Seewölfe - Piraten der Weltmeere 59

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 59
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Impressum

© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag GmbH,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-376-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Man schrieb den 15. Dezember 1580.

„Auf die Schlepptrosse achten, Profos!“ dröhnte die Stimme des Seewolfs über Deck.

„Aye, aye“, klang es unwillig zurück, und Carberry spie angewidert über das Schanzkleid in die von achtern heranrollende Dünung.

Dieser Engländer, den sie seit mehr als einer Stunde im Schlepp hatten, hing dem Profos längst zum Hals heraus. Sollen die Kerle doch mit ihrem Kahn absaufen, diese verdammten Hurensöhne! dachte der Profos.

Er warf einen Blick zu der Karavelle „Hermes“ hinüber, und abermals stieg ihm die Galle hoch. Der Engländer hatte ihnen eine verdammt harte Verfolgungsjagd geliefert, das mußte ihm der Neid lassen. Es war unmöglich gewesen, das schnelle Schiff abzuschütteln, immer wieder war es an der Kimm aufgetaucht.

Später, als sie wie aus heiterem Himmel den Ruderschaden erlitten, als die „Isabella VIII.“ etliche Stunden lang manövrierunfähig gewesen war, hatte die „Hermes“ sie angegriffen. Aber der Seewolf hatte sie überlistet und bereits nach kurzem Gefecht ausgeschaltet, ohne daß die „Hermes“ überhaupt zum Schuß gekommen war.

Anders hingegen hatten sich die Dinge entwickelt, als auch die „Albion“, die weitaus größere und stärkere Galeone der Engländer, zur Stelle war. Ihr Kommandant, Sir Nottingham, war ein wesentlich härterer Brocken gewesen. Nach einem kurzen, aber mörderischen Gefecht, in dem beide Schiffe alles auf eine Karte setzten, war die „Albion“ dann ebenfalls durch die Pulverpfeile der „Isabella“ in Brand geraten und durch eine Breitseite so schwer angeschossen worden, daß sie schließlich sank. Allerdings – und bei diesem Gedanken knirschte der Profos vor Wut mit den Zähnen – hatte auch die „Isabella“ ihren Teil abgekriegt. Eine Breitseite der Zwanzigpfünder der „Albion“ hatte genau im Ziel gelegen, und Ferris Tucker hatte alle Mühe gehabt, die „Isabella“ vorm Absaufen zu bewahren.

Carberry knurrte vor sich hin, während er die lange Schlepptrosse kontrollierte. Und warum das alles? Weil diese verfluchten Intriganten Burton und Keymis und ein paar verstaubte Lordschaften den Seewölfen aufgrund miesester Verleumdungen buchstäblich die Hölle auf den Hals gehetzt hatten!

Carberry blickte zu Stenmark hinüber. Der Schwede trug einen blutigen Kopfverband. Batuti war am Oberarm verletzt und Bob Greys Gesicht sah aus, als hätte man es mit einer Zimmermannsaxt bearbeitet.

Ferris Tucker trat aufs Achterkastell und stellte sich neben den Profos. Das Gesicht des rothaarigen Schiffszimmermannes wirkte verkniffen. Seine Laune war dementsprechend.

„Sieh dir nur unsere ‚Isabella‘ an“, knurrte er. „Was die Himmelhunde aus dem schönen Schiff gemacht haben. Auf der Steuerbordkuhl ist das halbe Schanzkleid hinüber. Die Reparatur wird verdammt schwierig werden, und zwei Lecks haben wir auch.“

„Hast du sie schon abgedichtet?“ erkundigte sich Carberry.

„Nur provisorisch mit Speckdämmseln. Mehr kann ich im Moment nicht tun. An Land müssen wir sie krängen, sonst kommen wir an die Löcher nicht heran.“

„Verdammter Mist“, fluchte der Profos. „Hoffentlich besteht Hasard darauf, daß wir die Karavelle ausschlachten.“

„Ganz bestimmt“, sagte Tucker. „Die Kerle werden zwar gehörig maulen, aber das soll uns egal sein. Schließlich sind wir weder Meuterer noch Rebellen und keiner, von uns hat Lust, in England an irgendeinem verdammten Galgen zu baumeln.“

Der Wind blies an diesem fünfzehnten Dezember leicht aus Nordwest. Die „Isabella“ segelte über Backbordbug und schleppte die angeschlagene Karavelle wie ein totes Tier hinter sich her.

