Zerberus Müller 'Beinahe ein Mord in Strullendorf'

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Zerberus Müller 'Beinahe ein Mord in Strullendorf'
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Zerberus Müller

Beinahe ein Mord in

Strullendorf

Ein Roman von Bettina Bäumert

Autor: Bettina Bäumert

Cover- und Buchgestaltung: Bettina Bäumert

Verlag: epubli GmbH, Berlin

Bettina Bäumert, Jahrgang 1959 ist gelernte Kinderkrankenschwester. Mit ihrem Mann und ihren Eltern lebt sie in Strullendorf. Ihr erstes Buch 'Ich bin Ich' ist die Schilderung eines behinderten Kindes mit seiner Familie. Geschrieben aus der Sicht des Kindes. Dieses Buch entstand 2013 und war ursprünglich nur für seine Großeltern gedacht. Danach folgten zwei Mystik-Krimi und ein Band mit Kurzgeschichten.

Copyright: © 2015 Bettina Bäumert
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Namen und Handlungen sind frei erfunden.

Abbildung des Schäferhundes mit freundlicher Genehmigung seiner Besitzer.

Für meinen Mann.

Das Leben ist Liebe.

Allein durch Dich.

Vorwort

Liebe Strullendorfer, liebe Leser.

Wer jetzt einen Krimi erwartet, bei dem aus jeder Seite Blut tropft, der sollte das Buch lieber wieder weglegen.

Wer allerdings etwas sucht, das ein bisschen die Sorgen des Alltags vergessen lässt, der sollte sich sofort mit dem Buch in der Hand ein ruhiges Plätzchen suchen und lesen.

Warum Strullendorf?

Warum nicht? Es gibt viele Krimis mit Schauplatz Bamberg, aber nicht einen, der sich in Strullendorf abspielt.

Die Idee, Strullendorf als Mittelpunkt meiner Geschichte zu nehmen, entstand in einem Gespräch mit Freunden. Zum einen wurde die Meinung vertreten, ich solle doch auch einmal einen Franken-Krimi schreiben. (Allerdings stand dabei immer Bamberg zur Debatte. Aber, da gibt es schon so viele und sooo verdammt gute Bücher.) Zum anderen war zum Zeitpunkt des Heranreifens meines Entschlusses, mich doch mit einem 'Franken-Krimi' zu versuchen, das Thema aller Tierliebhaber, Hunde- und Katzenbesitzer:

Die Vergiftung und Misshandlung geliebter vierpfotiger Familienmitglieder.

Fiktive Hauptdarsteller und Nebendarsteller, ob zweibeinig oder vierpfotig, in einem Ort zu integrieren, in dem schon jedes Haus - oder fast jedes Haus bewohnt ist, gestaltete sich nicht ganz so einfach. Ich möchte schließlich niemanden verdrängen, aber auch nicht in meine erfundene Geschichte einbinden.

Deshalb habe ich in Wohnungen (die zudem als enger Wohnraum dargestellt wurden), Gebäuden oder Anwesen die wahren Bewohner verschwinden lassen und durch Phantasiegestalten ersetzt. Die Herrschaften, die in diesen Häusern leben oder Ähnlichkeiten in manchen Namen entdecken, mögen dies doch bitte mit Strullendorfer Humor nehmen und sich ins Gedächtnis rufen, dass dies nur eine ausgedachte Geschichte in einem Ort mit liebenswerten Bewohnern ist.

Ganz besonders möchte ich die wunderbaren Kinder Strullendorfs erwähnen. Die Entstehung von Felix und Elisabeth, meinen kleinen Hauptdarstellern, verdanke ich mit Sicherheit der Begegnung und des überaus bereicherndem Gesprächs mit einem Buben und einem Mädchen unseres Heimatortes.

Mein tierischer Hauptdarsteller, ein Schäferhund, beruht auf den neuen 'Familien-Zuwachs' von Freunden.

Vor vielen Jahren hatten wir selbst einen Hund. Sein Tod tut - ehrlich gesagt - noch heute weh. Deshalb … Haustierlos.

Interpretiere ich jetzt in ein Tier zu viel hinein oder lasse ich ihn verkehrt ernähren, möge man mir das bitte nachsehen und verzeihen.

Sollte sich manch ein Leser im Charakter und Gemüt in meinem Buch wiederfinden, ist das gewollt. Denn Strullendorf ist:

Durch seine Bewohner; durch die Einzigartigkeit der Menschen, die hier leben; der Nachbarschaftshilfe und Gutmütigkeit; der kleinen Streitigkeiten und Versöhnungen; des Plausches auf der Straße; der herzlichen Gastfreundschaft nach vorherigem, genauen Sondierens Fremder; der einzigartigen und unvergleichlichen, fränkischen Lebensart.

