Vorm Mast

Text
Aus der Reihe: Zu Wasser und zu Lande #2
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

HART IST DAS LEBEN EINER RATTE

Ich steuerte bei Nacht ebenso gut wie bei Tag. Wir waren pünktlich zum Wachantritt da, waren nüchtern, ließen uns nichts zuschulden kommen. Den Tee mit Salz zu verbessern vergaß ich lieber. Wir Junggrade merkten, dass die Schiffsleitung uns den Matrosen für die Wache vorzog. Das gab uns ein gewisses Selbstbewusstsein, das selbst die Dauerkritik der anderen nicht untergraben konnte. Wracktonnen erkennen, Seezeichen in Küstennähe oder auf der Seekarte im Kartenhaus ausfindig machen, nachts die Leuchtfeuer auszählen, sie bestimmen und anpeilen, all das wurde mir vertrauter, je länger die Reise dauerte. In der Biskaya wurde mir zwar etwas mulmig, weil die Kreuzseen unseren fast leeren Kahn ziemlich dümpeln ließen. Portugal zieht an Backbord vorüber. „Jetzt hast du's geschafft“, denke ich, „dir kann nichts mehr passieren!“ Mein Schritt wurde sicherer, mein Körper begann, die Schiffsbewegungen vorauszuahnen, eins mit Schiff und See zu werden. In den Gängen brauchte ich mich nicht mehr an den Schotten abzustützen oder mich an den Handläufen zu sichern. Ich schaffte es sogar, bei der Backschaft mit 6 Tellern voller Spiegeleier von der Kombüse über Deck nach achtern zu jonglieren, ohne dass die Teller hinunterfielen oder der Wind die Eier wegblies.


Blick vom Großmast nach achtern

Manchmal nahm ein Matrose die Eier vom Teller und schickte mich zurück zur Kombüse. „Sag dem Chef, du hast sie runtergeschmissen, er soll dir ein paar neue geben!“ Doch der lachte nur. Er kannte alle Tricks und alle Matrosen. „Sag dem Fiete, dass für die nächsten 10 Tage kein Landgang anliegt. Mit zwei Eiern zum Frühstück hat er genug. Wenn ihm das nicht reicht, dann soll er seine eigenen fressen!“ Natürlich kam es vor, dass ich ausrutschte, und die Teller über Deck segelten und zu Bruch gingen und ich manchmal hinterher. Wenn der Koch das gesehen hatte, gab's Ersatz. Wenn nicht, verzichtete ich eben auf mein eigenes Frühstück und überließ es den Matrosen. „Hart ist das Leben einer Ratte, noch härter ist die Morgenlatte!“, war Rudis Fazit.

Langsam tat das Schiff mir seine Geheimnisse kund. Allein oder mit den anderen Ratten erkundete ich alle erlaubten und verbotenen Orte. Kaum eine Leiter, an der ich mir nicht die Hände verschmutzte. Vom Doppelboden bis zum Masttop, vom Kettenkasten bis in die Süßöltanks führten unsere Streifzüge. Mit der Zeit freundeten wir Neuen uns mit manchen von der Maschine an, und diese erklärten uns stolz, wie das alles funktioniert. Wir verstanden aber gar nichts bei dem unerträglichen Lärm, der hier unten herrschte. Mir ist unklar, wie die sich hier unten verständigen. Vielleicht mit einer Art Taubstummensprache... Sie arbeiteten in Shorts, mit nacktem Oberkörper, selbst im Winter, waren ölverschmiert, ein triefnasses Schweißtuch um den Hals geknüpft, das sie von Zeit zu Zeit auswrangen oder in kaltes Wasser tauchten.

Hier erfuhren wir, dass unsere Hauptmaschine ein Zweitaktdiesel war, der auf See mit Schweröl lief und für Manöver vorher auf Gasöl umgestellt werden musste. Das Schweröl ist in Normalzustand fast fest und muss erhitzt werden, damit es fließt. Der Tagesverbrauch liegt bei 16 Tonnen. Alle Motoren haben einen Süßwasser-Kühlkreislauf, welcher wiederum mit Seewasser gekühlt wird. Sogar Trinkwasser wird an Bord hergestellt. Mit der Abwärme der Maschinen wird bei Unterdruck Seewasser verdampft und mit Mineralzusatz als Trinkwasser verwendet. Das beruhigte uns sehr. Doch ist Wassermangel für das Schiff gefährlicher als für uns. Falls wirklich mal alles Wasser ausgehen sollte, können wir immer noch ein Ticket schreiben und uns mit Bier die Zähne putzen. Doch bezweifle ich, dass der Steward so viel Mineralwasser an Bord hat, um das Schiff wieder schwimmfähig zu machen, falls die von der Maschine mal das ganze Meer verdampft haben! Eigentlich sollte man das Zähneputzen mit Bier in unser Überlebensprogramm einbauen. Zur Bootsrolle und Feuerrolle sollte man das Zähneputzen ohne Wasser hinzufügen. Vielleicht könnte man das Toilettenrolle nennen?