Immer wenn sie sich in die Wellen legte, ihr schmaler Bug sich hob und senkte, straffte sich die Schleppleine, begann wild zu scheuern und zog sich so straff, als würde sie jeden Augenblick mit einem gewaltigen Knall brechen.

Achtern dümpelte die segellose Karavelle, die immer wieder aus dem Kurs geriet und die Manöver auf der „Isabella“ dadurch erschwerte.

Hasard trat zu ihnen. Sein Gesicht war ernst und verschlossen. Kein Lachen in den sonnenverbrannten Zügen, kein Blitzen seiner weißen Zähne.

„Noch ungefähr eine halbe Stunde“, sagte er, „dann haben wir die kleine Insel erreicht.“ Er blickte auf die Schlepptrosse und nickte.

„Sie wird hoffentlich halten!“ meinte er dann.

Tucker starrte den Seewolf sauer an.

„Am liebsten würde ich die Axt nehmen und die verdammte Trosse damit kappen. Diese Hurenböcke haben uns nichts als Kummer bereitet und unnötigen Aufenthalt beschert. Ich wette, daß wir mit denen noch eine Menge Ärger kriegen.“

„Es sind unsere Landsleute“, erinnerte Hasard sanft, aber Tucker war nicht zu bremsen.

„Schöne Landsleute“, sagte er giftig. „Überhaupt dieses Arschloch von Leutnant Scinders. Der haßt uns wie die Pest.“

„Er ist auf unsere Hilfe angewiesen, genau wie die anderen auch.“

Der Seewolf wußte, daß es noch Ärger geben würde. Scinders hielt sie für Meuterer und ehrlose Rebellen. Er konnte die Wut der Seewölfe verstehen, er verstand auch Tucker und Carberry, die immer wieder grimmige Blicke zu der Karavelle hinüberwarfen.

Wäre es nach ihnen gegangen, hätten sie das angeschlagene Schiff sicher sich selbst überlassen. Sollten die Engländer doch sehen, wie sie auf der Azoreninsel klarkamen.

Aber Hasard wollte sich den Weg zurück nicht verbauen. Er wollte nicht, daß sie als gesetzlose Piraten galten, von England gehaßt, von der Krone verfemt. Es mußte einen goldenen Mittelweg geben.

In seine Überlegungen begann die Trosse hell zu singen. Die Karavelle schob sich nach Steuerbord und lief aus dem Kurs.

„Wenn die Leine nicht hält, werd ich wahnsinnig!“ schrie der Profos wild. „Dann können wir halsen und manövrieren, bis uns das Wasser im Hintern kocht. Könnt ihr verdammten Idioten denn nicht richtig steuern?“ brüllte er zu der Karavelle hinüber und schüttelte die mächtige Faust.

Die „Isabella“ tauchte in ein Wellental. Gischt spritzte am Bug hoch und verteilte sich in einem feinen Schleier über das ganze Vorschiff. Die Schlepptrosse hing ein paar Yards durch, und als die Galeone den Bug aus dem Wasser hob, straffte sie sich so stark, daß es einen spürbaren Ruck gab.

Carberry betete zum Himmel, daß das verdammte Tau halten möge. Es hielt zum Glück, auch wenn es immer wieder den Anschein hatte, es würde gleich brechen.

Die Karavelle schwenkte wieder auf Kurs, und der Profos atmete erleichtert auf.

Die Insel Graciosa rückte näher. Deutlich war die Rauchfahne eines kleinen Vulkans zu erkennen. Das Eiland war nicht groß, es hatte einen weißen, leuchtenden Strand von Palmen gesäumt. Dahinter wucherte Urwald. Er zog sich bis zu einem Berg hoch, der in dem Vulkankegel endete.

Hasard sah skeptisch zu der Insel hinüber. Es war die nördlichste in der Mitte der Azorengruppe. Er wußte nicht, ob sie bewohnt war. Jedenfalls zeigten sich keine Eingeborenen am Strand, und Boote waren auch nicht zu sehen. Doch das mußte nicht viel zu bedeuten haben.

Auf der „Isabella“ begann jetzt eine fieberhafte Emsigkeit.

Hasard gab die erforderlichen Befehle an Ben Brighton, der sie an die Crew weiterleitete.

„An die Brassen, an die Schoten! Holt ein die Blinde! Smoky, Tiefe loten!“

Die Männer standen bereit. Die Blinde, das Segel am Bugspriet, wurde eingeholt, die Männer schufteten.