Noch ein Letztes: Der Dialekt.

Ich war und bin der Meinung, dass ein Franken-Krimi auch fränkisch in der Sprache sein sollte. Für mich nicht ganz so einfach, denn - ich bin gebürtig aus Wilhelmsthal bei Kronach. Heißt: Ich vermische Bamberger, Kronacher und sogar Nürnberger Mundart. (Ich habe Verwandte in Fürth und bei Nürnberg.)

Bei meinen Recherchen habe ich festgestellt, dass der fränkische Dialekt dermaßen vielfältig ist, es dadurch anscheinend keine eindeutige Schreibweise gibt.

Aus diesem Grund habe ich geschrieben, wie mir der Schnabel gewachsen ist.

Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen von Herzen Ihre

Bettina Bäumert

Die Tür zu seinem Wohnwagen wurde schwungvoll und überaus gut gelaunt mit den Worten: „Zerberus Müller, du hast einen neuen Fall“ aufgerissen.

Dies und der kalte Luftzug, den Adele durch das Öffnen der Tür in seine Behausung brachte, riss den Angesprochenen äußerst unsanft aus seinen Traum.

Nebenbei bemerkt, einem sehr schönen Traum:

Er lag in einem Liegestuhl an einem noch unberührten weißen Sandstrand, umgeben vom Rauschen des Meeres und zwei braun gebrannten Bikinischönheiten, die ihm sanft die muskulösen Schultern massierten, während er genüsslich einen Drink schlürfte. Von jeher mit einem ausgezeichneten Vorstellungsvermögen gesegnet, hatte er noch während seiner höchst unfreiwilligen Rückkehr in die Realität den Geschmack eines ausgereiften, alten Whiskys auf der Zunge.

Zerberus Müller, ein kräftig wirkender, eins achtzig großer ehemaliger Kriminalbeamter mit dunklen, kurz geschorenem Haar und kleinen Goldringen in beiden Ohrläppchen, hatte vor drei Jahren seinen Beruf an den Nagel gehängt. Schuld daran war ein seelisches Tief - im Grunde ein abgrundtiefer Abgrund, in den er gestürzt war, nachdem sein bester Freund und Kollege bei einem Undercover-Einsatz vor seinen Augen ermordet worden war. Darauffolgende Selbstvorwürfe, Alpträume und Alkoholausschweifungen ließen seine Ehe scheitern. Nach der Scheidung vor knapp zwei Jahren verließ er das gemeinschaftliche Haus, zog in einen Wohnwagen und vagabundierte unstet durchs Land.

Erst Adele, die Tochter seines verstorbenen Freundes, eine zierliche Rechtsanwältin mit langem dunklen Haar, ausdrucksstarken Augen und einem übergroßen Herzen, brachte ihn dazu, sein Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken.

Sie war die Tochter, die er nie hatte. Mit ihrer Hilfe schaffte er es, wieder am Leben teilzuhaben.

Der nunmehr siebenundfünfzig Jährige, der noch immer seinen jugendlichen Charme bewahrt hatte, arbeitete seit über einem Jahr als Privatdetektiv. Durch Adeles Einfluss konnte er sich über mangelnde Aufträge nicht beklagen.

Da sie ihn im Grunde nur mit Zerb anredete, jetzt allerdings seinen vollständigen Namen aussprach, ließ einen komplizierten Fall erahnen.

„Wosn für a Foll?“, brummte der gebürtige Franke äußerst missmutig, dessen Geburtsort Kronach und Wahlheimat Bamberg, genauer Strullendorf war.

Im Gegensatz zu Adele, die aus dem hohen Norden stammte und die hochdeutsche Sprache beibehalten hatte, redete er vorwiegend Dialekt. Ein kurzer Blick auf ihre Kleidung: graues Kostüm, weiße Bluse, hochhackige Schuhe verrieten, dass sie direkt aus der Kanzlei kam. In ihrer Freizeit bevorzugte sie, wie Zerberus auch, bequeme, legere Kleidung.

„Du hast dein Handy ausgeschaltet“, bemerkte sie ohne Vorwurf und fuhr fort. „Tiere. Klarer ausgedrückt: Misshandlung und Tötung von Haustieren.“

Noch während sie redete, trat sie einen Schritt zur Seite.

