Murphy und die Macht der Finsternis (Dämonenjäger Murphy)

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Murphy und die Macht der Finsternis (Dämonenjäger Murphy)
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Alfred Bekker



Murphy und die Macht der Finsternis (Dämonenjäger Murphy)



Horror





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Inhaltsverzeichnis





Titel







Alfred Bekker: Murphy und die Toten von Dunbury







Alfred Bekker: Murphy und die Mumien







Impressum neobooks







Alfred Bekker: Murphy und die Toten von Dunbury



Nebelschwaden hingen tief über der verwitterten Kirche von Dunbury. Das graue, windschiefe Gemäuer bildete das Zentrum der kleinen südenglischen Ortschaft. Um die Kirche herum befanden sich knorrige, grotesk verwachsene Bäume, deren Kronen die Gräber des örtlichen Friedhofs überspannten.



Eine durchdringende feuchte Kühle herrschte an diesem Morgen. Das gesamte Gelände war mit Flatterband abgesperrt und ein einzelner uniformierter Polizist hielt Wache. Sein Name war Constable Kenneth Jones.



Er stand noch ganz unter dem Eindruck des Grauens, das er hatte mit ansehen müssen. Jones war 45 und hatte Jahrzehnte Diensterfahrung hinter sich. Aber als der völlig verängstige Kirchendiener ihn gerufen und zu der furchtbar zugerichteten Leiche geführt hatte, war der Anblick selbst für Jones ein Schock gewesen.



Ein Motorengeräusch drang durch den Nebel.



Zwei Scheinwerfer tauchten als verwaschener Lichtflecken auf.



Jones atmete schwer. Seine Haltung straffte sich etwas.



Ein blauer Ford hielt vor der Kirche. Die Türen öffneten sich. Zwei Männer stiegen aus. Der Größere war dunkelhaarig und hatte den Kragen seiner Lederjacke hochgeklappt. Jones schätzte ihn auf Ende dreißig. Der Kleinere war jünger. Das blonde Haar war kurzgeschoren.



Jones ging den beiden entgegen.



“Sind Sie die Leute von Scotland Yard, auf die ich gewartet habe?”, fragte der Uniformierte.



Der Größere zog seinen Ausweis hervor. “Ich bin Chief Inspector David Murphy und dies ist mein Kollege Jim Allistair.“



Es war nicht schwer für Murphy, die Identität eines Chief Inspectors anzunehmen und alle glauben zu lassen, dass er tatsächlich nichts anderes war.



Allerdings war die Aufgabe, vor der der Dämonenjäger vom Orden des Weißen Lichts stand in diesem Fall etwas komplizierter.



Ein magischer Bann ließ ihn für eine gewisse Weile selbst glauben, ein gewöhnlicher Polizist zu sein.



Das war Tarnung, denn andernfalls hätte er die allgegenwärtigen Dämonen der Dämmerung nicht täuschen können.



Der Nachteil war, dass er keinerlei Magie anwenden konnte.



Murphy wusste noch nicht einmal, dass es Magie gab und wie wirksam er sie in anderen Situationen schon gehandhabt hatte.



Da war nur eine schwache Ahnung.



Eine Ahnung von etwas, das tief in ihm verschüttet war. Eingekapselt in den Untiefen seines Geistes. Er konnte nur hoffen, dass es dort nicht entdeckt wurde... Nein, er würde sich vollkommen auf konventionelle non-magische Mittel verlassen müssen und nicht einmal einen Gedanken an magische Energien verschwenden dürfen.



„Constable Jones?”, fragte Murphy.



“Der bin ich.”



“Ich nehme an, die Kollegen vom Erkennungsdienst und der Gerichtsmedizin sind noch nicht hier.”



“Sie sind die Ersten. Ich hoffe nicht, dass Ihre Kollegen sich im Nebel verfahren haben.”



“Führen Sie uns bitte zur Leiche, Constable”, forderte Murphy.



Jones nickte. Es war ihm anzusehen, welche Überwindung es ihn kostete, zum Tatort zurückzukehren. “Machen Sie sich auf einiges gefasst, Gentlemen.”



Jones führte sie über einen mit vermoosten Steinplatten gepflasterten Weg zwischen den Gräbern hindurch. Der Boden musste sich im Laufe der Jahre an manchen Stellen abgesenkt haben, sodass einige der Steine ziemlich schief standen.



