Venus in Indien

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Aus der Reihe: Cupitora #38
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Venus in Indien
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Venus in Indien

Teil 1

Andere Länder, andere Sitten …

Ein offenherziger Roman in zwei Teilen nach einem unveröffentlichten Privat­manuskript aus den Goldenen Zwanzigern, versehen mit zehn appetitlichen Abbildungen

unzweideutiger Art.

ISBN 978-3-95841-774-8

© by Cupitora in der BEBUG mbH, Berlin


Der Krieg in Afghanistan näherte sich schon dem Ende, als ich plötzlich Order bekam, mich sofort von England zum 1. Bataillon meines Regimentes zu begeben, das dort im Einsatz stand. Ich war frisch gebackener Captain und seit anderthalb Jahren auch glücklicher Ehemann. Der Schmerz, den es mir bereitete, mein Weib und mein Töchterchen verlassen zu müssen, war größer, als ich zu beschreiben vermag, aber wir kamen überein, dass es besser für uns alle sei, sie erst dann nach Indien nachkommen zu lassen, wenn wir genau wussten, wo mein Regiment nach seiner Rückkehr aus der Berg- und Felsenödnis Afghanistans in der fruchtbaren Ebene Hindustans seinen festen Standort nehmen würde. Außerdem war gerade die heißeste Jahreszeit; nach Indien ging jetzt nur, wer unbedingt musste, und für eine zarte Frau und ein kleines Kind war dieses sengende Klima wahrhaftig kein Reisewetter. Vielleicht konnten sie auch gleich daheim bleiben, denn mir war ein Posten im Heimatstab versprochen worden, doch erst einmal musste ich natürlich zu meinem Regiment und Bataillon. Verdrießlich war das Ganze dennoch, da der Krieg ja schon fast beendet war und ich viel zu spät kommen würde, um mir Ruhm oder Auszeichnungen zu erwerben, andererseits aber sehr wahrscheinlich noch ein gut Teil von den Strapazen der Kampagne mitmachen musste; ist Afghanistan doch ein raues, um nicht zu sagen wildes und unwirtliches Land, wo mir durchaus blühen konnte, dass mir hinterrücks ein Afghanendolch zwischen die Rippen fuhr, statt dass ich eines glorreichen Todes auf dem Schlachtfelde starb.

Alles in allem schienen also meine Aussichten nicht eben rosig zu sein, aber mir blieb nichts anderes übrig, als dem Befehl nachzukommen und abzureisen, was ich dann auch mit so viel Fassung wie möglich, doch sehr schweren Herzens tat.

Die traurigen Einzelheiten des Abschiedes von meiner Frau möchte ich dem Leser ersparen. Ich gelobte ihr keine Treue; der Gedanke, dass dies nötig sein könnte, kam weder ihr noch mir, denn obwohl ich seit jeher von jenem Temperament war, das die Venusgöttin so schätzt und vor meiner Heirat die Freuden der Liebe mit großem Glück genossen hatte, war ich dennoch, wie ich glaubte, ruhiger und ein braver Ehemann geworden, dessen Wünsche niemals aus dem eigenen Bett hinausirrten, da mein holdes und hingebungsvolles Weib stets bereit war, meine glühenden Liebkosungen mit nicht minder glühenden Liebkosungen zu erwidern; und ihre Reize, in all ihrer jugendlichen Frische und Schönheit, hatten ihre Wirkung auf mich noch kein bisschen verloren, sondern schienen immer größer und gewaltiger zu werden, je mehr ich in ihrem Besitz schwelgte. Denn du musst wissen, geneigter Leser, meine Louie war die Leidenschaft selbst; sie gehörte nicht zu jenen Ehefrauen, die sich den Zärtlichkeiten ihrer Männer teilnahmslos unterwerfen, weil dies ihre Pflicht ist und zwar eine, der man nicht mit Vergnügen oder Freude, sondern mehr wie eine Art Buße nachkommt! Nein, bei ihr gab es kein: »Ach, nicht doch! Lass mich heut mal schlafen, Liebster. Wir haben doch erst gestern Nacht zweimal und ich kann mir nicht vorstellen, dass du schon wieder willst. Sei gefälligst etwas züchtiger und behandle mich nicht, als wäre ich dein Spielzeug. Nein! Nimm deine Hand weg! Lass mein Nachthemd unten. Ich muss sagen, es ist geradezu unanständig, wie du dich benimmst!« und so weiter, bis die Beharrlichkeit ihres Mannes sie so weit erschöpft, dass sie meint, am raschesten könne sie noch ihre Ruhe finden, indem sie ihm seinen Willen lasse, und ihm also mürrisch gestattet, ihre Scham zu entblößen, unwirsch die Schenkel öffnet und wie ein gefühlloser Klotz daliegt, unempfänglich für all seine Bemühungen, aus ihrer Eiseskälte einen Funken Vergnügen herauszuschlagen. O nein, bei meiner Louie war das ganz anders; Liebkosung wurde mit Liebkosung beantwortet, Umarmung mit Umarmung. Jedes süße Opfer wurde noch süßer als das vorangegangene, weil sie all seine Freuden und Wonnen voll genoss! Von einer solchen Frau zu viel zu bekommen ist fast unmöglich, und auch Louie schien es für gänzlich ausgeschlossen zu halten, jemals von mir zu viel zu bekommen! Bei ihr hieß es: »Noch mal, Liebling! Ein einziges, ganz kleines Mal noch! Es tut dir bestimmt gut – und mir auch!«, und es hätte seltsam zugehen müssen, wenn der Zauberstab, den ihre Hand zärtlich umschlossen hielt, auf ihre Liebkosungen hin nicht wieder stark und kräftig wurde und abermals selige Wonne in den tiefsten Tiefen des vor Erwartung bebenden Tales hervorzauberte, zu dessen Glückseligkeit er eigens da war, eines Tales, in dem sich wahrlich der Tempel der Liebe befand.

