Das Erbe Teil II

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„Thors“ Ankunft

„Thor“ hatte hoch über dem über dem Mittelmeer die Tests, die seine Besatzung durchführte, mit Bravour absolviert. Nun ging der Flug geradewegs weiter nach Süden. Oberstleutnant Hahnfeld verfolgte mit großem Interesse das Agieren der beiden Piloten. Er saß auf seinem bequemen Ledersitz angeschnallt und konnte noch immer alles nicht so recht fassen, was rings um ihn geschah. Die leichte Übelkeit, die ihn befiel, als die Piloten, wie angekündigt, während des Fluges mit „Thor“ experimentierten, hatte sich wieder gelegt. „Stehen noch ein paar solche Schlenker in Aussicht?“ fragte er dennoch vorsichtig, als die Flugscheibe endlich wieder ruhig dahinzog. „Nein“, antwortete Seidel leicht grinsend, „wir haben alle wichtigen Funktionen überprüft, daher auch der etwas unruhige Flug vorhin. Jetzt geht es heimwärts! Man erwartet uns ja schon sehnlichst. Übrigens fliegen wir gerade über den Raum der Sahara Richtung Zentralafrika. Unseren ersten Funkspruch werden wir aber erst absetzen, wenn wir unsere Basis fast erreicht haben. Wir müssen völlig unbemerkt bleiben und Sie schließlich heil ans Ziel bringen.“

„Es ist jedenfalls mehr als erstaunlich, wie gut dieses Gerät funktioniert. Immerhin hat es einige Jährchen in der Felsenhalle gestanden, ohne irgendwie bewegt oder gewartet zu werden. Ich habe es immer bewundert und nie geglaubt, es noch einmal fliegen zu sehen. Geschweige, sein Passagier zu sein“ gab Hahnfeld seiner Anerkennung Ausdruck. „Nun ja, wir haben natürlich schon einige Wartungsarbeiten vor unserem Abflug durchgeführt. Aber „Thor“ ist von der Substanz her völlig in Ordnung. Die kleine Wartezeit hat ihm nicht geschadet. Wir werden nachher nochmals steigen und die Erdatmosphäre verlassen. Es ist dann der vorläufig letzte Test, der findet als kurzer Flug im Weltraum statt.“ Hahnfeld kam aus dem Staunen nicht heraus. „Soll das heißen, wir fliegen direkt ins All? fragte er ungläubig. „Ja, nach dem Verlassen der eigentlichen Erdatmosphäre sind wir dann im freien Weltraum. Dort setzen wir aber unseren Kurs fort und gehen aus dem All kommend zu unserer Basis nieder.“ „In etwa einer halben Stunde wird der Steigflug stattfinden“, ergänzte Hase, während er sich umwandte und einige Unterlagen aus einer seitlichen Ablage hervorkramte. Die beiden Piloten versenkten sich in ein leises Zwiegespräch, das den weiteren Flugverlauf betraf. Aufmerksam beobachtete Hahnfeld die Bildschirme und Anzeigen, die dem kundigen Auge den gleichmäßigen, störungsfreien Flug „Thor’s“ verrieten. Draußen kam einer Art Dämmerlicht auf, dennoch war von der Erdoberfläche nichts zu sehen. Nur dichte, dunkle Wolkenschleier rasten unter ihnen dahin. Die hohe Geschwindigkeit der Flugscheibe war in der Kabine nicht im mindesten spürbar. Nur das leise, monotone Brummen verriet das gleichmäßige Arbeiten des hochtechnisierten Magnet-feldtriebwerkes.