Hinter einem der knorrigen Bäume fanden sie dann den Toten --- oder das, was noch von ihm übrig war.



Die Kleidung war zerrissen.



Darunter kamen blanke Knochen zum Vorschein.



Die Leiche war bis auf einen Arm regelrecht skelettiert worden.



Das Schlimmste war der Anblick des Gesichts.



Die leeren Augenhöhlen...



Dazu der bestialische, scharfe Geruch, der in der Luft hing und nichts mit dem normalen Leichengeruch zu tun hatte.



Chief Inspector David Murphy musste unwillkürlich schlucken.



“Wer hat den Toten gefunden?”, fragte Murphy knapp.



“George McCoy, der Kirchendiener”, antwortete Constable Jones mit tonloser Stimme. Er vermied es sichtlich, zu dem Toten hinzusehen.



“Ich möchte mit ihm sprechen.”



“Er ist in die Kirche gegangen. Ich fürchte, er steht unter Schock, Chief Inspector.”



Murphy nickte leicht.



Etwas hielt seinen Blick plötzlich gefangen.

In

 der Leiche bewegte sich etwa. Ein Käfer, etwa so groß wie ein Daumennagel kletterte zwischen Rippenknochen und Kleiderfetzen hindurch. Er schimmerte golden. Sein Chitin-Panzer hatte schwarze Streifen. Er rieb die Beißwerkzeuge gegeneinander und begann damit, an dem blanken Rippenknochen zu nagen.



“Hast du den Käfer gesehen, Jim?”, wandte sich Murphy an seinen Assistenten Jim Allistair.



“Welchen Käfer, Chief?”



Murphy ging in die Hocke.



Der Käfer verschwand im Inneren des Leichnams.



In diesem Augenblick waren die Geräusche mehrerer Wagen zu hören. Türen klappten.



“Das müssen die Kollegen sein”, meldete sich Allistair zu Wort.





*





Wenig später tummelte sich etwa ein Dutzend Beamte auf dem Friedhof. Ein Team des Erkennungsdienstes von Scotland Yard war ebenso dabei wie ein Gerichtsmediziner.



Unter den zerfetzten Kleidern des Toten wurden Reste seiner Papiere gefunden, die eine Identifizierung gestatten. Der Name des Unglücklichen war Roger Thompson. Er stammte aus Dunbury und war vierzig Jahre alt.



Chief Inspector David Murphy betrat die Kirche, um mit dem Mann zu sprechen, der den Toten gefunden hatte.



George McCoy saß in der ersten Kirchenbank. Er starrte auf das große Kreuz über dem Steinaltar. Seine Augen waren weit aufgerissen, das Gesicht bleich wie die Wand.



Er murmelte fortwährend vor sich hin.



Murphy verstand nur Bruchstücke davon.



“Erlöse uns von dem Bösen... Herr, lass es nicht zu, dass das Grauen wieder erwacht... ist Dunbury nicht genug gestraft worden?”



Wie in einer Litanei ging das immerfort so weiter.



McCoy schien völlig entrückt zu sein.



Murphy fragte sich einen Augenblick, ob es überhaupt Sinn hatte, ihn jetzt anzusprechen. Aber dann entschied er sich trotz allem dafür. McCoy war der wichtigste Zeuge.



“Mr. McCoy?”



“Herr, erlöse uns und bewahre uns vor dem Schrecken dieser Nacht.”



Tränen rannen ihm über das Gesicht. Ein Zittern durchlief seinen gesamten Körper. Dieser Mann brauchte dringend psychologische Hilfe. Aber andererseits war er für Murphy der wichtigste und bislang einzige Zeuge in diesem besonders grausigen Mordfall. Einem Fall, der nicht der erste seiner Art war...



Alle äußeren Umstände sprachen dafür, dass er in eine Serie von rätselhaften Todesfällen in der Gegend um Dunbury gehörte. Die Opfer waren allesamt beinahe vollständig skelettiert worden, so als hätten Tiere die Toten ausgeweidet und ihre Knochen regelrecht abgenagt. Außerdem waren jedes Mal bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung Spuren einer sehr starken Säure gefunden worden, nach deren Herkunft nun schon seit drei Jahren vergeblich gefahndet wurde. Es handelte sich um eine Substanz, die chemisch gesehen der Ameisensäure sehr ähnlich war, aber eine sehr viel stärkere zersetzende Wirkung aufwies.



