Kommunikationswissenschaft

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DeutungsunsicherheitDeutungsarbeit

Das Verhalten in einer Interaktion unterliegt beidseitigen Deutungsroutinen. Dabei kann der Fall eintreten, dass die Partner keine Interpretation finden, die eine Fortsetzung der Interaktion und ein damit verbundenes Handeln erlaubt. Sie müssen dann nach einer Situationsdefinition suchen, die klärt, welche Rolle sie sich zuweisen können bzw. dürfen und welche Handlungen damit verbunden sind, um die Kommunikation fortsetzen zu können.


S ist in die Sprechstunde von P gegangen, um seine Seminararbeit zu besprechen, weil sie von P als unzureichend bewertet worden war.
01 P Solche Sätze wirken trivial.
02 S Sie stimmen aber.
03 P Nein, eben nicht.
04 S Jeder sieht das doch so, oder?
05 P Hier geht’s um Wissenschaft.
06 S Sie müssen’s wissen.
07 P Ja, das ist banal.
Studierenden Beratung: Gesprächsnotiz

Der Gesprächsauszug basiert auf einer Rekonstruktion einer Sprechstunde zur Beratung von Seminararbeiten in der Universität. Der Hochschullehrer P kritisiert den Studenten S mit den Äußerungen 01 „Solche Sätze wirken trivial.“ oder 05 „Hier geht es um Wissenschaft.“ S wird dafür getadelt, dass er in seinen Aussagen auf Behauptungen zurückgreift, die nicht auf wissenschaftlicher Reflexion basieren. S weist die Kritik zurück, indem er die Plausibilität solcher Aussagen betont: 02 „Sie stimmen aber.“ oder 04 „Jeder sieht das doch so.“ Damit kritisiert er die Äußerungen von P und stellt sie als unzutreffend hin.

HandlungSequenzenIn der Sprachhandlungsforschung wurde diese Art von Verknüpfung sprachlicher Akte auf ihre Regelmäßigkeit der Verknüpfungen hin beschrieben. Es gibt eine Art Mechanik gegenseitiger KritikKritik: Kritik wird mit Kritik erwidert, auf die wiederum Kritik folgt usw. Kritik ist, wie Holly (1979, S. 135–138; S. 174–179) Hollybeschreibt, eine kommunikative Handlung, bei der ein Geltungsanspruch in Frage gestellt wird. Die Handlung kann ihr Ziel nur dann erreichen, wenn dieser Anspruch geklärt wird. Kritik, die mit Kritik beantwortet wird, ignoriert die mit der Handlung verbundene Zielerwartung. Das führt zu Irritationen und schließlich zum Abbruch der Interaktion.


Werner Holly (*1946)

Linguist, Professor für Germanistische Sprachwissenschaft, Schwerpunkte: Textlinguistik, Gesprächsanalyse und Diskursforschung

Episode

Eine Frau macht ihren Mann darauf aufmerksam, dass es draußen regnet. Sie beide haben gesehen, dass es zu regnen angefangen hat, und so empfindet er den Hinweis als unpassend und deutet ihn als Kritik dafür, ohne Mantel nach draußen gehen zu wollen. Er sagt nichts dazu und will gehen. Sie wiederholt ihren Hinweis und verstärkt dadurch seine innere Verärgerung, weil er sich nicht bevormundet sehen will. Er möchte aber keinen Streit mit seiner Frau und ignoriert ihre Äußerungen. Das nun verstärkt ihr Verhalten, ihn mehr zu umsorgen, doch er sieht darin nur Kritik an seinem Verhalten, spricht darüber aber nicht.

