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In der Dämmerstunde

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Dann siegelte er den Brief und übergab ihn Magloire. Der Polizei-Agent sah auf die Adresse und verließ das Zimmer. Sie war an »Robespierre, Rue Saint-Honore.«

Als Lomaque allein war, ging er auf und ab und biss sich an den Fingernägeln, dann sagte er: »Danville kommt diese Nacht zurück und die Krisis mit ihm! Trudaine und seine Schwester sind als Verschwörer bezeichnet. Alles was man sieht und hört, soll als schädlich verdächtigt sein.« – Wieder ging er ein paar Mal das Zimmer auf und ab, endlich blieb er an dem offenen Fenster stehen und hielt folgendes Selbstgespräch: »Jetzt sind es gerade fünf Jahre, dass ich mit Trudaine auf jener Bank an den Ufern der Seine saß und dass Schwester Rose dem alten Lomaque Kaffee warm stellte. – Nein, die Beiden kann ich nicht verdächtigen, vielleicht muss ich sie gerade festnehmen lassen? Ach, ich wünschte, diese Geschichte wäre in eine andere Hand als in die meinige gekommen, ich möchte Einiges darum geben.«

Dann kehrte er wieder zu seinem Schreibtisch zurück und begrub sich unter seine Schriften, bald lesend, bald denkend, wie Jemand, der seine eigenen Gedanken los sein möchte, so trieb er es eine Stunde und biss dabei von Zeit zu Zeit in ein Stück trockenes Brot: endlich wurde es dunkler in dem Zimmer.

»Vielleicht haben wir diese Nacht wieder keine Ruhe,« sagte der alte Mann und klingelte nach Licht. Es wurde gebracht. Magloire kehrte auch zurück und hielt ein dreieckiges Briefchen, welches eher einem Liebesbrief glich, als einem Verhaftsbefehl, und ein kleines versiegeltes Päckchen in seiner Hand. Lomaque öffnete; es war mit Robespierres Unterschrift versehen und enthielt in Ziffernschrift die Worte:

»Verhaften Sie Trudaine und seine Schwester diesen Abend und bewachen Sie Danville, wenn er zurück kommt. Ich fürchte, er ist ein lasterhafter Mensch und von allen Übeln hasse ich das Laster am meisten,«

»Noch Etwas zu tun für diese Nacht?« fragte Magloire.

»Nur eine Arretierung! Versammeln Sie Ihre Leute, und wenn Sie bereit sind, so lassen Sie einen Wagen vorfahren,« antwortete Lomaque.

»Kaum sind wir nun eben einen Augenblick ruhig bei dem Abendessen, da kommt schon wieder Etwas! Der Teufel hole die Aristokraten! Sie sind so sehr auf die Guillotine bedacht, dass sie nicht einmal einen ehrlichen Menschen seine Mahlzeit einnehmen lassen,« murmelte der Polizei-Agent.

Lomaque machte für sich die Bemerkung: »Jetzt bleibt keine Wahl übrig: Sein Vater rettete den meinigen; er selbst behandelte mich stets als seinesgleichen, und seine Schwester erzeigte mir die Aufmerksamkeit, als wäre ich ein Edelmann gewesen.« —

Er ging zu dem Schreibpulte, zog eine Flasche Ligueur hervor und stärkte sich.

»Ich werde mit dem Alter weichherziger, das merke ich,« sagte er, »Mut! Was sein muss, muss sein! Und wenn ich meinen Kopf wagen sollte, ich kann sie nicht arretieren!«

»Die Kutsche ist bereit!« hieß es.

»Nun, ich gehe!« so tröstete sich der Chef der heimlichen Polizei-Agenten von Paris selbst; blies sein Licht aus und verließ das Zimmer.

Zweites Kapitel

Da Rosa nicht wusste, dass ihr Gatte früher nach Paris zurückkommen würde, als er bestimmt hatte, war sie von ihrer einsamen Wohnung zu ihrem Bruder gegangen, um den Abend mit ihm zuzubringen. Sie saßen noch lange eng bei einander, über Familienangelegenheiten plaudernd, als die Sonne schon lange untergegangen war und in dem Augenblick, als Lomaque sein Licht in dem Dienstzimmer auslöschte, zündete Rosa erst die Lampe in dem Zimmer ihres Bruders an. —

Die fünf traurigen Jahre, die an Rosa vorübergegangen waren, hatten ihr Äußeres stark verändert.« Ihr Gesicht hatte nicht mehr jene rundliche Form, die den Kinderwangen eigen ist, es war dünner und länger geworden und selbst die zarte Röte war geschwunden. Ihr Gang hatte die ehemalige Elastizität verloren und wenn sie ging, machte sich eine gewisse Schwäche sichtbar, die sie nötigte, oft stehen zu bleiben, um auszuruhen. Ihre mädchenhafte Schüchternheit war in unnatürliche Ängstlichkeit übergegangen. Von alle dem entschwundenen Zauber ihrer Persönlichkeit war nur ihre süße, zu Herzen dringende Stimme übrig geblieben, nur schien auch diese von einer gewissen Traurigkeit behaftet zu sein.

