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Das Leben und der Tod des Königs Lear

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Vierter Auftritt

(Ein Lager.)

(Cordelia, ein Medicus und Soldaten.)

Cordelia. Ach! es ist er selbst; man fand ihn eben izt so rasend als die von Stürmen gepeitschte See; überlaut singend, mit rankichtem Daubenkropf, mit Schierling, Nesseln, Kukuk-Blumen, Lülch und allem dem Unkraut bekränzt, das in unsern Kornfeldern wächßt. Schiket eine Anzahl Leute aus, durchsuchet das ganze Feld, und bringt ihn vor unsre Augen. Was vermag die menschliche Weisheit seine beraubten Sinnen wieder herzustellen? Der, der ihm hilft, nehme alles davor, was ich im Vermögen habe.

Medicus. Es sind Mittel dazu da, Madame; der beste Arzt der Natur ist Ruhe; diese mangelt ihm; sie ihm zu verschaffen, sind die Kräfte mancher Simplicium geschikt, deren Macht das Auge des Kummers zuschliessen wird.

Cordelia. Möchten alle gesegneten noch unbekannten Heil-Kräfte der Erde, von meinen Thränen begossen, hervorsprossen! – Wendet alles an, die Krankheit des guten alten Mannes zu heben. – Suchet, suchet ihn auf, eh seine unbezähmte Raserey aus Mangel an Mitteln sie zu dämpfen, den Rest seines Lebens auflöset. (Ein Bote kömmt.)

Bote.

Neue Zeitungen, Madame, die Brittischen Völker sind im Anzug hieher.

Cordelia. Das wußten wir schon vorher; unsre Zurüstungen warten nur auf ihre Ankunft. O theurer Vater, es ist deine Sache die mich hieher gebracht hat; für dich haben meine Klagen, meine heissen Thränen den grossen Fürsten von Frankreich erweicht; kein aufgeblähter Stolz sezt uns in Waffen, sondern Liebe, kindliche Liebe, und unsers alten Vaters Recht. O wie verlangt mich ihn zu hören und zu sehen!

(Gehen ab.)

Fünfter Auftritt

(Regans Pallast.)

(Regan und der Hofmeister.)

Regan.

Sind meines Bruders Völker ausgerükt?

Hofmeister.

Ja, Gnädige Frau.

Regan.

Und er ist selbst in Person dabey?

Hofmeister. Ja und noch jemand, der mehr zu bedeuten hat; eure Schwester ist ein beßrer Soldat als er.

Regan.

Lord Edmund sprach nicht mit eurer Lady, da sie zu Hause angekommen?

Hofmeister.

Nein, Madame.

Regan.

Was mag meiner Schwester Brief an ihn zu sagen haben?

Hofmeister.

Ich weiß es nicht, Gnädige Frau.

Regan. Er ist in wichtigen Geschäften von hier abgegangen. Es war ein grosser Unverstand, dem Gloster nur die Augen, und nicht auch das Leben zu nehmen; wohin er kömmt, empört er alle Herzen wider uns. Edmund, denke ich, ist gegangen, aus Mitleiden über seinen elenden Zustand, seinem nächtlichen Leben ein Ende zu machen; und zugleich die Stärke der Feinde zu erkundigen.

Hofmeister. Ich muß ihn nothwendig aufsuchen, Gnädige Frau; um ihm meinen Brief einzuhändigen.

Regan. Unsere Truppen rüken morgen vor; bleibet bey uns; die Wege sind so unsicher —

Hofmeister.

Ich darf nicht, Madame; Mylady gab mir dieses Geschäfte auf meine Pflicht.

Regan. Was konnte sie dem Edmund zu schreiben haben? Konntet ihr ihr Geschäfte nicht etwann mündlich ausrichten? – Vielleicht, etwas – ich weiß nicht was – Du sollt alle meine Gunst haben – laß mich den Brief öffnen.

Hofmeister.

Gnädige Frau, ich wollte lieber —

Regan.

Ich weiß, eure Lady liebt ihren Gemahl nicht; und bey ihrem lezten Hierseyn, warf sie zärtliche Blike, sehr deutlich redende Blike auf den edeln Edmund. Ich weiß, ihr seyd ihr Vertrauter —

Hofmeister.

