Kostenlos

Namenlos

Text
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

VII
Mrs. Noël Vanstone an Mr. Loscombe

Den 16. November.
Werther Herr!

Empfangen Sie meinen besten Dank für die Freundlichkeit und Dichtung mit der Sie mich behandelt haben und lassen Sie meine körperlichen und geistigen Leiden als Entschuldigung gelten, daß ich auf Ihren Brief ohne Umstände in den kürzest möglichsten Worten antworteten.

Ich habe meine Gründe, um nicht einen Augenblick zu zögern, Ihre Frage verneinend zu beantworten. Es ist unmöglich für uns, betreffs des Testamentes, den Schutz der Gesetze anzurufen.

Genehmigen Sie die Versicherung meiner dankbaren Ergebenheit als

Ihre gehorsame

Magdalene Vanstone.

VIII
Mr. Loscombe an Mrs. Noël Vanstone

Lincoln’s Inn, den 17. November.
Verehrte Frau!

Ich bekenne mich gehorsamst zum Empfang Ihres Briefes mit der abschläglichen Antwort auf meinen Vorschlag, die sich auf Gründe stützt, die Ihnen nur allein bekannt sind. Unter diesen Umständen – über die ich mir füglich keine Gedanken weiter mache – führe ich mein Versprechen aus, weiter mit Ihnen betreffs des Testamentes Ihres seligen Gatten zu verhandeln.

Sehen Sie freundlich in Ihrer Abschrift der Urkunde nach. Sie werden darin finden, daß die Clausel, welche den ganzen Rest von Ihres Gatten Vermögen dem Admiral Bartram zuschreibt, mit folgenden Worten schließt:

»auf daß er davon den Gebrauch mache der ihm gut dünkt«.

So einfach diese Worte Ihnen auch erscheinen mögen, so sind sie doch sehr merkwürdig. Einmal würde kein praktischer Rechtsanwalt sie bei dem Entwurf von Ihres Gatten Testamente gebraucht haben. In zweiter Linie sind sie äußerst unnütz, um einem offenen deutlichen Zwecke zu dienen. Das Vermächtniß ist dem Admiral bedingungslos hinterlassen, und in demselben Athem wird ihm gesagt, daß er damit machen kann, was er will!

Diese Redewendung deutet offen auf zwei Schlüsse hin.

Entweder ist sie dem Schreiber aus reiner Unwissenheit aus der Feder geflossen, oder aber sie ist absichtlich dahin gesetzt, wo sie steht, um als Finte zu dienen.

Ich bin fest überzeugt, daß die letztere Erklärung die richtige ist.

Die Worte sind ausdrücklich darauf berechnet, irgend Jemand irre zu führen, – aller Wahrscheinlichkeit nach Sie selber – und die List, welche sie zu diesem Behufe aufgesetzt, hat, wie es regelmäßig zu geschehen pflegt, wenn unberufene Personen sich in Rechtssachen mischen, über ihr Ziel hinausgeschossen. Meine dreißigjährige Erfahrung liest jene Worte in einer dem Sinne, den sie auszudrücken bestimmt sind, ganz entgegengesetzten Tragweite. Ich sage, daß Admiral Bartram nicht freie Hand hat, sein Vermächtniß zu solchen Zwecken, als ihm gut dünkt, anzuwenden – ich glaube vielmehr, er ist insgeheim durch eine ergänzende Urkunde in Gestalt eines geheimen Zusatzartikels gebunden.

Ich kann Ihnen leicht erklären, was ein geheimer Zusatzartikel ist. Er tritt gewöhnlich auf in Gestalt eines Briefes von einem Erblasser an seine Testamentsvollstrecker und unterrichtet sie von solchen letztwilligen Verfügungen, welche offen in seinem Testamente niederzulegen er nicht für geeignet gehalten hat. Ich vermache Ihnen z. B. hundert Pfund, schreibe aber zugleich einen geheimen Brief, der Sie verpflichtet, das Vermächtniß zwar anzunehmen, aber nicht nach Ihrem Gutdünken zu verwenden, sondern dasselbe einer dritten Person zu geben, deren Namen ich meine Gründe habe, nicht in meinem Testamente zu nennen.

Das ist ein geheimer Zusatzartikel.

