Erotische Erzählungen

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Erotische Erzählungen

Erotische Bibliothek

Band 2

Klabund

Erotische Erzählungen

Erstmals erschienen 1920

© Lunata Berlin 2019

Inhalt

Abenteuer

Das Lächeln der Margarete Andoux

Der Jockey

Der Kammerdiener

Der kleine Lorbeer

Das Mädel

Marietta

Professor Runkel

Der braune Teufel von Adrianopel

Weibertreu

Über den Autor

Die erotische Bibliothek

Abenteuer

Konrad war so betrunken, dass er jeder weiblichen Gestalt, die sich in den nächtlichen Straßen zeigte, nachschoß, sie überholte, unter einer Laterne stehenblieb, um sie zu betrachten, und entsetzt zurückfuhr. Nun verfolgte er einen Backfisch, der von einer Gesellschaft kam und vom Dienstmädchen nach Hause begleitet wurde. Sie erwiderte seine Blicke kühl und neugierig. Aber plötzlich fehlte ihm der Mut, sie anzusprechen. Er konnte sich nicht aufraffen und bog mechanisch in eine Nebenstraße ein.

Er war ein paar Schritte gegangen, als er hinter einem Parterrefenster einen roten Vorhang leuchten sah. Also musste Licht dahinter sein.

Das ist etwas, dachte er, er wußte selbst nicht, warum, und klopfte mit dem Spazierstock leise an das Fenster. Einmal, zweimal.

Mein Gott, dachte Esther, sollte es ein Freund von Kurt sein? Sie warf sich ein Tuch um die nackten Schultern und spähte durch die Vorhangspalte. Sie sah nur einen undeutlichen Schatten. Sie öffnete das Fenster ein wenig.

«Wer ist da?»

«Ich will herein», sagte Konrad, «mach auf!»

Sie stieß das Fenster zurück und beugte sich leise hinaus. Da blickte sie in sein heißes, erregtes Gesicht, seine gierig gespannten Augen und hörte seine Stimme vibrieren. Er ließ den Stock fallen und hob beide Arme wie ein Adorant: «Du ...»

Es betörte sie: die dämmerig-lüsterne Straße, der wilde Liebhaber und die ganze prickelnde Situation: jeden Augenblick konnte Kurt hereintreten und sie ertappen.

Er saß zwar drüben im Arbeitszimmer und schrieb an einer Abhandlung, er konnte noch stundenlang schreiben – er saß oft bis zum Morgengrauen über seinen Manuskripten –, aber er konnte ebensogut jeden Augenblick die Tür öffnen.

Sie schlich zur Tür und horchte in den Korridor.

Dann verriegelte sie vorsichtig, tappte über den Teppich zum Fenster und sagte: «Du musst durchs Fenster steigen.»

Mit einem Schwung war Konrad im Zimmer.

Und als er die schöne Frau erblickte, die im Nachtkittel, mit einer spitzen Haarfrisur, schwarzen, schmalen Augen und einer blaßgelben, weichen Stirn vor ihm stand wie ein Bild aus einem japanischen Holzschnitt – da wurde er nüchtern von seiner Trunkenheit und rasend vor Liebe.

Ächzend preßte er seinen Kopf an ihre Brust.

«Still, Liebster», sie küßte sein Haar, machte sich zärtlich von ihm los und trippelte lauschend zur Tür. Dann griff sie rechts an die Wand und knipste das elektrische Licht aus.

Konrad ging denselben Weg durchs Fenster, den er gekommen war, eine blaue Seidenschleife vom Halsbesatz ihres Nachtkittels in der Faust.

«Was ist denn das?» sagte Kurt, während er sich das Oberhemd auszog, «da fehlt ja an deinem Halskragen die blaue Schleife?»

«Ja», sagte Esther gleichgültig und tastete an den Hals, dass ihre Fingerspitzen mit den Brüsten spielten, «die Wäscherin ist zu nachlässig. Da hat sie wieder die Schleife vergessen ...»

Das Lächeln der Margarete Andoux

Für Fiete Wilhelm

Sie war die Urenkelin französischer Emigranten

Margarete Andoux' Lächeln hing wie ein ewiger Frühlingshimmel über der kleinen Stadt. Was wäre die kleine Stadt ohne Margarete Andoux' Lächeln? Wer wüßte von ihr? Von ihrem polnisch zischenden Namen, ihren schmutzigen, gleichgültigen Straßen? Wie könnte ich eine Geschichte von ihr erzählen, wenn Margarete Andoux nicht wäre? Ihr Lächeln flatterte in die dunstigen Kontore, die schlecht belichteten Läden, die engen und trüben möblierten Zimmer. Durch die Fenster der Schulhäuser, wenn sie auch zur Hälfte geweißt waren, damit kein Unaufmerksamer seine Blicke auf die Gasse spazieren schicke, glitt dieses Lächeln wie Morgensonne in die kahlen Räume. Der Lehrer rückte unruhig und verlegen an seiner Doublébrille und zwinkerte mit den Augen, als ob ihm ein Insekt hineingeflogen wäre. Die halbwüchsigen Schüler aber, diese Bengel, die eben erst anfingen, sehen, hören und fühlen zu lernen, saßen steif und verdutzt da und trieben in ihren dummen Seelen andächtigen Unfug mit Margarete Andoux' Lächeln.

