HIPPIE TRAIL - BAND 2

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NIRWANA

Am nächsten Vormittag komme ich in Johor Bahru an. Es ist ein kleines Fischerdorf ähnlich dem auf Penang, auch mit einem Hafen für die segelbaren Lastkähne, die den Verkehr mit den Inseln aufrecht erhalten und Zubringer für die großen Frachter machen. Jedes Mal, wenn ich diese sehe, schon seit Penang, schon seit den Nicobaren, stelle ich mir vor, wie es wäre, so ein Schiff umzumodeln, um damit die Reise weiterzumachen. Ich glaube, sie sind nicht teuer, denn überall sehe ich welche, die, wohl Mangels Fracht, vor sich hindümpeln, sich mit Regenwasser füllen und langsam verrotten. Gegenüber, seit kurzem auf einer Brücke erreichbar, sehe ich Singapur, einen der größten Häfen der Welt, Stadtstaat, wie Monaco oder Liechtenstein. Namen, die nach Geld klingeln. Am Stadtrand, nicht weit vom Wasser, finde ich eine Unterkunft, nur von wenigen Malaien und Chinesen besucht. Billig, sauber, ruhig.

Am Abend gehe ich in die kleine Stadt. Ich kann es gar nicht fassen: überall sind überdeckte Straßentheater aufgebaut, Altäre mit Statuen und Blumenschmuck, die Straßen wimmeln von fröhlichen Menschen. Ich bin genau zum ‚Fest der hungrigen Geister‘ eingetroffen, das sich eine Woche lang hinzieht. Ich bin zwar hungrig, aber noch kein Geist. Trotzdem nehme ich mir vor, von den Festlichkeiten zu profitieren. An den Altären werden Opfergaben, meist Speisen und süße Gerichte, kunstvoll zubereitet auf Palmenblättern oder Platten, den Geistern geopfert. Und zwar denen, die es noch nicht geschafft haben, aus Karma oder anderen Ursachen, zur Ruhe zu kommen. Denn die verstorbenen Ahnen zu vernach-lässigen ist eine große Verfehlung. Diese könnten sich über einen Mangel an Aufmerksamkeit rächen! Außer-dem sind da gewisse Fristen. Die ortsansässigen Theologen werden wissen, wie lange eine Seele herum-irrt, bevor sie ins Paradies oder einen anderen Körper einziehen kann. Tatsache ist, dass sie hungrig ist, und mindestens einmal im Jahr ernährt werden will und mit Theater und Musik vergnügt. Denn der Geistzustand scheint nicht immer angenehm zu sein. Verfehlungen hat sich jeder zuschulden kommen lassen. Und so feiern Lebende und Tote zusammen. Immer wieder bringen besorgte Familien leckerste Speisen. Doch da darf man noch nicht dran. Nur die Geister. Wichtig ist, dass bis zum Morgen alles verschwunden sein muss. Also wie Weihnachten, nur dass hier der Gabentisch geräumt wird! Zum Glück gibt es die Armen, die die Aufgabe der Ahnen übernehmen. Oder Reisende, wie ich oder Klaus, den ich vor einer improvisierten Bühne treffe.