Ach, meine geliebte Louie, als ich mich aus deiner leidenschaftlichen Umarmung löste, da ahnte ich wenig, dass zwischen deiner pochenden Scheide und meinem Schwert im fernen, schwülen Indien andere sinnliche Frauen auf mich warteten, deren herrlich nackte Liebreize meine Lagerstatt bilden und deren kosende Glieder mich in Verzückung umschlungen halten sollten, bevor ich mich endlich wieder zwischen deinen geliebten weichen Schenkeln fand! Es ist auch am besten, dass du gar nichts davon weißt, denn wer würde nicht all die schrecklichen Dinge kennen, zu denen verzehrende Eifersucht führen kann? Dank sei der gütigen Venus, dass sie eine gewaltige Wolke schickte und meine Spiele mit den Nymphen verbarg, so wie einst auch der große Jupiter vor den Augen der Götter und Menschen verborgen ward, als er sich an grünen Bergabhängen mit holden Maiden verlustierte, menschlichen wie göttlichen, auf deren aufreizende Möschen er es abgesehen hatte.

Aber es wird Zeit, wieder zur Erde herunterzukommen und meine Geschichte in einer dieser gewöhnlichen Welt angemesseneren Form zu erzählen. Ich fürchte, lieber Leser, dass ich bereits insofern vom schicklichen Wege abgeschritten bin, indem ich dein züchtiges Auge womöglich schockiert habe mit dem Namen des süßesten aller weiblichen Körperteile, den weder Bildhauer noch Maler in ihren Werken darstellen und der selten öffentlich genannt wird, es sei denn vom vulgären Plebs; dennoch muss ich um deinen Pardon bitten und um deine Erlaubnis, ihn hier aus meiner Feder fließen zu lassen, andernfalls ich es schwierig fände, all die Freuden und Genüsse, in denen ich während meiner fünf glücklichen Jahre in Hindustan schwelgte, richtig und in ihrer ganzen Wonne zu beschreiben. Wenn du gescheit bist, wenn du deine Sinne gern ein bisschen aufkitzeln lässt, wenn dir die gewöhnlich verhüllten Szenen und Geheimnisse ekstatischer Liebeskämpfe, der Erfüllung heißen Verlangens, der Genüsse glücklich Liebender einiges Vergnügen bereiten, dann stell dir einfach vor, dass deine hingerissenen Augen wohl diesen Körperteil sehen, nicht aber die Haupt- und Tätigkeitswörter dafür, die zu benutzen ich hier nicht umhin kann.

