Berufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Berufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa


ZbW – Zentrum für berufliche Weiterbildung

Herausgegeben von der Konferenz der Höheren Fachschulen HF der Schweiz

Susan Rosen, Andreas Schubiger

Berufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung

Ein generischer Ansatz zur Entwicklung spezifischer Berufsfelddidaktiken

ISBN Print: 978-3-0355-0018-9

ISBN E-Book: 978-3-0355-0028-8

1. Auflage 2013

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.ch

Inhalt

Einleitung

Danksagung

I Entstehungshintergrund

1. Zur Ausgangslage: bildungsverantwortliches Handeln an höheren Fachschulen

2. Ziele und Ebenen der Berufsfelddidaktik an den höheren Fachschulen

3. Vorannahmen und Vorgehen bei der Entwicklung einer Berufsfelddidaktik

4. Bildungssteuerung der höheren Berufsbildung

II Berufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung

5. Konzeption einer Berufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung

6. Prozessmodell Berufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung

7. Kernkomponenten der Berufsfelddidaktik auf der Makroebene

8. Die Entscheidungsfelder der Berufsfelddidaktik auf der Mesoebene

9. Handlungsfelder der Berufsfelddidaktik auf der Mikroebene

III Die generischen Leitfragen

10. Berufsfelddidaktische Leitfragen auf der Makroebene

11. Berufsfelddidaktische Leitfragen auf der Mesoebene

12. Berufsfeldorientierte unterrichtsdidaktische Leitfragen auf der Mikroebene

IV Berufsfelddidaktisches Kompetenzprofil

13. Berufsfelddidaktische Kompetenzen

14. Anforderungsprofile

V Anwendung der Berufsfelddidaktik

15. Exemplarische Umsetzung der Berufsfelddidaktik im Bereich Technik auf Makroebene

16. Lehrplanbeispiel Technik (ZbW, 2012) mit Fachrichtung Unternehmensprozesse: Mesoebene

17. Umsetzung auf Mikroebene: ausbildungsübergreifender Projektunterricht im Bereich Technik – eine Aufgabenstellung (ZbW 2013)

Verzeichnisse

Glossar

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Einleitung

Dieser Entwurf einer «Berufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung» ist im Rahmen des Projekts «Entwicklung und Implementierung eines generischen Modells der Berufsfelddidaktik/Fachdidaktik in der höheren Berufsbildung, im Speziellen an höheren Fachschulen» entstanden (die Schweizerische Konferenz der Höheren Fachschulen K-HF1 ist Trägerin des Projektes). Vorgelegt wird ein Modell, mit dessen Hilfe kompetenzorientierte Bildungsangebote konzipiert, legitimiert, evaluiert und berufsfelddidaktische Entscheidungen in der höheren Berufsbildung, speziell an höheren Fachschulen, vorbereitet werden können.

In diesem Prozess der Entwicklung und Erarbeitung wurden von Beginn an Expertinnen und Experten aus vielfältigen Entscheidungs- und Handlungsfeldern einbezogen. So wurde ein erster Entwurf des Dokumentes im Rahmen eines Expertenhearings mit Herrn Prof. Dr. Dieter Euler (Institut für Wirtschaftspädagogik der Universität St. Gallen, IWP-HSG) diskutiert. Auf diese Weise wurden frühzeitig wichtige Perspektiven eingeholt und in die weitere Entwicklungsarbeit eingebunden.

Nach Phasen der Überarbeitung und Weiterentwicklung des Entwurfs folgten ein Expertenworkshop mit Vertretern des Eidgenössischen Hochschulinstituts für Berufsbildung (EHB), der pädagogischen Hochschulen Zentralschweiz (PHZ), Zürich (PH Zürich), St. Gallen (PHSG) und des Zentrums für berufliche Weiterbildung (ZbW). Die Ergebnisse dieses Arbeitszirkels wurden zusätzlich nochmals durch eine schriftliche Vernehmlassung der Teilnehmenden überprüft. Zeitnah schloss sich eine Validierung des vorliegenden Entwurfs mit Vertreterinnen und Vertretern der Teilkonferenzen der Konferenz HF an. Die Konferenz HF vertritt die Anliegen der höheren Fachschulen. Höhere Fachschulen aller acht Bereiche sind ihre Mitglieder. Die einzelnen Bereiche, die im Anhang der Mindestverordnung erwähnt sind, bilden ihrerseits die Teilkonferenzen. Diese sind durch Abgeordnete im Vorstand der Konferenz HF vertreten.