Nach der Biskaya wurde die Steuerautomatik eingeschaltet. Jetzt war nur noch der Wachoffizier auf der Brücke und einer von uns auf Flötentörn, was bedeutet, man muss bei Pfeifsignal sofort auf die Brücke eilen. Seit der Biskaya hat auch der Unterricht begonnen mit Herk, unserem Ausbildungsoffizier. Jeden Morgen, nach dem Frühstück, ist für uns alle erst mal Reinemachen angesagt, und ab ½ 9 Uhr bis 12 Uhr finden wir uns im Unterrichtsraum mittschiffs ein. Wir sitzen auf unseren festgeschraubten, mit rotem Plastikbezug bespannten Drehsesseln, hören dem Ausbilder zu oder schauen durch die Bullaugen auf das Meer. Die auf der Fensterseite sitzen, sehen statt des Meers die Weltkarte. Beides also genug Anlass zum Träumen. Manchmal klappt auch beides. Nicht, dass der Unterricht uns nicht genug forderte, aber manche von uns schafften es, an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Hier an Bord und zugleich in einem anderen Land irgendwo am Rande des Meeres. Wir wurden hier ausgebildet, um ein Schiff zu bedienen, unser ungeduldiger Geist aber machte sich selbständig und wollte die Welt erobern.

Zum Glück ist unser Offizier auch ein Mann der Praxis, und so dient unser Unterricht oft dem besseren Verständnis der Arbeiten an Deck oder auf der Brücke. Da ich offiziell Mittlere Reife hatte (nimmt man eine Lebenserwartung von 80 Jahren, hätte ich die erst bei 40 haben dürfen) ist viel vom allgemeinen theoretischen Stoff nichts Neues für mich. Eher eine Auffrischung. So genieße ich die Schulstunden und tue das, was die Matrosen uns schon seit langem unterstellen: Ich erhole mich! Der Flötentörn arbeitet mit den Matrosen an Deck. Er muss sich den Lernstoff später von uns erklären lassen.


Die Kanarischen Inseln liegen querab

Das Schiff schraubt sich unter leichtem Vibrieren immer weiter nach Süden. Hinter dem Bullauge taucht der Horizont auf, dann das Meer. Dann ist es, als schaue ich schräg von oben in die Wellen. Diese verschwinden bald wieder nach unten, dann erneut der Horizont, der ebenfalls langsam wegtaucht, dann eine Weile nichts als Himmel. Ich fühle mich wie in einem riesigen Schaukelstuhl. Es kommt oft genug vor, dass plötzlich alle Bücher anfangen zu rutschen. Meist gelingt es uns, sie einzufangen, manchmal schliddern sie durch das Klassenzimmer bis an die Wand. Eines Morgens stellen wir fest, dass alle Wellen aus einer bestimmten Richtung kommen und an Höhe zugenommen haben. Außerdem bläst ein starker Wind, der die Wellen mit Gischt krönt: Wir befinden uns in der Zone des Nordost-Passats.

