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VIELLEICHT SIND BEIDE FALSCH

Wahnwitzige, Poeten und Verliebte Bestehn aus Einbildung.

The lunatic, the lover, and the poet Are of imagination all compact.

(Ein Sommernachtstraum, V, 1)

Die Grillen deiner Eifersucht

In dem Stück Ein Sommernachtstraum wirft Titania Oberon vor, dass er nicht ihr zuliebe in den Wald in der Umgebung Athens gekommen ist, sondern nur, weil Hippolyta, seine ehemalige Geliebte, Theseus, den Herrscher von Athen, heiraten wird. Da Oberon und Titania König und Königin der Elfen sind, wirkt sich ihr Streit auf die Natur aus: Missernten und durcheinander geratene Jahreszeiten sind die Folge.

OBERON

Vermessne, halt! Bin ich nicht dein Gemahl?

TITANIA

So muß ich wohl dein Weib sein; doch ich weiß

Die Zeit, daß du dich aus dem Feenland

Geschlichen, Tage lang als Corydon

Gesessen, spielend auf dem Haberrohr,

Und Minne der verliebten Phyllida

Gesungen hast. – Und warum kommst du jetzt

Von Indiens entferntestem Gebirg,

Als weil – ei denk doch! – weil die Amazone,

Die strotzende hochaufgeschürzte Dame,

Dein Heldenliebchen, sich vermählen will?

Da kommst du denn, um ihrem Bette Heil

Und Segen zu verleihn.

OBERON

Titania,

Wie kannst du dich vermessen, anzuspielen

Auf mein Verständnis mit Hippolyta,

Da du doch weißt, ich kenne deine Liebe

Zum Theseus? Locktest du im Dämmerlichte

Der Nacht ihn nicht von Perigunen weg,

Die er vorher geraubt? Warst du nicht Schuld,

Daß er der schönen Ägle Treue brach,

Der Ariadne und Antiopa?

TITANIA

Das sind die Grillen deiner Eifersucht!

Und nie seit jenem Sommer trafen wir

Auf Hügel noch im Tal, im Wald noch Wiese,

Am Kieselbrunnen, am beschilften Bach,

Noch an des Meeres Klippenstrand uns an,

Und tanzten Ringel nach des Windes Pfeifen,

Daß dein Gezänk uns nicht die Luft verdarb.

Drum sog der Wind, der uns vergeblich pfiff,

Als wie zur Rache, böse Nebel auf

Vom Grund des Meeres; die fielen auf das Land [...]

Und diese ganze Brut von Plagen kommt

Von unserm Streit, von unserm Zwiespalt her;

Wir sind davon die Stifter und Erzeuger.

(II, 1)

So treu wie Troilus

Mitten im trojanischen Krieg verliebt sich der junge Trojaner Troilus in Kressida. Eigentlich stünde der Liebe der beiden nichts im Wege, denn Kressida ist ebenfalls Trojanerin. Doch ihr Vater, der Seher Calchas, ist zu den Griechen übergelaufen. Er veranlasst, dass seine Tochter gegen einen trojanischen Kriegsgefangenen ausgetauscht wird, sodass sie ihm ins Lager der Griechen nachfolgen kann. Der Austausch findet unmittelbar nach der ersten und einzigen Liebesnacht zwischen Troilus und Kressida statt. Troilus ist nicht nur extrem eifersüchtig auf den Griechen Diomedes, der Kressida überführt, sondern ist auch sehr überzeugt davon, dass sie ihm untreu werden wird – so sehr, dass man sich fragt, wie viel Anteil sein Misstrauen daran hat, dass Kressida ihm später tatsächlich untreu wird. Troilus ist schon vor der ersten Liebesnacht mit Kressida sehr mit der zukünftigen Entwicklung, mit seinen Erwartungen und wie sie sich wohl in der Realität erfüllen, beschäftigt.

TROILUS

Mir schwindelt; rings im Kreis dreht mich Erwartung.

Die Wonn’ in meiner Ahndung ist so süß,

Daß sie den Sinn verzückt. Wie wird mir sein,

Wenn nun der durst’ge Gaumen wirklich schmeckt

Der Liebe lautern Nektar? Tod, so fürcht’ ich,

Vernichtung, Ohnmacht, oder Lust zu sein,

Zu tief eindringend, zu entzückend süß

Für meinen gröb’ren Sinn Empfänglichkeit.

