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In der Dämmerstunde

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Zweites Kapitel

Während Marchese Melani sich nach dem Befinden der Wöchnerin erkundigte, saß Fabio in dem Wohnzimmer, welches als ein Lieblingsaufenthalt Magdalenens galt. Dasselbe war mit gelb seidenen Tapeten und mit gelb überzogenen Sesseln ausgestattet. Der junge Mann wartete auf den Ausspruch des Arztes.

Obgleich Magdalene nicht seine erste Geliebte war, und obgleich ihm das Mädchen nur durch Schlauheit zugeführt worden war, so schien die Ehe dennoch eine ziemlich glückliche zu sein.

Seine Frau verstand es, sich in seine Launen zu schicken und bewies ihm stets erst dann sein Unrecht, wenn er wieder ruhiger war. Sie war früher eifersüchtig gewesen, aber jetzt zeigte sich keine Spur dieser Leidenschaft mehr. Sie war nun die Mutter seines Kindes geworden und das Band der Liebe hätte sich von jetzt ab gewiss noch fester um die Gatten geschlungen; aber Magdalene lag nun gefährlich krank, und der junge Mann harrte ängstlich darauf, was der Doktor sagen würde.

Er läutete und es wurde ihm Licht gebracht.

Er fragte den Diener, wie es in dem Krankenzimmer stehe. Der Mann berichtete, dass die Gräfin schliefe; mit diesen Worten legte er einen versiegelten Brief auf den Tisch. Fabio fragte: wann derselbe angekommen sei. Er erhielt die Antwort, dass er bereits seit zwei Tagen auf dem Schreibtische des Ateliers gelegen habe und dass er ihn jetzt noch einmal übergebe.

Der Diener ging.

Fabio erinnerte sich daran, dass der Brief mit der unbekannten Handschrift vor zwei Tagen angekommen sei; da aber seine Gattin damals gerade so sehr leidend gewesen war, so hatte er ihn unbeachtet liegen lassen. Er öffnete den Brief und sah nach der Unterschrift.

Er kam von Nanina.

Er erbleichte: »Ein Brief von ihr! Warum kommt er gerade jetzt?« Er blickte nach der Richtung des Krankenzimmers und zögerte mit dem Lesen. Fabio war ja abergläubisch. – Doch er las:

»Habe ich Unrecht Ihnen zu schreiben?

»Gut, so werfen Sie das Stück Papier ins Feuer und denken Sie nicht weiter daran. Warum ich Sie verließ? Damit Sie das arme Mädchen nicht heiraten sollten. Mein Herz wollte zwar brechen, doch ich erhielt mich bei der Erinnerung, dass dies zu Ihrem Wohle geschehe. Ich dachte Tag und Nacht daran.

»Oft beschloss ich nach Pisa zurückzukehren und Ihnen zu sagen, dass Nanina nicht herzlos und undankbar sei, dass Sie Mitleid mit ihr haben und sie nicht länger lieben möchten.

»Ich konnte Ihnen das nur mündlich sagen, da ich nicht zu schreiben verstand. Ich lernte es jetzt erst heimlich. Dann schrieb ich meinen ersten Brief an Sie; als er beinahe vollendet war, erfuhr ich, dass Sie geheiratet haben, da verdarb ich das Schreiben mit meinen Tränen und schrieb nicht weiter.

»Ich hatte ja kein Recht, Sie und Ihre Gattin mit einem Briefe zu belästigen, ich durfte nur für Ihr Glück beten. Sind Sie glücklich? Ich nehme es an, denn welche Frau sollte Sie nicht lieben?

»Es wird mir sehr schwer, Ihnen zu sagen, warum ich nun doch schreibe.

Ich hörte, Ihnen sei ein Kind geboren und ich dachte, bei dieser Gelegenheit ist es wohl geeignet, dass ich Ihnen schreibe. Ich wünsche dem Kind Glück und Heil!

»Ich lebe bei guten Leuten und verdiene mir das tägliche Brot. Die Biondella ist nun so gewachsen, dass sie nicht mehr auf Ihren Schoß gehen müsste, um Sie zu küssen; ihre Decken versteht sie jetzt schon viel schöner und feiner zu flechten. Unser alter Hund lebt noch bei uns und hat zwei neue Kunststücke zu erlernt.