Zerberus, der gerade im Begriff stand, zu einer weiteren Frage anzusetzen, blieb das Wort im Halse stecken. Vor ihm standen zwei Kinder. Genauer: Ein Bub von schätzungsweise sechs Jahren und ein etwas älteres Mädchen. Er hätte sein verflixtes Telefon einschalten sollen. So saß er den Kindern jetzt vollkommen unvorbereitet gegenüber. Verdutzt und sprachlos, da er zudem das Eintreten der beiden nicht im geringsten mitbekommen hatte, starrte er sie an.

Der Junge mit wuscheligen, in alle Richtungen gehenden blonden Haaren war bekleidet mit Jeans und einem Sweatshirt mit Superman-Motiv sowie dunkler Jeansjacke. Durch eine blau umrandete, runde Brille, deren Farbton mit dem seiner Augen übereinstimmte, sah er Zerberus unverwandt an.

„Warum heißt du denn Zerberus? Was'n das für ein komischer Name? Wohnst du immer in diesen Wohnwagen? Auch wenn Schnee liegt?“, erkundigte sich der Knirps neugierig, ohne auch nur den geringsten Raum für eine mögliche Antwort zu lassen.

„Zu alleröschd hasd des 'Grüß Godd'. Zum anden schdelld me sich selbsd ach öschd amol vo. Also, wie isn dei Noma, Herr Naseweis?“, beanstandete Zerberus den Jungen.

„Ja. Klar doch. Grüß Gott. Felix. Felix Blenger. Und? Warum heißt du Zerberus und warum wohnst du in einem Wohnwagen?“, beharrte der Dreikäsehoch eisern.

Zerberus stöhnte. Er hasste die ständig wiederkehrenden Fragen nach seinem Namen.

„Weil mei Mama dä Meinung wor, des sei a ausgfallne Noma. Ane, den noch kanne weide hod. Zufriedn edzd?“

Ein Schmunzeln konnte er bei seiner deutlich genervt klingenden Erklärung allerdings nicht unterdrücken. Die Beantwortung der Frage nach seiner Behausung ließ er erst einmal unter den Tisch fallen. Der Bub gefiel ihm. Felix Blenger war nicht so leicht zu verunsichern. Er beharrte auf seinem eingeschlagenen Kurs.

 

„Stimmt. Das ist wirklich ein ausgefallener Name. So einen habe ich ja noch nie gehört“, bemerkte Felix mit deutlicher Bewunderung in der Stimme.

„Ein richtiges Deutsch sprechen Sie aber nicht, Herr Müller“, kritisierte das Mädchen.

Dabei zwirbelte sie mit der linken Hand aufgeregt ihr blondes, zu einem dicken Zopf gebundenes Haar. Bisher hatte sie Zerberus nur schweigend beobachtet. Auch sie trug Jeans, darüber einen knallroten Pullover sowie eine Jeansjacke mit aufgesticktem Schmetterling an linker Brustseite. Bevor Zerberus reagieren konnte, trat sie einen Schritt nach vorne. Auf seinen Tisch legte sie vorsichtig einen durchsichtigen, bis oben hin mit Münzen gefüllten Plastikbeutel.

„Ich heiße Elisabeth Blenger und bin die große Schwester von dem da“, erklärte sie mit einem Fingerzeig auf Felix. Schnell setzte sie ein braves 'Grüß Gott' hinzu, bevor sie ihren Platz neben ihrem Bruder wieder einnahm.

Zerberus starrte erst den Beutel, dann das Mädchen verständnislos an. Hilfesuchend wanderte sein Blick zu Adele, die sich allerdings weiterhin lächelnd im Hintergrund hielt. Ihr schien dieses Schauspiel, seine Verwirrtheit im Besonderen sichtlich Spaß zu machen.

„Elisabed Blenger also. Und, wie old bisd edzd du?“

Diese Frage stellte er nur, um etwas Zeit zu gewinnen, und, damit er sein aufsteigendes Unbehagen unter Kontrolle bekam.

„Ich bin schon acht. Man spricht ald aber nicht so aus. Das heißt: Alt. Das wird mit T geschrieben und gesprochen. Nicht mit D“, belehrte sie den großen Mann und setzte mahnend hinzu. „Außerdem fragt man ein Mädchen nicht nach seinem Alter.“

Zerberus holte tief Luft. Das leise Kichern Adeles war ihm nicht entgangen. Sie amüsierte sich allem Anschein nach königlich auf seine Kosten. Die Kleine wird bestimmt Lehrerin, schoss es ihm durch den Kopf. Er räusperte sich.