Ziel des ganzen Prozesses war und ist es, gemeinsam mit Berufsbildungsexperten Nutzen und Praktikabilität dieser Berufsfelddidaktik für die Entwicklung und Evaluation von Bildungsangeboten zu untersuchen; die Ergebnisse sollen in Überarbeitungen und Weiterentwicklungen einfließen.

Teil I des vorliegenden Konzeptentwurfs enthält grundlegende Aussagen zum Entstehungshintergrund, zur Zielsetzung, zum Vorgehen und zum normativen Kontext einer Berufsfelddidaktik.

In Teil II wird die Konzeption einer Berufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung vorgestellt. Nach der Klärung der Frage, welchen Ansprüchen eine Berufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung genügen muss, folgt eine transparente Darlegung unseres Verständnisses von Berufsfelddidaktik. Ihre Funktionen und Aufgaben entfalten sich auf einer Makro-, Meso- und Mikroebene; dies wird hier über ein Prozessmodell visualisiert und beschrieben.

In Teil III wird der berufsfelddidaktische Transformationsprozess dargelegt. Generische Leitfragen leiten Berufsbildungsverantwortliche zur berufsfelddidaktischen Auseinandersetzung auf allen Handlungsebenen an.

In Teil IV wird die Berufsfelddidaktik ins Zentrum der Lehreraus- und -weiterbildung gerückt. Es werden für alle drei Handlungsebenen bedeutsame berufsfelddidaktische Anforderungsprofile und Kompetenzen entwickelt.

Im V. Teil werden anschließend exemplarisch auf allen drei Ebenen konkrete Umsetzungen in der Praxis der höheren Fachschulen beschrieben und illustriert. Die Beispiele beziehen sich auf den Bereich Technik.

Neben dem hier vorliegenden Hauptdokument können weitere Erkenntnisse sowie Good-Practice-Beispiele auf der Homepage www.berufsfelddidaktik.ch abgerufen werden. Dort ist auch ein in diesem Projekt entstandenes «Manual Berufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung» hinterlegt, das von Bildungsinstitutionen und der Fachöffentlichkeit genutzt werden kann.

1 www.k-hf.ch [15.5.2013].

Danksagung

Unser ausdrücklicher Dank gilt an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Dieter Euler sowie allen Expertinnen und Experten, die uns mit ihren Fragen, Anregungen, Impulsen und ihrer Kritik bei der Entwicklung einer Berufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung maßgeblich unterstützt haben. Für den weiteren Prozess wünschen wir uns eine aufmerksame und kritisch-konstruktive Auseinandersetzung.

I Entstehungshintergrund

1 1. Zur Ausgangslage: bildungsverantwortliches Handeln an höheren Fachschulen

Mit der Einführung neuer Rahmenlehrpläne, verbundpartnerschaftlich erarbeitet durch die Organisationen der Arbeitswelt (OdA), die höheren Fachschulen und das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT2), hat der Bund für die höhere Berufsbildung ein Leitbild formuliert (BBT, 2011a), das die beruflichen Kompetenzen in den Mittelpunkt aller berufspädagogischen Bemühungen rückt.

Dieser Anspruch verpflichtet die Bildungsgänge an höheren Fachschulen, ihre Bildungsangebote so anzulegen, dass sie zur erfolgreichen Bewältigung und Gestaltung verantwortungsvoller beruflicher Situationen qualifizieren. Eine einseitige, auf den Erwerb von fachlicher Kompetenz hin angelegte berufliche Bildung allein ist demnach nicht mehr hinreichend. Für die Weiterentwicklung der höheren Berufsbildung bedeutet dies, sich von der Fachdidaktik zu lösen und berufsfelddidaktische Konzepte zu entwickeln, die ihre Aufgabe in der Vermittlung der Kompetenz zum beruflichen Handeln sehen. Daraus ergibt sich für Berufsbildungsverantwortliche und Lehrpersonen an höheren Fachschulen die Notwendigkeit, über berufsfelddidaktische Kompetenzen zu verfügen.