Es war Mitte August, als ich in Bombay ankam, der majestätischen Hauptstadt von Westindien. Die Überfahrt war ereignislos verlaufen. Ich hatte nur wenige und uninteressante Mitpassagiere gehabt, fast alles ältere Beamte und Offiziere, die nach einem kurzen Zwischenspiel richtigen Lebens in der Heimat unwillig zu ihren Arbeitsstätten in diesem heißen Lande zurückkehrten. Es war nicht die Jahreszeit, in der flotte, junge Damen nach Indien reisen, jede mit der Hoffnung im Herzen, dass ihr wohlgerundeter Schoß, ihre vor Gesundheit glühenden Wangen und ihre Jugendfrische ihr einen Ehemann einfangen können. Wir waren eine recht gesetzte Gesellschaft: Einige hatten gleich mir junge Frauen daheim gelassen, andere wurden von den ihrigen begleitet. Nahezu alle befanden sich in einem Alter, da die Zeit die brennende Glut der Leidenschaft schon stark gelöscht hatte und da ihnen, wenn sie sich zur Nachtruhe begaben, vielleicht erst als letzter Gedanke einkam, sich der neben ihnen liegenden Reste einstiger Schönheit zu bedienen. Als wir schließlich von Bord gingen, hatte ich das Gefühl, alle Liebe, alle Leidenschaft und alle Begierde bei meiner geliebten, kleinen Frau in England zurückgelassen zu haben und obwohl schon bei der Landung meine Augen nicht anders konnten, als die nahezu nackten, anmutigen Reize indischer Mädchen, die ihre Wasserkrüge trugen, sogleich zu bemerken, ließ dabei kein Funke des Verlangens mein Blut einen Augenblick lang schneller fließen oder kam mir auch nur für eine Sekunde der Gedanke, dass ich jemals Vergnügen suchen könnte in den Umarmungen einer anderen Frau. Und doch kam es schon innerhalb kurzer zehn Tage dazu! Wahrlich, der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach! Sagen wir lieber so: Der Geist mag willig sein, doch wenn sich das Fleisch in all seiner gewaltigen Kraft erhebt, ist nicht dagegen anzukommen – jedenfalls habe ich das so festgestellt! Und nun, geneigter Leser, bist du sicher schon neugierig zu erfahren, wer es denn war, der mein Fleisch dazu brachte, dass es sich erhob und ob ich seinen gebieterischen Forderungen jenen Widerstand entgegensetzte, wie er sich für den Ehemann einer solchen Louie, wie der meinen, gehörte.

Vom Generaladjutanten erfuhr ich, dass mein Bestimmungsort Cherat sei, ein ziemlich kleines Truppenkantonnement, irgendwo ganz oben auf jener Bergkette gelegen, die die südliche Grenze des Tales von Peshawar bildet und nach dem mir Ermächtigungsausweise für die Eisenbahn über Allahabad nach der provisorischen Station Jhelum und für die Relaispost von dort nach Cherat selbst ausgeschrieben worden waren, traf ich meine Vorbereitungen für die noch vor mir liegende, lange Reise und neben etlichen anderen geistigen und leiblichen Notwendigkeiten kaufte ich mir ein paar französische Romane. Einer davon war jenes Meisterwerk erotischer Salonliteratur, »Mademoiselle de Maupin« von Théophile Gautier. Ohne die in diesem herrlichen Prosagedicht gemalten, flammenden Bilder der Liebe und Leidenschaft wäre ich den Netzen vielleicht entgangen, in welche mich die Liebe verstrickte, denn Mademoiselle de Maupin war wirklich ein verführerischer Köder, der meine Leidenschaften aus der Lethargie wachrüttelte, in die sie seit dem Abschied von meinem geliebten, doch tugendsamen Frauchen, meiner angebeteten Louie, versunken waren! Wirklich, lieber Leser, glaube mir, ich meinte, dass ich mir die Hörner längst abgestoßen hätte, dass ich das geworden wäre, was die Franzosen range nennen und dass es nicht in der Frauen Macht läge, mich vom Pfade der Tugend wegzulocken, auf dem ich, wie mir schien, ja, wie ich fest überzeugt war, sicheren Schrittes wandelte, hin zur Straße der Reinheit und des Himmels! Solange ich die beschirmende Agis der lieblichen und sinnlichen Reize meiner süßen kleinen Frau gehabt hatte, war ich zweifelsohne gefeit gewesen, denn ich muss ehrlich sagen, rückschauend erkenne ich jetzt sehr wohl, warum ich gegen den Glanz aller Verführerinnen immun gewesen war. Wo hätte ich ein anderes Mädchen finden können, bekleidet oder nackt, das sich mit meiner Louie vergleichen ließe? Sie überstrahlte alle anderen – gleich dem Vollmond, der in wolkenloser Nacht das Licht der Sterne auslöscht! Aber ach, als sie nicht mehr da war, begannen die Sterne wieder zu scheinen, um in meinem Herzen Platz für Bewunderung und Anbetung zu finden. Das hatte ich nicht bedacht! Hatte es meine Louie? Oh, wie zärtlich und wie stürmisch zugleich waren die letzten Wochen daheim gewesen! Wie oft hatten wir die glühenden Beteuerungen der Liebe und des gegenseitigen Alleinbesitzes mit dem Wonneopfer besiegelt, wenn unsere Leiber in leidenschaftlicher Umarmung eins wurden und dann die Brunnen unsagbarer Seligkeit lossprudelten und wir einander mit Meeren der Freude überschwemmten. Diese Opfer, so herrlich und wild, so voller Feuer und Leben, hatten bei mir zweifellos ihre Nachwirkung, da Louie mit ihren nie versiegenden Reizen meinen Vorrat an jener männlichen Kraft, jenem Mark meines Leibes, jener Essenz meines Herzblutes, ohne die körperliche Liebe unmöglich ist, auf etliche Wochen hinaus aufgebraucht hatte, und mir schien, dass ich, als ich von ihr schied, diese Kraft zurückgelassen hatte, dass sie nebst all meinem Verlangen in ihrer wundervollen Grotte sicher aufbewahrt war und dass ich sie erst wieder finden würde, wenn ich sie zwischen ihren geliebten Schenkeln suchte.

