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In der Dämmerstunde

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Die Erzählung der französischen Gouvernante
von Schwester Rose

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Einleitung

Es war ein trüber Tag für mich als ich erfuhr, das Mister Lanfray von Rockleigh, der Gesundheit seiner jüngsten Tochter wegen, von England nach dem Süden Frankreichs reisen wollte. Wer, wie ich, von Ort zu Ort zu reisen genötigt ist, macht wohl viel Bekanntschaften, erwirbt aber dabei wenig Freunde.

Mister Lanfray machte eine Ausnahme von der Regel, dass man Menschen steht und vergisst Ich habe in seinen Briefen an mich Beweise seiner freundlichen Erinnerung. Der letzte derselben erhielt eine Einladung für mich nach dem Süden Frankreichs zu kommen. Es wäre wohl eine angenehme Abwechselung für mich, wenn ich dort hin könnte, allein ich begnüge mich damit, seine Briefe zu lesen und versetze mich dadurch in die glücklicheren kommenden Tage meines Lebens, wo es mir doch vielleicht noch vergönnt sein möchte, dieser Einladung zu folgen.

Meine Einführung in das Haus des Edelmanns versprach keine besonders große Einnahme; ich war gebeten, das Bild der französischen Gouvernante, in Wasserfarben zu malen. Ich dachte, die Gouvernante verlässt gewiss die Familie, und ihre Zöglinge wollen ihr Bild zum Andenken behalten. Allein ich erfuhr, dass die älteste verheiratete Tochter mit ihrem Gemahl nach Indien gehen wollte, und dorthin beabsichtigte sie das Bildnis ihrer besten und teuersten Freundin mitzunehmen.

Die Gouvernante war eine alte Dame, welche Mister Lanfray, nach dem Tode seiner Gattin, aus Frankreich mit in sein Haus gebracht hatte. Die Kinder betrachteten die Dame wie ihre zweite Mutter, seit langen Jahren.

Ich begab mich also nach Rockleigh, oder an den »Platz«, wie die Bewohner rings umher Rockleigh nannten, und fand einen so freundlichen Empfang, als wäre ich ein Familienmitglied gewesen. Meine Ankunft fand Abends statt, aber trotzdem wurde ich doch noch den Töchtern des Hauses vorgestellt. Diese waren nicht nur drei elegante anziehende Frauen, sondern sie waren auch die schönsten Sujets zum Malen, besonders die junge Frau.

Ihr Gemahl fesselte mich nicht gleich, er erschien mir still und schweigsam.

Ich blickte mich nach der Gouvernante »Mademoiselle Clairfait« um, aber sie war nicht anwesend und ich erfuhr, dass sie die Abende gewöhnlich in ihrem eigenen Zimmer zuzubringen pflege.

Bei dem Kaffee suchte ich wieder vergeblich nach dem Original meines Zukunft-Bildes, aber die jungen Damen versicherten: »Mama wird schon erscheinen, denn sie macht besondere Toilette zu der Sitzung für Sie.« Dann kam auch bald die Nachricht, dass Mademoiselle bereit sei.

Niemals sah ich soviel Übereinstimmung des Alters mit der Toilette Mademoiselle war klein und mager. Der Teint weiß, die Haut voller Falten, ihre großen dunklen Augen glänzten jedoch noch mit jugendlichem Feuer. Die Augen überflogen alle Gegenstände mit einer solchen Schnelligkeit, dass man kaum anzunehmen geneigt war, das völlig ergraute Haar sei Eigentum des Kopfes; man hielt die ganze Erscheinung vielmehr für eine junge Dame die sich absichtlich für einen Maskenball kostümiert hatte. Sie trug ein silbergraues, glänzendes Seidenkleid, welches bei jeder Bewegung rauschte. Ihr Kopf, Hals und Brust waren mit einer zarten Spitze geschmückt, die hier und dort höchst malerisch befestigt war. An ihrem rechten Arm trug sie drei kleine Armbänder aus den Haaren ihrer Zöglinge, und an dem linken ein breites goldenes mit einem Miniaturgemälde darauf, in einer Kapsel. Ein dunkelrotes, mit Gold durchwirktes Flortuch war kokett über ihre Schultern geworfen; in der Hand hielt sie einen allerliebsten Fächer aus Federn.

Sie stellte sich mit einem freundlichen Lächeln selbst vor, dabei öffnete sie graziös den Fächer und füllte den Raum mit Wohlgerüchen an. Ich verlor vollständig den Mut, dass ich sie würde getreu malen können. Die schönsten Farben in meiner Schachtel waren nicht warm für das Gemälde, und ich fühlte mich selbst ihr gegenüber, ein ungewaschener, ungebürsteter Repräsentant meiner Kunst.