(Inter-)PunktierenInterpunktionDie Episode verweist auf einen fortgeschrittenen Zustand nicht geklärter Geltungsansprüche. Die zwei Personen deuten das Verhalten des Anderen aufgrund einer Bedeutungszuschreibung, die sich im Verlauf von wiederholten Interaktionen herausgebildet hat. Das Fehlen einer Abstimmung von Erwartetem und miteinander Einlösbarem löst einen Effekt aus: das x-Tun von Person A wird durch ein y-Tun der Person B erwidert wird, was dann wieder ein x-Tun auslöst, das ein y-Tun zur Folge hat. Es kommt zu einer Stereotypisierung im Verhalten. Watzlawick et al. 1967, S. 57) Watzlawickbezeichnet ein solches Verhalten als Interpunktion. Wenn A B etwas sagt, zieht B sich innerlich zurück. A verunsichert das, sodass A das Bemühen um B verstärkt, was die innere Abwehrreaktion von B festigt.


Interpunktion

Erklärung

Für die Interaktion entsteht eine Krisensituation, weil die Anschlusshandlung die Berechtigung einer im Raum stehenden Erwartung nicht bearbeitet. Die dem Handeln des Anderen zugeschriebenen Deutungen werden nicht auf ihre Berechtigung thematisiert, sondern als gültig angesehen. Wenn ein solches Verhalten nicht durchbrochen wird, erzeugt das Belastungen und löst Konflikte unter den Betroffenen aus. Dass die Betroffenen das nicht ohne weiteres erkennen, hat damit zu tun, dass sich die Bedeutung von Handlungen dem Anderen nicht automatisch von selbst erschließt.

Das wird in Streitfällen offenkundig. Wenn dort versucht wird herauszufinden, wie es zum Streit gekommen ist und wer ihn ausgelöst hat, dann können sich die beteiligten Parteien selten einigen, was für den StreitStreit ursächlicher Auslöser war. Auch hier greifen sofort Ursache-Wirkungszuschreibungen, die sich nicht ohne weiteres aus dem beobachtbaren Verhalten herleiten lassen. Um dem vorzubeugen, verweist Baecker (2005, S. 38) Baecker auf eine Praxis, Handlungen zu „punktieren“. Damit umschreibt er besondere Aktivitäten bei den Akteuren. Sie sollen durch die Verstärkung körperlicher Präsenz die Erkennbarkeit einer Handlung verbessern.

Horst Arndt (1929–2016): Anglist und Amerikanist,

Schwerpunkt: Generative Grammatik und Fremdsprachenunterricht


Richard W. Janney

Anglist und Amerikanist, Schwerpunkt: Integrierte Sprachtheorie

Arndt und Janney (1987) Janneyentwickelten ein Modell einer integrierten Grammatik, bei der sie von verbalen, prosodischen und kinetischen Wahlen sprechen, die den Akteuren abverlangt werden, wenn sie miteinander interagieren. Die verbale Äußerung erfolgt integriert in die Körperbewegungen, Gesten und Intonation. Geschieht das bewusst, kann der initiierende Akteur Einfluss auf die Rezeption durch sein Gegenüber zu nehmen versuchen. Dieser wiederum kann sich in Abhängigkeit seiner Fähigkeit, solche Hinweise zu erkennen, gezielter auf das Geäußerte einlassen.


01 Z Sie haben immer so einen ironischen Unterton, wenn Sie das sagen. Was meinen Sie denn nun wirklich mit den Fortschritten der Bologna-Reform, wenn Sie vom Bolognaprozess reden, einfach so.

Die Äußerung erfolgte in einer universitären Gremiensitzung zur Studienreform. Die Person Z reagiert auf den Kommentar eines Kollegen, der sich für die neuen Studiengänge engagiert und festgestellt hat: „Die Bologna-Reform ist ein Fortschritt für das Studium.“ Person Z will nun wissen, ob diese Unterstellung zutrifft und hebt diese seine unterstellte Lesart mehrfach hervor. Er will eine Bestätigung dafür, dass sie ernst gemeint ist, deshalb die Nachfrage, ob Ironie im Spiel ist. Geklärt werden soll, was Fortschritt bedeutet.