Die Rahmenbedingungen für die Qualifikation der Lehrpersonen sind einerseits in der Verordnung des Department für Wirschaft, Bildung und Forschung WBF (des früheren EVD) über Mindestvorschriften für die Anerkennung von Bildungsgängen und Nachdiplomstudien der höheren Fachschule (MiVo-HF, 2005) und andererseits in den Rahmenlehrplänen für Berufsbildungsverantwortliche definiert (BBT, 2011a).

Im Rahmenlehrplan für die Lehrpersonen an höheren Fachschulen im Nebenberuf wird in dem Bildungsziel 7 die Fachdidaktik angesprochen. Der Rahmenlehrplan für Lehrpersonen an höheren Fachschulen im Hauptberuf beschreibt darüber hinaus ein Bildungsziel 6, das sich auf den Transfer von der Praxis in die Theorie und von der Theorie in die Praxis bezieht. Unbegründet bleibt aus unserer Sicht die Tatsache, dass ausgerechnet das Bildungsziel 6 keine Verankerung im Rahmenlehrplan für nebenberufliche Lehrpersonen gefunden hat.

 

Der Unterricht an höheren Fachschulen soll sich an Arbeitsprozessen orientieren (vgl. BBT, 2011a). Für die Gestaltung beruflicher Bildungsprozesse stellt sich die Frage, ob eine Fachdidaktik ein solches Ziel zu erreichen vermag. Im Zentrum beruflicher Bildung steht weniger ein Fach, als vielmehr das Berufsfeld. Eine Fachdidaktik, die ihre didaktischen Kategorien nur auf schulische Prozesse anwendet, ignoriert die Ansprüche der Berufspraxis. Das im Rahmenlehrplan für Lehrpersonen an höheren Fachschulen im Nebenberuf und im Hauptberuf formulierte Bildungsziel 7 (Die Inhalte des Lehrfaches theoretisch durchdingen und fachdidaktisch aufbereiten, BBT2001, S. 44; 48) bedarf daher der kritischen Reflexion und macht eine Klärung des Selbstverständnisses von Berufsfelddidaktik und damit zugleich auch eine Abgrenzung von der Fachdidaktik erforderlich.

Die höhere Berufsbildung ermöglicht Berufsleuten mit einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis eine Spezialisierung und eine Vertiefung ihres Kompetenzbereiches. Sie baut auf beruflichen Erfahrungen auf und verknüpft schulische und berufliche Praxis miteinander. Die Bildungsgänge an höheren Fachschulen (HF) richten sich an Berufsleute aus unterschiedlichen Bereichen resp. Fachrichtungen: Technik, Tourismus, Hotellerie und Hauswirtschaft, Bank und Finanzen, Land- und Waldwirtschaft, Gesundheit, Soziales, Erwachsenenbildung, Künste und Gestaltung, Transport und Verkehr und Sprachen. Diese Heterogenität macht es unmöglich, für jeden Einzelberuf eine Berufsfelddidaktik zu entwerfen.

Soll eine Berufsfelddidaktik als Leitbild für berufspädagogisches Handeln gelten, so stellt sich einerseits die Frage, wie es einer Berufsfelddidaktik gelingen kann, die berufsspezifischen Gegenstände und Fragestellungen sowie die Besonderheiten einzelner Bereiche resp. Fachrichtungen so aufzunehmen, dass sie einen Referenzrahmen für die kompetenzorientierte Bildung bietet. Andererseits stellt sich die Frage, in welcher curricularen und organisatorischen Form sich dies im Rahmen einer Ausbildung für Berufsbildungsverantwortliche in der höheren Berufsbildung als entsprechende Vorbereitung auf eine solche Funktion niederschlagen kann.

Grundlegend für die Entwicklung einer Berufsfelddidaktik erscheint es daher, ein Modell der Berufsfelddidaktik zu entwickeln, welches auf alle Fachbereiche transformierbar ist und über generische Leitfragen die Entwicklung einer berufsfeldspezifischen Berufsfelddidaktik anregt. Eine Berufsfelddidaktik in einem so verstandenen Sinne gibt also keine Antworten, sondern stellt Fragen und löst so Erkenntnis- und Entwicklungsprozesse aus.