Die Musikanten, die vor der Bühne auf der Straße sitzen, sind dabei, sich etwas einzuspielen. Hinter den Kulissen bewegt es sich auch. Langsam sammeln sich die Menschen. Dann geht’s los! Während das Orchester eine kleine Ouvertüre spielt, Flöte, Hörner, Streichinstru-mente, Pauken, Xylophone sich zu einer melodischen, chinesischen Melodie vereinigen, erscheint mit einem Sprung der erste Schauspieler auf der Bühne. Pracht-volles, glitzerndes Kostüm, eine kunstvolle Maske vor dem Gesicht oder spitze, goldbordierte Kappen auf dem Kopf, samtene, feingearbeitete Schnabelschuhe an den Füßen. Dann erscheinen nach und nach die anderen Akteure, ebenso prachtvoll ausstaffiert. Diese singen zu ihrer Darbietung, oder sie spielen schweigend, und spezielle Sänger oder Sprecher begleiten deren Handlung. Jede Bewegung, vor allem die der Hände und Füße wird fast bis ins Groteske betont, scheint eine bestimmte Symbolik zu haben. Graziöse, trippelnde Tänze wechseln mit Schwertänzen, wo die Funken nur noch so fliegen. Tragödien aus der Dämonenwelt lösen mit Gesangsvorführungen ab. Das Orchester ist voll im Element. Sie scheinen mit den Darstellern im Wettstreit zu liegen, wer hier der Hauptakteur ist. Ihre Instrumente wirken auf den ersten Blick primitiv. Die Xylophone, in allen Größen, mal liegend oder stehend, setzen sich aus verschiedengroßen, durch Schnüre verbundene Bambus-plättchen zusammen. Offene, tönerne Gefäße oder Kale-bassen sind darunter als Klangverstärker aufgehängt. Die Trommeln, Pauken, Gongs, Zimbeln, alles sieht nach Handarbeit aus und hat vielleicht dadurch diesen ‚chinesischen‘ Klang. Dazu Saiteninstrumente, die sitarähnlich klingen und andere Zupfinstrumente, Blas-instrumente aus Holz und Metall, alle mit dem spezifisch ost-asiatischen Klang. Und an vielen Plätzen des Städtchens fanden ähnliche Aufführungen statt. Laut war sie natürlich auch, diese Musik, musste sie ja sein, denn die Geister waren sicher nicht nur hungrig, sondern auch schwerhörig. Eine andere Art von Theater waren die Marionetten-Aufführungen. Diese gab es mit von oben durch Fäden bewegte Puppen, wie bei uns, und andere, die von unten her mit Stöcken bewegt wurden. Hier waren die Orchester entsprechend kleiner, und das Publikum manchmal auch. Auch entdeckte ich eine Abweichung dieser Marionettenspiele, das Schatten-theater. Hier bewegten sich die Figuren hinter einer dünnen Leinwand, aus dem Hintergrund mit einem Projektor angestrahlt. Für uns Zuschauer waren nur die Silhouetten zu sehen. Und die wunderbaren, nebeligen, chinesischen Hügellandschaften.

Klaus und ich lassen uns von dem Menschenstrom durch die Stadt tragen. Je später es wird, umso mehr lichten sich die Gassen, die Musikanten decken ihre Instrumente ab. Wir gehen näher an den Altären vorbei und naschen mehr oder weniger heimlich von den Leckerbissen. Klaus wohnt, wie es der Zufall will, nur dreihundert Meter von mir entfernt, in einer Pfahlbausiedlung, die aber auf dem festen Land steht, nicht im Wasser. Es sieht so aus, als sei diese für Touristen bestimmt. Auf jeden Fall ist er der einzige Bewohner dieser Siedlung. Für den Preis meines Zimmers hat er ein ganzes Haus, sagen wir mal Hütte. Auf Bambus, aus Bambus, mit geflochtenen Wänden und einem Binsendach. Er lädt mich ein auf einen ‚Gute-Nacht-Joint‘. Er hatte auf dem Markt etwas Buddhagras erstanden. Es ist ähnlich einer gepressten Ähre aus schmalen Blättchen, darin ein paar Samenkörnchen, ist leicht klebrig und riecht harzig. Rundum ist es von einem dünnen Grashalm umwickelt. Es erinnert mich sehr an das Gras in Pokhara. Ich habe meine Meerschaumpfeife und den Tabak von der Rajula einstecken, er hat nur Papierle. Vorsichtshalber macht jeder eine Mischung. Er fachmännisch eine dreiblättrige Tüte, ich eine Pfeife. Los geht’s! Wir fangen mit seinem Joint an. Der erste Zug endet bei mir als auch bei ihm mit einem Hustenanfall. Dann schauen wir, dass wir mit dem Rauch zugleich etwas Frischluft inhalieren. Irgendeine Zigarettensorte hatte so was mal auf den Markt gebracht, die ‚Zigarette mit der Frischluftzone‘. Ich glaube, Reno, mit den scheußlichen Mentholzigaretten. Es müsste vorperfo-rierte Blättchen geben! War schon der erste Zug umwerfend, auch wenn wir das vor lauter Husten nicht gleich bemerkten, so hören wir jetzt die Englein singen! Oder den Chor der hungrigen Geister. Es ist wunderschön. Die Bambushütte knistert leise im schwachen Seewind, man könnte meinen, sie flüstert. Nur verstehen wir nicht ganz die Sprache. Das muss ein Südwind sein. Ich höre ein Klavier in der Nachbarschaft, liebliche, verlockende Töne. Aber das ist ja unmöglich, fällt mir ein, so eine Bambushütte würde nie das Gewicht eines Klaviers aushalten! Alles wird zu Klang, selbst die Dunkelheit. Und durch das Dachgeflecht sehen wir die Sterne glitzern, oder sind es die Regentropfen, die wie Funken über das Dach perlen? Wir vergessen den Joint im Aschenbecher, vergessen die Pfeife. Wir sind weg!