 

Ich kaufte »Mademoiselle de Maupin« also, ohne darauf zu achten, dass es sich um ein Buch der Leidenschaften handelte, und ganz allein in meinem Bahncoupé, begann ich dann zu lesen. Doch ach, wie schwach ist der Mensch – Verlangen, brennendes Verlangen, meine Manneskraft und Fluten heißen, heißen Gefühls kehrten zu mir zurück! Ich trank das köstliche Gift dieses unübertrefflichen Buches, doch während ich trank, wurde ich immer durstiger! Dennoch wollte ich mir nicht eingestehen, dass es im tiefsten Innern ganz allgemein die »Frau« war, wonach ich schmachtete. Im Augenblick nahm das Verlangen nur einfach eine schemenhafte Form an, eine schwach, bildliche Vorstellung von Weib, deren nächste Annäherung sich im fernen England finden ließ, in Gestalt meiner eigenen, angebeteten und schönen, kleinen Louie!

Von Bombay über Allahabad nach Peshawar fährt man fast gänzlich durch Land, das so flach wie ein Brett ist. Zu der Jahreszeit, als ich diese Strecke fuhr, im sengenden August, war der Boden trocken und hatte offensichtlich schon lange keine Regenfälle mehr gesehen, obwohl die gewöhnlich zwischen Juni und September kommen. Hin und wieder sah man zwar ein bisschen Grünes auf dem Halm, das sich von der sonst bloß braunen, ausgedörrten Erde abhob, aber es gab nur wenige Stellen, die eine Augenweide boten – ganz anders also als bei der hübschen Mademoiselle de Maupin, vor allem wie Théophile Gautier sie in jenem glühenden Kapitel malt, wo sie in all ihrer strahlenden Schönheit, nackt und lodernd vor quälendem Verlangen vor ihrem hingerissenen Liebhaber erscheint! Ach, Théophile, warum hast du deiner Feder bei der Beschreibung jener unverhüllten Reize nicht ein bisschen mehr Freiheit gestattet? Warum überlässt du es unserer Phantasie, uns die herrlichen Wonnen nur vorzustellen, die die keuchenden Liebenden auf ihrem Lustpfuhl erlebten? Ich jedenfalls fand, dass ein solches, minutiöses Ausmalen genau das war, was noch fehlte, um die durch diese wunderbare Liebesgeschichte ausgelösten, verzückten Empfindungen vollständig zu machen und ich bitte dich, geneigter Leser, jetzt nicht aufzuschreien, wenn ich erkläre, dass ich mich auf den folgenden Seiten bemühen werde, den einen Fehler zu vermeiden, den ich bei Gautier finde. Möge Venus meine Feder leiten und Eros mein Tintenfass halten und mögest du, Schatten des berühmten französischen Dichters und Schriftstellers, mir zur Seite stehen bei dieser Zusammenstellung meiner Erinnerungen an die fünf glücklichen Jahre, die ich in Indien verbracht habe.

