Rom. Ein öffentlicher Platz Menenius und Sicinius treten auf
Seht ihr dort jenen Vorsprung am Kapitol? jenen Eckstein?
Warum? Was soll er?
Wenn es möglich ist, daß Ihr ihn mit Euerm kleinen Finger von der Stelle bewegt, dann ist einige Hoffnung, daß die römischen Frauen, besonders seine Mutter, etwas bei ihm ausrichten können. – Aber! ich sage, es ist keine Hoffnung; unsre Kehlen sind verurteilt und warten auf den Henker.
Ist es möglich, daß eine so kurze Zeit die Gemütsart eines Menschen so verändert?
Es ist ein Unterschied zwischen einer Raupe und einem Schmetterling; und doch war der Schmetterling eine Raupe. Dieser Marcius ist aus einem Menschen ein Drache geworden, die Schwingen sind ihm gewachsen, er ist mehr als ein kriechendes Geschöpf.
Er liebte seine Mutter von Herzen.
Mich auch. Aber er kennt jetzt seine Mutter sowenig als ein achtjähriges Roß. Die Herbigkeit seines Angesichts macht reife Trauben sauer. Wenn er wandelt, so bewegt er sich wie ein Turm, und der Boden bebt unter seinem Tritt. Er ist imstande, einen Harnisch mit seinem Blick zu durchbohren; er spricht wie eine Glocke, und sein "Hm" ist eine Batterie. Er sitzt da in seiner Herrlichkeit wie ein Abbild Alexanders. Was er befiehlt, das geschehen soll, das ist schon vollendet, indem er es befiehlt. Ihm fehlt zu einem Gotte nichts als Ewigkeit und ein Himmel, darin zu thronen.
Doch, Gnade, wenn Ihr ihn richtig beschreibt.
Ich male ihn nach dem Leben. Gebt nur acht, was für Gnade seine
Mutter mitbringen wird. Es ist nicht mehr Gnade in ihm als Milch
in einem männlichen Tiger; das wird unsre arme Stadt empfinden. —
Und alles dies haben wir euch zu danken.
Die Götter mögen sich unser erbarmen!
Nein, bei dieser Gelegenheit werden sich die Götter unser nicht erbarmen. Als wir ihn verbannten, achteten wir nicht auf sie, und da er nun zurückkommt, um uns den Hals zu brechen, achten sie nicht auf uns.
(Ein Bote tritt auf.)
Wollt Ihr das Leben retten, flieht nach Hause,
Das Volk hat Euren Mittribun ergriffen
Und schleift ihn durch die Straßen. Alle schwören,
Er soll, wenn keinen Trost die Frauen bringen,
Den Tod zollweis empfinden. Ein Zweiter Bote kommt.
Was für Nachricht?
Heil! Heil! Die Frauen haben obgesiegt,
Es ziehn die Volsker ab und Marcius geht.
Ein frohrer Tag hat nimmer Rom begrüßt,
Nicht seit Tarquins Vertreibung.
Freund, sag an,
Ist's denn auch wirklich wahr? weißt du's gewiß?
Ja, so gewiß die Sonne Feuer ist.
Wo stecktet Ihr, daß Ihr noch zweifeln könnt?
Geschwollne Flut stürzt so nicht durch den Bogen,
Wie die Beglückten durch die Tore. Horcht! (Man hört Trompeten,
Hoboen, Trommeln und Freudengeschrei.) Posaunen, Flöten,
Trommeln und Drommeten,
Zimbeln und Pauken und der Römer Jauchzen,
Es macht die Sonne tanzen.
(Freudengeschrei.)
Gute Zeitung.
Ich geh den Fraun entgegen. Die Volumnia
Ist von Patriziern, Konsuln, Senatoren
Wert eine Stadt voll, solcher Volkstribunen
Ein Meer und Land voll. – Ihr habt gut gebetet,
Für hunderttausend eurer Kehlen gab ich
Heut früh nicht einen Pfennig. Hört die Freude!
(Musik und Freudengeschrei.)
Erst für die Botschaft segnen Euch die Götter,
Und dann nehmt meinen Dank.
Wir haben alle
Viel Grund zu vielem Dank.
Sind sie schon nah?
Fast schon am Tor.
Laßt uns entgegengehn
Und ihren Jubel mehren. Die Frauen treten auf, von Senatoren,
Patriziern und Volk begleitet
Sie gehn über die Bühne.
Seht unsre Schutzgöttin, das Leben Roms!
Ruft alles Volk zusammen, preist die Götter,
Macht Freudfeuer, streut den Weg mit Blumen
Und übertönt den Schrei, der Marcius bannte,
Ruft ihn zurück im Willkomm seiner Mutter.
Willkommen! ruft den Fraun Willkommen zu.
Willkommen! edle Frauen! seid willkommen!
(Trommeln und Trompeten. Alle ab.)