„Gud. Werds mir merken, Fräulein Neunmalklug. Also, worum seid ihr zwei zu mir kumma und wos um alles in däre schönn Weld soll des?“

Bei seiner Frage zeigte Zerberus mit dem Finger auf den Beutel mit den Münzen, aus dem mittlerweile ein 10-Cent-Stück rollte und klappernd auf der Tischfläche liegen blieb.

„Das haben wir alles gespart“, erklärte Felix voller Stolz. „Das ist gaaaanz viiiiel Geld.“

„Fünfzig Euro sind das. Reicht das? Mehr haben wir nämlich nicht“, setzte Elisabeth jetzt doch etwas unsicher geworden hinzu.

Forschend musterte Zerberus Müller die Kinder. Was kam da nur auf ihn zu? Zu allem Überfluss setzte sich in ihm das Gefühl fest, aus dieser Nummer nicht mehr herauszukommen. Je länger das Gespräch mit den Knirpsen dauerte, umso mehr verbaute er sich eigenhändig jeglichen Fluchtweg.

Gequält sah er zu Adele, die das Ganze mit Sicherheit eingefädelt hatte. Sie lächelte ihm aufmunternd zu, dabei formte sie mit den Lippen lautlos die Worte: Du schaffst das schon.

Er wünschte sich zurück in seinen Traum, an den Strand, das Meer, den Whisky, den er nicht mehr in der Lage war zu genießen, da ihn Adele viel zu früh geweckt hatte.

Er seufzte tief.

„Vielleichd erzähld ihr zwei mir öschd amol, für wos eue Vermögen herhaldn soll.“

„Du redest wirklich komisch“, sagte jetzt auch der Bub.

„Man sagt zu einem Erwachsenen nicht einfach 'du', Felix“, belehrte Elisabeth ihren Bruder mit strengem Unterton.

Oberlehrerin, stöhnte Zerberus innerlich. Die wird Oberlehrerin.

Gebieterisch hob er eine Hand, sodass der Junge, der bereits zu einer Entgegnung ansetzen wollte verstummte.

„Zum allerledzn Mol edzd: Worum seid ihr zwei do?“

„Damit unser Schnee nicht stirbt. Sie sind schließlich Detektiv.“ Die Kleine sah ihn besorgt an.

Zerberus suchte verzweifelt nach einem Zusammenhang zwischen Schnee und der Tatsache, dass er als Detektiv arbeitete. Er fand keinen. Dafür entdeckte er Tränen in den Augen des Mädchens. Zudem hatte er den vagen Eindruck, ihre Stimme hätte bei ihrem letzten Satz gefährlich zu zittern begonnen.

Mädchen-Tränen!

Alles, nur das nicht.

Dagegen war er noch nie angekommen. Weder bei seiner Ex-Frau, noch bei seinen beiden Nichten, noch bei Adele, als sie noch klein und er ihr Wunsch-Onkel war. Dabei fiel ihm auf, dass Adele als erwachsene Frau noch nie geweint hatte. Nicht einmal im vergangenem Jahr, nach der Trennung von ihrem Freund, der ihr schließlich übelst mitgespielt hatte. Nein, sie hatte nicht mehr geweint, seit der Beerdigung ihres Vaters. Nicht in seinem Beisein.

Innerlich rief er sich wieder zur Ordnung. Noch immer verstand er nur Bahnhof. Was um alles in der Welt sollte das Ganze? Warum hatte Adele die Kinder zu ihm gebracht? Hatte sie nicht davon gesprochen, dass Haustiere getötet wurden? Was erwartete Adele überhaupt von ihm?

Mitte Oktober und die Kids redeten von Schnee. Sollte er am Ende schon jetzt verhindern, dass ein Schneemann stirbt … ähm, dahinschmilzt? Bei der Gelegenheit fiel ihm ein, dass sein Zitronenbäumchen noch immer vor dem Wohnwagen stand. Er durfte nicht vergessen, es Adele zum Überwintern mitzugeben.

Da die Kinder als auch Zerberus seit geraumer Zeit in Schweigen verharrten, wobei sie sich gegenseitig musterten, kam Adele endlich zu Hilfe.

„Schnee ist der Name des kleinen Hundes von Felix und Elisabeth. Ein ganz süßer Kerl. Eine Mischung aus Spitz und Pudel. Zerbi, die beiden möchten dich um etwas bitten.“

Zerbi!

Sie sagte Zerbi.