Ihren Bruder hatte die Zeit viel weniger verändert, wenngleich sein Gesicht auch Spuren des Grams trug.

Wir wissen es ja aus Erfahrung, die Schönheit, das Ideal der Welt, verweilt nicht lange in ein und demselben Tempel. – Als Rosa die Lampe nieder stellte und sie mit dem Schirme bedeckt hatte, fragte sie ihren Bruder: »Du glaubst also, mein guter Louis, dass unsere gefährliche Unternehmung einen guten Ausgang haben wird? Welche Erleichterung ist es für mich, wenn Du sagst, wir werden zu unserem Ziele gelangen!«

»Ich sagte nur, ich hoffe!« erwiderte ihr Bruder.

»Eben, Hoffnung ist ein großes Wort, von Dir ausgesprochen, in dieser entsetzlichen Zeit und dieser schrecklichen Stadt,« erwiderte Rosa. Sie hielt plötzlich inne, denn ihr Bruder hatte seine Hand warnend erhoben. Sie lauschten Beide mit verhaltenem Atem. Die Töne der Fußtritte, welche sie durch das geöffnete Fenster gehört hatten, waren nun schon vorüber; Alles war still und ruhig, ähnlich der Stille des Todes, der seine Fackel nun schon seit Monaten über das unglückliche Paris schwang. Es war ein Zeichen der Zeit, dass sogar das Hören von Fußtritten dazu geeignet schien, die Menschen in ihren friedlichen Familienunterhaltungen zu stören.

»Wann glaubst Du, Louis, dass ich meinem Mann unser Vorhaben mitteilen kann?« fragte Rosa mit flüsternder Stimme.

»Nicht jetzt, jetzt keine Silbe!« warnte Trudaine ernstlich, »sage ihm nichts früher davon, bis ich es Dir erlauben werde.«

»Ich werde unser Geheimnis heilig halten, mein Bruder,« antwortete die junge Frau.

»Wenn Du es mir sagst, so glaube ich Dir,« sagte Trudaine, »aber ich bitte Dich, sprechen wir jetzt von etwas Anderem. Diese Mauern könnten Ohren haben und die verschlossene Tür dort unten schützt uns vielleicht auch nicht vor Verrat« Bei diesen Worten blickte er scheu um sich. »Nach und nach komme ich aus Deine Idee, Rosa; ich glaube, dass mein neuer Diener ein sehr falsches Gesicht hat. Ich wünschte, ich wäre so vorsichtig gewesen, wie Du es mir geraten hast.«

»Hast Du bemerkt, dass er Deine Handlungen belauscht? Hat er überhaupt etwas Verdächtiges getan? « Ich bitte Dich, sage es mir, Louis!« bat Rosa.

»Still, still, meine Liebe, sprich nicht so laut, rege Dich nicht so auf! Nein, er hat nichts Verdächtiges sehen lassen.«

»Entferne ihn! Ich bitte Dich, entferne ihn, bevor es zu spät ist!« bat die Schwester.

»Um von ihm sofort denunziert zu sein!« ergänzte Louis Trudaine. »Du vergisst, dass Diener und Herren jetzt gleich sind. Ich darf nicht einmal sagen, dass er mein Diener ist; ich habe nur einen Bürger, den ich für seine Mühen und Arbeiten bezahle. – Alles was ich tun kann, ist, dass ich ihn abfasse, wenn er mir Warnungen überbringt. Doch, da haben wir wieder einen recht unangenehmen Gesprächsstoff, wechseln wir ihn wieder! Bitte, öffne dort einmal den Schubkasten! es liegt ein Buch darin, über welches ich Deine Ansicht hören möchte.«

Rosa nahm es heraus, es war eine Kopie von Corneille’s Cid, in blaues Leder gebunden. Rosa war entzückt, als sie hörte, ihr Bruder habe das Buch für sie gekauft, weil Corneille einer der Schriftsteller sei, der Niemand, selbst in dieser schrecklichen Zeit, kompromittieren könnte. »Du äußertest neulich, Rosa, dass Du nur wenig von unserem größten Dramatiker weißt,« sagte ihr Bruder. Ein frohes Lächeln, wie in früheren Tagen, zog Über das Gesicht der Schwester.

