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In der Dämmerstunde

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Erster Theil

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Erstes Kapitel

Vor ungefähr hundert Jahren lebte in der alten Stadt Pisa eine berühmte italienische Modewaren-Händlerin, und da sie stets nach den neuesten französischen Mustern arbeitete, so nahm sie auch selbst einen französisch klingenden Namen an und nannte sich »Demoeiselle Grifoni.«

Sie war eine winzig kleine Frau mit einem schadenfrohen Gesicht, einer sehr schnellen Zunge aber sie besaß viel Geschäftstalent.

Sie hatte den Ruf reich zu sein, aber die böse Welt behauptete auch gleichzeitig, dass die Grifoni »Alles« für Geld besorge. —

Die einzige unbestreitbar gute Eigenschaft der Grifoni bestand in den »festen Preisen.« ihrer Verkaufsartikel. Sie ließ sich nicht das Geringste abhandeln, von dem einmal genannten Preise; und damit dokumentierte sie schon gewissermaßen die Festigkeit ihres Charakters. Auf der Höhe ihres Wohlstandes hatte sie jedoch die Unannehmlichkeit, dass ihre geübteste Direktrice und Zuschneiderin sich nicht nur verheiratete sondern, dass sie auch als Rivalin ihrer ehemaligen Herrin auftrat und selbst ein Modewaren-Geschäft etablierte.

Einer andern Modistin würde dieser Umstand viel Sorgen bereitet haben, aber die unbesiegbare Demoeiselle Grifoni griff einfach nur nach Hilfsquellen.

Während die jüngere Modistin prophezeite dass die Grifoni nun ihr Geschäft wohl schließen müsste, da sie sie verlassen, wechselte die ältere Dame häufig Briefe mit einem Pariser Agenten, Niemand ahnte deren Inhalt; aber nach einigen Wochen erhielten die reichen Damen Pisas die gedruckte Anzeige dass die geschickteste Pariser Modistin in das Modewaren-Geschäft der Grifoni eingetreten sei. Dieser Meisterstreich errang den Sieg, und die Damen der Stadt beeilten sich, ihre Bestellungen bei der Modistin zu machen, welche soeben aus der Metropole der Mode aus Paris, angekommen war.

Die Französin hatte eine kleine Gestalt und ein freundliches Gesicht. Ihr Name war Virginia und sie teilte mit, dass ihre Familie sie verlassen habe und dass sie nun ganz allein stehe. —

Als sie kaum angekommen war, hatte die Grifoni sie mit Bändern, Seidenstoffen, Spitzen und Blumen versorgt und ihr die Weisung erteilt, sie möge nicht sparen und Alles so schön als nur immer möglich für das Schaufenster des Geschäftes herstellen.

Virginia versprach, ihr Möglichstes zu leisten und fragte nur, ob unter den Arbeiterinnen vielleicht eine sei, die soviel französisch verstehe um ihr beider Anfertigung der neuen Artikel Hilfe leisten zu können.

»Ja, ja,« rief die Grifoni freudig aus, »ich habe hier eine solche Arbeiterin, sie heißt Brigitte. Sie ist wohl das faulste Geschöpf in ganz Pisa, aber sie ist sehr geschickt; auch war sie in Frankreich, und sie spricht französisch, wie eine Pariserin. Ich schicke sie Ihnen gleich hierher.«

Mademoiselle blieb nicht lange allein mit ihren Stoffen und Mustern, denn es kam eine schlanke schwarzäugige kühn um sich blickende Person in das Zimmer und schritt mit dem Anstand einer Bühnenkönigin weiter vor.

In dem Augenblick, als sie die neue Direktrice erblickte schrie sie laut: »Du hier, Finette!«

»Therese!« rief ihr die Französin entgegen und ließ die Schere auf den Tisch fallen.

»Still! Nenne mich Brigitte,« sagte die Eingetretene.

»Nenne mich hier Virginia,« bat die Andere. Nachdem diese Übereinkunft nur einen Augenblick gedauert hatte betrachteten sich die zwei Frauen einander schweigend. Die dunklen Wangen der Italienerin wurden fast gelb und die Stimme der Französin zitterte als sie wieder begann:

»Wie kamst Du denn hierher? in des Himmels-Namen! Ich glaubte Dich durch Jemand versorgt?«

»Still, Du siehst, ich bin es nicht,« erwiderte Brigitte. »Ich habe Unglück gehabt. Und Du solltest doch die Letzte sein, die sich über so etwas wundern kann!«—

»Du denkst, ich habe keine Unfälle erlebt, seitdem wir uns nicht sahen? Da irrst Du Dich! – Du bist vollständig gerächt!«

Mit diesen Worten wandte sich Virginia kalt ab und nahm die Schere wieder in die Hand.

