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VI
Mr. Loscombe an Mrs. Noël Vanstone

Lincoln’s Inn-Fields,
den 6. Mai.
Hochgeehrte Frau

Ich habe unerwarteterweise einige Nachrichten erhalten, welche von der höchsten Wichtigkeit für Ihre Interessen sind. Die Nachricht von Admiral Bartrams Tode traf heute bei mir ein. Er verschied in seinem Hause am Vierten dieses Monats.

Dies Ereigniß bringt sofort die Erwägungen zur Geltung, die ich Ihnen früher betreffs Ihrer Entdeckungen auf St. Crux vorgelegt hatte. Das klügste Verfahren, das wir nunmehr befolgen können, ist, sofort mit den Testamentsvollstreckern des verstorbenen Herrn in Briefwechsel zu treten, indem wir uns zuerst durch Vermittlung des Rechtsbeistandes des Admirals an sie wenden.

Ich habe heute an den in Frage kommenden Anwalt geschrieben. Mein Brief benachrichtigt ihn einfach, daß wir vor Kurzem von dem Vorhandensein eines Geheimartikels in Kenntniß gesetzt worden seien, der dem verstorbenen Herrn im Gebrauche des ihm durch Mr. Noël Vanstone’s Testament vermachten Vemögens die Hände gebunden habe. Mein Brief nimmt an, daß das Papier unter den Briefschaften des Admirals leicht aufgefunden werden könne, und erwähnt, daß ich der von Mrs. Noël Vanstone zugezogene Rechtsanwalt bin, welcher Mittheilungen an sie in Empfang zu nehmen habe. Meine Absicht dabei ist, daß nunmehr nach dem Geheimartikel für den nur zu wahrscheinlichen Fall, daß die Testamentsvollstrecker denselben noch nicht vorgefunden haben, eine Nachsuchung vorgenommen werde, und zwar ehe die gewöhnlichen Maßregeln getroffen werden, um das Vermögen des Admirals zu verwalten. Wir werden mit gerichtlichen Maßregeln drohen, wenn wir finden, daß wir unsere Absicht nicht erreichen. Allein ich setze nicht voraus, daß es dazu kommen wird. Admiral Bartrams Testamentsvollstrecker müssen Männer von hoher Stellung und Geburt sein, und sie werden Ihnen und sich selber in der Sache nur nützen, wenn sie den Artikel suchen.

Unter diesen Umständen werden Sie natürlich fragen: – was sind unsere Aussichten, wenn die Urkunde aufgefunden wird?

Unsere Aussichten haben eine Licht- und eine Schattenseite. Lassen Sie uns einmal zuerst die Lichtseite vornehmen.

Was wissen wir in diesem Augenblicke?

Wir wissen einmal, daß der Geheimartikel in Wirklichkeit vorhanden ist, zweitens, daß ein Vorbehalt darin ist bezüglich der Verheirathung Mr. George Bartrams in einer gegebenen Frist. Drittens, daß die Frist – sechs Monate vom Todestage Ihres Gatten— am Dritten dieses Monats abgelaufen. Viertens, daß Mr. George Bartram – wie ich in Ermangelung jeder sichern Mittheilung ans Ihrem Munde durch Nachforschungen herausbekommen habe, im gegenwärtigen Augenblicke noch unverheirathet ist. Es folgt daraus der Schluß: daß der im Geheimartikel vorgesehene Zweck in diesem Falle vereitelt ist.

Wenn keine anderen Vorkehrungen in dem Testamente getroffen sind, oder, sollten sie auch wirklich darin getroffen sein, sich als schließlich vereitelt erweisen, so halte ich es für unmöglich – namentlich wenn ein Beweismittel dafür erbracht werden kann, daß der Admiral selbst das Testament als bindend für sich erklärt hat, ich halte es für unmöglich, sage ich, daß die Testamentsvollstrecker über Ihres Gatten Vermögen dergestalt verfügen können, als wenn es vor dem Gesetze ein Theil von Admiral Bartrams Nachlaßmasse wäre. Das Vermächtniß ist ausdrücklich ihm hinterlassen worden unter dem Vermerk, daß er es zu gewissen bestimmten Zwecken verwende, und diese Zwecke sind eben vereitelt worden. Was soll nun mit dem Gelde geschehen? Es war dem Admiral selbst nicht vermacht, wie der Erblasser selbst deutlich erklärt hat, und der Zweck, zu welchem es hinterlassen wurde, ist nicht aufgeführt worden, kann nicht aufgeführt werden. Ich glaube – wenn der hier vorausgesetzte Umstand wirklich eintritt, – daß das Geld wieder an den Erblasser zurückfällt. In diesem Falle theilt es das Gesetz, das sich desselben nothwendigerweise annimmt, in zwei gleiche heile. Die eine fällt an Mr. Noël Vanstone’s kinderlose Wittwe, in die andere Hälfte theilt sich Mr. Noël Vanstone’s nächste Verwandtschaft.