Smoky lotete aus. Er kam auf fünfundzwanzig Faden, eine Tiefe, die sich nur sehr langsam veränderte. Klippen gab es nicht, sie konnten gefahrlos mit der „Isabella“ bis an den Strand segeln.

Ein Segel nach dem anderen wurde aufgegeit. Bramsegel, Marssegel und Großsegel fielen. Rapide nahm die Fahrt der Galeone ab.

Tucker und Carberry klarierten eilig die provisorisch wiederhergerichtete Nagelbank, die von den Kugeln der „Albion“ getroffen worden war.

Achtern lief die Karavelle jetzt aus dem Kurs, aber das ließ sich nicht ändern. Sie mußte zwangsläufig auf den Strand laufen.

Als die Leine im Wasser hing, drehte Hasard sich um.

„Achtern Schlepptrosse los, Ruder zwei Strich Backbord abfallen!“

Pete Ballie wiederholte den Befehl. Langsam schwang die „Isabella“ herum, um aus dem Bereich der auflaufenden Karavelle zu gelangen.

Noch sechs Faden Wasser unter dem Kiel, das jetzt ständig abnahm.

„Fallen Anker!“

Der Anker klatschte ins Wasser, das hoch aufspritzte. Carberry gab Lose, bis die ranke Galeone elegant herumschwoite und der Anker Grund faßte. Unter dem Kiel begann es sanft zu knirschen.

 

An Steuerbord rückte die Karavelle auf. Auch sie warf gleich darauf Anker, schwoite herum und zeigte den Seewölfen ihre zerschossene Steuerbordseite, ehe sie auflief.

Tiefe Stille herrschte ringsum, die nur durch das leise Murmeln der Wellen unterbrochen wurde, die an den Strand liefen.

Hasard hatte diese Stelle bewußt gewählt. Es war eine kleine, ruhige Bucht, in der die Schiffe vor auflandigem Wind einigermaßen geschützt waren. Hier konnten sie in aller Ruhe mit den schwierigen Reparaturarbeiten beginnen.

Das Deck wurde klariert, Hasard ließ die Ankertrosse noch etwas nachfieren, bis die „Isabella“ so sicher wie in Abrahams Schoß lag.

„Ein idealer Platz“, ließ sich Big Old Shane vernehmen, der riesige Schmied und ehemalige Waffenmeister der Feste Arwenack. Sein gigantischer Brustkasten war vorgewölbt, bei jeder Bewegung spielten die Muskelstränge an seinem Rücken und den Oberarmen.

„Ja, das ist er, Shane“, sagte Hasard. „Jetzt bin ich nur noch gespannt, ob unsere Landsleute uns helfen werden.“

„Zweifelst du daran?“ fragte Big Old Shane, dessen graue Haare wie ein Urwald von seiner Brust abstanden.

„Ehrlich gesagt, ja! Die Leute selbst sind nicht schlecht, aber ich traue Scinders nicht. Er wird versuchen, sie gegen uns aufzuhetzen.“

„Scinders! Dieser arrogante Narr. Wir werden ihn schon kleinkriegen“, versprach der Schmied.

„Drüben steigen die Soldaten an Land“, meldete Blacky.

Ein Trupp von knapp zwanzig Mann verließ die Karavelle über die Jakobsleitern. Sie sprangen ins Wasser und wateten an Land.

„Wir gehen auch an Land“, sagte Hasard. „Außerdem muß ich Leutnant Scinders sprechen. Wir wollen die Reparaturarbeiten möglichst schnell vorantreiben. Unser Ziel ist schließlich die Karibik und nicht die Azoren.“

„Ganz recht“, sagte Tucker. „Und deshalb werden wir diesen Hurenböcken gehörig Dampf unter die Hintern blasen.“

Etwas später verließen ein paar Männer das Schiff, um sich an dem Strand umzusehen. Hinter dem Urwald, der sich aus der Nähe mehr als großes verfilztes Gestrüpp entpuppte, kräuselte Rauch aus dem Vulkankegel in den Himmel. Es sah aus, als hätte jemand ein großes Feuer angezündet, das nicht so richtig brennen wollte.

Hasard, Tucker, Brighton und Carberry betraten den Strand. Sie sahen, wie sich bei den Engländern zwei Gruppen gebildet hatten. Die eine scharte sich um Leutnant Jonathan Scinders, die andere scharte sich um den ehemaligen Kommandanten der untergegangenen Galeone, Sir Daniel Nottingham.