Brigitte folgte ihr und legte ihren Arm um den Hals der Andern und küsste sie. Dann sagte sie: »Lass uns jetzt Freundinnen sein!«

Die Französin lachte. »Erzähle mir jetzt, wie Du behaupten kannst, ich sei gerächt,« fragte Brigitte.

Virginia untersuchte vorsichtig die Tür, ob auch nicht gehorcht würde; dann strich sie Brigitten das Haar aus dem Gesicht, küsste sie, und sagte: »So, jetzt sind wir Freundinnen!« Dann setzten sich beide zum Arbeiten nieder.

»Freundinnen,« wiederholte Virginia noch einmal mit sonderbarem Lachen. »Und nun an die Arbeit!« setzte sie hinzu und nahm eine ganze Reihe Stecknadeln zwischen die Zähne und fuhr trotzdem fort: »Ich glaube ich bin hierher berufen, um die vorige Zuschneiderin, die sich jetzt selbst etabliert hat, zu ruinieren? Gut, ich werde sie ruinieren!«

»Breite doch einmal den gelben Seidenstoff dort aus, meine Liebe und stecke das Muster an Deiner Seite dort fest, während ich hier das meinige befestige.«

»Welche Absicht hast Du, Brigitte, wirst Du vergessen, das Finette tot ist, und Virginia dafür lebt? – Lass doch das Papier noch einen Zoll übertreten! – So! – Sage mir, Du kannst doch unmöglich hier so leben wollen, welche Pläne hast Du gefasst?«

»So sieh mich einmal an,« antwortete Brigitte stellte sich in die Mitte des Zimmers und nahm eine plastische Haltung an.

»Ach, ich weiß schon,« entgegnete die Andere, »Du wirst zu einem französischen Schnürleibmacher gehen und mehr verdienen?«

»Ging die Göttin Minerva zu einem Schnürleibfabrikanten? Ich dachte immer, sie fuhr auf Wolken und lebte zu einer Zeit, in der die Mieder noch nicht erfunden waren,« entgegnete Brigitte.

»Ich verstehe Dich nicht,« lispelte Virginia durch ihre Stecknadeln.

»Nun, das ist doch nicht schwer zu erraten! Ich gehe zu dem berühmtesten Bildhauer von Pisa und bin sein Modell zu einer Minerva,« antwortet Brigitte.

»Wer ist er?«

»Er heißt Meister Luca Lomi, gehört einer alten Familie an, wurde aber von den Verhältnissen hin und her geworfen und so muss er jetzt für sich und seine Tochter ums liebe Brot arbeiten.«

»Futtere das Kleid aber,« sagte die Direktrice und fragte »Wo finden denn diese Sitzungen statt?«

»Warte eine Minute. Es gibt dort noch andere Bildhauer, die ihn in der Kunst unterstützen. Zunächst sein Bruder, Pater Rocco, ein Priester; dieser bringt seine freien Stunden stets bei ihm zu. Aber er fertigt nur Statuen für Kirchen an, denn er ist ein sehr frommer Mann, Alles, was er für seine Arbeiten einnimmt, widmet er heiligen Zwecken.«

»Ah, bah, den würden wir in Frankreich einen drolligen Priester nennen.« sagte Virginia. »Gib Nadeln her! Verdienst Du von ihm auch etwas? Warte noch! Ich will sie Dir erst alle nennen. Es gibt hier noch einen Edelmann, namens Fabio d’Ascoli, der auch Bildhauer ist, er ist jung, hübsch und reich, das einzige Kind seiner Eltern und besitzt nicht viel mehr Verstand, als ein Narr. Er betreibt indes seine Kunst so eifrig, als wenn er von dem, was er erwirbt, leben müsste. Denke Dir also einen jungen Mann aus einer der ersten Familien Pisas, der darnach strebt, sich als Künstler einen Namen zu erwerben.

»Warte nur, das Beste kommt noch!