Ich, Gnädige Frau?

Regan. Ich weiß was ich sage – ihr seyd's – ich weiß es; merkt euch also, was ich euch izt sagen will. Mein Gemahl ist todt; Edmund und ich haben uns miteinander besprochen; er schikt sich besser für meine Hand, als für eure Lady. Das übrige könnt ihr selbst schliessen. Wenn ihr ihn findet, so gebt ihm dieses, ich ersuche euch; und wenn ihr eurer Lady diese Nachrichten bringt, ich bitte, so rathet ihr, ihre Weisheit zurük zu ruffen. Hiemit lebet wohl. Wenn ihr etwann von diesem blinden Verräther hören solltet, so wißt, daß der eine reiche Belohnung zu erwarten hat, der ihm den Kopf abschneiden wird.

Hofmeister. Ich wollte ich träfe ihn an, Madame, ich wollte bald zeigen, was für eine Parthey ich halte.

Regan.

Lebet wohl.

(Gehen ab.)

Sechster Auftritt

(Die Gegend um Dover.)

(Gloster, und Edgar als ein Bauer.)

Gloster.

Wenn kommen wir dann zu dem Hügel, wovon ich sagte?

Edgar.

Eben izt steigen wir hinauf. Sehet, wie wir arbeiten.

Gloster.

Mich däucht, der Grund ist eben.

Edgar.

Entsezlich steil. Horcht, hört ihr das Meer?

Gloster.

Nein, wahrhaftig.

Edgar.

Wie denn, so greift die Verderbniß eurer Augen auch eure übrigen Sinnen an.

Gloster. In der That es kan wol seyn. Mich däucht, deine Stimme ist verändert, und du sprichst bessere Sachen, und in bessern Ausdrüken als zuvor.

Edgar.

Ihr irret euch sehr, ich bin in nichts verändert als in meinem Anzug.

Gloster.

Ganz gewiß, du sprichst besser.

Edgar. Folget mir, das ist der Ort – Stehet still. Wie entsezlich und schwindlicht ist es, die Augen in eine solche Tieffe herab zu senken! Die Krähen und Wasser-Raben die in der mittlern Luft fliegen, scheinen kaum so groß als die Schröter; an der Mitte des Felsen hängt einer, der Meerfenchel sucht, ein fürchterliches Handwerk; mich dünkt, er ist nicht diker als sein Kopf. Die Fischer die am Ufer herum gehen, kommen mir vor wie Mäuse, jene lange vor Anker ligende Barke nicht grösser als ihr Hahn, und ihr Hahn so klein, daß ihn das Auge nicht mehr fassen kan. Die murmelnde Welle, die um die unzählbaren nakten Kieselsteine keift, kan in dieser Höhe nicht mehr gehört werden. Ich will nicht mehr hinab schauen, sonst möchte das schwindelnde Hirn und das gebrechende Gesicht mich überwälzend in die Tieffe hinab stürzen.

Gloster.

Stelle mich dahin, wo du stehest.

Edgar. Gebt mir eure Hand; izt seyd ihr nur eines Fusses Breite von der äussersten Spize entfernt; um alles was unter dem Mond ligt, wollte ich hier keinen Sprung vorwärts thun.

Gloster. Laß meine Hand gehen; Hier, Freund, ist noch ein andrer Beutel, und in demselben ein Juweel, das wol werth ist von einem armen Mann angenommen zu werden. Götter und Feen mögen es dir gedeyhen lassen. Geh du izt weiter, sag mir Lebewohl, und laß mich hören, daß du gehst.

Edgar (stellt sich als geh er fort.)

Nun, so lebet wohl, mein guter Sir.

Gloster.

Ich danke dir.

Edgar (vor sich.)

Warum treibe ich dieses Spiel mit seiner Verzweiflung? Meine Absicht ist, sie zu heilen.

