Essentielle Verwirklichung

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Zuerst die kleineren, dann die größeren Löcher, bis ihr zu dem größten gelangt, das der Verlust von allem ist. Es wird Tod genannt. Stimmts? Wenn man stirbt, verliert man alles. Man muß dieses Loch akzeptieren, um alles zurückzubekommen. Eines der letzten Löcher ist also der Verlust des Körpers selbst. Den physischen Tod zu erfahren ist ganz genauso. Man erfährt ein großes Loch, ein schwarzes, dunkles, leeres Loch mit nichts darin.

Ihr versucht dieses Loch mit dem Körper zu füllen. Wenn ihr den Körper loslaßt, wenigstens in eurem Bewußtsein – ich meine nicht, daß ihr notwendigerweise physisch sterbt –, dann seht ihr plötzlich das vollständige Ich, euch selbst vollständig, wer ihr wirklich seid, den, den ihr gewöhnlich mit eurem Körper zu ersetzen versucht. Die meisten Menschen glauben, daß sie ihr Körper sind.

Eine unserer tiefsten Identifikationen ist die mit dem Körper. Das ist ein Grund, warum wir Begierden und Sehnsüchte nach physischen Lüsten, nach Lüsten des Körpers haben. Ich glaube die Basis für die tiefste Sehnsucht, die Sehnsucht nach physischer Lust, ist ein Loch. Das Loch ist die Abwesenheit, das Abgeschnittensein von den wirklichen Freuden, den essentiellen Freuden.

Natürlich will das keiner glauben. „Wenn ich das loslasse, was bleibt mir dann noch? Wenn ich nicht zweimal am Tag Kekse esse, alle zwei Tage Sex habe und dies und jenes tue, woran soll ich dann Freude haben?“ Aber das ist eines der letzten Löcher, das erforscht werden muß. Am Anfang müssen wir die Löcher erfahren, die mit Liebe, Mitgefühl, Wert, Stärke, Willen, Frieden und ähnlichem zu tun haben, diesen Dingen, die wir von außen zu bekommen versuchen.

Ihr tut in eurem Leben, was immer ihr tut, und ihr untersucht einfach, was geschieht. Das ist alles, was ihr tun müßt: es untersuchen, damit ihr es versteht. Eine Art der inneren Arbeit war in der Vergangenheit, sich in ein Kloster zurückzuziehen, allem vollkommen zu entsagen. Es ging nicht wirklich darum, alles abzulehnen; es war ein Versuch, Löcher zu erfahren. Mit der Zeit nahmen solche Praktiken natürlich eine moralistische, religiöse Bedeutung an – die Vorstellung, daß es schlecht ist, bestimmte Arten von äußerem Kontakt zu haben. Der Zweck solcher Retreats ist aber, sich selbst zu erlauben, die Löcher zu fühlen und sie nicht zu füllen, und zu erkennen, worum es bei ihnen geht.

Ich erinnere mich an ein Diagramm, das ich einmal sah und das Meher Baba gemacht hatte – der Mann, der sagt: „Don’t worry, be happy.“ Mit diesem Diagramm versucht er zu beweisen, daß Gott alles ist, und damit dieses Alles vollständig ist, muß es ein Nichts als Teil von sich haben. Und aus diesem Nichts kommt die Welt. Er sagt, alles, was wir wissen, ist das Ergebnis des Nichts, das in dem Alles ist. Und wir müssen dieses Nichts erkennen, um in der Lage zu sein, alles zu wissen. Man muß also ein Nichts haben, sonst ist man nicht vollständig. Vollständigkeit heißt, daß man alles hat. Alles schließt ein Nichts ein.

Noch etwas über die Theorie der Löcher. Wie ich sagte, entstehen die Löcher, wenn wir ein Kind sind. Als Baby hat man keine Löcher; man wird vollkommen geboren. Wenn man heranwächst, wird man aufgrund der Interaktionen mit der Umwelt und bestimmter Schwierigkeiten, die einem widerfahren, von bestimmten Teilen von sich selbst abgeschnitten, und zwar je nach dem Entwicklungsstadium, in dem man gerade ist, von einem entsprechenden Teil. Jedesmal, wenn man von einem Teil von sich selbst abgeschnitten wird, manifestiert sich ein Loch. Die Löcher füllen sich dann mit der Erinnerung an den Verlust und denThemen des Verlusts. Nach einer gewissen Zeit füllt man einfach die Löcher auf. Womit man die Löcher füllt, das sind die falschen Gefühle, Vorstellungen, Überzeugungen von sich selbst, Strategien, wie man mit der Umwelt umgehen kann. Diese Filter nennt man in ihrer Gesamtheit die Persönlichkeit – die falsche Persönlichkeit, oder was wir die falsche Perle nennen.