Chief Inspector Nolan O’Leary hatte den Fall mit großer Akribie bearbeitet, hatte die Umstände dieser Todesfälle aber letztlich nicht aufklären können. Vor einigen Wochen war O'Leary in Pension gegangen. David Murphy hatte den Fall der skelettierten Leichname gewissermaßen von O'Leary geerbt.



Murphy war nicht besonders glücklich darüber.



An diesem Fall konnte man sich eigentlich nur die Finger verbrennen und am Ende als unfähiger Ermittler dastehen. Es gab Aktenordner voller Ermittlungsergebnisse, aber keine Antworten auf die bohrenden Fragen. Woher kam die Säure? Was hatte sich wirklich am jeweiligen Tatort ereignet? Die Theorie eines Boulevardblattes, wonach die Opfer von einem Wahnsinnigen bei lebendigem Leib in ein Piranha-Bad geworfen worden waren, ehe ihre sterblichen Überreste dann irgendwo in der Gegend um Dunbury abgelegt wurden, würde jetzt erneut durch die Medien geistern.



Murphy musterte seinen bislang einzigen Zeugen.



Vielleicht muss ich mehr Geduld haben!,

 ging es ihm durch den Kopf.

Du hast nur einen Zeugen! Behandle ihn also so behutsam, wie irgend möglich!



McCoy atmete schwer.



Murphy sprach McCoy an.



“Ich bin Inspector Murphy von Scotland Yard. Ich weiß, dass es Ihnen schwer fallen wird, über das zu reden, was Sie gesehen haben, aber vielleicht könnten Sie mir trotzdem ein paar Angaben machen. Je mehr Informationen wir..."



“Das Grauen...", flüsterte McCoy plötzlich. Murphy war sich nicht sicher, ob ihn der Kirchendiener überhaupt verstanden hatte. Zu entrückt wirkte der hagere Mann. “Das Grauen kehrt zurück nach Dunbury... Wir sind gestraft für unsere Sünden. Mein Gott, welche Schuld mögen wir nur auf uns geladen haben, um diesen Fluch zu verdienen!”

 



“Von welchem Fluch sprechen Sie?”, erkundigte sich Murphy.



Ein Ruck ging durch den hageren Kirchendiener.



Murphy glaubte schon, jetzt den richtigen Dreh gefunden zu haben, um diesen völlig aus der Bahn geworfenen Mann richtig anzusprechen.



Aber er täuschte sich.



“Gehen Sie, Inspector. Es ist besser, wenn Sie Dunbury so schnell wie möglich wieder verlassen. Das Böse lauert hier! Dies ist eine Stadt Satans!”



Murphy blieb ruhig.



Er versuchte Verständnis zu signalisieren. “Was Sie mit ansehen mussten, als Sie den Toten fanden, war furchtbar. Ich bin hier, um aufzuklären, was passiert ist. Also helfen Sie mir bitte.”



McCoy presste die Lippen aufeinander und nickte. “Entschuldigen Sie, Chief Inspector...”



“Dafür brauchen Sie sich nicht zu entschuldigen. Mir hat sich bei dem Anblick auch der Magen umgedreht. Der Mann hieß Roger Thompson. Wir haben seine Papiere gefunden – oder besser gesagt das, was dieser unheimliche Killer davon übrig gelassen hat!”



“Die Schreie haben mich geweckt”, berichtete der Kirchendiener. Sein Blick war starr. Er sah auf einen imaginären Punkt auf dem Boden. “Es waren so furchtbare Schreie... Sie können sich das nicht vorstellen. Ich ging zum Fenster und sah Roger Thompson auf den Friedhof zu rennen.” McCoy schluckte. Ein erneutes Zittern durchlief seinen gesamten Körper.



“Was geschah dann?”, hakte Murphy nach.



“Wie gesagt, Roger lief auf den Friedhof zu, als ob der Teufel hinter ihm her wäre. Mein Gott, und das war er auch!

Etwas

war hinter ihm her und...” McCoy stockte. Kalter Angstschweiß brach ihm aus. Er schüttelte stumm den Kopf. Seine Lippen krampften sich zusammen. Tränen rannen über sein Gesicht.



“Reden Sie weiter, McCoy?!”, forderte Murphy eine Spur zu ungeduldig. “Was haben Sie gesehen?”



