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Zwei Schicksalswege

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Zwei Schicksalswege (EPUB)
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Drei Tage nachdem ich diese Worte gelesen, waren unsere Reisevorbereitungen beendet und wir waren nach dem Kontinent aufgebrochen.

Dreizehntes Kapitel
Noch nicht geheilt

Wir besuchten Frankreich, Deutschland und Italien und waren beinahe zwei Jahre von England abwesend.

Hatte ich der Zeit und der Abwechselung recht vertraut? War in meiner Erinnerung das Bild von Frau van Brandt wirklich erloschen?

Nein! Was ich auch tat, um mit den prophetischen Worten der Dame Dermody zu reden, ich suchte unablässig den Weg zu einer dereinstigen Vereinigung mit dem mir verwandten Geiste. In den ersten zwei oder drei Monaten unserer Reise verfolgten mich Träume von der Frau, die mich so entschlossen verlassen hatte. Da sie mir im Schlaf immer reizend erschien, immer voll Anmut, immer bescheiden und herzlich gegen mich erschien, hegte ich die glühende Hoffnung, dass ihre Erscheinung sich mir noch einmal wieder im wachen Zustande zeigen würde – dass sie mich zu einer bestimmten Zeit wieder an irgend einen einsamen Ort berufen würde. Aber meine Erwartungen blieben unerfüllt, die Erscheinung kam nicht. Die Träume von ihr wurden seltener und weniger lebhaft, bis sie ganz aufhörten.

Konnte ich daraus annehmen, dass ihre Prüfungszeit zu Ende war und dass sie der Hilfe nicht mehr bedurfte, den Mann vergessen hatte, der sie ihr leisten wollte? Sollten wir uns nie wiedersehen?

»Ich bin nicht wert ein Mann zu sein,« sagte ich mir, »wenn ich sie nun nicht vergesse!« doch sie behielt unverändert ihren Platz in meinem Herzen, was ich mir auch sagen mochte.

Ich sah alle Wunder der Kunst und Natur, die fremde Länder aufzuweisen hatten und lebte in dem blendenden Glanze der besten Gesellschaft, die sich in Paris, Rom und Wien vereinigt hatte. Ich verbrachte viele Stunden in Gesellschaft der schönsten Frauen Europas – und doch behielten diese einsame Gestalt an St. Antonios Brunnen und diese großen, grauen Augen, die mit so schwermütigem Ausdruck auf mir geruht hatten, ihren Platz in meiner Erinnerung unwandelbar fest und prägten unauslöschlich ihr Bild in mein Herz ein.

Ob ich dem Zauber, der mich gefangen hielt zu widerstehen versuchte, oder ob ich ihm folgte – ich sehnte mich stets nach ihr und versuchte mühsam meiner Mutter meinen Zustand zu verbergen. Ihre liebenden Augen entdeckten aber mein Geheimnis, sie sah mich leiden und litt mit mir. Sie sagte mir oftmals: »George, durch Reisen kommen wir nicht zum Ziel, lass uns heimkehren,« und mehr als einmal antwortete ich ihr mit der Entschlossenheit der Verzweiflung:

»Nein lass uns noch neue Menschen und neue Umgebungen aufsuchen.« Erst als ich sah, dass unter den fortdauernden Anstrengungen des Reisens ihre Kraft und Gesundheit litten, gab ich das hoffnungslose Jagen nach Vergessenheit auf und wir kehrten heim.

Ich vermochte meine Mutter, erst in meinem Hause in London auszuruhen, ehe sie sich nach ihrem Lieblingsaufenthalte, dem Landsitze in Portshire zurückbegab und natürlich blieb ich bei ihr in der Stadt. Meine Mutter war ja jetzt der einzige Gegenstand, der mir das Leben noch wert und teuer machte, denn weder Politik, noch Literatur oder Landwirtschaft, alles Dinge, die ja sonst einem Mann in meiner Lebensstellung von Interesse sind, hatten die geringste Anziehungskraft für mich.

Wir kamen in London, wie man zu sagen pflegt »auf der Höhe der Saison« an. Auf der Bühne erregte in dem Jahre eine Tänzerin durch ihre Anmut und Schönheit die ungeteilteste Bewunderung. In der Zeit, von der ich schreibe war nämlich das Ballett noch die Hauptunterhaltung für das Publikum. Wohin ich kam, fragte man mich, ob ich sie gesehen, bis meine Stellung in der Gesellschaft, als der Einzige, der gleichgültig gegen die Reize der herrschenden Gottheit war, gerade zu unerträglich wurde. So nahm ich denn die nächste Einladung in die Loge eines Freundes an und, ungern genug, ging ich in die Wogen der großen Welt, das heißt, ich ging in die große Oper.