Gloster. O! ihr mächtigen Götter, dieser Welt entsag' ich hiemit, und schüttle vor euern Augen mein schweres Leiden geduldig ab. Könnte ich es länger tragen, ohne über euere grossen unwidersezlichen Schlüsse zu murren, so wollt' ich, bis der schwache Docht meines grauenvollen Lebens sich vollends ausgebrannt hätte – Wenn Edgar lebet, o so segnet ihn! – Nun, Camerade, lebe wohl!

(Er thut einen Sprung, und fällt der Länge nach vor sich hin.)

Edgar (in einiger Entfernung, und vor sich.) Guter Alter, lebe wohl! Wäre er da gewesen, wo er zu seyn gedachte, so hätte er izt aufgehört zu denken.

(Er nähert sich dem Gloster, und verändert seine Stimme.)

Lebendig oder todt? He, hört ihr, guter Freund! Sir! Sir!

Redet! – So könnt' er sterben, in der That – Doch er lebt wieder auf.

Wer seyd ihr, Sir?

Gloster.

Hinweg, und laß mich sterben.

Edgar. Wärst du gleich nichts anders gewesen als Spinneweben, Federn und Luft, du würdest durch einen Fall von so vielen Klaftern wie ein Ey zersplittert seyn: Aber du athmest, bist noch ganz und blutest nicht. Rede, bist du unverwundet? Zehen auf einandergesezte Mastbäume machen die Höhe noch nicht aus, die du senkelrecht herunter gefallen bist. Dein Leben ist ein Wunderwerk. Rede doch!

Gloster.

Bin ich gefallen oder nicht?

Edgar. Von dem fürchterlichen Gipfel dieses kreideweissen Felsens. Schau in die Höhe, die hellgurgelnde Lerche kan aus dieser Höhe weder gesehen noch gehört werden; sieh nur auf!

Gloster. Ach, ich habe keine Augen – Ist das äusserste Elend so gar der Wohlthat beraubt, sich durch den Tod zu enden? Es wäre doch einiger Trost gewesen, wenn mein Jammer die Wuth des Tyrannen betrügen, und seinen trozigen Willen hätte vereiteln können.

Edgar.

Gebt mir euern Arm. Auf, so – wie ists? Fühlt ihr eure Beine noch?

Ihr steht doch?

Gloster.

Nur allzuwohl, nur allzuwohl.

Edgar. Diß übertrift alles Wunderbare. Was für ein Ding war das, das auf der Spize des Felsen von euch weggieng?

Gloster.

Ein armer unglüklicher Bettler.

Edgar. Wie ich hier unten stand, däuchte mich, seine Augen wären zween Vollmonde, er hatte tausend Nasen, krumme Hörner, und bäumte sich auf wie die aufschwellende See; Es war irgend ein böser Geist. Zweifle also nicht, du glüklicher alter Vater, daß die Götter, die sich aus dem was Menschen unmöglich ist, eine Ehre machen dich sichtbarlich errettet haben.

Gloster.

Izt erinnere ich mich einiger Umstände. Künftig will ich mein Elend tragen, bis es sich zu tode schreyt, genug, genug, und stirbt.

Ich hielt das Ding wovon ihr redet, für einen Menschen – öfters rief es aus, der Feind, der böse Feind – Es führte mich an diesen Ort.

Edgar.

Unterhaltet euch mit geduldigen Gedanken —

Siebender Auftritt

(Lear, auf eine phantastische Art mit Blumen geziert, tritt auf.)

 

Edgar. Aber wer kömmt hier? Ein nüchterner Verstand wird seinen Besizer nimmermehr so ausstaffieren.

Lear.

Nein, sie können mir des Münzens wegen nichts thun, ich bin der König selbst.

Edgar.

O herzdurchbohrender Anblik!

Lear. In diesem Stük ist die Natur über die Kunst. Hier ist euer Handgeld. Dieser Bursche trägt seinen Bogen, wie ein Krähen-Mann; spannt mir einen Ellen-Stab – Schaut, schaut, eine Maus. Still, still! – dieses Stükchen von geröstetem Käse wird es thun – Hier ist mein eiserner Handschuh, ich will ihn gegen einen Riesen probieren. Bringt die Pfeile her – O! wohl geflogen, Kiel! Im Schwarzen, im Schwarzen! – Hey da; Gebt das Wortzeichen.