Die Kräfte, die hier wirkten, waren die wohl bislang außergewöhnlichste Erfindung der Menschheit. Ihre breite Anwendung könnte die Unabhängigkeit von allen herkömmlichen Energiequellen bedeuten. Keine Ölfelder müßten da mehr erschlossen werden, keine Kohlekraftwerke bräuchten mehr die Welt in ihre stinkenden Rauchschwaden zu hüllen. Das Ganze war allerdings auch ein Politikum ersten Ranges. Die internationalen Ölmultis und Banker waren an solchen Erfindungen in keinster Weise interessiert. Die Welt würde ja nicht mehr ihrem Diktat unterliegen, das sie auch hinsichtlich der Energieversorgung schamlos ausübten. Man würde von ihrer Seite aus alles daransetzen, einen solchen genialen Erfindungsgeist mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu zerstören Doch ungeachtet all‘ dessen schwebte „Thor“ unsichtbar für die Menschen auf der Erde über die Länder Schwarzafrikas. Hahnfeld wußte, daß er die Piloten jetzt nicht stören durfte. Sie waren anscheinend wieder zur Handsteuerung übergegangen. Es dauerte nicht mehr lange, als sich das Brummen des Antriebsaggregates nur unmerklich etwas veränderte. Dies war aber auch schon der einzige Hinweis darauf, daß „Thor“ sich nun auf dem ansteigenden Flug ins All befand. Der Passagier in der Flugscheibe riß die Augen immer weiter auf, als er sah, wie die blaugraue Erdoberfläche sich scheinbar immer mehr zu krümmen begann und schließlich eine derartige Höhe erreicht wurde, die eine deutliche Entfernung von der Lufthülle des Planeten darstellte. „Nun sind wir fast im freien All. Draußen herrscht Vakuum und eine schier irrsinnige Kälte. Glauben Sie’s mir?“ sagte Seidel, sich grinsend zu Hahnfeld wendend. Dieser nickte nur sprachlos. In der zunehmenden Schwärze des Weltraums glänzten die Sterne in einem unwirklich, klaren Licht. Selbst die fernsten Sonnen schienen ihre Strahlen ihnen zu Ehren ganz besonders gleißen zu lassen. Ehrfürchtig schauten jetzt alle drei Männer schweigend zu den Bildschirmen, auf denen das Wunder sichtbar wurde. Hahnfeld räusperte sich leise. „Da fehlen einfach die Worte. Man kann es gar nicht begreifen, daß so etwas möglich ist. Eine wunderbare Technik ...“

„Ja, die Damen haben schon was drauf gehabt, die diese Geschichte ins Leben riefen...“, Hase kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Man sagt ja, sie hätten die ersten Bauanweisungen und Informationen auf eine sehr geheimnisvolle Weise erhalten. Aber es funktioniert eben tatsächlich. Das ist aber auch für uns immer wieder eine ganz und gar erstaunliche Angelegenheit.“

Ruhig zog „Thor“ durch den erdnahen Raum. Während die Männer hinter seiner hermetisch abgeschlossenen Hülle den Anblick des Alls genossen und ihre Gedanken austauschten, überwand die Flugscheibe wie im Traum bedeutende Entfernungen. Hier oben, unerreichbar für alle Feinde, war auch die Überwachung der Basen des Gegners problemlos. Ausgefeilte, zum Teil vollautomatische Kameratechnik machte präzise Fotos und Filmaufnahmen von interessierenden Gebieten der Erdoberfläche möglich. Hochauflösbar gaben diese dann Details von technischen Einrichtungen, Gebäuden, Straßen, Flughäfen usw. wider, und es konnten sogar Untergrundanlagen geortet werden.

Die weißen Eisflächen der Antarktis tauchten im grellen Sonnenlicht auf, als sie den Sinkflug über der hohen Wolkendecke stoppten. „Thor“ setzte jetzt seinen ersten Funkspruch während der ganzen Reise ab. „Wolkensturm für 211, Wolkensturm für 211, kommen!“

Seine schon fast abgeleistete Schicht über hatte der diensthabende Funker auf dieses Lebenszeichen von „Thor“ gewartet. Der Basis-Kommandant persönlich hatte ihm eingeschärft, die Ohren ja gut aufzuhalten und sofort Bescheid zu geben, wenn sich die erwartete Flugscheibe melden sollte. Die zwei Kameraden, die vor ihm Dienst taten, hatten vergeblich den Äther abgehört. Allmählich begann man sich Sorgen um den Verbleib der beiden Männer zu machen, die seit Monaten in der Welt unterwegs waren. Eine Verbindung mit ihnen konnte jedoch erst zustande kommen, wenn sie die Flugscheibe erfolgreich heimholen konnten.

Klar und deutlich drangen aber nun die erlösenden Worte aus dem Lautsprecher der Funkzentrale. Nach der vorgeschriebenen Identifizierung ging die Flugscheibe kurz auf eine Parkposition. Inzwischen wurde vom diensthabenden Funker der Kommandant verständigt. Wenige Minuten später erschien er eiligst im Funkraum, ergriff selbst das Mikrophon und sprach zur Besatzung. „Den herzlichsten Glückwunsch, meine Herren! Kommen Sie nun gut runter, und Hals- und Beinbruch. Ich gebe Landeanflug für Hangar eins frei. Wir sehen uns in wenigen Minuten.“