Sie werden ohne Zweifel das naheliegende Hinderniß eines Ausganges zu unseren Gunsten selbst herausfinden, wie ich denselben hier dargestellt habe. Sie werden sehen, daß der Ausgang zu seiner Verwirklichung nicht einer, sondern einer Kette von Fügungen bedarf, welche gerade so kommen müssen, wie wir sie uns selbst wünschen. Ich gebe die Stärke dieser Hindernisse gern zu, aber ich kann Ihnen zugleich sagen, daß jene eben erwähnten Fügungen durchaus nicht so unwahrscheinlich sind, als sie auf den ersten Anblick scheinen möchten.

Wir haben allen Grund, zu glauben, daß der Geheimartikel eben sowenig, als das Testament selbst aus der Feder eines ordentlichen Rechtsanwalts erflossen ist. Dies ist ein Umstand zu unseren Gunsten, das ist an sich genug, um die Richtigkeit aller oder mehrerer Punkte zu bezweifeln, die wir vielleicht noch nicht kennen. Eine andere Aussicht, auf die wir rechnen können, findet sich, vermuthe ich, in einer seltsamen Handschrift, die unter der Unterschrift der dritten Seite des Briefes stand, die Sie sahen, die Sie aber unglücklicherweise versäumten zu lesen. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind diese Zeilen von Admiral Bartram, und die Stelle, welche sie einnahmen, hängt gewiß mit der Annahme zusammen, daß sie die wichtige Frage berühren, ob er sich selbst durch den Geheimartikel für gebunden erachtet.

Ich will durchaus nicht falsche Hoffnungen in Ihnen erwecken, ich möchte nur Ihnen den Eindruck verschaffen, daß wir einen Rechtsstreit vor uns haben, der sich wohl der Mühe verlohnt.

Was die Schattenseite der Aussicht betrifft, so brauche ich nicht besonders dabei zu verweilen. Nach dem, was ich bereits geschrieben habe, werden Sie begreifen, daß der Beweis einer haltbaren Bedingung in dem Testamente, die wir nicht kennen, die aber der Admiral in aller Form zur Ausführung gebracht hat, oder welche von seinen Stellvertretern noch jetzt ausgeführt werden kann, für unsere Hoffnungen allerdings ein harter Schlag sein würde. Das Vermächtniß würde in diesem Falle nun zu dem von Ihrem Gatten ausgedachten Zwecke oder zu mehr Zwecken verwendet werden, und von dem Augenblicke an würden Sie keinen Anspruch weiter haben.

Ich habe nur noch hinzuzufügen, daß, so bald ich von des verstorbenen Admirals Sachwalter höre, Sie das Ergebniß erfahren sollen.

Genehmigen Sie, verehrte Frau, die Versicherung meiner treuesten Ergebenheit als

Ihr gehorsamer

John Loscombe.

VII
George Bartram an Miss Garth

St. Crux,
den 15. Mai.
Liebe Miss Garth

Ich muß Sie mit einem weiteren Briefe behelligen, einestheils, um Ihnen für den freundlichen Ausdruck Ihrer Theilnahme gegen mich bei dem Verluste, der mich betroffen hat, zu danken, anderntheils, um Sie von einem auffallenden Ersuchen, das an meines Oheims Testamentsvollstrecker gestellt wurde, in Kenntniß zu setzen, eines Ersuchens, welches Sie und Miss Vanstone vielleicht Beide gleichmäßig anziehen wird, da Mrs. Noël Vanstone damit in unmittelbarem Zusammenhange steht.

Da ich meine Unkenntniß in allen Rechtssachen nur zu wohl selber kenne, so lege ich eine Abschrift des Ersuchens bei, anstatt zu versuchen, dasselbe zu umschreiben. Sie werden es auffallend finden, daß über die Art und Weise, auf welche die beregte Entdeckung von einem der Geheimnisse meines Oheims, von Personen, die ihm ganz fern stehen, gemacht worden ist.