»Sieh nur,« fuhr Trudaine fort, »am Anfange eines jeden Actes sind hübsche Kupferstiche!« Als er seine Schwester so beschäftigt hatte, stand er auf, ging zum Fenster und hab den Vorhang in die Höhe. Er blickte auf die Straße. »Es ist nichts zu sehen, ich muss mich doch geirrt haben,« sagte er zu sich selbst und ging dann wieder zu dem Tische.

»Ich bin neugierig, ob mein Mann mich wird ins Theater gehen lassen, wenn der Cid gegeben wird?« sagte Rosa, noch immer in das Buch blickend.

»Nein!« schrie eine raue Stimme an der Tür, »nicht einmal, wenn Du mich auf den Knien darum bätest?«

Rosa blickte sich erschrocken um und sah ihren Mann auf der Türschwelle, welcher sie mit finsteren Blicken ansah. Er hatte seinen Hut aufbehalten und hielt seine Hände in den Taschen.

Der Diener Trudaine’s meldete ihn mit einem tückischen Lächeln und den Worten: »Bürger Danville besucht seine Frau, die Bürgerin Danville.«

Rosa sah ihren Bruder an, der einige Schritte zur Türe getan hatte. »Das ist wirklich eine Überraschung!« sagte sie. »Ist denn Etwas geschehen? Wir erwarteten Dich später.«

»Wie darfst Du es wagen, hierher zu gehen, nach dem was ich Dir gesagt habe?« fragte Danville in strengem Tone. Die arme Frau war so erschrocken, als wenn ihr Mann sie geschlagen hätte. – Trudaine war bleich geworden bei der Szene und ergriff fast unwillkürlich den Arm feiner zitternden Schwester, um sie zu einem Stuhl zu führen.

»Ich verbiete es Dir, Dich hier in diesem Hause aufzuhalten! Ich befehle, dass Du mit mir gehst! Hörst Du? Ich befehle es!«

Er näherte sich ihr, als er aber sah, mit welchen Blicken Trudaine ihn ansah, blieb er stehen. Rosa stellte sich schnell zwischen beide Männer.

»O Charles, Charles, ich bitte Dich, sei freundlich mit meinem Bruder, sei freundlich gegen mich! Ich habe Dir so Vieles mitzuteilen,« bat Rosa. Er wandte sich höhnisch lachend ab. – Als Rosa noch einmal zu sprechen versuchte, gab ihr der Bruder ein Zeichen, dass sie schweigen möge.

Danville hatte es gesehen und rief wütend: »Was, Ihr verständigt Euch in meiner Gegenwart durch Signale?« Mit diesen Worten blickte er sein unglückliches Weib wütend an, und als er das Buch in ihrer Hand erblickte, fragte er in demselben Tone: »Was ist das für ein Buch?«

 

» Eines der Corneille’schen Dramen,« antwortete Rosa, »Louis hat es mir geschenkt.«

»Gib es ihm zurück!« schrie er wütend, »Du darfst kein Geschenk von ihm annehmen. Das Gift des Spions dieses Hauses haftet daran! Gib es ihm zurück!« Da sie zögerte, riss er ihr das Buch aus der Hand, warf es an den Boden und trat mit den Füßen darauf.

»O Louis, Louis! bedenke doch!« bat Rosa. Trudaine war auf Danville zugeschritten, als dieser das Buch auf die Erde geworfen hatte, aber die junge Frau hielt ihn mit ihren Armen zurück. Sie hatte die brennende Röte auf dem Gesicht ihres Bruders richtig gedeutet.

»Nein, nein,« sagte sie und umfasste ihn enger,»tue jetzt nichts, nach den fünf Jahren ruhigen Ausharrens!«

Er machte sich sanft von ihr los.

»Du hast Recht, Liebe, ich habe mich wieder gefunden,« antwortete Trudaine und hob das Buch von dem Boden auf.

»Du hast einen sonderbaren Charakter,« sagte Danville mit nichtswürdigem Lächeln; »jeder andere Mann würde mich nach einer solchen Behandlung gefordert haben.«

Trudaine reinigte das Buch mit seinem Taschentuche und antwortete mit furchtbarem Ernst: »Wenn ich Dein Blut so leicht von meinem Gewissen tilgen könnte, wie die Flecke von diesem Buche, so solltest Du die nächste Stunde nicht mehr erleben! Rosa, Dir werde ich das Buch aufheben bis zu einer anderen Zeit,« setzte er hinzu.

»Ha! hat« lachte Danville, »sehr nicht so mutig Hoffnung auf die Zukunft, – und hüte Deine Zunge in meiner Gegenwart. Es wird eine Zeit kommen, wo Du mich um Hilfe bitten wirst. Verstehst Du mich?«

»Der Mann, welcher mir in diesen Tagen auf Tritt und Schritt folgte, war gewiss Danville’s Spion,« sagte sich Trudaine traurig, dann lauschte er, es ließen sich schnelle Schritte hören, die unter dem Fenster anhielten.