Unterwegs – ich fürchte bereits, mit der Beschreibung der Fahrt zu langweilen – trat der Verführer nur einmal an mich heran, allerdings auf so plumpe Weise, dass seine wohl gemeinten Absichten von vornherein zum Scheitern verurteilt waren. In Allahabad hatte ich etliche Stunden Aufenthalt, und um mir die Zeit angenehm zu vertreiben, machte ich Spaziergänge, besichtigte die Grabmäler der Könige und Fürsten, die in vergangenen Zeiten über die Ufer des Ganges und des Jumna geherrscht hatten und schaute mir an, was mir sonst noch sehenswürdig und interessant erschien.

Ich kehrte gerade zu meinem Hotel zurück, als mich ein Inder in tadellosem Englisch ansprach: »Möchten Sahib gern eine Frau? Ich habe ein bildhübsches, kleines Halbblut in meinem Haus – wenn der Herr kommen und sich ansehen wollen?«

Oh, liebe Mademoiselle de Maupin!

Nein, ich wollte mir das bildhübsche, kleine Halbblut nicht ansehen! Diese Selbstverleugnung führte ich auch noch auf Tugendhaftigkeit zurück und lachte in meiner Torheit sogar bei der Vorstellung, dass es in Indien eine Frau gab oder geben konnte, die auch nur ein Jota von Verlangen in mir zu wecken vermochte!

Nachdem ich die Station Jhelum erreicht hatte und nun nur noch ein breiter Strom zu überqueren war, verließ ich das eigentliche Indien und kam im Tal von Peshawar bereits an den Rand von Zentralasien. Aber allein bis Attock waren es mehrere Tage und Nächte ununterbrochenen Reisens per »Gharry«, wie der Wagen oder vielmehr Karren der »Dak« , der indischen Relaispost, genannt wird. Ein Dak-Gharry ist zwar ein leidlich angenehmes Beförderungsmittel, doch bekommt man bald die ewig horizontale Lage über, denn diese allein bietet dem müden Reisenden Bequemlichkeit. Die Überquerung des Indus in einem Boot, das über eine mächtige Strömung gerudert wurde, während die Wassermassen brüllend gegen die Felsen unterhalb der Fähre brandeten, war ein sehr aufregendes Erlebnis, zumal bei Nacht, als die tiefe Dunkelheit das Tosen der vermeintlichen Gefahr noch lauter und wirkungsvoller tönen ließ. Dann abermals ein Dak-Gharry: Ich stieg ein, legte mich hin und schlief ein, um erst in Nowshera wieder aufzuwachen.

O Mademoiselle de Maupin! Was für ein bezauberndes Mädchen! Wer mag es sein? Sicher die Tochter des hier kommandierenden Colonels auf ihrem Morgenspaziergang und wohl, nach dem erwartungsvollen, schnellen Blick zu urteilen, den sie mir durch die halb offene Schiebetür des Gharrys zugeworfen hat, in Erwartung von jemandem, vielleicht ihrem Verlobten; gewiss wird sie nur deshalb so eifrig und doch so enttäuscht dreingeschaut haben!

Ach, lieber Leser, gerade als ich die Augen aufschlug, sah ich durch die leicht offene Tür ein vollendetes Exemplar weiblicher Schönheit! Ein Mädchen in eng anliegendem, grauem Kleid und mit reizvoll schräg sitzendem Teria-Hut auf dem hübschen und anmutigen Köpfchen! Dieses wunderschöne Gesicht! Wie vollendet sein Oval! Bei so feinen und rassigen Formen muss gewisslich edles Blut in ihren Adern fließen! Was für eine Rosenknospe der Mund! Was für Kirschenlippen! Gott, Jupiter, Venus, was für eine Figur! Diese herrlichen, runden Schultern und diese vollen, schönen Arme, die sich unter dem hautengen Kleid so deutlich abzeichnen! Und wie rein, wie jungfräulich der wogende Busen! Wie stolz jede der schwellenden Brüste ihr züchtiges, aber dennoch aufreizendes Mieder ausfüllt! Oh, die kleinen muschelförmigen Ohren, die sich so eng an den Kopf schmiegen! Wie gern ich diese winzigen Läppchen zärtlich drücken würde! Wie sie aussieht, wie vornehm, wie rein, jungfräulich! Oh, meine Louie, gleich dir ist dieses Mädchen nicht in Versuchung zu führen; die Jagd wär lang und mühselig, ehe ihre wankende Kraft sie dazu zwänge, ihre Reize den Händen und Lippen ihres keuchenden Verfolgers auszuliefern! Nein, dieses Mädchen scheint mir von allen, die ich je gesehen habe, am schwersten vom Pfade der Tugend und Ehrbarkeit abzubringen.