“Roger verschwand hinter den Bäumen”, fuhr der Kirchendiener stockend fort. “Ich konnte ihn nicht mehr sehen, aber nur Augenblicke später hatte

es

 ihn eingeholt. Die Schreie... mein Gott... Ich hätte hinausgehen und Roger helfen müssen. Wir waren befreundet und kennen uns seit unserer Kindheit!” Der Mann weinte jetzt wie ein Kind. Schließlich setzte er seinen Bericht stockend fort. “Ich... ich konnte nichts für ihn tun! Als ich die Schreie hörte, war ich wie gelähmt.”



“Sie sprachen eben von einem Verfolger...”, erinnerte Murphy den Kirchendiener.



George McCoy sprang auf, wich mehrere Schritte von Murphy fort und hob die Hand, als müsste er sich gegen den Chief Inspector schützen.



“Gehen Sie!”, keuchte er. “Oder auch Sie werden dem Bösen zum Opfer fallen...”



“Was ist dieses Böse, von dem Sie sprechen, McCoy?”, schrie Murphy den Kirchendiener an. “Stehen Sie nicht so wie das Kaninchen vor der Schlange, sondern reden Sie endlich!”



Murphy erhob sich.



Er trat entschlossen auf den völlig orientierungslosen McCoy zu und fasste ihn bei den Schultern.



“McCoy, jetzt packen Sie schon aus! Sagen Sie mir, was mit Roger Thompson geschehen ist! Finden Sie nicht, dass Sie das einem Mann schuldig sind, den Sie von Kindesbeinen an kennen?”



McCoy hob den Blick.



“Sie würden mir ja doch nicht glauben!”, behauptete er. Er riss sich los und rannte in Richtung der Kirchentür. Jim Allistair kam ihm entgegen. Der Scotland Yard-Beamte schickte sich an, ihn aufzuhalten, aber Murphys Ruf hielt ihn davon ab.



“Lass ihn, Jim!”



Allistair wich zur Seite.



Wie von Furien gehetzt rannte McCoy auf die Kirchentür zu, riss sie knarrend auf und stürzte hinaus ins Freie.



“Was war denn mit dem los?”, erkundigte sich Allistair, nachdem Murphy seinen Kollegen erreicht hatte.



Der Chief Inspector zuckte die Achseln. “Ich blicke da noch nicht durch”, bekannte er.





*





Wenig später verließen Murphy und Allistair die Kirche. Die Kollegen des Erkennungsdienstes suchten das gesamte Gelände nach Spuren ab. Zentimeter für Zentimeter.



Gleichzeitig bemühte sich das Team des Gerichtsmediziners darum, Roger Thompsons sterbliche Überreste in einen Metallsarg zu schaffen.



Murphy verspürte nicht die geringste Lust dazu, sich das genauer anzusehen. Von dem Anblick der skelettierten Leiche war ihm ohnehin schon jeglicher Appetit vergangen.



Aber er hatte keine Wahl.



Dr. Johnson, ein schlaksiger Mann Anfang dreißig, winkte Murphy herbei. “Kommen Sie!”, rief der Gerichtsmediziner.



Als Murphy ihn erreichte, hielt er ihm eine kleine, durchsichtige Plastiktüte hin. “Das haben wir in der Leiche gefunden!”, erklärte Dr. Johnson.



Murphy zog die Augenbrauen zusammen. Eine tiefe Furche bildete sich mitten auf seiner Stirn. “Ein Käfer!”, entfuhr es ihm.



Dr. Johnson nickte.



“Ein Käfer, dem der Kopf fehlt, um genau zu sein!” Johnson hob die Augenbrauen. “Wahrscheinlich hat ihm ein Artgenosse das Futter missgönnt!”, kicherte er.



Murphy konnte Johnsons Humor nicht teilen.



Er gab Johnson den Käfer zurück.



“Warum zeigen Sie mir das?”



“Weil es ein enorm wichtiger Fund sein könnte, Chief Inspector. Was er letztlich bedeutet, kann ich Ihnen natürlich erst nach einer eingehenden Untersuchung sagen. Von einer Obduktion kann man angesichts des Zustandes der Leiche ja wohl nicht mehr wirklich sprechen. Aber eines steht fest: Einen Parasiten wie diesen Käfer habe ich noch in einer Leiche gesehen! Noch nie!”



