Killer ohne Namen: Ein Jesse Trevellian Thriller

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Killer ohne Namen: Ein Jesse Trevellian Thriller
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Alfred Bekker

Killer ohne Namen: Ein Jesse Trevellian Thriller

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Teil 1

Teil 2

Teil 3

Teil 4

Teil 5

Teil 6

Teil 7

Teil 8

Teil 9

Impressum neobooks

Teil 1

New York 1998

Der gepanzerte Transporter hielt an der rotgestreiften Barriere. Es sah ganz nach einer Vollsperrung aus. Das konnte heiter werden...

"Verdammt, warum hat uns niemand etwas davon gesagt?", knurrte einer der Wachmänner. Er saß auf dem Beifahrersitz. "Was soll das hier?"

"Vielleicht ein Unfall, Billy", meinte der Mann am Steuer.

"Ich frage trotzdem mal in der Zentrale nach."

Links von ihnen hielt ein Chevy, rechts ein Mercedes. Hinter ihnen war ein Lieferwagen. Der gepanzerte Transporter war eingekeilt.

Billy griff zum Funkgerät.

Aber noch ehe er auch nur einen Ton gesagt hatte, sprangen links und rechts bis auf die Zähne bewaffnete Vermummte aus dem Wagen. Nicht mehr als einen schmalen Streifen in Augenhöhe ließen die dunklen Sturmhauben frei. Sie trugen Maschinenpistolen, Pump Guns und Sturmgewehre. Dazu kugelsichere Westen. Fast konnte man von der Ausrüstung her an ein Sondereinsatzkommando des New York Police Departments denken.

Aber dies waren keine Polizisten.

Billy schrie es fast in das Funkgerät hinein.

"Überfall! Etwa zwei Meilen nach dem Ausgang des Lincoln Tunnels Richtung Union City... Zwölf bis fünfzehn schwerbewaffnete Täter."

"Verhalten Sie sich ruhig und gehen Sie kein Risiko ein", kam es aus dem Lautsprecher des Funkgeräts heraus.

"Verstanden", murmelte Billy.

"Versuchen Sie, die Täter hinzuhalten. Wir tun was wir können."

"Ein wunderbarer Trost", erwiderte Billy gallig.

"Wo ist unsere Eskorte?"

"Keine Ahnung. Nicht da, wenn man sie braucht..."

Einer der Gangster fuchtelte mit dem kurzen Lauf seiner Uzi-Maschinenpistole herum. Er signalisierte den beiden Wachmännern auszusteigen.

"Wir bleiben hier ganz ruhig sitzen", erklärte Billy. "Die können uns mit ihren Waffen nichts anhaben..."

Der Transporter hatte ein so stabiles Panzerglas, dass selbst ganze Salven von Maschinengewehrfeuerstößen für die Insassen ungefährlich bleiben würden.

Und auf die Panzerung der Karosserie war Verlass.

Die Türen waren von innen verschlossen.

Einer der Kerle riss jetzt von außen daran. Aber er hatte keine Chance.

Billy grinste. "Denen geht es jetzt wie dem berühmten Affen, der versucht, an das weiche Innere einer Kokosnuss heranzukommen!"

Die Wachmänner würden einfach abwarten, bis die ganze Maschinerie von Polizei und FBI sich in Bewegung gesetzt hatte. Das Gebiet würde weiträumig abgeriegelt. Die Gangster hatten keine Chance. Jede Sekunde bedeutete für sie, dass ihre Chancen erheblich sanken.

Die beiden Wachmänner griffen zu den automatischen Pistolen, die sie in den Gürtelholstern stecken hatten.

"Sie können nichts machen", meinte der Mann am Steuer zufrieden.

Aber dann öffneten sich seine Augen weit vor Entsetzen.

Einer der Gangster hatte sich mit einer Bazooka in Stellung gebracht. Deren Geschosse durchschlugen mühelos die Stahlplatten von Panzerfahrzeugen.

Die beiden Wachleute wurden bleich.

Sie erkannten, dass ihr Verzögerungsspiel jetzt vorbei war. Endgültig. Sie ließen die Waffen sinken und hoben die Hände. Aber offenbar nicht schnell genug.

Die Bazooka wurde abgefeuert. Das Geschoss durchschlug das Panzerglas. Die Fahrerkabine des Transporters verwandelte sich in ein Inferno. Flammen schossen empor. Der Knall der Detonation war ohrenbetäubend und übertönte die Todesschreie der Insassen.