Wie ihr seht, ist die falsche Persönlichkeit also ein Ergebnis von Verlusten von Teilen des Selbst. Nach einer Weile aber glauben wir, daß wir diese sind. Alle glauben, sie seien das, was sie füllt. Die falsche Persönlichkeit versucht, den Platz des Echten, Wirklichen, Eigentlichen einzunehmen. Deshalb verwenden wir hier eine Menge Arbeit auf das Verstehen unserer Persönlichkeit. Unsere Arbeit führt dazu, daß wir die Geschichte der Entwicklung unserer falschen Persönlichkeit studieren, bis wir schließlich in der Lage sind, die Erinnerung an die Situation zu erfahren, in der sich das bestimmte Loch gebildet hat. Auf diese Weise könnt ihr eure Essenz zurückgewinnen, Stück für Stück, bis ihr vollständig seid.

Wie ihr seht, sage ich diese Dinge auf eine sehr allgemeine Weise. Wir können viel genauer sein. Wir können jede einzelne Qualität betrachten, erkennen, wann sie verloren wurde und was das Ergebnis ist. Manchmal gehen Kombinationen von Qualitäten verloren. Zum Beispiel kann es sein, daß ihr eure Stärke, euren Willen und eure Liebe verliert, und diese bilden dann ein zusammengesetztes Loch. Eine ganze psychologische Perspektive kann also um dieses Verstehen gebaut werden – die Psychologie der Löcher –, die die Psychologie der Persönlichkeit, der falschen Perle ist.

S.: Ich habe oft bemerkt, daß ich ein Loch fühle, wenn ein Mann mich entwertet, und ich gerate dann in Panik und möchte etwas haben, das da hineingleitet, bevor Kompensationen es wieder auffüllen. Wenn das geschieht, fühle ich mich nicht stark genug, um dabei zu bleiben, bevor es sich mit Panik und Sehnsucht und Selbstabwertung füllt und ich mich mit diesen Gefühlen wieder identifiziere. Wäre es einfach eine Sache der Übung, mich das Loch stark genug fühlen zu lassen?

A.H.: Ja. Das ist das, was ich meine. Wir arbeiten daran, zu lernen, diese Gefühle zu ertragen, bei ihnen zu bleiben und nicht zu versuchen, sie mit etwas anderem zu füllen. Manchmal passiert das einfach, das Auffüllen passiert automatisch. Deshalb wird die Persönlichkeit automatisch genannt. Es läuft ganz mechanisch ab. Alles geschieht nach einer Weile automatisch. Man weiß nicht einmal, daß man etwas füllt.

S.: Wie verlangsamt man den Prozeß – einfach indem man beobachtet, wie er geschieht?

A.H.: Ja, indem ihr anschaut, wie er abläuft, wenn ihr auch eine gewisse Bewußtheit dafür habt, daß ihr versucht, ein Loch zu füllen. Aber ihr versucht nicht, das Loch zu füllen. Ihr könnt euch das Ziel setzen: „Die nächsten zwei Wochen werde ich nicht versuchen, Bestätigung von außen zu bekommen.“ Oder: „Jedesmal wenn ich merke, daß ich von außen Bestätigung bekommen möchte, werde ich das nur beobachten und nicht entsprechend handeln.“ Das ist eine Möglichkeit, wie man es machen kann. Wirklich, alles was wir bei dieser inneren Arbeit tun ist, mit diesen Themen umgehen. Heute betrachten wir es aus einer besonderen Perspektive, die euch ein bestimmtes Verständnis geben kann, um eure Arbeit zu erleichtern.