Für Tage sehen wir tagsüber keine einzige Rauchfahne, nachts von der Brücke kein einziges Licht. Wache muss natürlich gegangen werden. Und wenn dann ein Licht auftaucht, ist es fast ein Ereignis. Mit dem Fernglas versuchen wir zu erkennen, welchen Kurs er fährt und ob er uns gefährlich werden kann. Oft holen wir den großen Morsescheinwerfer aus dem Regal, ein schweres Teil, worin eine starke Birne brennt. Die einzelnen Impulse werden durch drehbare Lamellen bewirkt ähnlich einer Fensterjalousie. Das macht etwas Lärm und das Teil wird mit der Zeit ganz schön warm. Wir geben .- .- .- , den Buchstaben A wie Anruf. Der andere antwortet oft mit ...- - , B T „Begin Text“. Meist stellt man sich zuerst vor: „German ship Natal from Hamburg to Abidjan.“ Dann erzählt der andere von sich. Manchmal dauert die Unterhaltung, bis man außer Sichtweite ist. Oft schaut Sparks, der Funker, auf der Brücke vorbei. Er ist ja unser nächster Nachbar. Er ist über alles informiert, was auf der Welt, insbesondere auf den Weltmeeren passiert. Ist irgendwo ein Schiff in Not, so ist er immer der Erste, der es weiß. Ist ja sein Job. Manchmal ändern wir den Kurs, um jemand zu Hilfe zu eilen. Meist kommt bald Entwarnung, weil andere, die näher dran waren, schon geholfen haben. Auch weiß er die neuesten Bundesligaergebnisse und was sich in good old Germany tut. Manchmal druckt er eine Funkzeitung für die Mannschaft, die dann in den Messen ausliegt. Er ist der wichtigste Mann an Bord. Eigentlich ist jeder Mann an Bord wichtig. Vielleicht ist jeder für eine kurze Zeit ersetzbar. Aber jeder ist Mitglied einer Überlebensgemeinschaft, die ohne ihn nicht funktionieren kann. Und jeder verlässt sich blind auf den anderen, vor allem, dass er seinen Job tut, auch wenn wir schlafen.


Am Peilkompass

Lange schwarze Nächte, voll von so vielen blinkenden Sternen. Es heißt, dass man auf See auch Sterne sieht, die hinter dem Horizont liegen, durch Spiegelung an der Atmosphäre. Der große Wagen rückt immer weiter weg, der Nordstern, mein Orientierungspunkt seit meiner Kindheit, berührt bald den Horizont. Ich betrete eine neue Welt. Und als mir der Wachhabende das Kreuz des Südens über dem südlichen Horizont zeigt, sind wir schon querab von Dakar. Ich bemerke ein Leuchtfeuer an Backbord und melde es. „Cap Verde“, sagt der Offizier und nimmt mich zum Peilkompass in der Nock. Er erklärt mir nochmals die Handhabung, lässt mich peilen und den Winkel ablesen. Dann gehen wir in das schwach erleuchtete Kartenhaus und übertragen den Winkel auf unsere eingezeichnete Kurslinie auf der Seekarte. „Genau da sind wir!“

Auf der Karte bemerke ich kleine Kreise, die auf unserer Kurslinie eingezeichnet sind. „Was bedeuten diese Kreise hier?“, frage ich ihn. „Das sind unsere Standorte zu Sonnenaufgang, Mittag und Sonnenuntergang, wenn mit mehreren Sextanten die Winkel bestimmter Gestirne gemessen werden. Die Entfernung vom Mittagsstandort gestern bis zum heutigen heißt Etmal.“ Er telefoniert zum Kapitän, dessen Wohnung unter der Brücke liegt. Dieser kommt bald herauf, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Er hantiert mit einem Zirkel auf der Karte. „Wenn das Feuer 2 Strich achteraus liegt, Kursänderung auf 175 Grad! Und gut Ausschau halten! Es befinden sich viele unbeleuchtete Fischerboote in dieser Gegend.“ Das Radargerät lief schon seit ein paar Stunden, wie immer in Küstennähe. Auf dem Radarschirm kreist der grüne Radius und hinterlässt manchmal nachleuchtende Punkte, die aber bei der nächsten Umdrehung nicht mehr erscheinen. Es sind Parasiten oder Reflexe von Wellen.

 

Trotzdem gehe ich wieder in die Nock, mit geschärften Sinnen. Irgendwas ist anders als sonst... Die Luft riecht anders! Nach Land. Afrika! Gegen Wachende entflammt sich der östliche Horizont in einem enormen Feuerwerk. Blitze zerteilen die Tropennacht in skurrilen Bahnen. Manchmal fährt einer ganz hoch hinauf, um den schweren Himmel mit der Energie der Erde zu befruchten... Am nächsten Morgen ist das Meer spiegelglatt. Nur eine weitläufige Dünung wiegt unser Schiff ganz langsam auf der ölgleichen See, die verlaufenen Zeugen eines Orkanes an einem anderen Teil der Welt....