Das hatte sie seit ihrer Kinderzeit nicht mehr getan. Und dann auch nur, wollte sie etwas durchsetzen. Da wäre ihm jetzt Zerberus Müller um einiges lieber gewesen. Mit Zerbi spürte er direkt, wie ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Sie versuchte ihm eindeutig zu etwas zu bewegen, das er kurze Zeit später wieder schwer bereuen würde.

„Schnee. Eue Mischling soll also nichd schderm“, stellte er nüchtern fest, da die Kinder weiterhin nichts sagten. „Wos fehld dem Hund denn? Ich bin ka Dierozd. Und zu an solchn sollded ihr vielleichd gehn.“

„Unser Schnee ist nicht krank. Und richtig heißt das: Tierarzt“, korrigierte Elisabeth erneut die Aussprache von Zerberus.

Da sich seine Stirn unwillig kräuselte, sich seine Geduld deutlich dem Ende zu neigte, griff Adele schnell erklärend ein.

„Die Kinder sind erst vor Kurzem aus Norddeutschland hierher gezogen, Zerb. Meine Tante hat sie mit ihrem Anliegen zu mir verwiesen.“

Daher wehte also der Wind. Zumindest war das schon mal geklärt. Adeles Tante Grete, die in Strullendorf wohnte, hatte die Kinder zu ihr geschickt. Warum sie allerdings mit den beiden zu ihm gekommen war, war ihm immer noch schleierhaft.

„Meine Schwester meint, sie müsse jeden verbessern. Mich verbessert sie auch ständig“, sagte Felix und Elisabeth beeilte sich zu erklären.

„Der Hund von unserem Nachbarn ist vergiftet worden.“

„Und die Katze vom Moritz Nögel … Er wohnt in der Tiergartenstraße. Weißt du, wo das ist? Ist nicht weit von uns weg. Wir wohnen in der Pfarrer-Rickert-Straße, in dem Neubau. Die Katze vo …“

„Die musste eingeschläfert werden“, wurde er von seiner Schwester hastig unterbrochen.

„Dem Moritz Nögel seiner Katze hat jemand die Pfoten abgeschnitten. Eine von einem vorderen Bein und eine von einem hinteren Bein. Der Moritz Nögel hat sie selbst gefunden. Sein Vater hat ges...“

Er wurde erneut unterbrochen.

„Das hättest du jetzt nicht so zu schildern brauchen, Felix. Das ist grausam und eklig“, empörte sich das Mädchen mit weinerlicher Stimme.

Zerberus sah entgeistert zwischen den Kindern hin und her.

Genau!

Genau das hatte er befürchtet!

Der Kleinen liefen Tränen über die Wangen.

Aus seiner Hosentasche zog Zerberus eine Packung Papiertaschentücher. Während er eines davon dem Mädchen reichte, fuhr Felix unbeirrt fort.

„... hat gesagt, es sei ein Wunder, dass Maunz, das ist der Name der Katze, noch so lange gelebt hat. Das war bestimmt nur deshalb, weil sie Moritz nochmal sehen wollte.“

Elisabeth putzte sich - wenig damenhaft - geräuschvoll die Nase. Gab ihrem Bruder allerdings bei seiner letzten Aussage vollkommen recht. Die Katze habe tatsächlich mit dem Sterben noch solange gewartet, bis sie Moritz ein letztes Mal sehen konnte.

Angestrengt betrachtete Zerberus den Beutel mit den Geldstücken. Dabei versuchte er fieberhaft den Klos, der sich in seinem Hals festgesetzt hatte, wieder loszuwerden. Mit einem Male hatte er das Bild eines rosa Sparschweines und eines riesigen Hammers vor Augen. Langsam und bedächtig beförderte er die verirrte Münze wieder zurück in die Tüte.

Die Kinder beobachteten sein Tun ängstlich.

„Ist doch zu wenig, Felix“, schniefte Elisabeth leise. „Er ist schließlich ein ganz berühmter Detektiv.“

„Ne, ist bestimmt nicht zu wenig, Elisa. Für das Geld bekommt man eine ganze Menge Schokolade. Ehrlich.“

Zerberus Müller musste an sich halten, um nicht laut loszulachen. Berühmter Detektiv also. Schokolade aß auch er sehr gerne, noch dazu er erst vor Kurzem mit dem Rauchen aufgehört hatte. Er warf Adele einen schnellen Blick zu. Sie lächelte.

Dann sah er die Kinder ernst an.

„Hmm, ne schlimme Sache. Ne gans schlimme Sache is des, so a Dierquälerei.“

Er machte eine Pause. Dann holte er tief Luft.