Als wir das Theater betraten, war der erste Akt der Vorstellung vorbei und das Ballett hatte noch nicht begonnen. Während meine Freunde sich damit unterhielten, bekannte Gesichter in den Logen und Rängen zu entdecken, setzte ich mich auf einen Stuhl in die Ecke und wartete auf den Tanz. Meine Gedanken schweiften fern von dem Theater umher. Wie allen Damen, war auch der Dame neben mir die Nachbarschaft eines stummen Herrn unangenehm und sie war entschlossen, mich zur Sprache zu nötigen.

»Haben Sie je ein Theater so voll gesehen, Mr. Germaine,« sagte sie, »wie dieses Theater heute Abend ist?«

Sie reichte mir ihr Opernglas, während sie sprach und ich trat an die Logenbrüstung vor, um die Versammlung zu übersehen.

Es war ein schöner Anblick, jeder benutzbare Raum schien mir ausgefüllt, als ich allmälig mein Glas vom Fußboden bis zu der Decke des Theaters erhob. Höher und höher sehend, trat dann endlich die Galerie in meinen Gesichtskreis und selbst auf diese Entfernung brachte mir das vorzügliche Glas, welches mir in die Hand gesteckt war, die Gesichter der Zuschauer ganz deutlich nah. Zuerst sah ich die Personen, die sich in der ersten Sitzreihe der Logen auf der Galerie befanden.

Ich drehte mein Glas allmälig im Halbkreise der Sitze herum, bis ich ungefähr in der Mitte anhielt.

Mein Herz begann so mächtig zu schlagen, als wollte es mir aus der Brust springen, jenes Gesicht war unter den gewöhnlichen Gesichtern, die es umgaben, nicht zu verkennen,

ich hatte Frau van Brandt entdeckt. Sie saß vorne an – aber nicht allein. Ein Mann saß dicht hinter ihr, der sich zu ihr herüber neigte und mit ihr sprach. Sie hörte ihm, wie mir schien, mit müdem, traurigen Ausdruck zu. Wer aber war der Mann? War es möglich das zu ergründen? Jedenfalls wollte ich Frau van Brandt sprechen.

Der Vorhang hob sich zum Ballett, aber ich verließ unter dem bestmöglichen Vorwand meine Loge.

Es gelang mir nicht, Einlass zur Galerie zu erlangen, selbst mein Geld wurde zurückgewiesen, da nicht einmal ein Stehplatz auf der Galerie vorhanden war.

Es blieb mir nur die Möglichkeit, auf die Straße zurückzugeben und an der Ausgangstür der Galerie, wenn die Vorstellung vorüber war, Frau van Brandt zu erwarten.

Wer aber war ihr Begleiter, der Mann, der hinter ihr saß und sich zutraulich über ihre Schulter weg mit ihr unterhielt? Diese eine Frage nahm meine Gedanken beim Auf- und Abgehen vor der Tür so völlig ein, dass es mir endlich unerträglich wurde. Nur um den Mann noch einmal anzusehen, kehrte ich zur Loge meiner Freunde zurück.

Ich erinnere mich nicht mehr, wodurch ich mein seltsames Benehmen entschuldigte. Mit dem Opernglase der Dame bewaffnet, das ich nämlich ohne Gewissensbiss behielt, wendete ich, als Einziger in dieser großen Versammlung, der Bühne den Rücken und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die Plätze der Galerie.

Er saß ruhig auf seinem Platz hinter ihr, allem Anschein nach ganz in die Reize der schönen Tänzerin versunken, Frau van Brandt dagegen schien die Leistungen auf der Bühne wenig anziehend zu finden. Sie sah dem Tanze, soviel ich wahrnehmen konnte, ermüdet und zerstreut zu und als der Beifall in wahrhaft wahnsinnigen Zurufen und Händeklatschen losbrach, blieb sie vollständig gleichgültig für den Enthusiasmus, der das Theater erfüllte. Der Mann hinter ihr, wie mir schien, verstimmt durch ihre sichtliche Gleichgültigkeit für die Aufführung, berührte sie ungeduldig an der Schulter, als ob er fürchtete, dass sie auf ihrem Platz einschlafen könnte. Die Vertraulichkeit seines Benehmens, die in mir die Vermutung befestigte, dass er van Brandt sei, versetzte mich in solche Aufregung, dass ich etwas sagte oder tat, was einen der Herren in meiner Loge zu einer Zurechtweisung veranlasse. »Gehen Sie lieber hinaus,« flüsterte er, »wenn Sie sich nicht beherrschen können.« Da er mit dem Rechte eines alten Freundes zu mir sprach, war ich klug genug seinen Rat anzunehmen und auf meinen Posten an der Tür der Galerie zurückzukehren.