Die falsche Persönlichkeit ist in dem Sinn mechanisch, als sie automatisch versucht, wenn ihr eine essentielle Qualität von euch selbst verloren habt und es da ein Loch gibt, es mit falschen Qualitäten von außen zu füllen. Dann wird dieser Teil eurer falschen Persönlichkeit gebildet. Die Aktivität der Persönlichkeit geht in zwei Richtungen. Auf der einen Seite versucht sie immer, das Loch zu vermeiden, Schmerz zu vermeiden und Lust zu erleben. Das geht automatisch. Andererseits versucht die Persönlichkeit immer, das Loch zu füllen, sobald etwas passiert, das den Mangel freilegen kann. Auch das geht automatisch. Deshalb ist es notwendig, daß wir uns selbst genau beobachten. Die meisten Menschen sind so sehr mit ihrem Versuch identifiziert, die Löcher zu füllen, daß sie nicht glauben, es sei möglich, es nicht zu tun. Ein Mensch, der nach jemandem sucht, der ihn liebt, weiß nicht, daß es eine Alternative gibt. Er glaubt, dies sei das Beste, was er tun kann und kann sich nichts anderes vorstellen. Die meisten Menschen stellen diese Dinge niemals in Frage. Es geht so mechanisch. Sie sagen, so seien sie eben. So sei die Welt. Wenn du dich klein fühlst, suche jemanden, der dich toll findet. Was kann man sonst tun? Das ist wirklich das, was die meisten Menschen denken. Wenn ihr das Gefühl habt, daß ihr nicht wert seid, geliebt zu werden, dann findet jemanden, der euch mag. Man identifiziert sich mit diesen Mustern gewöhnlich so vollkommen, daß es keine Chance von Veränderung gibt. Um anzufangen, an so einem Muster zu arbeiten, muß man zuerst immer wieder beobachten, wie es abläuft, und einsehen, daß es wirklich nicht funktioniert. Menschen kommen gewöhnlich nicht hierher um zu arbeiten, bevor sie angefangen haben zu erkennen, daß ihre Methode nicht funktioniert. Sonst kommen sie nicht. Sonst glauben sie an ihre Strategien so vollkommen, daß sie denken, es werde funktionieren, wenn sie nur besser darin werden und es noch ein paar Jahre länger tun. Vielleicht haben sie noch nicht den richtigen Menschen oder noch nicht die richtige Situation gefunden. Wenn sie nur ein bißchen mehr Geld verdienen, werde alles gut werden.

Alle diese Rationalisierungen halten die meisten Menschen in Gang. Für die, die sich selbst beobachten, wird offensichtlich, daß diese Muster ihnen nicht verschaffen, was sie eigentlich wollen. Das sind die Menschen, die normalerweise hierher kommen, um zu arbeiten, und ihnen ist es möglich, etwas anderes zu erfahren. Aber ich meine nicht, daß Leute, die zu der inneren Arbeit kommen, sich entschlossen haben, ihre Löcher zu erfahren. Nein. Wenn jemand zum ersten Mal hierher kommt, dann will er in Wirklichkeit bessere Methoden finden, die Löcher zu füllen. Deshalb kommen alle hierher. „Ich werde einen besseren Weg finden, wie ich jemanden dazu bringen kann, mich zu lieben; Ich werde besser in meiner Entschlossenheit, abzunehmen; Ich werde Möglichkeiten finden, dies oder jenes zu sein.“ Das ist das, was jeder in Wirklichkeit möchte. Ihr kommt also und findet langsam heraus, daß es bei der inneren Arbeit um etwas anderes geht. Und ihr werdet frustriert, weil wir immer wieder sagen: „Nein, Löcher füllen funktioniert nicht.“ Ihr fühlt die Löcher immer mehr. „Aber ich möchte es füllen, mir geht es immer nur schlecht. Wann wird es endlich besser? Was kann ich tun, damit ich dieses schreckliche Zeug nicht fühlen muß?“

 

Es dauert lange, bis man versteht, daß es nicht funktioniert, wenn man das Loch zu füllen versucht. Auch jetzt, da ihr mir zuhört, versucht ihr, Löcher mit einem gewissen Verstehen zu füllen. Manche von euch glauben schon, daß die Worte, die ich sage, die Löcher füllen werden. „Wenn ich nur weiß, worum es geht, dann müßte es schon besser werden.“ Was ich sage, ist dann wirksam, wenn ihr anfangt, eure Löcher zu fühlen, eure Leere zu fühlen. Wenn ihr sie mit Worten oder Vorstellungen füllt, füllt ihr sie einfach nur wieder.

„Jetzt weiß ich endlich, worum es geht. Es geht um Löcher füllen. Gut! Jetzt weiß ich, wie es geht. Jetzt kann ich mich ausruhen, die nächsten zwei Wochen brauche ich nichts zu tun.“ Manche Menschen versuchen, Löcher jetzt auf eine andere Weise zu füllen: „Oh – das mache ich also mit meinem Mann! Ich versuche, ihn zu benutzen, meine Löcher zu füllen. Okay, jetzt werde ich die nächsten zwei Wochen nicht mit ihm sprechen.“ Und so füllt sie jetzt Löcher, indem sie sie dazu benutzt, ihren Mann anzugreifen. Es ist sehr schlau, wie wir versuchen, unsere Löcher zu füllen. „Aha! jetzt werde ich keinen neuen Job suchen; ich werde nicht versuchen, mehr Geld zu verdienen, weil das nur Löcher füllen wäre, und er sagt, mehr Geld verdienen funktioniert nicht.“ Und diese Gedanken werden anhalten und weiter versuchen, immer ein anderes Loch zu füllen.