Diese hatten keine Chance.

Wenn sie nicht durch die Explosion förmlich zerrissen worden waren, versengten sie die Flammen.

In die Reihen der Gangster kam Bewegung.

Mit zwei Feuerlöschern wurden die Flammen eingedämmt.

Grauweißer Schaum erstickte das Feuer innerhalb von fünfzehn, zwanzig Sekunden.

Einer der Maskierten half einem Komplizen dabei von vorn, durch die zerstörte Frontscheibe hindurch in die Fahrerkabine zu steigen. Es roch nach verbrannten Leichen und geschmolzenem Plastik.

"Der Schlüssel!", rief der Kerl.

Er warf ihn hinaus, einem Komplizen direkt in die Hand.

Dieser rannte zur Rückfront des Transporters.

Die Tür wurde geöffnet.

Und dann lag endlich das vor ihnen, was sie haben wollten.

Es war eine Kiste aus Stahl, gut gesichert durch mehrere Halterungen. Mit zwei winzigen Plastiksprengstoffladungen wurden sie zersprengt.

Die Kiste war schwer.

Zwei Männer trugen sie hinaus und luden sie in den Kofferraum des Chevys.

Zehn Sekunden später brausten die Vermummten in ihren Wagen davon. Reifen drehten durch und quietschten. Sie fuhren wie die Teufel, denn sie wussten nur zu gut, dass jetzt jeder Cop im Umkreis von fünfhundert Meilen hinter ihnen her sein würde.

Aber ihre Beute war es wert.

Glaubten sie.

*

Der Staat New Jersey gehört zum Zuständigkeitsbereich des FBI-Districts New York. Aber das war längst nicht der einzige Grund dafür, dass das unser Fall war.

Als ich zusammen mit meinem Freund und Kollegen Milo Tucker am Ort des Geschehens eintraf, herrschte dort das blanke Chaos. Die State Police des Staates New Jersey hatte alles weiträumig abgeriegelt. Der Highway nach Union City war gesperrt.

Ich ließ die Seitenscheibe meines Sportwagens hinuntergleiten, als man uns an der ersten Straßensperre anhielt.

Ein uniformierter und schwerbewaffneter State Police-Beamter grüßte knapp.

Ich hielt ihm meinen Dienstausweis hinaus.

"Special Agent Jesse Trevellian vom FBI-District New York", murmelte ich dazu.

Mein Gegenüber nickte nur und winkte mich durch.

Ich stellte den Sportwagen irgendwo ab. Wir stiegen aus.

Der überfallene Transporter sah furchtbar aus.

Spurensicherer machten sich bereits überall zu schaffen.

Unser FBI-Distrikt hatte auch eine gute Handvoll Erkennungsdienst-Spezialisten herübergeschickt, um die hiesigen Kräfte zu unterstützen.

Außerdem war da noch ein ziemlich gestresst wirkender Captain der Polizei von Union City, in deren Zuständigkeitsbereich diese Tat bereits lag.

Der Captain hieß Craig, war grauhaarig und etwas untersetzt. Seine Schultern waren breit und gaben ihm ein sehr stämmiges Aussehen.

Er sah sich meinen Ausweis interessiert an.

"Ihnen nach dem, was hier passiert ist, noch einen guten Tag zu wünschen, würde mir unpassend erscheinen, Agent Trevellian", brummte Craig zwischen den Zähnen hindurch. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen, was wir bislang haben."

Wir umrundeten den Transporter.

Ein unangenehmer Geruch stieg uns in die Nase.

Bei dem Blick in die Fahrerkabine wurde mir fast schlecht.

Ich habe dem Kampf gegen das Verbrechen mein Leben gewidmet. Und mein Job als G-man bringt es nun einmal mit sich, immer wieder auch dem Tod in vielfältiger Gestalt zu begegnen. Und doch gibt es immer wieder Dinge, die man in den Schlaf mitnimmt. Bilder wie das der beiden schrecklich zugerichteten Wachmänner in diesem Transporter zum Beispiel.

Ich bin hart im Nehmen.

Aber nicht abgestumpft.

"Die Gangster waren sehr gut organisiert", erklärte Craig mit tonloser Stimme. "Sie haben eine Bazooka oder so etwas verwendet. Die beiden armen Kerle hatten nicht den Hauch einer Chance."

Craig ballte die Hände zu Fäusten.