Edgar.

Der liebliche Majoran.

Lear.

Passiert.

Gloster.

Ich kenne diese Stimme.

Lear. Ha! Gonerill! ha, Regan! Sie streichelten mich wie einen Hund, und sagten mir, ich hätte weisse Haare in meinem Bart, eh noch die schwarzen da waren. – Ja und Nein zu allem zu sagen, was ich sagte – Ja und Nein, aber es war unächte Münze. Wie der Regen kam und mich durch und durch nezte, wie der Wind mich schaudern machte, und der Donner auf meinen Befehl nicht schweigen wollte; da fand ich sie, da spürt' ich sie aus. Geht, geht, sie sind keine Leute die auf ihr Wort halten; Sie sagten mir, ich sey alles; es ist eine Lüge, ich halte die Fieber-Probe nicht.

Gloster.

Ich erinnere mich des Tons dieser Stimme. Ist es nicht der König?

Lear. Ja, jeden Zolls lang ein König. Wenn ich sauer sehe, seht wie meine Unterthanen zittern. Ich schenke diesem Mann das Leben. Was war seine Sache? Ehebruch? du sollt nicht sterben! wegen Ehebruchs sterben? Nein, der Zaunschlupfer thut es, und die kleine vergüldete Fliege buhlet unter meinen Augen. Laßt das Vermehrungs- Werk gehen wie es will; denn Glosters Bastard war zärtlicher gegen seinen Vater, als meine ehlichgezeugte Töchter. Nur zu, Üppigkeit, alles durcheinander, ich brauche Soldaten. Sehet jene lächelnde Matrone, deren Gesicht hinter ihren ausgebreiteten Fingern Schnee weissagt, die so tugendhafte Grimassen macht, und vor dem blossen Namen der Wollust den Kopf schüttelt. Die Meer-Kaze und die brünstige Stutte bringt keinen so heißhungrigen Appetit dazu; von der Hüfte herab sind sie Centauren, obgleich von obenher ganz weiblich: Bis zum Gürtel wohnen lauter Götter; weiter unten ist alles mit Teufeln angefüllt. Hier ist die Hölle, hier ist Finsterniß, hier ist der brennende, siedende Schwefelpfuhl – pfuy, pfuy! Gieb mir eine Unze Zibeth, guter Apotheker, meine Imagination zu versüssen; hier hast du Geld.

Gloster.

O! laß mich diese Hande küssen.

Lear.

Ich will sie vorher abwischen, sie hat einen Todten-Geruch.

Gloster. O! zertrümmertes Meisterstük der Natur! So wird einst diese grosse Welt sich zu nichts abnüzen. Kennest du mich?

Lear.

Ich erinnere mich deiner Augen ganz wohl; schielst du nach mir?

Nein? du magst dein ärgstes thun, blinder Cupido, ich will nicht lieben. Ließ du diese Ausforderung, bemerke nur die Schrift davon.

Gloster. Wären alle Buchstaben darinnen Sonnen, so könnte ich doch keinen sehen.

Edgar.

Ich hab' es dem Bericht nicht glauben wollen, aber es ist, und mein Herz bricht darüber in Stüke.

Lear.

Ließ.

Gloster.

Wie, mit diesen Augen-Dekeln?

Lear. O ho, steht es so mit euch? Keine Augen in euerm Kopf, und kein Geld in euerm Beutel. Eure Augen sind in einem schweren Zustand, und euer Beutel in einem leichten; aber ihr seht, wie diese Welt geht.

Gloster.

Ich seh es fühlend.

Lear. Wie! bist du wahnwizig? Es kan jemand sehen wie diese Welt geht, wenn er gleich keine Augen hat. Sieh mit deinen Ohren; sieh wie jener Richter jenen einfältigen Dieb ausschilt! Verändre den Ort, und die Hand auf, die Hand zu, sag mir einmal, wer ist der Richter, wer ist der Dieb? du hast gesehen, daß ein Pachtershund einen Bettler anbellte?

Gloster.

Ja, Sir.

