Es war ein reiches Leben

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BEATE & ARTHUR ERNEST WILDER-SMITH

ES WAR EIN REICHES LEBEN

DIE LEBENSGESCHICHTE VON

BEATE & ARTHUR ERNEST WILDER-SMITH



Impressum

© 1. Auflage 08/2020 der deutschen eBook-Auflage 2020 by Daniel-Verlag

Daniel-Verlag, Gewerbegebiet 7, 17279 Lychen

Bestell-Nr.: 304636

Cover: Eduardo Souza,snilleblixtar.se

Titelbild: privat

Bilder im Innenteil: privat

Satz: Daniel-Verlag, Lychen

eBook-Erstellung: Alexander Rempel, www.ceBooks.de

ISBN © Copyright der Originalausgabe 1998 by Beate Wilder-Smith

Published by The Word For Today Publishers, Costa Mesa, California 92628

Originaltitel: Fulfilled Journey – The Wilder-Smith-Memoirs

© Copyright der deutschen Ausgabe 2000 by Hänssler Verlag, D-71087 Holzgerlingen

ISBN 978-3-95893-270-8 (eBook)

ISBN 978-3-945515-36-5 (Buch)

Verlags-Seite und Shop: www.daniel-verlag.de

Kontakt: info@daniel-verlag.de

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Inhalt

Impressum

Vorwort

Einführung

Widmung

Teil I ARTHUR ERNEST WILDER-SMITH

Kapitel I FRÜHE ERINNERUNGEN

Kapitel II DIE EVOLUTION DER LANDWIRTSCHAFT

Kapitel III ANSCHAUUNGSUNTERRICHT

Kapitel IV INTERNAT

Kapitel V ATHEISTISCHE AUSSAAT

Kapitel VI DER ERNST DES LEBENS BEGINNT

Kapitel VII AUF UND AB IN MEINER AUSBILDUNG

Kapitel VIII ÜBERWINDUNG MEINER ATHEISTISCHEN AUSBILDUNG IN SCHULE UND UNIVERSITÄT

Kapitel IX FREIMAUREREI UND CHRISTENTUM

Kapitel X DER ZWEITE WELTKRIEG: DAS VERHÄLTNIS DES CHRISTEN ZUM STAAT

Kapitel XI ENGLAND NACH DER INVASION EUROPAS 1944

Kapitel XII DIE AUSWANDERUNG AUS ENGLAND

Teil II BEATE WILDER-SMITH (GEB. GOTTWALDT)

Kapitel I FAMILIE

Kapitel II AUSBILDUNG

Kapitel III AUFSTIEG DER NAZIS

Kapitel IV DIE FLUCHT

Kapitel V GROSSMUTTER ELSE URBAN

Kapitel VI AUFBAU DER ZERBOMBTEN NORD-OST-GEMEINDE

Teil III GEMEINSAMES LEBEN

Kapitel I UNSERE HOCHZEIT

Kapitel II DER MISSLUNGENE STREICH

Kapitel III ZUKUNFTSPLÄNE

Kapitel IV ARBEIT UNTER DEN STUDENTEN

Kapitel V EINLADUNG IN EINE STRAFANSTALT

Kapitel VI MEINE ERSTEN ZWEI BÜCHER ÜBER DIE ENTSTEHUNG DES LEBENS

Kapitel VII EIN BEISPIEL ÜBER DEN URSPRUNG VON CODES UND SPRACHEN

Kapitel VIII LITERATUR ZU VERSCHIEDENEN THEMEN

Kapitel IX FILME ALS MEDIUM ZUR VERBREITUNG DES EVANGELIUMS

Kapitel X VORTRÄGE AN HOLLÄNDISCHEN UNIVERSITÄTEN

Kapitel XI WEIT ENTFERNTE DIENSTE

Kapitel XII DIE UNHALTBARKEIT VON FOX‘ UND MILLERS EXPERIMENTEN

Kapitel XIII UNSER ERSTER WOHNSITZ

Kapitel XIV PRIVATDOZENT IN GENF

Kapitel XV DIE FAMILIE WIRD GRÖSSER

Kapitel XVI PETRAS GEBURT

Kapitel XVII WIEDER ZURÜCK IN DIE SCHWEIZ

Kapitel XVIII ZWEI WEITERE DOKTORHÜTE

Kapitel XIX EINE FRACHTERREISE IN DEN NORDEN

Kapitel XX VON NORWEGEN NACH SPITZBERGEN (SVALBARD)