Dies fürcht’ ich sehr, und fürchte außerdem,

Daß im Genuß mir Unterscheidung schwindet,

Wie in der Schlacht, wenn Scharen, wild sich drängend,

Den fliehnden Feind bestürmen. [...]

TROILUS

Die Furcht macht Teufel aus Engeln; sie sieht nie richtig. [...] Das ist das Ungeheure in der Liebe, meine Teure, daß der Wille unendlich ist, und die Ausführung beschränkt; daß das Verlangen grenzenlos ist, und die Tat ein Sklav’ der Beschränkung.

KRESSIDA

Man sagt, jeder Liebehaber schwöre mehr zu vollbringen, als ihm möglich ist, und behalte dennoch Kräfte, die er nie in Anwendung bringt; er gelobe mehr als Zehn auszuführen, und bringe kaum den zehnten Teil von dem, was Einer vermöchte, zu Stande. Wer die Stimme eines Löwen, und das Tun eines Hasen hat, ist der nicht ein Ungeheuer?

TROILUS

Gibt es solche? Wir sind nicht von dieser Art. Lobt uns nach bestandener Prüfung und schätzt uns nach Taten: unser Haupt müsse unbedeckt bleiben, bis Ruhm es krönt. Keine Vollkommenheit, die noch erst erreicht werden soll, werde in der Gegenwart gepriesen: wir wollen das Verdienst nicht vor seiner Geburt taufen. Und ist es geboren, so soll seine Bezeichnung demütig sein. Wenig Worte, und feste Treue! Troilus wird für Kressida ein solcher sein, daß, was Bosheit ihm schlimmstes nachsagen mag, ein Spott über seine Treue sei; und was Wahrheit am wahrsten sprechen kann, nicht wahrer als Troilus. [...]

KRESSIDA

Sag ich zu viel, so spielt ihr den Tyrannen.

Ich lieb’ euch nun; doch nicht bis jetzt so viel,

Daß ich’s nicht zähmen kann – doch nein, ich lüge!

Mein Sehnen war, wie ein verzogenes Kind,

Der Mutter Zucht entwachsen. O wir Ärmsten!

Was plaudr’ ich da? Wer bleibt uns wohl getreu,

Wenn wir uns selbst so unverschwiegen sind?

So sehr ich liebte, warb ich nicht um euch,

Und doch fürwahr wünscht’ ich ein Mann zu sein,

Oder, daß wir der Männer Vorrecht hätten,

Zuerst zu sprechen. Liebster, heiß mich still sein!

Sonst im Entzücken red’ ich ganz gewiß,

Was mich dereinst gereut. O sieh, dein Schweigen

So schlau verstummend, lockt aus meiner Schwachheit

Die innersten Gedanken. Schließ den Mund mir! [...]

Vielleicht mein Prinz, zeig ich mehr List als Liebe,

Und sprach getrost ein frei Geständnis aus,

Mir euer Herz zu fang’n. Doch ihr seid weise,

Oder liebt nicht: denn weise sein und lieben

Vermag kein Mensch; nur Götter können’s üben.

TROILUS

O daß ich glaubt’, es könne je ein Weib

(Und wenn sie’s kann, glaub’ ich’s zuerst von euch)

Für ewig nähren Liebesflamm und Glut,

In Kraft und Tugend ihre Treu bewahren,

Die Schönheit überdauernd durch ein Herz,

Das frisch erblüht, ob auch das Blut uns altert! [...]

KRESSIDA

Den Wettkampf nehm ich an.

TROILUS

O hold’ Gefecht,

Wenn Recht um Sieg und Vorrang ficht mit Recht!

Treuliebende in Zukunft werden schwören,

Und ihre Treu mit Troilus versiegeln:

Und wenn dem Vers voll Schwür und schwülstigen Bildern

Ein Gleichnis fehlt, der oft gebrauchten müde,

Als – treu wie Stahl, wie Sonnenschein dem Tag,

Pflanzen dem Mond, das Täubchen seinem Täuber,

Dem Zentrum Erde, Eisen dem Magnet,

Dann, dann nach so viel Vergleichungen der Treu,

Wird als der Treue höchstes Musterbild

»So treu wie Troilus« den Vers noch krönen.

Und weihn das Lied.

KRESSIDA

Prophetisch sei dein Wort!