»Ich muss schließen. Wenn Sie den Brief bis zu Ende lesen sollten, so entschuldigen Sie die schlechte Schrift. Er enthält keine Adresse, weil ich finde, es ist besser, wenn ich keine Antwort erhalte. Ich segne Sie und bete für Sie und sage Ihnen ein Lebewohl. Können Sie an mich wie an eine Schwester denken, so tun Sie es zuweilen.«

Fabio seufzte bitterlich, als er den Brief gelesen hatte. Warum muss der Brief gerade jetzt kommen, sagte er. Tränen kamen in seine Augen. Er hob den Brief eben zu seinen Lippen auf, da wurde an die Tür geklopft. Ein Diener trat ein.

»Meine Herrin ist erwacht,« sagte der Mann mit sehr ernstem Gesicht, »und der Herr Doktor —«

Bevor er noch seine Botschaft ausrichten konnte, trat der Arzt auch in das Zimmer.

»Ich wünschte, ich könnte Ihnen bessere Nachrichten bringen,« sagte er zu Fabio.

»Hat sich die Krankheit verschlimmert?« fragte der junge Ehemann und sank in seinen Sessel zurück.

»Sie ist nach dem Schlafe viel schwächer geworden,« antwortete der Doktor. »Ich gebe freilich noch nicht alle Hoffnung auf, aber —«

»Warum sollen Sie sich mit falschen Hoffnungen trösten,« sprach der zweite Arzt, den man aus Florenz berufen hatte und der eben auch ins Zimmer trat, »die Gräfin liegt im Sterben. Kommen Sie zu ihr!«

Bleich und stumm erhob sich Fabio und machte eine bejahende Bewegung. Der Doktor musste ihn führen, so zitterte er am ganzen Körper.

»Hat Ihre Herrin Verwandte in Pisa?« fragte der fremde Doktor den Diener.

»Ihren Vater, den Signor Luca Lomi und ihren Onkel, den Pater Rocco,« entgegnete der Mann. »Sie waren beide heute hier, bevor die Kranke einschlief.«

»Können Sie sie herbeirufen?«

»Ja, Signor Lomi ist in seinem Atelier, Pater Rocco in seiner Wohnung.«

»So schicken Sie gleich nach ihnen! Wo wohnt der Beichtvater der Dame?« setzte der Doktor hinzu.

»Ihr Beichtvater ist Pater Rocco.«

»Gut! So holen Sie sie schnell. Es sind nur noch wenige Minuten, die Ihre Herrin zu leben hat.«

Der Doktor setzte sich dann in den Stuhl, den Fabio so eben verlassen hatte.

Drittes Kapitel

Bevor noch der Diener die Wohnung des Priesters erreicht hatte, ließ sich ein anderer Besuch anmelden, der auch sogleich von Pater Rocco empfangen wurde. Der Angekommene war ein außerordentlich sauber gekleideter Mann mit einer etwas kriechenden Höflichkeit. Er verbeugte sich, als er sich niedersetzte, verbeugte sich als Pater Rocco fragte, wie es ihm gehe und verbeugte sich zum dritten Male, als der Priester fragte, was ihn von Florenz nach Pisa führe.

»Sehr unangenehme Dinge,« antwortete der kleine Mann und räusperte sich erst noch ein Weilchen, »die Kleidermacherin Nanina, welche Sie vor einem Jahre unter die Aufsicht meiner Frau stellten —«

»Was ist mit ihr?« fragte der Priester.

»Sie hat uns leider mit ihrer kleinen Schwester und dem abscheulichen Hund, der Jedermann anbellt, verlassen.«

»Wann gingen sie von Ihnen?«

»Erst gestern und heute bin ich gekommen, dies anzuzeigen, weil Sie uns die Mädchen so angelegentlich empfohlen haben. Meine Frau war sehr gut zu ihnen und ich habe sie wie Fürstinnen behandelt. Ich kaufte die Decken, welche die Kleinere flocht und ertrug geduldig den unangenehmen Hund.«

»Wissen Sie nicht, wo sie sind?«

»Ich erfuhr auf dem Paß-Büreau, dass sie Florenz noch nicht verlassen haben, aber wo sie sich aufhalten, weiß ich nicht.«