Hasard dachte sich seinen Teil. Sir Nottingham war ein ehrenhafter Mann, der von seiner Mannschaft fast vergöttert wurde. Er war das, was man einen aufrechten Kerl nennt, während Scinders ein fanatischer Offizier war, ehrgeizig, kaltschnäuzig und arrogant. Aber jetzt war er es, der bei den Engländern zu bestimmen hatte.

Der Strand war heiß und feinkörnig. Gleich dahinter begannen die Palmenhaine, ein paar Kasuarinen und buntschillernde Sträucher.

Hasard ging auf die Gruppe zu, gefolgt von Brighton, Carberry und dem Schiffszimmermann, der auch diesmal nicht darauf verzichtet hatte, seine riesige, mörderische Axt mitzuschleppen.

„Was ist das denn?“

Tucker blieb stehen und deutete auf eine Stelle zwischen den Palmen, wo sich ein mannshohes, hölzernes Gebilde erhob.

Neugierig traten sie näher heran. Die Engländer hatten das Gebilde noch nicht bemerkt, aber sie äugten herüber.

Hasard blieb vor dem Ding stehen. Es war so groß wie er, nur breiter. Der untere Teil stellte einen primitiven Körper vor, der grob aus dem Holz herausgeschnitzt war. Anstelle eines Schädels befand sich auf dem oberen Teil der Kopf eines Haifisches mit weit aufgerissenem Maul und spitzen Zähnen.

„Eine merkwürdige Statue“, sagte Hasard. „Das paßt alles nicht zusammen. Vielleicht stellt es eine Art Gottheit dar.“

„Das hieße also, auf dieser Insel gibt es Eingeborene“, sagte Ben Brighton.

Hasard schüttelte den Kopf. „Das muß nicht unbedingt der Fall sein. Hier kann jemand gestrandet sein, der aus Langeweile dieses Ding geschnitzt hat. Sehr kunstvoll ist es ja nicht gerade.“

Hasard wollte Bens Theorie nicht direkt von der Hand weisen. Vermutlich gab es hier doch Eingeborene, aber warum sollte er seine Leute unnötig beunruhigen? Sie hatten genug um die Ohren. Die angeschlagene Galeone und dann die Engländer. Die nächsten paar Tage würden alles andere als langweilig werden.

Er betrachtete noch einmal diesen fürchterlichen Haifischkopf, dann wandte er sich achselzuckend ab. Die leichte Beunruhigung zeigte er nicht, niemand merkte ihm etwas an.

Sir Nottingham erwiderte Hasards Gruß höflich und zuvorkommend. Er achtete den Seewolf, genau wie der ihn auch achtete. Die Soldaten standen im Halbkreis herum und scharrten unruhig im Sand.

Leutnant Scinders erwiderte den Gruß nicht. Er drehte sich verächtlich zur Seite.

Scinders war ein hagerer, großer Mann, rötlichblond, mit einem abweisenden Gesicht von der Art, das selbst bei starkem Sonnenschein nie braun wurde. Es blieb immer leicht gerötet. Sein schmallippiger Mund wirkte verkniffen, um die Nase herum befanden sich kleine dunkle Sommersprossen. Seine Nase war leicht gebogen, was seinem Gesicht einen lauernden Ausdruck gab.

„Ich habe mit Ihnen zu reden, Leutnant“, sagte Hasard.

Scinders blickte aufs Meer. Als er antwortete, war seine Stimme schneidend scharf.

„Ich wüßte nicht, was ich mit Ihnen zu besprechen hätte.“ Er hielt es nicht für nötig, sich umzudrehen.

In Hasard begann es zu kochen. Seine Wangenmuskeln traten scharf hervor, der Blick seiner Augen wurde eiskalt.

Da mischte sich Sir Nottingham ein. Er wollte vermitteln.

„Leutnant“, sagte er sanft. „Ich begreife Ihre ablehnende Haltung, aber der Ernst der Lage erfordert es, daß wir zumindest vorläufig Hand in Hand arbeiten. Wir sind aufeinander angewiesen, denn wenn die Arbeit ...“

Schneidend scharf fuhr Scinders dazwischen.