“Ich konnte nicht viel aus dem Kirchendiener herausquetschen, aber immerhin so viel, dass Thompson offenbar die Straße entlang lief, den Friedhof erreichte und erst hier getötet wurde. Wenig später will McCoy dann hier aufgetaucht sein.”



“Hat Ihr Zeuge Ihnen auch gesagt, wie lange er bis zum Fundort der Leiche gebraucht hat?”



“Nein, er war nicht sehr gesprächig.”



“Was er Ihnen gesagt hat, ist Unsinn, Chief Inspector. Es ist vollkommen unmöglich, einen Menschen innerhalb so kurzer Zeit das Fleisch beinahe komplett von den Knochen zu trennen.”



“Das ist mir auch klar, Dr. Johnson. Andererseits sprach McCoy immer wieder von den entsetzlichen Schreien, die er vom Friedhof hörte...”



“Der Kerl ist doch völlig durch den Wind!”, gab Dr. Johnson zu bedenken. “Ich habe ihn wie einen Wahnsinnigen aus der Kirche stürmen sehen. Mein Rat: Nehmen Sie ihn fest und sorgen Sie dafür, dass er seine Gummizelle bekommt!”



“McCoy mag verwirrt sein”, gestand Murphy zu. “Aber gerade in diesem Punkt halte ich ihn für glaubwürdig. Gerade diese Schreie müssen sich auf entsetzliche Weise in sein Bewusstsein gebrannt haben!” Murphy machte eine Pause. Schließlich fuhr er in gedämpftem Tonfall fort: “Halten Sie es für möglich, dass ein Tier für Thompsons Tod verantwortlich ist?”



“In dem Fall reden wir von einem Monster!”, erwiderte Dr. Johnson.





*





Einer der Erkennungsdienstler kam auf Murphy und Allistair zu. Es handelte sich um einen rundlichen Mann namens Harry Smith. Er hielt etwas in der Hand.



“Hier, ich habe etwas für Sie, Murphy!”



“So?”



“Die Wohnungsschlüssel des Toten. Verwertbare Spuren waren nicht zu finden, aber vielleicht sehen wir uns Mr. Thompsons Zuhause mal genauer an!”



“Nichts dagegen”, nickte Murphy.



Roger Thompsons Adresse lag kaum zweihundert Yards von dem Ort entfernt, an dem seine Leiche aufgefunden worden war. Die drei Scotland Yard-Beamten gingen die kurze Stecke zu Fuß.



Rechts und links an den Fenstern bewegte sich hin und wieder eine Gardine. Die Bewohner von Dunbury bedachten Murphy und sein Team mit scheuen, misstrauischen Blicken.



Harry Smith blieb plötzlich stehen. Er zog einen Latexhandschuh über und hob einen blutigen Stofffetzen vom Boden auf.



“Um was solle wir wetten, dass dies hier von Roger Thompsons Sachen stammt?”, fragte Harry Smith düster. “Dieser Fetzen muss ihm regelrecht aus den Sachen herausgerissen worden sein!”



“Verdammt, ich möchte wissen wer oder was hinter dem armen Kerl her gewesen ist!”, stieß Jim Allistair hervor, dessen Hände sich unwillkürlich Fäusten ballten.



“McCoy sprach von etwas, das er einfach nur

das Böse

 nannte”, murmelte Murphy. “Aber er weiß garantiert mehr...”



“Genauso wie all die Leute, die uns jetzt beobachten!”, ergänzte Jim Allistair.



Wenig später erreichten sie das Haus, das zu Thompsons Adresse gehörte.



Es stand etwas abseits. Die Wände waren grau. Moos wuchs die Fugen entlang. Die Tür stand sperrangelweit offen.



Murphy trat als Erster ein.



Der Flur war völlig verwüstet. Eine Kommode lag auf dem Boden und versperrte den Weg.



Murphy stieg über das Möbelstück hinweg.



Er bemerkte Kratzspuren. “Wofür halten Sie das?”, fragte er an Smith gewandt.



Der Erkennungsdienstler zuckte die Achseln.



“Keine Ahnung. Könnte auch schon vorher dran gewesen sein.”



Könnte!

 Aber daran glaube ich nicht!”



“So? Woran denken Sie denn?”, fragte Smith gereizt.



“Ich denke an die anderen Fälle von skelettierten Leichen in dieser Gegend”, erklärte Murphy ruhig. “Es gab im Gegensatz zum Fall Thompson nie Zeugen. Aber Spuren, die von einem sehr großen Tier kommen könnten.”