»Sie können Sie nicht ohne Ursache verlassen haben! Nanina ist viel zu verständig dazu. Ist kein Grund dafür zu finden?«

Der kleine Mann besann sich und rückte hin und her auf seinem Sitze. Endlich sagte er:

»Sie empfahlen uns das Leben und die Handlungen des jungen Mädchens streng zu bewachen. Wir meldeten Ihnen nun vor einiger Zeit, dass sie heimlich Schreibunterricht nähme.«

»Ja, und ich schrieb Ihnen, dass Sie keine Notiz davon nehmen möchten, sondern Sie sollten sich nur darum bekümmern, was sie mit der erlernten Kunst machen würde, ob sie vielleicht an Jemand schreiben würde; allein in ihren monatlichen Berichten las ich nichts weiter darüber.« —

»Es geschah auch bis vor drei Tagen nichts Verdächtiges. Aber sie verließ an diesem Tage ihr Zimmer, begab sich auf die Post und steckte einen Brief in den Postkasten.« —

»Sie wissen doch genau die Adresse, an die der Brief ging?« fragte der Priester.

»Unglücklicher Weise nicht!« antwortete der Kleine.

Pater Rocco antwortete nicht. Er dachte vielmehr darüber nach, an wen das Mädchen geschrieben haben könnte. An Fabio hätte sie sicher früher geschrieben, – da es nun wahrscheinlich nicht an Fabio war, so besann sich der Priester auf eine andere Person.

»Ich bedauere recht sehr, dass ich die Adresse nicht angeben kann,« sagte der Mann noch ein Mal.

»Es ist zu spät zum Bedauern,« entgegnete Pater Rocco kühl. »Teilen Sie mir gefälligst schnell die Beweggründe und die Umstände mit, unter denen sie Ihr Haus verließ; aber fassen Sie sich recht kurz, denn ich kann in jedem Augenblick zu einer teuren, mir verwandten Kranken gerufen werden.«

»Ich werde die Kürze selbst sein,« begann der Mann.

»Zuerst müssen Sie erfahren, dass ich einen faulen, gewissenlosen Schurken als Lehrling in meinem Geschäft hatte.«

Der Priester blickte erschrocken in die Höhe. —

»Zweitens mögen Sie erfahren, dass dieser niederträchtige Bursche sich in Nanina verliebte.«

Pater Rocco lauschte aufmerksam.

»Allein ich muss dem Mädchen nachsagen, dass sie den Burschen nicht dazu ermutigt hat. Im Gegenteil, Jedes mal, wenn er mit ihr sprach, antwortete sie ihm sehr kurz.«

»Sie war stets ein sehr gutes Mädchen!« entgegnete Pater Rocco. »Doch weiter!«

»Das Schlimmste ist, dass dieser schurkische Bursche meine Papiere durchstöbert hat.« —

»Sie haben doch keine Privatbriefe offen liegen lassen?« fragte der Priester sehr ernst.

»Das soll in Zukunft nicht mehr geschehen, aber bis jetzt waren Briefe darunter.« —

»Hoffentlich keine von mir über Nanina?« fragte Rocco hastig.

»Unglücklicher Weise waren die auch dabei. Entschuldigen Sie mir dies eine Mal meine Unvorsichtigkeit,« sagte der kleine Mann. »In Zukunft, —«

»Solche Unvorsichtigkeit finden gar keine Entschuldigung,« antwortete der Priester ärgerlich.

»Wenn der abscheuliche Bursche nun dem Mädchen die Briefe gezeigt hat? Wie dann?«

 

»Warum sollte er das?« fragte der kleine Mann harmlos.

»Dummkopf! Sie sagten ja, dass er sich in sie verliebt habe und dass das Mädchen ihn nicht erhört habe.«

»Ja, das sagte ich, weil es so war!«

»Nun, sehen Sie denn nicht ein, dass er das Mädchen vielleicht durch ein solches Mittel für sich gewinnen wolltet Er hat ihr sicher gesagt, dass ich sie durch Sie überwachen lasse. Doch, kommen wir jetzt schnell zur Hauptsache! «

»Woher vermuten Sie, dass das Mädchen den Inhalt meiner Briefe an Sie kennt?«

»Am Abend, als die Drei mein Haus verlassen hatten,« begann der Mann wieder, »fand ich auf dem Tische ihres Zimmers einen Zettel. – Hier ist er!«