Wenn ich nun Recht habe mit meiner festen Annahme, daß solch eine Urkunde, wie ich sie hier beschrieben habe, sich in diesem Augenblick in Admiral Bartrams Besitz befindet, eine Annahme, welche zunächst auf den auffallenden Worten beruht, die ich Ihnen angeführt habe, und in zweiter Linie auf rein juristischen Erwägungen, mit denen es unnöthig ist diesen Brief anzufüllen, – wenn ich Recht habe mit dieser meiner Annahme: so würde die Entdeckung des geheimen Artikels aller Wahrscheinlichkeit nach für unsere Interessen von äußerster Wichtigkeit sein. Ich will Sie nicht belästigen mit Gründen, die aus meinem Berufe hergenommen sind, noch mit Anspielungen auf meine Erfahrung in diesen Dingen, die nur ein Mann meines Berufes verstehen würde. Ich beschränke mich darauf, Ihnen zu sagen, daß ich Ihre Sache nicht unbedingt verloren gebe, bevor nicht die mir jetzt beigekommene Ansicht sich als unbegründet erwiesen hat.

Ich kann nicht mehr hinzufügen, weil diese wichtige Frage noch in Zweifel gehüllt bleibt, noch kann ich ein Mittel vorschlagen, diesen Zweifel zu lösen. Wenn das Vorhandensein eines Geheimartikels nachgewiesen wäre, und wenn die Natur der darin enthaltenen ausgemachten Dinge mir bekannt gegeben würde, dann könnte ich bestimmt sagen, was Sie für Aussichten hätten, wenn Sie es darauf wagen wollten, auf Grund und Kraft desselben einen Proceß anzufangen, und könnte Ihnen auch noch sagen, ob ich es verantworten könnte, infolge eines besonderen Uebereinkommens mit Ihnen jenen Prozeß zu führen oder nicht.

Wie die Dinge jetzt stehen, kann ich keine Anordnung treffen und keinen Rath anbieten. Ich kann Sie nur vertraulich mit meiner Ansicht bekannt machen, indem ich es Ihnen vollständig überlasse, Sich daraus Ihre eigenen Folgerungen zu ziehen, und indem ich bedaure, daß ich nicht noch zuversichtlicher und bestimmter schreiben kann. Alles, was ich nach Pflicht, bestem Wissen und Gewissen über diesen sehr schwierigen und sehr zarten Fall sagen konnte, habe ich gesagt.

Genehmigen Sie, verehrte Frau, die Versicherung meiner Hochachtung und Ergebenheit als

Ihr gehorsamer

John Loscombe.

IX
Mrs. Noël Vanstone an Mr. Loscombe

Lieber Herr!

Ich habe Ihren Brief mehr als ein Mal mit dem größten Interesse und der größten Aufmerksamkeit durchgelesen, und je öfter ich ihn las, desto fester glaube ich, daß in der That ein solcher Brief, als Sie erwähnen, in Admiral Bartrams Händen ist.

Es ist mir natürlich Alles daran gelegen, daß die Entdeckung gemacht wird, und ich bekenne Ihnen zugleich, daß ich entschlossen bin, Mittel und Wege zu suchen, dieselbe insgeheim und gewiß zu machen. Mein Entschluß beruht auf anderen Gründen, als Sie vielleicht als maßgebend für mich annehmen möchten. Ich sage Ihnen dies nur für den Fall, daß Sie mir Gegenvorstellungen zu machen geneigt sein sollten. Es ist guter Grund zu Dem vorhanden, was ich sage: sobald ich erkläre, daß Ihre Gegenvorstellungen unnütz sein würden.

Ich bitte Sie nicht um Beistand in dieser Sache, ich will Niemand behelligen, mir zu rathen. Sie sollen nicht in etwaige jähe Maßregeln hineingezogen werden. Was auch für Gefahr dabei sein möge, ich will sie bestehen. Was auch für Verzögerungen eintreten mögen, ich will sie ruhig ertragen. Ich bin einsam und ohne Freunde und krank; aber ich bin doch noch stark genug, meinen Weg durch noch schlimmeres Wirrsal zu nehmen, als dieses ist. Mein Geist wird sich wieder erheben, und meine Zeit wird kommen. Wenn jener Geheimartikel in Admiral Bartrams Händen ist, so sollen Sie, wenn Sie mich das nächste Mal sehen, dasselbe in meinen Händen sehen.