Danville blickte ängstlich um sich und dachte: »ich habe meine Rückkehr absichtlich beschleunigt, denn diese Verhaftung hätte ich um keinen Preis versäumen mögen,« und er blickte auf die Straße hinunter.

Die Sterne waren am Firmament, aber das Mondlicht fehlte, und so konnte er die Personen, die untere standen, nicht unterscheiden, und er zog den Kopf in das Zimmer zurück. Seine Frau saß auf einem Stuhle, noch von dem Schreck gefesselt; Trudaine trug eben das Buch in ein anderes Zimmer. Tiefstes Schweigen herrschte, als man Personen auf der Treppe hörte. Die Tür wurde leise geöffnet.

Lomaque erschien mit seinen Agenten in der Tür

»Gesundheit und Brüderlichkeit, Bürger Danville,« sagte Lomaque. »Wo ist Bürger Louis Trudaine?«

Rosa wollte sprechen, aber Trudaine’s Hand schloss ihr den Mund.

»Mein Name ist Trudaine,« antwortete er.

»Charles,« rief Rosa, »wer ist der Mann? Was will er?«

Er gab ihr keine Antwort.

»Louis Trudaine,« sagte Lomaque und zog dabei ein Papier aus seiner Tasche, »im Namen der Republik verhafte ich Sie!«

»Rette meinen Bruder, Charles,« rief Rosa, »rette ihn! Du bist der Vorgesetzte dieses Mannes hier, befehle ihm, das Zimmer zu verlassen.«

Danville machte ihre Hand lieblos von seinem Arme los.

»Lomaque tut nur seine Pflicht,« sagte er mit boshaftem Lächeln zu Trudaine gewendet. »Ja, er erfüllt nur seine Pflicht, nichts weiter! Sieh mich nur an, Trudaine, Du denkst, ich denunzierte Dich, ja, ich tat es, und ich bin stolz darauf, ich habe mich selbst von einem Feinde, den Staat aber von einem schlechten Bürger befreit. Du erinnerst Dich doch der geheimen Besuche in der Straße von Clery?«

Sein Weib war vor Entsetzen fast erstarrt, aber sie sagte doch: »komm, ich muss Dich sprechen,« und mit fast männlicher Kraft zog sie ihren Mann in die Ecke des Zimmers und mit totenbleichen Wangen hob sie sich auf die Fußspitzen und wollte ihm eben Etwas zuflüstern, als Trudaine rief: »Rosa, wenn Du ein Wort sprichst, bin ich verloren!« Sie verließ ihren Mann und blickte ihren Bruder entsetzt an.

»Rosa,« fuhr Trudaine fort, »wenn Du mich liebst, so schweige.«

Sie warf sich an den Hals ihres Bruders und weinte laut.

Danville wandte sich kalt zu dem Polizei-Agenten und sagte: »Führen Sie den Gefangenen ab! Sie haben Ihre Schuldigkeit getan«

»Nur erst halb,« entgegnete Lomaque, ihn aufmerksam ansehend. »Rosa Danville –«

»Mein Weib? Was wollen Sie mit ihr?« rief Danville.

»Rosa Danville,« fuhr Lomaque höchst kaltblütig fort, »Sie sind mit Louis Trudaine gleichzeitig verhaftet!«

Rosa hob ihren Kopf von der Brust ihres Bruders empor und dieser flüsterte ihr zu:

»Auch Du, Rosa, o mein Gott, darauf war ich nicht vorbereitet.«

»Sie hörte diese Worte, trocknete ihre Tränen, küsste ihn und sagte:

»Ich bin erfreut darüber, Louis, wir bleiben zusammen. Ich bin erfreut!«

Danville sah Lomaque ungläubig an und sagte: »Unmöglich! Hier muss ein Missverständnis obwalten, denn ich habe ja mein Weib nicht denunziert?«

»Still,« antwortete Lomaque, »still, Bürger, achtet die Gesetze der Republik!« —

»Sie gemeiner Kerl! zeigen Sie mir doch erst den Verhaftbefehl,« sagte Danville. »Wer hat es gewagt, mein eigenes Weib zu denunzieren?«

»Sie selbst,« entgegnete Lomaque, »Sie, dem ich den gemeinen Kerl zurückgebe. Sie verdächtigten Ihren Schwager, aber auch mit ihm gleichzeitig Ihre eigene Frau. Ist Trudaine schuldig, so ist Ihre Frau es ebenfalls. Wir wissen das, darum wird sie verhaftet.«

»Ich widersetze mich diesem Befehl,« sagte Danville, »denn ich bin hier der Vorgesetzte! Wer wagt es, mir zu widersprechen?«

Der Chef der Agenten antwortete nicht, sondern ging an das Fenster, wo sich neues Geräusch Vernehmen ließ.

