Wo du hingehst, will ich nicht hin!

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Kapitel 5

Am nächsten Morgen erwachte ich und rieb mir die Augen. Zuerst wusste ich nicht, was das war, taptaptaptap ging es hin, taptaptaptap ging es wieder zurück über mir. Julchen saß aufrecht in ihrem Körbchen, die Ohren lauschend aufgestellt. Doch dann, natürlich, über mir liefen die kleinen Füße von Petra hin und her. Ich drehte mich auf die andere Seite, es war gestern spät geworden, und ich war müde. Als die Kinder schon längst im Bett gewesen waren, hatten wir noch zusammengesessen und geredet und geredet. Susanne schwärmte mit blanken Augen von ihren wundervollen Geschäften, die sie in Berlin gehabt hatte. Sie betonte, wie sie kaum einmal Zeit fand, die Füße hochzulegen. Ein Kunde hätte beinahe dem nächsten die Klinke in die Hand gegeben, so gut seien sie gegangen. „Der neue Besitzer hat sogar meine Angestellten übernommen, weil sie so gut eingespielt waren“, schloss Susanne und ihre Augen glänzten feucht dabei.

Ob Robert es auch sah? Er neigte sich ihr zu, griff nach ihrer Hand und versicherte „Ich werde dir nie vergessen, was du für mich aufgegeben hast.“

Doch Susanne zog sofort ihre Hand zurück und kniff die Lippen zusammen.

„Ich konnte die Entscheidung wirklich nicht länger hinausschieben“, verteidigte er sich mir gegenüber. „In dem Krankenhaus in Berlin wollten sie endlich wissen, ob ich nun aufhöre oder nicht. Auch die Zeit, bis ich hier anfangen sollte, wurde immer kürzer. Sei doch mal ehrlich, Susi, wir kamen ja nicht weiter. Wenn ich nicht endlich unterschrieben hätte, würden wir noch heute darum streiten.“

„Nun ist es so, wie es ist!“, antwortete Susanne kurz und stand auf.

Ziemlich bedrückt war ich danach schlafen gegangen.

Oben polterte es. Das holte mich aus meinem müden Dahindämmern. Julchen sprang erschrocken aus ihrem Körbchen. Türen knallten, im Bad begann Wasser zu rauschen. „Ich war zuerst dran!“ Das war Dani, die sich vor der Badezimmertür beklagte. Ich seufzte. Die beiden Großen hatten sich wieder einmal nicht einigen können.

Eine Tür wurde geöffnet. „Pssst! Macht nicht solchen Krach. Vielleicht will Kati noch schlafen.“ Das war Susanne.

Jetzt sausten eilige Schritte über den Flur. „Vati!“, jauchzte Petra laut, und rumps! Nun war sie wohl zu ihm ins Bett gesprungen. Ein dunkles Lachen schien dies zu bestätigen.

Wie soll man dabei noch schlafen? Das war die erste Veränderung in meinem Leben, nicht mehr erwachen zu können, wann ich wollte, sondern etwas unsanft von einer lebhaften Familie geweckt zu werden. Also stand ich auf. Ich machte mich fertig, nahm die Hundeleine vom Haken und ging mit Julchen hinaus in die kühle Morgenluft.

Kurz vor dem Wald begegneten wir wieder dem einen Hund mit seinem Herrchen. „Sie haben Einquartierung?“, fragte er und deutete auf die beiden Autos vor meinem Haus.

„Ja, meine Nichte mit ihrer Familie“, antwortete ich.

„Ich habe gesehen, drei Kinder. Da ist es wohl vorläufig mit der Ruhe vorbei“, lachte er mir freundlich zu.

Dann zogen uns unsere Hunde weiter. Wie man so beobachtet wird. Dabei fand ich das keineswegs lästig. Wenn man sich kannte, so war fast nie unangenehme Neugier dahinter. Man war einfach an den Menschen um einen herum interessiert. Das war eben der Vorteil oder der Nachteil eines kleinen Ortes gegenüber einer Großstadt. Ich glaube, in einer Großstadt, könnte man sich viel einsamer fühlen als hier.

Als ich mit Julchen von meiner Morgenrunde zurückkam, roch es im Haus nach Kaffee. Der Frühstückstisch war in der Küche gedeckt und alle sahen mich erstaunt an. „Wir dachten du schläfst noch“, sagte Susanne.

„So ein Quatsch! Habe ich doch gleich gesagt, dass sie nicht mehr da ist. Sonst hätte Julchen gebellt. Und wir sind hier herumgeschlichen …“, gab Christine missgelaunt von sich.