Als die Testamentsvollstrecker mit den Umständen bekannt gemacht wurden, wandten sie sich an mich. Ich konnte ihnen keine sichere Aufklärung geben, denn mein Oheim zog mich in Geschäftssachen nie zu Rathe. Allein ich hielt es für Ehrensache, ihnen zu sagen, daß der Admiral während der letzten sechs Monate seines Lebens gelegentlich Ausdrücke der Ungeduld in meinem Beisein habe fallen lassen, die mich zu der Annahme berechtigten, daß er durch eine geheime Sorge irgend einer Art gequält werde. Ich erwähnte auch, daß er mir eine sehr seltsame Bedingung auferlegt habe, eine Bedingung, welche trotz seiner Versicherungen des Gegentheils nach meiner Ueberzeugung nicht aus seinem Kopfe kam. Ich sollte nämlich in einer gegebenen Frist, die nunmehr abgelaufen ist, heirathen, wenn ich nicht einer gewissen Summe Geldes verlustig gehen wollte, welche, wie ich glaube, dem Betrage nach der ihm in meines Cousins Testament vermachten Summe gleich ist. Die Testamentsvollstrecker waren mit mir eins darüber, daß diese Umstände einer sonst unglaublichen Geschichte einige Wahrscheinlichkeit verliehen, und entschieden sich, daß eine Nachsuchung nach dem Geheimartikel angestellt werden sollte, da bis dahin Nichts, was einem solchen Artikel ähnlich sähe, unter den Papieren meines Oheims aufgefunden worden wäre.

Die Nachforschung, keine Kleinigkeit in einem Hause wie dieses, ist jetzt bereits seit einer Woche im vollsten Gange. Sie wird von beiden Testamentsvollstreckern und dem Sachwalter meines Oheims geleitet, welcher Letztere ebenso persönlich als seinem Berufe nach mit Mr. Loscombe bekannt ist (Mrs. Noël Vanstone’s Advocat), und welcher auf ausdrückliches Ersuchen von Mr. Loscombe selbst zu diesem Geschäft zugezogen worden ist. Bis zu dieser Stunde ist gar noch Nichts aufgefunden worden. Tausende und aber Tausende von Briefen sind durchgesehen worden, und keiner derselben hat die entfernteste Aehnlichkeit mit einem solchen Briefe, wie wir ihn suchen.

Eine Woche noch, dann werden wir mit dem Suchen zu Ende sein. Nur auf mein ausdrückliches Begehren wird überhaupt die Untersuchung so weit ausgedehnt. Allein da die Großmuth des Admirals mich zum alleinigen Erben von seiner ganzen Verlassenschaft gemacht hat, so sehe ich es als meine Schuldigkeit an, den Interessen Anderer, so feindlich sie auch meinen eigenen Interessen sein mögen, vollkommen gerecht zu werden.

 

Von dieser Ansicht geleitet, habe ich auch nicht gezögert, dem Advocaten eine angeborene Eigenthümlichkeit meines armen Oheims zu offenbaren, welche wir auf sein ausdrückliches Ersuchen allezeit geheim gehalten haben, ich meine seine Anlage zum Nachtwandeln. Ich theilte mit, daß er ungefähr die Woche vor seinem Tode von der Haushälterin und seinem alten Diener nachtwandelnd betroffen worden sei und daß der Theil des Hauses, in dem er gesehen wurde, und der Schlüsselbund, den er in Händen trug, auf die Vermuthung geführt habe, da er damals von einem der Zimmer im östlichen Flügel kam und daß er vielleicht einige Möbel in einem derselben aufgeschlossen habe. Ich überraschte den Advocaten, welcher mit den außerordentlichen von Nachtwandlern ausgeführten Handlungen gänzlich unbekannt zu sein schien, durch die Mittheilung, daß mein Oheim sich im Hause zurecht finden konnte, Thüren auf- und zuschloß, Gegenstände aller Art von einem Platze an einen andern legte, ganz ebenso gut im Schlafe, wie im wachenden Zustande. Und ich erklärte, daß, so lange ich bei mir den leisesten Zweifel hegte, ob er in der fraglichen Nacht nicht von dem Geheimartikel geträumt und seinen Traum ausgeführt habe, ich nicht eher ruhen werde, bis die Zimmer im östlichen Flügel wieder durchsucht wären.

Von Rechtswegen muß ich freilich hinzusehen, daß mein Gedanke sich auch nicht auf die kleinste thatsächliche Grundlage stützen kann. Während der letzten Zeit seiner gefährlichen Krankheit war mein armer Oheim gänzlich unfähig, von irgend Etwas zu reden. Von der Zeit meiner Ankunft auf St. Crux in der Mitte des vorigen Monats bis zur Zeit seines Todes kam nicht ein einziges Wort über seine Lippen, das sich in der entferntesten Art und Weise aus den Geheimartikel bezogen hätte.