Berufsfelddidaktisches Handeln findet in sehr differenzierenden Handlungsfeldern statt. Wird in diesem Verständnis »Berufsfelddidaktik« nur als Fach, das zu unterrichten ist, gesehen, so ist dieser Begriff zu reduziert. Eine Berufsfelddidaktik zeigt ihre Leistungen auf verschiedenen Ebenen. Auf Makroebene erfüllt sie wegweisende steuernde und kontrollierende Funktionen und spricht Organisationen der Arbeitswelt (OdA) in Zusammenarbeit mit den Bildungsanbietern an. Auf Mesoebene wohnt ihr eine curriculare Funktion inne und sie richtet sich an Bildungsverantwortliche, die an der Lehrplanentwicklung maßgeblich beteiligt sind. Auf Mikroebene entfaltet sie ihre berufsfeldspezifische didaktische Funktion und leitet Lehrpersonen zum konkreten unterrichtlichen Handeln an.

Eine Berufsfelddidaktik hat in übergeordnete bildungstheoretische und didaktische Theorien eingebettet zu sein und gleichzeitig über einen Situationsbezug eine Praxisrelevanz zu schaffen. Entsprechend müssen Berufsbildungsverantwortliche und Lehrpersonen an höheren Fachschulen über die nötigen Kompetenzen verfügen, eine eigene Berufsfelddidaktik zu entwickeln. Wenn dies gelingt, wenn eine generische Berufsfelddidaktik mit Qualifikationsprofil erschaffen wird, kann dies gewinnbringend für eine fundierte Bildungspraxis von Bildungsverantwortlichen und Lehrpersonen an höheren Fachschulen sein. Um diesem Anspruch gerecht zu werden,

 • muss die bestehende Berufswirklichkeit erfasst,

 • muss der Stand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ermittelt,

 • müssen Trends- und Entwicklungsanalysen vorgenommen und

 • die normative, bildungstheoretische Perspektive berücksichtigt werden.

Das verlangt ein theoretisch reflektiertes und systematisches Vorgehen, das nach derzeitigem Kenntnisstand bis anhin nirgendwo geleistet wurde.

1 2. Ziele und Ebenen der Berufsfelddidaktik an den höheren Fachschulen

Im Rahmen des Projektes «Berufsfelddidaktik in der höheren Berufsbildung, im Speziellen an den höheren Fachschulen» soll ein Modell der Berufsfelddidaktik entwickelt werden, das auf die verschiedenen Bildungsgänge der höheren Berufsbildung und deren Fachrichtungen transformierbar ist. Das Modell «Berufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung» nimmt die Voraussetzungen, Bedingungen und Perspektiven berufspädagogischen Handelns in den Blick. Es will Anleitungen zur berufsfelddidaktischen Analyse, Beschreibung, Reflexion und Konstruktion von beruflichen Lehr-Lern-Prozessen geben. Übergreifende Konzepte und Aussagen sollen in konkrete didaktische Erkenntnisse in Bezug auf berufliche Bildungsgänge bzw. bestimmte Fächer überführt werden.

Abbildung 1 zeigt die Berufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung und ihre Positionierung innerhalb der jeweiligen Handlungsebenen3 sowie die Verantwortungsbereiche der Akteure der höheren Berufsbildung.


Abbildung 1: Die Berufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung

Als Bildungsexperten (AdA-Anbieter; AdA = Ausbildung der Ausbildenden) werden Bildungsanbieter bezeichnet, die Lehrgänge für Lehrpersonen an höheren Fachschulen anbieten (z.B. EHB, PHZ, Akademie für Erwachsenenbildung [AEB], PH Zürich, PHSG, IWP-HSG, ZbW). Ihr Verantwortungsbereich ist auf der Metaebene angesiedelt, weil sie als Mittler Berufsfeldexperten wie auch Lehrpersonen im berufsfelddidaktischen Handeln qualifizieren.

Auf der Makroebene leitet die Berufsfelddidaktik dazu an, normative Grundlagen und didaktische Gestaltungsideen in Rahmenlehrplanvorgaben für die jeweiligen Bildungsgänge zu überführen. Berufsfeldexperten sind die Vertreter der Teilkonferenzen HF und Träger-OdA der Rahmenlehrpläne sowie Lehrende und Kursverantwortliche der Institutionen im Bereich der Teilkonferenzen. Sie entwickeln Rahmenlehrpläne innerhalb der entsprechenden Teilkonferenz HF auf der Grundlage der Berufsfelddidaktik.

Auf der Mesoebene wird die Lehrplanentwicklung auf der Grundlage der Vorgaben in den Rahmenlehrplänen jeweils für die spezifischen Bedürfnisse und Anforderungen der entsprechenden höheren Fachschulen ausgelöst.