»Seine,Eltern sind tot, und da er noch unverheiratet ist, so steht sein ganzes Vermögen zu seiner Verfügung, also ist er ganz dazu geeignet, der Freund einer jungen unabhängigen Dame zu werden.«

»Ich verstehe Dich schon,« sagte Virginia. »Die Göttin Minerva hält ihre Hände bereit, um dem Künstler seine freie unnütze Habe zu entführen.« —

»Bei erster Gelegenheit werde ich mich ihm anbieten,« antwortete Brigitte. »Ich sitze ihm nämlich noch nicht, sondern seinem Meister, Luca Lomi, welcher jetzt gerade an einer Statue der Göttin Minerva arbeitet, will ich sitzen. Das Gesicht der Göttin ist nach der Tochter des Meisters gebildet, aber jetzt verlangt diese Gestalt auch Büste und Arm.

»Magdalena Lomi und ich sind fast von derselben Größe und man sagt mir, dass ihre Figur nicht als Model zu einer Göttin tauge. – Ich habe mich dem Meister durch eine Freundin anbieten lassen, nimmt mich der Alte an, so hoffe ich auch bald auf die Kundschaft des jungen Edelmannes. Meine Zunge und andere Fertigkeiten werden dann das Übrige schon besorgen.«

»Wer ist denn die Freundin, die Dich empfehlen soll? Vielleicht auch eine Künstlerin?«

»Nein, nein, es ist ein sonderbares kleines Geschöpf.«

»Warte ich muss erst sehen, ob Niemand horcht. Es klopft!«

Die Tür öffnet sich und ein ärmlich, aber reinlich gekleidetes junges Mädchen, trat in das Zimmer. Sie war klein und schwächlich, aber ihr Gesicht war sehr regelmäßig und in vollkommener Übereinstimmung mit dem Körper.

Das Haar war dunkelbraun und die Augen hatten jenes Dunkelblau, welches man an den Gemälden Giergiones und Tizians bewundert und welches ein Kennzeichen der italienischen Schönheiten ist. Das Gesichtchen war indes sehr blass. Es fehlte ihm der Ausdruck kräftiger jugendlicher Frische, die eigentliche Krone der Schönheit.

Ihr Blick war trübe als sie eintrat, als sie jedoch die französische Direktrice erblickte wurde es sogar ängstlich und das junge Mädchen wollte sich scheu nach der Tür zurückziehen.

»Bleiben Sie, Nanina,« sagte Brigitte italienisch, »und erschrocken Sie nicht bei dem Anblick der Dame; sie ist unsere neue Direktrice und sie kann Ihnen sehr nützlich werden. Sagen Sie uns jetzt, was Sie wollen! Sie sind schon sechzehn Jahre alt und sind so schüchtern wie ein Kind von zwei Jahren.«

»Ich wollte nur fragen, ob Sie heute etwas Arbeit für mich haben,« fragte das junge Mädchen mit sehr angenehmer Stimme und mit schüchternem Blick auf die neue Geschäftsvorsteherin.

»Nein, heute ist nichts für Sie zu tun,« sagte Brigitte, »gehen Sie heute Modell stehen?« fragte sie weiter.

 

Die Wangen Nanina’s färbten sich und sie antwortete: Ja! »Vergessen Sie meine Botschaft nicht, meine Liebe und wenn Meister Lomi fragt, wo ich wohne so sagen Sie ihm nur, dass Sie mir meinen Brief von ihm mit Bestellungen überbringen könnten; aber sagen sie ihm gar nicht, wer ich bin und wo ich wohne.«

»Warum verbieten Sie das?« fragte Nanina unschuldig.

»Fragen Sie nicht so dumm und bringen Sie mir morgen eine Nachricht, dann werde ich die Dame hier bitten, dass sie Sie beschäftige. Ich begreife Sie übrigens nicht, Sie können doch hier und in Florenz mit dem Modellstehen viel mehr Geld verdienen.«

»Mir gefällt die Handarbeit besser,« entgegnete das junge Mädchen, verbeugte sich höflich und verließ das Zimmer.

»Das ungeschickte Kind kann einmal hübsch werden,« bemerkte Mademoiselle Virginia, die mit der Anfertigung des Kleides unter ihrer Hand bald fertig zu sein schien. »Wer ist sie denn?«

»Sie ist die Freundin, welche mich bei Lomi empfehlen soll,« erwiderte Brigitte lachend.