Antium. Ein öffentlicher Platz Aufidius tritt auf mit Begleitern
Geht, sagt den Senatoren, ich sei hier,
Gebt ihnen dies Papier, und wenn sie's lasen,
Heißt sie zum Marktplatz kommen, wo ich selbst
Vor ihrem und des ganzen Volkes Ohr
Bekräftge, was hier steht. Der Angeklagte
Zog eben in die Stadt und ist gewillt,
Sich vor das Volk zu stellen, in der Hoffnung,
Durch Worte sich zu rein'gen. Geht.
(Die Begleiter gehn ab. Drei oder vier Verschworne treten auf.)
Willkommen!
Wie steht's mit unserm Feldherrn?
Grade so
Wie dem, der durch sein Wohltun wird vergiftet,
Den sein Erbarmen mordet.
Edler Herr,
Wenn bei derselben Absicht Ihr verharrt,
Zu der Ihr unsern Beitritt wünscht, erretten
Wir Euch von der Gefahr.
Ich weiß noch nicht.
Wir müssen handeln nach des Volkes Stimmung.
Das Volk bleibt ungewiß, solang es noch
Kann wählen zwischen euch. Der Fall des einen
Macht, daß der andre alles erbt.
Ich weiß es.
Auch wird der Vorwand, ihm eins beizubringen,
Beschönigt. Ich erhob ihn, gab mein Wort
Für seine Treu. Er, so emporgestiegen,
Begoß mit Schmeicheltau die neuen Pflanzen,
Die Freunde mir verführend; zu dem Zweck
Bog er sein Wesen, das man nur vorher
Als rauh, unlenksam und freimütig kannte.
Jawohl, sein Starrsinn, als er einst die Würde
Des Konsuls suchte, die er nur verlor,
Weil er nicht nachgab —
Davon wollt ich reden.
Deshalb verbannt, kam er an meinen Herd,
Bot seinen Hals dem Dolch. Ich nahm ihn auf,
Macht ihn zu meinesgleichen, gab ihm Raum
Nach seinem eignen Wunsch, ja, ließ ihn wählen
Aus meinem Heer, zu seines Plans Gelingen,
Die besten, kühnsten Leute. Selbst auch dient' ich
Für seinen Plan, half ernten Ruhm und Ehre,
Die er ganz nahm als eigen. Selbst mir Schaden
Zu tun, war ich fast stolz. Bis ich am Ende
Sein Söldner schien, nicht Mitregent, den er
Mit Gunst bezahlt und Beifall; als wär ich
Für Lohn in seinem Dienste.
Erster Verschworner.
Ja, das tat er,
Das Heer erstaunte drob. Und dann zuletzt,
Als Rom sein war, und wir nicht wen'ger Ruhm
Als Beut erwarteten —
Dies ist der Punkt,
Wo meine ganze Kraft ihm widerstrebt.
Für wen'ge Tropfen Weibertränen, wohlfeil
Wie Lügen, konnt er Schweiß und Blut verkaufen
Der großen Unternehmung. Darum sterb er,
Und ich ersteh in seinem Fall. – Doch, horcht. —
(Trommeln und Trompeten, Freudengeschrei des Volks.)
Erster Verschworner.
Ihr kamt zur Vaterstadt, gleich einem Boten,
Und wurdet nicht begrüßt; bei seiner Rückkehr
Zerreißt ihr Schrein die Luft.
Zweiter Verschworner.
Ihr blöden Toren!
Die Kinder schlug er euch: ihr sprengt die Kehlen,
Ihm Glück zu wünschen.
Dritter Verschworner.
Drum zu Euerm Vorteil,
Eh er noch sprechen kann, das Volk zu stimmen
Durch seine Rede, fühl er Euer Schwert.
Wir unterstützen Euch, daß, wenn er liegt,
Auf Eure Art sein Wort gedeutet wird,
Mit ihm sein Recht begraben.
Sprich nicht mehr,
Hier kommt schon der Senat. Die Senatoren treten auf.
Ihr seid daheim willkommen!
Das hab ich nicht verdient; doch, würdge Herrn,
Last ihr bedächtig durch, was ich euch schrieb?
Wir taten's.
Und mit Kummer, dies zu hören.
Was früher er gefehlt, das, glaub ich, war
Nur leichter Strafe wert; doch da zu enden,
Wo er beginnen sollte, wegzuschenken
Den Vorteil unsers Kriegs, uns zu bezahlen
Mit unsern Kosten und Vergleich zu schließen
Statt der Erobrung – das ist unverzeihlich.
Er naht, ihr sollt ihn hören. Coriolanus tritt ein mit
Trommeln und Fahnen, Bürger mit ihm.