»Sagt mir, meine Engel,« hob sie in ihrem hübschen gebrochenen Englisch an, »bin ich nicht sehr hübsch eingerahmt? Verstehe ich es nicht, meine sechzig Jahre würdig zu repräsentieren? Was werden die Wilden in Indien zu meinem Bilde sagen, wenn mein Liebhaber das Gemälde präsentiert?«

»Und die Herren? Und die Künstler?«

»Ach! Das wird Sensation erregen!« .

»Finden Sie mich nicht hübsch von der Sohle bis zum Scheitel?«

Dann setzte sie sich in den Sessel und glich vollkommen einer jener Schönen aus Geßner’schen Idyllen.

Die jungen Damen lachten laut auf, und Mademoiselle stimmte lustig mit ein in die allgemeine Fröhlichkeit. Selten hat mich Jemand zum Malen so befriedigt durch Kleidung und Haltung, als jene alte prächtige Dame.

Als ich kaum begonnen hatte, sprang sie wieder von dem Stuhle auf und sagte: »O Himmel, was habe ich vergessen! Ich habe heute noch nicht daran gedacht, meine Engel zu umarmen;« damit ging sie zu den jungen Damen, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste sie schnell auf beide Wangen, viel schneller, als wenn eine englische Gouvernante bloß gesagt hätte: »Guten Morgen, meine Lieben, ich hoffe, Sie haben die Nacht gut geruht?« —

Dann ging sie zurück; aber als ich eben anfangen wollte, sprang sie noch ein Mal aus, ging zum Spiegel und sah, ob auch an ihrer hübschen Toilette nichts in Unordnung geraten sei.

Noch zweimal erhob sie sich, nachdem ich kaum angefangen hatte, zuletzt summte sie eine französische Melodie und spazierte dabei das Zimmer auf und ab.

Ich war mit meiner Weisheit zu Ende, wenn das so fortging, so war ans Malen nicht zu denken. Die jungen Damen schienen zu denken wie ich. – Sie umgaben die alte Dame und baten sie, sich nun ruhig zu verhalten. Sie schien überrascht, dass man sie für unruhig hielt, denn sie streckte ihre Hände aus und sagte: »Aber warum reden Sie mich denn an? Ich bin hier, ich bin bereit, ich bin ganz und gar zu Diensten des geschickten Künstlers? Warum reden Sie mich an?«

Um sie auf andere Gedanken zu bringen« fragte ich sie, ob sie ganz gemalt sein wollte, oder nur als Brustbild?

»Wenn ich Sie für den geübten Maler halten soll, für den man Sie hier empfahl,« sagte sie, »so können Sie doch nicht einen Zoll von meiner ganzen Gestalt fortlassen wollen?« Die Toilette war ihre Leidenschaft! Wenn ich also wollte, dass sie mit meinem Gemälde zufrieden sei, so durfte ich weder ihr Kleid, noch ihre Spitzen, nicht Fächer, Ringe, Juwelen, besonders aber nicht ihre Armbänder fortlassen. Ich war böse auf die Fülle der Arbeit, aber in der besten Absicht, denn ich hatte nur den Wunsch, das Original getreu zu copiren. Dann machte sie mich besonders auf das Miniaturbild aus dem Armbande aufmerksam, und sagte mir, dass dies das Gesicht ihres einzigen und besten Freundes darstelle, ich möge doch dieses schöne, ihr so teure Gesicht, getreu auf ihr eigenes Bild aufnehmen, wenn das möglich wäre.

Ich war etwas unwillig, dass sich meine Arbeit noch vergrößern sollte und dachte, das ist gewiss einer ihrer Liebhaber, der sie in ihrer Jugend täuschte und dann sitzen ließ. – Ich näherte mich ihr, um das Miniaturbild genau zu betrachten, war aber nicht wenig erstaunt, als ich ein sehr sorgfältig ausgeführtes Gemälde erblickte, welches das milde Gesicht einer schönen jungen blonden Frau zeigte, das an Lieblichkeit den Rafael’schen Madonnen glich.