Irgendein Kollege meldete sich über Funk bei ihm. Er zog das Gerät aus der Manteltasche und meldete sich.

Offenbar gab es noch immer keine Spur von den Tätern. Und das obwohl eine Großfahndung eingeleitet worden war. Das konnte eigentlich nur heißen, dass sie eine sehr gute Organisation im Hintergrund hatten, die ihnen beim Untertauchen half.

Ich erwartete, dass wir bald irgendwo auf ein paar Wagen stießen, die sie benutzt und dann irgendwo abgestellt hatten.

Wenn wir Glück hatten, ergaben sich dann ein paar Hinweise.

Wenn wir Glück hatten. Aber die Chancen standen nicht allzu gut, wenn man die Kaltblütigkeit bedachte, mit der sie gehandelt hatten.

Jedes Detail schien genau überlegt und organisiert gewesen zu sein.

Während Craig damit fortfuhr, uns den Tatort zu erläutern, wurde mir das immer klarer.

"Sehen Sie das weißgraue Pulver, Agent Trevellian?"

 

"Ja. Stammt wohl von einem Feuerlöscher. Sie haben den Brand gelöscht. Warum haben sie das gemacht?"

"Um den Schlüssel an sich zu bringen. Das Schloss der Hintertür verfügt über einen besonderen Schutzmechanismus gegen Sprengungen. Bei Hitzeeinwirkung schmilzt da irgend etwas zusammen und man kann die Tür dann nur noch mühsam aufschweißen. Deswegen haben die auch nicht einfach ihre Bazooka auf die Rückfront gehalten oder versucht, die Tür aufzusprengen. Nein, sie mussten an den Schlüssel..."

"Sie meinen, dass sie diese Details wussten?", mischte sich jetzt Agent Milo Tucker ein.

Craig zuckte die Achseln.

"Haben Sie eine bessere Erklärung? Das mit der Bazooka hatte übrigens auch noch einen anderen Vorteil für diese Killer. Sehen Sie den schwarzen, eingeschmolzenen Klumpen da oben?"

"Ich sehe ihn."

"Das war mal die Videoüberwachungsanlage."

Selbst, wenn die Täter maskiert gewesen waren, ließen sich aus solchen Aufnahmen oft wertvolle Rückschlüsse ziehen.

Auch, wenn von den Gesichtern nichts zu sehen war. In Kalifornien war von den dortigen FBI-Kollegen vor kurzem ein maskierter Bankräuber auf Grund des unverwechselbaren Waschmusters seiner Jeans überführt worden.

Aber wir konnten in diesem Fall auf derartige Hilfe nicht hoffen.

Ich wandte mich von dem schrecklichen Anblick der ausgebrannten Fahrerkabine ab und deutete auf die rotgestreiften Barrieren, die mitten auf die Straße gestellt worden waren.

"Sieht nicht gerade nach einer Baustelle aus, an der viel gearbeitet worden ist", stellte ich fest.

Craig nickte.

"Sie haben vollkommen recht, Agent Trevellian. Das haben die Gangster inszeniert, um den Transport anzuhalten."

"Das bedeutet, dass sie auch über den Zeitplan genau Bescheid wussten, der für den Transporter galt."

"Das ist auch mein Gedanke."

"Ich möchte mir den Wagen gerne von innen ansehen", meinte Milo.

Craig nickte.

"Nichts dagegen."

Er führte uns zur hinteren Tür. Der Schlüssel steckte noch.

Er war verkohlt. Schon daran konnte man sehen, dass er aus der Fahrerkabine geholt worden war.

Craig kramte einen Latexhandschuh aus der Manteltasche, bevor er die Tür öffnete.

Er stieg hinein und deutete mit der ausgestreckten Hand auf eine Stelle am Boden. Zerborstene Halterungen zeugten davon, dass man hier wenig zimperlich vorgegangen war.

"Hier war die Kiste mit den Druckplatten", erklärte der Police Captain. "Mehr als nur eine Lizenz zum Gelddrucken! Wer diese Dinger hat, kann Originalbanknoten der Vereinigten Staaten von Amerika herstellen, soviel er will." Craig deutete mit gestrecktem Zeigefinger im Laderaum des Transporters umher. "Die Halterungen wurden gesprengt... Der Transport wurde übrigens von einer Zivileskorte begleitet, die dem eigentlichen Transport unauffällig folgen sollte. Aber die wurde durch einen - vermutlich provozierten Auffahrunfall aufgehalten..."