Heil, edle Herrn! Heim kehr ich, euer Krieger,
Unangesteckt von Vaterlandsgefühlen,
So wie ich auszog. Euerm hohen Willen
Bleib ich stets untertan. – Nun sollt ihr wissen,
Daß uns der herrlichste Erfolg gekrönt:
Auf blutgem Pfade führt ich euern Krieg
Bis vor die Tore Roms. Wir bringen Beute,
Die mehr als um ein Dritteil überwiegt
Die Kosten dieses Kriegs. Wir machten Frieden,
Mit minderm Ruhm nicht für die Antiaten
Als Schmach für Rom, und überliefern hier,
Von Konsuln und Patriziern unterschrieben
Und mit dem Siegel des Senats versehn,
Euch den Vergleich.
Lest ihn nicht, edle Herrn.
Sagt dem Verräter, daß er eure Macht
Im höchsten Grad gemißbraucht.
Was? Verräter?
Ja, du Verräter, Marcius!
Marcius?
Ja, Marcius, Cajus Marcius! denkst du etwa,
Daß ich mit deinem Raub dich schmücke, deinem
Gestohlnen Namen Coriolan?
Ihr Herrn und Häupter dieses Staats, meineidig
Verriet er eure Sach und schenkte weg
Für ein'ge salzge Tropfen euer Rom,
Ja, eure Stadt, an seine Frau und Mutter,
Den heilgen Eid zerreißend, wie den Faden
Verfaulter Seide, niemals Kriegesrat
Berufend. Nein, bei seiner Amme Tränen
Weint' er und heulte euern Sieg hinweg,
Daß Pagen sein sich schämten und Soldaten
Sich staunend angesehn.
Hörst du das, Mars?
O! nenne nicht den Gott, du Knab der Tränen! —
Ha!
Nichts mehr!
Du grenzenloser Lügner! zu groß machst du
Mein Herz für meinen Busen. Knab? O Sklave!
Verzeiht mir, Herrn, das ist das erste Mal,
Daß man mich zwingt zu schimpfen. – Ihr Verehrten,
Straft Lügen diesen Hund; sein eignes Wissen
(Denn meine Striemen sind ihm eingedrückt,
Und diese Zeichen nimmt er mit ins Grab)
Schleudr' ihm zugleich die Lüg in seinen Hals.
Still, beid, und hört mich an.
Reißt mich in Stück', ihr Volsker! Männer, Kinder,
Taucht euern Stahl in mich. – Knab? – Falscher Hund!
Wenn eure Chronik Wahrheit spricht – da steht's,
Daß, wie im Taubenhaus der Adler, ich
Gescheucht die Volsker in Corioli.
Allein – ich – tat es. Knabe!
Edle Herrn,
So laßt ihr an sein blindes Glück euch mahnen,
Und eure Schmach? Durch diesen frechen Prahler
Vor euren eignen Augen?
Dafür sterb er!
Reißt ihn in Stücke, tut es gleich. – Er tötete meinen Sohn —
meine Tochter. – Er tötete meinen Vetter Marcus! —
Er tötete meinen Vater!
Still! keine blinde Wut. Seid ruhig. Still!
Der Mann ist edel, und sein Ruhm umschließt
Den weiten Erdkreis. Sein Vergehn an uns
Sei vor Gericht gezogen. Halt, Aufidius!
Und stör den Frieden nicht.
O! hätt ich ihn!
Und sechs Aufidius, mehr noch, seinen Stamm,
Mein treues Schwert zu prüfen!
Frecher Bube!
Die Verschwornen.
Durchbohrt! durchbohrt! durchbohrt ihn!
(Aufidius und die Verschwornen ziehen und erstechen Coriolanus.
Aufidius stellt sich auf ihn.)
Halt, halt ein!
Ihr edlen Herrn! o! hört mich an.
O Tullus!
Du hast getan, was Tugend muß beweinen.
Tritt nicht auf ihn. Seid ruhig, all ihr Männer,
Steckt eure Schwerter ein.
Ihr Herrn, erkennt ihr (wie in dieser Wut,
Von ihm erregt, nicht möglich) die Gefahren,
Die euch sein Leben droht', erfreut ihr euch,
Daß er so weggeräumt. Beruft mich, Edle,
Gleich in den Rat, so zeig ich, daß ich bin
Eur treuster Diener, oder ich erdulde
Die schwerste Strafe.
Tragt die Leiche fort,
Und trauert über ihn. Er sei geehrt,
Wie je ein edler Leichnam, dem der Herold
Zum Grab gefolgt.
Sein eigner Ungestüm
Nimmt von Aufidius einen Teil der Schuld,
So kehrt's zum Besten.
Meine Wut ist hin,
Mein Herz durchbohrt der Gram. So nehmt ihn auf,
Helft, drei der ersten Krieger, ich der vierte.
Die Trommel rührt, und laßt sie traurig tönen,
Schleppt nach die Speer'. Obwohl in dieser Stadt
Er manche gatten-, kinderlos gemacht
Und nie zu sühnend Leid auf uns gebracht,
So sei doch seiner ehrenvoll gedacht.
Helft mir.
(Sie tragen die Leiche Coriolans fort. Trauermarsch.)