Kurz vor Mitternacht endete die Vorstellung und die Zuschauer strömten aus dem Theater.

Aus meiner stillen Ecke hinter der Tür beobachtete ich die Treppe zur Galerie und wartete auf sie. Nach einer, wie mir schien, endlosen Zeit, sah ich sie und ihren Begleiter die Treppe herunter kommen. Sie trug einen langen, dunklen Mantel, ein zierlicher Hut bedeckte ihren Kopf und erschien darauf als die kleidsamste Kopfbedeckung, die eine Frau tragen kann. Ich hörte den Mann in verdrießlichem Tone zu ihr sprechen, als sie an mir vorüber kamen.

»Dich in die Oper führen, heißt sein Geld wegwerfen,« sagte er.

»Ich bin nicht wohl,« antwortete sie mit gesenktem Kopf und niedergeschlagenen Augen. »Ich bin heute Abend so verstimmt.«

»Willst Du nach Hause fahren oder gehen?«

»Wenn es Dir recht ist, will ich gehen.«

Ich folgte ihnen, unbeobachtet, bis die Massen sich verlaufen hatten, dann wollte ich mich ihr zeigen. Nach wenigen Minuten bogen sie in eine Querstraße ein, ich beschleunigte meine Schritte, bis ich dicht neben ihr war, nahm dann den Hut ab und redete sie an.

Mit einem Ausruf des Erstaunens erkannte sie mich und für einen Augenblick erleuchtete ihr Gesicht der lieblichste Ausdruck der Freude, den ich je auf einem menschlichen Antlitz sah – im nächsten Augenblick war Alles vorbei! Die reizenden Züge wurden wieder düster und hart, sie stand vor mir, als wäre sie schuldbeladen und sprach kein Wort, nahm selbst nicht meine dargereichte Hand.

Ihr Begleiter brach das Schweigen.

»Wer ist der Herr?« fragte er, mit ausländischem Akzent und einer gewissen Unverschämtheit in Ton und Gebärde.

Im Augenblick, als er sie anredete, überwand sie sich und antwortete: »Es ist Mr. Germaine, ein Herr, der in Schottland sehr gütig gegen mich war.« Sie schlug einen Moment lang ihre Augen zu mir auf und nahm ihre Zuflucht zu einer förmlichen, höflichen Frage nach meinem Befinden. »Ich hoffe es geht Ihnen gut, Mr. Germaine,« sagte die weiche, süße Stimme immer bebend.

 

Ich gab die gewöhnliche Antwort und erklärte, dass ich sie in der Oper gesehen hätte. »Leben Sie in London?« fragte ich, »und kann ich die Ehre haben Ihnen meine Aufwartung zu machen?«

Ehe sie sprechen konnte, antwortete ihr Begleiter für sie:

»Meine Frau dankt Ihnen für die Ehre, die Sie ihr erweisen wollen, mein Herr, sie empfängt aber keinen Besuch. Wir beide wünschen Ihnen eine gute Nacht!«

Bei diesen Worten nahm er den Hut mit spöttischer Verbindlichkeit ab und zwang sie, ihren Arm fest haltend, ohne Aufenthalt mit ihm weiter zu gehen. In der festen Überzeugung, die ich nun gewonnen hatte, dass der Mann kein Anderer als van Brandt war, stand ich im Begriff ihm eine scharfe Antwort zu geben, die Frau van Brandt aber sogleich abschnitt.

»Um meinetwillen!« flüsterte sie mir zu und ihr flehender Blick brachte mich sofort zum Schweigen. Es lag ja allerdings ganz in ihrem freien Willen zu dem Mann zurückzukehren, der sie so abscheulich betrogen und verlassen hatte oder nicht. Ich verneigte mich und ging. Das Gefühl der Demütigung, dass ich der Nebenbuhler von Herrn van Brandt war, erfüllte mich mit grenzenloser Bitterkeit.

Ich ging auf die andere Seite der Straße, aber ehe ich drei Schritte weit gegangen war, bemächtigte sich der alte Zauber, den sie auf mich ausübte, wieder meiner und, ohne mich zur Selbstbeherrschung zu zwingen, entschloss ich mich, mich zum Spion zu erniedrigen und ihnen nach ihrer Wohnung zu folgen. Das gelang mir denn auch, da ich vorsichtig auf der andern Seite der Straße hinter ihnen her ging und so ihre Haustür erreichte, ich verzeichnete Straße und Nummer genau in mein Notizbuch.