IntervenierenInterventionEs fällt auf, mit welchem Aufwand das Thema Fortschritt herausgearbeitet wird. Die Einleitung „was meinen Sie denn nun wirklich“ hebt mit der Wahl der Partikel denn, nun und wirklich die Phrase Fortschritte der Bologna-Reform hervor, wobei das denn an die Einstellung des Angesprochenen appelliert und nun wirklich die Konkretheit des Inhalts der nominalen Phrase betont. Mit diesem Vorgehen versucht der Sprecher Einfluss auf die Antwort des Angesprochenen zu nehmen. Die Antwortqualität ist aus der Sicht von Sprecher Z daraufhin bewertbar, inwieweit seiner Punktion dann auch durch sein Gegenüber entsprochen wird. Für den Angesprochenen werden deutliche Hinweise darauf gegeben, welche Handlung von ihm erwartet wird. Dabei hängt nun alles davon ab, inwieweit er das ihm Unterstellte erkennt und als richtig akzeptiert. Sieht er die Dinge anders, muss er seine Sicht von der ihm Unterstellten abheben. Das muss dann vom Anderen erkannt und anerkannt werden.

Erklärung

Der interaktive Umgang mit Handlungen ist immer mit Deutungsarbeit der Beteiligten verbunden. Das lässt Missverständnisse erwarten, sodass situative Versuche und der Rückgriff auf bestehende Praktiken zu beobachten sind, um mögliche Unsicherheiten zu reduzieren oder ganz aus dem Spiel zu halten. Wenn Akteure gemeinsam handeln wollen, müssen sie daher Fähigkeiten besitzen oder entwickeln, die ihnen einen verlässlichen Umgang mit dem eigenen und dem fremden Verhalten in möglichst vielen Situationen ermöglichen, um so das Konfliktpotential durch Missverständnisse gering halten.

Betrachtet man soziale Situationen näher, wird rasch deutlich, wie schwer es oft ist, sich in diesen schnell zurechtzufinden; und nicht zufällig werden bei der Kontaktaufnahme Orientierungsphasen benutzt, die den Beteiligten Zeit verschaffen, besser einschätzen zu können, was und wie sie mit dem Gegenüber umgehen können.Deutungsarbeit So wird es den Betroffenen möglich, einen Spielraum herauszufinden, der optimal erscheint. Die Zurückhaltung bzw. das Offenhalten der Handlungsmöglichkeiten hat oft einen Nebeneffekt. Das Verhalten wird als Unaufrichtigkeit gedeutet. Dabei wird übersehen, dass eine solchermaßen erzeugte Vagheit zugleich Bedingungen für die Entscheidung zu möglichst großer Kohärenz schaffen kann, d.h. die Beteiligten können viele inhaltliche Zusammenhänge herstellen. Das Deuten von Verhalten schafft einen sich stets verdichtenden Handlungsraum. Dabei verfestigen sich Deutungsannahmen und diese erschweren es den Akteuren zunehmend, davon abzuweichen. Die Wahlfreiheit der Bedeutungen wird eingeengt, was in bestimmten Phasen einer Kooperation, vor allem im sozialen Raum, zu Problemen führen kann.

 

Fuchs, Harald P.; Schank, Gerd (1975): Alltagsgespräche. Texte gesprochener deutscher Standardsprache III. München: Hueber, S. 27

Episode

In dem Gespräch über Erziehungsfragen eines Ehepaares, setzen sich E die Frau und F der Mann mit dem Problem auseinander, warum ihr Kind ständig Ängste hat und beim Schlafen förmlich Panikanfälle bekommt. Auslöser einer neuerlichen Angstattacke war der Besuch eines Theaterstücks. Dargestellt wurde das Märchen von Rotkäppchen und dem Wolf. Im weiteren Gesprächsverlauf zeichnen sich unterschiedliche Einschätzungen des Ehepaares hinsichtlich des Erziehungswertes von Märchen ab. F vertritt die Meinung, dass das Märchen Ängste schüre und kein vernünftiges Mittel der Erziehung sei, weil Wirklichkeit und Spiel für das Kind nicht durchschaubar seien. E hingegen sieht den Wert des Märchens darin, sich spielerisch mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen. Der Gesamtverlauf des Gesprächs thematisiert zunehmend ein Spannungsverhältnis zwischen dem Paar, da F verdeckt unterstellt, E würde mit dazu beitragen, dass das Kind Ängste entwickelt.