Kapitel XXI EIN MISSVERSTÄNDNIS MIT POLITISCHEN KONSEQUENZEN

Kapitel XXII DER HEIMGANG MEINER SCHWIEGERMUTTER

Kapitel XXIII DIE REISE NACH BERGEN

Kapitel XXIV DAS „BEDEHUS“

Kapitel XXV EINLEBEN IN NORWEGEN

Kapitel XXVI CLIVES GEBURT

Kapitel XVII DER BESUCH BEIM KÖNIG

Kapitel XXVIII EINE VOLLE PROFESSUR AN DER UNIVERSITÄT VON ILLINOIS

Kapitel XXIX DIE AUTOREISE NACH CHICAGO

Kapitel XXX DER GEISTESBLITZ

Kapitel XXXI DIE FAMILIE

Kapitel XXXII EIN NEUES ANGEBOT

Kapitel XXXIII DIE STAATSUNABHÄNGIGE THEOLOGISCHE HOCHSCHULE (STH) IN BASEL

TEIL IV DIE SPÄTEREN JAHRE

Kapitel I DIE REISE IN DIE TÜRKEI

Kapitel II EINE WOHNUNG IN ANKARA

Kapitel III DAS TÜRKISCHE MILITÄR

Kapitel IV DIE WIEGE FRÜHERER ZIVILISATION

Kapitel V FOSSILIENABLAGERUNGEN IN KIZILCAHAMAM

Kapitel VI „ÄRGERHEPATITIS“ UND UNANNEHMLICHKEITEN

Kapitel VII DAS PEACE CORPS

Kapitel VIII VERBRENNEN VON AUTOS

Kapitel IX BESCHAFFUNG VON DROGEN UND CHEMIKALIEN

Kapitel X NEUE ERFAHRUNGEN IM UMGANG MIT MENSCHEN

 

Kapitel XI KATASTROPHENHILFE

Kapitel XII INTERNATIONALE VERWENDUNG VON A.I.D.-FONDS

Kapitel XIII DAS GESETZ IN DER TÜRKEI

Kapitel XIV UNSERE AUTOSCHILDER

Kapitel XV WIE ICH DROGENBERATER WURDE

Kapitel XVI MILITÄRISCHE UND DIPLOMATISCHE PRIVILEGIEN

Kapitel XVII ALLAHS GÄSTE

Kapitel XVIII FATMA

Kapitel XIX DER „KAPICI“

Kapitel XX SCHULUNG UNSERER KINDER IN DER TÜRKEI

Kapitel XXI DIE INTERNATIONALE VEREINIGUNG CHRISTLICHER GESCHÄFTSLEUTE (IVCG)

Kapitel XXII DIE GRÜNDUNG VON „PRO UNIVERSITATE“

Kapitel XXV THE MYSTERY DEBATER: EINE DEBATTE AN DER M.I.T. (MASSACHUSETTS INSTITUTE OF TECHNOLOGY)

Kapitel XXIV ÖFFENTLICHE VORTRÄGE UND REDEN IN KIRCHEN

Kapitel XXV HOBBYS

Kapitel XXVI DER 70. GEBURTSTAG VON PROFESSOR WILDER-SMITH

Kapitel XXVII DIE VORLESUNG ZUM HUXLEY MEMORIAL 1986

Kapitel XXVIII DER 75. GEBURTSTAG

Kapitel XXIX DIE OPERATION

Kapitel XXX DIE HOCHZEIT UNSERER TOCHTER

Kapitel XXXI VORTRÄGE IN OSTDEUTSCHLAND NACH DEM FALL DER MAUER

Kapitel XXXII BEATES 65. GEBURTSTAG

Kapitel XXXIII DIE ZWEITE OPERATION UND HEIMGANG

LEBENSLAUF VON ARTHUR ERNEST WILDER-SMITH

Im Daniel-Verlag erschienen:

Vorwort

Prof Dr. Dr. Dr. Arthur E. Wilder-Smith gab durch seine Vorträge und Schriften vielen Christen und auch Nichtchristen in ihrer geistigen und geistlichen Entwicklung entscheidende Anstöße. Als echter Pionier trat er der übermächtig erscheinenden Evolutionslehre unerschrocken entgegen. Dabei schloss er bei seiner Kritik die gerade unter Christen weitverbreitete theistische Evolutionslehre mit ein.