Pater Rocco griff hastig danach und las:

»Ich weiß nun, dass ich seit dem Eintritt in Ihr Haus stets überwacht werde. – Ich habe nicht Lust, noch eine Nacht in dem Hause eines Spions zu verbringen. Ich gehe mit meiner Schwester fort. Wir sind Ihnen nichts schuldig und können leben, wo es uns beliebt. Wenn Sie Pater Rocco sehen, so sagen Sie ihm, dass ich ihm sein Misstrauen wohl vergeben, aber nie vergessen werde; da ich ihm volles Vertrauen schenkte, durfte ich dasselbe auch von ihm erwarten! Ich dachte ihn mir stets als meinen väterlichen Freund. Das Vertrauen zu ihm habe ich jetzt für immer verloren.

Nanina.«

Der Priester stand auf und sagte: »Wir müssen diesen Vorfall schnell wieder gut zu machen suchen. Sind Sie bereit, morgen nach Florenz zurück zu reisen?«

Der Mann verneigte sich zustimmend.

»Machen Sie sie ausfindig und sehen Sie nach, ob sie gut untergebracht ist. Sprechen Sie nicht von mir und machen Sie keine Anstrengung, sie in Ihr Haus zurückzubringen.

»Mir zeigen sie dann schnell an, wo und wie das Mädchen lebt. Sie muss sehr gut behandelt werden. Machen Sie ja keine neuen Dummheiten; tun Sie gerade das, was ich Ihnen sage und nichts darüber. Haben Sie mir nun noch Etwas zu sagen?«

»Nein!« entgegnete der Kleine.

»Dann, gute Nacht!« sagte Rocco, und der Mann aus Florenz ging, sich fort und fort verneigend, zur Tür hinaus.

»Das ist ärgerlich!« sagte der Priester zu sich selbst und spazierte in seinem Zimmer auf und ab. »Ich liebe das Kind, ich habe der Kleinen Unrecht getan, ich weiß es! Hätten wir sie nur erst wieder aufgefunden!

»Nanina ist ein sehr gutes, verständiges Mädchen! Wie hübsch ist der Brief geschrieben.« Mit diesem Selbstgespräch näherte sich der Priester dem Fenster und sog die frische Luft hastig ein.

Als er sich wieder seinem Arbeitstische zuwandte, dachte er nur noch an seine Nichte.

»Es ist sonderbar, dass man nicht hört, wie es Magdalenen geht. – Vielleicht hat Luca Nachricht bekommen. Ich werde nach dem Atelier gehen.«

Er näherte sich der Tür Eben trat Fabio’s Diener ein.

»Ich bin gesendet, Sie in den Palast zu holen. Die Doktoren geben jede Hoffnung auf,« sagte der Mann sehr kurz und ernst. —

Pater Rocco wurde geisterhaft bleich und fragte: »Weiß mein Bruder es schon?«

»Nein, ich gehe jetzt ins Atelier,« antwortete der Diener.

»Geht nur nach Hause! Ich werde meinen Bruder selbst benachrichtigen,« sagte Rocco und ging neben dem Diener die Treppen herunter.

»Wie geht es dem Kind?« fragte er.

»Dem Kind geht es gut!« lautete die Antwort.

»Das ist wenigstens ein Trost,« sprach Rocco halb zu sich, halb zu dem Diener gewendet, der sich nun entfernte.

»Die Mutter muss ich jetzt aufgeben,« sagte Rocco zu sich, jetzt muss ich das Kind für meine Pläne erziehen. Des Vaters unrechtmäßig erworbener Reichtum soll nun durch die Hände dieses Kindes der Kirche wieder zugeführt werden.«

Er eilte in das Atelier; unterwegs musste ihm eine neue Idee gekommen sein, denn er stand plötzlich still, lehnte sich auf das Geländer der Brücke, über welche er gekommen war und blickte ein Weilchen in das hell-scheinende Mondlicht. Er war so in seine Gedanken vertieft, dass er nicht einmal das Nahen von zwei Damen bemerkte.