Lear. Und der arme Tropf lief vor dem Hund? Da hättest du das grosse Sinnbild des Ansehens beobachten können; man gehorcht einem Hund, wenn er sein Amt thut – Du ruchloser Büttel, halt deine Hand zurük! Warum peitschest du diese Hure? Streiche deinen eignen Rüken; du keuchest vor viehischer Begierde sie eben dazu zu gebrauchen, wofür du sie streichest. Der Wucherer hängt den Spizbuben. Durch zerlumpte Kleider sieht man die kleinsten Laster; Magistrats-Mäntel und Pelz-Röke verbergen alles. Deke die Sünde mit Gold und die starke Lanze der Gerechtigkeit wird brechen, ohne sie verwunden zu können. Kleide sie in Lumpen, so ist eines Pygmäen Strohhalm hinreichend sie zu durchbohren. Niemand sündiget, niemand, sag ich, niemand, nimm das von mir, mein Freund, niemand sündiget, wer die Macht hat seines Anklägers Lippen zu versiegeln. Kauf dir gläserne Augen, und stelle dich, wie ein Stümper in der Politik, als ob du Dinge sähest, die du nicht siehst. Nun, nun, nun, zieht meine Stifel ab, stärker, stärker, so.

Edgar.

O welch eine Mischung von Vernunft und Unsinn!

Lear. Wenn du mein Unglük beweinen willst, so nimm meine Augen. Ich kenne dich ganz wol, dein Name ist Gloster. Du weissest, in dem ersten Augenblik da wir die Luft schmeken, winseln und weinen wir. Ich will dir predigen, horch —

Gloster.

Ach, ach! der Tag!

Lear. Wenn wir gebohren sind, so weinen wir, daß wir auf diese grosse Schaubühne von Thoren gekommen sind – Es ist ein guter Kloz! Das wär' ein feines Stratagema, einen Trupp Pferde mit Filz zu beschuhen; ich will die Probe davon machen, und wenn ich denn diese Tochtermänner überrascht haben werde, dann schlagt todt, schlagt todt, schlagt todt, schlagt todt etc.

Achter Auftritt

(Ein Edelmann, und sein Begleit.)

Edelmann.

O hier ist er, legt Hand an ihn. Mylord, eure theureste Tochter —

Lear. Keinen Entsaz? wie, ein Gefangener? Ich bin recht dazu gebohren, der Narr des Glüks zu seyn. Begegnet mir wohl, ihr sollt Lösegeld haben. Laßt mir Wundärzte kommen, ich bin bis ins Gehirn gehauen worden.

Edelmann.

Ihr sollt alles haben —

Lear. Keine Helfer? Bin ichs allein? Wie, das könnte aus einem Mann einen Mann von Salz machen, der seine Augen für Garten-Sprengkrüge brauchte, den Staub des Herbstes zu legen. Ich will wie ein tapfrer Mann sterben, wie ein schmuker Bräutigam. Was? Ich will jovialisch seyn; Kommt, kommt, ich bin ein König. Meine Herren, Wissen Sie das?

Edelmann.

Ihr seyd ein König, und wir gehorchen euch.

Lear. So schenk ich euch das Leben. Kommt, wenn ihr es davon tragen wollt, so müßt ihr lauffen. Sa, sa, sa, sa.

(Er geht ab.)

Edelmann. Ein Anblik der an dem niedrigsten Menschen erbärmlich, aber an einem König über allen Ausdruk ist. Du hast eine Tochter, welche die Natur von dem allgemeinen Fluch befreyt, den zwo über sie gebracht haben.

Edgar.

Heil euch, mein edler Herr.

Edelmann.

Sir, macht es kurz; was ist euer Begehren?

Edgar.

Hörtet ihr etwas von einem bevorstehenden Treffen, Sir?

Edelmann. Das ist etwas unfehlbares, und landkündiges; das hört jedermann, der einen Ton hören kan.

Edgar.

Aber mit eurer Erlaubniß, wie nähert sich die feindliche Armee?

Edelmann.

Sehr eilfertig; der völlige Bericht wird jede Stunde erwartet.

Edgar.

Ich danke euch, Sir; das ist alles, was ich wollte.

Edelmann. Ob die Königin gleich einer besondern Ursache wegen hier, so ist ihre Armee doch vorgerükt.