Hier also steht die Sache im Augenblicke still. Wenn Sie es für gerechtfertigt halten, den Inhalt dieses Briefes Miss Vanstone mitzutheilen, so bitte ich, ihr zu sagen, daß es meine Schuld nicht sein werde, wenn ihrer Schwester Behauptung, so, gewagt dieselbe auch den Testamentsvollstreckern meines Oheims erscheinen möge, nicht in bester Form geprüft worden.

Genehmigen Sie, verehrte Miss Garth, .die Versicherung meiner unwandelbaren Ergebenheit als

Ihr gehorsamer .

George Bartram.

NS. Sobald alle Geschäftsangelegenheiten aufs Reine gebracht sein werden, gehe ich auf einige Monate außer Landes, um den Trost einer Ortsveränderung zu versuchen. Das Haus wird zugeschlossen und der Sorge von Mrs. Drake anvertraut werden. Ich habe nicht vergessen, daß Sie mir früher sagten, daß Sie gern einmal St. Crux sehen möchten, wenn Sie Sich in der Nähe davon befanden. Wenn Sie einmal in Essex sind in der Zeit, wo ich in der Ferne bin, so habe ich Anstalten getroffen, daß Sie gute Aufnahme finden sollen, indem ich Mrs. Drake angewiesen habe, Ihnen und Ihren Freunden mein Haus und meinen Hof ganz und gar zu Ihrer Verfügung zu stellen.

VIII
Mr. Loscombe an Mrs. Noël Vanstone

Lincoln’s Inn – Fields
den 24. Mai.
Verehrte Frau!

Nachdem ganzer vierzehn- Tage nachgesucht worden – unter einer Leitung, die, wie ich mich verpflichtet halte, zuzugestehen, mit der gewissenhaftesten und unermüdlichsten Sorgfalt gehandhabt wurde – ist unter den auf St. Crux vom verstorbenen Admiral Bartram hinterlassenen Papieren eine solche Urkunde wie der Geheimartikel nicht aufgefunden worden.

Unter diesen Umständen haben sich die Testamentsvollstrecker entschieden, nach der einzig denkbaren Richtschnur, die sie für ihre Handlungsweise haben, vorzugehen, nach dem Testamente des Admirals. Diese Urkunde, die vor einigen Jahren aufgesetzt wurde, vermacht das ganze bewegliche und unbewegliche Vermögen37, d. h. alle seine Liegenschaften, die er zur Zeit seines Ablebens besitzt, sowie all sein baares Geld, das er besitzt, seinem Neffen. Das Testament ist deutlich, und die Folge ist unausbleiblich Ihres Gatten Vermögen ist von dem Augenblick an für Sie verloren. Mr. George Bartram erbt es gesetzlich, wie er das Haus und die Grundstücke von St. Crux gesetzlich erbt.

Ich enthalte mich aller Bemerkungen über diesen Ausgang der Verhandlungen. Der Geheimartikel muß vernichtet worden oder an einem Versteck verborgen sein, das selbst nach den geduldigsten und ausgedehntesten Nachforschungen nicht aufzufinden ist. Es ist für uns Beide unnütz, uns über den Gegenstand den Kopf zu zerbrechen. Ich will Ihre Enttäuschung nicht noch vermehren durch irgendwelche Anspielungen auf die Zeit und das Geld, das ich bei dem mißglückten Versuche, Ihren Interessen förderlich zu sein, verloren habe. Ich will nur aussprechen, daß mein näheres Verhältniß zu der Sache, sowohl was meine Person, als was meinen Beruf anbetrifft, von diesem Augenblicke an als beendigt angesehen werden muß.

Ihr gehorsamer Diener,

John Loscombe.

IX
Mrs. Ruddock (Inhaberin eines Logishauses) an Mr. Loscombe

Parkterasse,
St. John’s Wood,
den 2. Juni.
Mein Herr!

Da ich auf Anweisung der Mrs. Noël Vanstone Briefe für Sie, welche an Sie gerichtet waren, auf die Post geschafft habe und niemand Anderes kenne, an das ich mich wenden könnte, so erlauben Sie mir, Ihnen die Frage vorzulegen, ob Sie mit Jemand von der Familie derselben bekannt sind; denn ich halte es für recht, daß dieselben angeregt werden sollten, einige Schritte betreffs ihrer zu thun.

Mrs. Vanstone kam zuerst im vergangenen November zu mir, wo sie und ihre Dienerin Zimmer bei mir inne hatten. Bei jener Gelegenheit und auch bei dieser hat sie mir keinen Anlaß gegeben, über sie zu klagen. Sie hat sich wie eine Dame betragen und mich richtig bezahlt. Ich schreibe als Hausmutter im Gefühle meiner verantwortlichen Stellung, ich schreibe nicht ans eigennützigen Gründen.