Die alte Dame beobachtete den Eindruck, welchen das Bild aus mich machte und ich sagte: Welch ein schönes unschuldiges Gesicht!« Mademoiselle fuhr mit dem Taschentuch über das Bild und sprach: »Ich habe noch drei Engel, das tröstet mich über den Verlust des vierten, der nicht mehr ist.« Dann befühlte sie das Bildchen sanft und sagte wie zu sich selbst: »Schwester Rosa! Ich möchte das Bild deshalb mit auf meinem Gemälde haben, weil ich es stets trug, seit meiner Jugend, der Schwester Rosa wegen.«

Bei der alten Dame hatte ein so plötzlicher Übergang von Lustigkeit zur Traurigkeit stattgefunden, dass man es bei einer Dame einer andern Nation für theatralisch hätte halten können, aber bei ihr war dies ein ganz natürlicher Übergang Ich kehrte zu meiner Staffelei zurück und fragte mich: »Wer mag Schwester Rosa sein?« Eine Schwester der jungen Damen hier ist sie nicht, das sieht man an jedem Zuge des Gesichts.

Mademoiselle Clairfait saß eine halbe Stunde vollkommen ruhig, mit in einander geschlagenen Händen da, ihre Augen fest auf das Miniaturbild gerichtet. Diesen glücklichen Umstand benutzte ich nun, um die Umrisse des Kopfes zu zeichnen und die der ganzen Figur. Während ich nun recht fleißig im besten Zeichnen war, klopfte eine Dienerin an die Tür und meldete, dass das Frühstück aufgetragen sei.

Mademoiselle sprang auf und sagte: »Wie materiell sind wir doch, der Geist ist dem Magen dienstpflichtig. Meine Seele weilte bei zärtlichen Erinnerungen. Ich bin jetzt nicht aufgelegt zum Frühstück. Kommt, meine Kinder, gehen wir in den Garten!«

Die alte Dame verließ das Zimmer und ihre ehemaligen Zöglinge folgten ihr. Die älteste Schwester blieb etwas zurück und erinnerte mich, dass das Frühstück bereit stehe.

»Sie werden gewiss entsetzt sein,« sagte die junge Dame, »dass Mademoiselle so unruhig ist,« indem sie auf meinen Entwurf blickte; »aber in der letzten halben Stunde verhielt sie sich doch schon etwas ruhiger?«

»Ich glaube, dass das Miniaturbild mit seinen Erinnerungen das Wunder hervorgebracht hat,« antwortete ich lächelnd.

»Ja, so wie man sie an das Bild erinnert, ist sie gleich verändert: sie lässt dann die vergangene Zeit an sich vorübergehen, spricht von Schwester Rosa und von den Ereignissen der französischen Revolution, die sie mit erlebte. Es ist das Alles sehr interessant,« setzte die junge Dame hinzu.

»Schwester Rosa war sicher eine Freundin von Mademoiselle?« fragte ich.

 

»Ja, eine sehr heißgeliebte Freundin,« erhielt ich zur Antwort. »Mademoiselle Clairfait ist die Tochter eines Seidenhändlers, der einst zu Chalons-sur-Marne etabliert war. Ihr Vater gab einem alten Manne eine Wohnung, der der Schwester Rosa und ihrem Bruder während der Revolutionszeit viel Gutes erzeigt hatte, und dieser Umstand führte die Bekanntschaft zwischen Schwester Rosa und Mademoiselle herbei. Nachdem der Vater unserer guten alten Gouvernante Bankrott gemacht hatte und lange zuvor, ehe wir ihre Zöglinge wurden, lebten Rose, deren Bruder und Mademoiselle zusammen. Damals muss sie alle die interessanten Dinge gehört haben, welche sie mir und meinen Schwestern so oft erzählt hat.«

»Würden Sie vielleicht Mademoiselle dazu bewegen können, mir, während ich male, etwas über das Gemälde oder was mit ihm im Zusammenhang ist, zu erzählen?« fragte ich; »Denn nur so habe ich, wie ich bemerkte, Gelegenheit, das Fräulein zu fesseln.«

»O, das ist das Leichteste, wozu sie sich durch uns bewegen lässt,« sagte die junge Dame, »sie weilt so gern bei ihren Jugenderinnerungen. Ich freue mich, dass Sie auf die Idee gekommen sind. Doch jetzt gestatten Sie mir wohl auch, dass ich Ihnen den Weg zum Frühstückszimmer zeige?«

Die Aufforderung hatte den besten Erfolg. Ich teile auf den nächsten Seiten mit, was ich von Mademoiselle Clairfait vernahm.