Unter seinen über 80 Veröffentlichungen zu Glaubensfragen hat in besonderer Weise sein 1966 erschienenes Standardwerk Herkunft und Zukunft des Menschen bei vielen Zweiflern intellektuelle Glaubenshindernisse beseitigt und die Augen für die Einzigartigkeit des Wortes Gottes geöffnet.

Auch seine fachwissenschaftliche Forschungsarbeit, die er in der Industrie durchführte, trug reiche Früchte in einer großen Zahl von Veröffentlichungen und in vielen Patenten.

Ganz besonders galt sein Einsatz der jüngeren Generation. Vielen deutschen Kriegsgefangenen konnte er in England mit dem Wort Gottes Trost spenden und ihnen den Weg aus der Hoffnungslosigkeit zu dem lebendigen Jesus Christus zeigen.

In den alliierten Streitkräften half er im Rahmen eines Spezialauftrags zur Drogenbekämpfung Tausenden von Soldaten, von der Drogenabhängigkeit loszukommen. Oft hatte er, dem der Rang eines Generals verliehen worden war, die jungen Leute auch persönlich weitergeführt.

Nicht nur im militärischen Bereich gelang es Wilder-Smith, die Herzen der Jugend zu gewinnen. Seine Liebe zu jungen Menschen zeigte sich in besonderer Weise bei seiner Lehrtätigkeit an der Universität. So stellten zum Beispiel seine Pharmakologiestudenten an der Universität von Illinois bei der Verleihung einer akademischen Auszeichnung fest:

„Er macht uns nicht nur zu besseren Wissenschaftlern, sondern auch zu besseren Menschen.“

Ein unvergessliches Erlebnis war es, Wilder-Smith bei seinen Vorträgen über grundlegende Fragen der Auseinandersetzung zwischen der Evolutionslehre und dem biblischen Schöpfungsbericht zu hören. Seine überragende Persönlichkeit, sein umfassendes Wissen und sein besonderes Talent, packend vorzutragen, zogen viele Hörer an. So war zum Beispiel bei seinen Vorträgen an der Kölner Universität der größte Hörsaal des Hochhauses so stark besucht, dass sogar der blanke Boden des Podiums bis zur unmittelbaren Berührung mit dem Rednerpult Kopf an Kopf besetzt war. Auch die Fensternischen wurden in akrobatischen Kletterkünsten erklommen. Sein ganz außerordentliches Geschick beim Umgang mit der studentischen Jugend wurde besonders dann deutlich, wenn er auf die verschiedenen Fragen seiner Zuhörer einging. Wilder-Smith verlor auch zu später Stunde nach einem anstrengenden Vortrag nicht die Geduld, wenn übermütige Heißsporne in arroganter Weise den sachlichen Bereich zu verlassen drohten. Seine Antworten waren von echtem Feingefühl und durch fördernde Überlegenheit geprägt, die auch von gereizten Fanatikern ohne Gesichtsverlust anerkannt wurde und es nicht gestattete, das durch den Redner geprägte Klima zu zerstören.

Auch in den von ihm begründeten Seminaren „Pro Universitate“ gab Wilder-Smith Akademikern und Studenten wichtige Hilfen für Studium und Beruf. Er schöpfte dabei aus einem reichen Fundus an Wissen und Erfahrung, den er bei der Forschung an den Universitäten Genf, Chicago, Bergen und Ankara aufbauen konnte.

Im Gedenken an Wilder-Smith danken zahllose Christen ihrem Herrn dafür, dass Er uns diesen furchtlosen Bekenner geschenkt hat, der vielen geholfen hat, als Wissenschaft ausgegebenen Ballast abzuwerfen und den Zugang zu dem lebendigen Wort Gottes zu finden.

Der Herr möge es schenken, dass der mächtige Zeuge Wilder-Smith durch das vorliegende Werk auch nach seinem Heimgang noch viele erreicht und den Schöpfer des Himmels und der Erde verherrlicht.

Professor Dr. Dr Theodor Ellinger, Köln

Einführung

Mein Mann und ich begannen 1991, die Memoiren zu schreiben – einige Zeit nach der ersten Kopfoperation meines Mannes. Im März 1991 fand seine Operation statt. Einige Monate später griff er erneut zur Feder, und zwar während der Genesungszeit, als er noch nicht reisen und Vorträge halten konnte. Infolge der Komplikationen nach der zweiten Hirnoperation, die dann zu seinem Tode führten, beendete ich das Buch.