Die Größere der Beiden sah ihm ins Gesicht und rief:

»Guten Abend, Pater Rocco!«

»Donna Brigitta! rief der Priester aus, dann verneigte er sich vor ihr mit gewohnter Höflichkeit.

»Verzeihen Sie, wenn ich mich jetzt nicht länger dem Vergnügen der Unterhaltung hingebe; uns hat schweres Unheil getroffen und ich gehe jetzt zu meinem Bruder, ihn darauf vorzubereiten,« fügte Rocco hinzu.

»Sie meinen die Krankheit Ihrer Nichte? Ich hörte diesen Abend davon,« entgegnete Brigitte.

»Ich hoffe, es soll sich zum Besten wenden. Ich war so lange nicht in Pisa, ich danke Ihnen, Pater Rocco, für die Freundlichkeit, welche Sie mir früher stets erzeigten!«

Mit diesen Worten hatte Brigitte sich entfernt und ihre Freundin wieder eingeholt. Der Priester hatte bemerkt, dass Virginie horchen wollte, was zwischen ihm und Brigitte gesprochen wurde. Er lauschte deshalb darauf, was die beiden Frauen zu einander sagen würden.

»Virginie,« fing Brigitte an, »wetten wir um ein neues Kleid, dass Fabio d’Ascoli wieder heiraten wird.«

Pater Rocco war wie von Feuer durchglüht, als er diese Worte hörte.

»Was sollte die Fremde, die mir keinen Einfluss auf sich und die Erziehung der Kinder einräumen würde, wohl für die Kirche tun?« fragte sich der fromme Sohn der Kirche.

Er stand still und blickte feierlich zu dem Nachthimmel auf. Die Brücke war leer. Er sah in seinem schwarzen Priesterkleid wie ein fürchterliches Gespenst aus. Dann drehte er sich nach der Richtung, welche eben die beiden Frauen genommen hatten und sagte:

»Donna Brigitta, ich wette um fünfzig neue Kleider, dass Fabio d’Ascoli nie wieder heiraten wird!«

Er hatte das Atelier erreicht, läutete an und sagte dann noch zu sich: »Donna Brigitta, war Ihr erster Fall noch nicht tief genug? Der zweite dürfte unangenehmer für Sie ausfallen!«

Lomi öffnete selbst die Tür und die Brüder gingen in das Atelier.

»Hast Du Nachrichten?« fragte Luca Lomi hastig.

»Mein armer Luca, nimm Deinen Mut zusammen. Die Doktoren haben jede Hoffnung aufgegeben,« entgegnete Rocco.

Luca stieß einen Schrei der Verzweiflung aus! »Magdalena, mein armes, armes Kindl« rief er weinend.

Die Liebe des Mannes concentrirte sich nur auf seine Tochter und seine Bildwerke.

Nachdem sein heftiger Schmerz vorüber war, sah er, dass die Beleuchtung um ihn her eine andere geworden war und er sah den Priester mit der Lampe in der Hand an dem äußersten Ende des Ateliers, als ob er Etwas suche.

»Rocco! Rocco! Warum nahmst Du hier die Lampe fort? Was tust Du dort?«

Es kam keine Antwort. Luca ging ihm nach und fragte: »Was tust Du hier?«

Der Priester hatte jetzt gehört und kam mit der Lampe zurück.

»Rocco! Wie blass Du bist! Was ist denn geschehen?«

»Sprich kein Wert rief der Priester aus und setzte seine Lampe auf den nächsten Tisch.

Luca sah, wie des Priesters Hände zitterten, er hatte seinen Bruder nie so aufgeregt gesehen.

Als Rocco vor wenigen Sekunden den Tod Magdalenens als sicher bevorstehend angezeigt hatte, war seine Stimme ruhig geblieben, was konnte jetzt geschehen sein?

Der Priester sah die ängstlichen Blicke seines Bruders und flüsterte ihm zu:

»Nimm schnell Deinen Hut, lass uns eilen, wir haben keine Sekunde zu verlieren, wenn wir sie noch lebend treffen wollen! Komm, komm, ich werde die Lampe hier auslöschen!«

Mit diesen Worten löschte er das Licht. Sie verließen das Atelier, dicht neben einander gehend. Das Mondlicht schien hell durch das Fenster und erhellte die Stelle, wo der Priester mit der Lampe gestanden hatte. Als sie dort hinkamen, fühlte Luca, dass Rocco heftig zitterte und sah, wie er seinen Kopf fort-wendete.