Die beiden früheren Erzählungen gab ich mit den Worten des Erzählers wieder; allein bei den Eigentümlichkeiten des Fräuleins und mit Rücksicht auf die verschiedene Zeit, wo mir die Geschichte von Schwester Rosa mitgeteilt wurde, ziehe ich es vor, die Dame nicht selbstredend vorzuführen; ich werde die Geschichte in meiner Weise erzählen, ohne Etwas hinzuzufügen noch abzukürzen, nur will ich das Ganze verständlicher aneinander reihen, um den Leser noch mehr zu interessieren

Erster Theil

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Erstes Kapitel

»Guten Abend, Wilhelm, was gibt es Neues?«

»Ich weiß weiter nichts, als dass Fräulein Rosa sich morgen verheiraten wird!«

»Ich bin in der Lage, diese Neuigkeit gerade so genau zu wissen, wie Sie, mein alter Freund, da ich der Diener des Bräutigams bin, der Morgen eine der beiden Hauptrollen in der Heiratscomödie übernehmen wird. Das war also nichts Neues! Da, schnupfen Sie einmal! Ich fragte nach öffentlichen Neuigkeiten, nicht aber nach denen der beiden Familien, deren Wohl wir zu fördern haben.«

»Ich verstehe Sie nicht, Justin, was Sie mit der Phrase »Wohl zu fördern« meinen? Ich bin nicht der Diener Ihrer Herrschaft, sondern diene allein Herrn Trudaine, der hier mit seiner Schwester, der Braut, lebt. Ihre alte Dame hat zwar die Heirat zwischen ihrem Sohne und meiner jungen Herrin zusammengebracht, aber deshalb interessiere ich mich doch nicht für sie. – Mit den öffentlichen Neuigkeiten befasse ich mich gar nicht, denn ich bin noch ein Bedienter aus der alten Schule, der sich an der Haushaltungs-Politik genügen lässt! Sagt Ihnen das nicht zu, Justin, so bedauere ich es, und wünsche »gute Nacht!«

»Verzeihen Sie, aber ich habe nicht den geringsten Respekt vor der alten Schule, in diesem Sinne, ich interessiere mich für das jetzt so bewegte öffentliche Leben. Sie, mein lieber Wilhelm, werden sich sicher auch bald ändern und zu unserer Fahne schwören! Doch, gute Nacht!«

Dieses Gespräch fand an einem warmen Sommerabende des Jahres 1789 statt. Die beiden Diener die es führten, standen vor der Hintertür eines kleinen Hauses, welches drei Meilen westlich von Rouen, an den Ufern der Seine, stand.

Der eine war ein alter, magerer, mürrisch aussehender Mann; der andere, ein wohlgenährter junger Mann, der in einer reichen Livree steckte. Die Tage der alten Epoche nahten sich schnell ihrem Ende, wie aus der Jahreszahl ersichtlich ist, aber Frau Danville liebte es, ihren Diener noch so gekleidet zu sehen, wie zur Zeit Louis XV.

Nachdem der alte Mann fortgegangen war, betrachtete Justin das kleine Häuschen, vor dem er stand, genauer. Nach den Fenstern zu urteilen, mochte es höchstens sechs bis acht Zimmer enthalten. Anstatt Stellungen und Nebengebäude zu finden, erblickte Justin nur ein Gewächshaus und an diesem war ein langer Raum von Holz gebaut. Eines der Fenster dieses saalartigen Raumes war offen, und Justin sah neugierig hinein und betrachtete mit etwas verächtlichen Blicken die verschiedenen Flaschen, Büchsen, farbige Flüssigkeiten und alle die Gerätschaften, welche in ein Laboratorium gehören; denn ein solches war es.

»Ich kann nicht begreifen, wie sich der Bruder »unser er Braut« hier unter diesen Tiegeln, Töpfen, Flaschen und Säften gefallen kann!« sagte Justin kopfschüttelnd. »Pfui!« setzte er hinzu, »ich rieche den Inhalt dieses Zimmers bis hier draußen heraus. Ich wünschte, »wir« wären nicht mit einem Apotheker verwandt geworden!«

Mit diesen Worten kehrte Justin dem Laboratorium verächtlich den Rücken und schlenderte zu dem Garten hinaus und einen Weg, der zu einer Anhöhe führte, weiter.

Oben angelangt, breitete sich die Seine mit ihren lieblichen grünen Inseln, die Ufer mit Bäumen und Häuschen besetzt, und kleine Boote, die auf der Seine schaukelten, vor seinen Blicken aus. Westlich von ihm waren alle Gegenstände mit dem Lichte der untergehenden Sonne bemalt, östlich lagerten sich lange Schatten, und er konnte die Türme und Häuser der Stadt Rouen von weitem sehen. Allein der schöne Sommerabend mit aller seiner Pracht, übte keinen Eindruck auf Justin aus; denn er stand da und hatte seine Hände in die Hosentaschen gesteckt und gähnte fort und fort. Endlich gewahrte er, dicht an dem Ufer der Seine, eine Bank, auf welcher eine ältere, eine jüngere Dame und ein Herr saßen, die den Sonnenuntergang zu betrachten schienen; nahe der Bank standen noch zwei andere Herren. Alle blickten dem scheidenden Tagesgestirn nach. Sie konnten Justin nicht bemerken, denn dieser stand weit hinter ihnen.