GEHEIMSENDER

Ich sitze in einem Bootsmannsstuhl. Nicht in der Messe. Da hätte man mich schon längst hinausgeschmissen. Oben in der Luft zwischen Masttop und Ladebaumende. Besser gesagt, ich hänge und sitze. Auf einem 60 Zentimeter langem Brett, in dessen 4 Ecken Tampen befestigt sind, die nach oben spitz zusammenlaufen und ein Auge bilden. Dieses Auge ist mit einem Schäkel (U-förmiges Metallteil, das an der offenen Seite mit einem Bolzen geschlossen werden kann) auf dem Hanger (Stahltau, hält den Ladebaum) gleitend befestigt. An diesen Schäkel ist mittels zweier halber Schläge (Knoten) ein Ende (Tau) gebunden, welches oben am Mast durch einen Stertblock (Rolle) geschoren (geleitet) hinab zum Deckshaus geht. Dort hat es ein Matrose, genau gesagt Rudi, um eine Leitersprosse getörnt (gewickelt) und hoffentlich auch mit mindestens einem halben Schlag (einfachster Knoten) gesichert. Was ich da oben mache? Ich labsalbe. „Laben und Salben hilft allenthalben!“ hatte Rudi vorher mit erhobenem Zeigefinger feierlich verkündet. Der weiß immer alles (besser). Ist ja aus Berlin. Kurz gesagt, ich konserviere die Hangertrosse gegen schädliche Einflüsse von außen, also Salzwasser. Außerdem wird sie dadurch etwas elastischer, denn die Salbe, mit der ich labe, ist Fett. Pferdefett, gut ranzig, und noch ein paar Zutaten, die ich nicht verraten darf. Jeder Bootsmann hat da sein Geheimrezept. Wir an Bord nennen das Affenfett.

Es soll Bootsmänner geben, die diese Handlung mit ganz normalem Schmierfett durchführen. Was für ein Sakrileg! Man erkennt, wir sind auf dem Weg dazu, einst richtige Seemänner zu werden! An meinem Stuhl ist mit einem aus der Kombüse stammenden Fleischerhaken ein Topf befestigt, in dem sich dieses heilige Salböl befindet. Mit einem Twist (Putzwolle) versuche ich, diese nach Kadaver stinkende, durch die Hitze verflüssigte Suppe, gleichmäßig auf dem Draht zu verteilen. Dabei läuft mir das Zeug die Arme runter und tropft mir von der Trosse in die Haare. Langsam fiert mich des Zimmermanns (Rudis Nachname) Sohn weiter, bis ich am Ladebaum ankomme. Dort winde ich mich aus dem Sitz und versuche, mich auf den flachliegenden Ladebaum zu setzen. All das mit fettigen Händen und in drei Metern Höhe. Stuhl ausschäkeln, Rudi holt die Lose weg, der Stuhl geht wieder nach oben. Ich versuche, mich mit den Händen hochstützend, wie Kinder beim Bockspringen, zum rettenden Deckshaus zurück zu gelangen. Rittlings auf dem Ladebaum sitzend, mit den Beinen das Gleichgewicht haltend. Dort, endlich wieder sicheren Boden unter den Füßen, atme ich erst mal tief durch. In diesem Moment taucht der Scheich über die Leiter auf dem Deckshaus auf. „Wat is denn dat?“, bellt er. „Was hat denn der schon wieder“, denke ich, gelinde ausgedrückt. Ich stehe da, mit fettverschmiertem Oberkörper. Er zeigt auf meine Brust. Ich verstehe nicht. „Ist wohl ein Geheimsender?“ Jetzt klingelt 's bei mir! Er hat das Kreuz entdeckt, dass ich an einem Kettchen um den Hals trage! Es stammte aus Altötting, einem Wallfahrtsort. Alle brechen in schallendes Lachen aus. „Und wenn?“, entfährt es mir. „Lange genug herumgestanden“ sagt er, „los, Geheimsender, in den Mast, keine Müdigkeit vortäuschen, der nächste Hanger wartet!“ Jetzt habe ich meinen Spitznamen weg. Bin zur Taufe sogar gesalbt mit Affenfett!


Im Bootsmannsstuhl im Mast

„Du solltest mir dankbar sein, dass du labsalben darfst. Das ist der beste Sonnenschutz den es gibt. Schau Schmidchen an. Ist rot wie ein gekochter Krebs! Und wenn du jetzt an Land gingst, würden dir alle schwarzen Schönheiten hinterherrennen, glaub mir das!“ Beim Abendessen jedenfalls rücken erst mal alle weit von mir weg, weil ich so stinke. Nach so einem Tag sehnt man sich nach der letzten Ölung...