Niemand, der diese Zeilen liest, kann mich härter beurteilen, als ich selbst es tat. Wie durfte ich eine Frau lieben, die mir absichtlich einen Schurken vorzog, der sie heiratete, während er schon mit einer andern Frau getraut war und doch trotzdem ich Alles das wusste, liebte ich sie mit derselben Innigkeit! Es war unglaublich und entsetzlich – aber es war wahr! Zum ersten Male in meinem Leben nahm ich meine Zuflucht zum Wein, um das Gefühl meiner Erniedrigung zu vergessen. Ich ging nach meinem Club, wo ich mich einer heiteren Abendgesellschaft zugesellte und vergeblich den Champagner Glas auf Glas herunter goss, denn meine Stimmung erheiterte sich dennoch nicht und es gelang mir nicht, auch nur für einen Augenblick das Bewusstsein meiner verächtlichen Handlungsweise loszuwerden. Verzweifelt ging ich zu Bett und in der schlaflosen Nacht, verfluchte ich jenen verhängnisvollen Abend, wo ich ihr zum ersten Male am Ufer des Flusses begegnete. Wie ich sie aber auch schmähen mochte, wie tief ich mich selbst verachtete, ich liebte sie trotz alledem!

Unter den Briefen, die ich am andern Morgen auf meinem Tische fand, waren zwei, die in der Erzählung erwähnt werden müssen.

Die Handschrift auf dem Einen hatte ich schon einmal in dem Hotel in Edinburgh gesehen, die Schreiberin war Frau van Brandt.

»Um meinetwillen,« so lautete der Brief, »machen Sie keinen Versuch weiter, mich zu sehen und schlagen Sie die Einladung aus, die Sie, wie ich fürchte, mit diesen Zeilen zugleich erhalten werden. Ich bin für mein Leben entehrt und Ihrer Beachtung nicht mehr würdig, Sie sind es sich selbst schuldig, mein Herr, ein elendes Weib zu vergessen, das Ihnen heute zum letzten Male schreibt und Ihnen voll Dankgefühl ein letztes Lebewohl sendet.«

Diese traurigen Worte waren nur mit Buchstaben unterzeichnet und befestigten in mir, was ich wohl kaum zu sagen brauche, den Entschluss sie auf jeden Fall wiederzusehen. Als ich das Papier geküsst hatte, das ihre Hand berührt, las ich den zweiten Brief, der richtig die oben erwähnte »Einladung« enthielt und also lautete:

»Indem Herr van Brandt Mr. Germaine seine Hochachtung bezeigt, erbittet er sich seine Verzeihung für die etwas schroffe Weise, in der er Mr. Germaines höfliches Entgegenkommen, erwiderte. Da Herr van Brandt stets an nervöser Reizbarkeit leidet und gerade gestern Abend besonders unwohl war, hofft er, dass Mr. Germaine diese aufrichtige Entschuldigung in dem Sinne auffassen wird, wie sie niedergeschrieben ist und erlaubt sich hinzuzufügen, dass Frau van Brandt sich glücklich schätzen wird, Mr. Germaine zu empfangen, sobald es ihm belieben wird, bei ihr vorzusprechen.«

Nachdem ich die beiden Briefe gelesen hatte, stand die Überzeugung in mir fest, dass Herr van Brandt, als er dieses unverschämte Schriftstück an mich verfasste, irgendeinem schmutzigen eigennützigen Zwecke diente und dass die unglückliche Frau, die seinen Namen trug, über sein Vorhaben tief beschämt sein musste. Der natürliche Argwohn, den ich gegen diesen Mann und seine Zwecke empfand, brachte mich unverzüglich zum Entschluss, welchen Weg ich ihm gegenüber einzuschlagen hatte und ich war sogar erfreut, dass Herr van Brandt selbst mir ein Wiedersehen mit seiner Frau ermöglichte, mochten seine Beweggründe nun sein, welche sie wollten.

Bis Mittag wartete ich geduldig zu Hause, dann aber war es mir unmöglich länger auszuhalten; indem ich für meine Mutter, der zu begegnen mich doch mein natürliches Schamgefühl verhinderte, eine Entschuldigung zurück ließ, eilte ich davon um gleich von meiner Einladung an demselben Tage, wo ich sie erhielt, Gebrauch zu machen.