„Und warum habe ich das nicht von dir gehört, Fräulein Naseweis?“, fragte Robert und setze sich wie selbstverständlich ans Kopfende des Tisches. „Komm, Kati, setz dich zu mir. Du brauchst nichts mehr zu tun, alles ist fertig“, forderte er mich auf.

„Nun setzt euch endlich!“, ermahnte Susanne die Kinder, während sie Kaffee eingoss. Dann sah sie sich suchend um. „Wo ist Petra?“

„Na, wo schon!“, meinte Christine.

„Ich weiß!“, rief Dani und lief hinaus.

Ich wollte auch aufstehen, um nach Julchen zu sehen, aber Robert hielt mich fest. „Lass nur, Dani macht das schon. Keiner kann mit dem Wildfang so gut umgehen wie Dani“

Da kam Dani auch bereits mit Petra an der Hand zurück. „Sie war in deinem Zimmer, Kati, wollte unters Bett kriechen, wo Julchen sich verkrochen hatte“, erzählte sie. Susanne nahm Petra und bugsierte sie so auf die Bank, dass sie so leicht nicht mehr ausbüchsen konnte.

Dani aber nahm eine Scheibe Wurst vom Tisch und verschwand erneut damit. Es dauerte nicht lange, bis sie wieder erschien mit Julchen im Schlepptau. Noch näherte sich Julchen zögernd. Dicht an meine Füße legte sie sich unter die Bank. Armes Julchen, dachte ich, das wird eine schwierige Zeit für dich werden.

Und ich? Ich saß in einem Kreis lebhafter Menschen, die den Verlauf des Tages besprachen, manchmal aufbegehrten, dann wieder zur Ordnung gerufen wurden, und dachte daran, dass hier sonst beim Frühstück mein Gegenüber nur leere Stühle gewesen waren. Ich deckte nie mehr Geschirr für mich auf, als unbedingt nötig war. Wer interessierte sich dafür, ob ich den Kaffee schlürfte oder darin ein altes Brötchen eintunkte.

„Ist der Bäcker von dir weit entfernt?“, holte mich Susanne aus meinen Gedanken.

„Nein! Gleich um die Ecke in der nächsten Straße.“

„Du magst doch frische Brötchen?“

„Ja!“

„Dann werdet ihr ab jetzt abwechselnd morgens Brötchen holen“, forderte sie ihre beiden Großen auf.

„Dani fängt damit aber morgen an“, verlangte Christine sofort.

„Warum ich?“, begehrte Dani auf.

„Ihr schafft mich noch!“, stöhnte Susanne.

Beruhigend legte Robert seine Hand auf ihren Arm. „Ihr werdet auslosen, wer als Erste Brötchen holt“, bestimmte er.

Inzwischen war Petra mit dem Essen fertig und versuchte in einem unbemerkten Augenblick unter den Tisch zu rutschen. Doch Robert hielt sie im letzten Moment fest. „Du bleibst sitzen, bis wir alle aufgegessen haben“, wies er sie zurecht.

Maulend malte Petra mit ihren Brotkrümeln Kreise auf ihrem Teller.

Julchen war noch tiefer unter die Bank gekrochen. Ich hoffte nur, dass Petra irgendwann das Interesse an ihr verlieren würde.

Nach dem Frühstück polterten alle wieder die Treppe hinauf. Jeder holte seine Sachen und raus ging es aus dem Haus, hinein in Roberts Mercedes und los, zu den Hausbesichtigungen nach Harzerode.

Ich lauschte dem wegfahrenden Auto nach. Dann Stille! Wirklich, absolute Stille. So lebte ich sonst? Nur die Spuren des Frühstücks verrieten, dass hier eben reges Leben geherrscht hatte. Ich ging in mein Wohnzimmer. In der Tür blieb ich stehen. Was hatte sich hier ereignet? Während ich mit Julchen draußen war, mussten die Mädchen sich hier niedergelassen haben. Da lag der arme Stoffhund von Petra am Boden umgeben von den Rückenkissen meiner Couchgruppe, womit wohl eine Hundehütte angedeutet werden sollte. Die Zeitschriften aus dem Ständer waren gleichmäßig verstreut. Es hatte sich wohl nichts geändert. Vom Aufräumen hielt Susanne bereits nichts, als sie noch in einem Zimmer bei uns in Berlin gewohnt hatte und mit ihrem Studium begann. Das hatte sie aber abgebrochen, als sie mit Christine schwanger war. Ich seufzte, daran musste ich mich wohl wieder gewöhnen. Ich räumte also alles an seinen Ort, ging in die Küche und machte auch dort wieder Ordnung. Dann setzte ich mich an den Schreibtisch in meinem Zimmer. Julchen trödelte durch den Garten. Sie genoss es wohl, dass Petra eine Weile nicht hinter ihr her war. Und ich? Na, so schlimm ist das auch wieder nicht, schalt ich mich. Es war mir doch nicht neu, dass Susanne nie ein Talent zur Hausfrau gehabt hat. Vieles hatte Robert früher bei ihnen erledigt, als er noch studierte.