»Da sind sie wirklich noch Alle zusammen!« sagte der Diener unzufrieden. »Madame Danville sitzt noch an derselben Stelle, mein Herr, der Bräutigam, pflichtschuldig an ihrer Seite. Fräulein Rosa, die Braut, verschämt neben ihm, Herr Trudaine, der Apotheker, und Herr Lomaque, der wunderliche Verwalter, stehen daneben. Da sitzen sie nun und verbringen ihre Zeit mit Nichtstun!« Dann blickte er nach rechts und links, als wollte er Etwas erspähen, was die Aufmerksamkeit der Herrschaften wohl fesseln mochte, und setzte dann hinzu: »Hier gibt es doch wirklich rein Nichts zu sehen!«

Justin gähnte noch wiederholt und ging dann unbefriedigt nach dem Garten zurück, wo er auch bald seine Schlafstätte aufsuchte.

Hätte sich der Diener den fünf Personen genähert, oder hätte er sich die Mühe gegeben, sie mehr zu beobachten, so würde er bald bemerkt haben, dass sie nicht so unbefangen da saßen und standen, wie er anzunehmen geneigt war. Es schien sich ein drückendes Etwas über sie gelagert zu haben, welches sich in ihren Worten und Mienen ausdrückte.

Madame Danville, eine hübsche, reich gekleidete, alte Dame mit glänzenden Augen, sah nur so lange zufrieden aus, wie ihre Augen auf ihrem Sohne ruhten, wenn sie sich jedoch zur Braut wandte, so sah ihr Gesicht weniger freundlich aus, sprach sie aber zu dem Bruder der Braut, so wurde sie entschieden düster. Ihr Sohn schien ganz in Glück aufzugehen wenn er mit seiner Braut sprach; allein deren Bruder schien auf ihn denselben Eindruck zu machen, den seine Mutter empfand. Herr Lomaque, der Gutsverwalter, schien in seiner Ergebenheit für die Familie Danville, den Bruder der Braut fast gar nicht zu beachten, und sprach er ja einmal zu ihm, so sah er ihn nicht etwa an, sondern stach dabei mit seinem Stock in das Gras und blickte auf die Wirkungen der scharfen Spitze desselben.

Die Braut war ein hübsches, unschuldiges Wesen mit kindlichen Manieren. Sie sah fast traurig aus und zitterte ein Wenig, wenn ihr Bräutigam ihre Hand ergriff; ängstlich und oft streiften ihre Augen über das Gesicht ihres Bruders. Trotz des Zwanges der Alle ergriffen zu haben schien, bemerkte man doch nicht, wodurch derselbe eigentlich hervorgerufen war.

Louis Trudaine war ein sehr hübscher junger Mann, sein Gesichtsausdruck war ein sehr freundlicher, sein Wesen anziehend aber auch entschlossen. Gewöhnlich sprach er nur wenn er dazu aufgefordert wurde oder wenn er zu antworten hatte. Seine Stimme zeugte von großer Schwermut, und wenn er seine Schwester betrachtete, so lagerte sich tiefe Traurigkeit über sein hübsches Gesicht.

Die Sonne sank tiefer und tiefer, und die Unterhaltung dieser fünf Personen schien mit der Sonne aufhören zu wollen. – Nach längerem Schweigen war es der Bräutigam, der wieder zu sprechen begann:

»Meine liebe Rosa,« sagte er, »sieh’, ich halte diesen prächtig schönen Sonnenuntergang für ein gutes Omen zu unserer Hochzeit; wir werden morgen gutes Wetter haben!«

Die Braut lächelte und errötete

»Glaubst Du in der Tat an Vorbedeutungen, Charles?« fragte sie.