Vierzehntes Kapitel
Frau van Brandt in ihrer Häuslichkeit

Als ich meine Hand nach der Hausklingel ausstreckte, wurde die Tür von innen geöffnet und niemand Geringeres, als Herr van Brandt selbst, stand vor mir! Er hatte den Hut auf dem Kopfe und war entschieden eben im Begriff auszugehen.

»Wie gütig von Ihnen, mein Herr, Sie beantworten meinen Brief auf die liebenswürdigste Weise, indem Sie selbst erscheinen. Sie finden Frau van Brandt zu Hause und sie wird außerordentlich erfreut sein. Bitte treten Sie näher!«

Er öffnete die Tür eines Zimmers im Erdgeschoss. Seine Höflichkeit war, wo möglich, noch beleidigender als seine Unverschämtheit.

»Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Germaine!« Er ging und öffnete die Tür, aus der er mit lauter, sicherer Stimme die Treppe herauf rief:

»Mary komm sofort herunter!«

Also »Mary!« So musste ich durch Brandt endlich ihren Taufnamen erfahren. aber ich kann nicht beschreiben, wie er mir, von seinen Lippen gesprochen, die Ohren zerriss. Zum ersten Male seit langen Jahren kehrte meine Erinnerung zu Mary Dermody und der Grünwasserfläche zurück, Ich hörte aber schon Frau van Brandts Kleider auf der Treppe tauschen und bei diesem Tone waren die alten Zeiten und die alten Gestalten so gänzlich aus meinem Gedächtnis verschwunden, als hätten sie nie darin gelebt. Was hatte sie denn mit ihrer Namensschwester aus alten Zeiten, mit dem zarten, schüchternen, kleinen Mädchen gemein? Wie konnte das düstere Wohnhaus in London mich an des Vogtes blumenumduftetes Häuschen am Ufer des Sees erinnern? Van Brandt nahm den Hut ab und verbeugte sich mit niedriger Unterwürfigkeit vor mir.

»Mich erwartet eine unaufschiebbare Geschäftsangelegenheit« sagte er, »bitte, entschuldigen Sie mich. Frau van Brandt wird Sie empfangen. Guten Morgen.«

Die Haustür wurde geöffnet und geschlossen, das Rauschen ihres Kleides kam immer näher, bis sie vor mir stand.

»Mr. Germaine!« rief sie aus und trat zurück, als ob sie schon bei meinem bloßen Anblick zurückgestoßen wurde. »Ist es ehrenwert, ist es Ihrer würdig, dass Sie mich verleiten lassen, Sie zu empfangen und Herrn van Brandt dabei zu ihrem Mitschuldigen machen? O, mein Herr, ich hatte mich daran gewöhnt zu Ihnen, als zu einem edlen Manne empor zu sehen und wie bitter haben Sie mich enttäuscht!«

Ich beachtete ihre Vorwürfe nicht, denn sie erhöhten nur ihre Farbe und steigerten dadurch das Entzücken sie anzuschauen.

»Wenn Sie mich so treu liebten, wie ich Sie liebe,« sagte ich, »so würden Sie begreifen, weshalb ich hier bin. Ich scheue kein Opfer um Sie nach zweijähriger Trennung endlich wiederzusehen.«

Sie neigte sich zu mir und richtete ihre Augen tief forschend auf mein Gesicht.

»Es muss hier ein Irrtum obwalten,« sagte sie, »Sie können meinen Brief unmöglich erhalten haben oder haben Sie ihn nicht gelesen?«

»Ich erhielt und las ihn.«

«Und van Brandts Brief auch, haben Sie den auch gelesen?«

»Ja.«

Sie setzte sich an den Tisch und ihre Arme darauf stützend, bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen. Es schien, als ob meine Antwort sie schmerzte und in Erstaunen versetzte. »Sind denn alle Männer gleich?« hörte ich sie sagen, »ich hoffte, dass er fühlen würde, was seine Pflicht gegen sich selbst war und was ihm das Mitleid für mich gebot.«

Ich schloss die Tür und setzte mich zu ihr. Als sie meine Nähe fühlte, nahm sie die Hände vom Gesicht und sah mich mit kaltem Erstaunen an.

»Was beabsichtigen Sie nun ?« fragte sie.

»Ich werde versuchen mir Ihre Achtung wiederzugewinnen,« sagte ich. »Ich werde zuerst Ihr Mitleid für einen Mann anrufen, dessen ganzes Herz Ihnen gehört, dessen Leben in Ihnen aufgeht!«

Sie sprang auf und sah sich ungläubig an, als zweifle sie, ob sie meine letzten Worte richtig gehört und richtig verstanden habe. Ehe ich weiter sprechen konnte, trat sie vor mich hin und schlug mit ihrer geöffneten Hand mit einer so leidenschaftlichen Entschlossenheit auf den Tisch, wie ich sie nie zuvor von ihr gesehen hatte.