(Geht ab.)

Edgar.

Ich danke euch, Sir.

Gloster.

Ihr allgütigen Götter, nehmt meinen Athem von mir; laßt meine böse Seele mich nicht noch einmal versuchen, zu sterben eh es euch gefällt.

Edgar.

Ihr betet recht, Vater.

Gloster.

Nun, guter Sir, wer seyd ihr?

Edgar. Ein sehr armer Mann, zu den Streichen des Glüks zahm gemacht, den die Kenntniß und das Gefühl aller Arten von Elend gegen andre mitleidig macht.

Gloster. Herzlicher Dank! die Güte und der Segen des Himmels vergelt es dir —

Neunter Auftritt

(Der Haushofmeister mit einem Brief.)

Hofmeister (indem er den Gloster gewahr wird.)

Eine öffentliche ausgeruffene Belohnung! Das ist höchstglüklich.

Dieses dein augenloses Haupt ist dazu ausersehen, mein Glük zu machen. Alter, unglükseliger Verräther, befiehl deine Seele dem Himmel, das Schwerdt ist gezogen, das dich tödten soll.

Gloster.

Laß nur deine freundschaftliche Hand Stärke genug dazu anwenden.

Hofmeister. Woher, verwegner Bauer, darfst du dich unterstehen, einen öffentlichen Verräther zu unterstüzen? Hinweg, oder sein Schiksal soll das deinige seyn. Laß seinen Arm gehen.

Edgar.

Ick werd en nit gahn laaten, Herre, mit juhr Verlöf.

Hofmeister.

Laß ihn gehen, Sclave, oder du stirbst.

Edgar. Myn leeve Heer, loopt mant uers Pades und latet arme Luite met Freeden. Wann ma vo Grootspreken stärve so wurd myn Leven um viertein Täg nit so verjahet zyn als es is. Komt mant den verjahet Mann nit tau näh, seeg ick: taurück! ick will jau verwarnt hebben, oder ich well proeven, ob jue Bratspiet oder myn Steecken mehre duret, ick wells ganz kort metju maaken. Ick will euk jue Thäne wyß maaken, komt Man, es brukt jue Finten kar nit.

(Er schlägt ihn zu Boden.)

Hofmeister. Sclave, du hast mich erschlagen; Nimm meinen Beutel, und wenn du willt, daß es dir jemals wohl gehen soll, so begrabe meinen Leib, und gieb die Briefe die du bey mir findst Edmunden, Grafen von Gloster: such ihn bey der Englischen Partey auf – O! unzeitiger Tod!

(Er stirbt.)

Edgar. Ich kenne dich wol, ein dienstfertiger Spizbube, so pflichtvoll gegen die Laster deiner Gebieterin, als Bosheit es nur immer wünschen kan.

Gloster.

Wie, ist er todt?

Edgar. Sezt euch nieder, Vater; ruhet aus. Ich will sehen, was in seinen Taschen ist; die Briefe von denen er spricht, mögen vielleicht meine Freunde seyn: er ist todt; es verdrießt mich nur, daß er keine Begleiter hat. Laßt sehen – Mit eurer Erlaubniß, mein schönes Sigel – die Höflichkeit kan uns nicht tadeln. Wir reissen unsern Feinden das Herz auf, um in ihr Herz zu sehen; ihre Briefe zu erbrechen ist nicht so grausam.

(Er ließt den Brief.)

"Erinnert euch unsrer gegenseitigem Gelübde. Ihr habt viele Gelegenheiten, ihn aus dem Wege zu räumen; wenn es an euerm Willen nicht fehlt, so werden sich Zeit und Ort von selbst anbieten. Kommt er als Sieger zurük – so ist nichts gethan; dann bin ich die Gefangene und sein Bette ist mein Kerker; befreyet mich von desselben ekelhafter Wärme, und entsezet den Plaz zur Belohnung eurer Mühe. Eure (Gemahlin wünschte ich zu sagen) geneigte Dienerin Gonerill." Welch ein veränderliches Ding ist ein Weib! Ein Anschlag wider ihres Mannes Leben, um meinen Bruder dafür einzutauschen! Hier, in diesem Sand will ich dir ein Grab aufscharren, zum Denkmal für mörderische Hurenjäger, und, wenn es Zeit seyn wird, dieses schnöde Blat vor die Augen des zum Tode bestimmten Herzogs legen; es ist sein Glük, das ich ihm von deinem Tod und von deiner Verrichtung Nachricht geben kan.