Nach der Bestätigung durch die Besatzung von „Thor“ glitt das Aggregat im lautlosen Sinkflug durch die dünnen Atmosphärenschichten, tauchte in den strahlenden Sonnenschein des antarktischen Landes ein und senkte sich, immer langsamer werdend, einer bläulich-weiß vergletscherten Bergkette entgegen. Südlich des großen Wohlthat-Massivs, mit seinen bis zu 3900 Meter hohen Gipfeln, lag hier die Schirrmacher Seengruppe. Dicht bei den teilweise eisfreien Warmwasserflächen gab es ebenfalls einige hohe, ausgedehnte Felsenrücken, die unmittelbar bis an diese heranreichten. Und genau auf einen solchen See hielt „Thor“ jetzt zu. Die Landung erfolgte auf der Wasseroberfläche des antarktischen Gewässers - dann sackte die Flugscheibe in die Tiefe. Nur einige Strudel und aufsteigende Blasen kündete von dem soeben beendeten Vorgang. Unter Wasser tauchte ein breites Felsentor auf, dessen massives Stahlschott sich lautlos beiseite schob. In dieses glitt nun „Thor“, einem Tauchboot gleich, präzise hinein. Die sich anschließende, künstlich geschaffene Unterwasserpassage erweiterte sich bald zu einem weiten, unterirdischen See, dessen große Wasserfläche in einer uraltem, aus Gestein und Eis bestehenden natürlichen Grotte ausdehnte. In ihr tauchte die Flugscheibe wieder sanft aus den eisigen, dunklen Fluten auf. In Strömen rann das eisige antarktische Wasser rauschend von ihrer metallischen Außenhaut, bis sie nochmals zu einem sanften Steigflug ansetzte, um ihren eigentlichen Landeplatz auf dem weiten, betonierten Plateau am Ufer des nun unterirdischen Seeabschnitts zu erreichen. Erst der von Scheinwerfern hell angestrahlte, mit einem großen, weißen Kreuz versehene Lande- und Startring gab ihr den endgültigen Ruhepunkt. Der zur Wasserfläche hin von angeschrägten Betonwänden in Sektionen eingeteilte Höhlenraum bot noch einigen anderen Flugscheiben Platz. Sie alle standen jedoch auf Sockeln, die sich, gleich mächtigen Fahrstühlen, schnellstens weiter in die Tiefen des antarktischen Gebirges absenken ließen. Dort waren sie so auch vor eventuellen Angriffen mit sehr schweren Waffen von außen wirksamst geschützt.

Fast die ganze dienstfreie Besatzung der Station hatte sich versammelt, um der lange herbeigesehnten Ankunft „Thors“ beizuwohnen. Als sich das Luk im Aufbau öffnete, drang brandender Beifall durch die Grotte. Mit angestrengten, aber glücklichen Gesichtern verließen die beiden Piloten und ihr Passagier die Flugscheibe. Am Boden des Bunkers sicher angekommen, nahm sie Strese sofort in Empfang.

 

„Na, Herr Oberstleutnant, die Erde hat Sie wieder. Wie war der Flug? Ich freue mich so, Sie endlich kennenzulernen und nun bei uns zu haben“, strahlte Kommandant Strese seinen eingeflogenen Gast an. „Wir sind ja sozusagen Kollegen“, sagte er, während er Hahnfeld herzlich um die Schulter faßte und ihn und die beiden Piloten etwas seitab führte. „Sie sind nun da, Leute. Laßt sie nun ein wenig verschnaufen. Wir machen hier doch kein Volksspektakel.“, wandte er sich zu der versammelten Mannschaft, die sich auch bald nach seinen Worten zerstreute.

„So, meine Herren, nun wollen wir mal das Willkommen gebührend feiern“, mit diesen Worten führte er alle zum Fahrstuhl, der sie bald in die Kommandoebene der Station brachte. In den Streses Räumen war schon alles für einen kleinen Empfang vorbereitet. Gemütliche Sessel waren um ein kaltes Buffer drapiert und die Ordonnanzen brachten gerade noch einige geistige Getränke an den Tisch. „Nehmen Sie bitte Platz und langen Sie einfach zu“, lud Strese ein. „Sie haben ja einige Anstrengungen hinter sich. Und um die Entladung der Flugscheibe kümmern wir und morgen. Sie steht ja gut und sicher wieder auf heimatlich-sicheren Boden.“ Während des Essens berichteten Hase und Seidel vom Ablauf ihres Auftrages. Strese hörte aufmerksam zu und stellte nur wenige Zwischenfragen. „Aber nun zu Ihnen, Herr Oberstleutnant. Wie fühlen Sie sich jetzt? Sie sind angekommen. Ihre einsame Wacht hat ein Ende gefunden.“