Nachdem Mrs. Vanstone, welche jetzt ganz allein dasteht, mir richtig gekündigt hat, wird sie mich morgen verlassen. Sie hat mir nicht verhohlen, daß ihre Umstände sich sehr zu ihren Ungunsten verändert haben und daß sie eben deshalb mein Haus verlasse. Das ist Alles, was sie mir sagte, ich weiß nicht, wo sie hingeht, noch was sie zunächst zu thun vor hat. Aber ich habe allen Grund zu glauben, daß sie alle Spuren hinter sich zu vernichten wünscht, wenn sie diese Wohnung verlassen haben wird; denn ich fand sie gestern in Thränen, wie sie Briefe verbrannte, die ohne Zweifel von ihren Freunden waren. In Ansehen und Benehmen hat sie sich in der letzten Woche zum Erschrecken verändert. Ich glaube, es besteht eine schreckliche Verwirrung in ihrem Geiste, und ich fürchte nach Dem, was ich von ihr sehe, daß sie auf dem Punkte steht, in eine schwere Krankheit zu verfallen. Es ist sehr traurig, ein so junges Wesen so jämmerlich verlassen und verwaist zu sehen, wie sie jetzt ist.

Entschuldigen Sie, daß ich Sie mit diesem Briefe behellige; aber es war mir eine Gewissenssache, ihn zu schreiben. Wenn Sie Jemand von ihren Verwandten kennen, so seien Sie so gütig und setzen Sie denselben in Kenntniß, daß keine Zeit zu verlieren ist Wenn sie den morgenden Tag verlieren, werden sie die letzte Möglichkeit verlieren, sie ausfindig zu machen.

Ihre ganz ergebene Dienerin,

Katharina Ruddock.

X
Mr. Loscombe an Abs. Ruddock

Lincoln’s Inn – Fields,
den 2. Juni.
Geehrte Frau!

Meine einzige Beziehung zu Mrs. Noël Vanstone war eine geschäftliche, und diese ist nun beendigt. Ich bin mit Niemandem von ihrer Familie bekannt und kann es nicht auf mich nehmen, mich für meine Person weder mit ihren gegenwärtigen, noch mit ihren ferneren Schritten zu befassen.

Indem ich meine Unfähigkeit, Ihnen irgendwie Beistand zu leisten, bedanke, verbleibe ich

Ihr gehorsamer Diener,

John Loscombe

Fünfzehntes Buch
Das Ende. In Aarons Anbau

Erstes Capitel

Am siebenten Juni erhielten die Reeder des Kauffahrteischiffes DELIVERANCE die Nachricht, daß das Schiff Plymouth berührt habe, um Passagiere ans Land zu setzen, und dann die Heimreise nach dem Hafen von London fortgesetzt habe. Fünf Tage später war das Fahrzeug in dem Flusse und wurde in die Ostindischen Werften geschleppt.

Nachdem Capitain Kirke am Lande das Geschäft, für das er mit seiner Person haftete, abgemacht hatte, traf er brieflich die nöthigen Anordnungen, um seines Schwagers Pfarrhaus in Suffolk am Siebzehnten des Monats zu suchen. Wie gewöhnlich in solchen Fällen erhielt er nun eine Liste von Aufträgen, welche er am Tage vor seiner Abfahrt von London für seine Schwester zu besorgen hatte. Einer von diesen Aufträgen führte ihn in die Nähe von Camden-Town. Er fuhr von der Werfte dahin und machte sich, als er den Wagen fortgeschickt hatte, auf, in der Richtung nach Süden gegen New-Road wieder zurück zu gehen.

Er war nicht gut mit der Gegend bekannt, und seine Aufmerksamkeit schweift wie er so seines Weges fürbaß ging, immer weiter und weiter ab. Seine Gedanken, angeregt durch die Aussicht auf das Wiedersehen der Schwester, waren zurückgewandert bis zu dem Abend, wo er von ihr ging und das Haus zu Fuße verließ. Der Zauber, der damals so stark auf ihn gewirkt hatte, hatte während aller späteren Ereignisse seine Macht über ihn behauptet. Das Gesicht, das ihn auf der einsamen Landstraße verfolgt hatte, hatte ihn auch auf der einsamen See verfolgt. Das holde Weib, das ihm wie ein Traumbild bis an die Thür seiner Schwester gefolgt, war ihm – ein Theil seiner Gedanken, ein Theil seines Geistes – bis auf den Deck seines Schiffes gefolgt. Durch Sturm und Windstille auf der Fahrt hinaus, durch Sturm und Windstille auf der Fahrt nach heim war sie bei ihm gewesen. In dem unentwirrbaren Gewühl des Londoner Straßenlebens war sie jetzt bei ihm. Er wußte, was die erste Frage sein würde, wenn er seine Schwester und deren Knaben gesehen haben würde.