Die durch das Flechtwerk fallende Sonne weckt uns. Die Feuchtigkeit des nächtlichen Regens bildet leichte Nebelschwaden über dem Boden, wie ein seichtes Meer, aus dem die Pfähle der Hütten aufragen. Die Vögel in den Palmen und Unterholz, bisher still, um nicht unsere Ruhe zu stören, legen jetzt los, wie am Vorabend die Orchester. Ein paar Kormorane oder andere Wasservögel krächzen vom Ufer ihren Sonnengesang. Von Singapur hallt das Tuten eines Ozeanriesens über die Bucht. WOW, was für eine Nacht!

Ich lade ihn zum Müsli ein, bei mir in der Herberge. In einem Laden habe ich im Vorbeigehen eine Flasche Milch gekauft und ein kleines Stück Kernseife. Was für ein Luxus nach den paar Monaten ohne! Dann gehen wir zum Fischerhafen. Ich fühle mich unwahrscheinlich wohl bei dem Geruch von Schlamm, Fisch und Wasser. Die Menschen gehen alle wie Ameisen ihren Beschäfti-gungen nach. Wir zwei sind die Einzigen, die nichts tun. Wir sitzen auf der Mole und machen uns unsichtbar. Am Nachmittag gehen wir in ein Kino. Anscheinend gibt es hier auch Vorführungen für die hungrigen Geister. Es sind fast alle Plätze besetzt. Die hungrigen Geister werden sich auf den wenigen unbesetzten zusammen-drängen müssen. Die chinesischen Filme sind so übertrieben, dass sie gar nicht wie Kitsch erscheinen, sondern wie eine Kunst für sich. Meist sind das Filme mit viel Kampf wo Köpfe fliegen. Zum Glück überleben auch hier immer die Guten, wenn diese auch oft in so bedrängliche Situationen geraten, dass der ganze Saal vor Angst kreischt. Ein Schwertkämpfer verteidigt eine schöne Prinzessin gegen eine Horde Wüstlinge. Doch diese setzen dem Helden gehörig zu. Von allen Seiten zischen die Hiebe heran, die Klingen knallen, die Funken sprühen unter den Hieben, und wenn alle denken, diesmal ist es um den Armen geschehen, fasst der sich an seinem nach oben gebundenen Haarschopf und zieht sich in die Luft, von wo aus er den Bösen schnell den Garaus macht. Oder der Held kann fliegen, wie Supermann, doch in einem exotischen Dekor, bevölkert von bunt geschminkten Mädchen, die alle ein Schönheitsmal auf der Backe haben. Abends dann wieder Straßentheater und Volksmusik bis spät in die Nacht.

Am nächsten Morgen schlafe ich aus. Dann wasche ich meine ganze Wäsche. In der Herberge läuft gerade mal warmes Wasser in der Dusche. Das muss ich ausnutzen. Ich fülle ein Waschbecken damit, hoble mit dem Messer Seifenflocken hinein und tauche meine Lumpen ein. Da mir ja nur ein Wäschestück von jedem bleibt, wickle ich das Moskitotuch um meinen Bauch. Alles gut durchkneten, eine Weile gären lassen, nochmals kneten, bis das Wasser schön schwarz ist, wegschütten, zweimal durchspülen, auswringen und raus auf eine Leine. Bis zum Abendessen ist alles trocken. Klaus kommt vorbei. Er hat in einer Gasse eine Opiumhöhle ausfindig gemacht. Er will das gerne mal probieren, und ob ich mitkomme. Wenn ich nicht rauchen will, dann zumindest aufpassen, dass alles glatt geht. Er hat wie ich null Ahnung wie das ist. Aber ‚Probieren geht über Studieren‘ hatte man uns als Kindern schon beigebracht. Klar, dass ich dabei bin! Denn Süd-Ost-Asien zu verlassen, ohne Opium geraucht zu haben, das wäre ja wie im Hofbräuhaus ein Cola zutrinken! Oder so ähnlich jedenfalls. Ich habe etwas Bedenken wegen unserer Wertsachen. Aber, wenn man es genau nimmt, dann habe ich ja gar keine mehr! Das Schiffsticket ist auf meinen Namen, die restlichen 20 Dollar sind Travellerschecks, und meinen Pass, na ja, den wird mir heute grad auch niemand klauen! Vorsichtshalber stecke ich alles in meine frisch gewaschene Unterhose. Zu irgendwas muss das Waschen ja gedient haben! Bis auf den Brustbeutel mit dem Pass, den gebe ich dem Chef des Opium-schuppens, der ihn in sein Schließfach sperrt. Andere machen es auch so.