„Ich denk amol, es is die Bflichd von an jedn, do dagegen wos zu undernehma. Also gud, ihr zwei, nehmd amol schön brav eue Geld widde. Is eh vill zu vill. Ich übernähm euen Foll und zwor kosdenlos.“

Für einen Moment herrschte Stille. Dann wollte es Elisabeth genau wissen.

„Heißt das, Sie finden diesen bösen Menschen, der die armen Tiere so quält und tötet, Herr Müller?“

„Hat er doch gesagt, Elisa! Stimmts, du schaffst das, weil du Tiere auch so gerne hast? Genau wie wir“, grinste Felix sichtlich erleichtert.

„Jup“, antwortete Zerberus kurz.

Nachdem seine unerwarteten Besucher mit Adele den Wohnwagen verlassen hatten, kam der Schäferhund von Zerberus unter der Bank hervor. Bisher hatte er still und unbemerkt dort gelegen.

Das Tier war ihm vor einigen Jahren an einem Autobahn-Rastplatz zugelaufen. Laut Tierheim, zu dem er den Hund seinerzeit gebracht hatte, passiere so etwas sehr häufig.

„Sind meist Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke, die wenig durchdacht waren. So ein Tier ist nun mal kein Spielzeug, das man einfach wegsperren kann, ist man seiner überdrüssig. Mit der Pflege und der Verantwortung sind viele ganz schnell überfordert. Vor allem, schenken Eltern ihrem verwöhnten Nachwuchs voreilig einen Hund oder eine Katze, nur, weil sie nicht Nein sagen können. Tja, und dann werden die armen Viecher eben irgendwo ausgesetzt. Rastplätze sind für so etwas sehr beliebt. Man setzt sich ins Auto und fährt ohne lästig gewordenes Haustier weiter“, erklärte die Dame resigniert und überaus langatmig, der Zerberus seinen Findling übergeben hatte.

Damals hatte er ungläubig mit dem Kopf geschüttelt, während er noch einmal in die großen Hundeaugen gesehen hatte. Danach wollte er so schnell wie möglich weg. Zumindest war dies seine Absicht gewesen. Aus einem unerklärlichen Grund hatte er allerdings nur ganz langsam einen Fuß vor dem anderen setzen können. Dabei schoss ihm doch tatsächlich dieser aberwitzige Gedanke durch den Kopf:

Würde er jetzt 'Hund' rufen und das Tier würde kommen und sich neben ihm auf den Boden legen, würde er den Schäferhund mit nach Hause nehmen.

Heute konnte er sich dies alles nicht erklären. Allerdings hatte er beschlossen, nie mehr einen Satz mit so vielen Wörtern 'würde' zu denken. Der Schäferhund zumindest hatte seinen Namen und wich Zerberus seither nicht mehr von der Seite.

Noch immer saß er wie vom Donner gerührt am Tisch. Auf was hatte er sich da nur eingelassen. Von zwei Knirpsen ließ er sich doch tatsächlich einen Fall andrehen, der keineswegs lukrativ war. Allerdings schien Adele richtig stolz auf ihn zu sein. Auch ohne sein Zutun hatte sie seinen Zitronenbaum zur Winter-Pflege mitgenommen.

Hund legte seinen Kopf auf die Knie von Zerberus. Aufmerksam sah er ihn an. Zerberus Müller lächelte. Ihm war vollkommen klar, dass das gescheite Tier auf jedes Wort und jede Bewegung der Kinder geachtet hatte. Er erwiderte seinen Blick. Es schien, als ob Hund sagen wollte:

Brav gemacht, Zerb. Den Kindern muss jemand helfen. Und du bist der Beste für solch schwierigen Job. Denk dran, Alter, ich könnte schließlich auch Opfer eines solchen Unmenschen sein.

 

Zerberus kraulte Hund nachdenklich hinter den Ohren.

„Die Kids äwaddn a nuch, dass ich den Kell find“, seufzte er laut. „Brauchsd nix soung, Hund. Zeid für an Sbaziergong, demid wir widde klor dengn könna.“

Traditionsgemäß schmierte Zerberus erst noch ein paar Leberwurstbrote. Den größten Teil davon verdrückte Hund. Man sollte schließlich nie mit leerem Magen aus dem Haus bzw. Wohnwagen, so ihrer beider Devise. Schließlich wusste man nie, was unterwegs so alles passierte. Nachdenklich sah Zerberus seinen getreuen Gefährten an.