Hahnfeld entgegnete, daß er sich noch immer wie in einer Art Traum fühle. Zu schnell und gewaltig sei die Veränderung, die er innerhalb weniger Stunden erlebt hatte. „Manchmal denke ich, alles sei nur ein Traum und ich wache wieder in meiner alten Bergbasis auf.“

„Das verstehe ich.“ Strese klopfte ihm abermals auf die Schulter. „Sie werden sich bei uns erst mal richtig ausspannen und erholen. Und dann zeige ich Ihnen alles persönlich. Es wird Sie sicher sehr interessieren, wie wir hier leben und untergebracht sind. Schließlich sind Sie ja in diesen Dingen der eigentliche Fachmann. Wenn man sich das vorstellt; jahrelang hat er die riesige Gebirgsbasis ganz alleine bewacht und in Schuß gehalten. Da kann man nur den Hut ziehen.“ Die drei Männer unterhielten sich noch eine gute Weile über dies und jenes, kamen dann aber auf die Fracht zu sprechen, die man aus dem nun so fernen Eulengebirge mitbrachte.

„Da sind alle angeforderten wichtigen Dinge dabei“, machte Hahnfeld deutlich. „Einerseits eine Menge Gold und Platin. Dann alle Dokumente, die die Forschungsprojekte betreffen, die bei uns stattfanden.“ Nun war der Zeitpunkt gekommen, daß sich Hase und Seidel aus der Runde zurückzogen. „Sie haben die nächsten zehn Tage komplett dienstfrei. Sonderurlaub, alles klar? Ich wünsche Ihnen was. Und nun macht euch in eure Quartiere“, lachte Strese hinter seinen Männern her.

Strese und Hahnfeld blieben im Raum alleine zurück. „Es ist so, Dr. Hahnfeld“, begann sein Gegenüber zu sprechen, während er Cognac nachgoß. „Wir sitzen hier ja nicht zu unserem gefälligen Zeitvertreib unter dem Eis dieses gottverlassenen Kontinents. Und das eine ganze Weile schon. Meine Männer haben in letzter Zeit zudem erhebliche gesundheitliche Probleme. Unser Immunsystem beginnt zu wackeln und dergleichen. Es gab auch schon Fälle, wo der eine oder andere durchdrehte. Sehr unangenehme Geschichten. Wir haben aber noch einen Auftrag zu erfüllen. Und der besteht darin, eine letzte gewaltige Anstrengung zu unternehmen, um das Blatt vielleicht doch noch zu wenden.“ Hahnfeld schaute bei diesen Worten etwas ratlos drein. „Es geht darum“, fuhr Strese fort, „noch einen sehr weiten und gewagten Flug ins All zu unternehmen. Wir müssen dorthin, wo die Mittel lagern, die für unseren Auftrag unabkömmlich sind. Sie wissen tatsächlich nichts davon?“ Strese schaute fragend in Hahnfelds Gesicht. „Nein, zum Teufel. Ich habe absolut keine Ahnung, worauf Sie hinauswollen“, antwortete dieser.

„Es geht um eine Art uraltes Relikt mit höchst magischen Kräften“, begann Strese wieder leise zu sprechen. „Die genaue Information über seinen irdischen Lageort wurde vor langen Zeiten auf einem Planeten unseres Sonnensystems verborgen, mit Hilfe Abgesandter einer Sternenrasse, die, nach Einbruch der Kataklysmen, welche man gemeinhin als die Sintflut bezeichnet, unseren Planeten verließen und in einem fernen Sternensystem eine neue Heimat fanden. Es ist ein sogenannter schwarz-lila Stein, dessen genauen Lageort auf der Erde wir suchen. In dem Stein soll das Licht der Schwarzen Sonne wohnen. Es versinnbildlicht die Kraft der eigentlichen Zentralsonne, um die sich das ganze Universum bewegt. Einmal in seinem Besitz könnte es gelingen, die dem Stein innewohnenden positiven Schwingungen auf diesem verdammten Planeten freizusetzen und mit ihrer Hilfe endlich die jetzt herrschenden Kräfte der Finsternis zu überwinden. Dieser geheimnisvolle Artefakt ist der eigentliche Schlüssel für Gedeih oder Verderb. Sein Besitz entscheidet über Leben oder Untergang. Es dreht sich alles nur noch um ihn. Doch uns bleibt nicht mehr viel Zeit, wollen wir wenigsten noch ansatzweise den Beginn einer neuen Ära miterleben. Kurz und gut, wir müssen zum Mars!“ Strese nahm Hahnfelds entgeisterte Blicke gelassen hin.