Ihre dankbar ergebene

Magdalene Vanstone.

Elftes Buch
In St. Johnes Wood

Erstes Capitel

Es fehlten nur noch vierzehn Tage bis Weihnachten. Aber das Wetter ließ noch Nichts von Frost und Schnee spüren, welche doch von der herannahenden Jahreszeit unzertrennlich zu sein pflegen. Die Luft war unnatürlich warm, und das alte Jahr ging matt in Alles erweichendem Regen und Alles lähmendem Nebel zu Rüste.

Eines Nachmittags gegen Ende Decembers saß Magdalene in der Wohnung, welche sie seit ihrer Ankunft in London eingenommen, einsam da. Langsam brannte das Feuer in dem engen kleinen Kamin. Die Aussicht auf die nassen Häuser und die durchweichten Gärten gegenüber wurde rasch dunkel, und das Glöckchen des Semmeljungen aus der Vorstadt klingelte schläfrig in der Ferne. Dicht am Feuer sitzend mit etwas Geld auf dem Schooße schob Magdalene die Münzen auf der glatten Oberfläche ihres Kleides hin und her, indem sie unablässig deren Lage änderte, als ob es Stücke von Kinderspielzeug wären, die sie zusammensetzen wollte. Der düstere Feuerschein, der von Zeit zu Zeit schwach über sie aufflammte, zeigte Veränderungen an ihr, welche Freunden aus alter Zeit deutlich genug ihre traurige Geschichte erzählt hätten. Ihr Kleid war lose geworden, weil ihre Gestalt abgefallen war; aber sie hatte nicht Sorge getragen, es zu ändern, es einzuziehen. Ihr Gesicht behielt seinen leidenden, aber herben Ausdruck der Ruhe, seine unveränderliche unnatürliche Leidenschaftslosigkeit. Mr. Pendril würde sein hartes Urtheil über sie gemildert haben, hätte er sie jetzt gesehen, und Mrs. Lecount in der Fülle ihres Triumphes würde endlich ihre niedergeworfene Feindin bemitleidet haben.

Kaum vier Monate waren vergangen seit der Hochzeit zu Aldborough; aber schon war die Buße für diesen Tag erlegt, erlegt in unausweichbarer Reue, in hoffnungsloser Vereinsamung, in unverbesserlicher Niederlage. Dies möge für sie angeführt werden; die Wahrheit, welche von ihren Fehlen gesagt worden, möge auch von ihrer Entsühnung ausgesprochen werden. Es möge von ihr bemerkt werden, daß sie keine stille Siegesfreude am Tage ihres glücklichen Erfolges empfand. Das Entsetzen vor sich selber, mit dem sie von ihrer eigenen Handlungsweise erfüllt war, war aufs Höchste gestiegen, als der Plan mit ihrer Verheirathung endlich ausgeführt war. Sie hatte niemals innerlich so gelitten, wie damals, wo das Vermögen von Combe-Raven in ihres Gatten Testament ihr vermacht worden war. Sie hatte niemals die zur Erreichung ihres Zieles angewandten Mittel so demüthigend empfunden, als an dem Tage, wo nun jenes Ziel erreicht war. Aus diesem Gefühl-war die Reue hervorgegangen, welche sie gedrängt hatte, Trost und Vergebung in der Liebe ihrer Schwester zu suchen. Niemals, seitdem das Vorhaben, dem sie sich gewidmet hatte, zum ersten Male in ihr Herz kam, niemals, seitdem sie am Grabe ihres Vaters dasselbe geweckt fühlte, hatte dasselbe so nahezu alle seine Macht auf sie verloren, als eben jetzt. Nimmer hätte Noras Einfluß so viel Gutes bewirkt, als der eine Tag, wo jener Einfluß verschwunden war, der Tag, wo der verhängnißvolle Brief aus Schottland ihr von Mrs. Lecounts Rache berichtete.

 

Das Unglück war geschehen, die Handlung war vorbei.

Ebenso Zeit und Hoffnung waren beide ihr entschwunden.