»Hören Sie?« rief Lomaque aus und zeigte auf die Straße.

Viele menschliche Tritte ließen sich hören und man vernahm den Gesang der Marseillaise, dann nahten sich Fackeln.

»Hören und sehen Sie dies Alles?« fragte Lomaque, »nun, so Respektieren Sie auch die Befehle des Mannes, der das Schicksal von ganz Frankreich in seinen mächtigen Händen hält. Hut ab, Bürger Danville! Robespierre ist auf der Straße, man leuchtet ihm bis zu dem Jakobiner-Club voran! Sie fragen, wer sich Ihnen zu widersetzen wagt? Ihr Vorgesetzter und der meinige, der Mann, von dem ein Federzug genügt, um unsere beiden Köpfe unter die Guillotine zu bringen. Soll ich ihn rufen, wenn er hier vorüber kommt? Soll ich ihm sagen, der Oberaufseher Danville widersetze sich seinen Befehlen? Soll ich? Soll ich?« Mit diesen Worten breitete Lomaque den Verhaftbefehl vor den Augen Danville’s aus und zeigte ihm die Unterschrift mit dem Knopf seines Stockes. Die Erinnerung an die Guillotine hatte Danville bescheidener gemacht. – Er sah die Unterschrift an, während Trudaine mit verschränkten Armen zugehört hatte und seiner Schwester fortwährend Mut einflößte. Dann sagte er zu Lomaque: »Bürger, wir sind bereit, tut Eure Pflicht!«

Die Musik auf der Straße wurde immer lauter, das Fackellicht immer heller, die Menschenmenge war gerade unter den Fenstern des Hauses. Diesen Lärm benutzte Lomaque und flüsterte Trudaine zu: »Ich habe den Hochzeitabend und die Bank am Seine-Ufer nicht vergessen!« Noch ehe Trudaine antworten konnte, hatte der alte Mann Rosa’s Hut und Mantel genommen, um es ihr zu geben.

Danville stand stumm und zitternd da, als er die Zurüstungen zu dem Abführen sah; er hatte nur ein oder zwei Worte leise, sehr leise zu seiner Frau gesprochen.

»Die Möbel und Bettstücke sind alle fest versiegelt,« meldete Magloire an Lomaque, welcher ihm zuwinkte und befahl, dass die Agenten sich in Bereitschaft halten möchten.

»Alles in Ordnung!« meldete der Agent zum zweiten Male; diesmal musste er fast schreien, sonst wäre er nicht verstanden worden, so tobte die Menge, welche Robespierre begleitete, und die nun gerade an dem Hause vorüberzog. Das Fackellicht erleuchtete hell das Zimmer, als Lomaque eben den Befehl aussprach:

»In das Gefängnis von Sankt Lazarus!«

Drittes Kapitel

Zwei Tage nachdem Trudaine und seine Schwester verhaftet worden waren, stand der Hauptkerkermeister von Sankt Lazarus vor seiner Tür und rauchte sein Morgenpfeifchen, als er sah, dass Lomaque, der Chef der zweiten Sektion der geheimen Polizei, durch das Gitter in den Hof trat.

»Guten Morgen, Herr Lomaque,« rief der Hauptkerkermeister, »was führt Sie denn schon so früh zu mir? Vergnügen oder Geschäfte?«

»Heute fand ich gerade eine unbeschäftigte Stunde,« entgegnete Lomaque, »da ging ich denn ein Wenig aus, und da mich der Zufall bis vor das Gefängnis von Sankt Lazarus führte, so wollte ich gleich mal hören, wie Sie sich befinden, mein Freund?«

»Ach, wie glücklich sind Sie, doch noch einige müßige Stunden zu finden,« entgegnete der Hauptkerkermeister, »ich bin leider überladen mit Arbeit, denn die Guillotine arbeitet für uns noch zu langsam.«

»Müsst Ihr Euch auch schon mit den Gefangenen bei dem Frühstück beschäftigen?« fragte Lomaque sehr unbefangen.

»Ja doch, ja! Von früh bis spät! Kommen Sie, Freund Lomaque, besehen Sie sich doch einmal die Gesellschaft,« sagte der Kerkermeister, der von seinen Gefangenen wie von einer Gemälde-Sammlung sprach.