»Meine Liebe,« sagte die alte Dame, bevor noch ihr Sohn Zeit zum Antworten fand, »es ist dabei nichts zu lachen, wenn Charles an Vorbedeutungen glaubt. Du wirst das von ihm selbst hören, wenn Du erst seine Frau sein wirst, und wenn ihr mit einander vertraulicher plaudern werdet. Alles was er ausspricht, ist so wohl begründet, dass ich auch sofort sogar an Vorbedeutungen glauben würde, wenn er den Ausspruch tun würde, dass man daran glauben darf.«

»Ich bitte um Verzeihung, Madame,« sagte Rose, »ich meinte nur —«

»Mein liebes Kind, kennst Du mich so wenig, dass Du annimmst, ich sei beleidigt?«

»Lass Rosa sprechen!« sagte der junge Mann und wandte sich mit diesen Worten zu seiner Mutter, wie ein schmollendes Kind. Die Mutter hatte ihren Sohn bis dahin sehr zärtlich betrachtet, aber jetzt kehrte sie sich unzufrieden ab, zögerte einen Augenblick und flüsterte ihm dann zu: »Tadelst Du mich, dass ich möchte, Du sollst ihr noch werter werden?«

Der Sohn schien aber wenig Notiz von ihren Worten zu nehmen und wiederholte nur: »Lass Rosa sprechen!«

»Ich habe wirklich nichts zu sagen!« entgegnete das junge Mädchen verwirrt.

»O ja, Du wolltest sprechen!«

Während ihr Bräutigam die letzten Worte aussprach, klang feine Stimme so schneidend, dass seine Mutter leise seinen Arm berührte und flüsterte: »Still!«

Die beiden andern Herren sahen unwillkürlich die Braut an, als ihr Bräutigam in diesem Tone sprach. Sie schien erschrocken, aber nicht erzürnt zu sein. Über die Lippen des Verwalters glitt ein seltsames Lächeln, und er bohrte abermals ein großes Loch mit seinem spitzen Stock in die Erde.

Trudaine, der Bruder der Braut seufzte und ging dabei einige Schritte auf und ab, dann schien er sprechen zu wollen; aber Danville unterbrach ihn.

»Verzeihe, meine liebe Rosa,« sagte er, »ich bin so eifersüchtig auf jede Aufmerksamkeit, die auf Dich gerichtet ist, dass ich oft um Kleinigkeiten erzürnt erscheine.«

Dabei küsste er ihre Hand mit großer Zärtlichkeit, aber in seinen Augen lag doch Etwas, was mit seinen Worten in direktem Widerspruch stand. Diese Gegensätze bemerkte jedoch nur Lomaque, der mit einem besonderen Lächeln den Stock noch tiefer in die Erde grub.

»Ich glaube, Herr Trudaine wollte sprechen,« sagte Frau Danville, »vielleicht teilt er uns jetzt mit, was er vorhin sagen wollte.«

»Nein, Madame,« entgegnete Trudaine höflich. »Ich wollte weiter nichts sagen, als dass ich es war, der Rosa gelehrt hat, über Leute zu lachen, die an Vorbedeutungen glauben.«

»Sie verlachen den Aberglauben?« fragte Danville und kehrte sich nach Trudaine um, »Sie, welcher den Kultus der Chemie ausübt? Sie, der Sie sich ein Laboratorium erbaut, um nach dem Wasser des Lebens zu suchen? Auf mein Ehrenwort, Sie setzen mich durch Ihre Ungläubigkeit in Erstaunen!«

Es lag eine höfliche Ironie in Danville’s Worten.

Der Verwalter wie seine Mutter schienen ihn unterbrechen zu wollen. Die Mutter bat leise: »Sei vorsichtig!« Und der Verwalter ließ plötzlich die Grube im Stich, die er mit seinem Stocke gemacht hatte.

Rosa hatte nichts von dem Allen bemerkt, sie blickte nach ihrem Bruder und schien auf seine Antwort gespannt zu sein. Er nickte ihr freundlich zu, bevor er sich zu Herrn Danville wandte.

»Sie haben gewiss keine richtigen Ideen von der Chemie?« fragte er, »haben wenig Gelegenheit gehabt, die geheimen Künste, wie Sie sie bezeichnen, näher kennen zu lernen. Es gibt kein anderes Lebens-Elexir, als ein gesundes Herz und ein zufriedener Geist. Beides habe ich bereits seit Jahren gefunden, und zwar seitdem ich mit meiner Schwester Rosa in jenes kleine Häuschen dort unten einzog.«

Er sprach mit einer so traurigen Stimme, die seine Schwester sehr wohl verstand. – Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie ging zu ihrem Bruder, ergriff seine Hand und sagte: »Louis, Du sprichst ja, als solltest Du Deine Schwester verlieren?« dann hielt sie plötzlich ein, denn ihre Lippen fingen an zu zittern. —

 

»Er ist eifersüchtiger denn je, dass Du ihm die Schwester nimmst,« sagte Frau Danville leise zu ihrem Sohne.