Werd ich dir falsch, untreu nur um ein Haar,

Wenn Zeit gealtert und sich selbst vergaß,

Wenn Regen Trojas Mauern aufgelöst,

Blindes Vergessen Städte eingeschlungen,

Und mächt’ge Reiche spurlos sind zermalmt

Ins staub’ge Nichts: auch dann noch mög’ Erinnerung,

Spricht man von falschen ungetreuen Mädchen,

Schmäh’n meine Falschheit: sagen sie, so falsch

Wie Luft, wie Wasser, Wind und lock’rer Sand,

Wie Fuchs dem Lamm, wie Wolf dem jungen Kalb,

Panther dem Reh, Stiefmutter ihrem Sohn,

Ja, schließ es dann, und treff’ ins Herz der Falschheit:

»So falsch wie Kressida!«

(III, 2)

Troilus erfährt von Kressidas Untreue, als er im griechischen Lager in Begleitung von Ulysses und dem Spötter Thersites beobachtet, wie Kressida sich mit Diomedes unterhält.

ULYSSES

Gleich freundlich sagt, mein Prinz, in welchem Ruf

Hielt Troja diese Schöne? Weint ihr dort

Kein Liebster nach? [...]

TROILUS

Sie liebt’ und ward geliebt, und wird’s noch heute,

Doch neid’schem Glück ward Liebe stets zur Beute.

(IV, 5)

KRESSIDA

Ach Troilus,

Noch blickt mein eines Auge nach dir hin,

Das andre wandte sich, so wie mein Sinn.

Wir armen Frau’n, wir dürfen’s nicht verhehlen,

Des Augs Verirrung lenkt zugleich die Seelen:

Was Irrtum führt, muß irr’n: so folgt denn, ach!

Vom Blick betört, verfällt die Seel’ in Schmach.

THERSITES

 

Das sind untrüglich folgerechte Sätze;

Noch richt’ger: meine Seele ward zur Metze.

ULYSSES

So wär’s denn aus!

TROILUS

Ja, aus!

ULYSSES

Wozu noch bleiben?

TROILUS

Um mir’s im Geist recht tief noch einzuprägen,

Silbe für Silbe, was ich hier gehört.

Doch sag ich, wie die beiden hier gehandelt,

Werd ich das Wahre kündend dann nicht lügen?

Denn immer noch wohnt mir ein Glaub’ im Herzen,

Ein Hoffen also fest und unverwüstlich,

Das leugnet, was mir Aug’ und Ohr bezeugt;

Als wenn die Sinne, uns zum Trug erschaffen,

Nur als Verleumder tätig hier gewirkt.

War’s Kressida? [...]

Um aller Frauen Ehre glaubt es nicht!

Denkt, daß wir Mütter hatten, gebt nicht Recht

Den rohen Läst’rern, die auch ohne Grund

Die Frau’n erniedern – jedes Weib zu messen

Nach Kressida; eher denkt, sie war es nicht! [...]

Hat Schönheit Seele, dann war sie es nicht. [...]

So war sie Kressida, und war es nicht! [...]

Ein Himmelsband schließt mich an Kressida;

Beweis, Beweis, fest wie der Himmel selbst;

Das Himmelsband ist mürb, erschlafft und los;

Ein andrer Knoten, den fünf Finger knüpfen,

Schlingt jetzt die Trümmer ihrer Lieb’ und Treu,

Den Abhub, Nachlaß, Rest und ekle Brocken

Der abgestand’nen Lieb um Diomed.

(V, 2)

Wilde Eifersucht, die oft ans Edle grenzt

In Was ihr wollt ist Orsino, der Herzog von Illyrien, in Olivia verliebt. Doch sie liebt Orsinos Pagen Cesario, der in Wirklichkeit die als Mann verkleidete Viola ist. Aus Verzweiflung über seine verschmähte Liebe und seine Eifersucht auf Cesario, droht Orsino, wenn auch nicht in vollem Ernst, Olivia oder Cesario zu töten. Da Viola ihrerseits Orsino liebt, erklärt sie sich schnell bereit, für ihn zu sterben.

ORSINO

Weswegen sollt’ ich nicht, litt’ es mein Herz,

Wie der ägypt’sche Dieb in Todesnot,

Mein Liebstes töten! Wilde Eifersucht,

Die oft ans Edle grenzt. Doch höret dies:

Weil ihr denn meine Treue gar nichts achtet,

Und ich so ziemlich doch das Werkzeug kenne,

Das meinen Platz in eurer Gunst mir sperrt,

So lebt nur, marmorbusige Tyrannin,

Doch diesen euren Günstling, den ihr liebt,

Den ich, beim Himmel, lieb und teuer halte,

Ihn will ich aus dem stolzen Auge reißen,

Wo hoch er thronet, seinem Herrn zum Trotz.

