Kulturtheorie

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Dieser erstaunliche Befund, dass auch moderneModerne, modern, -moderne, aufgeklärte Gesellschaften magische und fetischistische PraktikenPraktiken haben, ist mit Georg SimmelsSimmel, Georg Diagnose von der HerrschaftHerrschaft der DingeDinge (→ Kap. 5) verwandt. Die MarxMarx, Karl’sche Theorie belegt diesen Sachverhalt mit dem Terminus des falschen BewusstseinsBewusstsein, falsches. Den Menschen erscheint

ihre eigne gesellschaftlicheGesellschaft, gesellschaftlich Bewegung in der Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen.13

Dieser Magismus verdeckt die realen gesellschaftlichenGesellschaft, gesellschaftlich Verhältnisse: Der quasi-religiöseReligion, religiös Kult der Ware, der seit BenjaminsBenjamin, Walter Analyse der Kultur noch eher zugenommen hat, bildet den Kern eines ‚objektivobjektiv, Objektiv-‘ falschen BewusstseinsBewusstsein, falsches, das Hand in Hand geht mit dem Aufstieg der kapitalistischenKapital, Kapitalismus, kapitalistisch Ökonomie. BenjaminBenjamin, Walter bleibt seiner Doppelperspektive treu. So wie der Kapitalismus im Politisch-Ökonomischen Verhinderung und Ermöglichung einer Alternative darstellt – so haben ihn wenigstens MarxMarx, Karl und Engels seit dem Kommunistischen Manifest interpretiert, wenn sie ihn dafür lobten, dass er die alten bornierten, ökonomischen, technischen und gesellschaftlichen FortschrittFortschritt behindernden Schranken des ancien regime überwunden und damit wider Willen die Voraussetzung für seine Abschaffung geschaffen hat14 –, so wird er von BenjaminBenjamin, Walter auch unter seinem kulturellen Aspekt als doppelbödig angesehen: Er produziert einen Reichtum, an dem alle Anteil haben könnten, real und symbolisch.

BenjaminBenjamin, Walter benennt in diesem Zusammenhang zwei Momente: Ablenkung und Aufhebung. Die schöne Warenwelt lenkt die Aufmerksamkeit von skrupelloser Ausbeutung, von KolonialismusKolonialismus, kolonialisiert und inhumanen Arbeitsbedingungen ab. Sie wirkt zerstreuend. Was sie zerstreut, das sind unsere Bedenken im Hinblick darauf, auf welche Weise dieser Reichtum entstanden ist. Beim Kauf schicker Kleidung vergessen die Menschen der nördlichen Hemisphäre bis zum heutigen Tage nur allzu gern, unter welch elenden Bedingungen jene Textilien produziert worden sind, mit denen sie lässig durch die Straßen ihrer urbanen MetropolenMetropole flanieren.

In diesem Zusammenhang darf an die doppelte Bedeutung des von der Philosophie HegelsHegel, Georg W.F. prominent gemachten Terminus Aufhebung erinnert werden, der sowohl Überwindung als auch Bewahrung bedeutet. In diesem Zusammenspiel wird die Aufhebung zu Erfüllung, zur Erfüllung kollektiver Träume der Menschheit. BenjaminsBenjamin, Walter Rezeption der PsychoanalysePsychoanalyse in der Version C.G. JungsJung, Carl G., insbesondere seine Adaption der Lehre von den ArchetypenArchetyp, den unbewusstenunbewusst Kollektivbildern, schließt nahtlos an diese Überlegung an: Die Kultur, für welche die prächtige Einkaufspassage steht, ist nicht nur „falsches BewusstseinBewusstsein, falsches“ im Sinn der Fetischisierung der Warenwelt, sondern sie enthält auch eine sinnfällige Utopie. Wie die moderneModerne, modern, -moderne TechnikTechnik, -technik und Maschinerie birgt auch die moderne Warenwelt eine verschwiegene Verheißung: Sie ist der Traum einer Zukunft und zugleich archaischer Rückgriff auf einen UrtraumTraum, Traum-, -traum der Menschheit: das „Schlaraffenland“ der „klassenlosen GesellschaftGesellschaft, gesellschaftlich“. In den dauerhaften modernen Bauten wie in der „flüchtigen ModeMode“ nimmt der Überfluss Gestalt an: dass für alle alles da sein könnte. An dieser Stelle wird die Überschneidung von BenjaminsBenjamin, Walter Kulturtheorie mit einer anderen post-marxistischenMarxismus, marxistisch Kulturphilosophie unübersehbar, nämlich jener von Ernst BlochBloch, Ernst, der zunächst in Erbschaft dieser ZeitZeit und später in Das Prinzip Hoffnung den periodisch wiederkehrenden, unabgegoltenen menschlichen WunschbildernWunschbild und Sehnsuchtslandschaften nachgegangen ist. BlochBloch, Ernst geht von einer UngleichzeitigkeitUngleichzeitigkeit nicht nur im Ökonomischen, sondern auch im kulturellen Bereich der BilderweltenBilderwelten aus, wenn er schreibt:

Nicht alle sind im selben Jetzt da. Sie sind es nur äußerlich, dadurch daß sie heute zu sehen sind. Damit aber leben sie noch nicht mit den anderen zugleich.

Sie tragen vielmehr Früheres mit, das mischt sich ein. Je nachdem. Wo einer leiblich, vor allem klassenhaft steht, hat er seine ZeitenZeit. Ältere Zeiten als die heutigen wirken in älteren Schichten nach; leicht geht oder träumt es sich hier in ältere zurück.15

BenjaminBenjamin, Walter spitzt diese Methodologie insofern zu, als er nicht bloß von weiter wirkenden und tiefer liegenden kollektiven ‚archaischen‘ Bildbeständen ausgeht, sondern diese nicht zuletzt in den avanciertesten kulturellen Hervorbringungen der modernenModerne, modern, -moderne Welt ortet. Im Nachhinein könnte man im Hinblick auf Denker wie AdornoAdorno, Theodor W., HorkheimerHorkheimer, Max, BenjaminBenjamin, Walter und BlochBloch, Ernst, bei allen Unterschieden, von einer kulturellen Wende im marxistischenMarxismus, marxistisch DiskursDiskurs sprechen. Diese Wende bringt freilich auch eine Abkehr von klassischen Paradigmen des historischen MaterialismusMaterialismus mit sich; die Fragezeichen mehren sich im Hinblick auf den FortschrittFortschritt und auf die Notwendigkeit. Der SozialismusSozialismus, den Engels zur Wissenschaft hatte machen wollen, wird wieder zur Utopie. Mit dem Tableau der Passage kommt für BenjaminBenjamin, Walter daher auch Fouriers utopischer Sozialismus ins Spiel: „Diese Maschine aus Menschen produziert das Schlaraffenland.“16 Ganz generell gilt dies für die Architektur, die der KunstKunst, Kunstwerk entwächst und für die Photographie, die die Malerei verabschiedet.

Die moderneModerne, modern, -moderne Bilderwelt, verschleierte Selbstbildlichkeit der modernen Warenkultur, ist somit IdeologieIdeologie und Utopie in einem. Aber während die Ideologie an ganz spezifische historische Bedingungen geknüpft ist, an Kultur und GesellschaftGesellschaft, gesellschaftlich des marktkapitalistischen Zeitalters, ist der Ort der archaischen Glücks- und „WunschbilderWunschbild“17 zeitlos. Ihr Ort ist das „UnbewussteUnbewusste, das, Unbewusstheit des Kollektivs“, das jenseits von RaumRaum und ZeitZeit ist. Auch hier steht BenjaminBenjamin, Walter BlochBloch, Ernst beträchtlich nahe, während etwa AdornoAdorno, Theodor W. BenjaminsBenjamin, Walter Rückgriff auf das Archetypische im Sinne JungsJung, Carl G. im Briefwechsel mit BenjaminBenjamin, Walter scharf kritisierte.18

BenjaminBenjamin, Walter untersucht in seinem Passagenwerk noch andere Tableaus und wählt sich einen spezifischen Sonderbeobachter, der die Stadt nicht als einen realen, sondern vornehmlich als einen fremden symbolischen, ja imaginären RaumRaum erscheinen lässt, den Flaneur, den Dichter in Gestalt BaudelairesBaudelaire, Charles: „Die Menge ist der Schleier, durch den hindurch dem Flaneur die gewohnte Stadt als Phantasmagorie wirkt.“19 Dieser Beobachter ohne festen sozialen Ort, weder Bürger, noch modernerModerne, modern, -moderne Großstadtbewohner, imaginiert Paris postfuturistisch als eine versunkene Stadt. In der Moderne wiederholt sich die Urgeschichte. Der Tod, die Frau und die versunkene Stadt werden in dieser „DialektikDialektik im Stillstand“ miteinander verschränkt:

Dieser Stillstand ist Utopie und das dialektische BildBild also Traumbild. Ein solches Bild stellt die Ware schlechthin: als FetischFetisch(ismus), Fetischcharakter. Ein solches Bild stellen die Passagen, die sowohl Haus sind wie Sterne. Ein solches Bild stellt die Hure, die Verkäuferin und Ware in einem ist.20

Die Passagen sind nicht die einzigen sichtbaren Phänomene und Symptome einer neuen Kultur. BenjaminBenjamin, Walter wendet sich auch dem neuen MediumMedium der Photographie zu, das völlig neue Perspektiven eröffnet. In den Panoramen Daguerres erhalten Weite, Entdeckung, UrbanitätUrbanität ein kongeniales Medium. So wie die Passage die Welt in die Stadt bringt, so blickt man mit dem neuen Medium von ihr in sie hinaus. Sie ermöglichen eine neue KonstruktionKonstrukt, Konstruktion von „Welt“.

Die moderneModerne, modern, -moderne Kultur der Ware hat ihre ganz eigenen Kulte und Kultstätten: Eine von ihnen sind die Weltausstellungen, die eine Leistungsschau der NationenNation, Nationalismus, national, eine Olympiade des technisch-ökonomischen FortschrittsFortschritt darstellen, zugleich aber auch eine Selbstinszenierung einer historisch neuen Kultur: „Weltausstellungen sind Wallfahrten zum FetischFetisch(ismus), Fetischcharakter Ware.“ Sie bauen das „Universum der Waren“ auf und machen Paris zur Kapitale nicht nur des technisch-industriellen Fortschritts, sondern zur Hauptstadt des Luxus und der „Phantasmagorie der kapitalistischenKapital, Kapitalismus, kapitalistisch Kultur“.21

Aber auch die Operette, jene neue Form der PopularkulturPopularkultur, die in London, Paris und Wien ungeheure Triumphe feiert, interpretiert BenjaminBenjamin, Walter als Manifestation einer neuen globalenGlobalisierung, global Kultur. BenjaminBenjamin, Walter bleibt seinem doppelten Blick treu. Keineswegs sieht er nämlich die Operette als bloßen ideologischen Zuckerguss einer von KolonialismusKolonialismus, kolonialisiert und Klassenherrschaft geprägten GesellschaftGesellschaft, gesellschaftlich. Insbesondere dem Œuvre Offenbachs attestiert er kritische Impulse und interpretiert dessen Operettenwerk als einen hinterhältigen Kommentar zum Glamour des Zweiten Kaiserreiches: „Die Operette ist die ironische Utopie einer dauernden HerrschaftHerrschaft des KapitalsKapital, Kapitalismus, kapitalistisch.“22 Ob und inwiefern das etwa für die Operette Wiener Zuschnitts gilt, ist fraglich. Sie entbehrt fast gänzlich der sozialkritischen Invektiven. Ihre Renaissance in Deutschland und Österreich der 1950er Jahre legt es nahe, dass sie strukturellStruktur, strukturiert, strukturell doch einer Sentenz folgt, die der berühmtesten Wiener Operette entstammt, der Fledermaus: „Glücklich ist, wer vergisst.“ Aber dass auch dieser Typus von Operette eine gleichsam moderneModerne, modern, -moderne, globale Formatierung besitzt, macht das ethnischeEthnie, ethnisch gemischte Personal der HandlungHandlung sichtbar. Die multikulturelle Versöhnlichkeit und der Verzicht auf aggressive nationalistische Feindbilder lassen sich je nachdem entweder als kritische Abkehr von den realen Konflikten im mitteleuropäischen RaumRaum oder auch als ein vorweg genommener TraumTraum, Traum-, -traum einer aufbrechenden Gesellschaft lesen.23

 

Kulturelle Veränderungen finden freilich nie bloß in den gut sichtbaren Außenarchitekturen einer Kultur statt. Außen und Innen trennen sich mitunter voneinander. Das Interieur und die bürgerliche Binnenwelt wird bereits im Zeitalter des Bürgerkönigs und erst recht im Fin de siècle zu „Zufluchtsstätten der KunstKunst, Kunstwerk“ und zum Ort der Verklärung der DingeDinge; BenjaminBenjamin, Walter erwähnt in diesem Zusammenhang die Figur des Sammlers und prägt die metaphorische Formel vom „etui des Privatmanns“.24 Das Kontor und die Privatwohnung bleiben für lange ZeitZeit ein Schutzwall vor dem Draußen einer zunehmend wahrnehmungshektischeren urbanen Außenwelt. Der Bürger, der citoyen von einst, der geschäftstüchtige bourgeois von heute, verwandelt sich in den unpolitischen Privatmann. Mit Blick auf heute lässt sich der Verdacht formulieren, dass den Blütezeiten kapitalistischer Warenkultur eine Tendenz strukturellerStruktur, strukturiert, strukturell Entpolitisierung innewohnt.