*

Eifrig debattierend kamen sie gegen Mittag wieder zurück. Jedem gefiel ein anderes Haus. Das eine hatte ein spitzes Dach und oben Zimmer mit schrägen Wänden. Das fanden die Kinder einfach toll und romantisch. Der Garten aber war zu klein, und es lag an einer viel zu befahrenen Straße. Das andere, das zu mieten war, hatte einen zu großen Garten und das Haus ein Flachdach. „Da zieh' ich nicht nach oben. Im Sommer ist es dort viel zu heiß“, protestierte Christine sofort. Es sei im Ganzen auch viel zu klein, fand Susanne.

„Bleibt also nur die dritte Möglichkeit. Doch dieses Haus müsstet ihr ja kaufen oder nach einem Jahr wieder ausziehen“, stellte ich etwas ratlos fest.

„Es ist aber auch wert, gekauft zu werden!“ Robert war offensichtlich begeistert davon. „Es ist schön gelegen am Rand von Harzerode, hat große helle Räume, einen wundervollen Garten und sogar zwei Garagen.“

„Ich will aber ein eigenes Zimmer“, forderte Christine sofort und erklärte: „Wenn Vati ein Arbeitszimmer braucht, wie er sagt, dann hat es gar nicht genug Räume für uns.“

„Ja, das ist der einzige Nachteil. Die Räume sind groß, doch zu wenige“, überlegte Susanne.

„Das kann man ändern“, behauptete Robert. „Große Räume kann man teilen, so können aus zwei vier werden.“

„Was das aber kostet, Robert! Das Haus ist ziemlich eingewohnt. Allein das Bad müsste erneuert werden. Das wird teuer genug.“

„Wenn wir es kaufen, lohnt es sich.“

„Hast du aber auch daran gedacht, wie lange es dann dauert, bis wir dort einziehen können?“, fragte jetzt Susanne.

Sogleich sahen mich alle erwartungsvoll an. Einen Moment stutzte ich und zögerte.

 

Daraufhin seufzte Susanne und sagte „Das können wir Kati unmöglich zumuten.“

„Nein, nein! An mir soll es nicht liegen“, versicherte ich hastig. Doch schon kurz danach dachte ich: Habe ich das wirklich gesagt?

„Wundervoll, Kati!“, freute sich Robert sofort erleichtert. „Dann können wir alles in die Wege leiten.“

Bereits kurze Zeit später fuhren Robert und Susanne los, um alles festzumachen. Die Kinder blieben bei mir.

Draußen schien die Sonne. Es war ein schöner Sommertag. Christine aber hockte im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Es gab einen Film, den sie unbedingt sehen wollte. „Würden dir das deine Eltern erlauben?“, fragte ich.

„Ach, was! Zu Hause habe ich meinen eigenen Fernseher. Da kann ich sehen, was ich will“, antwortete sie, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen.

Dani und Petra hockten im Garten zusammen. Dani war eifrig bemüht, Julchen heranzulocken und Petra beizubringen, wie sie mit ihr umgehen musste. Und – Oh, Wunder! - sie schaffte es, dass Julchen sich neben sie setzte und von Petra wirklich streicheln ließ. Doch ich sah wohl, Julchen saß nur auf dem Sprung. Dann kam es, wie ich es gehofft hatte, Petra verlor das Interesse daran und wollte lieber in einer Ecke des Gartens mit ihren Buddelformen im Sand spielen.

Das sah ja so aus, als könnte ich mich ein Weilchen in mein Arbeitszimmer zurückziehen und an meinen Texten arbeiten. Also zog ich mich mit Julchen zurück. Doch es dauerte nicht lange, da klopfte es. „Kati, kann ich mal telefonieren?“, fragte mich Dani.