Gloster.

Der König ist wahnwizig. Verwünscht sey die Härte meiner Sinnen, und eine Vernunft, die mich nur für mein Elend fühlend macht!

Besser ich wäre verrükt, so würden doch meine Gedanken von meinen Leiden entwöhnt, und Schmerzen durch seltsame Einbildungen die Empfindung ihrer selbst verliehren.

Edgar.

Gebt mir eure Hand, mich dunkt ich höre von fern die Trummel rühren.

Kommt Vater, ich will euch zu einem Freund führen.

(Gehen ab.)

Zehnter Auftritt

(Cordelia, Kent, ein Arzt.)

Cordelia. O du redlicher Kent! Wie kan ich lange genug leben, und bemüht genug seyn, deine Güte zu erwiedern!

Kent. Erkannt zu werden, Gnädigste Frau, ist überflüssig bezahlt; alles was ich Ihnen berichtet habe, ist die bescheidne Wahrheit, weder mehr noch weniger, sondern so.

Cordelia.

Kleidet euch besser an; dieser Habit erinnert uns an diese bösen Stunden; ich bitte, leget ihn ab.

Kent. Um Vergebung, Madame; Mein Vorhaben erlaubt mir noch nicht erkannt zu werden. Ich bitte mirs zur Gnade aus, daß Sie mich nicht kennen, bis Zeit und ich es rathsam finden.

Cordelia.

So sey es dann also, Mylord —

(zum Arzt)

 

Was macht der König?

Arzt.

Madame, er schläft noch.

Cordelia. O! Ihr gütigen Götter, heilet diesen grossen Bruch in seiner zerrütteten Natur! O! windet auf die tonlosen verstimmten Sinne dieses in ein Kind verwandelten Vaters!

Arzt. Gefällt es Euer Majestät, daß wir den König weken? Er hat lange geschlafen.

Cordelia. Folget hierinn der Vorschrift eurer Wissenschaft, und handelt nach euerm eignen Gutdünken; ist er angezogen?

(Lear wird von einigen Bedienten in einem Lehnsessel schlaffend hereingetragen.)

Arzt.

Ja, Madam; da er im tiefsten Schlaf lag, zogen wir ihm frische Kleider an. Bleiben Sie, Gnädigste Frau, wenn wir ihn weken; ich zweifle nicht an seiner Mässigung.

Cordelia. O! mein theurer Vater! Möchte die Göttin der Gesundheit deine Arzney auf meine Lippen legen, und dieser Kuß den stürmischen Gram besänftigen, den meine zwo Schwestern deinem ehrwürdigen Alter verursacht haben.

Kent.

Zärtliche und theuerste Princessin!

Cordelia. Wäret ihr auch nicht ihr Vater gewesen, so hätten diese weissen Loken Mitleiden von ihnen fodern sollen. War diß ein Gesicht, den kämpfenden Winden ausgesezt zu werden? Dem tiefbrüllenden furchtbaren Donner entgegenzustehen? Unter den entsezlichsten Schlägen fliegender sich durchkreuzender Blize? Wie ein armer Verlohrner in diesem dünnen Helm zu wachen? Meines ärgsten Feindes Hund, wenn er mich gleich gebissen hätte, sollte in einer solchen Nacht bey meinem Feuer Plaz bekommen haben; und du, armer Vater, warst genöthiget, in einer armseligen Hütte bey Schweinen und verworfnen Elenden auf kurzem halbverfaultem Stroh zu übernachten. O Jammer! Jammer! Es ist ein Wunder, daß dein Leben sich nicht zugleich mit deiner Vernunft geendiget hat. Ach! er erwacht – redet mit ihm —

Arzt.

Reden Sie selbst, Madame, izt ist es am gelegensten.

Cordelia.