Schon der Name, wenn man ihn wie eine Delikatesse in den Mund nahm: Margarete Andoux. Die Zunge streichelte ihn und wollte ihn nicht loslassen und hielt ihn zurück, bis er sich endlich löste und in einem Durmoll – «doux» – hinstarb, das in ein flehendes «du» hinüberglitt.

Alle liebten sie Margarete Andoux. Der zwergige, aber großspurige Tuchfabrikant Kellermann, der das Geschäft von seinen Vätern geerbt hatte, nie aus der Kleinstadt herausgekommen war, aber in der Stadtverordnetenversammlung ein gewaltiges Maul führte, er schrumpfte samt seinem Maul in ein wahrhaftes Nichts zusammen, wenn er Margarete Andoux begegnete, und trug seinen Hut wie vor der Muttergottes mindestens zehn Minuten in den Händen, ehe er ihn wieder aufsetzte. Er liebte Margarete Andoux. Der geistvolle Oberlehrer Klingebiel, der den Doktor, viele Reisen und in einer achtjährigen Ehe sieben Kinder gemacht hatte: er liebte Margarete Andoux. Der Bäckerjunge, der die Semmeln zu Margarete Andoux' Tante brachte, bei der sie wohnte: er liebte sie. Der Tapezierer, der die Gardinen feststecken kam, der Ofensetzer, der Bürgermeister, der kleine, schüchterne Sekundaner Bregler, der täglich zum lieben Gott betete, er möge ihn so schön wie Schiller dichten lassen, der versoffene Stadtlump und verkommene Uhrmacher, genannt «der schöne Oskar», der Student der Theologie Herr Böserle, der Apothekerlehrling – alle, alle liebten sie Margarete Andoux.

Die Frauen aber haßten Margarete Andoux und ihr Lächeln, das ihnen die Augen und Herzen ihrer Männer abspenstig machte. Am meisten aber war Margarete Andoux gehaßt von Isabelle Kersten. Das war das zweitschönste Mädchen der Stadt und ihre beste Freundin. Damals hockte in der kleinen Stadt ein verbummelter Student der Jura, der wohl zwölf Semester auf seinem krummgebogenen Rücken schleppte. Nachdem sein Vater erst kürzlich fünftausend Mark Schulden schweren und schmerzenden Herzens für ihn bezahlt hatte – gab er ihm nun zum letzten Male Geld, dass er sich in der Ruhe der Ländlichkeit auf sein Examen vorbereite.

Adalbert Klinger trug kreuz und quer lange und kurze Schmisse von seiner Burschenschaftszeit her auf der linken Wange und auf der Stirn, die unnatürlich tiefrot, wie mit roter Tinte gezeichnete Striche, auf der blaßgelben Haut lagen. Der Alkohol trieb sie auf. Adalbert Klinger soff. Aber seine ruhigen, braunen, halbzugekniffenen Augen und der sinnliche, etwas schiefe Mund übten eine verwirrende Wirkung auf die Frauen. Alle Frauen der kleinen Stadt liebten ihn, den die Männer wegen seiner schlaffen Unfähigkeit zur Arbeit verachteten. Des Hasses hielten sie ihn nicht einmal wert. Am meisten aber liebte ihn Isabelle Kersten.

Dieser Adalbert Klinger allein von allen Männern grüßte Margarete Andoux nicht. Er sah nicht einmal hin, wenn er ihr auf der Straße begegnete, den Mantelkragen aufgeklappt, den Oberkörper nach vorn gebeugt, die Zigarette im Mundwinkel.

Margarete Andoux wunderte sich. Sie nahm sonst Huldigungen lächelnd, selbstverständlich entgegen. Warum grüßte sie dieser... dieser Mensch nicht? Kannte er sie nicht? Er kannte doch alle Frauen der Stadt und grüßte sie. Und die Mädchen waren insgesamt in ihn verliebt – wie konnte er sich erfrechen, sie zu übersehen?

Sie sprach mit Isabelle Kersten, die im geheimen Triumph und Schadenfreude empfand.

«Er kennt dich wahrscheinlich nicht», sagte Isabelle Kersten. «Ist er dir schon vorgestellt? Nein? Na also.»

Zum Promenadenkonzert, das die Stadtkapelle sonntags auf dem Marktplatze veranstaltete, spazierten Margarete Andoux und Isabelle Kersten weißviolett Arm in Arm.

Adalbert Klinger trottete des Weges.

«Paß auf», sagte Isabelle Kersten. «Er kennt mich, er –»

Isabelle Kersten erbleichte. Adalbert Klinger war vorbei und hatte nicht gegrüßt. Sie warf die Schuld auf ihre Freundin.

