Donatus schwieg. Auch er kannte Hoogstraten als Skeptiker. Zwar teilte er die Meinung des alten Priors nicht, doch sie bezog sich nur auf schwarze, auf teuflische Magie. Dieser Spruch aber rief einen Engel des Lichts herbei. Es war nur natürlich, dass ein gottloser Mensch wie Faust den Unterschied nicht verstand.

Als der Straßenkünstler sah, dass er auf taube Ohren stieß, wurde er wütend.

„Das ist das Problem mit euch Klerikern!“, schimpfte er. „Ihr bildet euch ein, alles Wissen der Welt für euch gepachtet zu haben! Und dann behandelt ihr die gefährlichsten, arkansten Sprüche, als wären sie nichts als ein Bibelvers!“

„Pass auf, was du sagst, verdammter Teufelsknecht!“, drohte Donatus. Faust redete einfach weiter.

„So ein Ritual erfordert Kenntnisse. Kenntnisse, für die du dich selbst auf den Scheiterhaufen werfen müsstest! Ein falsches Wort zur falschen Zeit und alles fährt zur Hölle! Wie kann man nur so dämlich sein! Wenn nur deine Seele auf dem Spiel stünde, wär's mir scheißegal. Leider bin ich dir zu nahe gekommen.“

Mit diesen Worten drückte er Donatus Hoogstratens Zettel wieder in die Hand, achtete jedoch sehr genau darauf, dass der Mönch damit nicht weglief.

„Du wirst die Formel nun noch einmal sprechen, während ich den Bannkreis um uns ziehe. Vielleicht gelingt es uns, das Wesen ordentlich zu binden. Wenn nicht, gnade uns Gott!“ Im selben Atemzug begann er, mit seinem Stab die äußeren Konturen mehrerer konzentrischer Kreise in den Dreck zu malen. Als er anfing, die Namen okkulter Mächte darin einzutragen, wurde es Donatus zu viel und er stampfte mit dem Fuß darauf, um das Teufelswerk zu vernichten.

„Dir gnade Gott, dass du mich in deine Schandtaten hineinziehen willst!“, empörte er sich und wollte fliehen, aber Faust packte ihn am Arm und zwang ihn zurück in den Kreis.

„Lies!“ Der Ernst in seinem Blick ließ Donatus gehorchen.

„In nomine Adonai …“, begann er widerwillig. Sofort begann die Luft außerhalb des Bannkreises zu flimmern. Nach und nach nahm sie die Gestalt eines Frauenkörpers an. Es dauerte nicht lange, da stand seine Immaculata vor ihm und streckte liebevoll die Arme nach ihm aus. Überrascht und glücklich über dieses Wiedersehen erwiderte Donatus die Geste, doch ihre ausgestreckten Finger berührten sich nicht. Dort, wo der äußere Ring von Fausts Bannkreis lag, trennte sie ein unsichtbarer Wall; so fest und unbeweglich wie die Stadtmauer. Sein Engel stieß dagegen und es zischte laut. Sie gab ein schrilles Kreischen von sich und fuhr zurück.

Schuldbewusst hielt Donatus in der Beschwörung inne. Fausts Kreise beleidigten den Engel des Herrn. Er wollte dem Schwarzmagier befehlen, sein gottloses Werk zu vernichten, da hörte er hinter sich ein lautes, bedrohliches Knurren. Als er sich umdrehte, sah er zwei riesige, schwarze Hunde auf sich zu stürzen. Ihnen nach lief ein Mann von etwa vierzig Jahren mit prominent vorstehendem Kinn. Der Talar eines Universitätsgelehrten wehte hinter ihm her.

 

„Mademoiselle! Monsieur!“, rief der Fremde streng. Die Hunde bremsten so abrupt, dass sie ins Schlittern kamen. Dennoch hörten sie nicht auf zu knurren und zu bellen, als wollten sie Donatus jeden Augenblick zerreißen. Furchtsam blickte er zu seiner Immaculata, um sich ihres Beistands zu vergewissern. Zu seinem großen Schrecken begann ihre Gestalt zu flackern und mit der Luft zu verschmelzen.

„Was geht hier vor?“ Der Gelehrte blickte abwechselnd auf Faust, Donatus und den Bannkreis. Noch bevor ihm jemand Antwort gab, hatte er genug gesehen und machte sich daran, Fausts Werk mit seinen Stiefelen zu zertreten.

„Haltet ein!“ Fausts gebieterischer Ton, der Donatus ohne weiteres hatte gehorchen lassen, zeigte bei dem Fremden keine Wirkung.