Diese Gedanken blitzten mir nach dem kurzen, allerdings sehr lebhaften Blick auf dieses entzückende Mädchen durch den Kopf, während mein Gharry-Kutscher seine abgematteten Gäule zu einem flotten Galopp antrieb, auf dass der Sahib in gebührend großem Stil in Nowshera einfuhr. Die Erscheinung, so flüchtig und so schnell vorbei, schien mich nur wenig zu beeindrucken, oder besser gesagt, was ich empfand, ging nicht über das hinaus, was ich oben beschrieben habe. Jedenfalls ließ kein heißes Verlangen mein Blut kochen oder mein Herz und meine Sinne lichterloh entflammen. Nein, es war eher ganz anders. Ich bewunderte, jawohl, aber nur so wie ich eine vollendete Venus in Marmor bewundern würde. Wuchs und Figur erfreuten meine Augen, und dass dieses holde Mädchen eines Tages von jemandem besessen werden könnte, dieser Gedanke kam mir zwar, aber nur so, als würde die Marmorvenus Fleisch und Blut werden und dann irgendeinem glücklichen Sterblichen zur Wonne zufallen. Mit anderen Worten, sie schien mir überhaupt nicht zur gemeinen Menschheit zu gehören, und nicht im Traum hätte ich es für möglich gehalten, dass ich je ihre Spalte zu sehen bekäme, zumal ich in Nowshera ja nur die Pferde wechseln und dann unmittelbar nach Cherat weiterreisen wollte.

Doch als ich am Postamt ankam, das gleichzeitig Ausspann war, sagte mir der Postmeister, ein besonders höflicher Baboo, Pferde könne er mir nur bis Publi geben, einem Dorf auf etwa halber Strecke zwischen Nowshera und Peshawar, und von dort aus müsse ich selber zusehen, wie ich nach Cherat komme, denn da gebe es keine von Gharrys befahrbare Straße mehr. Außerdem, so fügte der gute Baboo hinzu, sei das besagte Stück zwischen Publi und Cherat für Reisende nicht ungefährlich, dieweil dort viele wilde Räuber ihr Unwesen trieben. Da es immerhin gute fünfzehn Meilen seien, rate er mir, solange im Dak-Bungalow von Nowshera Logis zu nehmen, bis der Brigadeoffizier mir eine Möglichkeit verschaffen könne, die letzte Etappe meiner Reise zu bewältigen.

Mit einer solchen Auskunft hatte ich wahrhaftig nicht gerechnet und ich war entsprechend niedergeschlagen. Wie in aller Welt sollte ich mit meinem Gepäck nach Cherat kommen, wenn es keine Straße dorthin gab? Wie viele tausend Meilen hatte ich seit meiner Abreise aus England zurückgelegt und jetzt konnte ich die letzten lumpigen fünfzehn nicht bezwingen! Im Augenblick schien sich jedoch nichts tun zu lassen, als des guten Baboos Rat anzunehmen, mich im Dak-Bungalow einzuquartieren und beim Brigadeoffizier vorzusprechen.

Der Dak-Bungalow lag etwas abseits von der Hauptstraße, aber um dorthin zu gelangen, musste ich wieder ein Stück zurückfahren. Ich entließ meinen Kutscher und rief den Khansamah – und der erklärte mir, das Haus sei voll besetzt, er habe kein einziges Zimmer frei! Da saß ich ja schön in der Tinte! Doch während ich noch mit dem Khansamah redete, wurde an einer der Zimmertüren der Vorhang aus dünnen Bambusstäben beiseite geschoben, und ein sympathisch aussehender junger Offizier kam auf die Veranda heraus und sagte mir, er habe mein Gespräch mit angehört. Er warte nur auf ein Gharry, um seine Reise hinunter zur Küste fortzusetzen, und meine Ankunft komme ihm genauso zupass, wie sein Weggang für mich günstig sei. Er habe sofort losgeschickt, sich mein Dak-Gharry zu sichern und wenn er es bekomme, würde er mir sein Zimmer überlassen, andernfalls aber und so mir das angenehm sei, wolle er es mit mir teilen, denn es habe zwei Betten. Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, dass ich sein gefälliges Angebot mit Freuden annahm. Nicht lange und ich hatte mein Gepäck eingeräumt und genoss, was in Indien so besonders erfrischend und nahezu unentbehrlich ist, nämlich ein schönes, kaltes Bad. Mein neuer Bekannter hatte es übernommen, Frühstück für mich zu bestellen und als ich mit dem Baden und meiner Toilette fertig war, setzten wir uns gemeinsam zu Tisch. Offiziere, die sich unter solchen Umständen kennenlernen, werden sehr schnell gut Freund miteinander. Mein neuer Bekannter erzählte mir alles über sich, wo er herkam, wo er hinging und ich tat ihm gleich. Überflüssig zu sagen, dass der Krieg, der nunmehr praktisch beendet war, Thema Nummer eins unserer Unterhaltung bildete.