Zum Ammergebirge

Pünktlich und ohne Schwierigkeiten erreichte Wolf den Flughafen Tempelhof. Der Grenzübertritt in den westlichen Sektor Berlins verlief reibungslos. Er benutzte von Tempelhof aus einen der wenigen Linienflüge nach Frankfurt/M. Im Flugzeug machten sich die Strapazen und noch nicht verarbeiteten Ereignisse der letzten Tage bemerkbar und er nickte fest ein. Kurz vor der Landung der Maschine in der Mainmetropole weckte in die Flugbegleiterin mit der Bitte, sich anzuschnallen. In der Tasche hatte Wolf eine Telefonnummer, die ihm Meurat für alle Fälle mitgab. Immerhin war Wolf völlig fremd und kannte eigentlich niemand an seinem Zielort. Frankfurt am Main war für ihn ein völlig unbekanntes, noch nie betretenes Pflaster. Doch er brauchte sich nicht von Flughafen zu entfernen. In der großen Abfertigungshalle befand sich ein kleines Kaffee für die Reisenden, daneben stand ein Zeitungskiosk. Von dort holte er sich eine Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen und stellte sich an den breiten Tresen des Kaffees, wo man auch an eilige Kunden schnell ein Getränk ausschenkte. Er hielt die Zeitung in besonderer Weise und sah sich anscheinend gelangweilt um. Der bestellte Kaffee war schon lange ausgetrunken, doch noch tat sich nichts. Wolf wurde langsam unruhig und bestellte ein zweite Tasse. Die Lautsprecherdurchsagen verschiedener Fluggesellschaften dröhnten ständig in die große Halle und aus dem Radio über dem mit bunten Flaschen und Gläsern vollgestellten Regal hinter dem Kellnergang dudelten unentwegt die aufdringlichen Rhythmen amerikanischer Jazzmusik. Aus dem Gewirr der zahllosen Menschen, die ständig die Halle durchquerten, strebte niemand auf ihn zu. Und so unterdrückte Wolf seine erneut aufsteigende Müdigkeit und wartete geduldig weiter. Und seine Geduld wurde belohnt. Plötzlich stand ein Mann neben ihm.

„Köbis, mein Name. Edmund Köbis. Ich bin Ihr Chauffeur, junger Mann“, stellte er sich mit einem leichten Kopfnicken vor. Erleichtert strahlte Wolf ihn an. „Das freut mich aber. Ich hatte schon geglaubt ...“ „Oh, nur keine Panik.“ unterbrach ihn der eben Eingetroffene. Er trug einen leichten Mantel und einen Hut, unter dem sich eine recht kahler, runder Kopf befand. Köbis mochte Ende 40 sein und machte auf Wolf einen ruhigen, gesetzten Eindruck. Verstärkt wurde dies alles noch von einer altmodischen, runden Nickelbrille, die auf der kleinen Nase des Mannes thronte. „Ich mußte mich erst ein wenig umschauen. Immerhin sind wir nicht gerade auf einer fröhlichen Landpartie... Da muß man schon ein wenig aufpassen.“ „Da sagen Sie mir nichts Neues“, entgegnete Wolf. „Ich habe erst ein schreckliches Erlebnis hinter mir. Es steckt mir noch in den Knochen.“ „Ich weiß, Meurat hat etwas in dieser Richtung angedeutet, als ich mit ihm telefonierte. Es tut mir wirklich leid. Aber mit unseren Widersachern ist absolut nicht zu spaßen, die gehen aufs Ganze. Wir müssen immer gut aufpassen und die Augen aufhalten. Und nun haben wir eine lange Fahrt vor uns. Ich bringe Sie zu Trauenfeld. Er wohnt auf seinem Familiensitz, einer kleinen Burg an den nördlichen Ausläufern des Ammergebirges gelegen. Dort haben Sie dann erstmal ihr Ziel erreicht. Ihr Gastgeber erwartet uns schon. Bei ihm kommen Sie ganz elegant, aber etwas altertümlich unter. Er ist der Ordensherr, dem Sie noch nie begegneten. Alles ging bisher über ihren Vater. Die Dinge sind wohl hier drin...?“ Köbis deutet auf den großen Rucksack, den Wolf fest an sich gedrückt hielt. „Ich muß Ihnen eh‘ vertrauen und glauben“, antwortet er. „Ja, die Dinge, wie Sie sagen, sind hier drin. Aber ich gebe sie nicht aus der Hand, bevor ich bei diesem Trauenfeld bin. Und dieser muß sich mir gegenüber identifizieren. Mein Vater hat mir in dieser Richtung noch einen Hinweis gegeben - eine Sicherheit, von der außer ihm und mir niemand weiß.“