„Ihr wisst ja nicht, was Ihr tut! Damit ist das Ritual zum zweiten Mal nicht richtig durchgeführt! Habt Ihr eine Ahnung, in welche Gefahr Ihr uns bringt?“

Der Gelehrte ließ sich nicht anfechten.

„Und wer seid Ihr, mein Herr, dass Ihr Euch so gut informiert vorkommt?“, fragte er scharf.

„Mein Name ist Georg Sabellicus Faust der Jüngere.“ Mit künstlich geschwellter Brust wiederholte Faust die Vorstellung, die er bereits der Menge vor dem Gürzenich gegeben hatte. „Quellbrunn der Nekromanten, Astrolog …“

„Ha!“, rief der Fremde, als sei damit alles klar. „Faust! Es gibt wohl keine Teufelei im Reich, bei der Ihr Eure Finger nicht im Spiel habt! Von Eurer Scharlatanerie habe ich schon gehört. Aber dass Ihr es für gut befindet, diesen jungen Mann in Euren Irrsinn zu verwickeln, das geht zu weit! Da hatten meine Lieben hier wohl den richtigen Riecher.“

Er streichelte den immer noch knurrenden Hunden lobend die Köpfe. Dann musterte er Donatus genauer. Sein Blick blieb an Hoogstratens Zettel haften, den er noch immer in der Hand hielt. Blitzschnell griff er danach und überflog, wie Faust zuvor, mehrfach den Spruch. Seine Augen weiteten sich ungläubig und alle Farbe wich aus seinem Gesicht.

„Welcher Teufel hat Euch geritten, dieses Ritual gleich zwei Mal durchzuführen?“ Nackte Angst vertrieb jeden Vorwurf aus seiner Stimme. „Dieser Spruch wurde schon vor zwei Jahrhunderten von der Inquisition in Spanien konfisziert! Niemals wieder hätte er in die Hände eines Menschen geraten dürfen! Weg damit, wenn Ihr Euch nicht ins Unglück stürzen wollt!“

Er hielt den Zettel seinen Hunden vor die Mäuler.

Donatus verstand. Dieser Mann war offenbar ein Hexer. Für ihn war der Engel des Herrn eine Bedrohung; er musste ihn vernichten. Ohne Zögern stürzte sich Donatus auf die großen, schwarzen Hunde und entriss ihnen Hoogstratens Spruch. Dann rannte er, ohne sich noch einmal umzudrehen, durch die dunklen Gassen davon.

Als er das Kloster erreichte, stürmte er direkt in seine Zelle. Hinter sich schloss er hastig die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. So verharrte er stumm, den Spruch in der Hand, bis die Glocken zur Vesper läuteten. Bruder Sebastianus hatte er vergessen, doch die Begegnung mit dem Hexer verfolgte ihn bis in die Nacht. Der Fremde war böse. Nur was er von Faust halten sollte, wusste Donatus nicht. Auch wenn dieser sich für einen Nekromanten ausgab, hatte er ihm doch geholfen, seinen Engel erscheinen zu lassen, und es gab nichts, was Donatus sich sehnlicher gewünscht hätte. Der Hexer hingegen hatte versucht, Donatus‘ Bund mit ihr zu brechen. Und niemand konnte garantieren, dass er nicht wiederkehren und einen neuen Angriff wagen würde.

„Vater unser … Pater noster, qui es in caelis“, begann Donatus laut zu beten. „Sanctificetur nomen tuum …“

Ihm war, als hörte er von der Straße das Knurren eines Hundes. Doch die Geräusche der Nacht waren zu zahlreich und undeutlich, um ein einzelnes herauszufiltern.

„Adveniat regnum tuum. Fiat voluntas tua …“

Trotzdem war er sicher, dass der Hexer unten lauerte. Bereit, ihm seinen Schatz zu rauben. Donatus wagte nicht das Fenster zu öffnen, um nachzusehen.

„Pater noster, qui es in caelis …“ Wieder und wieder sprach er das Vaterunser. Die Stunden verrannen zäh und das Knurren der Hunde dröhnte laut in seinen Ohren. Vielleicht trogen ihn seine Sinne. Vielleicht war es der Teufel, der ihm Angst einjagen wollte.

„Et libera nos …“

Die Luft in seiner Zelle wurde stickig und Donatus bekam nur mühsam Luft. Sein Kopf war schwer und seine Wangen brannten.

„Libera nos …“, keuchte er. „Libera nos …“ Sobald die Worte seinen Mund verließen, verloren sie in seinen Ohren jeden Sinn. Er versuchte, sich an ihnen festzuhalten, aber sein Bewusstsein rann davon, unaufhaltsam wie ein Regenschauer.

„Immaculata“, hauchte er zuletzt. Dann fiel er in einen unruhigen, fiebrigen Schlaf.