„Ich souch dir ans. Frissd du irgendwos underwegs, des dir nix ongehd, zieh ich dir dei Fell über die Ohn, verschdandn?“, drohte er, während er in seine Jacke schlüpfte und die Leine vom Hacken neben der Tür nahm. Auf den Stufen des Wohnwagens zog er seine Turnschuhe an.

Sein gewähltes Zuhause, sein Wohnwagen, stand am Waldrand, am Möstenbach in der Nähe des Aussiedlerhofes von Franz Graupner, dem das gesamte Grundstück auch gehörte. Franz war ein gutmütiger Mann Mitte siebzig. Mit seiner Frau Kunigunde lebte er schon seit Jahren auf dem Hof und züchtete Schweine. Als Zerberus vor etwas über einem Jahr mit seiner Behausung auf dessen Grundstück rollte, beobachtete das Ehepaar sein Tun äußerst misstrauisch. Er hingegen hatte ein absolut gebannt auf die riesige Uhr gesehen, die am Hauptgebäude schon von Weitem sichtbar prangte.

Sein Anliegen, mit seinem Wohnwagen am Waldrand stehen zu dürfen und Miete dafür zu bezahlen, und zwar den Mietpreis einer kompletten Wohnung, musste erst einmal im erstaunten Familienrat bestehend aus zwei Personen besprochen werden.

„Wos is mid Wasse und Schdroom? Des brauchd dei Woung schließlich ach“, hatte Franz danach zweifelnd geäußert.

Auf Zerberus Antwort hin, er würde sich die Anschlüsse alle selber legen, für die Kosten selbstverständlich aufkommen und dann, anständig zum Mietpreis seinen Verbrauch zahlen, ließ Franz Graupner erst in grüblerisches Nachdenken verfallen. In dessen Verlauf nahm er seine Kappe ab, die er Winter wie Sommer zu tragen pflegte. Nachdem er sich ausgiebig am Kopf gekratzt hatte, platzierte er das gute Stück wieder auf seinen ergrauten Haaren. Bevor der Deal mit einem kräftigen Handschlag besiegelt wurde, meinte er, es würde reichen, käme Zerberus für Strom, Wasser und die anfallenden Baukosten auf.

Als Zerberus sich mit dem Aufbau seines großen Vorzeltes abmühte, kam ihm Franz selbstredend zur Hilfe. Die schlichte Gemütlichkeit des Wohnwagens sowie das Vorhandenseins einer separaten Dusche und eines WC's beeindruckten das Ehepaar schwer.

Zerberus gewann nach kurzer Zeit die Herzen der beiden für sich. Von Kunigunde wurde er öfter mal zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Nebenbei bemerkt war Kuni eine exzellente Bäckerin. Das Interesse ihres neuerworbenen Freundes hinsichtlich ihrer Backkunst irritierte und erfreute sie im gleichen Maße. Der Umstand, ihr Wissen an Zerberus weitergeben zu können, ließ die alte Dame regelrecht aufblühen.

Mit Hund schlug er nun den Weg am Waldrand entlang Richtung Hirschaid ein. Der Schäferhund rannte vor, schnüffelte hier und da, kam wieder zurück und lief erneut voraus. Kurz vor Erreichen der BA25, einer Verbindungsstraße zwischen Amlingstadt und Hirschaid, kam ihnen ein Radfahrer entgegen. Hund hatte sich bereits ohne Kommando am Wegrand hingelegt. Der Pedalritter machte trotzdem einen großen Bogen um ihn. Zerberus konnte sich lebhaft vorstellen, was sein Freund gerade dachte.

Dass manche Leute so ängstlich sein müssen. Ich tue doch keinem etwas. Bin der gutmütigste Hund, den es überhaupt gibt.

Vor Zerberus stieg der Fremde von seinem Vehikel.

„Sie solldn Ihrn Hund nichd einfoch so frei laafn lossn. Ve ane Schdund ungfäh hod die Bolizei hier Gifdköde eingsammld.“

Sprach's, stieg wieder auf sein Rad und trat kräftig in die Pedale. Zerberus sah ihm perplex hinterher. Eigentlich hatte er mehr mit Klagen gerechnet, von wegen, dass Hunde ständig frei herumlaufen würden und Radfahrer um ihr Leben fürchten müssten.

Hund kam zu ihm. Auch er schaute dem Radfahrer nach.