Weich und immer weicher sprachen die inneren Stimmen ihr jetzt zu, innezuhalten auf dem Wege, der abwärts führte. Die Entdeckung, die ihr Herz zum ersten Male mit Mißtrauen gegen ihre Schwester erfüllt hatte, die Nachricht über ihres Gatten Tod, welche hinterdrein folgte, die Pein, Mrs. Lecounts triumphieren zu sehen, die ihr durch und durch ging, hatten das Ihrige gethan. Die Reue, die ihr eheliches Leben verbittert hatte, war in dumpfe Verzweiflung übergegangen. Es war zu spät, durch ein Bekenntniß die Vergangenheit zu entsühnen, zu spät, dem jämmerlichen Ehegatten die tief innersten Geheimnisse zu offenbaren, welche in dem Herzen des elenden Weibes einst geschlummert hatten. Unschuldig – selbst im Gedanken – an dem schändlichen Anschlag, den Mrs. Lecount ihr beigemessen hatte, – war sie doch schuldig, weil sie wußte, wie gebrochen seine Gesundheit war, als sie ihn heirathete, schuldig, weil sie, als er ihr das Combe-Raven-Vermögen verschrieb, wußte, daß ein augenblicklicher widriger, obschon anderen Menschen ganz unschädlicher Zwischenfall sein Leben in Gefahr bringen und ihre Erlösung bewerkstelligen könne. Sein Tod hatte ihr Das gesagt, hatte ihr deutlich gesagt, was sie bei seinen Lebzeiten sich gescheut hatte, sich offen zu gestehen. Wo blieb ihr eine Zuflucht vor der dumpfen Marter dieses inneren Vorwurfs, vor dem traurigen Verzweifeln an der Menschheit, selbst an Nora, vor der öden Einsamkeit ihres freudelosen Lebens? Nur eine Zuflucht blieb ihr. Sie wandte sich zu dem unablässigen Vorhaben, das sie in ihr Verderben hinein trieb, und rief dasselbe an mit dem tollen Muthe der Verzweiflung:

– Führe du mich weiter!

Tag für Tag hatte sie ihren Geist auf das eine sie beschäftigende Ziel gerichtet, nachdem sie den Brief des Advocaten erhalten hatte. Tag für Tag hatte sie sich abgemüht, um das erste Erforderniß ihrer Stellung zu überwinden, ein Mittel zu finden, um den geheimen Zusatzartikel zu entdecken. Dies Mal hatte sie von Hauptmann Wragge Nichts zu erwarten. Langjährige Uebung hatte den alten Milizsoldaten zum Meister in der Kunst des Verschwindens gemacht. Der Pflug des »moralischen Landwirths« hinterließ keine Furchen,30 – keine Spur war von ihm zu finden! Mr. Loscombe war zu vorsichtig, um sich zu einem thätigen Einschreiten irgend welcher Art herzugeben; er blieb ruhig bei seiner Meinung stehen und überließ das Uebrige seiner Clientin, – er wünschte Nichts zu wissen ehe nicht der Geheimartikel in seinen Händen war. Magdalenens Interessen waren jetzt einzig und allein ihrer eigenen Kraft anvertraut. Wagen oder nicht wagen, für was sie sich auch entschied: sie mußte es jetzt selbst auf sich nehmen.

Diese Aussicht hatte sie keineswegs niedergeschlagen gemacht In ihrer Vereinsamung hatte sie die verschiedenen Wege berechnet, welche sie versuchsweise einschlagen könnte. In ihrer Vereinsamung hatte sie sich entschlossen, – den Versuch zu machen. —

– Die Zeit ist da, sprach sie zu sich selber, als sie beim Feuer saß. Ich muß zuerst Louisen ausforschen.

Sie las die auf ihrem Schooße umherliegenden Münzen zusammen und legte sie in ein kleines Häufchen auf den Tisch, stand auf und zog die Klingel. Die Wirthin erschien.

– Ist mein Mädchen unten? frug Magdalene.

– Ja, gnädige Frau. Es ist bei seinem Thee.

– Wenn sie fertig ist, so sagen Sie ihr, sie solle zu mir heraufkommen. – Warten Sie einen Augenblick. Sie werden Ihr Geld auf dem Tische finden, – das Geld, das ich Ihnen für die letzte Woche schuldig bin. Können Sie es finden? Oder wollen Sie lieber ein Licht haben?