Ich glaube, diese Perspektive hilft uns dabei, einen Überblick über die Gesellschaft zu bekommen. Das Loch übernimmt die Macht. Fast andauernd versucht unsere Gesellschaft, Löcher in Menschen zu füllen. Was glaubt ihr, benutzen Werbesendungen? Die Macht der Werbespots ist die Macht der Löcher. Sie appellieren an eure Löcher, immer. Sie finden ein bestimmtes Loch und versuchen, euch die beste Füllung dafür zu verkaufen. Gute Werbeagenten können mit diesen Löchern sehr effektiv umgehen. Sie sehen ihr Produkt und welche Löcher es füllen könnte; sie appellieren an dieses Loch. Und so machen sie Millionen.

S.: Appelliert Werbung an schon existierende Löcher, oder kreiert sie irgendwie neue?

A.H.: Ich glaube nicht, daß sie ein neues Loch kreieren, wirklich kreieren könnte. Eure Löcher sind in eurer Kindheit entstanden. Aber sie betonen die existierenden Löcher und appellieren auf verschiedene Weise an sie. Zum Beispiel das Bedürfnis, schön zu sein. Manche Frauen haben das Gefühl, daß sie nicht schön sind, und es gibt viele Möglichkeiten, diesen Mangel anzusprechen. Jeden Tag gibt es etwas anderes. Die Form ändert sich, aber im Grunde wiederholen sie immer die gleichen Appelle. Werbung stimuliert und verstärkt den Mechanismus des Löcherfüllens. Sie stimuliert die Begierden, die aus den Löchern resultieren. In euren Löchern gibt es Bilder von dem, wovon ihr glaubt, daß ihr es von außen braucht oder wollt. Unser Unbewußtes besteht aus Bildern, mit denen wir Löcher füllen, und wir suchen dauernd außen nach dem, was in diesen Bildern ist. Werbung funktioniert auf einer bestimmten Ebene des ganzen Mechanismus’ und das ist die Ebene der Begierde selbst. Sie versuchen Begierde zu stärken. Sie sagen, wenn ihr dieses Produkt kauft, dann werdet ihr schön sein; wenn ihr jenes kauft, werdet ihr glücklich sein, oder reich oder unsterblich.

S.: Warum könnte Werbung nicht benutzt werden, um die Begierde nach Essenz zu stimulieren?

A.H.: Weil man nicht viel Geld verdienen würde.

S.: Wäre das nicht eine mächtige Begierde, die Begierde nach Essenz?

A.H.: Oh, es ist die mächtigste. Es gibt Menschen, die Werbung machen, die an unsere Sehnsucht nach Essenz appelliert. Die Kirche, alle religiösen Systeme sind Werbung für das. Aber sie appellieren auf einer tiefen Ebene. Natürlich können sie sehr selten Menschen wirklich zu ihrer Essenz führen.

S.: Ist die Begierde, die Löcher anderer Menschen zu füllen, nur eine andere Weise, die eigenen zu füllen?

A.H.: Ja. Manchmal vermeidet man die eigenen Löcher dadurch, daß man glaubt, andere Leute hätten Löcher und man selbst nicht.

S.: Oder dadurch, daß man andere als bedürftig sieht? A.H.: Kann auch sein. Es gibt einen Mechanismus, die eige nen Löcher dadurch zu vermeiden, daß man sie nach außen projiziert: „Andere Menschen sind bedürftig und ich werde ihnen helfen.“

Dieser Prozeß des Löcherfüllens ist nicht oberflächlich oder einfach, er ist sehr tief und subtil; er geht an die Wurzeln eures eigenen Seins. Es verlangt sehr tiefe Arbeit, diesen Prozeß der Persönlichkeit aufzulösen, ihn umzukehren und zu Essenz zurückzukehren.