»Wer hat Dich denn mit ihr bekannt gemacht?«

»Sie holte sich hier stets Arbeit und fertigte dieselbe in ihrer Wohnung, dem kleinsten und hässlichsten Ort, in einer Straße bei Campo Santa, an. Ich war eines Tages neugierig genug, ihr zu folgen. Als der Vogel im Bauer war, klopfte ich an die Tür. Sie rief ängstlich; Herein! War das ein Loch! Ich kann es noch nicht vergessen! Ich erblickte nur einen Stuhl und eine alte Bratpfanne auf dem Feuer, das war Alles was ich sah. Vor dem Herd lag ein großer, ungeschorener, abscheulicher Pudel und auf einem niedrigen Stuhle saß ein kleines Mädchen und flocht Matten.

Ich sagte, ich interessiere mich für sie und fragte nach ihrem Vater. »Er hat uns seit Jahren verlassen,« sagte das Mädchen. »Und Ihre Mutter?«

»Todt!« war die Antwort. Dann stand sie auf, ging zu ihrer kleinen Schwester und spielte mit derem langen blonden Haar. »Das ist gewiss Ihre Schwester. Wie heißt denn die Kleine?« fragte ich. Das Kind blickte von der Flechtarbeit in die Höhe und antwortete: man nennt mich Biondella.

»Warum liegt das hässliche Tier da vor dem Herd?«

»Das ist ja unser lieber Scarammucia,« sagte die Kleine. »Er bewacht das Haus, wenn Nanina nicht zu Hause ist; er tanzt auf seinen Hinterfüßen, springt durch einen Reifen und weiß allerlei Kunststücke. Scarammucia folgte uns eines Tages auf der Straße, es sind nun schon mehrere Jahre her, und seitdem leben wir mit ihm zusammen. Er geht jeden Tag spazieren und sucht sich seine Nahrung, aber Niemand kann ihm nachsagen, dass er ein Dieb ist, er ist nur der geschickteste aller Hunde.« Mit diesen Worten ging das Kind zu dem hässlichen Tiere und liebkoste es. Ich erfuhr denn noch, dass die Nachbarn den Kindern beigestanden haben, als ihr Vater sie verlassen hatte, bis sie soweit waren, sich selbst eine Kleinigkeit zu erwerben. Die Biondella ließ den Hund seine Kunststücke vor mir aufführen, als ich mich ihm aber nähern wollte wies mir das hässliche Geschöpf erzürnt die Zähne und fing zu bellen an.

»Das Mädchen sah so krank aus, als sie hier herein trat. Sieht sie immer so blass aus?«

»Nein, sie ist seit einigen Monaten viel blasser geworden, und ich glaube dass der junge Edelmann einen Eindruck auf sie gemacht hat; denn je länger sie zu ihm geht, je trauriger und kränklicher wird ihr Aussehen.

»Sitzt sie ihm vielleicht?«

»Ja! Er arbeitet jetzt an der Statue einer Nymphe und benutzt den Kopf und das Gesicht Nanina’s als Modell dazu. Sie wollte anfangs durchaus nicht darauf eingehen und machte dem Künstler viele Schwierigkeiten, bevor sie sich dazu hergab.«

»Glaubst Du nicht, dass sie Deine Rivalin werden wird? Die Männer sind oft solche Narren und verlieben sich gerade in Wesen, die man nicht fürchten zu müssen glaubt.«

»Lächerlich! So ein fadenscheiniges Ding, ohne Manieren, ohne Intelligenz, ein Wesen, das kaum den Mund zu öffnen wagt, das weiter nichts besitzt, als einen hübschen Kinderkopf! Die Nanina wird mir nicht gefährlich werden; vielmehr fürchte ich von der Tochter des alten Lomi, ich fürchte mich förmlich, deren Bekanntschaft zu machen. Nanina wird meinen Auftrag ausrichten; ich werde ihr dafür ein altes Kleid schenken, ihr die Hand freundlich drücken und dann sind wir fertig! Da gibt es nichts zu fürchten!«

»Nun, Du verstehst das gewiss besser! Aber ich muss Dir sagen, dass mir stets derartige Wesen durch ihre Unwissenheit und Unschuld am gefährlichsten geworden sind. – Worte einen Augenblick; ich werde das Kleid bald so weit eingerichtet haben, dass die Näherin es übernehmen kann.«

»Klingele, dass die Arbeiterin erscheine ich werde ihr sagen, wie das Kleid weiter gearbeitet werden soll, das heißt, Du wirst es ihr übersetzen, da ich nicht italienisch kann.«

Während Brigitte klingelte, schnitt die französische Geschäftsführerin ein neues Kleid zu und sie lachte als sie sah, wie sich der Seidenstoff unter ihren Händen verringerte.