Natürlich gewährte ich ihr das. Sie nahm das schnurlose Telefon und verschwand damit nach oben in ihr Zimmer. Die Zeit verging, sie brachte das Telefon nicht zurück. Misstrauisch ging ich hoch. Tatsächlich, sie telefonierte immer noch. Dabei rannen Tränen über ihr Gesicht. Ich zeigte auf die Uhr. Sofort brach sie das Gespräch ab und versuchte verschämt, mit ihren vom Garten schmutzigen Händen ihre Tränen aus dem Gesicht zu wischen, so dass sie nur alles verschmierte.

„Dani, was ist los?“ Mühsam ließ ich mich neben ihr auf die Matratze nieder, nahm sie in den Arm und wischte ihr mit einem Tempotuch das Gesicht ab. Dabei spürte ich, wie sie sich an mich schmiegte. Ob Susanne überhaupt in der Lage war, sie jemals so in den Arm zu nehmen? Margot, ja, die konnte das. Doch sie war für Dani jetzt zu weit weg. Ich drückte sie an mich und fragte verwundert: „Mit wem hast du denn so lange telefoniert, dass du dabei weinen musstest?“

„Mit meiner Freundin“, schluchzte sie. „Die wusste noch gar nicht, wie es hier ist. Das musste ich ihr doch erzählen.“

„Natürlich! Das ist ein Grund für ein so langes Gespräch. Aber warum hast du dabei geweint?“

„Weil wir uns nun nicht mehr sehen können.“

„Ach, so! Ja. Doch …“

„Es ist wirklich schön bei dir, Kati“, fiel sie mir ins Wort. Dann druckste sie herum, bis sie leise sagte: „Ich wäre lieber in Berlin geblieben. Da kannte ich alles, hier ist mir alles so fremd.“

Sacht drückte ich tröstend ihre Hand. „Das ist nur am Anfang so. Glaube mir, bald wirst auch du dich hier nicht mehr fremd fühlen, besonders wenn ihr erst in Harzerode in euerm Haus wohnt und du vielleicht in der Schule eine Freundin gefunden hast.“

„Nein!“ Energisch schüttelte sie ihren Kopf, dass die Haare flogen. „Das sind doch alles Fremde in der Schule. Die kenne ich nicht. Außerdem verrate ich meine Freundin nicht und suche mir hier keine andere.“ Erneut flossen Tränen.

„Oh, Gott, die Heulsuse!“ Plötzlich stand Christine in der Tür. „Was soll ich denn erst sagen? Mein Freund und ich, wir wollten uns auch nicht trennen. Denk bloß nicht, dass deine Britta sich keine andere Freundin sucht. So was macht vielleicht ein Freund wie meiner nicht, aber sonst …“

Spontan waren die Tränen versiegt. „Wie kannst du das behaupten. Was weißt du schon von uns?“, erwiderte Dani zornig.

Christine reagierte nicht darauf, sie hatte das Telefon entdeckt. „Was denn, hat Dani etwa telefoniert? Dann will ich meinen Freund auch anrufen“, forderte sie.

Ich seufzte. „Aber nicht zu lange“, sagte ich nur, hatte große Mühe, aus der Tiefe der Matratze aufzustehen, und ging vom Sitzen steif aus dem Zimmer.

Ich bekam noch mit, dass Dani etwas in einem Schrank suchen wollte. Doch Christine wies sie sofort mit den Worten hinaus. „Ich brauche keine Zuhörer, wenn ich mit meinem Freund telefoniere.“

„Was du schon mit ihm zu reden hast, ist doch nur albernes Geschwafel“, moserte Dani und äffte sie nach: ,,Gerd, du fehlst mir so. Mich macht hier einfach nichts an ohne dich.“

„Raus, mach 'ne Fliege!“, hörte ich Christine rufen, als ich unten an der Treppe stand.

Krachend flog oben die Tür zu. Wütend folgte mir Dani.

Ich sah mich nach ihr um, da hörte ich Petra im Garten schreien. Du liebe Zeit, an sie hatte ich nicht mehr gedacht. Sie war allein im Garten geblieben. Und Julchen, wo war Julchen? Nein, zum Kinderhüten schien ich mich wirklich nicht zu eignen.

Dani überholte mich und rannte durch das Wohnzimmer. Jetzt hörte ich auch Julchen bellen. Dann endlich sah ich Petra. Heulend kam sie auf das Haus zugelaufen und Julchen bellend hinterher. Oh, Gott, hatte Julchen ihr etwas getan? Ich rannte so schnell ich konnte hinaus. Dani hatte Petra schon vor mir erreicht.