Die Gesprächseröffnung machtGesprächEröffnung offenkundig, dass die Partner sich nicht sicher sind, was zum Gegenstand der Kommunikation gemacht werden kann. Sie loten gewissermaßen die Situation aus, um herauszufinden wie der andere reagiert und mit welchem Thema er so agiert, wie das den eigenen Vorstellungen am nächsten kommt. Die Eröffnung durch E beginnt mit einem Verweis auf Erinnerungen, die aber im Weiteren unbearbeitet bleiben. Mit dem „gell“ könnte sie bei F darauf anspielen, dass er Bescheid wisse. F reagiert aber nicht, sondern bezieht sich auf das Thema Theaterstück und fragt konkret, ob sie es gesehen habe. E erzählt dann über die Dramaturgie des Stückes. Damit verschafft sie sich einen Rahmen, der sie vor dem Vorwurf schützen soll, dass das Kind glauben könne, das Theater sei die Wirklichkeit.

Das Kind hat nach dem Besuch des Stückes Angst, dass der Wolf es verfolgen könnte. F hakt nach, ob sie das Stück auch selbst gesehen habe. E beschreibt dann, dass das Theaterstück immer als Theater sichtbar geblieben sei. Das wurde durch einzelne Akte der Schauspieler im Verlauf des Stückes besonders punktiert. Der Vorwurf, das Stück könne als Wirklichkeit wahrgenommen werden, wird auf diese Weise abgewehrt, obwohl das an dieser Stelle kein ausdrückliches Thema ist. Mit dem Schluss des Einleitungsteils, in dem zur Sprache kommt, dass das Kind an diesem Abend keine Schlafprobleme hatte, wird die Möglichkeit ins Spiel gebracht, dass alles doch auch als normales Entwicklungsphänomen eines Kindes erklärt werden könnte. Erst später im Gespräch verdichtet sich das Thema Angsterfahrungen so, dass sich der Umgang mit Angst zugleich als Problem der Beziehung zeigt.

Die Episode zeigt, wie Akteure die SituationSituation zu erkunden versuchen, um begründeter über Inhalte und die Bezugspersonen befinden zu können. Dabei entsteht für die Beteiligten nicht selten der Vorwurf, als unaufrichtig zu gelten, weil dieses Zurück- bzw. Offenhalten der Handlungsmöglichkeiten als Täuschung empfunden wird. Diese Zuschreibung übersieht allerdings, dass eine solchermaßen erzeugte Vagheit zugleich Bedingungen für eine umfassendere Kohärenz schaffen kann, d.h. die Beteiligten können offener inhaltliche Zusammenhänge herstellen und dadurch zu einem sich allmählich verdichtenden, gemeinsamen Handlungsraum gelangen. Es entsteht so eine Verdichtung, die die Wahlfreiheiten schrittweise eingeschränkt und dadurch die Kooperation erleichtert.

Deutlich wird auch, wie schwer es für einen nicht beteiligten Dritten ist, Aussagen über das Handeln der Akteure von außen zu machen. Denn das Geäußerte ist ein Datum, dessen Zeichenwert sich nicht aus sich selbst erschließt. Selbst wenn ich die Referenz bzw. Prädikation einer sprachlichen Äußerung konstruieren kann, ist nicht klar, welche Bedeutung nach PeircePeirce dem Zeichen im Sinne des Dicents oder Arguments zukommt. Erst wenn die Äußerung in der Funktion des Arguments anerkannt wird, öffnet sich ein Handlungsraum für die Beteiligten, sodass sie im Geäußerten die Bedeutung einer Handlung erkennen. Es bedarf eines Bezugssystems, innerhalb dessen die Funktionen bestimmt werden können.