»Halten Sie ein!« rief sie. »Diese Sache muss und wird ein Ende nehmen. Wissen Sie denn, wer der Mann ist, der eben das Haus verlassen hat? Antworten Sie mir, Mr. Germaine. ich spreche im vollen Ernst.« Es blieb mir keine Wahl als zu antworten, denn sie sprach in der Tat im Ernst – im furchtbaren Ernst.

»Aus seinem Briefe ersehe ich,« sprach ich, »dass er Herr van Brandt ist.«

Sie setzte sich und wendete das Gesicht von mir ab.

»Wissen Sie warum er Ihnen schrieb?« fragte sie. »Warum er Sie hierher einlud?«

Ich gedachte des Argwohns, der mich beschlich, als ich van Brandts Brief las und schwieg.

»Sie zwingen mich, Ihnen die Wahrheit zu sagen,« fuhr sie fort. »Gestern Abend beim Nachhausegehn fragte er mich, was Sie wären. Da ich wusste, dass Sie ein reicher Mann sind und er Geld braucht, sagte ich ihm, dass ich gar nichts über Ihre Lebensverhältnisse wüsste, aber er ist zu schlau, um mir zu glauben und ging sofort in ein Restaurant, um in einem Adresskalender nachzusehn. Als er zurückkam, sagte er: »Mr. Germaine hat ein Haus in Berkeley Square und einen Landsitz in den Hochlanden. Ein armer Teufel wie ich darf solchen Mann nicht beleidigen, ich beabsichtige ihn mir zum Freunde zu machen und erwarte ein Gleiches von Dir.« Damit setzte er sich hin und schrieb Ihnen. Wissen Sie denn, Mr. Germaine, dass ich nur unter dem Schutze dieses Mannes lebe, seine Frau ist nicht tot, wie Sie wohl voraussehen mögen, sie lebt und ich weiß, dass sie lebt. Ich schrieb Ihnen, dass ich Ihrer Teilnahme nicht mehr wert wäre, nun zwingen Sie mich Ihnen zu sagen, warum. Bin ich nun vor Ihnen genugsam erniedrigt, um Sie wieder zur Besinnung zu bringen?«

Ich rückte näher zu ihr heran. Sie wollte aufstehen, um mich zu verlassen, aber da ich meine Macht über sie kannte, bediente ich mich ihrer ohne Bedenken, wie es wohl jeder an meiner Stelle getan hätte.

»Ich glaube nicht, dass Sie sich freiwillig erniedrigt haben,« sagte ich. »Sie sind zu Ihrer jetzigen Stellung gezwungen worden und verschweigen mir absichtlich die Entschuldigungsgründe. Dennoch werden Sie mich nie überzeugen, dass Sie eine Unwürdige sind! Glauben Sie, dass ich Sie lieben würde, wie ich Sie liebe, wenn Sie meiner wirklich unwert wären?«

Sie versuchte mir ihre Hand zu entziehen, aber ich hielt sie fest, so beschloss sie denn den Gegenstand des Gesprächs zu wechseln und sagte mit schwachem, erzwungenem Lächeln:

»Eines müssen Sie mir noch sagen, haben Sie meine Erscheinung je wiedergesehen, seit ich Sie verließ?«

»Nein. Haben Sie mich je wieder so gesehn, wie Sie mich im Gasthause in Edinburgh sahen?«

»Niemals. Unsere gegenseitigen Erscheinungen sind verschwunden, können Sie sich einen Grund dafür denken?«

Hätten wir diesen Gegenstand weiter verfolgt, so hätte er unbedingt zu unserer Erkennung führen müssen, aber wir ließen ihn fallen. Statt ihre Frage zu beantworten, zog ich sie näher an mich und kehrte zu dem verbotenen Thema von meiner Liebe zurück.

»Sehen Sie mich an,« bat ich, »und seien Sie aufrichtig. Können Sie mich sehn, mich hören und finden Sie in Ihrem Herzen keine sympathische Regung für mich? Bin ich Ihnen ganz gleichgültig und haben Sie, seit wir uns trennten, wirklich niemals meiner gedacht?«

Ich sprach, wie ich empfand, inbrünstig, leidenschaftlich. Sie machte einen letzten Versuch mich. von sich zu stoßen, während dessen sie aber schon selbst nachgab. Sie drückte meine Hand und ein leiser Seufzer entfloh ihren Lippen, als sie sich plötzlich von der Rückhaltung, die sie bis jetzt beobachtet hatte frei machte und mir mit voller Hingebung antwortete:

 

»Ich gedenke immer Ihrer, so auch gestern Abend in der Oper und mein Herz jauchzte auf, als ich Ihre Stimme auf der Straße vernahm.«

»So lieben Sie mich?« flüsterte ich.