Doch Julchen bellte wohl nur wegen des ungewohnten Geschreis, was sie nicht kannte. Sie hatte ihr nichts getan. Petra hatte sich nur an einem Ast den Arm leicht verletzt, als sie zu Julchen unter das Gebüsch kriechen wollte.

Dani nahm sie in ihre Arme. Sofort versiegten die Tränen. Ich machte ihr ein Pflaster auf die Wunde und gab jedem noch ein Eis. Danach gingen sie wieder in den Garten, als hätte es keine Tränen gegeben und spielten miteinander weiter.

Ich setzte mich leicht erschöpft auf die Terrasse. Den Versuch, mich in mein Zimmer zurückzuziehen und noch ein Weilchen an meinem Schreibtisch zu arbeiten, gab ich auf. Ich war froh, als Robert und Susanne zurückkamen.

‚Und die Kinder haben noch drei Wochen Ferien, bis hier die Schule wieder beginnt’, dachte ich. Doch vielleicht gewöhnte ich mich ja daran und ließ mich nicht mehr so leicht aus der Ruhe bringen.

*

Mit der Ruhe aber war es so ziemlich vorbei. Robert begann in seinem Krankenhaus zu arbeiten, während Susanne alles für den Umbau und die Renovierung des Hauses organisierte. Dazu war sie viel unterwegs. Manchmal nahm sie Christine mit, meistens jedoch blieb auch sie bei mir, wie die beiden andern. An Kinder bisher nicht gewöhnt, hatte ich plötzlich gleich drei davon. Dani wusste stets etwas mit sich anzufangen, steckte auch meistens mit Petra zusammen, aber Christine wollte dauernd wissen, was sie machen sollte, wo wir hinfahren oder was man bei uns unternehmen könnte. Mehr als einmal stellte sie fest: „Ist das langweilig! Hier gibt es ja nicht mal eine Disko.“

„Hör mal! Dafür wärst du noch viel zu jung", wunderte ich mich.

„Das glaubst auch nur du. Mam würde es mir erlauben, nur Vati hat etwas dagegen. Doch hier finde ich ja nicht einmal eine, selbst wenn ich hingehen könnte“, meckerte sie herum.

Mein Radio brauchte ich nicht mehr einzuschalten. „Diese Oldies! Das ist doch total abgefahren!“, kritisierte sie an meinem bevorzugten Programm.

Dafür donnerte ihr Kassettenrecorder aus ihrem Zimmer zu fast jeder Zeit den Technokram, dass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Doch diesen Rhythmus spürte man ja sogar körperlich.

Bald wurde mir klar, dass ich mit Erfolg vom Weiterarbeiten an meinem Roman abgehalten wurde. Dafür fand ich mich manchmal im Auto mit den drei ungeduldigen Kindern wieder und fuhr mit ihnen zur Badestelle am See. Hier lagerte ich im Schatten meine alten Knochen auf eine Decke, wurde immer steifer, und sah voll Bangen den dreien zu. „Schwimmt nicht zu weit raus!“, ermahnte ich sie, „Haltet Petra fest, dass sie nicht zu tief ins Wasser geht“. Verschwitzt und erschöpft kehrte ich von da zurück und war froh, wenn dann Susanne endlich wieder zu Hause war.

„Du bist ein Schatz, dass du mir die Kinder so abnimmst. Da ist es für mich einfacher, alles zu regeln“, lobte sie mich, während sie vielleicht am Herd stand und in kurzer Zeit beim Kochen aus meiner Küche ein Schlachtfeld machte.

Wenn Robert am Abend aus dem Krankenhaus von der Arbeit heimkam, berichtete er begeistert von seinen neuen Mitarbeitern und seinen neuen Aufgaben. Dann saß dort ein glücklicher Mensch!

Und Susanne? Mit zusammengekniffenen Lippen hörte sie ihm zu, sagte wenig und fuhr vielleicht nur die Kinder an, wenn sie ihr in die Quere kamen. Ich spürte es richtig, wie eifersüchtig sie auf die Arbeit von Robert war. Wenn sie nicht gerade wegen des Hauses unterwegs sein musste, versuchte sie sich als Hausfrau. Sie gab sich Mühe, ganz gewiss, aber sie hasste es auch. Und so sah auch der Erfolg aus. Manchmal dachte ich, zumindest Christine könnte sie mal als Hilfe heranziehen, aber eher noch half ihr Dani. Nein, ich hatte den Eindruck, Robert und die Kinder nutzten es sogar aus, dass Susanne plötzlich die Funktion einer Hausfrau übernehmen musste. Und Petra hing ihr dauernd am Rockzipfel, wenn sie da war. Sie, die vorher meistens bei Margot oder in einer Pflegestelle gewesen war, beanspruchte jetzt ihre Mam voll und ganz. So begann sie bereits zu maulen, weil Susanne sie nicht mitnahm, wenn sie zu dem Haus nach Harzerode fuhr.