Um eine einheitliche Struktur und Weiterführung zu erlangen, sind die meisten Teile der Memoiren in der „Ich-Form“ niedergeschrieben – aus der Perspektive meines Mannes –, obgleich teilweise von mir erzählt. Ich bitte, der verehrte Leser möge mir diese Freiheit verzeihen. Selbstverständlich ist der letztere Teil aus meiner Sicht weitergegeben.

Meist reisten und arbeiteten wir beide zusammen, besonders als unsere vier Kinder erwachsen waren. So hatte ich das große Vorrecht, an seinem Denken und Arbeiten eng teilzunehmen. Wenn ich nach all den gemeinsamen Jahren durch sein Tagebuch blättere, kann ich über die Vielfalt und Menge seiner Tätigkeiten, die er in aller Stille durchführte, nur staunen.

Zum schnellen Überblick seiner Tätigkeit möchte ich nur einige Fakten erwähnen. Neben all seiner ausgedehnten literarischen Arbeit und natürlich seinem Beruf als Universitätsprofessor, reiste und lehrte er überall in der Welt: Vortragsreisen in den USA, Neuseeland, Australien und unzählbare Vorträge in Europa. Im Laufe dieser Reisen sprach er – nur die letzten 20 Jahre gerechnet – in mehr als 1000 öffentlichen Auditorien und Kirchen und hielt 370 Vorlesungen und Debatten an Universitäten. Außerdem hielt er regelmäßig Vorträge vor Geschäftsleuten und sprach in Fernseh- und Radioprogrammen.

Anfang 1970 wurde mein Mann Berater für Drogenmissbrauch bei der NATO, womit häufiges Reisen, Beraten und Dozieren zu Tausenden von Soldaten und Offizieren in den gesamten NATO-Ländern verbunden war.

Der Grund, warum wir unsere Memoiren veröffentlichen, ist, zu zeigen,

1. auf welche Weise Gott uns für unser Leben und Seine speziellen Aufgaben erzog und formte;

2. wie wunderbar und treu Gott in guten und schweren Zeiten uns führte und für uns sorgte.

Mögen durch diese Aufzeichnungen viele Menschen gesegnet und dazu ermutigt werden, ihr Leben Gott vertrauensvoll auszuliefern. Wir wünschen ihnen die gleichen Erfahrungen, die wir erlebten; nämlich dass Gott uns nicht immer Leid und Schwierigkeiten erspart, sondern inmitten derselben uns liebend beisteht und nahe ist. Diese Gewissheit schenkt Friede, Freude und Zuversicht.

Beate Wilder-Smith

Unseren Kindern Oliver, Petra, Clive und Einar, die alle Freuden und Prüfungen des Lebens mit uns teilten, gewidmet.

Teil I ARTHUR ERNEST WILDER-SMITH

Kapitel I
FRÜHE ERINNERUNGEN

1. Jugendzeit

Die Erinnerungen der frühesten Kindheit kommen einem im späteren Leben wie Träume vor. Aber Träume werden im Allgemeinen relativ schnell vergessen. Hingegen, die ersten Eindrücke des Lebens haben die Tendenz, für immer zu bleiben. So ist es auch, wenn ich an meine frühe Kindheit denke. Ich hatte das große Privileg, drei ältere Schwestern zu haben. Besonders meine älteste Schwester nahm sich meiner an, fuhr mich im Kinderwagen spazieren – und, wie ich meinte, bevormundete mich.

Eines Tages fuhr sie mich im Kinderwagen spazieren. Wir trafen eine Anzahl älterer Damen, die mich gern „inspizieren“ wollten. Sie hoben die Fransen des Kinderwagens hoch – er hatte eine Art befransten Sonnenschirm als Dach, um das Baby vor den Blicken der Neugierigen (nicht nur vor der Sonne) zu schützen. Die Damen zogen Grimassen erschreckendster Art, um mich zum Lächeln zu bringen. Offenbar waren ihre Grimassen so furchterregend, dass ich einen Schock bekam und laut schrie. Darauf ließ meine Schwester die Fransen des Schirmes herunter, um mich vor diesem lähmenden Anblick zu schützen.