Der Diamantene Weg innerer Arbeit

Wir nennen unseren Ansatz innerer Arbeit, die wir hier tun, den Diamantenen Weg. Was meinen wir damit? Gehen wir Wort für Wort vor. Warum nenne ich diesen Weg „diamanten“? Es gibt zwei Ebenen der Bedeutung des Ausdrucks „Diamantener Weg“. Eine ist die wörtliche Bedeutung, die andere ist metaphorisch. Die wörtliche Bedeutung ist schwerer zu greifen, weil sie das Verständnis voraussetzt, daß man sie erfahren hat.

Erst einmal will ich über die metaphorische Bedeutung sprechen. „Diamantener Weg“ ist eine Methode, die die Eigenschaften des Diamanten benutzt, ich nenne das die diamantene Wahrnehmung. Der Diamant hat eine besondere Präzision und er kann harte Stoffe schneiden, ohne selbst zerstört zu werden. Der Ansatz, den wir benutzen, ist fokussiert und präzise, wie Laserchirurgie. Wie ein Diamant ist unser Ansatz auch dauerhaft, wertvoll und kostbar.

Was bedeutet nun „die (innere) Arbeit“? Das Verständnis von“innerer Arbeit“, wird uns genauer verstehen lassen, was wir hier tun.

Soweit wir wissen haben sich Menschen immer dadurch von Tieren unterschieden, daß Menschen unter einer bestimmten Art von Schmerz leiden, die andere Kreaturen nicht kennen. Alle Formen von Leben erleiden Krankheit, Unfälle, Tod. Menschen aber erfahren außerdem emotionale und geistige Leiden und Ängste. Wir wissen, daß im Verlauf der aufgezeichneten Geschichte Menschen emotionales Leid, Unzufriedenheit, Mangel an Befriedigung und Mangel an Frieden erlebt haben. Was ihr jetzt erfahrt, ist nicht neu. Das hat es immer gegeben. Vielleicht ist diese Art Leiden heutzutage größer und tiefer als vor Tausenden von Jahren, aber im allgemeinen ist es immer noch das gleiche.

Auch haben immer ein paar Menschen gelebt, die davon wußten, daß der größte Teil dieses Leidens auf die Entfremdung des Menschen von sich selbst zurückgeht. Der größte Teil unserer Unzufriedenheit stammt nicht aus Krankheit oder materiellen Problemen, sondern daher, daß wir nicht wir selbst sind. Am Leiden, das von Krankheit oder Alter verursacht wird, kann man nicht viel tun. Manche Menschen haben aber erkannt, daß emotionales Leiden nicht in gleicher Weise unvermeidlich ist. Es kommt daher, daß wir nicht wissen, wer wir sind, daß wir unser Sein, unsere wahre Natur nicht kennen, daß wir nicht frei sind, wir selbst zu sein. Es ist diese Entfremdung, die uns mit einem Gefühl von Leere, von tiefem Leiden leben läßt. Mit der Zeit führt das dann zu körperlichen Beschwerden, psychosomatischen Krankheiten und ähnlichem.

Neben diesem Wissen von der Ursache unseres Leidens hat auch das Wissen davon existiert, wie man einen Menschen zurück zu sich selbst führt, wenn er das will und in der Lage ist, zu tun, was nötig ist. Die „Arbeit“ steht also für jeden Weg oder jede Schule oder Methode, die die Tatsache des Leidens sowie die Ursache unnötigen Leidens erkennt und dahin arbeitet, einen Menschen zu seiner wahren Natur zurückzuführen, um so das unnötige Leiden, das von jener Spaltung in uns verursacht ist, zu eliminieren.

Das Ziel der inneren Arbeit ist jedoch nicht in erster Linie, Leiden zu beseitigen. Die Sehnsucht, zur wahren Natur zurückzukehren, ist ein angeborener Impuls, der in der Gegenwart ebenso wie in der Abwesenheit von Leiden da ist. Je mehr wir mit uns in Kontakt sind, um so mehr fühlen wir diese angeborene Sehnsucht, zu wissen und zu sein, wer wir wirklich sind. Wir wollen die Freiheit, so zu leben, wie wir leben müßten, um unser ganzes Potential zu erfüllen. Wenn wir das nicht tun, leiden wir. Aber dieses Leiden ist, nicht das Problem, dessen Lösung die innere Arbeit zum Ziel hat. Es ist einfach ein Hunger danach, unser wahres Selbst frei zu leben; es ist ein Signal dafür, daß wir zu unserer wahren Natur zurückkehren möchten.

Der Zweck vieler Schulen und Methoden, im Verlauf der Geschichte war, Menschen zu sich selbst zurückzubringen. Der Impuls hin zur eigenen wahren Natur hat auch Religionen und spirituelle Bewegungen auf der ganzen Welt inspiriert.