– Ich will sehen, ob ich von etwas Anderem sprechen kann; dachte er; aber wenn Lieschen und ich allein sind, so wird es doch herauskommen wider meinen Willen. —

Die Notwendigkeit, seine Schritte jetzt solange anzuhalten, bis eine Wagenreihe an einem Uebergange vorüber war, weckte ihn aus seinen Träumereien auf. Er sah sich in einer augenblicklichen Verwirrung um. Die Straße war ihm fremd, er hatte sich verirrt.

Der erste Fußgänger, den er fragte, schien eben nicht viel Zeit zu verlieren zu haben, um ihn ordentlich zurechtzuweisen. Indem er ihn eilig bedeutete, auf die andere Seite der Straße zu gehen, die erste Straße rechts, an welche er käme, einzuschlagen und dann wieder nachzufragen, eilte derselbe ohne Weiteres hinweg und wartete nicht einmal den Dank ab.

Kirke folgte seinen Andeutungen und schlug die Straße zur rechten Hand ein. Die Straße war kurz und eng, die Häuser auf beiden Seiten waren von der geringern Art. Er sah auf, als er an der Ecke vorüberkam um zu sehen, wie die Gegend hieße. Sie hieß »Aarons Anbau«.

Tief unten auf der Seite des »Anbaues«, längs der er selber ging, war ein kleiner Haufe müßiger Leute, der um zwei Wagen herum stand, die beide vor der Thür ein und desselben Hauses vorgefahren waren. Kirke näherte sich dem Haufen, um irgend einen höflichen Mann unter demselben, welcher dies Mal so viel Zeit hätte, ihm Rede zu stehen, nach dem Wege zu fragen. Als er zu den Droschken kam, fand er eine Frau, welche sich mit den Kutschern herumstritt, und hörte so viel, daß er daraus abnahm, wie man aus Versehen nach zwei Droschken geschickt hatte, während nur eine gebraucht wurde.

 

Die Hausthür stand offen, und als er nun daran vorüberkam, übersah er ohne Mühe die ganze Flur über die Köpfe der Leute hinweg, die vor ihm standen.

Der Anblick, den seine Augen da hatten, hätte doch ja vor den Augen der Vorübergehenden verborgen bleiben sollen. Er sah ein zerlumptes Mädchen mit einem erschrockenen Gesicht bei einem alten Stuhle stehen, der in die Mitte der Flur gerückt war, und eine Frau auf dem Stuhle halten, welche zu schwach und hilflos war, um sich selbst aufrecht zu erhalten, eine Frau, offenbar im letzten Grade der Krankheit, die, als der Streit vor der Thür beendigt war, in einer der Droschken fortgeschafft werden sollte. Ihr Haupt sank in Ohnmacht, als er den ersten Blick auf sie warf, und ein alter Shawl, der es bedeckte, war nach vorn gefallen, so daß er den obern Theil ihres Gesichtes verbarg. Ehe er wieder wegsehen konnte, erhob das Mädchen das sie unterstützte, den Kopf und legte den Shawl wieder zurecht. Diese Bewegung ließ ihr Gesicht einen Augenblick nur frei sehen, ehe ihr Haupt wieder auf die Brust zurücksank. In dem Augenblick aber erkannte er das Weib, dessen Schönheit die ihn unablässig verfolgende Erinnerung seines Lebens war, dessen Bild in seinen Gedanken kaum fünf Minuten vorher gelebt hatte! —

Die Erschütterung der doppelten Wahrnehmung, des Wiedererkennens des Gesichtes und des Anblickes der damit vor gegangenen schrecklichen Veränderung, machte ihn sprachlos und starr. Die stete Geistesgegenwart, die ihm in allen Lebenslagen zur Seite gestanden, ließ ihn zum ersten Male im Stich. Die ärmliche Straße, der zerlumpte Pöbelhaufe um die Thür schwammen vor seinen Augen. Er fuhr zurück und faßte, um sich zu ermuntern, nach dem kalten Eisengeländer vor dem nächsten Hause hinter sich.

– Wohin schaffen sie denn die Frau? hörte er ein Weib dicht neben sich fragen.