Von oben kommt bald die Order, dass wir alle beim Arbeiten Hemden tragen müssen und Kopfbedeckung. Aus dem Kabelgatt tauchen Tropenhelme auf, die wir, trotz unserer Proteste tragen müssen. Wir kommen uns lächerlich darunter vor. Wir sind doch nicht auf Safari! Während der Ausreise überholen wir das ganze Ladegeschirr. Wir zerlegen alle Blöcke, reinigen und fetten die Lager oder tauschen sie aus, wenn sie zu viel Spiel haben. Bald sehe ich einem Block von außen an, ob er Nadellager besitzt oder Kugellager oder nur Buchsenlager. Da gibt es welche, die haben einen Filzdocht, der geölt werden will, bei anderen befindet sich in der Scheibenrille eine Schraube, die man entfernen muss, um einen Ölvorrat einzufüllen. Die angenehmsten sind uns die mit Fettnippel. Die sind am einfachsten zu schmieren. Die Blöcke der Geien sind am kompliziertesten. Man legt sie besser an Deck ab. Mit einem Schraubenzieher entfernt man seitlich zwei aufgenagelte Bleche. Mit einem Bolzentreiber schlägt man die Achse heraus, reinigt sie, möglichst auch die Bohrung der Bronzescheiben. Dann mit Molykote (Spezialfett auf Molybdänsulfidbasis) einschmieren und den ganzen Schitt wieder zusammentüddeln. Das verlangt viel Gefühl, da sie oft 3 bis 4 Scheiben besitzen. Zu unserem Glück hat alles irgendwann ein Ende. Und beim Schiff heißt das Heck. Dort angekommen, gab es nur noch die Vermessungsluke, und die besitzt keine Bäume. Erst mal ein Bier und sich in den Schatten verpissen. Der Erste Offizier schmeißt 'ne Runde, noch nie dagewesen! Dann alle unter die Dusche und verfrühter Feierabend.

Am nächsten Tag, beim Mittagessen, teilt uns der Bootsmann mit, dass als Nächstes die Mittschiffsaufbauten gewaschen werden sollten, seitlich und Achterkante. Ich werde damit beauftragt, die Arbeit vorzubereiten: Seewasserschlauch, Süßwasserschlauch, die Eimer mit Wasser aus der Leitung füllen, braune Schmierseife dazu, umrühren und die Schwabber (eine Art flacher Klobürste) bereitlegen. Ich hatte eigentlich Ausscheiden (Feierabend) machen wollen, da ich 8 - 12 Wache gegangen war.

Vielleicht wollte er mich auch nur ärgern, weil er sich vorstellen konnte, was kommen würde. Als alles fertig ist, melde ich es, und die Truppe tanzt an. Der Scheich bleibt im Hintergrund und schaut zu. Wir fangen an, die Schotten mittels der Schwabber einzuseifen und zu schrubben. Aber nichts tut sich. Die Seife schäumt nicht, der Dreck bleibt auf der Farbe, dazu kommen noch die Schlieren der ungelösten Schmierseife, die an den Schotten kleben bleiben. Der Scheich stutzt. Auch wir merken, dass etwas nicht stimmt. Er kommt her, taucht einen Finger in einen Seifeneimer, steckt ihn in den Mund. Ich denke, der hat wohl so was wie 'nen Tropenkoller. Er läuft rot an. Brüllt los: „So ein Idiot! Hat der doch glatt die Schmierseife mit Seewasser angesetzt! Hat einen Geheimsender und weiß noch nicht mal, dass man Seife nur in Frischwasser lösen kann!“ Alles lacht. Nur ich nicht. Die anderen Kadetten sind froh, dass es diesmal nicht sie trifft. „Dass man Seife nur in Süßwasser lösen kann, weiß ich (zwar erst seit 2 Minuten)“, antworte ich. Aber dass in der Deckswaschleitung Salzwasser ist, wusste ich nicht.“ Alles grölt erneut vor Lachen. „Das ist ja noch schlimmer! Dann frag das nächste Mal deinen Geheimsender, wenn du was nicht weißt! Wozu dient die Deckswaschleitung denn noch?“, fragt er. „Zum Feuerlöschen“, antwortet Hans-Dieter. „Und der glaubt doch glatt, dass wir das Frischwasser bei Brand zum Löschen nehmen!“ Wir leeren die Eimer in die Speigatten (Wasserabflussöffnungen), füllen sie erneut, diesmal mit Frischwasser aus dem ‚dünnen Darm‘ (Schlauch), eine Hand voll brauner Seife hinein, mit dem Schwabber umgerührt, es schäumt diesmal, und los geht’s. „Stooop!“, grölt er erneut, „seid ihr denn alle verrückt geworden! Solltet euch mal alle einen Geheimsender zulegen, vielleicht wisst ihr dann besser, wie man Farbe wäscht. Man fängt immer unten an zu waschen, verdammt noch mal, weil die runterlaufende Seife sonst Spuren auf den Schotten hinterlässt!“ Wir schauen uns an. Das erste Mal, dass der uns was erklärt hat! Natürlich macht das Ereignis die Runde. Mittschiffs und achtern, von der Brücke bis zum Kielschwein, alles lacht über mich.