 

Als wir dann vertraulicher wurden, kamen wir, wie das junge Männer so tun – alte übrigens nicht minder –, natürlich auf die Liebe und die Frauen zu reden, und mein junger Freund erzählte mir, dass die gesamte britische Armee einfach nach Frauen schmachte! Dass in Afghanistan keine zu haben seien und dass man ganz allgemein sagen könne, Offiziere wie Mannschaften hätten seit mindestens zwei Jahren kein Weib mehr gehabt.

»Weiß Gott«, rief er lachend, »die Pollys von Peshawar halten reiche Ernte! Kaum ist ein Regiment aus Afghanistan zurück, stürzt es schon los, vor Geilheit schier platzend und bis auf den letzten Mann, hin zu den Basaren. Da können Sie dann die Tommy Millers sehen, wie sie draußen vor den Stoßbuden warten, Krücke in der Hand, und denen, die drinnen sind, zurufen, sie sollen sich beeilen!«

Das war natürlich übertrieben, wenn auch nicht in so starkem Ausmaß, wie der geneigte Leser vielleicht annimmt.

Wir hatten nach dem Frühstück gerade unsere Zigarren geraucht, als der Bursche des jungen Offiziers in demselben Dak-Gharry vorgefahren kam, das mich von Attock hergebracht hatte und nach ein paar Minuten schüttelten mein heiterer Gastgeber und ich uns zum Abschied die Hände.

»Dort drinnen ist jemand«, sagte er und zeigte auf das Zimmer nebenan, »dem ich noch auf Wiedersehen sagen muss und dann fahr ich los.«

Er blieb nicht lange weg, schüttelte mir abermals die Hände, und schon eine Minute später verbarg ein Meer von Staub ihn und sein Gharry meinem Blick.

Ich fühlte mich nach seiner Abreise recht einsam, denn obwohl der Bungalow voll besetzt war, lag mein Zimmer in einem Seitenflügel, der vom eigentlichen Haus durch eine Mauer abgeschlossen war, sodass ich keinen der anderen Gäste sah, obwohl ich sie gelegentlich hören konnte. Ich hatte vergessen zu fragen, wer es denn sei, der in dem Zimmer neben mir wohnte und es interessierte mich auch nicht sonderlich. Ich hatte wahrhaftig andere Sorgen, denn wie sollte ich nun nach Cherat kommen? Es ging schon auf zehn Uhr, die Sonne sandte mörderisch sengende Strahlen auf die ausgetrocknete Ebene herab, in der Nowshera liegt, und obendrein setzte jetzt der heiße Wind ein und dörrte einen aus, sodass Lippen und Augen nicht nur trocken, sondern auch wund wurden. Ich wusste nicht recht, was ich anfangen sollte. Zum Brigadeoffizier zu gehen, dazu war es viel zu heiß, und so zündete ich mir eine weitere Zigarre an, holte meine köstliche »Mademoiselle de Maupin« aus dem Koffer, setzte mich hinter eine Säule der Veranda, um vor dem Wind geschützt zu sein und versuchte zu lesen; aber selbst dieses Mädchen mit all seinen Reizen vermochte mich nicht zu fesseln, ich lehnte mich in dem Liegestuhl zurück und rauchte lustlos, während meine Augen über die Kette hoher Berge wanderten, die ich durch die heiße, gelblich flimmernde Luft gerade noch erkennen konnte. Ich hatte keine Ahnung, dass ich direkt auf Cherat blickte, und hätte ich damals schon gewusst, was dort auf mich wartete, hätte ich ganz gewiss mit weit größerem Interesse auf diese Berge geschaut.