Wie ihr wißt, können Worte, wie Worte eben sind, die Erfahrung des Wertes der inneren Arbeit, die einige von euch gemacht haben, nicht vermitteln. Wir sehen, daß die innere Arbeit sehr alt ist; sie existiert schon so lange wie die Menschheit.

Worin besteht unser Ansatz, der Diamantene Weg der inneren Arbeit, also jetzt genauer betrachtet? Um dem Verständnis des Diamantenen Weges näher zu kommen, können wir die Schwierigkeit der inneren Arbeit anschauen.

Die, die die innere Arbeit tun oder die Schulen für diese Arbeit gegründet haben, sind immer davon ausgegangen, daß es sehr schwer ist, diese innere Arbeit wirklich zu tun und zu dem zurückzukehren, wer wir sind. Man hat auch immer angenommen, daß nur sehr wenige Menschen, nur ein kleiner Teil der Menschheit, versuchen wird, den Weg der Rückkehr einzuschlagen, und daß noch weniger irgendwohin gelangen werden, und daß wiederum noch weniger den Weg wirklich zu Ende gehen. Wir alle haben Geschichten über die Barrieren und die Gefahren der inneren Arbeit gehört. Der Weg war immer gefährlich, deshalb haben sehr wenige ihn ausprobiert, sehr, sehr wenige sind ihn bis ans Ende gegangen und haben das Ziel erreicht.

Man hat immer angenommen, daß es in der Natur der inneren Arbeit liegt, daß sie schwierig und gefährlich ist. Jetzt lernen wir aber, im Gegensatz zu den Annahmen der Vergangenheit, daß es nicht in der Natur der inneren Arbeit liegt, so schwierig zu sein. Der Grund, daß es bis jetzt so schien, liegt unter anderem im Mangel einer bestimmten Art von Wissen, dem psychologischen Wissen.

Man hat zum Beispiel angenommen, daß ein Mensch enormen Willen und sehr feste Entschlossenheit braucht, um die innere Arbeit tun zu können.

Die Aufgabe braucht wirklich ungeheuren Willen und Entschlossenheit, und in der Vergangenheit hat man dem Schüler oft den Mangel an ausreichendem Willen vorgeworfen – der Lehrer sagt, daß der Schüler sich der Arbeit nicht genug hingibt, nicht entschlossen genug ist, seinen Willen nicht genug benutzt.

Und das ist wahr. Das ist bei der inneren Arbeit immer so gewesen und ist auch heute noch so. Die Lehrer drängen also die Schüler und tun alles mögliche, sie durchzubringen – sie tun, was immer die Schüler dazu bringen kann, Willen, und Entschlossenheit einzusetzen, um weiter zu arbeiten.

Jetzt aber verstehen wir, daß ein Mensch seinen Willen nicht gebrauchen kann, wenn dieser Wille aus bestimmten Gründen blockiert und verdrängt ist. Und wir wissen, daß er aus bestimmten Gründen blockiert und verdrängt wird. Unsere Arbeit in dieser Gruppe hat uns gezeigt, daß einer der vielen Gründe für die Verdrängung des Willens die Angst davor ist, sich kastriert zu fühlen. Diese unbewußte Angst ist gut bekannt und in der psychoanalytischen Literatur breit dokumentiert, aber ihre Verbindung mit dem Willen wird im allgemeinen nicht gesehen.

In dem Moment also, in dem ein Mensch versucht, seinen Willen zu gebrauchen, beginnt er eine schreckliche Angst zu fühlen, die Angst vor Kastration, sei es sexueller Kastration oder der seines Selbst, seiner Energie, seines Willens. Dieser Mensch weiß nicht einmal, daß diese Angst da ist. Er weiß nur, daß sein Wille ihm nicht zu Verfügung steht, daß er nicht mit Entschlossenheit handeln, keine schwierigen Dinge tun kann.