 

Dann führt uns ein hagerer, etwas gekrümmter Chinese durch einen Vorhang in einen schwach erleuchteten Raum. Dort sind auf jeder Seite drei Pritschen hintereinander angeordnet. Die drei rechts sind schon besetzt, besser gesagt, belegt. Von friedlich dösenden Menschen, mit einem verklärtem Lächeln im Gesicht. Er weist uns an, es uns bequem zu machen. Jeder auf einer der schmalen Pritschen. Es liegt sogar ein Kopfpolster darauf. Bezahlt hatten wir schon im Vorzimmer, bei dem Bewacher unserer Wertsachen. Wir legen uns also jeder auf seine Bank, gespannt auf das, was nun kommen wird. Zuerst kommt der Chinese zu mir, mit einer Petroleum-lampe. Aus einem Tuch wickelt er einen tischtennis-ballgroßen bräunlichen Klumpen. Davon schneidet er ein kleines Stückchen ab und steckt es auf eine Art Stricknadel. Damit hält er es über den Zylinder der Lampe, bis es Bläschen wirft. Dabei dreht er die Nadel leicht, wie ein Stückchen Brot, was man aus dem Käsefondue hebt. Aber das werden die hier kaum kennen, denke ich. Die kennen ja noch nicht mal Käse! Dann streicht er das Kügelchen in den winzigen Pfeifenkopf, der auf einem wohl 40 Zentimeter langen Bambusrohr montiert ist, und mich sehr an die Eichel-pfeifen erinnert, die wir uns als Kinder manchmal in den Mund gesteckt hatten, um die Erwachsenen zu imitieren. Er reicht mir das Rohr und gibt mir zu verstehen, daran zu ziehen. Ich nehme es also an den Mund und inhaliere, während er die brennende Lampe an den Pfeifenkopf hält. Aber weder spüre ich Rauch beim Einatmen, noch sehe ich welchen beim Ausatmen. Will der mich übers Ohr hauen? Ich reklamiere und sage nochmal, was mir große Anstrengung abverlangt. Ein weiterer Zug. Ich schmecke das Petroleum, aber keinen Rauch. Doch- ich verspüre einen Geschmack… Ich will ihm das sagen, bringe aber kein Wort heraus, wie in einem Traum, wenn man etwas rufen will, aber kein Ton herauskommt. „Ist ja auch egal“, denke ich noch. Ich fühle mich so wohl, so leicht, wie ein Rauchschleier, der im Raum schwebt. Das ist Nirwana! Durchfließt mich ein süßes Gefühl, dann lass ich alle Gedanken los und lasse nur noch geschehen. Irgendwelche Klänge kleben schwebend in der Luft. Die Sorge um meine Papiere hatte ich schon beim ersten Zug vergessen. Da wo ich jetzt bin, brauche ich keine Papiere mehr…

Als ich langsam wieder die Holzpritsche unter mit wahrnehme und den halbdunklen Raum um mich herum, mein Körper wieder Gewicht annimmt, weiß ich, ich komme von weit her zurück. Sehr weit! Ich war in Welten eingedrungen, die sonst den Sterblichen ver-schlossen sind. Die anderen Bänke waren leer. Außer der von Klaus, der sich gerade zu regen anfing. Ich war ungeheuer glücklich. Wenn so ein Zustand auch durch Meditation zu erreichen ist, wäre es der Mühen wert! Das brachte mich auf einen Gedanken: Könnte es nicht sein, dass die jeweiligen Religionen der verschiedenen Kulturkreise auf der Erfahrungen ‚Eingeweihter‘ mit den landesüblichen Drogen basierten? Dort, wo der Budd-hismus und die Idee von Nirwana seine Wiege hat, wächst auch der Mohn. Der Islam könnte dann aus Haschischvisionen entstanden sein. Und das Christen-tum? Aus Alkoholrausch? Na dann mal Prost Mahlzeit!