Viel später musste meine älteste Schwester mich wieder einmal spazieren fahren. Es war Sommer und heiß. Mutter hatte mich schön weiß angezogen. Meine Schwester bekam von Mutter den striktesten Befehl, mich nicht schmutzig werden zu lassen, weil wir nach dem Spaziergang Gäste erwarteten. Damals gab es keine Waschmaschinen, dafür stellte man zwei Dienstmädchen an, um die Wäsche zu kochen und per Hand zu waschen. Meine Schwester war lieb, aber sie behandelte uns Jungen – mein Bruder war 16 Monate jünger als ich – wie Säuglinge, wie wir meinten. So hegten wir oft einen geheimen Groll gegen diesen „Psychoterror“. Hier bot sich offenbar die große Gelegenheit des Jahres, sich an unserer Schwester zu rächen. Nach einigen hundert Metern gelangten wir auf der Landstraße zu einer Stelle, wo frische, dampfende Pferdeäpfel lagen. Damals musste man nicht gegen den Gestank von Autoabgasen, sondern gegen den lieblichen Geruch von Pferdeäpfeln kämpfen! Kurz entschlossen – ich war vielleicht zweieinhalb Jahre alt – ging ich auf den dampfenden Haufen zu und wälzte mich ausgiebig in der weichen braunen Masse. Der Spaziergang wurde eiligst unterbrochen. Verzweifelt versuchte meine Schwester, das Schlimmste auszubürsten. Leider vergeblich; denn ich sah nachher schlimmer aus als vorher. Alle Vorbeigehenden bewunderten auf dem Rückweg meinen neuen, braun-gesprenkelten Anzug – er war früher ein weißer Matrosenanzug gewesen und hatte jetzt seine politische Farbe etwas geändert. Mutter war entrüstet, als sie diese Veränderung an meinem schönen Sonntagsanzug gewahrte.

Wie vorauszusehen war, schimpfte sie meine arme Schwester heftig aus, was ganz im Sinne ihres bösen Sohnes war, obwohl Mutter das nicht wusste. Unsere drei älteren Schwestern hielten fest gegen die zwei jüngeren Brüder zusammen: ein Kriegszustand, der leider lange dauerte.

 

Eltern ahnen oft gar nicht, wie bewusst kleine Kinder von frühester Jugend an die restliche Familie um den kleinen Finger wickeln. Menschen sind von Kleinkind an „Intriganten“! Die Aufgabe der Eltern – die schwere Aufgabe der Eltern – ist es, diesen Hang den Kindern früh auszutreiben. Meine Eltern versuchten, das zu tun – obwohl meine Schwestern bis zum heutigen Tag fest behaupten, dass dieses gute Ziel bei den beiden Jungen fehlschlug.

Als ich vor einigen Monaten in London war, sprach ich telefonisch mit meiner zweiten Schwester, die schon einige Jahre Witwe ist. Sie war unerschütterlich der alten Meinung, dass wir Jungen von Anfang an unverbesserlich waren und dass unsere Eltern strenger hätten vorgehen müssen! Nur mit den Töchtern seien sie zu streng gewesen! Ein Familienlied, das vielen Familien sicher bekannt ist!

2. Auf dem Gut

Ich wurde am 22.12.1915 in Reading, Berkshire, England geboren. Mein Vater stammte aus einer alten Familie von Gutsbesitzern. Seit der dänischen Invasion (genauer gesagt Invasionen) Ostenglands bebauten seine Vorfahren das fruchtbare Flachland im Südosten des Landes und breiteten sich nach dem Westen aus, wo die keltischen Urbewohner des Landes ansässig waren. Der Menschentyp im Osten des Landes trägt immer noch den dänischen Phänotyp, obwohl schon viel Vermischung stattgefunden hat. Biologisch gesehen, waren sie meist langlebig (soweit sie ihre ständigen Kriege vermieden), blauäugig und groß von Wuchs. Oft waren sie rotblonde Menschen. Mein Vater trug einen kleinen rotblonden Schnurrbart, wozu meine geduldige Mutter oft bemerken musste, dass die rötliche Farbe durch seine oft hitzigen Worte, die über seine Lippen schlüpften, zustande kam. Vater konnte aber auch sehr lieb sein.

Er versorgte in der ganzen Gegend – aber strikt heimlich –arme Leute, besonders Witwen und Waisen. Er ging oft wortkarg auf seine Runden durch die Nachbarschaft und brachte alten, alleinstehenden Männern und Frauen ein Hühnchen, gutes Gemüse oder sonst etwas, was es auf dem großen Gut gab: Eier, Butter, Milch usw. Besonders während des Krieges wurde seine diskrete Tätigkeit von vielen hoch geschätzt.