Motivation interaktiver Ereignisse – Theorien des HandelnsHandlungTheorie

Der Handlungsaustausch unterliegt situativen Bedingungen, die von den Akteuren bearbeitet werden und so gegenseitige Orientierung schaffen. Offen bleibt aber, was die Akteure leitet, wenn sie koordinieren, und was sie beobachten, wenn sie kooperieren wollen. Eines fällt dabei auf: Sie verhalten sich in der Regel nicht willkürlich, denn dann wäre Kooperation nicht möglich. Offen ist, woran sie sich orientieren, wenn sie gemeinsam handeln. Denn sie müssen aus der hohen Varietät möglicher Verhaltensweisen, diejenigen erkennen und selber produzieren, die von allen in bestimmten Situationen als relevant erkannt werden können. Zu fragen ist, warum es möglich ist, dass Akteure ein spezielles Verhalten punktieren und damit etwas für den Anderen deutlicher machen können, denn das Verstärken eines Verhaltens kann nur gelingen, wenn es zuvor in seiner Bedeutung erkannt worden ist. Wie gelangt es dazu?

HandlungstheorienGrundsätzlich ist daher zu fragen: Woran orientieren sich die Akteure? Was begründet diese Orientierung und wie stabil ist sie im Verlauf konkreter Interaktionsprozesse? Im Rahmen von Handlungstheorien wird darauf zu antworten versucht.

Strukturen entdeckenIn einer frühen Phase der Diskussion galt der Blick dabei dem Aufdecken von Strukturen, in denen sich die Akteure unbewusst bewegen, wie sie sie nutzen und in welchem Maß sie davon betroffen sind. Es handelt sich um materielle Strukturen, die subjektübergreifend wirksam sind und sich, wie Simmel (1908) Simmelbeschrieb, den betroffenen Akteuren nicht von selbst erschließen. Marx deckte einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung von Produktivkräften und ihrer Wirkung auf das Kapital auf und beschrieb, wie sich daraus Verhaltensmuster ableiteten und verfestigten. Die Akteure verhalten sich aufgrund von materiellen Umgebungsbedingungen auf eine Art und Weise, die ihre Lebensverhältnisse bestimmen und durch dazu geeignete Verhaltensformen stabil gehalten werden.HandlungStrukturen


Georg Simmel (1858–1918)

Kulturphilosoph und Soziologe, Schwerpunkt: Konfliktsoziologie

UmweltenMöglich ist aber auch eine andere Sicht. Nicht die Umwelt bedingt das Verhalten, sondern der Einzelne selbst erzeugt sich seine Umwelt. Er folgt in seinem Handeln einer von seinen Interessen geleiteten und subjektiven Logik, die beispielsweise rational begründet wird. Coleman (1991) Colman spricht vom Situationsmanagement,Situation bei dem vom Einzelnen her nach einem übersubjektiven Zusammenhang gesucht wird. Dieser schafft einen Rahmen, um der Gültigkeit von Verträgen oder einer gerechten Ressourcenverteilung eine Chance zu geben. Es wird zwischen Homo oeconomicus und Homo sociologicus unterschieden. Der Homo oeconomicusHomo oeconomicus handelt zweckorientiert. Die Ökonomie ist hierbei der leitende Motivgeber. Der Homo sociologicusHomo sociologicus folgt einer Werte Orientierung. Nicht das individuelle Handeln steht für ihn im Vordergrund, sondern das Aufdecken sozialer Regeln. Sie basieren auf einem Einverständnis mit Normen, die das Erlaubte von dem nicht Erlaubten trennen. Parsons (1951) Parsondiskutiert daher die Frage, wie eine Koordination potentiell sich widersprechender Handlungen möglich ist. Die Lösung glaubt er, läge im Etablieren normativer sozialer Erwartungen und Rollen, die einen Verhaltenskonsens unter den Akteuren regulieren.