Wir traten auf die Straßen, wo das Fest der hungrigen Geister auf seinem Höhepunkt war. Auch wir waren hungrig. Wir konnten nicht mehr bis Mitternacht warten wie die Geister und kauften bei den ambulanten Ständen chinesische Schmankerl. Köstlich! Am nächsten Tag bereitete ich mich innerlich und äußerlich auf Singapur vor. Über Singapur waren ja die wildesten Gerüchte in Umlauf. Spucken unter Strafe verboten! Die armen Inder, was die alles schlucken müssen… Zigarettenkippen und Abfälle fallen lassen, 15 Dollar, sofort zahlbar! Pinkeln: Gefängnis! Kotzen, mindestens Zuchthaus! Kacken - Todesstrafe. Nein, halt, Todesstrafe war für Drogen-besitz! Lange Haare – Gefängnis, Kahlschur und Landes-verweis zusammen. Kein gutes Land für Hippies. Und da will ich hin? Nein, ich muss! Denn dort liegt mein Schiff! Klaus schnitt mir mit meiner Nagelschere den Bart und verbesserte den Haarschnitt. Ich kam mir vor, wie beim Eintritt in einen Orden. Ich war geduscht, meine Klamotten waren gewaschen, wenn auch nicht gebügelt. Halt! Es fehlte noch die Hirnwäsche! Aber vielleicht wurde mein Opiumrauchen gestern als solche anerkannt? Meine Meerschaumpfeife hatte ich gründlich ausgekratzt und vorsichtshalber etwas Weihrauch, den mir die hungrigen Geister abgetreten hatten, darin verbrannt. Man weiß ja nie, bis wohin deutsche Schäferhunde exportiert werden. Ich stülpte den Rucksack um, um sicher zu sein, dass nicht irgendwelche Spezialitäten, zumindest krümelweise, noch vorhanden waren. Klaus drehte noch einen Abschiedsjoint. Wir rauchten ihn während wir zum Bus gingen. Ein letztes Umarmen, ein letztes Winken. Reisen ist eine Kette von Abschiednehmen…

Der Bus fuhr über die Brücke, die zugleich auch als Bahnüberführung diente, in Richtung Singapur. Ich hatte gedacht, mit dem Bus, der ja seinen Fahrplan einhalten muss, komme ich unbehinderter da rüber. Aber nein! Singapur ist ein eigenes Land und wenn auch klein, so doch groß mit seinen Schikanen. Ich muss aussteigen. Der Bus fährt ohne mich weiter. „You Hippie?“ fragt der Zöllner. Er ist weiß. Alle Schlüsselposten sind in Singapur mit Weißen besetzt. „No Hippie!“ Ich verleugne meine Religionsgemeinschaft, wie ein Jude im dritten Reich. Ich komme mir etwas vor wie ein Verräter. Warum kann man auf dieser Welt nicht so sein, wie man ist? Warum muss man sich immer den Vorstellungen verschrobener Moralhüter unterwerfen? „You have drugs, you take drugs?“ Die Stempel in meinem Pass wirken nicht gerade als Empfehlung. Ich lege ihm mein Schiffsticket hin. Das ist Voraussetzung für das Eintagsvisum. Trotzdem alles auspacken. Lächerlich! denke ich. „Why do you smile?“ will er wissen. „You waste your time!“ bemerke ich. „You bloody Hippies waste your time! Why don’t you work like everybody?“ Bumm, bumm, bumm! knallen die Stempel auf meinen Pass. Ich bin erleichtert. „Welcome to Singapore!“ wünscht man mir sogar, als man mir Pass und Gesundheitskarte zurückgibt. Ich bin in Singapur, welches als das bisher größte Hindernis der Reise erschienen war!