Zwei Stunden danach waren Fabio d’Ascoli und seine Gattin für dieses Erdenleben getrennt. Die Diener des prächtigen Palastes sprachen leise von den Vorbereitungen zu dem Begräbnisse ihrer Herrin, die nun bald auf dem Friedhof von Campo Santo schlummern sollte.

Dritter Theil

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Erstes Kapitel

Nachdem die Gräfin d’Ascoli etwa acht Monate begraben war, beschäftigte sich die lustige Welt Pisas mit zwei Gerüchten, welche die Erwartung, wie die Neugierde spannten. Das eine sprach von einem großartigen Maskenfest, welches im Palast Melani gegeben werden sollte, und zwar zu Ehren der Erbin des Hauses, die ihre Großjährigkeit feiern würde.

Die Freunde des Hauses waren schon im Voraus entzückt von dem Feste, weil der alte Marquis den Ruf hatte, der gastfreundlichste aber auch der sonderbarste Mann in Pisa zu sein. Jedermann war überzeugt, dass, wenn der Ball wirklich gegeben werde, auch das Vorzüglichste an Maskenaufzügen, Tänzen und allgemeinen Vergnügungen geboten werden würde.

Das zweite Gerücht sprach von der Rückkehr des jungen Witwer Fabio d’Ascoli, der nach dem Tode seiner Frau in fremde Länder gereift war und nun geistig gekräftigt zurückkehren sollte. Auf dem Feste der Melani’s sollte er zum ersten Male wieder die große Gesellschaft besuchen, hieß es.

Dies interessierte die Damen Pisas natürlich am meisten. Fabio hatte nun sein dreißigstes Jahr erreicht und man fand es natürlich, dass er sich eine Gattin und seinem Kind eine zweite Mutter suchen werde.

Die Einladungen der Melani’s ergingen gerade, als Fabio in seinen Palast am Arno zurückgekehrt war. Es schien, als wollte der alte Marquis Melani’s dieses Mal in der Tat seinen Ruf als Sonderling befestigen; denn er erfand die außer gewöhnlichsten Kostüme, welche seine intimsten Freunde tragen sollten, dann arrangierte er die groteskesten Tänze, welche von einer Truppe aus Florenz ausgeführt werden sollten.

Er komponierte sogar selbst eine Symphonie zu dem Feste, und noch nicht befriedigt von dem Allem, ließ er noch reizende arkadische Lauben in zwei Zimmern errichten, in welchen die schönsten Mädchen aus Pisa, als Schäferinnen verkleidet, Erfrischungen reichen sollten, und zwar als Schäferinnen aus der Zeit des Virgil. —

Der Marquis hatte angeordnet, dass für jedes Zimmer fünfzehn Schäferinnen erwählt werden möchten. Man würde in Pisa leicht die doppelte Zahl der Schönen haben finden können, wenn Schönheit allein die Wahl geleitet haben würde, aber die Hirtinnen sollten sich auch gleichzeitig eines unbefleckten Rufes erfreuen, einmal weil sie mit dem Silbergeschirr des Grafen in lebhafte Berührung kommen würden und ferner —

Der Intendant des alten Marquis war zwar in Verzweiflung, aber er war doch gezwungen seinem Herrn am Vorabende des Festes mitzuteilen, dass er trotz eifrigsten Forschens doch nur die Zahl Von zweiundzwanzig Schäferinnen zusammen gebracht habe. —

»Unsinn!« schalt der alte Marquis, »ich wünsche dreißig und nicht eine darunter! Was nützt Ihr Kopfschütteln, da die Kleider der Dreißig bereits fertig sind!

Dreißig Tuniques, dreißig Kränze, dreißig Paar Sandalen und seidene Strümpfe, dreißig Hirtenstäbe, alles Dies liegt bereit! Was soll ich mit der Zahl zweiundzwanzig? Sprechen Sie kein Wort! Sie geben mir entweder meine dreißig Hirtinnen oder Sie verlieren Ihre Stellung!« Mit diesen Worten wies der alte Mann nach der Tür

Der Intendant des Hauses Melani wusste sehr genau, dass er nicht weiter widersprechen durfte und ging.