Ich hielt mich da raus, so gut es ging, ließ mich sogar in meiner Küche so wenig wie möglich blicken.

Manchmal, wenn Susanne erschöpft ihre Zeitnot beklagte, legte Robert ihr liebevoll den Arm um die Schulter. Manchmal lehnte sie sich auch an ihn an, schlang die Arme um ihn und sah ihn mit liebevollem Glanz in den Augen an. Sie liebten sich noch immer, das war nicht zu übersehen, und doch schien eine unterschwellige Spannung zwischen ihnen zu bestehen.

Traudel und Karl-Heinz waren bald gekommen. Dani und Petra rannten sofort auf ihren Opa zu, aber Omam, wie sie Traudel nannten, gaben sie artig die Hand. Opa zog Bonbons für die Kinder aus der Tasche, Omam schenkte ihnen ein Lächeln. So eine richtige Oma zum Umarmen wird Traudel wohl nie werden können, dazu war sie in den vielen Jahren zu sehr vom Geschäft geprägt worden.

Ich sah, dass es Traudel Mühe machte, ein böses Wort an Robert zu unterdrücken. Karl-Heinz jedoch hatte vorher wohl genug auf sie eingeredet.

„Am liebsten würde ich ihm was erzählen!“, murrte sie, als wir allein waren, „Doch vielleicht hat Karl-Heinz recht, damit könnte ich Susanne nur schaden. Sieh sie dir nur an, wie angespannt sie aussieht. Man könnte sich glatt Sorgen machen.“

Einmal kamen sie auch sonntags, holten die Kinder ab und fuhren mit ihnen zur Riesenrutschbahn nach Andreasberg. Robert hatte Dienst im Krankenhaus. Susanne und ich waren allein. Unruhig geisterte sie umher, nahm hier was auf, räumte dort etwas um oder überlegte, ob sie nicht zum Haus nach Harzerode fahren sollte, um zu sehen, was sie dort tun könnte.

Es war nicht leicht, sie dazu zu bringen, sich einmal auf der Terrasse langzulegen und einfach die Zeit vergehen zu lassen. Julchen nahm die Gelegenheit wahr und sprang zu ihr auf ihren Schoß. Danach lag Susanne tatsächlich still und kraulte ihr das Fell.

„Weißt du, was mir Robert gesagt hat, als ich es ablehnte, auch noch für ihn Einiges zu erledigen, weil ich genug mit dem Umbau des Hauses und der ganzen ungewohnten Hausarbeit zu tun habe?“, begann sie zu reden. „Er meinte glatt: Er verstehe das nicht, ich hätte doch jetzt den ganzen Tag Zeit dazu.“

„Und was hast du ihm darauf geantwortet?“, wollte ich wissen.

„Ich habe ihm erklärt, er hätte keine Ahnung von Hausarbeit, die nie auszugehen scheint. Am Ende dreht man sich nur noch im Kreis und weiß nicht, was man zuerst machen soll.“

Ob sie überhaupt wahrnimmt, was ich ihr davon bereits alles abnehme, fragte ich mich.

Nein, darauf kam sie nicht. Sie schimpfte weiter: „Ich kann ja schon an nichts anderes mehr denken. Dabei gibt es noch so viel für das Haus zu erledigen. Doch das wird nicht so bleiben! Das habe ich ihm versichert.“ Trotzig funkelten ihre Augen.

„Denkst du etwa bereits daran, wieder ein Geschäft zu eröffnen?“

„Hast du etwas anderes erwartet?“

„Eigentlich nicht. Doch ihr seid noch nicht einmal in euer Haus gezogen. Und Traudel meint, Robert würde hoffen, dass du dir damit noch Zeit lässt.“

„Das glaube ich!“, lachte Susanne bitter auf. „Hatte er mir doch erklärt, ich solle es genießen, einmal nicht einem Geschäft hinterherjagen zu müssen. Dann riet er mir, mit einer Neueröffnung wenigstens zu warten, bis Petra größer ist. Wie stellt er sich das vor? Soll ich bis dahin hinterm Herd versauern? Das könnte ihnen so passen, dass ich als „Nurhausfrau“ jederzeit für sie und ihre Wünsche erreichbar wäre. Ich müsste ja blöd sein!“ ereiferte sie sich. „Außerdem braucht er auch nicht zu hoffen, dass auf diese Weise mein Geld aus dem Verkauf der Geschäfte völlig in den Erwerb des Hauses fließt. Ich werde auch hier wieder ein Geschäft haben! Verlass dich drauf!“

 

„Aber hier wird das nicht einfach sein“, gab ich zu bedenken.