KulturWer sich an der Umwelt orientiert, kann sich die menschlichen Produkte zu eigen machen. Deshalb gehen die Kulturtheorien einen anderen Weg. Sie sehen das Problem der Handlungskoordination nicht im Umgang mit Normen und Regeln zur Überwindung des Dilemmas fehlender oder unzureichender Ordnungen. Sie glauben die soziale Handlungskompetenz in der Fähigkeit, symbolisch fixierte, sinnerzeugende Regeln in den vom Menschen erzeugten Umwelten erkennen zu können. Das Verstehen der Dinge in der Welt wird auf kollektiv geteilte Ordnungen im Wissen zurückgeführt. Um diese herum werden sinnstiftende Zusammenhänge immer wieder neu generiert und stabil gehalten. Wissen und Erfahrungen wird beispielsweise in Büchern und Zeitungen weitergegeben. Die Gesellschaft reagiert darauf mit Diskussionen und einer weiteren Produktion von Texten. Diese Vorgänge werden von Diskursen mündlich und schriftlich begleitet, in denen über das Für und Wider oder über Schriften, die sich damit auseinandersetzen, geredet wird. Es ist ein gesellschaftliches Ereignis und Wuthenow (1984) betont in diesem Kontext die besondere Rolle der Kultur.


Paul Michel Foucault (1926–1984)

Professor für Geschichte der Denksysteme, Begründer der Diskursforschung

Dieser in den 60er Jahren entstandene Ansatz der als Textualismus bezeichnet wird, sucht nach der gemeinschaftstiftenden Quelle nicht beim Einzelnen, sondern in den öffentlich zugänglichen Diskurswelten.Diskurs Er ermittelt in kulturellen Definitionen und mithilfe gesellschaftlich geführter Diskursen die Art, wie Umwelten codiert werden. Zentral wird der Begriff der Diskursanalyse, der mit den Arbeiten von Foucault (1973) Foucaultverbunden ist. In diesem Zusammenhang muss auch die Sichtweise von Luhmann (1984)Luhmann erwähnt werden, der die Frage nach den Codes und ihrer Semantik diskutiert. Er unterstellt, dass ein Zugang zum Verstehen des Verhaltens nur über die sich durch Kommunikation erzeugende Gesellschaft ermöglicht wird, welche dem Einzelnen Umwelten schafft, auf die er sich einlassen muss und die nur symbolisch zugänglich sind bzw. gemacht werden können. Symbole sind für ihn allgegenwärtig. Zu präzisieren sind dann die Besonderheiten derselben und ihre Funktionalitäten, die das interaktive Verhalten bedingen.

OrientierungsarbeitHandlungKontextDie gegenwärtige Diskussion über die Kontextualisierung des Handelns rückt immer enger an den einzelnen Handelnden heran. Seine Orientierung kann in einem übergeordneten Ganzen angesiedelt werden, wobei er sich dessen nicht bewusst sein muss, aber die Konsequenzen in seiner gesellschaftlichen Umwelt zu spüren bekommt. Er kann sich an den ihn umgebenden Anderen orientieren, die sich von ihrer Geisteswelt leiten lassen und daraus Forderungen für den Umgang miteinander ableiten. Diese Perspektive wird in Ansätzen der Praxistheorie konsequent weiter entwickelt, wenn sie danach fragt, inwieweit Verhalten überhaupt von Wissensbeständen her verstanden werden kann. Denn Schmidt (2012, S. 215–222) verweist darauf, dass im Alltag immer wieder zu beobachten ist, dass Dinge getan werden, für die es explizit noch kein Wissen gibt. Reckwitz (2003, S. 282–301) plädiert dafür, sich auf das Verstehen lernen sozialer Praktiken zu konzentrieren. Es resultiert aus einem verdeckten und impliziten Wissen handelnder Subjekte, wird von routinierten Beziehungen zwischen ihnen beeinflusst und durch den Umgang mit materiellen Artefakten immer wieder herausgefordert.