»Ob ich Sie liebe?« wiederholte sie. »Gegen meinen eigenen Willen gehört Ihnen mein ganzes Herz. Ich liebe Sie, ob ich gleich erniedrigt und Ihrer unwert bin, ob ich gleich weiß, dass ich keinerlei Hoffnung habe, dennoch liebe ich Sie!«

Sie schlang ihre Arme um meinen Hals und zog mich mit aller Kraft an sich, dann sank sie auf ihre Knie.

»Ach, führen Sie mich nicht in Versuchung!« sprach sie. »Haben Sie Erbarmen mit mir!«

Ich war außer mir und sprach eben so rückhaltlos, wie sie zu mir gesprochen hatte.

»So beweisen Sie mir, dass Sie mich lieben,« sagte ich, »indem Sie mir gestatten Sie von dem erniedrigenden Leben mit diesem Manne zu erretten. Verlassen Sie ihn und folgen Sie mir, verlassen Sie ihn auf immer und suchen Sie an meiner Seite eine bessere Zukunft, die Ihrer würdig ist – die Zukunft, mein Weib zu sein.«

»Niemals!« sagte sie, sich zu meinen Füßen niederkauernd.

»Warum nicht? Was behindert Sie?«

»Das kann und darf ich Ihnen nicht sagen.«

»Wollen Sie es mir schreiben?«

»Nein, Ihnen kann ich es auch nicht schreiben. Gehen Sie, ich flehe Sie an, ehe van Brandt heimkehrt, gehen Sie, wenn Sie Liebe, wenn Sie Mitleid für mich fühlen.«

Sie hatte meine Eifersucht erregt und ich verweigerte Sie zu verlassen.

»Ich fordre von Ihnen zu wissen, was Sie an diesen Mann fesselt,« sagte ich. »Lassen Sie ihn kommen! Wenn Sie mir diese Frage nicht beantworten wollen, werde ich sie ihm vorlegen.«

Sie sah mich wild an und stieß einen Schrei des Entsetzens aus, als sie meinen unwandelbaren Entschluss auf meinem Gesichte las.

»So lassen Sie mich nachdenken,« sagte sie, »aber erschrecken Sie mich nicht!«

Als sie einen Augenblick nachgedacht, erhellten sich ihre Augen, als hätte sie einen neuen Ausweg aus diesen Verwickelungen gefunden.

»Lebt Ihre Mutter noch?« fragte sie.

»Ja.«

»Würde sie u mir kommen?«

»Wenn ich sie darum bitte, gewiss.«

Sie überlegte wiederum und sagte dann nachdenklich: »dann will ich Ihrer Mutter das Hindernis nennen.«

»Wann?«

,Morgen um diese Zeit.«

Sie erhob sich von den Knien und Tränen standen in ihren Augen. Indem sie mich sanft an sich zog, flüsterte sie: »Küssen Sie mich, denn wir werden uns nie wiedersehn, küssen Sie mich zum letzten Male.«

Kaum hatten meine Lippen die ihren berührt, als sie aufsprang und meinen Hut von dem Stuhle nahm, auf den ich ihn gestellt hatte.

»Er kommt,« sagte sie, »nehmen Sie Ihren Hut.«

Mein schwächerer Gehöressinn hatte nichts wahrgenommen, aber um sie zu beruhigen, stand ich auf und nahm meinen Hut zur Hand. In demselben Augenblicke wurde die Tür schnell und leise geöffnet und Herr van Brandt trat ein. Die Enttäuschung in seinen Zügen sagte mir deutlich, dass er uns aus irgendeinem niedrigen Grunde zu überraschen hoffte und dass seine Absicht fehlgeschlagen war.