»Warum lachst Du?« fragte Brigitte »Ich kann mich nicht von dem Gedanken trennen, dass Deine kleine Freundin eine Heuchlerin ist,« entgegnete Virginia.

»Und ich bin überzeugt, dass sie ein Dummkopf ist,« antwortete Brigitte.

Zweites Kapitel

Das Atelier des Meister Luca Lomi bestand aus zwei großen Zimmern, welche durch eine Bretterwand getrennt waren. Eine thorartige Öffnung bildete den Durchgang von dem einen Raum zu dem andern.

Während die Arbeiterinnen der Grifoni moderne Kleider anfertigten, arbeiteten die Bildhauer in Meister Lomi’s Werkstatt in Gips und Marmor. In dem kleinen Raum arbeitete der junge Edelmann, der im Atelier nur Fabio genannt wurde, an einer Büste. Nanina saß als Modell zu dieser Büste vor ihm.

Er hatte nicht den finsteren italienischen Typus, sondern seine Haltung wie sein Aussehen waren frisch, frei und angenehm. Intelligenz glänzte aus seinen Augen und ungezwungen Heiterkeit ließ sich von seinen Lippen lesen. Mit wenigen Worten konnte man ihn als einen talentvollen, liebenswürdigen jungen Mann bezeichnen.

In dem andern Zimmer arbeitete Meister Luca Lomi an seiner Minerva und sah dabei zuweilen auf die Arbeit seiner Gehilfen, die an andern Bildwerken arbeiteten. Sein Bruder, Pater Rocco, arbeitete in der Nähe der Durchgangs-Öffnung, an der Statue einer Madonna.

Magdalena Lomi hatte eben ihre Sitzung zu dem Gesicht der Minerva beendet und schritt durch das Zimmer, um sich in den kleinen Raum zu begeben.

Die drei Verwandten hatten eine große Familienähnlichkeit, sie waren groß, hübsch, hatten dunkle Augen und schwarzes Haar und ihre Gesichtszüge waren auch sehr übereinstimmend.

Magdalenens Gesicht zeugte von Leidenschaftlichkeit, aber gleichzeitig von Großmut. Ihr Vater verband mit dem leidenschaftlichen Ausdruck noch etwas von versteckter Schlauheit.

Pater Roccos Antlitz zeigte nur Milde und Ruhe. Dem angemessen war auch seine Haltung und seine Bewegung.

Das Gesicht der Tochter Lomi’s ließ vermuten, dass sie in einem Augenblicke bis zur Leidenschaft erzürnt sein konnte, aber in dem andern wieder zu verzeihen verstände.

Auf dem Gesicht ihres Vaters stand: »Ärgere mich und ich werde Dir niemals verzeihen!«

Der Priester sah so aus, als ob er nie erzürnt werden könnte und auch nie dazu kommen würde, Jemand zu erzürnten.

Luca rief seinem Bruder zu: »Sieh nur, Rocco meine Minerva wird Sensation erregen!«

»Ich bin erfreut, das zu hören,« antwortete der Priester trocken.

»Es ist eine ganz neue Art der Kunst,« fuhr Luca fort, »andere Künstler benutzen zu klassischen Gestalten auch stets klassische Gesichter. Ich machte es anders und nahm den Kopf meiner hübschen Tochter als Modell. Sie wird zwar keine ideale Schönheit vorstellen, aber das Gesicht besitzt Individualität. Man wird mir vorwerfen, eigene Wege eingeschlagen zu haben, aber ich wünsche das eben; außerdem finde ich, dass Magdalena einer Minerva gleicht.«

»Die Ähnlichkeit ist wunderbar!« sagte Pater Rocco und trat vor die Minerven-Statue.

»Es ist das Mädchen selbst,« sagte der Vater, »denn es ist kein Haarbreit Unterschied zwischen dem Original und der Minerva.«

»Was wird aber aus dem Körper der Minerva werden?« fragte Rocco.