Auf dem religiösen Gebiet war Vater ein ausgesprochener Feind der anglikanischen Staatskirche – und das nicht ohne Grund. Wie wir später sehen werden, opponierte er gegen die Tätigkeit der Kirche beim Einziehen des damals sehr ungerechten Zehnten. Aber innerlich war er durchaus ein religiöser Mensch, denn er war Freimaurer und stieg bis zur 32. „Royal Arch“-Würde (königliche Arche) hinauf. Sein Gedächtnis war so phänomenal, dass ihm die Aufgabe zugesprochen wurde, Könige und hohe Glieder der königlichen Familie auf Wortgenauigkeit im Ritus der Loge zu prüfen. Er war der Überzeugung, dass der Glaube an Christus eine Angelegenheit für Frauen und Kinder sei. Er besäße in seiner Loge die eigentliche Religion für Männer. Vater war sehr, sehr enttäuscht, dass ich nicht seinem freimaurerischen Vorbild folgte. Ich prüfte als junger Mann genauestens die Doktrinen der Freimaurer und lehnte sie später als unchristlich ab. Um zu diesem Schluss zu kommen, musste ich seine Riten und Praktiken in der Loge untersuchen, was oft Spannungen zu Hause mit sich brachte. Aber mehr von diesen Angelegenheiten später.

Meine Mutter, die diplomierte Lehrerin war, stammte aus einer Ingenieursfamilie. Mein Großvater mütterlicherseits gründete eine Eisengießerei, die immer noch im Besitz der Familie ist. Er entwarf und entwickelte Maschinen aller Art, besonders landwirtschaftliche Maschinen, die die Farmer in unserer Gegend kauften.

3. Die Farmer und Ingenieure

Durch die Tätigkeit auf dem Gut väterlicherseits und in der Eisengießerei mütterlicherseits pflegten die beiden Familien von frühester Jugend an Kontakt. Durch die Tätigkeit beider Familien als Gutsbesitzer und Ingenieure verkehrten die jungen Glieder beider Familien miteinander. Mutters Bruder, Percy, der neben seinem Beruf als Ingenieur ein guter Musiker war, heiratete Vaters jüngere Schwester Millie. Sie wohnten nicht weit von uns und hatten zwei Kinder, die mit uns zur Schule und später ins Internat gingen.

Vater lernte Mutter als Schulkind kennen – und wie man behauptet, brachte er ihr schon als Kind die schönsten Äpfel, die er aus dem Obstgarten holen konnte.

Mutter interessierte sich für die Wissenschaft und wurde Lehrerin. Sie heiratete deshalb später, wie es in England unter Akademikern oft der Fall ist. Als sie heirateten, war sie 27 Jahre alt und mein Vater etwas älter. Mutters Familie war an Wuchs klein und dunkel, aber auch blauäugig – wie Vaters Familie. Mutters Familie stammte eher von keltischen Vorfahren ab. Vater von Angelsachsen. In den Grafschaften Berkshire, Oxfordshire, Gloucestershire und Hampshire findet man beide Menschentypen vor, heutzutage sehr oft vermischt.

Mein Vater kaufte seine Maschinen, Traktoren, Dreschmaschinen, große Dampfpflüge etc. von der Firma Walter Wilder & Co., also von der Familienfirma meiner Mutter. Die Firma Walter Wilder kaufte Land, damit sie Platz und Gelegenheit hatte, die neuen Maschinen, die sie entwickelte, auszutesten. So bestand ein enger Kontakt zwischen den beiden Familien.

Wenn Vater eine neuartige Dreschmaschine für Klee brauchte (Vater hatte einen Vertrag mit einer Firma, um neue reinrassige Kleearten für die damaligen Kolonien – Neuseeland, Australien etc. – zu züchten), suchte er sie natürlich bei Wilders. Leute dieser Firma kamen jedes Jahr auf unser Gut, um die Saat zu inspizieren. Die Firma Walter Wilder sorgte dafür, dass für jegliche Aufgabe die richtigen, passenden Maschinen geliefert wurden.