– In das Krankenhaus, wenn man dieselbe aufnehmen. will, war die Antwort, und in das Armenhaus, wenn man nicht will.

Diese fürchterliche Antwort machte ihn wieder aufspringen. Er bahnte sich seinen Weg durch die Menge und trat ins Haus.

Das Mißverständniß auf der Straße außen war ausgeglichen worden, und eine von den Droschken war weggefahren. Als er über die Schwelle der Thür schritt, stand er den Leuten gerade gegenüber, welche sie wegschafften. Der Kutscher, der geblieben war, befand sich auf der einen Seite des Stuhles, und das Weib, das mit den beiden Kutschern sich herumgestritten hatte, auf der andern Seite. Sie hoben sie eben in die Höhe, als Kirke’s hohe Gestalt die Thür verdunkelte.

– Was macht Ihr da mit der Dame? frug er.

Der Kutscher sah auf mit der unverschämten Antwort in den Blicken, ehe sein Mund dieselbe aussprach. Aber das Weib, schneller als er, sah die unterdrückte Regung in Kirke’s Angesicht und ließ den Stuhl einen Augenblick los.

– Kennen Sie dieselbe vielleicht, Sir? frug das Weib hastig. Sind Sie einer von ihren Verwandten?

– Ja, sagte Kirke ohne Zaudern.

– Es ist nicht meine Schuld, Sir, bat das Weib unter dem Blicke, den er auf sie heftete, zusammenschreckend. Ich würde ruhig gewartet haben, bis ihre Verwandten sie gefunden hätten, wahrlich, das ist wahr!

Kirke antwortete nicht. Er drehte sich um und sprach mit dem Kutscher.

– Gehen Sie hinaus, sagte er, und schließen Sie die Thür hinter sich zu. Ich will Ihnen sofort Ihr Geld schicken.

– Aus welchem Zimmer des Hauses nahmt Ihr sie, als Ihr sie hier herunter brachtet? fuhr er fort, wieder zu dem Weibe gewandt.

– Aus dem ersten Stock nach hinten, Sir.

– Zeigt mir den Weg dahin.

Er beugte sich nieder und hob Magdalene auf seine Arme. Ihr Haupt ruhte sanft an der Brust des Seemanns, ihre Augen sahen verwundert in das Gesicht des Seemanns. Sie lächelte und flüsterte ihm wie geistesabwesend zu. Ihr Geist war zu alten Zeiten daheim gewandert, und ihre ersten gebrochenen Worte zeigten, daß sie sich wieder als Kind auf den Armen ihres Vaters dachte.

– Armer Papa, sagte sie sanft, warum siehst Du so traurig aus? Armer Papa!

Das Weib ging in das Hinterzimmer des ersten Stocks voraus. Es war sehr klein und ärmlich ausstaffiert. Aber das kleine Bett war sauber, und die wenigen Sachen in der Stube waren ordentlich gehalten. Kirke legte sie zärtlich auf das Bett. Sie faßte eine von seinen Händen mit ihren brennenden Fingern.

– Mach die Mamma nicht traurig über mich, sagte sie. Schicke Nora.

Kirke versuchte sanft seine Hand loszumachen, aber sie hielt sie nur noch fester. Er setzte sich an das Bett, um zu warten, bis es ihr gefiele, ihn loszulassen. Das Weib stand in einer Ecke des Zimmers und sah auf sie und weinte. Kirke beobachtete sie aufmerksam.

– Sprecht, sagte er nach einer Pause, mit leiser ruhiger Stimme. Sprecht in ihrem Beisein und sagt mir die Wahrheit.

Mit vielen Worten, unter vielem Schluchzen sprach das Weib.