„Ich darf Sie daran erinnern, Sir, daß Sie meinem Kommando unterstehen, seit Ihr geschätzter Rebell die ‚Albion‘ auf den Grund der See geschickt hat. Wenn Sie mit den Piraten konspirieren, werde ich mir weitere Schritte gegen Sie nach unserer Rückkehr vorbehalten. Ich hoffe, Sie haben mich verstanden, Sir!“

„Natürlich“, entgegnete Sir Nottingham kalt. „Aber ich lasse mich von Ihnen nicht einfach absetzen. Ich habe zwar nicht die Macht, im Augenblick etwas dagegen zu tun, aber eines Tages werden wir wieder zurückkehren, und dann wird man Sie zur Rechenschaft ziehen. Ich lehne es vorläufig ab, Gewalt zu ergreifen, und ich möchte nicht, daß es unter unseren Leuten zu Tätlichkeiten kommt. Wir sind waffenlos, vergessen Sie das bitte nicht!“

Scinders Gesicht verfinsterte sich.

„Und mir werden Sie wohl oder übel ebenfalls zuhören müssen, Leutnant“, unterbrach ihn Hasard rauh.

Dieser Scinders schien nur aus einer geballten Ladung Haß zu bestehen. Er haßte den Seewolf, und er verachtete den anständigen Sir Nottingham, den Kommandanten der gesunkenen Galeone „Albion“.

In das Wortgefecht der Männer mischte sich ein leises Grollen, das durch den Boden lief, ihn wellenförmig, leicht schüttelte und dann verebbte.

Alle Augen starrten zum Gipfel des Vulkans, aus dem träge der Rauch zog., In manchen Augen flackerte es leicht, aber als sich das Grollen nicht mehr wiederholte, beruhigten sich die meisten.

Scinders lachte verächtlich. „Ich muß überhaupt nichts. Und mit Meuterern und Rebellen will ich nichts zu tun haben, eher würde ich mir freiwillig die Pest holen, als mit solchem Gelichter zu verhandeln.“

Er hatte noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da stand Ferris Tucker blitzartig vor ihm. Die scharfe Schneide seiner Axt fuhr hoch. Erst kurz vor Scinders Gesicht blieb sie blitzend in der Luft hängen.

„Noch ein solches Wort, Freundchen“, drohte Tucker respektlos. „Noch einmal dieser Ausdruck, dann landet deine Rübe im Sand!“

Scinders wurde totenblaß. Er taumelte zurück. Nackte Angst stand in seinem Blick.

„Greift diesen Kerl!“ fuhr er seine Leute an.

Die Soldaten taten so, als hätten sie nichts gehört. Und Ferris, der rothaarige Hüne, ließ sich nicht erst vom Seewolf zurückpfeifen, er drehte sich wortlos um und ging zurück.

Hasard beherrschte sich meisterhaft. Nur seine Augen blitzten zornig und eiskalt vor verhaltener Wut. Mit diesem Holzkopf war einfach nicht zu reden, der ignorierte alles, was ihm nicht in den Kram paßte, auf eine arrogante und verletzende Art.

„Ihr sollt diesen Kerl greifen!“ schrie Scinders mit vor Wut überkippender Stimme.

Ein Teil der Leute hörte immer noch nicht. Unauffällig verließen sie Scinders und scharten sich um Sir Nottingham, dem die ganze Situation immer peinlicher wurde.

Drei oder vier andere unternahmen den lahmen Versuch, auf Ferris Tucker zuzugehen, doch sie erstarrten im Ansatz.

Wie dieser rothaarige Riese dastand, die mörderische Axt in den großen Händen, wie seine Augen vor Wut blitzten, wie er ganz langsam die Axt hob – nein, das wollte niemand riskieren. Der sah so aus, als würde er zehn Mann ganz allein erschlagen.

Ferris entblößte die Zähne, grinste unheilvoll und sah dann seinen Freund Carberry an.

Die Soldaten waren gewiß keine Feiglinge, das hatten sie in dem Kampf bewiesen, aber vor Hasard, diesem schwarzhaarigen Teufel mit den eisblauen Augen, hatten sie höllischen Respekt. Dann stand dieser mächtige, hünenhafte Profos mit dem Rammkinn da, dann Ben Brighton. Niemand wollte etwas riskieren, außerdem waren sie nicht bewaffnet.

„Das ist Meuterei“, sagte Scinders kalt. „Ihr Feiglinge! Habt ihr etwa Angst vor diesen Reb ... Kerlen?“ verbesserte er sich rasch.

Als sich immer noch keine Hand rührte, schien etwas in ihm zu zerbrechen. Sein Gesicht wirkte, als würde er gleich losheulen vor hilfloser Wut, seine Mundwinkel zuckten.

Stumm drehte er sich um und ging an den Männern vorbei.

Hasard vertrat ihm den Weg und starrte ihm hart in die wäßrigen Augen.