Nebenberufliche und hauptberufliche Lehrpersonen und angehende Lehrpersonen an höheren Fachschulen entwickeln auf der Mikroebene, auf der Basis von Lehrplanentscheidungen, eine berufsfeldorientierte Unterrichtsdidaktik zur Analyse, Planung, Durchführung und Qualitätssicherung von Bildungsveranstaltungen.

1 3. Vorannahmen und Vorgehen bei der Entwicklung einer Berufsfelddidaktik

Bei der Entwicklung einer Berufsfelddidaktik sind wir von folgenden Vorannahmen ausgegangen: In der Berufsbildung ereignen sich allgemeine Bildungsprozesse «im Medium des Berufs» (Blankertz, 1982, zit. nach Darmann-Finck, 2010, S. 17). Für die Entwicklung einer Didaktik für die höheren Fachschulen bedeutet dies, nicht am Prinzip der Fachdidaktik festzuhalten (auch wenn es in den höheren Fachschulen noch sehr vertraut ist), sondern den Begriff der «Berufsfelddidaktik» zu wählen. Ausgangs- und Bezugspunkt beruflicher Bildung ist weniger das Fach, als vielmehr ein Berufsfeld. Berufsfelddidaktische Entscheidungen sind sowohl auf konkrete berufliche Anforderungen und Bedingungen als auch auf die in der Zielgruppe liegenden Voraussetzungen und Bedingungen auszurichten (vgl. Kuhlmeier & Uhe, 1998, S. 115; Euler & Hahn, 2007, S. 129ff.). Dieser ganzheitliche Anspruch einer beruflichen Bildung erfordert im didaktischen Entscheidungsprozess ein disziplinenübergreifendes Vorgehen, das zur Aufklärung und Bewältigung beruflicher Lebenssituationen beiträgt (vgl. Euler & Hahn, 2007, S. 130). Mit der Orientierung an Berufsfeldern ergibt sich für die zu entwickelnde Berufsfelddidaktik ein doppelter Handlungsbezug: die Unterrichtspraxis und die berufliche Praxis. Eine Berufsfelddidaktik mit diesem Anspruch führt nicht einfach eine inhaltliche Konkretisierung allgemeindidaktischer Vorgaben für Lehr-Lern-Prozesse durch, sie vollzieht auch nicht einfach eine didaktische Reduktion fachwissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden. Vielmehr resultiert hieraus der Auftrag, in den jeweiligen Berufsfeldern die Ziele, Inhalte, Methoden und Medien, jeweils konkretisiert an beruflichen Lehr- und Lernprozessen, zu analysieren.

Von diesen Vorannahmen ausgehend, wurde im Folgenden ein Vorgehen gewählt, das möglichst vielfältige Perspektiven für die Entwicklungsarbeit einzuholen versuchte (vgl. Abb. 2):


Abbildung 2: Mehrperspektivisches Vorgehen bei der Entwicklung der Berufsfelddidaktik

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Expertenprüfung)

Die Erstellung eines ersten Konzeptentwurfes erfolgte unter Berücksichtigung der aktuellen Bildungssteuerung der höheren Berufsbildung und auf Basis berufsbildungswissenschaftlicher Theorien und Modelle. Im Rahmen von Experten­hearings wurde der Konzeptentwurf mit Bildungswissenschaftlern diskutiert und validiert. Die Ergebnisse des wissenschaftlichen Diskurses fanden Eingang in die weiteren konzeptuellen Überlegungen.

Bildungsexpertinnen und Bildungsexperten (Ausbilder der Ausbilder, AdA)

Der Entwurf «Berufsfelddidaktik» wurde im Rahmen eines Workshops mit Berufsbildungsexperten von Institutionen, die Lehrgänge für Lehrpersonen an höheren Fachschulen anbieten (EHB, PHZ, AEB, PH Zürich, PHSG, IWP, ZbW), diskutiert. Ziel war es, weitere Impulse und Einschätzungen für die Erarbeitung einer «Berufsfelddidaktik in der höheren Berufsbildung – im Speziellen an den höheren Fachschulen» einzuholen.