4. Die Tiere auf dem Gut

Ehe Benzin- und Kerosintraktoren aufkamen, pflügte man natürlich mit dem Pferd. So besaßen wir große Pferdeställe für unsere treuen Pferde, die das Pflügen, Eggen, die Aussaat und das Walzen übernahmen. In einem unserer Ställe stand ein schöner großer, intelligenter Reinrasse-Hengst namens Framlingen Curfew – ein edles Tier, das uns Kinder offenbar gern hatte, denn wir konnten mit ihm machen, was wir wollten; er nahm unsere Späße nie übel. Auch konnten wir Kinder ihn ohne Gefahr in der Erntezeit führen. Selbst mit unserer Hündin Folly kam der Hengst gut aus und legte seine Ohren an den Kopf zurück, wenn sie während der Arbeit herangefegt kam. Folly hatte einmal sechs oder sieben Kleine bekommen und wir Jungen wollten die Kleinen gerne inspizieren – was man unbedingt nicht tun soll, denn zu dieser Zeit sind Hündinnen oft unberechenbar. Die Hundemutter besaß eine schöne Hütte, nicht weit vom hinteren Eingang zum Hof entfernt. Mein Bruder Walter und ich begutachteten die Neugeborenen, so gut wir es konnten, durch den Eingang zur Hundehütte, aber es war zu dunkel, um richtig sehen zu können. So krochen wir beide in die Hütte hinein bis zur Ecke, wo Folly mit ihrer neuen Familie lag. Ich sehe heute noch, wie ihre Augen feurig glänzten, denn die Welpen waren dabei, sich ihre Mahlzeit zu holen. Wir sprachen mit ihr und sie klopfte mit dem Schwanz gegen den Boden, was das sichere Zeichen war, dass wir willkommene Gäste seien. Dann aber nahmen wir ein kleines Baby in die Hand, – ein Verstoß gegen alle Hundesitten. Folly kam sofort in höchste Not, ihre Augen glänzten noch feuriger in der dunklen Ecke: Das durfte nicht sein! Sie stand auf und flehte uns förmlich an, das Baby zurückzugeben – was wir sofort mit vielen Zeichen guter Absichten taten. Ich höre immer noch, wie die Hündin richtig vor Not winselte, als wir das kleine Baby in der Hand hatten. Aber als sie das Kleine wieder sicher bei sich hatte, legte sie sich und klopfte weiterhin mit dem Schwanz gegen den Boden – das Zeichen, dass alles wieder in Ordnung war.

Folly war unsere treue Begleiterin durch unsere ganze Jugendzeit hindurch. Während des Krieges lebte ich einige Jahre in Nordengland. Nach sehr langer Zeit kam ich unangemeldet nach Hause – mein Vater hatte einen Herzinfarkt erlitten, so musste ich als ältester Sohn nach dem Rechten auf der Farm sehen. Folly traf mich am Haupteingang, als ich vom Bahnhof ankam. Als ich, ohne zu zögern, das große Holztor aufriegelte, war ihr das zu viel, und sie bellte mich heftig an. Ich rief etwas vorwurfsvoll ihren Namen: „Aber Folly, was fällt dir ein!“, da stand sie sofort auf der Stelle still, schaute mich an und beschnüffelte mich. Dann erkannte sie ihren großen, ja unverzeihlichen Fehler, wedelte mit dem Schwanz mit allen ihr zur Verfügung stehenden Gebärden um Entschuldigung und leckte meine Schuhe gründlich ab. Als letztes Zeichen der Buße entschuldigte sie sich, indem sie sich auf den Rücken legte und sich mir anschmiegte. Dies ist ein Zeichen der unbedingten Kapitulation in der Hundesprache. Sie sprang daraufhin auf und galoppierte zum Haus, um meine Ankunft zu melden. Wie schön wäre es, wenn Menschen ihre Fehler ebenso einsähen und sich dementsprechend entschuldigten. Aber Hunde haben von Natur aus nicht immer solch schöne Manieren, sie lernen solche nur von einem guten Herrn. Verhält es sich ähnlich bei uns Menschen?

Doch wir dürfen die Katze nicht vergessen! Limpy hieß sie. Große Konkurrenz herrschte zwischen Limpy und Folly. Wenn man der Katze irgendwie eine Gunst erwies – sie auf dem Schoß nahm und streichelte –, da kam Folly in größte Not. Das konnte die Hündin nicht ausstehen. Mit der Nase versuchte sie, unsere Hand von der Katze wegzustoßen!

Folly fraß Brot nicht gern. Sie schnüffelte ein wenig um das Brot herum, fraß es aber nicht. Aber wenn sie gerade dabei war, das Brot endgültig abzulehnen, brauchte man nur den Namen der Katze Limpy zu rufen, sofort drehte Folly sich um und verschlang mit einem Bissen das ganze Stück Brot, ehe die Katze herbeieilen konnte! Ob Folly auch das bei den Menschen gelernt hatte?