„Nur zu Ihrer Information, Leutnant“, sagte er. „Wir beginnen noch heute mit den Reparaturarbeiten.“

„Interessiert mich nicht.“

„Es sollte Sie aber interessieren, denn um unser Schiff zu reparieren, werden wir Ihre Karavelle ausschlachten! Und ich möchte den sehen, der mich davon abhält. Sie haben uns die Sache eingebrockt, und Sie werden sie auch auslöffeln!“

Scinders glaubte, sich verhört zu haben. Ungläubig blickte er den Seewolf an, der ihn kalt musterte.

„Wiederholen Sie das noch einmal“, sagte er tonlos.

„Ich denke, Sie haben mich verstanden, Leutnant. Ich habe mich klar genug ausgedrückt.“

Diesmal drehte Hasard sich um und ließ ihn stehen. Dabei fing er einen hilflosen Blick von Sir Nottingham auf, der die Schultern hob und sie gleich wieder fallenließ.

Scinders ging wortlos weiter. In ihm kochte und brodelte es. Am liebsten hätte er den Seewolf mit bloßen Händen erwürgt. Was dieser verdammte Rebell sich einbildete!

Er kam an der Statue, oder was immer es sein mochte, vorbei und blieb stehen. Was ihn dazu bewog, das Ding umzustoßen, wußte kein Mensch. Mit verzerrtem Gesicht hob er den rechten Fuß hoch und trat mit aller Kraft zu.

Polternd stürzte die Statue mit dem Haifischkopf auf einen Stein. Der obere Teil zerbrach, die Haifischfratze fiel in den Sand und kollerte Scinders vor die Füße.

„Dieser Idiot“, sagte Hasard zu Ben. „Hoffentlich hat er damit nichts Schlimmes angestellt!“

„Wie meinst du das?“

„Nur so, man kann ja nie wissen.“

Scinders ging weiter am Strand entlang, nachdem er seine Heldentat vollbracht hatte. Er vermittelte den Eindruck, als wolle er sich von der Gruppe lösen, um die Insel allein zu erkunden.

Niemand hielt ihn zurück. Scinders war nicht beliebt, aber dennoch hatten sie Angst vor ihm, vor seiner Persönlichkeit, die nur Paragraphen und sonst nichts kannte.

Was für ein wohltuender Anblick war dagegen Sir Nottingham. Der ehemalige Kommandant der „Albion“ war ein ruhiger, schlanker besonnener Mann um die Vierzig, eine gepflegte Erscheinung, gegen die Scinders hoffnungslos verblaßte.

Seine grauen Augen ruhten interessiert auf Hasard, er blieb höflich, wahrte aber immer eine gewisse Distanz, denn auch er kannte die hinterhältigen Verleumdungen, Anschuldigungen und Intrigen, in die die Seewölfe verstrickt waren, nicht.

Drei Männer lösten sich verstohlen aus der Soldatengruppe und schlenderten hinter Scinders her. Gefolgsleute, die auf seiner Seite standen, wie Hasard ganz richtig annahm.

 

„Was hat der Leutnant da umgestoßen, Mister Killigrew?“ erkundigte sich Nottingham. Er trat näher, legte den Kopf etwas schief und musterte die Überreste der zerbrochenen Statue.

„Ich weiß wirklich nicht, was es darstellen soll, Sir. Ein Symbol, ein Totem oder einfach nur die verspielte Schnitzerei eines Gestrandeten.“

Nottingham betrachtete den Haifischkopf. Er war schaurig und herrlich zugleich, und vor allem war der Schädel so echt wie nur möglich nachgebildet worden.

Unbehaglich wandte er sich wieder Hasard zu.

„Angenommen, es gäbe hier Eingeborene“, sagte er leise. „Und diese Statue symbolisiert eine Zone, die tabu oder heilig ist? Dann hat Leutnant Scinders allerdings einen schwerwiegenden Fehler begangen.“

„Genau das ist auch meine Ansicht“, sagte Hasard zu dem Kommandanten. Der Mann war offen und ehrlich, und er hatte ein untrügliches Gespür für derartige Sachen. „Aber wie dem auch sei, Sir, es ist nicht mehr zu ändern. Ich wundere mich nur, daß Sie gegen das Ausschlachten der Karavelle nicht protestiert haben!“

In Nottinghams grauen Augen lag die Andeutung eines Lächelns. Winzige Fältchen bildeten sich um die Augenwinkel.