„Das ist ja alles in Ordnung“, erwiderte Köbis beschwichtigend. „Es ist sogar gut so, denn die Dinge um die es geht, sind wirklich ein sehr heißes Eisen, um mich mal so profan auszudrücken.“

Er schob das kleine Brillengestell zurecht und machte einen nun etwas erleichterten Eindruck. „Ich bin jedenfalls froh, Sie richtig angetroffen zu haben. Und schauen Sie bitte hier,“ er hob leicht die linke Hand an, „es sollte Sie ebenfalls beruhigen.“ Am kleinen Finger des Sprechers glänzte ein silberner Siegelring. Auf ihm war bei genauerem Hinsehen, daß Ordenssymbol der Herren vom Schwarzen Stein zu erkennen. „Ich bin sozusagen die heimliche Reserve. Mit Trauenfeld besteht die Abmachung, daß ich mehr im Hintergrund agiere. Man kann ja nie wissen... Wenn Sie wollen, könnten wir uns aber jetzt auf den Weg machen. Wir haben eine lange Fahrt vor uns. Der Wagen steht draußen auf dem Parkplatz.“

Es war ein schwarzer Opel, groß und mit bequemen Sitzen. Wolf warf den Rucksack auf die breite, hintere Sitzbank. „Lassen Sie sich dort nieder“, sagte Köbis, „da können Sie unterwegs auch ein Nickerchen machen.“ Brummend sprang der starke Motor an. Köbis ließ rucken die Kupplung kommen, dann fuhren sie los. Sie erreichten bald die Fernstraße Richtung Süden, wo sie sich in den mäßigen Verkehr einfädelten. Die erste Rast machten sie nach zwei Stunden. Im Auto hatten sie nicht viel miteinander gesprochen. Köbis konzentrierte sich auf das Fahren und Wolf war in eine Art leichten Dämmerschlaf gesunken, ohne jedoch die Hand von dem Rucksack zu lassen, der dicht neben ihm auf dem weichen Polster lag. Nach einem aufmunternden Kaffee und einem kleinen Imbiß setzten sie ihre weite Reise fort. Das monotone Motoren Geräusch ließ Wolf wieder in einen Halbschlaf sinken. Bilder tauchten vor seinem inneren Auge auf. Wieder sah er sich allein durch die dunklen, verlassenen Gänge der unheimlichen Gebirgsbasis tappen. Erneut drang das Rattern der Maschinenwaffen der automatischen Draisine an sein Ohr, deren Garben ihm das Leben hätten kosten können. Und auch das abgelegene Haus von Sabine tauchte schmerzlich deutlich in seinem Traum auf. Dann sah er das Gesicht seines Vaters vor sich. Wie aus einem Nebel tauchte es auf. „Achte gut auf dich, mein Junge“, hörte er ihn leise sagen. „Es sind wichtige Dinge zu bestellen. Du trittst nun mein Erbe an. Halte es ihn Ehren. Du wirst eine große Aufgabe ...“. Die Stimme tauchte unter, wurde undeutlicher und immer leiser. Schließlich war das ganze Bild wieder zerflossen.

Als er zum Fenster hinausschaute zeigten sich die ersten hohen Bergkämme über den dunklen Wäldern, die sich jetzt links und rechts der Straße ausdehnten. Köbis steuerte das Fahrzeug mit sicherer Hand. Er fuhr nicht zu schnell, aber offensichtlich waren sie schon gut vorangekommen. Der Aschenbecher am Armaturenbrett quoll fast über. Köbis rauchte und rauchte. Selbst das Fahrerfenster, das einen Spalt geöffnet war, vermochte nicht den Rauch vollständig aus der Kabine abziehen zu lassen. Wolf hustete. „Mein Gott, Herr Köbis, Sie setzen aber auch Schwaden frei“, sagte er. Dieser wandte sich darauf um. „Ja, entschuldigen Sie, es ist eine recht schlechte Angewohnheit diese elende Qualmerei.. Ich dachte, Sie schliefen. Und da Sie ja auch ab und zu zur Zigarette greifen ...“ „Ist ja schon gut, Mann“ erwiderte Wolf, „Am besten wir machen mal wieder eine kleine Rast und lüften bei der Gelegenheit den Wagen so richtig durch. Sie könnten doch auch sicher mal eine Pause und etwas frische Luft gebrauchen. Außerdem sieht es da draußen ja so richtig angenehm aus. Eine herrliche Landschaft. Sicher finden wir irgendwo einen kleinen Parkplatz.“