„Das war es zuerst in Berlin auch nicht. Ich habe mich in Harzerode bereits umgesehen. Die Fußgängerzone dort ist nicht gerade umwerfend. Auch über ein anderes Sortiment werde ich nachdenken müssen. Das jedoch wird die Erfahrung dann bringen. Wäre doch gelacht, wenn ich mich nicht auf das einstellen könnte, was hier besonders gut absetzbar ist. Egal wie, so, wie jetzt, bleibt es nicht! ich weiß ja nicht mehr, was ich zuerst machen soll. Wenn wir erst in dem Haus wohnen, werde ich mich nach einer Hilfe umsehen. Diese Ackerei mit Putzen, Kochen, Einkaufen und sonst was ist auf Dauer nichts für mich. Und Robert und die Kinder meinen dabei noch, ich hätte nun viel Zeit und könnte darum jederzeit für sie zur Verfügung stehen. Das siehst du doch täglich!“

Nachdenklich blickte ich zu ihr. Hatte sie nicht vor noch gar nicht langer Zeit behauptet, Frauen, die zu Hause blieben und den Mann allein das Geld verdienen ließen, seien nur zu faul? Und nun fühlte sie sich bereits überfordert? Dabei brauchte sie sich noch nicht einmal um den groben Putz des Hauses zu kümmern, das besorgte mir meine langjährige Putzfrau, die Müllern.

Die Müllern war ein armer Teufel, geschieden und allein erziehende Mutter von drei Kindern. Der Vater hatte sich aus dem Staub gemacht. Außer gelegentlicher, keinesfalls regelmäßiger Unterhaltszahlungen, hörte sie kaum noch etwas von ihm. Er kümmerte sich auch nicht um die Kinder. Er hatte selbst eine neue Familie gegründet. Was interessiert mich, was gestern war, schien er zu denken. Ich erzählte Susanne davon.

„Wie gut, dass man heute leichter auseinandergehen kann, wenn es nicht mehr miteinander geht. Eine Ehe, an der nur noch krampfhaft festgehalten wird, davon hat niemand etwas“, sagte sie. Dann aber fügte sie nachdenklich hinzu: „Doch meistens fehlt der Mut zu diesem Schritt.“

Ich erschrak. Waren ihre Gedanken bereits so weit gegangen, ehe sie sich zur Aufgabe der Geschäfte entschloss? „ Und die Kinder? Sie sind die Leidtragenden dabei“, gab ich zu bedenken.

„Was haben die noch von Eltern, die sich mehr zanken als vertragen? Glaubst du, sie wären in einer gereizten Umgebung besser aufgehoben als allein bei ihrer Mutter?“

„Sicher nicht. Doch bedeutet es auch, dass sie ärmer leben müssen als vorher. Das, was der Mann für sie zahlen muss, ist wenig, auch wenn er es als viel empfinden mag. Eine Mark, die man teilt, ist eben immer nur die Hälfte wert. Meistens muss die Mutter ihnen mehr Wünsche versagen als vorher. Das macht unzufrieden. Wie oft hat mir meine Putzfrau erzählt, dass ihre Große nicht versteht, warum sie nicht auch das erhalten kann, was die andern in der Schule von zu Hause bekommen.“

„Das verstehe ich nicht. Sie kann doch bestimmt mehr, als nur putzen zu gehen. Wie kann sie sich damit zufrieden geben?“, erklärte Susanne kopfschüttelnd. Nein, dafür hatte sie kein Verständnis. Wie konnte diese Frau sich nicht darum bemühen, einen richtigen Job zu finden. „Wahrscheinlich macht sie das nur aus Rache, damit er zahlen muss und dem Mann nichts erlassen wird.“

„Siehst du das nicht zu einfach? Sie kann ganztags nicht arbeiten gehen, weil sie ihre beiden noch kleinen Kinder nicht weggeben will. Und das macht sie nicht aus Rache, sondern um der Kinder willen. Sie möchte Zeit für die Kleinen haben, bis sie alt genug sind und von ihrer Hand losgelassen werden können“, hielt ich ihr entgegen.