Komm, Junge! Mein Entschluß ist reif zum Unheil:

Ich will mein zartgeliebtes Lamm entseelen,

Um einer Taube Rabenherz zu quälen.

VIOLA

Und ich, bereit, mit frohem, will’gen Sinn,

Gäb’ euch zum Trost mich tausend Toden hin.

OLIVIA

Wo will Cesario hin?

VIOLA

Ihm folg ich nach, dem ich mich ganz ergeben,

Der mehr mir ist als Augenlicht, als Leben;

Ja mehr, um alles, was man mehr nur nennt,

Als dieses Herz je für ein Weib entbrennt.

Und red’ ich falsch, ihr hohen Himmelsmächte,

An meinem Leben rächt der Liebe Rechte!

(V, 1)

Von jeher ungetreu und falsch

Nachdem Antonius und Kleopatra eine entscheidende Schlacht gegen Octavius Cäsar verloren haben, wird Antonius rasend vor Eifersucht, als er sieht, wie Kleopatra einem Boten von Octavius erlaubt, ihre Hand zu küssen. Er denkt, sie schließt hinter seinem Rücken mit Octavius Frieden.

ANTONIUS

Ließ ich mein Kissen ungedrückt in Rom,

Entsagt’ ich der Erzeugung echten Stamms

Vom Kleinod aller Frau’n, daß diese hier

Mit Sklaven mich beschimpfe?

KLEOPATRA

Teurer Herr!

ANTONIUS

Ihr wart von jeher ungetreu und falsch!

Doch wenn wir in der Sünde uns verhärtet,

O Jammer! Dann verblinden uns’re Augen

Mit eig’nem Schmutz die Götter; trüben uns

Das klare Urteil, daß wir unsern Irrtum

Anbeten; lachen über uns, wenn wir

Zum Tode hin stolzieren! [...]

Daß solch ein Sklav’, der wohl ein Trinkgeld nimmt,

Und spricht: Gott lohn euch! – keck sich wagt an meine

Gespielin, eure Hand, dies Königssiegel

Und großer Herzen Pfand! O daß ich stände

Auf Basans Hügel, die gehörnte Herde

Zu überbrüllen! Ward ich doch zum Stier!

Dies sanft verkünden, wär, wie ein armer Sünder,

Der mit umstricktem Hals dem Henker dankt,

Daß er’s so rasch gemacht.

(III, 11)

Bis zur Vergiftung meines Hirns

Aus heiterem Himmel ist Leontes, König von Sizilien in Das Wintermärchen, plötzlich überzeugt, dass seine Frau, Hermione, ihn mit seinem Freund Polyxenes, dem König von Böhmen, betrogen hat. Anders als in Othellos Fall beruht Leontes’ Eifersucht nicht auf einer Intrige, und es gibt in diesem Stück auch niemandem, der ihm fabrizierte Beweise für die Untreue seiner Frau vorlegt – im Gegenteil: Alle versuchen, ihn von seiner eingebildeten Überzeugung abzubringen. Doch Leontes erklärt von vornherein alle für Verräter, die Hermiones Partei ergreifen.

LEONTES

Affekt! Dein Ahnden bohrt zum Mittelpunkt:

Das machst du möglich, was unmöglich schien,

Verkehrst mit Träumen; (Wie kann dies geschehn?)

Mit Schatten, du einbildungsfäh’ge Kunst,

Und bist dem Nichts verbrüdert: Nun, wie glaublich,

Daß du auch Wesen dich gesellst; so ist’s;

(Und das jenseit des Wahnes, und ich fühl es,)

Und das bis zur Vergiftung meines Hirns

Und meiner Stirn Verhärtung. [...]

Auch sonst gab’s, irr ich nicht, betrog’ne Männer;

Und manchen gibt’s noch, jetzt im Augenblick,

Der, grad indem ich sprech, umarmt sein Weib:

Er träumt nicht, daß sie ihm ward abgeleitet,

Sein Teich vom nächsten Nachbar ausgefischt,

Ja, vom Herrn Nachbar Lächler, das ist Trost;

Auch andre haben Tor; und off’ne Tore,

Wie ich, sehr wider Willen. Soll verzweifeln,

Wem sich sein Weib empört, so hängte sich

Der Menschheit Zehntel. Dafür hilft kein Arzt.