„Sie sind der Sieger, Mister Killigrew, zu meinem Bedauern, muß ich allerdings gestehen. Es ist Ihr gutes Recht, sich an uns schadlos zu halten.“

„Ich will mich nicht schadlos halten“, widersprach Hasard. „Ihre Karavelle oder besser gesagt, des Leutnants Karavelle, ist nicht mehr seetüchtig, sonst hätte ich sie nicht schleppen müssen. An eine Reparatur des Schiffes ist nicht mehr zu denken, mit den wenigen Hölzern dieser Insel schon gar nicht. Aber mein Schiff ist zu reparieren, und da ich mir keiner Schuld bewußt bin, ist es nicht mehr als recht und billig, wenn ich mir die erforderlichen Planken von dem Wrack hole.“

„Natürlich. Nur hat Scinders das Kommando. Ich werde versuchen, auf ihn einzuwirken, aber er verachtet mich und will mich später vor ein Gericht stellen lassen.“

„Der Mann scheint nicht normal zu sein. Wir sind keine Rebellen oder Piraten, ich selbst habe von der Königin den Kaperbrief erhalten, und das hat einigen Intriganten nicht gepaßt. Bei Hofe wurden Lügen über uns verbreitet, obwohl wir der Krone einen Schatz brachten, wie ihn England noch nie gesehen hat.“

Hasard spürte, daß er sich in Eifer redete. Da war sie wieder, die alte Verbitterung, die erneut durchbrach.

Er schwieg abrupt und glaubte, sich verhört zu haben, als Nottingham nur einen kurzen Satz sagte.

„Ich glaube Ihnen, Mister Killigrew“, sagte er schlicht, und Hasard wußte genau, daß dieser Mann ihm wirklich glaubte. Er sah es in seinen ernsten Augen, an seinen Lippen, an seinem Mund, der zu einer Lüge gar nicht fähig war.

„Vielen Dank! Es gibt leider wenig Männer wie Sie.“

Hasard drehte sich zu seinen Leuten um.

„Wir beginnen damit, die Sachen von Bord zu holen, an Land zu verstauen und ein paar Unterkünfte aufzubauen. Sagt den Leuten auf dem Schiff Bescheid!“

„Aye, aye, Sir!“ Tucker und Carberry zogen ab. Nur Ben blieb noch mit Hasard da.

„Ihr beginnt jetzt ebenfalls mit dem Ausladen!“ befahl Nottingham den Seesoldaten. „Alles an Land, und daß mir die Verwundeten vorsichtig transportiert werden!“

Die Soldaten zogen ebenfalls ab.

Hasard sah den Strand hinunter. Scinders und seine paar Gefolgsleute hatten schon fast das Ende der Bucht erreicht. Nicht ein einziges Mal hatten sie sich umgedreht.

„Ich wette, die hecken etwas aus“, sagte Hasard.

Nottinghams Stirn umwölkte sich. Voller Unbehagen sah er Scinders nach.

„Leider dürften Sie recht haben, Mister Killigrew. Aber ich kann und will nichts gegen ihn unternehmen. Es darf zu keinem Konflikt kommen. Selbst wenn er mich dreimal abgesetzt hat, bleibe ich immer noch Kommandant, und der größte Teil der Leute hält einwandfrei zu mir, das kann ich Ihnen versichern.“

„Ich habe es selbst gesehen“, erwiderte Hasard.

Was dieser Scinders sich hier in seinem grenzenlosen, verbohrten Haß herausnahm, ging zu weit. Später, in England, würden sich für ihn schwerwiegende Konsequenzen daraus ergeben. Nur sah er das noch nicht ein.

Die Männer trennten sich nach einem kurzen Gruß. Jetzt ging es erst einmal an die Arbeit.

Ein letztes Mal blieben der Seewolf und Ben vor der zerstörten Statue stehen.

„Gib es zu, daß du ein mulmiges Gefühl hast, Hasard“, sagte Ben.

Hasard gab es zu. „Ja, natürlich, ich denke ständig an dieses verdammte Götzenbild. Wenn ich nur wüßte, was es zu bedeuten hat. Ich komme einfach nicht dahinter.“

Damit war das Thema vorerst erledigt. Über das Götzenbild wurde erst später wieder gesprochen.

Unterdessen hatte Scinders mit seinen drei Leuten die Spitze der Bucht erreicht. An dieser Ecke standen ein paar kleinere Felsen halb im Wasser und halb an Land.

Scinders blieb stehen und drehte sich um.