Erstaunt richtete sich Susanne auf und blickte mich an, als wäre ich weltenfremd. „So ein Quatsch! Kinder müssen unter Kinder, die gehören in einen Kindergarten.“

„Der aber kostet Geld. Wie viel würde ihr bei ihrem sicher nicht allzu hohen Verdienst dann noch übrig bleiben?“

„Kati, erzähl mir nichts. Ich habe auch drei Kinder. Wir hatten auch nicht immer viel Geld und haben das Problem gelöst, obgleich ich den ganzen Tag im Laden beschäftigt war.“

„Dennoch wird euer gemeinsamer Verdienst höher gewesen sein, als ihn Frau Müller allein je erreichen könnte.“ Am liebsten aber hätte ich sie daran erinnert, wie wenig Zeit sie für ihre Kinder gehabt hatten und dass sie ihnen mitunter sogar im Wege gewesen waren bei ihren beruflichen Verpflichtungen. Doch ich sagte es nicht, dachte nur: Haben sie in Berlin nicht immer noch neben Kindergarten und Pflegestelle die Hilfe von Margot gebraucht, wenn sie wieder nicht wussten, wohin mit den Kindern, weil es für sie Wichtigeres zu tun gab? Wie oft hatte Robert Spätdienst und Susanne musste zu einem wichtigen Geschäftstreffen oder am Abend länger im Geschäft bleiben. Jede Beschäftigung bringt nun einmal Verpflichtungen mit sich. Und die Verpflichtungen den Kindern gegenüber? Manchmal habe ich das Gefühl, als sei dies heutzutage zweitrangig.

Als ich diesen, meinen letzten Gedanken aussprach, richtete sich Susanne empört auf. „Nur weil ich mir erlaube, auch eigene Interessen zu haben, sind mir meine Kinder doch nicht weniger wichtig. Die Sklavin der Familie aber bin ich nicht!“, widersprach sie mir.

„So habe ich das nicht gemeint. Niemand sollte das sein“, schwächte ich ab.

Sklavin der Familie, wie kommt sie darauf? Welch ein Ausspruch! Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Mama sich früher jemals so gefühlt hatte. Auch Margot schien das nie so zu empfinden. Warum gerade Susanne?

Ich finde es wirklich nicht falsch, dass eine Frau nach Unabhängigkeit strebt und Geld verdienen möchte, doch ihre Möglichkeiten dabei sind noch viel zu sehr begrenzt. Was bedeutet das für die Jahre, in denen sie eigentlich Zeit für ihre Kinder haben sollte? Reichen da drei Jahre Erziehungsurlaub nach der Geburt, wovon auch nur ein bestimmter Kreis der Frauen Gebrauch machen kann? Und viele haben hinterher Schwierigkeiten, wieder einen vergleichbaren Arbeitsplatz einnehmen zu können? Manchmal kommen mir die Frauen blind vor, wenn sie sich in die Arbeitswelt der Männer drängen, die noch nie mit ihrem Beruf Rücksicht auf Kinder nehmen mussten. Und mit jedem Bisschen, was ihnen gewährt wird, glauben die Frauen, dass sie Großartiges erreicht haben. Dabei ist ihnen diese Gesellschaft noch immer die annehmbare Lösung schuldig, Kinder und Beruf im Leben einer Frau miteinander vereinbaren zu können. Bis jetzt ist dafür der Anfang gemacht worden, mehr nicht.

Lebhafte Stimmen vorm Haus beendeten unser Gespräch. Traudel und Karl-Heinz brachten die Kinder mit blanken Augen, roten Bäckchen und aufgeregt durcheinander redend zurück. Petra hing verschlafen auf Opas Arm. Sie erwachte aber sofort, als sie Julchen sah. Nun war wieder Leben im Haus, jeder wollte etwas anderes, es ging treppauf und treppab.

So langsam gewöhnte ich mich daran. Es gab kein Genießen der Ruhe mehr, wenn sie alle weg waren. Ich sah auch nicht mehr hin, wie hektisch und ohne großen Erfolg Susanne ihre Hausfrauenarbeit erledigte. Sie war nun einmal mehr eine Geschäftsfrau als eine Hausfrau. Das war nicht zu übersehen. Sie hatte die Dinge einfach nicht im Griff. Sie schimpfte mit den Kindern zwar über ihre Unordnung, die sie um sich verbreiteten, so dass ich manchmal meine Räume nicht mehr erkannte, aber sie verstand es auch nicht, alles so zu organisieren, dass niemand mehr über seinen eigenen Kram stolperte. Sie war eben zu lange eine Haushaltshilfe gewöhnt gewesen.