In seinem Traum stand sie bei ihm in einem herbstlich überreifen Garten. Sie umfing ihn sanft mit ihren weißen Armen und drückte ihn an ihre weiche Brust. Der Duft reifer, halb verfaulter Äpfel lag auf ihrer Haut. Mit großer Zärtlichkeit streichelte sie seine Schläfe und schob ihm hinter seinem Rücken etwas in die Hand. Er ertastete einen kleinen, gravierten Gegenstand.

„Nimm dies als Zeichen unseres Bundes“, flüsterte sie ihm sanft ins Ohr. Es war ein Wispern wie aus großer Tiefe und ein leiser Schauer überfiel ihn, erschütterte ihn tief ihn seinem Innersten, als wollte er sich fürchten. Doch sagte nicht der Engel Gottes zu den Hirten: Fürchtet euch nicht?

„Wenn du dich mir ganz ergeben willst, dann sage deinen Spruch über diesem Medaillon. Ich will dich bewahren und deine Krankheit von dir nehmen.“

Und wirklich fühlte Donatus sich mit einem Mal sehr krank. Seine Glieder schmerzten und brannten von einer ungeheuren Hitze. Als sein Engel von ihm abließ, wankte er und sah, dass große Stellen seiner Haut schwarz unterlaufen waren. Sein Hals schwoll an und drückte. Er fühlte einen großen Klumpen wachsen. Eine pralle Beule voller Blut und Eiter. Über allem lag der süße, drückende Geruch herbstlich verwester Pracht.

Aber Donatus war ganz ruhig. Dort, wo sein Engel seine Hand berührte, spürte er das Medaillon. Dies war nur eine letzte Prüfung vor seinem Übergang ins Licht.

Mit schwarzen Fingern nahm er den Anhänger und betrachtete ihn. Vor seinen Augen verschwamm die Welt, doch er zwang sich mühsam, hinzusehen. Eine Seite zeigte einen Reiter, mit tiefen Strichen in das Blei geritzt, die andere eine Sichel: Attribute von Krankheit und Tod, deren Macht Immaculata brechen würde, wenn er sich mit ihr verband.

Donatus zwang eine vage, unbestimmte Angst zurück und presste röchelnd seinen Spruch hervor. Als er geendet hatte, verschmolz Hoogstratens Zettel mit dem Amulett. Immaculata hängte es ihm um den Hals. Dann nahm sie seinen heißen Kopf zärtlich in ihre Hände und küsste ihn lange auf den Mund. Es war, als sauge sie das Fieber und die Angst, das Blut und den Eiter aus ihm heraus. Donatus spürte, wie sein Kopf mit jedem Augenblick ein bisschen klarer wurde. Der herbstliche Garten flimmerte wie eine Fata Morgana, löste sich auf und verschwand. Donatus lag auf dem Rücken und starrte an die Deckenbalken seiner Zelle.

Bruder Valentinus und Bruder Sebastianus saßen bei seiner Pritsche. Ihre Gesichter waren ernst. Als sie sahen, dass er zu sich kam, bekreuzigten sie sich.

„Donatus, was hast du getan?“, fragte Bruder Sebastianus in demselben müden Ton, den er schon einmal an ihn gerichtet hatte. Er war blass. In der Hand hielt er ein Tuch, das von Blut rot, von Eiter weißlich-gelb geworden war.

„Bete mit uns“, forderte Bruder Valentinus. „Damit der Dämon von dir lässt.“ Er griff nach Donatus‘ Hand und sprach: „Herr, höre mein Gebet. Domine, exaudi orationem meam!“

Dort, wo seine Haut Donatus’ Haut berührte, entwickelte sich eine verzehrende Hitze wie von einem unsichtbaren Feuer. Der bloße Klang seiner Stimme tat Donatus in den Ohren weh. Schreiend riss er sich los, fuhr von seiner schweißnassen Pritsche hoch und rettete sich auf den Fenstersims. Dort konnte er wieder atmen und sein Puls beruhigte sich.

Furchtsam schlugen die Mönche am Bett das Kreuz.

„Halt‘ durch, Donatus. Ich weiß, es tut weh. Aber du musst durchhalten, wenn du deine Seele nicht verlieren willst.“ Bruder Sebastianus‘ Stimme klang müder denn je. „Als wir dich hier krank gefunden haben, kam ein Mann mit seinen Hunden in das Kloster. Sein Name ist Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim. Er ist sehr gelehrt. Von ihm wissen wir, was Faust, der Scharlatan, dir angetan hat. Wenn du uns den Zauber gibst, können wir dir helfen.“

Auf dem Fenstersims hockend wie eine Krähe lauschte Donatus den Worten seines Lehrers. Was für ein abgekartetes Spiel, das der Hexer und seine Teufel mit ihm spielten! Er lachte heiser, hustete. Nun hatte Agrippa seine Brüder gegen ihn aufgehetzt, nur um dem Engel beizukommen!