«Er leidet dich nicht», meinte sie spöttisch.

Margarete Andoux zuckte die Achseln und schwieg nachdenklich. Was hatte er gegen sie? Und wie sie sich mühte und kämpfte, ihre Gedanken kamen nicht von ihm los. Sie litt, aber sie wußte sich nicht zu helfen. Sie fühlte einen Zwang in sich, Adalbert Klinger innen und außen zu betrachten. «Ich werde ihn zu Ende denken», dachte sie.

 

Und sie lag die Nacht wach und grübelte.

Schatten flogen über sie hin, und in den Dingen war ein dunkles Summen und Singen. Wo habe ich diese eintönige Melodie schon gehört? Es ist nur ein Ton und doch eine Melodie. Und niemand kennt den Ton. Alle haben ihn in sich, und keiner kann ihn sagen oder singen.

Margarete Andoux wurde unruhig. Diesem Manne gegenüber, der sie nicht kannte und dem ihr Lächeln gleichgültig war, verlor sie ihre Sicherheit. Sie empfand schreckhaft, wie sie sich mit ihm beschäftigte und in ihn hineinsank.

Sie suchte nun, ihn auf der Straße zu treffen, lief im Regen an seiner Parterrewohnung ohne Schirm vorbei, dass er hinauskommen möge und ihr seine Begleitung anbiete. Sie erfuhr, wann er zum Dämmerschoppen ging, und lauerte ihm förmlich auf. Wenn er sich näherte, lächelte sie. Das Lächeln bat um Mitleid. Ohne sie anzusehen oder den Kopf zu wenden, schlenkerte er an ihr vorbei. Sie fieberte: was wollte er von ihr? Was schlug er sie, was trat er sie mit Füßen? – Und sie erniedrigte sich so weit, sich nach ihm umzublicken und auf der Gasse stehenzubleiben, bis seine grau schwankende Silhouette in einem Hause verschwand.

Eines Tages saß sie auf dem Balkon. Er bog unten um die Ecke. Sie ließ schnell einen Handschuh vor ihm auf das Pflaster fallen. Er hob ihn nicht auf. Sie biß in ihr Taschentuch vor wütender Enttäuschung und krampfte sich in Tränen. Was nutzte ihr schönes, reizendes Lächeln, wenn es alle Männer verführte, nur diesen einen nicht, den es so schmerzlich ersehnte. Um Gottes willen, ich liebe ihn doch nicht, unterbrach sie ihre Gedanken. Nein, nein, sie lachte, ich ärgere mich nur rasend, dass er mich nicht sehen will. Denn das eine weiß ich jetzt ganz genau: er will mich nicht sehen.

Und sie sann, wie sie ihn zwingen möchte, dass er sie ansähe. O wie sie ihn haßte!

Vor der Stadt, auf dem Oderdamme, begegneten sich Adalbert Klinger und Margarete Andoux. Es war Winter und Glatteis. Margarete Andoux stolperte und fiel. Adalbert Klinger schob seinen Kopf tiefer in den Mantel, pfiff leise durch die Zähne und stierte nach dem Strom, der Grundeis führte. Margarete Andoux musste sich selbst auf die Beine helfen.

Wie ich mich behandeln lasse, wie ich mich behandeln lassen muss, knirschte sie und weinte.

Eines Abends nach neun schellte es an der Wohnung des Studenten. Adalbert Klinger warf die «Contes drolatiques», die er eben gelesen, aufs Bett, nahm einen hastigen Schluck aus seinem Humpen und öffnete.

«Bitte, treten Sie nur näher, Fräulein», sagte er höflich, «Sie wünschen?»

Margarete Andoux stand vor ihm. Ihre Lippen zitterten, und ihre Hände griffen nach einem Halt in der dröhnenden Leere. «Darf ich Ihnen beim Ablegen behilflich sein?» Er zog ihr das Jackett aus. Dann führte er sie zum Sofa und holte aus dem Glasschrank eine Flasche Sekt und zwei Gläser.

Margarete Andoux lächelte.

Drei Tage später betrank sich der Student der Jura im zwölften Semester Adalbert Klinger an seinem Stammtisch bis zur Besinnungslosigkeit. Er hatte seine Wette glänzend gewonnen. Die Flasche Sekt an jenem Abend hatte er schon auf sein Gewinnkonto vorweggenommen.

Auf dem Heimweg schlug er mit dem Schädel aufs Pflaster und blieb liegen. Er starb am nächsten Tage an Gehirnerschütterung.

Margarete Andoux ging in die Leichenhalle, wo er in einem weißen, reinlichen Hemd aufgebahrt lag. Seine Schmisse glänzten blassviolett auf der wächsernen Haut.

Am oberen Hals, fast unsichtbar, zeichnete sich eine kleine, anscheinend frische, zackige Narbe ab, als hätte eine Ratte oder Katze sie hineingebissen.

Und Margarete Andoux lächelte.

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