Lieber Leser, kennst du jenes Gefühl, wenn man spürt, dass man von jemandem beobachtet wird, obwohl man ihn gar nicht sehen kann oder nicht mit Sicherheit weiß, dass er es tut? Ich jedenfalls bin dafür ganz besonders empfänglich. Und während ich nun müßig dasaß und so weit in die Ferne schaute, wie es nur ging, spürte ich plötzlich, dass jemand in der Nähe war und mich intensiv ansah. Zuerst widerstand ich der Versuchung, mich umzudrehen, um zu sehen, wer es sein mochte. Durch den heißen Wind und überhaupt die ganzen Umstände dieses Zwangsaufenthaltes war ich so gereizt, dass ich dieses Angestarrtwerden, das weiter anhielt, wie ich deutlich spürte, als beleidigend empfand, was mich wiederum nur noch unruhiger machte, sodass ich schließlich den Kopf halb herumdrehte, um zu sehen, ob es nun Wirklichkeit war oder bloß eine Fieberphantasie.

Mein Erstaunen kannte keine Grenzen: Ich erblickte dasselbe hübsche Gesicht, das ich heute früh kurz gesehen hatte und das mich jetzt durch den ein wenig offenen Bambusvorhang des Nebenzimmers anschaute. Ich war so verdutzt, dass ich, anstatt mir die Dame nun richtig anzusehen, sofort wieder auf die Berge starrte, als wäre es eine Taktlosigkeit meinerseits, in ihre Richtung zu schauen, doch ich spürte, dass sie ihre Augen weiter auf mich gerichtet hielt, und es erstaunte midi, dass jemand ihres Standes – denn ich war fest überzeugt, dass meine Vermutung stimmte und meine unbekannte Schöne eine Dame und die Tochter eines Colonels war – so schlechte Manieren haben sollte, einen völlig fremden Menschen derart anzustarren. Ich wendete abermals den Kopf, und diesmal schaute ich diese hübsche, aber seltsame Frau etwas gezielter an. Ihre Augen, groß und strahlend schön, schienen sich in die meinen zu bohren, wie um meine Gedanken zu lesen. Ich wollte mich schon fragen, ob sie vielleicht nicht ganz richtig sei, da ließ das hübsche Geschöpf, offensichtlich von der Erkundung befriedigt, den Bambusvorhang wieder gegen die Seite der Tür fallen und entschwand somit meinem Blick. Von da an war meine Neugier wachgerüttelt. Wer war sie? Wohnte sie allein hier? Oder teilte sie mit dem unbekannten Colonel das Zimmer? Warum hatte sie mich so unentwegt angeschaut? Da – sie tat es schon wieder! Ich hielt es nicht länger aus, sprang auf, ging zu mir hinein und rief den Khansamah.

»Khansamah, wer wohnt hier nebenan?« Und ich wies auf die Tür, die mein Zimmer mit dem der Dame verband und die verschlossen war.


»Eine Mem Sahib.«

Nun war dies schon mein zweiter Aufenthalt in Indien und ich wusste, »Mem Sahib« bedeutet verheiratete Dame. Ich war erstaunt, denn hätte mich jemand gefragt, hätte ich erklärt, dieses holde Mädchen sei noch unberührt und würde sich auch nicht eher berühren lassen, ehe sie nicht dem Mann aller Männer begegne und der ihren Gefallen finde. Dieser Gedanke hatte sich seltsamerweise in meinem Kopf festgesetzt.

»Ist der Sahib bei ihr?«

»Nein, Sahib.«

»Wo ist er?«

»Weiß nicht, Sahib.«

»Wie lange ist die Mem Sahib schon hier, Khan?«

»Eine Woche oder zehn Tage, Sahib!«

»Reist sie bald wieder ab?«

»Weiß nicht, Sahib.«

Ich sah, dass sich von diesem Mann nichts in Erfahrung bringen ließ. Nur noch eine Frage und ich war fertig.

»Ist die Mem Sahib ganz allein, Khan?«

»Ja, Sahib. Hat niemand bei sich, nicht mal eine Ayah.«

Wunderbar! Wie gut mochte mein junger Freund, der sich heute früh von ihr verabschiedet hatte, sie kennen? Du, geneigter Leser mit Erfahrung, ahnst zweifellos längst, dass hier einiges nicht stimmte, ich aber wurde und wurde die fixe Idee nicht los, dass diese Frau nicht nur eine Dame, sondern auch außergewöhnlich tugendsam und von hohem Stande war.

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