 

„Eine gute Idee. Im Kofferraum steht außerdem ein Korb mit ein paar vorbereiteten Sachen, die mir meine Frau mitgab. Wir müssen daher nicht unbedingt eine Gaststätte anfahren. Sie hat sicherlich Gutes eingepackt.“

Nach etwa zehn Minuten weiterer Fahrt tauchte hinter einer alten, steinernen Brücke, die über einen Wildbach führte, tatsächlich ein Platz auf, der zum Halten und zur Rast geradezu einlud. Knirschend mahlten die Reifen der Limousine im Kiesboden unterhalb tannenbestandener Felsenwände. Dann kam sie zum Stehen. Sich reckend stiegen die beiden Insassen aus und atmeten tief die frische, klare Waldluft ein. Nachdem Köbis den Korb aus dem Kofferraum geholt hatte, setzten sie sich auf einen der eratischen Felsblöcke, die neben dem Bachbett lagen und ließen sich den Inhalt munden. „Wir habe es nun bald geschafft“, erzählte Wolfs Fahrer mit vollem Mund. „Es werden noch etwas bei zwei Stunden sein, dann sind wir aber da. Sie haben sicher die Nase voll, von der Rumreiserei, was?“

„Ja“, entgegnete Wolf, „es wäre schon gut, endlich mal wieder ein paar Tage an einem Ort bleiben zu können. Ich bin ja nicht mal mehr dazu gekommen, im Osten meine Frankfurter Wohnung aufzusuchen. Auf dem Flugplatz habe ich nur schnell die notwendigsten Utensilien in einem Reiseladen eingekauft. Meurat wird sich zwar um meine Wohnung und andere Dinge kümmern. Trotzdem war es unangenehm, so Hals über Kopf wieder aufbrechen zu müssen.“

„Das kann ich mir vorstellen. Aber glauben Sie mir, wenn Sie auf ‚Schwarzeck‘ angekommen sind, hat die Hatz erst mal ein Ende. Der Alte erwartet Sie schon sehr und wird Sie fürstlich unterbringen und versorgen.“ „Darum geht es eigentlich gar nicht. Ich kann mir nur vorstellen, daß diese geheimnisvolle Geschichte noch lange nicht zu Ende ist. Im Gegenteil, ich habe fast das Gefühl, nun geht es wahrscheinlich erst so richtig los.“ „Nun ja, da kann schon etwas dran sein. Dennoch bekommen Sie bei Trauenfeld erstmal ein sicheres Quartier. Aber es dauert dann schon ein wenig, bis das Weitere veranlaßt wird.“ „Was wäre das denn, Herr Köbis. Sie wissen doch sicher mehr?“ fragte Wolf absichtlich etwas provozierend. Köbis verzog das Gesicht zu einem undefinierbaren Ausdruck und begann wieder am Brillengestell zu schieben. „Was soll ich da antworten. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Aber das möchte ich dann doch Trauenfeld selbst überlassen. Auch ich bin außerdem nicht allwissend. Und soviel ich weiß, kommt es auch sehr auf die Dinge an, die Sie bei sich haben. Die sind sogar von ganz entscheidender Bedeutung. Es ist jedenfalls noch eine große Mission zu erfüllen, bei der die Herren vom Schwarzen Stein die entscheidende Schlüsselrolle spielen werden. Aber was heißt hier Herren. Der Name ist historisch. Wir haben auch eine Frau dabei. Sie ist eingeweiht wie die Männer. Aber das werden Sie alles in Kürze aus berufenerem Munde ausführlichst erfahren.“ Sie packten die Überreste ihrer Mahlzeit wieder ein. Köbis stellte den nun geleerten Korb zurück in den Wagen. Währenddessen erfrischte Wolf sich mit dem eisigen Wasser des Baches, der nur wenige Meter entfernt über abgeschliffenes, rundes Felsgestein sprang. Dann stiegen sie wieder in den ausgelüfteten Wagenschlag und setzten die Fahrt fort.