NAGETIERE

Inzwischen weiß ich sogar, dass wir die Schotten vorher noch mit dem Frischwasserschlauch hätten entsalzen müssen. Es ist fast eine Kunst, ein Schott richtig zu waschen, oder unter Deck. Danach sieht alles fast wie ein Neuanstrich aus. Aber manchmal hilft Waschen auch nicht mehr. Dann heißt es Brille auf die Augen und Rosthammer in die Hand. Und dann klopfen wir um die Wette, dass selbst die in der Maschine denken, da ist ein Specht am Werk. Millimeterweise nagen wir den Rost von den Lukendeckeln und vom Deck. Wir suchen mit Rostkratzern, 30 Zentimetern langen Flacheisen, an einem Ende abgewinkelt, beidseitig mit Klingen versehen, nach Rostbeulen unter den vielen Farbschichten. Wir stechen die Ränder der so entstehenden Löcher glatt, damit nichts absteht und kein Seewasser unter lose Farbschichten gelangen kann. Weiterhin gibt es die Roststecher, eine dreieckige Klinge auf einem langen Stiel, mit denen man das Deck vom Rost freisticht. Gerade das Deck ist am meisten vom Rost befallen, weil durch die Deckslast der Schutzanstrich verletzt wird. Innerhalb von ein paar Tagen hat man uns zu Rostspürhunden dressiert, die sogar unter millimeterdicken Farbschichten ein einzelnes Rostmolekül erschnüffeln, wie ein Zollhund eine Droge... Instandhaltung heißt das im Fachjargon. Wir nannten es Beschäftigungstherapie. Bis hierher alles noch echte Handarbeit.

Ging es an größere Flächen, griffen wir zur Artillerie. Das war die Rostmaschine. Am einen Ende befand sich ein starker Elektromotor, der über eine fast zwei Meter lange biegsame Welle einen runden Hammerkopf antreibt, welcher mit flachen Stahlhämmerchen bestückt ist. Niemand kannte das Wort Gehörschutz. Funken spritzen bisweilen, sonst nur Staub und ein unerträglicher Lärm. Wir binden uns Tücher vor den Mund, schwitzen unter der Schutzbrille, die sich mit Staub und Schweiß zusetzt. Uns brennen die Augen vor salzigem Schweiß und Dreck. Wir haben rote Augen und brechen in Lachen aus, wenn wir einander ansehen. Ein lautes Rasseln erfüllt die Luft und selbst auf dem Achterschiff verspürt man die vom stählernen Rumpf bis hier geleiteten Vibrationen. Dann werden diese bloßgelegten Flächen mit einem Stahlborsten-Schrubber vom Feinrost befreit. Inge, ein Kadett, hatte die grandiose Idee, seine Bürste mit einem dicken Schäkel zu beschweren, den er am Stiel festbändselt. Somit brauchte er wenigstens nicht mehr auf den Schrubber zu drücken. Hans-Dieter holte sich im Kabelgatt einen noch größeren. Sachsenberg holte sich gleich einen 10-Tonnen-Schäkel, mit dem Ergebnis, dass der Stiel bricht. Dazu trinken wir kannenweise Kujambelwasser, Himbeersirup mit Wasser verdünnt. Das ist unser Hauptgetränk, es kostete nichts, machte nicht besoffen und ist kalt.