Zuerst lief ich zum Hafen. Mein Schiff war noch nicht da, es sollte erst am Nachmittag einlaufen. Ich hatte von hier aus nur einen beschränkten Blick auf den Hafen, aber der reichte aus, um festzustellen, dass er enorm sein muss. Und direkt vom Meer aus erreichbar, ohne Revier, also ohne Flusszufahrt. Ich ließ meinen Rucksack beim Pförtner einer der Eingangsschranken zurück, und machte mich auf den Weg in die Stadt. Singapur wurde gerne als Beispiel für das friedliche Zusammenleben verschiedener Rassen und Kulturen dargestellt. Aber auch hier hatten Aufruhre stattgefunden, ich glaube 1966. Es bleibt anscheinend auf lange Sicht nicht aus, dass jemand sich den Anderen überlegen fühlt. Jede Volks-gruppe lebte in ihrem eigenen Viertel. Das Wort Ghetto ist übertrieben, aber Rassenschranken bestanden offen-sichtlich! Nur das Geld machte die Menschen gleicher und bewirkte das Abbröckeln alter Sitten. Jedes Viertel hatte seine eigene Bauweise, die am besten an den Tempeln zu erkennen war. Chinesen, Inder, Malaien teilten sich die Insel, die Arbeit und den Handel. Und natürlich war und ist der weiße Mann auch sehr an allem beteiligt, vor allem die Engländer. Singapur war Teil des ‚British Commonwealth of Nations‘, was fast alle ehemaligen englischen Kolonien einschloss und eng mit dem Mutterland verband. Wichtig, vor allem, die Militärstützpunkte überall in der Welt, wie Gibraltar, Aden, Hongkong und hier Singapur. Eine legale Mafia. Was mir gleich ins Auge stach, waren die Fahrrad-rikschas! Hier waren das Fahrräder mit Seitenwagen dran, so wie mein altes Mammut, nur schwindsüchtiger. Wäre ich damals mit so etwas aufgebrochen, hätte ich keine Kolbenfresser riskiert, sondern schlimmstenfalls Wadenkrämpfe und einen Pavianarsch!

SUNDA STRASSE

So gegen 5 Uhr komme ich zum Hafen zurück. Weiße Aufbauten und Masten überragen den Schuppen vor mir, dazu ein schwarzer Schornstein mit einem weißen A darin. Als ich um den Schuppen herumgehe, liegt sie vor mir: Die ‚Australasia‘, grau gestrichener Rumpf, 6 Luken, 4 Decks, ein ‚Kombischiff‘. Sieht nach 50er Baujahr aus, aber gut in Schuss! Den Aufbauten nach zu schließen kann sie 200 bis 250 Passagiere befördern. Als ich mich nähere, rufen ein paar Kinder und eine Frau vom Hauptdeck „Hi, Wolfi!“ und winken. Es sind die Cartwrights, die irländischen Auswanderer. Daddy war noch auf der Pier beim Verladen des Autos. Dieses wurde an einen Kran angehängt und dann an Bord gehievt. Großes Hallo. Über eine Gangway komme ich an Deck. „Welcome on Bord!“ empfängt man mich, Ticketkontrolle, dann nimmt ein Steward meinen Rucksack und führt mich durch lange Gänge und Treppen hinunter bis vor eine Tür, die letzte an Steuerbordseite. Das gefällt mir! Da sich ja Dutzende von gleichen Türen aneinanderreihen, ist so die Kabine jederzeit leicht zu finden! Der Steward klopft und lässt mich eintreten. Und wer ist da, gerade dabei, seinen Koffer auszupacken? John, der Amerikaner, mit dem ich schon auf der Rajula die Kabine geteilt hatte! „Hi Wolfi!“ begrüßt er mich, freudig überrascht. In Kuala Lupur hatte es mit seinem Job nicht geklappt, und so hatte er beschlossen, nach Australien zu gehen, solange er noch genug Geld hatte. Und da hatte er vor drei Wochen nach einem Ticket gefragt, und zufällig das zweite von den gecancelten bekommen! Das Löschen und Laden, sowie die Proviantübernahme dauern noch die ganze Nacht. Leise begleitet das Klopfen der Hilfsdiesel meinen Schlaf. Am Vormittag kommen zwei Schlepper längsseits und übernehmen die Leinen. Wenige Personen stehen zum Abschied am Kai. Sind die Passagiere doch hauptsächlich Australier, die einen 14-tägigen Urlaub in Süd-Ost-Asien gemacht hatten, und nun zurückfahren. Und ein paar Einwanderer, wie die Cartwrights, John und ich…