Sie hatte ihr erstes Stockwerk vor vierzehn Tagen an die Dame vermiethet. Die Dame hatte die Miethe von einer Woche bezahlt und sich Gray genannt. Sie war in den ersten drei Tagen von früh bis Abends aus gewesen und war jedes Mal mit kläglich müden und enttäuschten Blicken wiedergekommen. Das Weib im Hause hatte geargwöhnt, daß sie davongegangen und sich unter einem angenommenen Namen vor ihren Freunden verberge, und daß sie an den drei Tagen, an denen sie so lange abwesend war und wo sie so niedergeschlagen aussah beim Zurückkommen, vergeblich versucht habe, Geld zu bekommen oder eine Stellung zu finden. Wie das auch sein möge, am vierten Tage sei sie krank geworden, abwechselnd mit Frost- und Fieberanfällen. Am fünften Tage war sie noch schlimmer, und am sechsten war sie bald zu schläfrig, bald zu aufgeregt, als daß sie mit sich sprechen ließ. er Apotheker, der in jenem Stadtviertel als Arzt thätig war, war gekommen und hatte sie angesehen und gesagt, daß es ein böses Fieber sei. Er hatte einen »salzigen Trank« zurückgelassen, den das Weib im Hause aus seiner Tasche bezahlt und ohne Erfolg angewendet habe. Sie hatte den einzigen Koffer, den die Dame bei sich gehabt, durchsucht und nur einiges nothwendiges Leinenzeug, keine Kleider, keinen Schmuck, nicht ein Stück von einem Briefe, welches nützlich sein könnte, um ihre Verwandten zu entdecken, aufgefunden. – Zwischen dem Wagniß, sie unter diesen Umständen zu behalten, und der Grausamkeit, eine kranke Frau auf die Straße zu setzen, hätte die Wirthin selbst nicht geschwankt. Sie würde sie gern bei sich behalten haben, wenn Aussicht auf die Genesung bei der Dame dagewesen und wenn zu verhoffen gewesen wäre, daß ihre Verwandten sich ihrer annahmen. Allein vor noch nicht einer halben Stunde sei ihr Mann, der sie verlassen habe und der nie in ihr Haus käme, außer um ihr das Geld zu nehmen, gekommen, um ihr wie gewöhnlich die paar sauer erworbenen Pfennige wegzunehmen. Sie sei genöthigt gewesen, ihm zu sagen, daß für das erste Stock kein Zins eingegangen sei und daß wahrscheinlich keiner eher eingehen werde, als bis die Dame wiederhergestellt oder ihre Verwandten sie aufgefunden hätten. Als er Das gehört habe, habe er ohne Erbarmen darauf bestanden, daß die Dame Knall und Fall gehen solle. War doch das Krankenhaus da, um sie aufzunehmen, und wenn dasselbe ihr seine Thür verschließen würde, so war es mit dem Armenhaus zunächst zu versuchen Wenn sie nicht binnen einer Stunde außer dem Hause todte, so drohte er zurückzukommen und sie selber fortzuschaffen. Sein Weib wußte zu gut, daß er roh genug war, um auch wirklich nach seinen Worten zu handeln, und so war ihr nichts Anderes übrig geblieben, als eben so zu handeln, wie sie gethan, um der Dame selber willen.

Das Weib erzählte seine ergreifende Geschichte mit allem Anschein, als ob es selbst aufrichtig sich dessen schäme. Gegen den Schluß zu fühlte Kirke das Umklammern der brennenden Finger um seine Hand nachlassen. Er sah wieder auf das Bett zurück. Ihre müden Augen fielen zu, und mit ihrem Gesicht immer noch zu dem Seemanne gewandt, sank sie in Schlummer.

– Ist Jemand in dem vorderen Zimmer? frug Kirke flüsternd. Kommen Sie herein, ich habe Ihnen Etwas zu sagen.

Das Weib folgte ihm durch die Verbindungsthür zwischen den beiden Zimmern.

– Wie viel ist sie Ihnen schuldig? frug er weiter.

Die Wirthin nannte die Summe. Kirke legte dieselbe vor sie auf den Tisch.

– Wo ist Ihr Mann? war seine nächste Frage.

– Er wartet in dem Gasthofe, bis die Stunde um ist.

– Sie können ihm das Geld mitnehmen, oder auch nicht, wie Sie es für gut finden, sagte Kirke ruhig. Ich habe Ihnen, so weit Ihr Mann in Frage kommt, nur Eines zu sagen. Wenn Sie wünschen, daß ich ihm alle Knochen im Leibe zerbreche, so lassen Sie ihn in das Haus kommen, so lange ich noch darin bin. – Halt! Ich habe noch Etwas zu sagen. Wissen Sie von einem Arzte in der Nähe, auf den man sich verlassen könnte?

– In der Nähe nicht, Sir. Aber ich kenne einen eine halbe Stunde Weges von uns.

– Nehmen Sie die Droschke vor der Thür, und wenn Sie ihn zu Hause finden, so bringen Sie ihn gleich darin mit her. Sagen Sie ihm, ich warte hier, um seine Meinung zu hören über einen sehr schweren Fall. Er soll gut bezahlt werden und Sie ebenfalls. Machen Sie schnell!

Das Weib verließ das Zimmer. Kirke setzte sich nieder, um ihre Rückkehr zu erwarten. Er hielt die Hände vors Gesicht und suchte sich die seltsame und rührende Lage klar zu machen, in die ein Augenblick ihn gebracht hatte.

37both real and Personal.