Milo sah mich an.

Sein Gesicht war ernst.

"Da muss ein ganz großer Hai dahinterstecken", war er überzeugt. Ich konnte ihm nur zustimmen.

*

26 Federel Plaza ist die Adresse des FBI-Distrikthauptquartiers. Wir saßen im Büro von Special Agent in Charge Jonathan D. McKee, unserem Chef.

Außer Milo Tucker und mir waren noch ein halbes Dutzend weiterer Agenten anwesend. Darunter Ronald Figueira, ein Falschgeldspezialist aus dem Innendienst und Max Carter aus unserer Fahndungsabteilung.

Carter erläuterte uns gerade, wie der Stand der Großfahndung war, die man in vier Bundesstaaten ausgelöst hatte. Leider war das Ergebnis bis jetzt gleich null, wenn man es auf den Punkt brachte.

"Der Wagen war von Queens aus unterwegs. Ausgangspunkt war das Gelände von McGordon Inc., einem kleinen McKee-Tech-Unternehmen, das unter anderem solche hochwertigen Druckplatten in seiner Produktpalette hat. Zielpunkt war eine Druckerei in Newark, die im Auftrag der US-Zentralbank arbeitet."

"Wir werden sehr intensiv nachforschen müssen, in wie weit es in der Druckerei oder bei McGordon Inc. schwache Stellen gibt", meinte Mr. McKee.

"Es muss sie geben", war Carter überzeugt. "Dazu waren die Täter einfach zu gut informiert."

"Was ist mit den Wachleuten?", fragte ich.

"Soweit wir wissen, sind das zuverlässige Sicherheitsbeamte, die über jeden Zweifel erhaben scheinen", erwiderte Carter. "Sowohl diejenigen, die das Pech hatten mit im Transporter zu sitzen als auch die Leute von der Eskorte scheinen über jeden Zweifel erhaben..."

"Auch das werden wir genau überprüfen müssen", kündigte Mr. McKee an. Er sah sich um, blickte von einem G-man zum anderen. "Dieser Fall hat absolute Priorität. Denn, wenn der FBI nicht sehr schnell und sehr gut ist, werden uns die Täter durch die Lappen gehen. Und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann irgendwo eine Geldfabrik zu arbeiten beginnt, die Dollarnoten herstellt, die von niemandem mehr von echten Scheinen zu unterscheiden sind!"

Wir waren uns alle über den Ernst der Lage im Klaren.

"Ich werde mal die Reihe unserer Informanten abklappern", meinte Agent Clive Caravaggio. Der flachsblonde Italo-Amerikaner kratzte sich am Hinterkopf. "Wäre doch gelacht, wenn nicht der eine oder andere in Little Italy etwas von diesem Coup gehört hätte!"

"Sie tippen auf die Mafia?", fragte Mr. McKee.

Caravaggio zuckte die Achseln.

"Es war doch hier immer von einer schlagkräftigen Organisation die Rede! Die Mafia mag etwas in die Jahre gekommen sein, aber was die Organisation angeht, ist sie anderen Syndikaten immer noch meilenweit voraus!"

"Falschgeld ist eigentlich nicht gerade das traditionelle Betätigungsfeld der Mafia", gab Mr. McKee zu bedenken.

Caravaggio beugte sich etwas vor. "Ihr Betätigungsfeld liegt immer da, wo es großen Gewinn gibt..."

"Und wenig Risiko", gab ich zu bedenken. "Wenn wirklich die Mafia dahinterstecken würden, hätten wir vermutlich im Vorfeld irgend etwas gehört. Hinweise, Gerüchte... irgendetwas."

Mr. McKee sah mich nachdenklich an, dann wandte er sich an Caravaggio. "Versuchen Sie es, Clive! Immerhin ist die Mafia eine der wenigen in Frage kommenden Organisationen, die so etwas überhaupt auf die Beine stellen könnte! Außerdem müssen wir natürlich die bekannten Adressen in der Falschgeldszene abklappern..."

Jetzt meldete sich Agent Orry Medina zu Wort, ein G-man indianischer Herkunft, der durch seine ausgesucht edle Garderobe auffiel. "Wenn wir jeden unter die Lupe nehmen, der in dieser Hinsicht mal auffällig geworden ist und zur Zeit frei herumläuft, brauchen wir viel zu lange, um den Tätern noch gefährlich werden zu können!"