Den ganzen Tag lief der Intendant zu seinen Bekannten umher und bat sie fast flehentlich um die Mitwirkung ihrer Töchter bei dem Feste seines Herrn, und so gelang es ihm nach sehr vielen Bemühungen nun auch, die Zahl der Hirtinnen bis auf neunundzwanzig zu bringen.

Jetzt fehlte nur noch die Dreißigste und fast verzweiflungsvoll ging er eben durch eine Nachbarstraße des Campo Santo dem Palais Melani zu, als er ein junges Mädchen an der Tür eines Hauses stehen sah. Es schien, als warte sie auf Jemand.

»Himmel!« rief der Intendant, »wenn doch dieses Mädchen die Zahl füllen möchte! Sie würde die Hübscheste von den Dreißig sein und ich könnte meine Schritte ruhiger nach Hause lenken. Anfragen kostet ja nichts,« sagte der Mann und richtete sich dann mit den Worten an das junge Mädchen:

»Warten Sie ein wenig!« das Mädchen wollte eben in das Haus treten, »und erschrecken Sie nicht! Ich bin der Intendant des Marquis Melani und in ganz Pisa als rechtschaffener Mann bekannt, wünschen Sie vielleicht leicht, angenehm und auf ehrliche Weise Geld zu verdienen? Denn Sie sehen nicht so aus, als ob Sie zum Erwerben zu reich wären.«

»Ich bin sehr arm und sehr geneigt, etwas zu erwerben,« lautete ernst und bestimmt die Antwort.

»Gut,« sagte der Intendant, »so wird uns Beiden geholfen sein. Doch sagen Sie mir jetzt, wer Sie sind, denn ich habe mich Ihnen bereits genannt.«

 

»Ich bin eine Arbeiterin und mein Name ist Nanina,« sagte das Mädchen.

»Wohnen Sie in Pisa?«

»Ja, Sir, jetzt, aber ein Jahr war ich in Florenz, um das Nähen zu erlernen.«

»Sie waren ganz allein dort?«

»Nein, mit meiner kleinen Schwester; ich wartete eben auf das Kind, als Sie mich ansprachen.«

»Haben Sie sich früher nie mit etwas Anderem, als mit der Nähnadel beschäftigt?«

»Ja, in den letzten acht Monaten war ich in dem Dienste einer Dame in Florenz und meine Schwester, die erst elf Jahre alt ist, war in der Kinderstube dieser Dame beschäftigt.«

»Warum verließen Sie den Platz?«

»Die Dame ging mit ihrer Familie nach Rom und wir Schwestern konnten ihr nicht beide dahin folgen und trennen wollten wir uns auch nicht, da wir noch stets zusammen lebten, denn wir stehen ganz allein in der Welt. So sind wir nun hier in Pisa!«

»Und sind unbeschäftigt?«

»Wir kamen erst gestern hier an.«

»Da sind Sie wirklich sehr glücklich daran, mich hier gefunden zu haben,« sagte der Intendant. »Ist Jemand in der Stadt, der für Sie gut sagen kann?«

»Die Wirtin dieses Hauses!«

»Wer ist sie?«

»Ihr Name ist Martha Angrisani, Sir.«

»Was, die alte bekannte Krankenwärterin? Das ist die beste Empfehlung, die Sie haben können, mein Kind. Sie pflegte den alten Marquis, aber ich wusste nicht, dass sie hier wohne.«

»Die Frau hat das Haus hier länger als ich denken kann,« sagte Nanina, »denn meine jüngere Schwester und ich wohnten hier lange Zeit, und ich wünschte, dass wir wieder hier wohnen könnten, aber unser ehemaliges Zimmerchen ist vermietet und ein anderes, welches hier leer steht, ist zu teuer für uns.«

»Wie viel kostet es?« fragte der Intendant.

Nanina nannte die Summe und der Mann an ihrer Seite lachte laut auf. »Für das ganze Jahr kostet die Wohnung so viel?« fragte er noch einmal.

Nanina antwortete erstaunt: »Ja!«

»Ich will diese Summe sogleich geben,« sagte der Mann, »dazu sollen Sie noch schöne Kleider und Erfrischungen auf dem Ball des Marquis haben. Wollen Sie kommen?«

Nanina trat stumm einige Schritte zurück.