Lomaque nickte zustimmend und sah dabei ungemein gleichgültig aus. Der Kerkermeister führte ihn in das Innere einer Halle und zeigte mit seiner Pfeifenspitze auf die Gefangen. »Seht, das ist unser Morgenimbiss, Bürger, gerade bereit zum Einnehmen!«

In einer Ecke der Halle standen und saßen mehr denn dreißig Personen von verschiedenem Geschlecht und Alter. Die einen starrten stumm vor sich hin, andere lachten und plauderten. Nahe bei ihnen befanden sich die beaufsichtigenden Bürger-Wachen; zwischen der Wache und den Gefangenen saß der zweite Kerkermeister eben mit seinem Frühstück beschäftigt. – Lomaque’s scharfes Auge fand bald das, was er heimlich suchte; Trudaine und seine Schwester. – Beide standen außerhalb der eigentlichen Gruppe und sprachen mit einander.

»Nun, Apollo,« redete der Hauptkerkermeister den zweiten Kerkermeister mit seinem Spitznamen an, »ermüdet Dich dieses furchtbare Geschwätz hier nicht?«

»Ich bitte Dich, tue mir den Gefallen und lies heute Nachmittag während meiner Abwesenheit die Liste der Guillotine und bezeichne die Türen der Gefangenen, die morgen sterben werden, mit Kreide, bevor der Karren kommt, der sie abholen wird.«

»Doch trinke heute nicht so viel, Apollo, hörst Du, dass keine Verwechselung mit der Totenliste geschieht.«

»Na, nu,« sagte Lomaque, wir haben jetzt den heißen Juli, da ist man durstig,« mit diesen Worten klopfte er seinem Freunde auf die Schultern und setzte hinzu: »Warum haben Sie sich denn so mit dem Frühstück beeilt? Ich habe heute Zeit, kann ich Ihnen vielleicht helfen, jene Leute dort in den Gang zu setzen?«

»Ja, helfen Sie nur, Freund Lomaque,« sagte der Hauptkerkermeister, und der Chef der geheimen Polizei fing nun auch an, die Gefangenen in Reihe und Glied zu bringen.

Er suchte sich Trudaine zu nahen und machte ihm ein Zeichen des Einverständnisses, dann nahm er ihn ziemlich unsanft bei den Schultern und sagte: »so, Sie werden hier mit Ihrer jungen Frau den Schluss decken!«

Trudaine fühlte ein Stück Papier zwischen Nacken und Halstuch. – »Mut!« flüsterte er seiner Schwester zu, die bei Lomaque’s Scherzen heftig zitterte.

So setzte sich nun der Zug zu dem Verhör nach dem Tribunal-Gericht in Bewegung. Die Wache und der bucklige zweite Kerkermeister begleiteten die Gefangenen. Lomaque wollte sie auch begleiten, aber der gastfreundliche Hauptkerkermeister sagte: »Ach, lassen Sie nur den Kollegen allein bei den Gefangenen und kommen Sie zu einem Glas Wein herein!«

»Ich danke,« entgegnete Lomaque, »ich ziehe es vor dieses Geschwätz noch weiter mit anzuhören. Vielleicht komme ich am Nachmittag. Wann gehen Sie denn zu Ihrer Sitzung? Um zwei Uhr? Gut, ich werde gleich nach ein Uhr hier sein.« Mit diesen Worten nickte er seinem Freunde zu und entfernte sich.

Als Lomaque zu dem Tribunal kam, sollte eben das Verhör beginnen. Das vorzüglichste Meublement des Gerichtssaales war ein großer, mit grünem Stoffe bedeckter Tisch. An diesem saßen der Präsident und andere Herren des Tribunals mit bedeckten Häuptern. Dem Tische gegenüber befanden sich Bänke für das Publikum, die meist von Frauen besetzt waren, die sich hier mit ihren verschiedenen Beschäftigungen niedergelassen hatten. Einige strickten, andere nähten, kurz, sie schienen ganz heimisch zu sein an der Gerichtsstätte. Zwischen Tisch und Publikum war ein von einem Gitter eingefasster Raum für die Angeklagten und ihre Wächter.

Die Sonne schien hell und freundlich durch ein hohes Fenster und ein heiteres Sprechen hallte durch den Raum, als Lomaque eintrat.

Er war hier als Polizist eine begünstigte Persönlichkeit, darum trat er auch durch eine besondere Tür in den Saal, umschritt erst den Raum, wo die Gefangenen standen, und dann erst begab er sich auf einen Sitz hinter dem Stuhle des Präsidenten. Trudaine stand mit seiner Schwester wieder außerhalb der Andern, und er machte Lomaque ein Zeichen; denn er hatte schon Gelegenheit gefunden, den zugesteckten Zettel zu lesen. Sein Inhalt hieß: .