»Die kleine Nanina hatte mir eben die Adresse einer Frau gebracht, die zu der Minerva sitzen möchte.« entgegnete Luca Lomi.

»Wirst Du das Anerbieten annehmen?«

»Ja, wenn sie die Größe meiner Tochter hat und wenn ihr Körper zu einem Modell tauglich ist. Wer mag sie nur sein? Sie hat Nanina verboten mir weder ihren Namen noch ihre Wohnung zu nennen. Ich halte sie entweder für eine Abenteurerin oder für eine Kunstenthusiasten. Was sagst Du, Rocco?«

»Ich? Nichts! Ich verstehe mich darauf nicht!«

»Wo ist Magdalene?« fragte Lomi

»In Fabio’s Zimmer. Soll ich sie rufen?« fragte Rocco.

»Nein, nein,« entgegnete Lomi schnell.

Dann sah er nach den Gehilfen und ging dann zu dem Priester zurück, diesem zuflüsternd:

»Ich wünschte Magdalene ginge, statt hier in Fabio’s Zimmer, dort drüben in seinen Palast, jenseits des Arno! Rocco, schüttele nicht den Kopf! Ich werde sie zu des reichen Edelmanns Braut zu machen suchen, und Du, heiliger Mann, sollst sie mit dem Ringe und Deinem Segen an ihn für immer fesseln.«

»Ich bin betrübt,« sagte der Priester, »dass Du Dich mit diesen Dingen beschäftigst, Luca, sei vernünftig! Wenn wir allein im Atelier sein werden, will ich mit Dir über den Gegenstand weiter sprechen, jetzt lass mich ruhig arbeiten.«

Luca zuckte mit den Achseln und ging zu seiner Minerva zurück.

Pater Rocco mischte Gips und bereitete sich vor, eifrig zu arbeiten.

Nachdem seine Mischung die gehörige Zähigkeit erreicht haben mochte, durchschritt er den Raum und nahm aus einer Ecke des Zimmers einen kleinen Spiegel, den er versteckt bis zu der Türöffnung trug und ihn dann schnell so befestigte, dass er die Personen im Nebenzimmer beobachten konnte.

Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass Pater Rocco dieses Experiment ausführte.

Er knetete aufs Neue in den vor ihm liegenden Gips, hatte aber seine Augen dabei fest auf den Spiegel gerichtet.

Magdalene Lomi stand hinter dem jungen Künstler und beobachtete den Fortschritt seiner Arbeit. Zuweilen nahm sie ihm das Werkzeug aus der Hand und sagte ihm mit ihrem süßesten Lächeln, dass sie als eines Bildhauers Tochter, auch etwas von der Kunst verstehe; dann beugte sie sich zu der Statue, dass sein Haar und das ihrige sich berühren mussten und zeigte ihm Schönheiten oder Fehler an seiner Arbeit.

Pater Rocco senkte den Spiegel um zwei Zoll und nun erblickte er auch Nanina und bemerkte, wie deren Wangen erbleichten und wie krampfhaft sie das Band zerknitterte, welches ihr Kleid zusammenhielt, als Magdalene mit dem jungen Künstler so harmlos umging.

»Sie ist eifersüchtig, ich merke es seit Wochen,« sagte Rocco zu sich.

Er wandte sich nun ab und arbeitete kräftig in seinem Gips. Als er wieder in den Spiegel sah, bemerkte er, dass Magdalene das Werkzeug ergriffen hatte und selbst an dein Haar der Nymphe zu arbeiten begann.

Fabio sah ihr zu, blickte aber dann auf Nanina. Diese sah ihn vorwurfsvoll an, er aber antwortete ihr mit einem Zeichen, welches ihr Gesicht lächeln machte.