– Es ist ziemlich dunkel, gnädige Frau.

Magdalene steckte ein Licht an.

– Wie lange voraus muß ich kündigen, frug sie, als sie das Licht auf den Tisch setzte, ehe ich wegziehe?

– Eine Woche ist die gewöhnliche Kündigung. Ich hoffe doch, Sie haben sich über die Wohnung nicht zu beschweren, gnädige Frau?

– Durchaus nicht. Ich thue die Frage nur, weil ich vielleicht eher ausziehen muß, als ich vermuthet hatte. Ist das Geld richtig?

– Ganz richtig, gnädige Frau. Hier ist die Quittung.

– Ich danke. – Vergessen Sie nicht, mir Louisen heraufzuschicken, sobald sie mit ihrem Thee fertig ist.

Die Wirthin ging hinaus. Sobald Magdalene wieder allein war, löschte sie das Licht wieder aus und zog einen leeren Stuhl neben den ihrigen ans Kaminfeuer. Als dies geschehen war, nahm sie ihren früheren Platz wieder ein und wartete, bis Louise erschien. Es war keine Unsicherheit an ihr zu bemerken, als sie da saß und gleichgültig ins Feuer sah.

– Eine schwache Aussicht, dachte sie bei sich selbst, aber so schwach sie ist, ich muß es damit versuchen.

Zehn Minuten später wurde von außen Louisens schwaches Klopfen leise hörbar. Sie war erstaunt, beim Eintritt in das Zimmer kein anderes Licht zu finden, als den Lichtschein vom Kamin her.

– Wollen Sie Lichter haben, gnädige Frau? frug sie ehrerbietig.

– Wir werden die Lichter haben, wenn Du sie für Dich selber haben willst, Versetzte Magdalene, sonst nicht. Ich habe Dir Etwas zu sagen. Wenn ich es Dir gesagt habe, soll es bei Dir stehen, ob wir im Dunkeln oder bei Licht zusammensitzen.

Louise wartete an der Thür und hörte in stummem Erstaunen auf diese seltsamen Worte.

– Komm her, sprach Magdalene und deutete auf den leeren Stuhl, komm her und setze Dich zu mir.

Louise kam näher und entfernte furchtsam den Stuhl aus seiner Stelle neben ihrer Herrin Magdalene zog ihn augenblicklich wieder zurück.

– Nein! sprach sie. Komm nur näher, komm nur ganz nahe zu mir.

Nach einem augenblicklichen Zögern gehorchte ihr Louise.

– Ich bat Dich, Dich nahe zu mir zu setzen, fuhr Magdalene fort, weil ich mit Dir ganz auf dem Fuße der Gleichheit sprechen will. Was auch für Unterschiede einst zwischen uns gewesen sein mögen, jetzt sind sie zu Ende. Ich bin eine verlassene Frau, lediglich auf mich selbst angewiesen, ohne Rang oder Stellung in der Welt. Du mögest Dich als meine Freundin ansehen, oder auch nicht. Als Herrin und Dienerin muß die Verbindung zwischen uns jetzt zu Ende kommen.

– Ach, gnädige Frau, sagen Sie das nicht! bat Louise mit schwacher Stimme.

Magdalene aber fuhr traurig und fest fort.

– Als Du zuerst zu mir kamst, begann sie wieder, dachte ich, ich könnte Dich nicht gern haben. Ich habe gelernt, Dich gern zu haben, habe gelernt, Dir dankbar zu sein. Von Anfang bis zuletzt bist Du immerdar treu und gut gegen mich gewesen. Das Geringste, was ich zum Entgelt thun kann, ist, daß ich Deinen künftigen Aussichten nicht im Wege stehe.

– Schicken Sie mich nicht fort, gnädige Frau, sprach Louise flehentlich. Wenn Sie mir dann und wann ein wenig Geld geben können, so will ich auf meinen Lohn warten, – wahrhaftig, das will ich.

Magdalene ergriff ihre Hand und fuhr fort so traurig und fest, wie zuvor.