Es ist ein kupplerisch Gestirn, das trifft,

Wo es regiert; und mächtig muß es sein

In Ost, West, Nord und Süd: Drum steht es fest,

Für eine Frau ist keine Grenzsperre;

O glaubt’s! Sie läßt den Feind herein, hinaus,

Mit Sack und Pack. Viel Tausend unter uns,

Die diese Krankheit haben, fühlen’s nicht. [...]

Ist Flüstern nichts?

Und Wang’ an Wange lehnen? Nas’ an Nase?

Mit inner’n Lippen küssen? Durch ’nen Seufzer

Den Lauf des Lachens hemmen? (Sich’res Zeichen

Gebroch’ner Ehre:) setzen Fuß auf Fuß?

In Winkel kriechen? Uhren schneller wünschen?

Die Stunde zur Minut’ und Tag zur Nacht?

Und aller Augen blind, stockblind, nur ihre Nicht, ihre nicht,

Um ungesehn zu freveln? Ist das nichts?

Dann ist die Welt und was darin ist nichts,

Des Himmels Wölbung nichts, und Böhmen nichts,

Mein Weib ist nichts, und nichts in all dem Nichts,

Wenn dies nichts ist. [...]

Sei verdammt, wenn du noch zweifelst!

Denkst, ich sei so verschlammt, so verwahrlost,

Mir selbst zu schaffen diese Qual? Die Weiße

Und Reinheit meines Lagers zu besudeln,

Das ungekränkt, mir Schlaf ist; doch befleckt,

Mich sticht wie Nesseln, Dornen, gift’ge Wespen?

Das Blut des Prinzen, meines Sohns, zu schmähen,

Der, glaub ich, mein ist, den ich lieb’ als mein,

Ohn’ überlegten Antrieb? Tät ich dies?

Ist wohl ein Mensch so toll?

(I, 1)

Leontes beauftragt Camillo, seinen Vertrauten, Polyxenes, noch während er zu Besuch in Sizilien ist, zu ermorden. Doch Camillo warnt Polyxenes und flieht mit ihm nach Böhmen. Leontes interpretiert das als Beweis dafür, dass er mit seinem Verdacht recht hatte.

LEONTES

Wie glücklich,

Daß ich so recht gesehn, die Wahrheit traf.

Ach! Irrt’ ich lieber! Wie verdammt bin ich

In diesem Glück! Wohl kann sich eine Spinne

Verkriechen in den Becher, und man trinkt;

Man geht, und spürt kein Gift; nicht angesteckt

Ward das Bewußtsein: aber hält uns einer

Die ekelhafte Zutat vor und sagt uns,

Was wir getrunken, sprengt man Brust und Seiten

Mit heft’gem Würgen: Ich trank und sah die Spinne.

Camillo half dazu und war sein Kuppler:

Ein Anschlag ist’s auf meinen Thron, mein Leben,

Zur Wahrheit wird Verdacht: Der falsche Bube

Den ich bestellt’, war vorbestellt von ihm:

Er hat ihm meinen Plan entdeckt, und ich

Bin ein geäffter Tor für sie, ein Spielball

Für ihre Laune. [...]

Nein, nein; wenn ich mich irre

In diesem Fundament, worauf ich baue,

So ist die Erde selbst nicht stark genug,

Für eines Knaben Kreisel. Fort mit ihr zum Kerker;

Wer für sie spricht, der ist schon deshalb schuldig,

Bloß weil er spricht.

(II, 1)

O WIR SIND ALLE DER
VERSUCHUNG ERBEN!

Wer sündigt mehr? Ist’s die Versucherin, Ist’s der Versucher?

The tempter or the tempted, who sins most?