"Keine wahlloses Überprüfen", korrigierte Falschgeldspezialist Figueira. "Ich habe nach bestimmten Kriterien eine Vorauswahl getroffen... Es könnte gut sein, dass die Druckplatten in der Szene irgendwann angeboten werden und dann müssen wir zur Stelle sein. Schließlich sind die Dinger nicht geraubt worden, um sie in einem Safe versauern zu lassen."

Ich hoffte nur, das Figueira damit recht hatte.

Ein bisschen Zweckoptimismus war sicher auch dabei. Denn, wenn sich wirklich jemand dazu entschloss, die Platten einfach für ein paar Jahre wegzuschließen, sah es für uns unter Umständen nicht gut aus.

Aber vielleicht hatten wir ja Glück, und einer der Täter lief in das weitgespannte Netz, das der FBI im Verbund mit den Staatspolizeien von New York und New Jersey gezogen hatte. Straßenkontrollen an den Highways und Bundesstraßen gehörten dazu ebenso wie eine Überwachung der Flughäfen.

Ein Netz, das uns Fahndungsspezialist Max Carter im Anschluss eingehend erläuterte.

Uns rauchten die Köpfe, als schließlich Mandy, die Sekretärin unseres Chefs, für eine angenehme Unterbrechung sorgte. Sie brachte uns ein Tablett mit dampfenden Pappbechern herein. Mandys Kaffee war im gesamten FBI-Hauptquartier eine Legende.

*

Milo und ich fuhren nach Queens. Das Gelände von McGordon Inc. lag an einer Sackgasse, bei der sich niemand die Mühe gemacht hatte, ihr einen Namen zu geben. Strenggenommen war es überhaupt keine öffentliche Straße, sondern ein Privatweg, der der Firma gehörte.

Wir mussten mehrere Schlagbäume passieren. Jedesmal wurden unsere FBI-Ausweise einer intensiven Prüfung unterzogen.

"Als würden die den Schatz von Fort Knox bewachen", scherzte Milo.

Der eigentliche Komplex war mit einem hohen Zaun abgesperrt. Düster dreinblickende Uniformierte patrouillierten auf und ab. Mannscharfe deutsche Schäferhunde wurden an kurzen Leinen geführt. Es beruhigte mich zu sehen, dass sie Maulkörbe trugen.

Wir stellten den Sportwagen auf einen Mitarbeiterparkplatz und stiegen aus.

Eine wasserstoffblonde Schönheit erwartete uns mit geschäftsmäßigem Lächeln.

Sie reichte mir die zierliche Hand mit rotlackierten Nägeln - passend zu ihrem engsitzenden Kostüm.

"Mein Name ist Janet Larono. Ich bin die Pressesprecherin von McGordon Inc. und verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit."

"Jesse Trevellian, FBI", sagte ich. "Dies ist mein Kollege Milo Tucker..."

"Ja, Sie wurden bereits erwartet..."

"Allerdings weiß ich nicht, ob Sie der richtige Gesprächspartner für uns sind", wandte Milo ein. "Nichts gegen Ihre Arbeit, aber es geht hier nicht darum, etwas an die Öffentlichkeit zu verkaufen."

Janet Larono hob die Augenbrauen. Sie ließ sich nicht anmerken, ob sie beleidigt war.

"Ich kann Ihnen versichern, dass ich durchaus in der Lage bin, Ihnen zu helfen. Ich bin instruiert worden, Sie überall dort hinzuführen, wo Sie hinwollen..."

"Das ist gut", sagte ich. "Uns interessiert vor allem der organisatorische Ablauf bei der Vorbereitung des Transports. Seit wann standen Zeitpunkt und Fahrtroute fest?"

"Das werden wir klären können, Mr. Trevellian", erwiderte sie.

"Nennen Sie mich ruhig, Jesse."

Vielleicht war das Lächeln, das ich dieser Schönheit geschenkt hatte, etwas zu nett. Jedenfalls war ihre Erwiderung kühl wie ein Gefrierschrank.

"Ich will Ihnen gleich sagen, dass Ihr Charme an dieser Stelle verschwendet ist, Mr. Trevellian."

"Ach,ja?"

"Ich halte Beruf und Privatleben strikt auseinander."

"Ich wollte nur freundlich sein!"

"Dann ist es ja gut."

"Hören Sie, Janet..."

"Nennen Sie mich lieber Miss Larono."