– Mein künftiges Leben ist lauter Dunkelheit, lauter Ungewißheit, sagte sie. Der nächste Schritt, den ich thue, kann zu meinem Glück, kann zu meinem Unheil führen. Kann ich von Dir verlangen, daß Du eine solche Aussicht mit mir theilest? Du bist eine ausgezeichnete Dienerin, Du kannst eine andere Stelle bekommen, eine weit bessere Stelle als bei mir. Du kannst Dich auf mich berufen und, wenn das Zeugniß, das ich geben kann, nicht für ausreichend befunden wird, so magst Du dich auf die Herrschaft beziehen, der Du vor mir gedient hast…

In dem Augenblicke, als die Erwähnung von der letzten Dienstherrschaft des Mädchens Magdalenen über die Lippen kam, riß Louise ihre Hand weg und fuhr von ihrem Stuhle auf gerade in die Höhe. Es trat eine Pause von der Dauer eines Augenblickes ein. Beide, Herrin und Dienerin waren in demselben Grade verwundert.

Magdalene war die Erste, die sich faßte.

– Wird es zu dunkel? fragte sie bedeutsam. Willst Du gehen, nachgerade die Lichter anzuzünden?

Louise zog sich in den dunkeln Winkel des Zimmers zurück.

– Sie beargwöhnen mich, gnädige Frau, antwortete sie aus ihrer Dunkelheit hervor mit athemlosem Flüstern. Wer hat es Ihnen gesagt? Wer hat es Ihnen gesagt? Wie bekamen Sie es heraus…?

Sie stockte und brach in Thränen aus.

– Ich verdiene Ihren Argwohn, sprach sie, indem sie sich zu beruhigen strebte. Ihnen gegenüber kann ich es nicht leugnen. Sie haben mich so Freundlich und lieb behandelt, Sie haben mich Sie so lieben gelehrt! Verzeihen Sie, Mrs. Vanstone – ich bin eine Elende: ich habe Sie getäuscht! —

– Komm her und setze Dich wieder zu mir, sagte Magdalene Komm – sonst stehe ich selber auf und hole Dich zu mir zurück.

Louise kehrte langsam auf ihren Platz zurück. So düster das Kaminfeuer leuchtete, sie schien es dennoch zu fürchten. Sie hielt ihr Taschentuch vors Gesicht und bog sich von ihrer Herrin weg, als sie sich wieder auf den Stuhl setzte.

– Du bist im Irrthume, wenn Du glaubst, es habe Dich Jemand mir verrathen, sagte Magdalena. Alles, was ich von Dir weiß, ist, was Dein Aussehen und Dein Wesen mir erzählt haben. Du hast irgend einen geheimen Kummer auf Deiner Seele lasten, seitdem Du überhaupt in meinen Diensten bist. Ich bekenne, daß ich in der Absicht gesprochen habe, mehr von Dir und Deinem vergangenen Leben zu erfahren, als es bis jetzt der Fall war, nicht weil ich neugierig bin, sondern weil ich ebenfalls meinen geheimen Kummer habe. Bist Du ein unglückliches Weib, wie ich selbst? Wenn Du es bist, so will ich Dich in mein Vertrauen ziehen. Wenn Du mir Nichts zu erzählen hast, – wenn Du lieber Dein Geheimniß bewahren willst, dann will ich Dir nicht böse sein. Ich sage nur, wir wollen uns gegenseitig austauschen. Ich will Dich nicht fragen, wie Du mich hintergangen hast. Ich will nur daran denken, daß Du, so lange ich Dich bei mir habe, eine brave, treue und brauchbare Dienerin gewesen bist, und will auch jeder neuen Herrschaft, welche Du zu mir schicken willst, dasselbe sagen.

Sie wartete auf eine Antwort. Einen Augenblick, aber nur einen Augenblick zögerte Louise. Der Charakter des Mädchens war schwach, aber nicht schlecht. Sie war ihrer Herrin auch richtig zugethan und sprach nun mit einem Muthe, den Magdalene nicht von ihr erwartet hätte.

– Wenn Sie mich fortschicken gnädige Frau, sagte sie, so werde ich mein Zeugniß nicht eher von Ihnen fordern, als bis ich Ihnen die Wahrheit gesagt habe: ich werde Ihre Liebe und Güte nicht dadurch vergelten, daß ich Sie zum zweiten Male täusche. – Sagte Ihnen Ihr Herr Gemahl jemals, unter welchen Umständen er mich in Dienst nahm?