(Maß für Maß, II, 2)

Wenn Jungfrau’n fleh’n

Vincentio, Herzog von Wien in Maß für Maß, beschließt, sich für eine Zeitlang aus Wien zurückzuziehen und die Herrschaft an seine Statthalter Angelo und Escalus zu übertragen. In seiner Regierungszeit hat er das Gesetz eher lax behandelt. Nun beauftragt er die beiden Stellvertreter, es wieder strenger umzusetzen. Ist er selbst währenddessen abwesend, rechnet sich Vincentio aus, trifft der Unmut des Volkes über die plötzlich strengere Auslegung der Gesetze nicht ihn, sondern seine Statthalter. Gleichzeitig will Vincentio Angelos Aufrichtigkeit prüfen: Angelo hat den Ruf, extrem streng zu sein und ein geradezu asketisches Leben zu führen. Zunächst erfüllt Angelo die Erwartungen voll. Er verurteilt einen Mann, Claudio, zum Tode, weil Claudio seine Verlobte, Julia, geschwängert hat, bevor die Heirat offiziell vollzogen wurde. Claudio bittet seine Schwester Isabella, die im Begriff ist, in ein Kloster einzutreten, sich bei Angelo für seine Begnadigung einzusetzen.

CLAUDIO, über Isabella

Ich hoffe viel von ihr, denn ihre Jugend

Ist kräft’ge Rednergabe ohne Wort,

Die Männer rührt: zudem ist sie begabt,

Wenn sie es will, mit holdem Spruch und Witz,

Und leicht gewinnt sie jeden.

(I, 3)

Da Claudio im Gefängnis ist, kann er Isabella nicht selbst aufsuchen, und schickt seinen Bekannten Lucio zu ihr. Lucio erwischt sie gerade bei ihrem Aufnahmegespräch im Kloster. Während Isabella zweifelt, dass sie in der Angelegenheit etwas zugunsten Claudios ausrichten kann, ist Lucio ebenso wie Claudio fest überzeugt, dass Angelo keine Chance hat, ihrem Bitten zu widerstehen.

LUCIO

Zweifel sind Verräter,

Die oft ein Gut entziehn, das wir erreichten,

Weil den Versuch wir scheuten. Geht zu Angelo

Und lehrt ihn, daß, wenn Jungrau’n fleh’n, die Männer

Wie Götter geben: weinen sie und knien,

Dann wird ihr Wunsch so frei wie Eigentum,

Als sie selber die Gewährung sprächen.

(I, 5)

Isabella lässt sich überreden und bittet Angelo, ihren Bruder Claudio zu begnadigen. Angelo, den freizügige Frauen nie reizen konnten, fühlt sich zu der frommen, nonnenartigen Isabella hingezogen.

 

ISABELLA

Mein Bruder ward verdammt, den Tod zu leiden;

Ich fleh’ euch an, laßt seine Sünde tilgen,

Den Bruder nicht! [...]

ANGELO

Ich soll die Schuld verdammen, nicht den Täter?

Verdammt ist jede Schuld schon vor der Tat.

Mein Amt zerfiele ja in wahres Nichts,

Straft’ ich die Schuld, wie das Gesetz begehrt,

Und ließe frei den Täter? [...]

ISABELLA

O ja, ich denk’, ihr könntet ihm verzeih’n,

Und weder Gott noch Menschen zürnten euch.

ANGELO

Ich will’s nicht tun.

ISABELLA

Doch könntet ihr’s, wenn ihr wollt?

ANGELO

Was ich nicht will, das kann ich auch nicht tun. [...]

Er ward verurteilt, ’s ist zu spät. [...]

ISABELLA

Zu spät? O nein doch! Mein gesproch’nes Wort,

Ich kann es widerrufen! [...] Wär’ er an eurer Stelle,

In seiner ihr, ihr straucheltet gleich ihm;

Doch er im Amt wär’ nicht so strengen Sinns! [...]

ANGELO

Faßt euch, schönes Mädchen;

Denn das Gesetz, nicht ich, straft euern Bruder.

Wär’ er mein Vetter, Bruder, ja mein Sohn,

Es ging’ ihm so: sein Haupt wird morgen fallen.

ISABELLA

Schon morgen! Das ist schnell! O schont ihn, schont ihn,

Er ist noch nicht bereit. Wir schlachten ja

Geflügel nur, wenn’s Zeit ist; dienten wir

Gott selbst mit mind’rer Achtung, als wir sorgen

Für unser grobes Ich? Denkt, güt’ger, güt’ger Herr,

Wer büßte schon für dies Vergehn mit Tod?

So manche doch begingen’s! [...]

ANGELO

Nicht tot war das Gesetz, obwohl es schlief.