"...könnte es sein, dass jemand anderes in Ihrem Unternehmen diese Trennung nicht so genau nimmt?"

"Was meinen Sie damit?"

"Die Täter waren sehr gut informiert. Sie wussten Details, die eigentlich nur jemand wissen konnte, der an der Quelle sitzt!"

Sie zeige mir ihre wunderschönen Zähne, als sie erwiderte: "Was glauben Sie, worüber sich hier jeder Gedanken macht, Mr. Trevellian?"

*

Officer Cameron von der New Jersey State Police schob sich die Mütze ein Stück in den Nacken. Er schwitzte erbärmlich unter seiner kugelsicheren Weste. Die Maschinenpistole vom Typ Heckler und Koch hing ihm an einem breiten Riemen über der Schulter.

"Die Kerle sind doch längst über alle Berge", war sein Kollege, Officer Brent überzeugt, der eigentlich seinen verdienten Urlaub hatte nehmen wollen und von seinem Vorgesetzten in letzter Sekunde zurückgepfiffen worden war.

Ein weißer Golf fuhr langsam an die Straßensperre heran, die die Interstate in Richtung Pennsylvania blockierte.

Ein gutes Dutzend State Police-Beamte waren schwer bewaffnet in Stellung gegangen und kontrollierten jeden Fahrer. So gründlich wie möglich durchsuchten sie die Wagen nach Waffen oder anderen Gegenständen, die vielleicht mit dem Überfall auf den Druckplatten-Transport in Verbindung stehen konnten.

Die Gangster waren ja in alle Richtungen davongebraust.

Bei irgendeinem von ihnen war die Beute.

Der Golffahrer trug eine dunkle Sonnenbrille. Er wirkte ziemlich mürrisch.

Als er ziemlich hektisch unter seine Jacke griff, um seine Papiere herauszuholen, wurden gleich mehrere Maschinenpistolen durchgeladen. Das Geratsche ließ den Mann erstarren.

Ganz langsam zog er dann seinen Führerschein heraus.

"Sie müssen schon entschuldigen", meinte Officer Cameron dann, nachdem er die Papiere überprüft und den Kofferraum durchsucht hatte. "Die Kerle, auf die wir scharf sind, haben eine Bazooka..."

"Schon gut", sagte der Mann. "Ich habe von der Sache im Radio gehört!"

 

Cameron winkte ihn durch.

Dann kam ein Mercedes.

Zwei Männer saßen darin.

Baseballmützen und Sonnenbrillen mit Spiegelgläsern ließen von ihren Gesichtern so gut wie nichts übrig, woran man sie identifizieren konnte.

Die beiden wirkten nervös. Ein heftiger Wortwechsel ging zwischen ihnen hin und her. Cameron konnte davon keine Silbe verstehen. Er sah nur die Gesten.

Der Wagen kam heran.

Cameron klopfte an die Scheibe der Beifahrertür. Langsam glitt sie hinunter.

"Führerschein und Zulassung bitte. Und setzen Sie Sonnenbrille und Mütze ab..."

Der Fahrer suchte in seinen Taschen, während Officer Brent von außen die Tür öffnete. Die Maschinenpistole hatte der State Police-Mann im Anschlag.

"Hier ist der Führerschein", sagte der Fahrer schließlich und reichte ihn Brent.

"Sie sind Jay Wilbur?" fragte Brent.

"Ja." Er setzt seine Brille und die Baseballmütze ab. "Gibt bessere Fotos von mir, denke ich!"

"Was ist mit der Zulassung?", fragte Brent.

"Ich weiß nicht, ich dachte, ich hätte sie in den Führerschein gelegt... Vielleicht im Handschuhfach..."

Der Beifahrer beugte sich vor, um das Handschuhfach zu öffnen. Aber Cameron hielt ihn davon ab. "Zurück! Steigen Sie aus, das machen wir!"

Brent wandte sich an den Fahrer: "Sie auch, Mr. Wilbur! Ziehen Sie den Schlüssel ab und geben Sie ihn mir!"

Die beiden stiegen aus.

Wilbur gab Brent den Schlüsselbund.

"Welcher ist für den Kofferraum?"

"Der mit dem schwarzen Rand!"

Brent warf ihm einem Kollegen zu, der nach hinten ging, um die Klappe zu öffnen.