Das Primat des Neuen ist ein weiteres Kennzeichen der dynamischen Kultur der zunächst okzidentalen ModerneModerne, modern, -moderne. Seinen gültigen Ausdruck erfährt es in der rasanten Entwicklung der Presse und der ModeMode. Das Neue gewinnt seine Attraktivität allein schon dadurch, dass es neu oder modern ist. Der gerade heute unwiderstehliche Gebrauch von Begriffen wie Modernisierung und Reform macht deutlich, dass die Kultur, hier im Gleichklang zur Ökonomie, stets unter dem Druck des Innovativen steht, wobei das Neue – in Analogie zum technischen FortschrittFortschritt – per se gut ist, eben weil es neu ist. Ungewohnt sind auch die Architektur und die Straßen des Paris des 19. Jahrhundert. Mit einiger Zeitverschiebung gilt das auch für Berlin, Wien oder Budapest. Architekt dieses neuen Paris ist der aus der elsässischen Provinz stammende Baumeister und Stadtplaner Haussmann. BenjaminBenjamin, Walter hebt die praktische und symbolische Bedeutung der großen breiten Straßen im ZentrumZentrum der Stadt hervor. Er spricht von „Durchblicke[n] durch lange Straßenfluchten“ und von der „Veredelung der TechnikTechnik, -technik durch künstlerische Zusätze“. Die Menschen erleben diesen kulturellen Wandel als Fremd-Werden der Stadt, so wie es BaudelaireBaudelaire, Charles in den Fleurs du Mal programmatisch und poetisch festgehalten hat. Denn BaudelairesBaudelaire, Charles Gedichte, deren obszöne Seiten im Second Empire einen Skandal auslösten, sind in gewisser Weise ein Erinnerungs- und Rettungswerk angesichts der Zerstörung des alten Paris. Für BenjaminBenjamin, Walter hat die neue Architektur des neuen Paris zwei Seiten: Sie bedeutet den Triumph einer effizienten seriellenSerialisierung, seriell Architektur, die sich primär als Ingenieurskonstruktion versteht, zielt aber auch auf Kontrolle und Beherrschung der Menschen, jener MassenMasse, Massenkultur, Massenmedien, Massen-, die 1789 und 1848 zum historischen SubjektSubjekt geworden waren. So sind in das von der Haussmann’schen Stadtplanung geschaffene Paris Aspekte von MachtMacht und HerrschaftHerrschaft eingeschrieben: Sie möchte die Stadt vor den Revolutionen der Zukunft sichern. BenjaminBenjamin, Walter denkt dabei natürlich an die Erhebung des revolutionären Proletariats.

BenjaminsBenjamin, Walter revolutionäre Perspektive verschränkt zwei Perspektiven, jene des Revolutionärs, der die bestehende OrdnungOrdnung, ordnungs- beseitigen möchte, und der des Flaneurs, der der bürgerlichen Ordnung leidenschaftslos und gleichgültig gegenübersteht. Wie der Revolutionär Fourier sieht auch der „asoziale“ Rebell BaudelaireBaudelaire, Charles diese Welt des Bürgertums als einen zerfallenden sozialen Kosmos:

Dieser Epoche entstammen die Passagen und Interieurs, die Ausstellungshallen und Panoramen. Sie sind Rückstände einer TraumweltTraum, Traum-, -traum. Die Verwertung der TraumelementeTraum, Traum-, -traum beim Erwachen ist der Schulfall des dialektischen Denkens. Daher ist das dialektische Denken das Organ des geschichtlichen Aufwachens. Jede Epoche träumt ja nicht nur die nächste, sondern träumend drängt sie auf das Erwachen hin. Sie trägt ihr Ende in sich und entfaltet es – wie schon HegelHegel, Georg W.F. erkannt hat – mit List. Mit der Erschütterung der Warenwirtschaft beginnen wir, die Monumente der Bourgeoisie als Ruinen zu erkennen, noch ehe sie zerfallen sind.25