Fauchend und zischend wie ein Tier versuchte Donatus, sich weiter zurückzuziehen und griff instinktiv nach der Kordel um seinen Hals. Die Reste der Eiterbeulen dort vernarbten schon. Sein Kruzifix war verschwunden. Stattdessen fand er das bleierne Medaillon, das seine Immaculata ihm gegeben hatte. Er würde sie vor dem Hexer beschützen, so wie sie ihn vor der Pest in Schutz genommen hatte.

„Donatus, vertrau mir!“, flehte Sebastianus. Er wagte sogar, eine Hand nach ihm auszustrecken. Doch als er das Amulett zu berühren drohte, erschien unter großem Getöse ein Strudel von Licht in der Kammer. Der Engel trat heraus und umfasste mit den Händen fest Sebastianus‘ Kopf. Der Mönch stöhnte und schnappte wild nach Luft. Seine Glieder wanden sich und zuckten wie in Krämpfen. Immaculata wisperte ein süßes Wort und weißlich blaue Beulen brachen aus seiner Haut hervor. Dann wurde er still.

Starr vor Entsetzen blickte Donatus auf den entstellten Leib. Eine blinde Furcht ergriff von ihm Besitz und er wollte fliehen. Doch dann spürte er Immaculatas Hand auf seiner Schulter und wurde ganz ruhig. Er wusste nun, dass sie richtig gehandelt hatte. Der Hexer hatte Bruder Sebastianus verdorben und einen Feind aus ihm gemacht. Und seine Feinde lässt der Herr nicht leben.

In diesem Augenblick überwand Bruder Valentinus seinen ersten Schrecken, hob seine Bibel und ein Kreuz auf und hielt beide wie einen Schutzschild vor sich.

„Ille te excludit!“ Mit wütender Entschlossenheit setzte er den abgebrochenen Exorzismus fort. „Qui tibi, et angelis tuis, praeparavit aeternam gehennam.“

Es musste ein Fluch des Hexers Agrippa sein, der Donatus auf den Exorzismus hin übel werden ließ. Desorientiert wusste er nicht, wohin er sich wenden sollte. Da fasste ihn seine Immaculata helfend bei der Hand und zog ihn mit sich aus dem Fenster.

Grenoble, 1535

„Tibi, et angelis tuis! Tibi, et angelis tuis!“, lachte Donatus im Rennen, die großen schwarzen Hunde hinter sich. Endlich hatte den Hexer sein Schicksal ereilt. Nach drei Jahren in der Wildnis war es ihm gelungen, Agrippa zu finden, und seine ganze höllische Sippschaft mit ihm. Immaculata hatte in dieser Nacht ein großes Übel von der Welt genommen. Nun war es an Donatus, auch die Höllenhunde ihrem Diener nachzuschicken. Hart auf seinen Fersen folgten sie ihm bis ans Ufer der schnell fließenden Isère, wo sie ihn zu stellen glaubten. Doch Donatus stockte nicht in seinem Lauf und sprang ohne Zögern in den winterlich kalten Strom. Die Hunde kamen nach. Noch während sie die Strömung mit sich riss, schnappten sie gierig nach Donatus. Wann immer ihre Zähne seine Haut durchbrachen und sich tief in seinem Fleisch verhakten, bekam er sie zu fassen. Mit aller Kraft drückte er die Tiere unter Wasser, bis sie einer nach dem anderen ertranken.

Weiter stromabwärts, mitten im Nirgendwo, gelang es Donatus, ans Ufer zu kriechen. Die Zähne der Hunde hatten ihm den Bauch zerfetzt und er verlor viel Blut.

„Pater noster“, versuchte er, seine rein geglaubte Seele Gott zu empfehlen, doch der Versuch zu beten schnürte ihm die Kehle zu. Mit Einbruch der Nacht starb er, einsam, mit einem letzten „Immaculata“ auf den Lippen.

Es erscheint glaubhaft, dass in der dritten Morgenstunde die Lichtgestalt erschien und seinen Leichnam mit sich fortzerrte. Über den Tod Agrippas aber erzählte man sich in der Folgezeit die merkwürdigsten Geschichten und glaubte, die schwarzen Hunde seien seine Herren und Teufel gewesen. Doch der Teufel zeigt sich nicht gerne in solcher Gestalt. Das ist allerdings kein Wunder, wie der Apostel Paulus im zweiten Brief an die Korinther schrieb. Denn der Satan selbst tarnt sich als Engel des Lichts.