Von Trauenfeld bekam die Nachricht von Köbis schneller, als wie er vermutet hatte. Schon am Tag nach ihrem Treffen in Kufberg meldete er sich erneut bei ihm und sagte, eine entsprechende Information, „betreffs ihres Bekannten“, von Meurat erhalten zu haben. Von Trauenfeld gab dann umgehend grünes Licht, um „einen alten Freund vom Flieger abzuholen.“ Die Dinge gerieten in Bewegung. Nun galt es, auch Sigrun und die anderen zu verständigen. Sie würden wohl ebenfalls erstaunt sein, so schnell wieder von ihm zu hören. Die Fäden liefen auf „Schwarzeck“ zusammen und er hielt sie noch immer fest in den Händen und war zufrieden, daß sich die Dinge nun beschleunigten. Wenn Wolfs Sohn bei ihm eintraf, würde er endlich den letzten notwendigen Überblick bekommen. Der junge Mann hatte garantiert gute, saubere Arbeit geleistet und in der fernen Gebirgsbasis die Sachen gesucht und gefunden, die für die „Herren vom Schwarzen Stein“ von so großer Bedeutung waren. Zwar besaß von Trauenfeld im geheimen Archiv Unterlagen, die den einstigen Marsflug dokumentierten, darunter befanden sich sogar einige Fotoaufnahmen. Doch die wichtige Region auf dem Roten Planeten, wo die uralten Bauten standen, in denen das gesuchte Objekt sicher verborgen lag, war auch in diesen Dokumenten nicht genau angegeben. Das Geheimnis hatte solche Tragweite, daß man zu Kriegsende es wohl für richtig erachtete, es nicht einem gefährlichen Flug im von den Alliierten beherrschten Luftraum auszusetzen. Die Vril-Gruppe landete damals die Flugscheibe bei Nacht und Nebel in der Gebirgsbasis und verschwand daraufhin spurlos. Nur Sigrun war ihm verblieben. Er hatte sie nicht nach dem Verbleib ihrer Kameradinnen und Kameraden gefragt. Wenn sie darüber etwas sagen wollte, hätte sie sich schon lange geäußert. Von Trauenfeld vermutete nur, das diese Gruppe nun auch zu den „Schläfern“ gehörte. Er sprach Sigrun darauf aber auch nicht an. Es war eigentlich nicht die Sache seiner Bruderschaft, sich in die Dinge anderer Gruppen hineinzuzwängen. Jeder hatte irgendeine Aufgabe zugedacht bekommen. Auch die Vril-Leute gehörten dazu. Und gerade sie waren es ja gewesen, die schon vor vielen Jahrzehnten den Grundstein für das heute Mögliche gelegt hatten. War ihnen doch die Entwicklung der Flugscheibentechnik in erster Linie zu verdanken.

Die einst von den weiblichen Medien der Vril-Gesellschaft auf medialem Wege empfangenen Botschaften in einer uralten Templerschrift waren die Grundlage für die ersten Konstruktionsversuche. Das Objekt „Jenseitsflugmaschine“ gehörte mit dazu. Später kam es, durch weitere mediale Kontakte zu Wesen im fernen Sternbild Aldebaran, zur Übermittlung noch anderer Botschaften. Der Bau der ersten Flugscheiben schritt fort. Die Konstruktionen wurden reifer. Gleichzeitig begann die SS-Forschungsgruppe E-IV eigene Entwicklungen in dieser Richtung zu betreiben. Auch sie nahmen freie Energie in Anspruch. Und damit waren ihre Antriebssysteme ebenfalls von einmaliger, fortgeschrittenster Technik.

Von Trauenfeld kannte sich in den technischen Dingen nicht so aus. Es war außerdem alles streng geheim und wurde gehütet. Er bewunderte dies alles, doch ging es ihm hauptsächlich darum, seine Leute dabeizuhaben, wenn mittels dieser Technik der ferne Ort erreicht würde, an dem die erste Mars-Expedition das uralte Depot fand. Den kostbaren Inhalt zu bergen und auf die Erde zu bringen war nur mit ihrem Wissen möglich. Wolf würde die genauen Koordinaten mitbringen - wenn er nur endlich hier wäre. Sie waren der Trumpf in ihren Händen. Die Neuschwabenländer mußten sie auf den Flug mitnehmen. Von Trauenfeld fühlte, wie er ungeduldig wurde. Doch eigentlich bestand dafür gar kein Grund. Es lief ja alles, besser als er erwartet hatte. Und bald würde Wolf eintreffen, beruhigte er sich selbst.

Er verließ die Bibliothek und schritt gemessen durch die mit alten Bildern, Waffen- und Rüstungsteilen geschmückten Räume und Gänge der Burg und erreichte eine schmale, steinerne Wendeltreppe mit den geweißten Wänden, die hinab in die Küche führte, wo sich seine Haushälterin zu schaffen machte.

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