– Nein, ich fragte ihn niemals darnach, und er sagte es mir auch nicht.

– Er nahm mich auf Grund eines Zeugnisses in Dienst, gnädige Frau. —

– So?

– Das Zeugniß war ein falsches.

Magdalene fuhr überrascht zurück. Das Bekenntniß, das sie hörte, hatte sie nicht erwartet.

– Weigerte sich Deine Herrin, Dir ein Zeugniß zu geben? frug sie. Wie?

Louise sank auf ihre Kniee und verbarg ihr Gesicht im Schooße ihrer Herrin.

– Fragen Sie mich nicht weiter! sagte sie. Ich bin ein elendes, entwürdigtes Geschöpf. Ich bin nicht werth, in demselben Zimmer mit Ihnen zu sein!

 

Magdalene beugte sich über sie und flüsterte eine Frage in ihr Ohr. Louise gab ihr aus dieselbe Art ein trauriges Wort der Erwiderung zurück.

– Hat er Dich verlassen? frug Magdalene, nachdem sie einen Augenblick gewartet und nachgedacht hatte.

– Nein.

– heiß!

– Liebst Du ihn? – Heiß!

– Um Gottes Barmherzigkeit willen, kniee nur nicht vor mir! rief sie leidenschaftlich aus. Wenn es ein entwürdigtes Weib in dieser Stube gibt, so bin ich dies Weib, aber nicht Du!

Sie hob das Mädchen mit Gewalt von seinen Knieen auf und setzte es wieder auf den Stuhl. Beide warteten eine Weile in Schweigen versunken. Magdalene setzte sich dann wieder, indem sie ihre Hand auf Louisens Schulter legte und blickte mit einer unbeschreiblichen Bitterkeit inneren Kummers in das erlöschende Feuer.

– Ach, dachte sie, was gibt es doch für glückliche Frauen in der Welt! Frauen, die ihre Männer lieben! Männer, welche sich nicht schämen, ihre Kinder zu besitzen!

– Bist Du nun ruhiger? frug sie, indem sie sich noch einmal an Louisen wandte. Kannst Du mir antworten, wenn ich Dich noch Etwas frage? – Wo ist das Kind?

– Das Kind ist in die Ziehe gegeben.

– Trägt der Vater zum Unterhalte desselben bei?

– Er thut Alles, was er vermag, gnädige Frau.

– Was ist er? Ist er Bedienten? Ist er Kaufmann?

– Sein Vater ist ein Zimmermeister selbst arbeitet auf dem Bauhofe seines Vaters.

– Wenn er Arbeit hat, warum hat er Dich nicht geheirathet?

– Sein Vater ist daran schuld, nicht er. Sein Vater hat kein Mitleid mit uns. Er würde von Haus und Herd gejagt werden, wenn er mich heirathete.

– Kann er nicht anderswo Arbeit bekommen?

– Es ist schwer, in London Arbeit zu bekommen, gnädige Frau. Es sind so Viele in London, sie nehmen einander das Brod vom Munde weg. Wenn wir nur das Geld dazu gehabt hätten, auszuwandern, so würde er mich schon längst geheirathet haben.

– Würde er Dich heirathen, wenn Du jetzt das Geld hättest?

– Das weiß ich gewiß, gnädige Frau. Er könnte in Australien vollauf zu thun bekommen und doppelt und dreifach den Verdienst haben, den er hier hat. Er läßt es sich sauer werden, ich lasse es mir sauer werden, um ein wenig Geld dazu zu sparen – ich lege bei Seite, was ich mir für mein Kind am Munde absparen kann. Aber es ist so wenig! Wenn wir auch noch Jahre lang leben, wir haben doch Nichts zu hoffen. Ich weiß, ich habe auf alle Fälle Unrecht gethan, ich weiß, daß ich nicht verdiene, glücklich zu werden. Aber wie hätte ich mein Kind darben lassen sollen? – Ich war gezwungen, unter fremde Leute zu gehen. Meine Herrin war hart gegen mich, und meine Gesundheit litt, als ich versuchte, von meiner Nadel zu leben. Ich würde sonst nimmermehr einen Menschen durch ein gefälschtes Zeugniß getäuscht haben, wenn mir eine andere Wahl übrig geblieben wäre. Ich stand allein und hilflos da, gnädige Frau, und ich kann Sie nur anflehen, mir zu vergeben!