Für die großen Flächen nehmen wir den Hammerkopf ab und schrauben eine runde Bürste auf die Welle. Diese muss normalerweise mit beiden Händen gehalten werden, weil sie Tendenz hat, wegzurollen. Nur, wenn man stundenlang mit der Bürste an Deck sitzt uns die Sonne auf deine Rübe donnert, geht einem so manches durch den Kopf: Warum macht man das Ganze? Warum geht der Motor einfach nicht kaputt? Wie kann man das einfacher machen? Mickymaus holt einen leeren Farbeimer und setzt sich darauf. Motor an, ein Fuß auf die Welle, knapp hinter der Bürste, und er kriegt schon mal weniger Staub ab als im Knien. Es funktioniert! Bloß läuft ihm die Bürste manchmal weg und sucht sich hüpfend ihre eigene Bahn. Und bis er den Schalter erwischt auf der inzwischen tanzenden Maschine, kann schon was passiert sein. Dieses ‚System Mickymaus‘ verbessern wir noch, indem wir ein Seil zwischen Fuß und Bürste an die Welle binden. Mit dem Fuß drücken wir, mit dem Seil ziehen wir. So haben wir die Bürste voll unter Kontrolle und kommen gut voran.

 

Irgendwann, es bleibt noch Rost für mindestens 2 Monate zu klopfen, steht der Scheich hinter uns. Wir haben ihn nicht kommen hören, wie hätten wir auch, bei dem Krach. Er schaltet die Maschinen aus. „Aufhören! Schluss!“, meint er. „Gerade jetzt, wo es richtig Spaß macht! Nein, bitte nicht!“, feixt Inge. „Nix da, Schluss mit dem Dreck! Jetzt wird imprägniert!“ Und da hat jeder Bootsmann sein eigenes Rezept. Unserer schwor auf Bleimennige. Die sieht orange aus und wird in 2 Schlägen aufgetragen. Mit der Rolle. Pinsel wäre besser, aber wir müssen vorwärtskommen. In der Hitze benebeln einen die Lösungsmitteldämpfe. Die Rolle schleudert Spritzer um sich. Bald siehst du aus, als hättest du Masern! Und unser Schiff wie ein Seenotrettungskreuzer. Ist das trocken, folgt ein Schlag flüssiger Teer. Dazu bräuchten wir Masken. Aber außer dem Dräger-Atemschutzgerät für Brandfälle haben wir nichts an Bord. Doch wir haben's überlebt! Wie sieht unser Schiff jetzt schick aus, mit dem glänzenden, neuen Teeranstrich!

Manche Arbeiten fanden wir überflüssig. Aber sie dienten alle der Instandhaltung unseres Wohnortes und Arbeitsplatzes und garantierten uns eine gewisse Sicherheit auf unserer Nussschale. Manchmal beugte ich mich über die Reling und versuchte mir vorzustellen, was da unter mir ablief. Was da für Lebewesen ihr Unwesen trieben, vielleicht fuhren wir gerade über ein Unterwassergebirge, 6000 Meter unter meinen Füssen... Ein Schiff auf Zigarettenlänge reduziert, hat ungefähr eine Rumpfstärke wie das Zigarettenpapier. Und ich schwimme da in dem Zigarettenpapierröllchenschiff und wiege mich in Sicherheit. Alles ist relativ.

Eines nachts durchfuhren wir ein riesiges Gebiet mit Leuchtplankton. Dort, wo die Bugwelle sich überschlug, leuchtete es hellgrün auf. Bis weit hinaus leuchtete das Meer in hellen Streifen. Nach der Wache schleiche ich mich auf die Back, lehne mich über die Verschanzung überm Steven, dem Wasserpflug und versenke meinen Blick in das weiß-grünlich sich teilende Wasser der entstehenden Bugwelle. Die See ist still. Wie ein weiter, riesiger Fächer sieht das Meer aus, hier von der Back betrachtet. Die Luft ist warm. Es geht kein Hauch. Die Maschine hört man hier vorne nicht. Ich spüre nur den leichten Herzschlag des Schiffes, bedingt durch die Drehung der Schraube am Heck. Ich erlebe einen Augenblick, der mich alle Mühen der letzten Wochen vergessen lässt. Am liebsten würde ich die anderen wecken und ihnen das zeigen. Doch die würden nur sagen: „Schmeiß deinen Geheimsender über Bord und besauf' dich mal richtig...“


Schiffsglocke auf der Back

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?