Unübersehbar ist hier von einer anderen DialektikDialektik die Rede, die sich gänzlich von jenem Typus unterscheidet, den HorkheimerHorkheimer, Max und AdornoAdorno, Theodor W. einige Jahre später entwickeln sollten. BenjaminBenjamin, Walter greift noch einmal das Zitat von Michelet auf. Das kritische BewusstseinBewusstsein, bewusst hat wenigstens zwei Komponenten. Das dialektische Denken

 antizipiert den Untergang der alten Welt und sieht diese schon dann in Trümmern, als diese noch scheinbar fest gefügt ist;

 interpretiert die ‚Exterieurs‘ und Interieurs der Epoche und der Kultur des Hochkapitalismus als „Rückstände“ einer TraumweltTraum, Traum-, -traum;

 zielt nicht auf die Perennierung des Träumens, sondern auf ein Erwachen, das erst die dialektische Verwendung und Verarbeitung der Traumfetzen ermöglicht;

 folgt der Figur der HegelHegel, Georg W.F.’schen List der Vernunft insofern, als jene Monumente der bürgerlich-kapitalistischenKapital, Kapitalismus, kapitalistisch Kultur, die zur Selbstfeier des ökonomischen Systems entstanden sind, gegen die eigene Intention das Neue vorbereiten helfen. Sie werden gleichsam zum Werkzeug der sozialistischen Kultur.

Jenseits der Diskussion über die theoretische Position BenjaminsBenjamin, Walter muss man sagen, dass sich die HegelHegel, Georg W.F.’sche List der Vernunft ebenso wenig bewahrheitet hat wie Michelets Diktum. Der reale SozialismusSozialismus war mitnichten der Erbe jenes Hochkapitalismus, der dessen prächtige Monumente und elitärenElite, elitär Luxus verwirklicht und verallgemeinert hat. Nichts dokumentiert dies besser als der Kontrast zwischen der schäbigen Konsumwelt des realen Sozialismus und den Prachtbauten des nach 1989 historisch siegreichen KapitalismusKapital, Kapitalismus, kapitalistisch. Die repräsentative Kultur des Kapitalismus, die BenjaminBenjamin, Walter so eingehend dargestellt hat – Warenpaläste, Einkaufspassagen, Weltausstellung und andere Inszenierungen der Superlative, PopularkulturPopularkultur und Spektakel – haben sich bei allem Wandel, wie er durch eine MassenkulturMasse, Massenkultur, Massenmedien, Massen- mit breiten Käuferschichten gegeben ist, gehalten. Die alltägliche Warenkultur spielt sich indessen auf einem bescheideneren Niveau ab: den Einkaufszentren an den Stadträndern, die sich selbst den Namen Einkaufsstadt (shopping city) zugelegt haben. Aber die Phänomene, die BenjaminBenjamin, Walter beschrieben hat, haben sich als repräsentative Formen der westlichen Konsumkultur in nahezu allen MetropolenMetropole dieser Welt etabliert, angereichert durch eine Form von MedialisierungMedialisierung und Bebilderung, die für Menschen früherer Epochen undenkbar gewesen wären.

Kritikpunkte und Anmerkungen (2)

 BenjaminBenjamin, Walter operiert höchst spekulativ und apodiktisch. Er arbeitet mit suggestiven Analogien (Eisenkonstruktionen – TraumkonstruktionenTraum, Traum-, -traum).

 BenjaminBenjamin, Walter ersetzt die Erklärung durch die Analogie (die Eisenkonstruktion und die KonstruktionKonstrukt, Konstruktion des UnbewusstenUnbewusste, das, Unbewusstheit).

 Er verwendet Begriffe wie TraumTraum, Traum-, -traum und WunschbildWunschbild im Gefolge der JungJung, Carl G.-SchuleSchule unspezifisch und unhistorisch.

 Seine Kulturtheorie ist trotz seiner impliziten Kritik am MarxismusMarxismus, marxistisch zu linear und deterministisch. Sie entwickelt kein eigenes Konzept von Kultur.

 BenjaminBenjamin, Walter vertauscht einen ökonomischen mit einem technischen MaterialismusMaterialismus.

 BenjaminsBenjamin, Walter Blick schwankt zwischen melancholischer Abkehr und romantischer Verklärung der Großstadt.

 BenjaminBenjamin, Walter erklärt nicht hinreichend die Attraktivität von ModeMode und GeldGeld, die ganz offenkundig nicht allein auf der utopischen Dimension beruht.

 Die dialektische Gedankenfigur, wonach die gegenwärtige Epoche stets die nachfolgende träumt, ist ein schönes BildBild, trifft aber ganz offenkundig nicht zwingend zu. Der Umschlag vom Wollen zum Sein geschieht nicht zwangsläufig.

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