– Bitte bessere Frauen darum, als ich bin; sprach Magdalene düster. Ich bin nur Werth, Mitgefühl für Dich haben zu dürfen, und das habe ich aus Herzensgrunde. Ich an Deiner Stelle würde ebenso wie Du mit einem falschen Zeugniß in Dienst gegangen sein. – Sprich nicht mehr von der Vergangenheit: Du weißt nicht, wie sehr Du mir wehe thust, indem Du davon redest. Sprich von der Zukunft. Ich denke, ich kann Dir helfen, ohne Dir Schaden zu thun. Ich denke, Du kannst mir auch helfen und mir zum Entgelt den allergrößten Dienst leisten. Warte ein wenig und Du sollst hören, was ich meine. Denke Dir ein Mal, Du seiest verheirathet wie viel würde es Dir und Deinem Manne kosten, auszuwandern?

Louise nannte die Kosten einer Segelschiffsüberfahrt nach Australien für Mann und Frau. Sie sagte es in leisem hoffnungslosen Tone. So mäßig die Summe war, so erschien sie doch als ein unerreichbares Vermögen in ihren Augen.

Magdalene fuhr aus ihrem Stuhle in die Höhe und ergriff das Mädchen noch ein Mal bei der Hand.

– Louise! sagte sie mit ernstem Tone. Wenn ich Dir das Geld gebe, was willst Du mir dafür thun?

Das Anerbieten schien Louisen in sprachloses Erstaunen zu versetzen. Sie zitterte heftig und sagte Nichts. Magdalene wiederholte ihre Worte.

– Ach, gnädige Frau, meinen Sie es im Ernste? sagte das Mädchen. Meinen Sie es wirklich im Ernste?

– Ja wohl, versetzte Magdalene, ich meine es im Ernste. Was willst Du für mich thun?

– Thun? wiederholte Louise. Ach, was gibt es wohl in der Welt, was ich nicht dafür thäte!

Sie versuchte, Magdalenen die Hand zu küssen, aber diese ließ es nicht zu. Sie zog entschlossen, fast rauh, ihre Hand weg.

– Ich lege Ihnen keine Verpflichtung zum Dank auf, sprach sie. Wir dienen uns einfach gegenseitig. – Das ist Alles. Bleibe ruhig sitzen und laß mich nachdenken.

Die nächsten zehn Minuten war es still im Zimmer. Als diese Frist verstrichen war, nahm Magdalene ihre Uhr heraus und hielt sie nahe an das Kamingitter. Es war gerade Licht genug, um ihr die Stunde zu zeigen. Es war nahezu sechs Uhr.

– Bist Du ruhig genug, um hinuntergehen und Etwas bestellen zu können. frug sie, indem sie von ihrem Stuhle aufstand und wieder mit Louisen sprach. Es ist eine einfache Bestellung – es ist nur, dem Burschen zu sagen, daß ich eine Droschke brauche, so schnell er nur eine beschaffen kann. Ich muß sofort ausfahren. Du sollst erfahren, warum so spät am Abend. Ich habe Dir noch viel mehr zu sagen, aber es ist jetzt keine Zeit dazu, es jetzt zu thun. Wenn ich fort bin, bringe Deine Arbeit herauf und warte, bis ich wiederkomme. Ich werde vor Schlafenszeit wieder zurückkommen.

Ohne ein anderes Wort der Erklärung zündete sie rasch ein Licht an und zog sich in das Schlafzimmer zurück, um Hut und Shawl zu holen.

30So nannte sich bekanntlich der in Frage stehende Schwindler selbst. Der Hauptmann gibt uns durch diesen an sich unverständlichen Ausdruck eine Probe von der Geheimsprache, welche sich alle Gauner bei einem gewissen Grade der Ausbildung ihres sauberen Handwerks allmählich zu schaffen pflegen. Ave – Lallemant hat in seinem Band I, S. 40 angeführten »Deutschen Gaunerthum«, und zwar in den 1862 erschienenen Schlußbänden (llI u. IV) auch die Gaunersprache erschöpfend behandelt.