 

»Ich habe eben entdeckt, wo Bürger und Bürgerin Dubois sich aufhalten. Gestehen Sie nichts. So nur werden Sie Ihr eigenes Leben und das Ihrer Schwester retten können!«

Danville. Magloire und Picard waren auch in dem Saale anwesend.

Danville konnte man die Angst von dem Gesicht ablesen.

Von Zeit zu Zeit nahm er sein Taschentuch und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Ruhe!« rief jetzt der Thürsicherer mit heiserer Stimme. »Ruhe!« Mit diesen Worten schlug er mit einem dicken Knüttel auf den Tisch. »Ruhe! der Präsident wird sprechen!«

Der Präsident erklärte nur, dass die Sitzung nun eröffnet sei. Aber man hörte in diesem Augenblick einen dumpfen Fall unter den Gefangenen und man bemerkte eine lebhafte Bewegung. Zwei ihrer Wächter geboten Ruhe; dann folgte tiefes Schweigen, welches aber durch das Hinzutreten eines Mannes abermals unterbrochen wurde. Er hielt ein mit Blut gefärbtes Messer in der Hand, das er auf den Tisch niederlegte und sagte: »Bürger, ich habe zu berichten, dass sich soeben der eine der Gefangenen selbst gemordet hat!t« – Ein Murmeln lief durch den weiten Saal. – »Ist das Alles? Wie ist sein Name?« fragte der Präsident.

»Martigné,« antwortete der bucklige Kerkermeister und ging zu dem Tisch, um weitere Notizen aufschreiben zu lassen.

»Nähere Beschreibung?«

»Hoflieferant und Wagenfabrikant des Tyrannen Capet.«

»Angeklagt?«

»Der Verschwörung im Gefängnis«

Der Präsident schrieb das Alles auf und schloss seine Notizen mit den Worten: »Griff dem Gesetze vor und tötete sich selbst; eine Handlung, die dazu berechtigt, seine Güter und sein Vermögen einzuziehen. 1. Termidor, zweites Jahr der Republik.«

»Ruhe!« gebot der Mann mit dem Knüttel von Neuem, als der Präsident seine Notizen mit Sand bestreute. »Bringen Sie den Toten fort,« sagte er und schlug sein Buch mit den Notizen zu.

»Ist noch etwas Besonderes für heute?« fragte der Präsident und blickte nach den Leuten hinter sich.

»Ja, Etwas,« sagte Lomaque und ging zu dem Stuhle des Präsidenten. »Wollen Sie, so verhören Sie Louis Trudaine und Rosa Danville zuerst. Zwei von meinen Leuten sind hier in diesem Falle als Zeugen vorgeladen, und da die Republik ihrer Dienste bedarf, so möchte ich, dass sie bald verhört werden.«

Der Präsident überflog die vor ihm liegende Liste und beauftragte den Aufrufer die Namen zu verlesen und die Angeklagten vor die Schranken zu bringen.

Wie Lomaque zurückging, näherte sich ihm Danville und flüsterte ihm zu: »Es geht ein Gerücht, dass Sie wissen sollen, wo sich Bürger und Bürgerin Dubois aufhalten, ist es so?«

»Ja,« antwortete Lomaque, »aber ich habe den Befehl, das Geheimnis für mich zu behalten.«

Danville ärgerte sich über den Ton, in welchem sein Unterbeamter ihm diese Frage beantwortet hatte.

»Louis Trudaine! Rosa Danville« rief die Stimme des Beamten.

Beide Gerufenen erschienen vor dem Tisch. Der erste Blick auf ihre Richter, der andere aus die hier versammelte Menge schienen Rosa niederschmettern zu wollen. Sie wurde bleich und rot Dann lehnte sie sich an die Schulter ihres Bruders, dessen Herz sie schlagen fühlte, und weinte leise.

»Nun!« sagte der Präsident und schrieb ihre Namen auf. »Angeklagt durch wen?«

Magloire und Picard traten zu dem Tisch, und der erstere antwortete: »Durch den Bürger Danville.«

Diese Antwort erregte großes Aufsehen unter Gefangenen und Publikum.

»Wessen angeklagt?« fragte der Präsident weiter.

»Der männliche Gefangene der Verrätherei gegen die Republik; der weibliche der Mitwissenschaft dieser Verrätherei.«

»Die Beweise?« fuhr der Präsident ordnungsmäßig fort.

Picard und Magloire legten ihre Entwürfe vor, die sie an jenem Abende in dem Dienstzimmer vorgelesen hatten.