»Sei still und tue, als ob Du es nicht bemerkst,« setzte sie hinzu, als sie sah, dass er aufstand und Trudaine mit unverhehltem Ärger ins Gesicht blickte. Bevor er zu Trudaine ein Wort sagen konnte, kam der alte Wilhelm und meldete, dass der Kaffee bereitet sei. – Madame Danville nahm den Arm ihres Sohnes, der Rosa den andern freundlich bot, diese sagte: »Ich bin erstaunt darüber, Charles, wie Dein Arm zittert und Dein Gesicht glüht?« – Er lächelte und antwortete: »Rosa, kannst Du nicht erraten warum? – Ich denke an morgen!«

Gerade als er diese Worte aussprach, ging er bei dem Verwalter vorüber, der seinen Stock noch immer als Erdbohrer gebrauchte und der wieder eigentümlich lachte, als er Danville’s Worte vernahm.

»Wollen Sie nicht auch mit uns gehen und Kaffee trinken?« fragte Trudaine den Verwalter, indem er dessen Arm berührte.

Herr Lomaque blickte empor, ließ seinen Stock in der Erde und sagte: »Tausend Dank, mein Herr! Ist es erlaubt, mit zu gehen?«

»Sie denken wohl wie ich? Die Schönheit des Abends ladet Vielmehr ein, hier draußen zu bleiben.«

»Ja, die Schönheiten der Natur entzücken mich auch,« sagte Lomaque und legte dabei die linke Hand auf die Brust, während die rechte wieder den Stock zu drehen begann und ihn aus dem Grase zog. – Aber Lomaque hatte sich, trotz seiner Beteuerung, gerade so wenig um die schöne Abendlandschaft bekümmert, wie Justin. —

Sie setzten sich beide auf die leer gewordene Bank und dann folgte eine Pause in der Unterhaltung. Der stets den Untergebenen spielende Verwalter war viel zu artig und demütig, um ein Gespräch zu beginnen. Trudaine dagegen war mit seinen eigenen Gedanken vollkommen beschäftigt. Allein für lange Zeit konnte man doch nicht so stumm neben einander sitzen, und so sagte denn Trudaine endlich: »Ich bedauere recht, dass wir nicht mehr Gelegenheit haben werden, die hier begonnene Bekanntschaft fortzusetzen.«

»Ja,« erwiderte Lomaque, »und ich bin Madame Danville sehr verbunden, dass sie mich von ihres Sohnes Landsitz, bei Lyon, hier her mitnahm und mir dadurch die Ehre bereitete, mich hier eingeführt zu sehen.«

Lomaque’s Augen zwinkerten freundlich bei dieser höflichen Phrase. Seine Feinde behaupteten zwar, dass er stets mit den Augen zwinkere, wenn er am unaufrichtigsten sei.

»Ich war erfreut, als ich heute hörte, wie Sie bei dem Mittagsessen den Namen meines Vaters nannten, kannten Sie ihn vielleicht?« fragte Trudaine.

»Ich bin Ihrem Herrn Vater, indirekt, sehr verpflichtet,« antwortete der Gutsverwalter, »für meine gegenwärtige Stellung. Ich war einst in der Lage, Fürsprache zu gebrauchen, als ich am Rande zu Armut und Untergang stand, diese Fürsprache hat Ihr Vater für mich getan – Dann bin ich meinen eigenen Weg gegangen, bis ich endlich das Glück hatte, bei Herrn Danville als Verwalter angestellt zu werden.«

»Entschuldigen Sie,« fragte Trudaine, »mich wundert, dass Sie Ihre gegenwärtige Lage so ehrenvoll finden; mich dünkt, Ihr Herr Vater war ein Kaufmann, wie der des Herrn Danville, nur mit dem Unterschiede, dass der Ihrige zu Grunde ging, während der andere sich Reichtümer erwarb?«

»So ist es! Aber haben Sie denn nie gehört, dass Madame Danville von einer sehr hohen Familie abstammt?« fragte Lamaque ängstlich. »Hat Sie es Ihnen denn niemals erzählt, dass sie den Titel ihm Familie, der in der männlichen Linie erloschen ist, auf ihren Sohn übertragen möchte?«

»Ja,« antwortete Trudaine, »aber ich lege auf solche Dinge keinen Wert, darum vergaß ich es auch fast. Sie leben schon seit vielen Jahren in den Diensten Danville’s; bitte, sagen Sie mir doch, haben Sie einen gütigen Herrn an ihm?«

Lomaque’s Lippen schlossen sich mit einem Male so fest, als wenn er die Absicht habe, sie nie mehr zu öffnen. Er bückte sich tief nach vorn über, – «