»Sie müssen ja von dem Balle gehört haben? Denn er wird von den Reichen und Armen in Pisa seit langer Zeit besprochen. Es ist so lange die Rede davon, seitdem die Gräfin d’Ascoli gestorben und ihr Gatte ins Ausland ging, und das sind nun bereits acht Monate her,« sagte der Intendant und verabschiedete sich, um von der Hausherrin Etwas über Nanina zu erfahren.

Nanina stand noch immer gedankenvoll da. Sie hatte nur gehört, dass Magdalene gestorben, der Graf ins Ausland gegangen war, aber nichts von seiner Rückkehr, nichts von dem Feste im Palast Melani.

Als sie noch so dastand, kam Biondella mit ihrem Pudel zurück und der Intendant trat auch wieder mit der Wirtin auf den Flur des Hauses.

»Sehen Sie nur,« sagte die gute Wirtin zu dem Intendanten, »dort kommt die Schwester der Nanina; es ist ein höchst geschicktes, liebes und fleißiges Kind, vielleicht braucht Ihr Herr, seine Exzellenz, einmal Etwas von der Ware der Kleinen; sie flechtet die schönsten Tischdecken in Pisa. – Was hast Du mit dem Hunde gemacht, Kleine?« fragte die Frau.

»Ich konnte ihn nicht an den Fleischbänken vorüber bringen,« sagte Biondella, »er wollte durchaus die Wurst belecken und ich hatte so große Furcht, dass er eine Wurst stehlen würde.«

Der Intendant klopfte Biondellas Wangen:und nannte sie ein hübsches, ehrliches Kind.

»Wenn Se. Exzellenz noch vielleicht einen Cupido brauchte, sollte sie auch mit auf dem Balle sein,« schloss der Mann, nachdem er Nanina’s großes Lob aus dem Munde ihrer alten Bekannten mit angehört hatte.

Er versprach dann, dass sie die Wohnungsmiete erhalten würde und ordnete an, dass sie morgen im Palast erscheinen und ihr Schäferkleid anprobieren sollte.

Der Biondella versprach der gute Mann noch Konfekt und schöne Bäckereien von dem Feste.

Biondella klatschte in die Hände und rief: »O, geh’ zu dem Balle, Nanina! Gehe, ja!«

Nanina stand noch ein Weilchen zögernd, dann fragte sie die alte Frau: »Glauben Sie, dass auch Priester auf dem Balle sein werden?«

»Aber Kind, eher findest Du Türken in einer christlichen Kirche, als Priester auf einem Maskenball,« antwortete die Wirtin.

Nanina antwortete nicht.

Ihre größte Angst bestand darin, dass der Priester sie einst auffinden würde; denn sie hatte sein Misstrauen noch nicht vergessen. —

»Also morgen, im Palast Melani,« sagte der Intendant; nahm seinen Hut und ging.

Er freute sich, dass er nun seinem Herrn die gewünschte Zahl der Schäferinnen würde vorführen können.

Der Intendant fand in dem Palast viele Arbeiter mit den Zurüstungen für die Festlichkeit beschäftigt und es hatten sich auch schon Zuschauer auf der Straße eingefunden, unter denselben befand sich auch eine Dame, deren hübsches Gesicht dem Intendanten gefiel.

Während er sie noch betrachtete, kam ein Pudel herbeigelaufen, beschnüffelte die Dame und fing dann an zu bellen und zu heulen.

Der Intendant nahm seinen Stock und trieb das Tier fort.

»Das abscheuliche Tier!« rief die Dame aus und setzte hinzu: »Nanina muss nach Pisa zurückgekehrt sein!«

»Sie nannten eben den Namen Nanina,« sagte der Intendant, »meinen Sie damit vielleicht eine kleine Handarbeiterin, in der Nähe von Campo Santo?«

»Dieselbe!« entgegnete die Dame überrascht.

»So kann ich Ihnen sagen, dass sie eben nach Pisa zurückgekehrt ist, und dass ich sie eben für die morgen hier stattfindende Festlichkeit engagiert habe.«

Die Dame verneigte sich und ging weiter ohne noch ein Wort zu sagen.

»Das ist eine merkwürdige Person!« sagte der Intendant und trat in den Palast.