Konsequenzen für das BeobachtenFür den Umgang mit dem, was im Kommunikationsprozess geschieht, hat das Konsequenzen. Denn die Diskussionen im Rahmen der Handlungstheorien verdeutlichen, dass sehr vielfältige und unterschiedliche Bezugssysteme denkbar sind, die Handeln motivieren bzw. begründen. Grundsätzlich ist dabei zwischen zwei Perspektiven zu unterscheiden. Es gibt den in den Prozess involvierten Akteur und einen möglichen außenstehenden Dritten, der nicht aktiv daran beteiligt ist. Wenn daher über konkrete kommunikativ organisierte Interaktionen gesprochen wird, kann der am Prozess Beteiligte Aussagen darüber machen, wie er das Ereignis erlebt hat. Wenn über Kommunikation diskutiert wird, heißt das aber meist, es gibt einen Dritten, der das Ereignis beobachtet hat bzw. die Dokumentation desselben in Form einer Mitschrift oder einer Audio- bzw. Videoaufzeichnung.

 

Andreas Reckwitz (*1970): Professur für Soziologie, Kulturwissenschaft und Praxeologie

Das wirft die Frage auf, worüber derjenige eigentlich spricht, wenn er über das Kommunikationsereignis reden soll. Was beobachtet er? Welche Schlüsse zieht er daraus und welches Bezugssystem liefert ihm die Basis für seine Aussagen? Bezogen auf die Perspektiven, die sich aus den Ansätzen der Handlungstheorien herleiten, lassen sich ganz unterschiedliche Positionen erwarten, von denen her er eigenständig Beobachtungen anstellen kann und entsprechende Konsequenzen zieht. Es gibt daher nicht das kommunikative Ereignis an sich, über das gesprochen werden soll, sondern ein Konstrukt desselben. Das kann die Erinnerung über den Prozess sein, der miterlebt worden ist. Es kann eine medial erfasste oder aufbereitete Dokumentation sein, die Gegenstand der Besprechung sein soll. Gesprochen wird daher immer über etwas, das durch die Akteure deutend erschlossen wird. Der Charakter der Deutungen und der mit ihnen verbundenen Erklärungen hängt von der Perspektive ab, die die Akteure nutzen bzw. der sie sich mehr oder weniger bewusst theoretisch verpflichtet fühlen.

Spiel-MetapherLeifer (1991) Leifervergleicht das Kommunizieren mit dem Schachspielen und verweist auf eine weitere Perspektive des Beobachtens. Der Meister denkt nicht darüber nach, was sein Gegner alles für Zugmöglichkeiten hat und er berechnet nicht die Folgen derselben für die Situation. Er versucht vielmehr einen als neutral eingeschätzten Zustand zu stabilisieren und simuliert Sicherheit, um dann Fehler, die zuvor gemacht worden sind, in ihren Konsequenzen für sich auszunutzen. So werden Züge gewählt, die die Festlegungen der Situation und Entwicklung dafür benutzen, die bestehende Vagheit des Zustands nicht zu verringern, sondern sie zu erhalten und, womöglich sogar zu erhöhen. Leifer spricht von der Ziel- und der Inhaltsambiguität. Das Beobachten beschränkt sich auf das Beobachten von Freiräumen.

Zusammenfassung

Auf dem Hintergrund der verschiedenen handlungstheoretischen Perspektiven ist zu erwarten, dass Kommunikation als Verhalten nach Systemen beobachtet werden kann. Das können materialisierte Strukturen sein, die aus beobachteten Verhaltensmustern abgeleitet werden und sich funktional erklären lassen. Das setzt Akteure voraus, denen ein solches Verhalten in konkreten Situationen unterstellt werden kann. Anders verhält es sich, wenn Texte und Diskurse als Bezugsgrößen gelten. Das kommunikative Ereignis wird dann daraufhin beobachtet, welche Äußerungen Akteure produzieren und wo in der Gesellschaft dafür Anschlussmöglichkeiten gesehen werden. Der Blickwinkel verändert sich abermals, wenn Handeln auf dem Hintergrund impliziten Wissens erklärt werden soll. Die Kommunikation ist dann ein Prozess, der in der Auseinandersetzung mit den Gegenständen der jeweiligen Umgebung eines Akteurs erfolgt. Erklärt werden muss, was der Akteur tut und wie er mit den im Prozess relevant gesetzten Gegenständen umgeht, wenn er mit anderen agieren muss.

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