Solche Tiere wie unseren Hund und unsere Katze kann man in einer kleinen, modernen Wohnung nicht halten. Sie brauchen Platz und – wie Menschen – müssen sie noch dazu nützliche Aufgaben erfüllen. Wenn sie weder Platz noch regelmäßige Aufgaben haben, können sie – wie Menschen – unausstehlich werden.

Wir hatten auch Hühner. Unsere Hühner besaßen ihre guten Häuser und festgelegte Nester, aber sie benutzten sie oft nicht. Sie fanden, wie sie meinten, schönere kleine Nester unter den Heuhaufen und zogen diese oft vor. Wir mussten die Eier oft suchen gehen, sonst tauchte eines Tages irgendeine Glucke mit 13 kleinen Küken unter einem Heuhaufen auf. Wer konnte nun die Schlupfwinkel der abtrünnigen Hennen besser oder eher ausfindig machen als Folly mit ihrer unbeirrbaren Nase?

Die Hündin kannte, besser als jeder andere Hund, die nötige Technik und Methodik, wie man Eier sucht und holt. Die erste Regel, die sie beachtete, war nämlich, die Henne äußerst zart zu behandeln, sonst flog sie erschrocken von ihrem Schlupfwinkel auf – und machte die Eier dabei kaputt. So kam die Hündin immer von der Seite – oder gar von hinten – an die Henne heran, schob vorsichtig und leise ihre Schnauze unter die Henne, die oft bis zu 13 Eier unter sich hatte – wenn man lange Zeit ihren Schlupfwinkel nicht entdeckt hatte – und nahm dann ein Ei zwischen die beiden Eckzähne. Dann trottete sie zu Mutter mit dem Ei zwischen den Zähnen. Hielt man dann die Hände zu Folly herunter, ließ sie unendlich sorgfältig das Ei zwischen den Zähnen fallen, trottete zur Henne zurück und holte das nächste Ei. Ich habe es nie erlebt, dass Folly ein Ei fraß oder dass ein Ei kaputtging. Wenn niemand zu Hause war, ließ sie die Eier vor der Tür liegen. Sie waren immer intakt.

Als Folly sehr alt geworden war und wir Kinder alle aus dem Haus waren, schien sie ein ganz besonderes Verhältnis zu meinen alternden Eltern zu haben. Sie schlief meist im Zwinger oder in der Hundehütte, wo sie die Welpen immer bekommen hatte. Es war einmal eine sehr kalte Nacht im Winter, und Vater und Mutter waren früh ins Bett gegangen. Folly merkte irgendwie, dass es ihr nicht gut ging. Da öffnete sie selbst die Tür zum Zwinger – das konnte sie – und schlich zur Hintertür des Hofes, die sie durch Hochspringen selber öffnen konnte. Aber die Kraft dazu brachte sie nicht mehr auf. Am Morgen lag sie tot vor der Tür. Als Letztes in ihrer Not hatte sie meinen Vater gesucht, der immer helfen konnte. Wir begruben sie im Garten. So endete eine Ära in unserer Familie. Folly wurde etwa 18 Jahre alt.

Es ist wirklich schade, dass Kinder, die in der Stadt groß werden müssen, den ganzen Lauf der Natur kaum mehr kennenlernen. Sie sehen nicht mehr aus erster Hand, welche Verhältnisse Menschen, Tiere und Pflanzen zur Entwicklung brauchen, wie alles aufeinander abgestimmt ist. Aus diesem Grund fallen junge Menschen sehr leicht falschen Ideologien, die meist in Städten gedeihen, zum Opfer.

In einer Landbevölkerung, die mit der Natur eng verbunden ist, hätten weder die Nazis noch die Kommunisten viel ausrichten können. Die Kommunisten hielten es für nötig, die Muschiks auf dem Land durch die Kollektivierung der Höfe zu liquidieren, weil sie sie nicht gewinnen konnten. Ungefähr eine Million dieser Landbewohner starben durch Hunger, ehe die falsche kommunistische Ideologie beseitigt wurde. Wie in vielen Ländern heute, folgt Hungersnot den Kommunisten. So ging eine ganze Tradition Russlands zugrunde, und die stabilisierende Wirkung der Landbevölkerung verschwand für immer.