"Das Gesicht zum Wagen, die Hände auf das Dach", sagte Brent. Wilbur gehorchte. Der Beifahrer stand ihm auf der anderen Seite gegenüber, ein Officer hinter ihm. Cameron öffnete derweil das Handschuhfach.

Dort war nichts, außer einem Funktelefon.

Jetzt meldete sich der Officer zu Wort, der den Kofferraum geöffnet hatte.

"Seht euch das an!", rief er, nachdem er etwas darin herumgekramt hatte. "Eine Bazooka!"

*

Sekundenbruchteile war Officer Brent abgelenkt. Der Schlag kam mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit. Ein mörderischer Handkantenschlag in die Halsgegend - geführt, als wäre die Hand eine messerscharfe Klinge. Jay Wilbur hatte seine volle Kraft in diesen Schlag gesetzt. Ein hässliches, knackendes Geräusch wurde von dem Ächzen übertönt, das aus Wilburs Mund kam.

Während Officer Brent mit starren Augen und unnatürlich abgewinkeltem Kopf zu Boden sackte, riss Wilbur dem Toten die MPi aus den Händen. Eine Sekunde später feuerte er wild drauflos.

Zwei State Police Beamte zuckten unter den Feuerstößen zusammen, die aus der MPi herauskrachten. Die Projektile rissen die Einsatzjacken auf, fraßen sich in die kugelsicheren Westen. Ihre Wucht war dennoch immens. Einer der Officers taumelte zurück und riss dabei seine eigene Waffe hoch. Rot züngelte das Mündungsfeuer aus dem kalten Lauf.

Aber der Schuss ging dicht über Wilbur hinüber.

Den etwas weiter rechts stehenden Officer erwischte es am Kopf.

Wilbur duckte sich, während der Feuerstoß einer Polizeiwaffe in seine Richtung ging. Die Kugeln ließen die Scheiben zerspringen und stanzten Löcher in das Blech.

Wilbur hechtete in den Wagen und zog die Tür hinter sich zu. Seinen Beifahrer hatten die Cops. Jedenfalls sah Wilbur nichts von ihm. Und die Officers, die auf der Beifahrerseite des Mercedes gestanden hatten, hatten sich ganz offensichtlich in Sicherheit gebracht.

Wilbur lud die MPi durch.

Keiner würde ihn kriegen!

Keiner!

Erst jetzt bemerkte er das Blut an der Schulter. Er fluchte lautlos.

Das Puls ging ihm bis zum Hals.

"Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus!", dröhnte von draußen ein Megafon. "Sie haben keine Chance!"

Wilbur verzog das Gesicht zu einer wölfischen Grimasse.

Er dachte gar nicht daran, aufzugeben.

Wilburs griff ging an die Verkleidung unterhalb des Lenkrades. Er riss sie einfach heraus. Mit geübten Bewegungen zog er die entscheidenden Kabel heraus. Er schloss den Wagen kurz. Der Motor sprang an und übertönte das Megafon, das ihn noch einmal zum Aufgeben aufforderte.

Wilbur drückte den Schalthebel des Automatikgetriebes in die Position D.

Dann trat er mit dem Fuß das Gaspedal voll durch.

Der Mercedes schoss vorwärts.

Wilbur musste blind fahren.

Den Straßenverlauf schätzte er grob aus der Erinnerung.

Mit einer Hand lenkte er, während die andere die MPi umklammert hielt.

Wie ein Geisterwagen schoss der Mercedes auf die Barriere zu. Die State Police Officers sprangen zur Seite, während die rotgestreifte Sperre durch die Luft geschleudert wurde.

Wilbur tauchte hoch, hielt mit einer Hand die Maschinenpistole empor und ließ die Waffe losknattern.

Die Projektile pfiffen durch die zersprungene Scheibe.

Der Mercedes jagte indessen in seiner Höllenfahrt vorwärts.

Aber nur noch wenige Sekunden lang.

Ein Ruck ging durch den Wagen.

Ein Knall!

Wilbur verlor die Kontrolle über den Wagen. Ein schleifendes Geräusch ertönte. Der Geruch von verbranntem Gummi erfüllte die Luft.

Wilbur hatte eine Wegfahrsperre überfahren.

Spitze Metalldornen hatten sich in die Reifen gebohrt. Der Wagen rutschte schräg über die Straße und krachte dann gegen einen der Einsatzwagen der State Police.

Wilbur schlug mit dem Kopf hart auf.

Etwas benommen erhob er sich.