Berufsexpertinnen und Berufsexperten (Vertreter der Teilkonferenzen und Träger der RLP)

Mit Vertretern der Teilkonferenz «Technik» wurde im Rahmen eines Workshops eine erste praktische Erprobung durchgeführt. Ziel war es, Fragen der Akzeptanz, der Praktikabilität, des Innovationspotenzials und der didaktischen Optimierung zu erörtern.

Lehrerinnen und Lehrer HF in Ausbildung

Durch die Einbindung von HF-Lehrpersonen in Ausbildung erfolgte eine Validierung aus einer weiteren Perspektive. Dies geschah über eine Umsetzung der berufsfelddidaktischen Konzeption in konkrete Bildungsmaßnahmen.

1 4. Bildungssteuerung der höheren Berufsbildung

Die höhere Berufsbildung ist im Berufsbildungsgesetz vom 13. Dezember 2002 explizit erwähnt (BBG, 2002; Dommann, 2006). Das Gesetz ist seit dem 1. Januar 2004 in Kraft. Bildungssystematisch ist die höhere Berufsbildung der Tertiärstufe 5B nach der ISCED-Systematik (International Standard Classification of Education) zuzuordnen (vgl. Abb. 3). Stufe 5B entspricht den berufsorientierten und praxisorientierten höheren Berufsausbildungen der Tertiärstufe im Gegensatz zu den akademischen Ausbildungen der Fachhochschulen und Universitäten. Die höhere Berufsbildung setzt sich gemäß Berufsbildungsgesetz aus den Berufsprüfungen, den höheren Fachprüfungen und den Ausbildungen an höheren Fachschulen zusammen. Sie schließen mehrheitlich an die duale respektive triale berufliche Grundbildung an. Berufsprüfungen und höhere Fachprüfungen werden über Prüfungsordnungen mit Wegleitungen und entsprechenden zentralen Prüfungen gesteuert. Schulen bereiten lediglich auf die eidgenössischen Prüfungen vor und qualifizieren bei modularen Prüfungsordnungen gewisse Vorleistungen. Im Gegensatz dazu sind die höheren Fachschulen schulgesteuert, die Schule nimmt also nach der Akkreditierung gemäß entsprechendem Rahmenlehrplan die Prüfungen selbst ab und kann die entsprechenden Diplome aushändigen.

 

Gemäß Bildungsstatistik umfasst dieser Bereich 47 Prozent (BFS, 2011) aller Bildungsabschlüsse im Tertiärbereich. Die Ausbildungen werden durch die OdA getragen und garantieren den hohen Stand des mittleren Kaders und der Leitung von kleineren Betrieben in der Schweiz (Dubs, 2005). Die fehlende Anerkennung der Abschlüsse in Europa wird bei der zunehmenden Personenfreizügigkeit als ein Problem dieser Ausbildungsstufe betrachtet (Dubs, 2005). Im Gegensatz zu den Fachhochschulen, die Forschung betreiben, konzentriert sich die höhere Berufsbildung auf eine praxisorientierte Lehre. Sie ist der letzte Transmissionsriemen des Innovationstransfers von der Grundlagenforschung über die angewandte Forschung zur theorieorientierten Praxisumsetzung. Es ist gut möglich, dass mit der zunehmenden Akademisierung der Fachhochschulen die höhere Berufsbildung für die KMU-Struktur der schweizerischen Wirtschaft an Bedeutung gewinnen respektive dass sie ihre Bedeutung behalten wird (Dubs, 2005; Gnägi & Schubiger, 2004). Die Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) und den entsprechenden nationalen Qualifikationsrahmen bieten für die Positionierung der höheren Berufsbildung der Schweiz die Gelegenheit, die Ausbildungsniveaus der höheren Berufsbildung mit andersartigen Ausbildungen in Europa zu vergleichen. Erleichternd für diesen Prozess ist zudem die aktuell stringent durchgeführte Makrosteuerung mit Outcome-Orientierung und entsprechender Arbeitsprozess- und Kompetenzorientierung bei neueren Berufsprüfungen und bei allen Rahmenlehrplänen der höheren Fachschulen. Wegweisend und impulsgebend für die Schweiz kann der im Zusammenhang mit der Einführung des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) getroffene Konsens, «Meister und Techniker dem gleichen Niveau zuzuordnen wie den Bachelor» (BMBF, 2012) sein. Mit dieser Entscheidung wird der hohe Stellenwert der beruflichen Bildung ausgewiesen und die Gleichwertigkeit von nicht akademisch und akademisch erworbenen Kompetenzen anerkannt. Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung und Studierfähigkeit können auch ohne formale Hochschulzugangsberechtigung studieren, und Personen mit nicht abgeschlossenem Studium (sogenannte Studienabbrecher) können ihre bereits erworbenen Kompetenzen in der beruflichen Bildung anerkennen lassen (BMBF, 2012).