»Gut!« sagte der Präsident, nachdem dieselben laut verlesen waren. »Haben Sie Ihre Anklage vernommen?« fragte er zu den beiden Gefangenen gewendet. »Haben Sie noch Etwas hinzuzufügen? Ist dies der Fall, so fassen Sie sich sehr kurz, denn unsere Zeit ist kostbar!«

»Ich wünsche für meine Schwester und für mich zu sprechen,« antwortete Trudaine, »so werde ich die Zeit des Tribunals am wenigsten beanspruchen; denn ich werde sogleich ein Geständnis ablegen.

Eine außerordentliche Stille herrschte im Saale als Trudaine das Folgende aussagte:

»Ich gestehe, dass ich mich heimlich nach dem Hause in der Rue Cléry begab. Ich gebe zu, dass die Person, welche ich dort sprach, die in der Anklage erwähnte ist. Und ich bekenne, dass wir die Wege besprachen, auf welchen wir Frankreich verlassen könnten. Aber wir haben nie daran gedacht, die gegenwärtige politische Regierung mit in unser Gespräch zu ziehen; folglich bin ich auch nicht eines Vergehens gegen die Republik schuldig. Die Person, mit welcher ich dort sprach, hat keinen Einfluss auf die Politik, noch hat sie Bekanntschaft mit Personen, die in der Politik eine Rolle spielen, deshalb bin ich nun auch kein Verräter des Vaterlandes.«

»Sind Sie bereit, dem Gerichtshofe hier mitzuteilen, wo sich das Ehepaar Dubois jetzt aufhält?« fragte der Präsident.

»Ja, ich bin dazu bereit,« antwortete Trudaine, »doch zunächst erlauben Sie mir ein Wort über meine Schwester zu sagen, die mit mir hier vor Ihnen steht.« Seine Stimme zitterte, als er bemerkte, wie Rosa ihre Augen zu ihm erhob. »Ich bitte das Tribunal meine Schwester von Allem frei zu sprechen, woraus mir ein Verbrechen gemacht wird. Sie konnte mir in nichts beistehen, noch stand sie mir bei. Ist Jemand zu tadeln, so kann ich es nur allein sein.«

Er wurde plötzlich verwirrt und hielt ein, denn Rosa wisperte ihm zu: »Nein, mein Louis, kein Opfer!« Dann machte sie sich von ihm los und richtete sich auf, kräftig, kühn, das Auge auf die Richter geheftet.

»Still! stillt« tönte es durch den Saal, »sie will sprechen!«

Und sie sprach mit ihrer schönen silberhellen Stimme: »Mein Herr Präsident.« Ein verwirrtes Murmeln lief durch die Versammlung:

»Sie ist eine Aristokratin! Eine Aristokratin!« hörte man die Weiber murren.

»Bürger-Präsident,« rief ihr Bruder. »Meine Schwester ist verwirrt, sie kann nicht sprechen. Ich flehe das Tribunal an, kein Gewicht auf das zu legen, was meine Schwester aussagen wird. Die Angst dieser Tage hat ihren Geist verwirrt gemacht. Sie ist nicht verantwortlich für ihre Worte. Ich erkläre dies feierlich vor den Anwesenden.«

»Sie soll sprechen! Sie muss sprechen!« riefen die Weiber auf der Tribüne.

»Ruhig, Ihr Weiber hier!« rief der Mann mit dem Knüttel. »Der Herr Präsident hat das Wort.«

»Der Angeklagte hat das Wort,« erklärte der Präsident; »wünscht die weibliche Angeklagte zu sprechen, so wird ihr später das Wort erteilt werden. Nun fahren Sie fort mit Ihrem Bekenntnis, Gefangener Trudaine,« sagte der Präsident, »aber sprechen Sie nur von sich, nicht mehr von Ihrer Schwester. Sprechen Sie zunächst über Dubois, doch fassen Sie sich kurz!«

»Ich bin bereit,« entgegnete Trudaine.

»Der Bürger Dubois ist ein Diener. Die Bürgerin Dubois ist die Mutter von dem Manne, der mich hier anklagte, die Mutter des Oberaufsehers der Geheimen Polizei, die Mutter Danville’s!«

Ein lautes Murmeln von mehr als hundert Stimmen ließ sich hören. Dass Trudaine die Wahrheit gesagt, ließ sich nicht einen Augenblick bezweifeln, denn der Mann, der so teilnahmslos und sorglos hinter dem Sessel des Präsidenten gesessen hatte, war plötzlich ohnmächtig geworden und man rief: »Macht Platz! Der Ober-Aufseher Danville ist krank geworden!«

Die unbeschreibliche Szene, welche sich vor dem Tribunale abspielte, veranlasste den Präsidenten, die Aussagen Trudaine’s so lange aufzuheben, bis Bürger Danville durch die frische Luft gestärkt, in die man ihn hinaus begleitet hatte, zurückgekehrt sei. Dann befahl er, dass Rosa jetzt sprechen möge.