„He, dass dä an Bogn um dich gemachd hod, wor nichd bös gmaand. Däd ich schließlich ach, würd ich dich nichd kenna.“

Der Schäferhund gab zur Bestätigung ein kurzes Kläffen von sich. Dann trottete er brav neben seinem Freund her. Erst nachdem sie die Flurbereinigung Richtung Heimat erreicht hatten, wiederholte Hund sein Spiel mit Voraus-Rennen und wieder Zurückkommen.

Zerberus war mit seinen Gedanken noch immer bei den Kindern. Sie beschäftigten ihn mehr, als er sich selbst eingestehen wollte.

Der Gerätewart Renninger vom Reitstall Ranch der Familie Ludwig und Rosa Beumgarten war um diese Zeit stets am Tor der Anlage anzutreffen. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, Hund ein Leckerli zuzustecken, das dieser jetzt auch unverfroren einforderte.

„Renninger, dä wäd me nuch zu digg, wennsd na weide so füddesd“, lachte Zerberus gutmütig.

Renninger winkte ab. „Der wird nicht zu dick. Mit der Bewegung, die Hund hat, brauchst keine Angst zu haben.“

Der Gerätewart der Ranch war bereits seit ein paar Jahren in Rente. Allerdings brauchte der gebürtige Oberpfälzer, der mit Pferden groß geworden war, ständig etwas zu tun. Aus diesem Grunde arbeitete er ehrenamtlich auf dem Reiterhof. Zerberus wusste nicht einmal den Vornamen des Mannes, der stets mit Latzhose und kariertem Hemd bekleidet war. Renninger konnte nicht nur jeden Dialekt verstehen und zuordnen, er hatte zudem die Gabe, jede Mundart exakt zu imitieren, ohne jedoch selbst irgendeine regionale Sprachvariante anzunehmen.

„Zerb, pass auf, dass Hund nichts Vergiftetes erwischt. Gestern hat der Labrador eines Freundes von mir deshalb das Zeitliche gesegnet. Oder, um es mit den Worten einer Bekannten auszudrücken: Er ging über die Regenbogenbrücke.“

Eine Vorstellung, wer das gewesen sein könnte bzw. wer es überhaupt war, der Tiere umbringt und quält, hatte Renninger allerdings nicht parat. Sie plauderten noch ein bisschen über dies und das, dann hatte es Zerberus plötzlich eilig, dem einfiel, dass sein Kaffee heute Morgen zur Neige gegangen war und er noch dringend einen besorgen musste.

Im Eilschritt stürmte er am Mäder (Herstellung Industrielacke) vorbei und bog dann links in die Martin-Luther-Straße. Hund befand sich zu diesem Zeitpunkt an seiner linken Seite. In der Höhe von Peter's Imbiss steuerte der Schäferhund nach rechts, während Zerberus den Supermarkt im Visier hatte. Das Resultat: Zerberus stolperte über Hund, schien in Zeitlupe das Gleichgewicht zu verlieren, strauchelte endgültig und riss im Fallen seinen Freund mit sich, der laut und klagend aufjaulte. Der Schäferhund richtete sich schnell wieder auf und suchte Schutz bei Peter, während Zerberus für einen Moment in voller Länge auf der Straße liegen blieb. Fluchend rappelte er sich auf.

Am Imbiss begann plötzlich jemand, in die Hände zu klatschen und Zugabe zu rufen. Die restlichen fünf dabeistehenden Personen fielen lachend mit ein.

„War echt filmreif!“, rief Peter leutselig, dabei tätschelte er Hund.

„Danke, hod ach ka bissla weh gedo“, brummte Zerberus Müller zynisch und humpelte zum Imbiss-Stand.

„No, Sie haadschn fei scho gscheid doher. Solldns vielleichd doch zum Dogdä“, kommentierte eine Frau mittleren Alters.

Zerberus winkte griesgrämig ab.

„Hast gehört, deinen Hund habe ich schon versorgt“, grinste Peter Ingwer, ein gebürtiger Thüringer in Zerberus Alter, der fast jeden seiner Sätze mit 'Hast gehört' begann. Auf seine Thüringer Bratwürste war Hund absolut heiß.

„Wie immer, Zerb?“, erkundigte sich der schlanke Mann mit den im Nacken zu einem Zopf gebundenen, bereits ergrauten Haaren.

Noch während Zerberus antwortete, „A Brödla mid zwa Broudwöschd“, wurde ihm das Verlangte bereits von Peter Ingwer, samt einer Tasse heißen Kaffees über den Tresen gereicht.

Nachdem Zerberus herzhaft abgebissen und einen kräftigen Schluck aus seiner Tasse genommen hatte, sah er Hund etwas versöhnlicher an.