Abbildung 3: Bildungssystem der Schweiz (EDK, o.J.)

Die berufliche Grundbildung und die höhere Berufsbildung sind klar durch eine Top-down-Steuerung (von oben nach unten) gekennzeichnet. Diese lässt sich grafisch etwa folgendermaßen skizzieren:


Abbildung 4: Berufsbildungssteuerung (Quelle: Schubiger, 2010b)

Lehrpersonen in der höheren Berufsbildung sind mehrheitlich nebenamtlich tätig. Das heißt, sie arbeiten in ihrem Arbeitsfeld und bringen von da auch ihre Expertenerfahrung für den Unterricht mit. Bis zur Einführung des Berufsbildungsgesetzes im Jahre 2004 war die berufspädagogische Qualifizierung von Berufsbildungsverantwortlichen in der höheren Berufsbildung nicht geregelt. In der Vergangenheit wurde das Lehrpersonal, wenn überhaupt, in kurzen Seminaren bei der Unterrichtsgestaltung unterstützt respektive dafür qualifiziert (Schubiger, 2002).

Aktuell wird die Qualifizierung von Lehrpersonen in der höheren Berufsbildung in unterschiedlichen Dokumenten geregelt und von verschiedenen Seiten gestaltet:

 • Berufsbildungsgesetz (BBG, 2002),

 • Berufsbildungsverordnung (BBV, 2003),

 • Verordnung des WBF (ehemals EVD) über Mindestvorschriften für die Anerkennung von Bildungsgängen und Nachdiplomstudien der höheren Fachschulen (MiVo-HF, 2005),

 • Rahmenlehrpläne für Berufsbildungsverantwortliche (BBT, 2011a),

 • EduQua: Qualitätslabel für Weiterbildungsinstitutionen (EduQua, 2004),

 • SVEB: Baukastensystem für die Ausbildung der Ausbildenden (www.alice.ch).Wie wird nun die Qualifikation von Lehrpersonen im geltenden Berufsbildungsgesetz und der entsprechenden Berufsbildungsverordnung geregelt?

Berufsbildungsgesetz

Das Berufsbildungsgesetz (BBG) von 2002 definiert allgemein die Anforderungen an die unterschiedlichen Kategorien der Berufsbildungsverantwortlichen.

Insbesondere hält Artikel 46 (Anforderungen an die Lehrpersonen) Folgendes fest: «Lehrkräfte, die in der beruflichen Grundbildung, der höheren Berufsbildung und der berufsorientierten Weiterbildung unterrichten, verfügen über eine fachliche und eine pädagogische und methodisch-didaktische Bildung. Der Bundesrat legt die Mindestanforderungen an die Bildung der Lehrpersonen fest.»

Interessant ist, dass im Gesetz die gesamte höhere Berufsbildung angesprochen wird, wogegen in den Verordnungen nur noch von Lehrpersonen an höheren Fachschulen die Rede ist. Die berufspädagogische Qualifikation wird der fachlichen Qualifikation gleichgestellt.

Berufsbildungsverordnung

Artikel 41 der Berufsbildungsverordnung (BBV) von 2003 hält fest, dass das Departement Mindestanforderungen an Lehrpersonen an höheren Fachschulen festlegt. Diese sind in der Verordnung über Mindestvorschriften für die Anerkennung von Bildungsgängen formuliert.

Artikel 48 BBV nennt die Inhalte der berufspädagogischen Bildung. Sie gehen allgemein von der Situation am Lern- und Arbeitsplatz aus und umfassen folgende Aspekte:

 • Berufsbildung und ihr Umfeld,

 • studierende Person,

 • Lehren und Lernen,

 • Umsetzung des Gelernten,

 • Rollenverständnis,

 • Umgang mit Studierenden,

 • Allgemeine Themen.

Artikel 49 BBV bildet die rechtliche Grundlage der Rahmenlehrpläne für Berufsbildungsverantwortliche.