Unabhängig davon, wie sehr man jemanden drängt – wie wird er nun seinen Willen finden, wenn er das Gefühl hat, daß ihm etwas Schreckliches zustoßen wird, wenn er ihm nahe kommt? Diese Angst kann sich als ein Gefühl manifestieren, daß ihm

„etwas passieren wird“, oder kann die Form haben: „Ich werde sterben“ oder „Ich werde einen Unfall haben“ – etwas der Art. Gleichgültig wie überzeugend der Lehrer ist, er kann nicht nahe genug an diese Ängste heran. Nicht daß er seinen Willen nicht gebrauchen wollte, er weiß nur nicht wie, er kann nicht. Aufgrund von Verdrängung hat er keinen Zugang zum Willen. Aufgrund bestimmter unbewußter Ängste ist der Wille abgeschnitten; und weil diese Ängste unbewußt sind, hat das Bewußtsein keine Kontrolle über sie; wenn man sich gegen sie stemmt, werden sie stärker. Es ist wie mit Gummi – wenn man dagegen drückt, gibt es nicht nach, sondern drückt gegen einen zurück.

 

Oder ein Lehrer sagt einem Schüler vielleicht, er solle sich hingeben, und der Schüler weiß, daß es das Beste ist, sich hinzugeben, aber er weiß nicht, wie er es machen soll. Er ist voller Angst – „Was meinst du, mich hingeben?“ Für das Unbewußte bedeutet Hingabe Verlust, bedeutet, einen Teil von sich selbst hingeben, Auflösung – schreckliche Dinge.

Ein anderes Beispiel ist das Thema der Verbindlichkeit. Man hat in den Schulen der inneren Arbeit immer gesagt, daß sehr wenige Menschen diese Arbeit tun, weil die meisten sich innerlich nicht hinreichend verbindlich auf sie einlassen. Sie wollen sich auf den Weg nicht verbindlich einlassen, weil sie Angst haben, ihre persönliche Freiheit zu verlieren.

Der Lehrer wirft dem Schüler vor, daß er nicht verbindlich genug dabei ist. Er sagt: „Du solltest verbindlicher bei der Sache sein“ oder „Du weißt einfach nicht, was gut für Dich ist“. Es kann gut sein, daß das wahr ist, aber es löst nichts. Schüler versuchen, sich innerlich zu verpflichten, aber wir wissen jetzt, daß das Thema der Verbindlichkeit in Beziehung zu einigen sehr tiefen Schwierigkeiten steht. Wir wissen zum Beispiel, daß man mit seinen unbewußten Ängsten um Ablösung und Trennung umgehen muß, um wirklich in der Lage zu sein, sich der inneren Arbeit ganz hinzugeben. In uns allen gibt es eine tiefe Angst davor, unser Identitätsgefühl, unser Gefühl dafür wer wir sind, unsere Unabhängigkeit, unsere Individualität zu verlieren. Obwohl es keinen wirklichen Verlust dieser Dinge bei der inneren Arbeit gibt – in Wirklichkeit ganz das Gegenteil – gibt es für diese Ängste echte Gründe, Gründe, die auf unbewußte Überzeugungen zurückgehen, die in der Kindheit entstanden sind. Das Unbewußte glaubt, daß man sich verliert, wenn man sich innerlich verpflichtet und bindet. Und in einem bestimmten Sinne ist das auch wahr; wenn wir die innere Arbeit tun, machen wir eine Art Ablösungsprozeß von der falschen Persönlichkeit durch, von der wir zu Beginn glauben, daß wir sie sind. Um also eine innere Verbindlichkeit zur inneren Arbeit aufrechtzuhalten, ist es schließlich nötig, diese Ängste vor dem Verlust der Identität durchzuarbeiten. Nur dann ist es möglich, unsere wahre Identität zu erkennen und zu entwickeln.

Natürlich macht es eben wegen dieser unbewußten Überzeugungen in bezug auf Verbindlichkeit für die meisten Menschen keinen Sinn, sich der inneren Arbeit zu verpflichten, um sich zu finden. „Was soll das heißen, mich verbindlich einzulassen?“ sagt das Unbewußte. „Was bleibt dann von mir übrig, wenn ich mich einlasse?“ Wir wissen von unserer Arbeit hier, wie einschneidend, wie zwingend diese Ängste sind – und sie sind unbewußt. Zuerst wissen wir nicht einmal, daß es sie gibt. Wir stehen einfach unter ihrem Einfluß. Wir können diese Schwierigkeiten in unseren Beziehungen sehen – wir wissen, wie schwer es ist, sich auf Beziehungen einzulassen und sich zu binden, auch wenn wir fühlen, daß wir den Menschen gefunden haben, den wir gewollt haben, und unsere Sorgen jetzt vorbei sein müßten. Das Unbewußte sagt: „Einen Moment mal, was passiert jetzt mit mir?“ Dieselben unbewußten Konflikte werden zu wirken anfangen, wenn ihr euch der inneren Arbeit verpflichten wollt.