Wie befindet sich mein Königlicher Herr? wie steht es um Euer Majestät?

Lear. Ihr handelt nicht recht an mir, mich so aus meinem Grabe zu nehmen; du bist ein seliger Geist, und ich bin an ein feuriges Rad gebunden, welches meine eignen Thränen gleich zerschmolznem Bley erhizen.

Cordelia.

Mylord, kennet ihr mich?

Lear.

Du bist ein Geist, ich weiß es; wenn starbest du?

Cordelia.

Immer, immer, noch weit —

Arzt.

Er ist noch nicht recht erwacht; lassen Sie ihn eine Weile allein.

Lear. Wo bin ich gewesen? Wer bin ich? Schönes Tageslicht! Ich bin übel zugerichtet – einen andern so zu sehen, könnte mich vor Mitleiden sterben machen. Ich weiß nicht was ich sagen soll; ich wollte nicht schwören, daß dieses meine Hände sind; laßt sehen, ich fühle diesen Nadelstich – Ich wollte, ich wäre gewiß was ich bin.

Cordelia. O sehet mich an, Mylord, und streket eure Hand zum Segen über mich aus. Nein, Mylord, ihr müßt nicht knien.

Lear. Ich bitte euch, spottet meiner nicht. Ich bin ein sehr thörichter weichherziger alter Mann, achtzig und drüber, und, aufrichtig zu seyn, ich fürchte, ich bin nicht bey meinem völligen Verstande. Mich dünkt, ich sollte euch und diesen Mann kennen, und doch zweifle ich; denn ich weiß gar nicht was für ein Ort diß ist, und so sehr ich auch mich besinne, kenne ich diese Kleider nicht; nein, ich weiß nicht, wo ich in der lezten Nacht übernachtete. Lacht nicht über mich, denn, so wahr ich ein Mann bin, ich denke diese Dame ist mein Kind Cordelia.

Cordelia.

Und das bin ich, ich bins —

(weinend.)

Lear. Sind eure Thränen naß? Ja, bey meiner Treue; ich bitte euch, weinet nicht. Wenn ihr Gift für mich habt, so will ichs trinken; ich weiß ihr liebet mich nicht; denn eure Schwestern haben, wie ich mich erinnre, mir übel begegnet; ihr habt einige Ursache, sie nicht.

Cordelia.

Keine Ursache, keine Ursache.

Lear.

Bin ich in Frankreich?

Cordelia.

In euerm eignen Königreich, Mylord.

Lear.

Betrüget mich nicht.

Arzt. Beruhigen Sie sich, Madame; die gröste Wuth hat, wie Sie sehen, sich bey ihm gelegt. Und doch wäre es gefährlich ihn an Sachen zu erinnern, die sich auf das Vergangne beziehen. Bitten Sie ihn, hinein zu gehen. Beunruhigen Sie ihn nicht länger, bis er sich besser erholt hat.

Cordelia.

Gefällt es Eurer Majestät nicht, sich eine Bewegung zu machen?

Lear. Ihr müßt Geduld mit mir haben. Nun, ich bitte euch, vergeßt und vergebt; ich bin alt und albern.

(Lear, Cordelia, Arzt und Bediente gehen ab.)

(Kent und der Edelmann bleiben.)

Edelmann.

Bestätiget es sich, daß der Herzog von Cornwall so ermordet worden?

Kent.

Ja, Sir, es ist gewiß.

Edelmann.

Wer ist der Anführer dieses feindlichen Heers?

Kent.

Man sagt, der unehliche Sohn des Grafen von Gloster.

Edelmann.

Sein verbannter Sohn Edgar soll mit dem Grafen von Kent sich in Deutschland befinden.

Kent. Das Gerüchte ist unbeständig; es ist Zeit uns umzusehen; die Macht des Königreichs rükt mit grossen Schritten uns entgegen.

Edelmann.

Dem Ansehen nach wird die Entscheidung blutig seyn – Lebet wohl, Sir.

(Geht ab.)

Kent. Mein ganzer Entwurf wird heute zu Ende gebracht, wol oder übel, je nachdem die Sache ausfallen wird.

(ab.)