Einer der State Police-Männer war bereits mit der Waffe im Anschlag an den Mercedes herangestürmt.

"Fallenlassen!", brüllte dieser.

Wilbur ließ die MPi nicht fallen. Er riss die Waffe hoch und ließ seinem Gegenüber keine Wahl. Die Kugel traf Wilbur im Oberkörper. Er selbst hatte fast gleichzeitig gefeuert.

Das Projektil war oben an der Dachkante durch das Blech gefetzt. Etwa eine Handbreit am Kopf des State Police-Beamten vorbei.

*

Janet Larono hatte uns in die Personalabteilung geführt. Wir gingen zusammen mit Personalchef Duane Jennings die Daten jener Mitarbeiter durch, die in den sicherheitsrelevanten Bereichen beschäftigt waren. Insbesondere interessierte uns natürlich, in wie weit sie Zugang zu den Einsatzplänen hatten, die für die Transporte existierten.

"Wir gehen da auf Nummer sicher", erläuterte uns Duane Jennings, ein ergrauter Mitvierziger, der ziemlich ratlos wirkte. "Einzelheiten werden immer erst festgelegt, kurz bevor es losgeht. Selbst die begleitenden Sicherheitsleute wissen nicht, wann es losgeht oder was sie transportieren."

"Solche Transporte scheinen häufiger vorzukommen", meinte ich.

"Wir sind eines der wenigen Unternehmen in unserer Branche, das diesen Standard aufweist. Das der Dollar immer noch eine relativ leicht zu fälschende Währung ist, liegt nicht an uns, sondern an der Regierung, die einfach kein Geld für wirklich innovative Neuerungen hat." Jennings redete sich geradezu in Rage. "Aus Sicherheitsgründen wäre ein Austauschen sämtlicher Dollar-Noten längst überfällig. Aber wer will das bezahlen."

"Allerdings."

"Wir bieten unsere Technologie übrigens weltweit an. Einige südamerikanische und asiatische Länder lassen ihr Geld mit unseren Verfahren drucken und wir warten auch die Druckanlagen. Wir hatten sogar schon Anfragen aus den ehemaligen GUS-Staaten, von denen ja jetzt jeder sein eigenes Geld produziert. Naja, Sie können sich denken, dass wir da eben ab und zu kostbare Teile hin- und hertransportieren müssen."

"Ist das kein immenses Risiko?"

"Es sind ja nicht jedesmal komplette Druckplatten. Manchmal auch elektronische Bauteile, mit denen höchstens die Konkurrenz etwas anfangen könnte. Aber bis jetzt haben wir nie Probleme gehabt, Mr. Trevellian."

"Doch diesmal hat jemand genau Bescheid gewusst und entsprechend zugeschlagen", gab ich zu bedenken. "Und wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann hätte es den Gangstern auch wenig gebracht, einfach nur irgendeinen ihrer Transporte zu überfallen, weil das transportierte Gut dann zumindest für sie - wertlos gewesen wäre."

"Das ist richtig." Duane Jennings nickte nachdenklich.

"Haben Sie irgendeine plausible Erklärung dafür?"

"Nein."

In diesem Moment ertönte ein Summton. Jennings schaltete die Gegensprechanlage seines Büro ein.

"Ich habe doch gesagt: Keine Störung!", fauchte er.

"Mr. Jennings, es gibt Schwierigkeiten", säuselte eine Sekretärinnenstimme, der man die Verwirrung deutlich anhörte.

"Hier ist Mr. Reilly von der EDV... Es scheint da ein Problem zu geben..."

*

Reilly war noch einen ganzen Kopf größer als ich, blassgesichtig und trug eine ziemlich dicke Brille.

"Es scheint so, als hätte jemand an unserer EDV herummanipuliert", erläuterte er. "Jedenfalls ist eine E-Mail abgeschickt worden, kurz nachdem der Einsatzplan für den Transport eingegeben wurde."

"Können Sie nicht ermitteln, wer von den Mitarbeitern zu der Zeit im System war?", fragte ich.

"Sicher, das ist möglich."

"Gut. Sie werden verstehen, wenn wir die befragen würden. Ich schlage vor, Sie rühren das System jetzt nicht mehr an."

"Aber..."

Reilly schien davon nicht begeistert zu sein.

"Der FBI verfügt über Computerspezialisten. Lassen Sie unsere Leute da heran. Dann haben wir vielleicht eine Chance, zu rekonstruieren, was passiert ist!"