“Ich habe die betreffenden Berichte auch gelesen”, erwiderte Smith kühl.



Murphy hob die Augenbrauen. “Und? Was ist Ihre Schlussfolgerung?”



“Ich weiß nur, dass es in ganz England kein Tier gibt, dass so große Krallen hat! Von einem aus dem Zoo entlaufenen Grizzly-Bären habe ich jedenfalls nichts gehört!”



Das Wohnzimmer sah aus, wie nach einem Kampf. Es gab Spuren von frischem Blut. Labortests würden erweisen, ob es sich um Thompsons Blut oder das seines Mörders handelte. Aus der Küche roch es verbrannt. Thompson hatte sich offenbar ein Omelette zum Frühstück machen wollen. Es war vollkommen verschmort. Die Herdplatte glühte. Allistair stellte den Strom ab.



Das Küchenfenster war zur Rückfront des Hauses ausgerichtet. Das Glas war zersprungen. Überall lagen Scherben. Die wenigen größeren Stücke wirkten milchig und seltsam verformt.



Smith nahm eines dieser Stücke an sich und hielt es ins Licht. “Das sieht mir nach der Einwirkung einer starken Säure aus!”, stellte er fest. “Und dieser beißende Geruch...”



“Wie am Fundort der Leiche!”, ergänzte Murphy.



Smith nickte und deutete auf das Fenster. “Hier muss es hereingekommen sein.”



Es

?”, hakte Murphy nach.



Smith zuckte die Achseln. “Was immer Roger Thompson umgebracht haben mag!”



Er spricht von diesem Es, als ob er sicher wäre, dass Roger Thompsons Mörder kein Mensch gewesen sein kann!,

 ging es Murphy durch den Kopf.





*





Den Rest des Morgens verbrachten Chief Inspector Murphy und sein Team damit, Thompsons Haus nach Spuren zu durchsuchen und die Anwohner zu befragen. Eigenartigerweise schien niemand aus Dunbury etwas gesehen zu haben. Die Bewohner des kleinen Ortes gaben sich wortkarg. Selbst diejenigen, deren Fenster so ausgerichtet waren, dass sie von Thompsons verzweifelter Flucht etwas mitbekommen haben mussten, behaupteten, erst hingesehen zu haben, als schon alles geschehen war.



“Die lügen doch alle wie gedruckt!”, ereiferte sich Allistair später gegenüber Murphy. “Irgendjemand

muss

 doch etwas gesehen haben! Warum schweigen diese Leute?”



“Weil sie Angst haben, Jim.”



“Und wovor bitte schön?”



“Wenn wir das wüssten, wären wir schon ein ganzes Stück weiter in unseren Ermittlungen”, war Murphy überzeugt.



Allistair atmete schwer.



Gegen Mittag waren die Beamten des Erkennungsdienstes aus Dunbury abgereist.



Nur Murphy und Allistair blieben noch im Ort, um sich weiter umzuhören.



Die meisten Bewohner von Dunbury schienen sich angesichts dessen, was sich in ihrem Ort ereignet hatte, kaum vor die Türen ihrer grauen Steinhäuser zu trauen. Und wenn doch, so mieden sie den Blickkontakt mit den Scotland Yard-Beamten, wichen vor ihnen zurück und wechselten teilweise sogar die Straßenseite. Die Worte des Kirchendieners gingen Murphy immer wider durch den Kopf. Er hatte von einem Fluch gesprochen. McCoy wusste auf jeden Fall mehr, als er zugegeben hatte, aber Murphy war überzeugt davon, das es keinen Sinn hatte, ihn unter Druck zu setzen.



Dabei würde nichts herauskommen!,

 dachte Murphy. Aber er kann unmöglich der Einzige sein, der dazu etwas sagen könnte!

 



Zur Lunchzeit betraten David Murphy und Jim Allistair den DUNBURY INN, das einzige Lokal im Ort. Es war eine Mischung aus rustikalem Pub und Landhotel. Ein verwittertes, zweistöckiges Haus, in dessen Mauerwerk eine Steintafel eingelassen worden war, auf dem auf die erste urkundliche Erwähnung dieses Lokals im Jahre 1666 hingewiesen wurde.



An der Tür aus dunklem Holz fielen die teils grotesken Schnitzereien auf. Totenköpfe und Geisterge

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