„Wir sind ein Sauhaufen geworden“, stellte er fest, „ein verdammter Sauhaufen, der sich um Nottingham schart. Mir ist nicht klar, weshalb die meisten zu ihm halten, denn er verbrüdert sich mit Rebellen, Piraten und lichtscheuem Gesindel, das sich auf einen längst widerrufenen Kaperbrief Ihrer Majestät beruft. Dieser Killigrew gehört an den Galgen, einschließlich seiner gesamten Kreaturen. Und ich verspreche euch schon heute, daß er eines Tages dort hängen wird. Will die Karavelle abwracken, sein Schiff reparieren und uns hier hilflos zurücklassen.“

Seine Stimme bebte vor Zorn. Er fühlte sich elend und machtlos, verraten und verkauft.

„Was können wir tun, Sir?“ fragte ein baumlanger Soldat. „Wir alle sind entwaffnet. Wir haben nicht eine einzige Muskete.“

„Ja, ich weiß. Aber wir müssen um jeden Preis verhindern, daß dieser Pirat wieder zu einem seetüchtigen Schiff kommt. Die Suppe werden wir ihm gründlich versalzen!“

„Sabotage, Sir?“ fragte der Lange. „Sie wissen, daß wir unverbrüchlich zu Ihnen halten, Sir!“

„Natürlich Sabotage, etwas anderes ist für uns nicht möglich. Diese Satansbrut darf die Insel nicht verlassen. Ich habe auch schon eine Vorstellung. Ihr habt doch Freunde, selbst unter den Leuten von der Galeone.“

Alle drei nickten eifrig.

Scinders fuhr im Plauderton fort. Er gab sich jovial und gelassen, wie es sonst gar nicht seine Art war.

„Na, seht ihr. Ihr werdet doch in der Lage sein, ein paar eurer engsten Freunde zu überzeugen. Außerdem appelliere ich an euren Patriotismus. Wir sind Soldaten, Männer, und keine Schwächlinge, die sich permanent von Piraten übervorteilen lassen. Denkt an unsere Verwundeten und an die Toten, die dieser Kampf gekostet hat. Nur, weil sich ein paar aufsässige Rebellen nicht ergeben wollen.“

Das kam bei den einfachen Seesoldaten an. Wenn ein Vorgesetzter Zwietracht in ihre einfachen Seelen säte, dann ging die Saat meist sehr schnell auf und trug bald Früchte.

Scinders verstand es meisterhaft, die Männer davon zu überzeugen, daß es auf der Insel nur Platz für eine Gruppe gab. Daß nur eine ein Recht zum Leben hatte.

Und das waren bestimmt nicht die Seewölfe. Wenn sie die Reparatur des Schiffes sabotierten, dann war damit zu rechnen, daß früher oder später ein englisches Kriegsschiff hier auftauchte, um nach den vermißten Schiffen zu suchen. Und dann würde mit der Satansbrut aufgeräumt werden. Auf diese Art kam Scinders zu seiner langersehnten Rache. In dieser Richtung liefen seine Gedanken.

Kurz nach Mittag herrschte am Strand eine Emsigkeit, die immer größere Ausmaße annahm.

Alles was nicht verbolzt, vernietet und vernagelt war, wurde von Bord der „Isabella“ an Land geschafft. Da wurden Kisten, Säcke, Fässer und Segel geschleppt.

Ferris Tucker hatte zusammen mit ein paar anderen Männern Taljen und Blöcke an Land geschleppt und sich den Stamm einer Palme ausgesucht, der stabil genug war, um den nötigen Halt für das Krängen der Galeone zu gewährleisten.

Der Profos kehrte mit starken Tauen von Bord zurück. Sechs andere waren damit beschäftigt, provisorische Unterkünfte zu bauen. Im erhöhten Strandteil bei den Palmen wurde gegraben, Pfosten wurden in den Boden gerammt. Der Segelmacher Will Thorne hatte alle Hände voll zu tun, um aus Segeln die notwendigen Überdachungen herzustellen.

Hasard half mit. Ab und zu sah er zu der Karavelle hinüber, wo ebenfalls fleißig entladen wurde. Er stieß Big Old Shane an.

„Sieh dir mal diesen Scinders an“, sagte er. „Der Kerl rührt keinen Finger, und die Leute, die sich um ihn geschart haben, ebenfalls nicht. Sie tun so, als ginge sie das alles nichts an.“

„Wir sollten uns die Gesichter von den Kerlen merken. Auf diese Burschen müssen wir ganz besonders achten. Ich fühle, daß sie geradezu auf eine Gelegenheit warten, um uns eins auszuwischen.“

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