»Sie werden doch jetzt nicht aufbrechen?« sagte er und heftete seine Augen auf seine Frau, während er mit mir sprach. »Ich habe mein Geschäft möglichst beschleunigt, um Sie noch hier zu finden und zu bitten mit uns zu frühstücken. So legen Sie Ihren Hut doch ab, Mr. Germaine, und machen Sie keine Umstände.«

»Sie sind sehr gütig,« erwiderte ich, »aber ich muss Sie und Frau van Brandt bitten, mich für heute zu entschuldigen, meine Zeit ist grade sehr gemessen.«

Ich verabschiedete mich von ihr, während ich sprach, sie erblasste, als ich ihr die Hand gab. Hatte sie, wenn ich den Rücken kehrte, irgend eine Misshandlung von van Brandt zu fürchten? Der Gedanke machte mein Blut gerinnen, aber ich gedachte ihrer und sagte mir, dass es für sie das Weiseste und Sicherste war, wenn ich ihren Mann für mich gewann, ehe ich ging. Darum sagte ich, als wir zur Tür gingen: »Ich bedaure sehr Ihre Einladung nicht annehmen zu können, vielleicht gestatten Sie mir ein andres Mal Ihr Gast zu sein?«

Er blinzelte schlau mit den Augen und fragte: »Was meinen Sie zu einem kleinen, einfachen Mittagsmahl mit uns? Nichts als ein Stück Hammelbraten und eine Flasche guten Weines. Ich lade nur noch einen alten Freund dazu ein, damit wir unserer Vier sind, und am Abend einen Rubber Whist spielen können; Sie als Marys Partner – wie? Wann wollen Sie kommen, wollen wir gleich übermorgen bestimmen? Sie war mit bis an die Tür gekommen und stand hinter van Brandt. Als er des »alten Freundes« und des »Rubbers Whist« erwähnte, drückten ihre Züge Scham und Widerwillen aus. Erst als sie hörte, dass er den Tag der Gesellschaft als auf »übermorgen« festsetzte, wurden ihre Züge ruhiger, als wenn sie sich erheblich erleichtert fühlte. Was bedeutete das? »Auf morgen« hatte sie sich den Besuch meiner Mutter erbeten, glaubte sie wirklich, dass ich nie wieder ihr Haus betreten und jeden Versuch sie wiederzusehn aufgeben würde, wenn ich erfuhr, was sie meiner Mutter zu sagen hatte. Fühlte sie sich deshalb erleichtert, als sie hörte, dass die Mittagsgesellschaft erst am Tage darauf stattfinden sollte?

Ich nahm die Einladung an und verließ das Haus, indem ich diese Frage in mir bewegte. Ihr Abschiedskuss, die sichtliche Erleichterung, die sie empfand, als die Gesellschaft auf übermorgen festgesetzt war, das Alles bedrückte mich und ich hätte gern zwölf Jahre meines Lebens darum hin gegeben, hätte ich die nächsten zwölf Stunden damit auslösen können.

In diesem Gemütszustande langte ich zu Hause an und suchte meine Mutter in ihrem Wohnzimmer auf.

»Veranlasste Dich das schöne Wetter früher als gewöhnlich auszugehn, mein lieber Sohn?« sagte sie. Als sie mich aber nach einer Pause näher betrachtete, rief sie erschreckt aus: »George! Was ist Dir zugestoßen? Wo warst Du?«

Ich erzählte ihr Alles eben so aufrichtig, wie ich es hier getan habe.

Das Blut stieg ihr ins Gesicht und sie sprach mit einer Strenge zu mir, die ich gar nicht von ihr gewohnt war.

»Muss ich Dich zum ersten Male in Deinem Leben darauf aufmerksam machen, was Du Deiner Mutter schuldig bist?« fragte sie. »Kannst Du wirklich von mir verlangen, dass ich eine Frau besuche, die nach ihrem eigenen Geständnis -«

»Ich ersuche Dich eine Frau zu besuchen, die es nur ein Wort kostete um Deine Schwiegertochter zu werden,« unterbrach ich sie. »Sei überzeugt, dass ich nichts von Dir fordern würde, was unter Deiner Würde ist.«

Meine Mutter blickte erschrocken zu mir auf.

»Du willst doch damit nicht sagen, dass Du ihr einen Heiratsantrag gemacht hast, George?«

»Ja .«

»Und sie hat ihn abgelehnt?«

»Sie lehnt ihn ab, weil irgend ein Hindernis im Wege steht, das ich mich vergeblich von ihr zu erfahren bemühte. Dir nur will sie es anvertrauen.«

Der Ernst der Sachlage zwang meine Mutter nachzugeben. Indem sie mir das kleine Täfelchen von Elfenbein reichte, auf dem sie ihre geselligen Verpflichtungen zu notieren pflegte, sagte sie: »Schreibe den Namen und die Adresse hierauf.«

»Ich werde Dich begleiten,« antwortete ich, »und vor der Türe im Wagen warten, denn ich muss im Augenblick, wo Deine Zusammenkunft mit Frau van Brandt beendet ist, das Resultat hören.«

»Ist die Sache so ernst, George?«

»Ja, Mutter, sie ist sehr ernst.«