Trudaine wartete, aber Lomaque bückte sich noch tiefer mit dem Gesicht, als suche er Etwas, dann sah er seinen Gastfreund an und zwinkerte wieder heftig mit den Augen, danach sagte er: »Es scheint, Sie haben ein ganz besonderes Interesse dabei, diese Frage aufrichtig beantwortet zu haben?«

»Gewiss,« entgegnete Trudaine, »das heiligste Interesse, denn es betrifft ja auch das zukünftige Glück meiner Schwester, ob Herr Danville ein guter freundlicher Mensch ist. Ich muss gestehen, als ich hörte, dass die Bewerbungen Danville’s von meiner Schwester gern entgegengenommen wurden, wagte ich es nicht, viel dagegen zu sprechen, obgleich mein Herz nicht ganz für Danville war; ja, ich war sogar recht ängstlich besorgt für ihre Zukunft.«

Lomaque hatte bisher sehr aufmerksam zugehört, dann aber schlug er seine Hände zusammen und sagte: »Sie waren ängstlich? Ängstlich, dass ein außerordentlich hübscher und gebildeter junger Mann von Ihrem Fräulein Schwester geliebt wird? Ängstlich, dass ein solcher Tänzer, Sänger, kurz, ein so mit allen Vorzügen des gesellschaftlichen Lebens ausgestatteter feiner Salonheld das Herz Ihres Schwesterchens eroberte? O Herr Trudaine, verehrter Herr Trudaine, wie können Sie dabei nur einen Augenblick ängstlich sein?«

Mit diesen Worten figurierte Lomaque so stark mit seinen Händen, als erwarte er, das ganze Universum sollte ihm für sein Lob Beifall spenden.

»Nun,« entgegnete Trudaine, »so wünsche ich nur, dass meine arme Rosa sich nicht getäuscht haben mag! Ich will mich gern geirrt haben und will die Bemerkungen, welche ich machte, zu vergessen suchen.«

»Ach,« sagte Lomaque, »ein junger Mann, der, wie Danville, reich und verwöhnt ist von Jugend auf, der hat wohl zuweilen Launen, das ist ganz richtig!«

»Ich bin es mir selbst nicht recht bewusst,« sagte Trudaine, »aber ich habe seit dem Anfange der Bekanntschaft Ihres Herren mit meiner Schwester stets einen seltsamen Eindruck empfunden, wenn ich mit ihm zusammen war. Es war mir, als seien seine Gefühle für meine Schwester nicht aufrichtig, und heute, am Vorabende der Hochzeit, ergreift mich dieses Gefühl mehr denn je. Lange geheime Zweifel, Leiden und Verdacht entringen mir fest unwillkürlich dies Geständnis Sie, Herr Lomaque, haben lange Zeit mit dem zukünftigen Gemahl meiner Schwester unter einem Dach gelebt, Sie haben Gelegenheit gehabt, ihn in bewachten und unbewachten Stunden zu beobachten, ich bitte Sie flehentlich, sagen Sie mir, dass ich mich in Ihrem Herren getäuscht habe, sagen Sie mir, wenn Sie es können, dass meine Schwester durch ihre Heirat mit diesem Manne, soweit voraussichtlich, glücklich werden wird! Hier haben Sie meine Hand, betrachten Sie mich als Ihren Freund!«

Merkwürdiger Weise war Herr Lomaque so in seine Naturbetrachtung versunken, dass er die dargebotene Hand nicht einmal bemerkte, aber er sagte: »Wirklich, Herr Trudaine, wirklich, Ihre Frage setzt mich derartig in Erstaunen, dass —« er stockte und schwieg.

»Als wir uns hier niedersetzten,« sagte Trudaine, »hatte ich auch durchaus nicht die Absicht, Sie so zu fragen, wies ich dies jetzt tat, meine Fragen sind mir fast unwillkürlich entschlüpft und ich sprach fast gedankenlos. Entschuldigen Sie! Ich bin daran gewöhnt, offen zu sprechen, seitdem ich hier mit meiner Schwester lebe. Vater, Mutter und Geschwister sind uns genommen, meine Schwester und ich lebten hier ziemlich ruhig und glücklich zusammen; ich betrachtete mich eher als den Vater wie als Bruder meiner Schwester, da ich so viel älter bin als sie. Mein ganzes Leben, meine teuersten Hoffnungen, meine höchsten Erwartungen waren mit den ihrigen eng verbunden. Kaum war ich den Knabenjahren entwachsen, als meine Mutter die Hand meiner kleinen Schwester in die meinige legte und sagte: »Louis, sei Deiner kleinen Schwester Alles, was ich ihr war, sie hat nur noch Dich auf Erden!« Dann starb die Gute.