Wir sehen also wieder, daß es immer schwer gewesen ist, die innere Arbeit zu tun, weil die Verbindlichkeit, der Wille, das Verstehen uns im allgemeinen nicht zu Verfügung stehen, und zwar aufgrund verdrängter Ängste und Widerstände, die vollkommen unbewußt sind und die unser Verhalten bestimmen und die stärker werden, wenn wir dagegen angehen.

Da die falsche Persönlichkeit die Barriere ist, die wir durchstoßen müssen, um zu unserer wahren Natur zu gelangen, hat innere Arbeit immer verlangt, daß man bestimmte Handlungsweisen und Verhaltensmuster, die Manifestationen der falschen Persönlichkeit sind, ändert. Als Hilfe für die Schüler, ihre Identifikation mit der Persönlichkeit zu lösen, haben Methoden und Schulen innerer Arbeit also zum Beispiel gelehrt, nicht egoistisch, sondern großzügig und mitfühlend zu sein. Wenn man Schülern aber sagt, sie sollten nicht egoistisch sein, hat man es nur mit der Persönlichkeit zu tun, und zwar auf eine Weise, von der wir jetzt wissen, daß sie nicht besonders gut funktioniert. Zum Beispiel haben wir bestimmte Ängste und Mängel, die uns gierig machen, und wir hören nicht einfach auf, gierig zu sein, wenn man uns dazu auffordert. Unbewußt glaubt ihr vielleicht, daß ihr kämpfen müßt, damit ihr genug von allem bekommt, um zu überleben, auch wenn das unter den tatsächlichen Umständen zweifellos nicht wahr ist. Ob ihr das bewußt glaubt oder nicht, ihr empfindet Gier, solange dieser unbewußte Glaube existiert. Die unbewußten Ängste und Blockaden, die als Barrieren gegen die Erfahrung von Essenz und gegen den Fluß körperlicher und feinstofflicher Energien wirken, kann man mit feinstofflichen Sinnesorganen als eine bestimmte Art Dunkelheit, als eine Blockierung des Energieflusses im Körper wahrnehmen. Viele Techniken sind im Laufe der Jahre entwickelt worden, um diese Barrieren, diese dunklen Flecke zu umgehen – die Energie in Bewegung zu bringen.

Manche Methoden benutzen Übungen oder Haltungen, um bestimmte Barrieren zu umgehen. Manche Methoden arbeiten daraufhin, mit schierer Willenskraft oder Entschlossenheit durch die dunklen Flecke hindurchzustoßen: zehn Jahre lang zehn Stunden Meditation am Tag, solche Dinge. Diese Methoden sind sehr mächtig, und sie funktionieren, aber gewöhnlich nur bei dem Glücklichen, der von vorneherein nicht viele oder nicht so starke Barrieren hat.

Jene, die innere Arbeit tun, haben gewußt, daß diese Barrieren mit Konditionierung zu tun haben, und daß die falsche Persönlichkeit aus Konditionierung entsteht. Man hat viel über die Eigenschaften der falschen Persönlichkeit gewußt: wie sie sich verhält, wie sie sich von Essenz wegbewegt. Manche Methoden haben sich darauf konzentriert, „Gegengifte“ in der Form von verschiedenen Meditationen, Übungen, Visualisierungen, Yogahaltungen und so weiter, gegen jede dunkle Qualität zu entwickeln. Mit diesen Methoden mußten die Lehrer intensiv arbeiten, um Schüler durch Barrieren zu treiben und zu ziehen, aber gewöhnlich mit begrenztem Erfolg.

Wegen der Schwierigkeit des Weges wurden Schüler zur inneren Arbeit früher, besonders in den ernsthaften Schulen, nur angenommen, wenn sie verzweifelt diese innere Arbeit tun wollten, verzweifelt genug, ihr Leben dafür einzusetzen. Die Lehrer haben gewußt, daß der Weg niemals vollendet werden konnte, außer ein Schüler war bereit, sein Leben einzusetzen. Wegen der Ängste und der Widerstände, die auf dem Wege liegen, war es sonst einfach zu schwierig. So gab es alle möglichen Auswahlprozeduren – jemand konnte jahrelang auf die Probe gestellt werden, bevor er in die Arbeit aufgenommen wurde. Das war nötig, weil es für den Lehrer nur Zeitverschwendung ist, Zeit mit einem Schüler zu verbringen, der auf dem Weg keinen Fortschritt machen wird und in den meisten ernsthaften Schulen ist es immer noch so.