Langsam schraubt sich das Schiff durch das Hafenbecken in Richtung Mole. Jetzt erst kann ich die Ausmaße des Hafens erkennen. Auf viele Becken verteilt liegen die Schiffe, dicht an dicht. Platz ist knapp. Singapur, die Drehscheibe Ostasiens. Alle Schiffe machen hier Station, sei es nur, um ihre Doppelbodentanks mit billigem Schweröl zu füllen. Andere eingehende Schiffe gleiten nah an uns vorbei. Ein Hauch ferner Länder streift mich wehmütig, wenn ich die Flaggen und Schornsteinfarben sehe. Wohl die Hälfte davon ist mir bekannt aus der Zeit, als ich noch vor dem Mast fuhr. Jetzt fahre ich in gewissem Sinne dahinter. John steht neben mir. Wir brauchen uns nichts zu sagen. Wir empfinden beide das Gleiche. Wieviele Male haben wir das während unserer Seefahrtszeit verspürt, dieses traurige und glückliche Gefühl zugleich, wenn die Schuppen und Kräne zurückfallen, bald die Schleppleinen ausklinken und ins Wasser fallen und die Schlepper beidrehen und langsam zurückdampfen oder träge auf ein eingehendes Schiff warten. TUUUUT TUUUUT TUUUUT dröhnt das Nebelhorn, die Flagge wandert vom Flaggenstock achtern auf die Gaffel des Signalmastes. Irgendwo klingelt ein Maschinentelegraph, kurz darauf geht die Maschine auf volle Drehzahl. Das Blubbern des Schornsteins weht mit leichten Abgasschwaden über das Deck. Noch begleiten uns ein paar Möwen. Doch die werden es bald müde und folgen lieber einem heimkehrenden Fischkutter.

 

Sieben Tage Seetörn liegen vor uns. Sieben Tage Ruhe und Essen. Wir schippern entlang den unzähligen indonesischen Inseln. Fünf Stunden nach Auslaufen von Singapur kreuzen wir fast unbemerkt den Äquator in südliche Richtung. Hätte die Brücke nicht dreimal lang das Nebelhorn betätigt, um den Meeresgeistern unsere Durchfahrt anzukündigen, es wäre unbemerkt geblieben! Abends gibt es zu diesem Anlass einen Kostümball, wo auch Neptun und seine Meresgeister erscheinen. Die Passagiere, vor allem das Dutzend der sich an Bord befindenden Kinder, haben daran große Freude. Es herrscht reger Verkehr in diesen Gewässern. Unzählige Fischerboote durchsieben das Meer, Fähren bewegen sich in alle Richtungen, dazu kommen noch die Frachtschiffe, die aber meist auf Parallelkurs fahren, weil sie alle das gleiche Ziel haben: die Sundastraße, ein etwa 20 Kilometer breites Nadelöhr zwischen Sumatra und Java. Eine der meist befahrenen Meeresengen der Welt. Ich habe mich mit John bis zur Brücke durchgemogelt, halten uns aber im Hintergrund. Zu groß ist die Anspannung da oben. Ab und zu zucken wir zusammen, wenn über uns das Nebelhorn aufdröhnt, um einen Schläfer (auf See natürlich) aufzuwecken, bevor es gefährlich wird. Meist ändern wir den Kurs, um eine Kollision zu vermeiden, weil der Andere sich nicht rühren will. Er denkt wohl, dass dieses seine Heimatgewässer sind. Zum Glück passieren wir die Meeresenge am Vormittag, während es hell ist und die Sicht gut. Dann ist freies Feld. Nur die Weihnachtsinseln liegen jetzt noch auf unserem Weg. Unser Kurs ist für die nächsten sechs Tage fast genau südwärts.

Manchmal schleiche ich mich mit John nachts auf die Back, das Vorschiff. In diesen tropischen Gewässern finden sich bisweilen große Flächen von Leuchtplankton. Wenn das Schiff eine solche Stelle durchquert, phosphoresziert die Bugwelle grünlich und die sich von dort ausbreitenden Wellen formen einen leuchtenden Fächer. Und wie still es hier vorne ist! Man hört nicht mal die Maschine, deren Geräusch sonst an allen Stellen des Schiffes wahrnehmbar ist. Hier ist nur der Pulsschlag des Schiffes, das Drehen der Schraube, leicht spürbar. Zurückschauend sehen wir dann die Positionslichter, grün an Steuerbord, rot an Backbord, und den Schein der Toplaterne im Vormast. Alle Fenster der Aufbauten, die nach vorne zeigen, sind abgedunkelt. Am zweiten Abend fragt mich John, ob ich noch meinen Tabak habe und die Pfeife. Das erinnert mich an etwas, vier Wochen zurück. „Klar, noch ein bisschen, warum?“ Er wedelt mit einem Tütchen Gras in der Luft. „Ganz schön tollkühn!“ bemerke ich, „und das durch Singapur!“ Er lacht. „Denkst du, die vermuten, dass ein alter Rentner wie ich Gras raucht?“ Wir lachen uns halb tot, so gut ist der Stoff. Echtes Buddhagras! Abends stehen wir oft an der Reeling, während drinnen die Feste auf Hochtouren laufen. Wir schauen hinaus in die Nacht, wie früher, auf unseren Wachen. Jeder geht seinen Erinnerungen nach. Wer einmal zur See gefahren ist, für den sind solche Stunden heilig. Dann kommuniziert er mit dem Universum.