Die Vielen hätten nicht gewagt den Frevel,

Wenn nur der Erste, der die Vorschrift brach,

Für seine Tat gebüßt. Nun ist’s erwacht,

Forscht, was verübt ward, und Propheten gleich

Sieht es im Spiegel, was für künft’ge Sünden

(Ob jetzt schon, ob durch Nachsicht neu erzeugt

Und ferner ausgebrütet und geboren)

Hinfort sich stufenweis’ nicht mehr entwickeln,

Nein, sterben im Entstehn.

ISABELLA

Zeigt dennoch Mitleid!

ANGELO

Das tu ich nur, zeig’ ich Gerechtigkeit.

Denn dann erbarmen mich, die ich nicht kenne,

Die jetz’ge Nachsicht einst verwunden möchte:

Und ihm wird Recht, der ein Verbrechen büßend,

Nicht lebt, ein zweites zu begehn. [...]

ISABELLA

Miß nicht den Nächsten nach dem eig’nen Maß [...]

ANGELO

Was überhäufst du mich mit all den Sprüchen?

ISABELLA

Weil Hoheit, wenn sie auch wie andre irrt,

Doch eine Art von Heilkraft in sich trägt,

Die Fehl und Wunden schließt. Fragt euer Herz;

Klopft an die eig’ne Brust, ob nichts drin wohnt,

Das meines Bruders Fehltritt gleicht; bekennt sie

Menschliche Schwachheit, wie die seine war,

So steig’ aus ihr kein Laut auf eure Zunge

Zu Claudius’ Tod.

ANGELO, beiseite

Sie spricht so tiefen Sinn’s

Daß Sinn und Geist ihr folgen. [...]

(II, 2)

Für sich alleine ringt Angelo mit seiner Reaktion auf Isabella:

ANGELO

Vor dir! Vor deiner Tugend selbst!

Was ist dies? Was? Ist’s ihre Schuld, ist’s meine?

Wer sündigt mehr? Ist’s die Versucherin,

Ist’s der Versucher? Ha!

Nicht sie: nein, sie versucht’ auch nicht! Ich bin’s,

Der bei dem Veilchen liegt im Sonnenschein,

Und gleich dem Aase, nicht der Blume gleich,

Verwest in der balsam’schen Luft. Ist’s möglich,

Daß Sittsamkeit mehr unsern Sinn empört,

Als Leichtsinn? Da uns wüster Raum nicht fehlt,

Soll man die heil’gen Tempel niederreißen,

Den Frevel dort zu bau’n? O pfui, pfui, pfui!

Was tust du? Ha, was bist du, Angelo?

Du wünschest sie verderbt, um eben das,

Was sie erhebt? O laß den Bruder leben!

Es hat der Dieb ein freies Recht zum Raub,

Wenn erst der Richter stiehlt. Was! Lieb’ ich sie,

Daß mich’s verlangt, sie wieder reden hören,

An ihrem Blick mich weiden ... Wovon träum’ ich?

O list’ger Erbfeind! Heil’ge dir zu fangen,

Köderst du sie mit Heil’gen: höchst gefährlich

Ist die Versuchung, die durch Tugendliebe

Zur Sünde reizt. Nie konnte Wollust,

Mit ihrer Doppelmacht, Natur und Kunst,

Mich je verlocken: doch dies fromme Mädchen

Besiegt mich ganz. Bis heut begriff ich nie

Die Liebestorheit, fragte lachend, wie!

(II, 2)

ANGELO

Bet’ ich und denk’ ich, geht Gedank’ und Beten

Verschied’nen Weg. Gott hat mein hohles Wort,

Indes mein Dichten, nicht die Zunge hörend,

An Isabellen ankert. Gott im Munde;

Als prägten nur die Lippen seinen Namen;

Im Herzen wohnt die giftig schwell’nde Sünde

Des bösen Trachtens. Der Staat, in dem ich forschte,

Ist wie ein gutes Buch, zu oft gelesen,

Schal und verhaßt: ja selbst mein Tugendruhm,

Der sonst – o, hör es niemand! All mein Stolz –

Ich gäb’ ihn für ein Federchen mit Freuden,

Das müßig spielt im Wind. O Rang! O Würde!

Wie oft durch äuß’re Schal und Form erzwingst du

Ehrfurcht von Toren: lockst die Bessern selbst

Durch falschen Schein! Blut, du behältst dein Recht;

Schreibt »guter Engel« auf des Teufels Hörner,

So sind sie nicht sein Zeichen mehr.

(II, 4)