Verordnung des WBF über Mindestvorschriften für die Anerkennung von Bildungsgängen und Nachdiplomstudien der höheren Fachschulen (MiVo-HF, 2005)

In Artikel 12 MiVo-HF werden die fachlichen und berufspädagogischen/didaktischen Anforderungen an die HF-Lehrpersonen formuliert. Für Lehrpersonen im Nebenberuf mit einem Pensum von durchschnittlich vier Wochenlektionen bis maximal fünfzigprozentiger Lehrtätigkeit wird eine berufspädagogische und didaktische Bildung von 300 Lernstunden verlangt. Für hauptberufliche Lehrpersonen an höheren Fachschulen ist ein Studium von 1800 Lernstunden vorgeschrieben.

Rahmenlehrpläne für Berufsbildungsverantwortliche

Die Rahmenlehrpläne des Bundes für Berufsbildungsverantwortliche beschreiben die Mindestanforderungen an die Ausbildungsgänge für alle Kategorien von Berufsbildungsverantwortlichen. Die Rahmenlehrpläne orientieren sich am Konzept der Lernstunden. Die angegebenen Zahlenwerte umfassen sämtliche Lernleistungen wie Selbststudium, Praxis und Qualifikationstätigkeiten. Strukturell sind die Lehrpläne aus den drei Ebenen Bildungsziele, Inhalte und Standards aufgebaut. Die Standards beschreiben die professionellen Routinen (BBT, 2011a) eines entsprechenden Berufsbildungsverantwortlichen, die im Rahmen einer Qualifikation aufgebaut, geübt und überprüft werden müssen.

Im Rahmen der Professionsforschung und bei der Überprüfung der Wirksamkeit der Lehrerbildungssysteme (Oser, 2001) ist das Konzept der Standards in der Lehrerbildung verbreitet. Nach Oser sind Standards keine kognitiven Leistungen oder Fähigkeiten. Er versteht sie als berufsrelevante, performanzorientierte Kompetenzen, wobei ein Anspruch auf theoretische Begründung, empirische Ergebnisse, an Qualitätsüberprüfung und Relevanz in der gelebten Praxis erfüllt werden muss (a.a.O.).

Im Rahmenlehrplan für die Lehrpersonen an höheren Fachschulen im Nebenberuf werden das Bildungsziel 7 und der entsprechende Standard folgendermaßen formuliert (BBT, 2011a, S. 44).


Bildungsziel 7Die Inhalte des Lehrfaches theoretisch durchdringen und fachdidaktisch aufbereiten.InhalteReflexion der spezifischen Inhalte des Faches, der berufspädagogisch-theoretischen Denkweise und der fachdidaktischen Umsetzung.Standard 7.1Nebenberufliche Lehrpersonen an Bildungsgängen der höheren Fachschulen erarbeiten die Inhalte und die Didaktik ihres Lehrfaches so, dass sie es verstehen, die beruflichen Inhalte mit den berufspädagogischen Handlungskompetenzen zu verbinden.

Im Rahmenlehrplan für hauptberufliche Lehrpersonen an höheren Fachschulen wird dasselbe Bildungsziel 7 mit dem zugehörigen Standard 7.1 ausgewiesen. Hinzu kommt das Bildungsziel 6 mit den entsprechenden Standards (BBT, 2011a, S. 47f.):


Bildungsziel 6Den Transfer von der Praxis in die Theorie und von der Theorie in die Praxis beherrschen.InhalteStudierende in ihrem Beruf abholen; die berufliche Erfahrung und die Weiterbildungswünsche einschätzen und für weitere Lernprozesse verwenden; Vertiefung und Generalisierung von Gelerntem; Basis für neues praktisches und theoretisches Lernen; Einbezug der angewandten Forschung.Standard 6.1Hauptberufliche Lehrpersonen an höheren Fachschulen knüpfen an die berufliche Praxis der Studierenden an und bringen deren am Arbeitsplatz erworbene Erfahrung (situatives und informelles Lernen) in einen fachtheoretischen und branchenspezifischen Zusammenhang.Standard 6.2Sie organisieren das Lernen als Ausgangspunkt für weitere berufliche Problemlösungen in der Ausbildung und für lebenslanges Lernen der Studierenden.Standard 6.3Sie verwenden exemplarische Beispiele und erarbeiten anhand ausgewählter Situationen den Bezug sowohl zum Betrieb, zum Berufswissen und -können als auch zur angewandten Forschung heraus.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?