Für zwei Tage haben wir bewegte See bei herrlichem Wetter. Das Schiff zeigt was es kann. Es nimmt auf dem Vorschiff gehörig Wasser über, achtern denkt man, man steht in einem Aufzug. Bevor uns eine Welle voll überrollen kann, bäumt sich das Schiff auf, wie ein Schwimmer im ‚Schmetterlingsstil‘, als würde es Luft holen wollen. Der Decksspaziergang verwandelt sich in eine Berg- und Talwanderung. Während man gerade noch steil bergauf geklettert ist, neigt sich plötzlich das Deck, man kommt ins Rennen oder schliddert fast nach unten. Der Bug fällt ins Leere, der Wind weht noch ablaufendes Wasser wie einen Schleier nach mittschiffs, damit Platz wird für neues. Dann erneut voll hinein, dass man einen Moment lang glaubt, das Schiff würde still stehen. Der Speisesaal wird bei jeder Mahlzeit leerer. John und ich sind fast die einzigen Gäste. Die Stewards verwöhnen uns. Wir haben uns alle an einer Tafel zusammengesetzt, um den Stewards die weiten Wege zu ersparen. Und auch, dass weniger Geschirr zu Bruch geht. Langsam verlassen wir die hügelige Gegend und die mitgenommenen Passagiere wagen sich wieder aus den Toiletten. Wenn ich nachts nach Süden schaue, stehen da oben am Himmel 5 Sterne. Wie magisch ziehen sie meinen Blick auf sich. Sie sind das erste, was ich allabendlich am Himmel suche: das Kreuz des Südens. So wie der Polarstern die Seefahrer auf der nördlichen Halbkugel leitet, so ist das Kreuz des Südens der Orientierungspunkt auf der südlichen. Die Tage ziehen sich in die Länge. Das ist das Schöne an einer Seereise. Manchmal nimmt Patrick, der Ire, einen Zug mit uns aus der Pfeife und spricht von dem wahnsinnigen Brudermord in Irland und seinen Hoffnungen für die Zukunft. Ab und zu machen wir ein Tischtennismatch mit den irischen Kindern, trinken ein Bier mit den anderen Passagieren, sehen einen Film im Kino an oder springen in den Pool auf dem Bootsdeck. Die Promenadendecks erstrecken sich fast über zwei Drittel der Schiffslänge. Raue Teakholzplanken, die der Krümmung des Rumpfes folgen. Ich schaue der Mannschaft beim Deckschrubben zu, beim Farbe-Waschen, beim Streichen. Für drei Jahre war das mein Leben gewesen. Dann drei Jahre Schule. Wie lange wird die Reise dauern, auch drei Jahre? Ich komme mir vor, wie ein Stück Treibholz im Meer. Einst hatte es eine Funktion. Jetzt treibt es dahin… Wo wird es angespült werden? Wird es mal wieder zu etwas nützlich sein?

Bald werden wir in Fremantle sein. Ich denke an die Zeit, wo ich mir in München das Visum besorgt hatte. Das war noch während der Schulzeit gewesen. Wenn die in der Schule gewusst hätten, warum ich an jenem Tag die Schule geschwänzt hatte! Ich hatte mich um ein Einwanderervisum beworben. Denn ich hatte vor, hier etwas länger zu bleiben. Vor allem, zu arbeiten. Die Löhne seien hoch, hatte man mir gesagt. Außerdem brauchte man für ein Touristenvisum ein Rückflugticket. Und ich wollte ja nicht zurück, ich wollte weiter! Und Australien sucht Einwanderer. Weiße Einwanderer. Möglichst mit blauen Augen. Aber von dieser Ein-wanderungspolitik wusste ich damals noch nichts. Sicher werde ich gleich Arbeit finden. Mein Leben wird wieder etwas geregelter sein. In meinem Pass stand, dass ich 50 Dollar bei meiner Ankunft haben muss, wohl als Überbrückungskapital. Das war ein bisschen meine Sorge. Ich hatte nur noch 5. „Die werden mich schon nicht wieder ins Wasser werfen!“, sagte ich zu John. „Aber schikanieren können sie einen schon.“ „Ich leihe dir 50 Dollar aus, und hinterm Zoll gibst du sie mir wieder!“ meinte er. Das war die Lösung.