Magdalene hatte den Wechsel in dein Gesichtsausdruck des jungen Mädchens bemerkt, und warf ärgerlich das Werkzeug weg und sagte zu dem jungen Bildhauer, der wieder zu arbeiten anfing:

»Signor Fabio, wenn Sie das nächste Mal wieder vergessen wollen, was Sie sich und ihrem Rang schuldig sind, so sagen Sie mir das gefälligst vorher, dann werde ich sogleich Ihr Zimmer verlassen!«

Mit diesen Worten trat sie in das große Zimmer und Pater Rocco hörte, dass sie sagte:

»Ich habe Einfluss auf meinen Vater, dieses Bettelmädchen darf hier nicht mehr länger herkommen!«

»Auch eifersüchtig!« sagte Rocco. »Hier muss Etwas getan werden, sonst endigt die Geschichte schlecht.«

Er sah in seinem Glas, dass Fabio Nanina winkte, sich ihm zu nähern. Sie ging zu ihm, aber er kam ihr schon auf halbem Wege entgegen, ergriff ihre Hand und sagte ihr leise Etwas ins Ohr; dann berührte er ihre Wangen mit seinen Lippen und gab ihr die Mantille über Kopf und Schultern.

Dann trat er zu Rocco ein und sagte: »Ich gebe Nanina heute einen halben Tag frei!«

Magdalene hatte mit ihrem Vater gesprochen, hörte aber sogleich auf, als sie Fabio sah, und mit einem Blick auf Nanina, die zitternd in der Tür stand, verließ sie das Zimmer.

Lomi rief Fabio zu sich und Pater Rocco arbeitete weiter, als er aber Nanina zum Fortgehen bereit sah, fragte er: »Mein Kind, gehst Du nach Hause?«

Sie nickte bejahend mit dem Kopfe.

 

»Nimm dies mit, für Deine kleine Schwester,« fuhr Pater Rocco fort, und übergab ihr einige Silbermünzen.

»Ich habe einige Kunden gefunden für die hübschen Flechtarbeiten der Kleinen; Du brauchst sie mir nicht zu schicke, ich werde heute Abend zu Euch kommen, wenn ich meine Pfarrkinder besuche. Du bist ein gutes Mädchen, Nanina, warst immer gut und so lange ich lebe, werde ich Dein Beschützer bleiben.«

Nanina dankte dem Priester mit feuchten Augen; er legte seine Hand auf ihr Haupt, nickte ihr freundlich zu und ging dann zu seiner Beschäftigung zurück.

»Vergessen Sie meine Botschaft an die Dame nicht!« rief Luca Nanina zu, als sie an ihm vorüberging, um das Zimmer zu verlassen.

Nachdem sie fort war, trat Fabio zu dem Priester.

»Morgen wird Ihre Arbeitslust wiederkehren,« sagte Rocco. »Ich hoffe, Sie haben sich nicht über Ihr Modell zu beklagen?«

»Nein,« entgegnete Fabio, »ich beklage mich nicht über sie. Im Gegenteil, sie hat den schönsten Kopf, den ich je sah, und wenn ich noch viel geschickter wäre, würde ich diesen schönen Kopf doch nicht gehörig nachahmen können.«

Mit diesen Worten ging er wieder zu seiner Büste und betrachtete dieselbe ein Weilchen, dann kehrte er in den großen Raum zurück. An der Türöffnung standen drei Stühle, zwei derselben berührte Fabio absichtlich, als er schon vorüber war, kehrte er zurück und fasste auch den dritten Stuhl an der Rückseite an.

Pater Rocco lächelte sarkastisch und sagte: »Signor Fabio, ich hätte Sie nie für abergläubisch gehalten!«

»Meine Amme war es,« entgegnete der junge Mann lachend. »Sie lehrte mich diese albernen Dinge.«

»Abergläubisch!« wiederholte sich Rocco still und ging dann an das Fenster und blickte auf die Straße. Links geht es nach Fabio’s Palast, rechts nach Campo Santa, in dessen Nähe Nanina lebt. Der Priester sah, dass Fabio den Weg rechts wählte.

Nach einer halben Stunde verließen die Gehilfen das Atelier und Rocco war mit seinem Bruder allein.

»Wir wollen jetzt zu der Unterhaltung zurückkehren,« sagte Rocco zu seinem Bruder.

»Ich habe nichts mehr hinzuzufügen,« antwortete Lomi

»So höre aufmerksam zu, was ich Dir sagen werde,« begann der Priester. »Ich verwerfe Deine Absicht, den jungen Mann mit Deiner Tochter zu verbinden, aber noch mehr muss ich diese Absicht verwerfen, weil es nur des Geldes wegen geschehen soll.«

»Du willst mich mit Deinen Phrasen zum Besten haben, aber sie machen keinen besonderen Eindruck auf mich,« entgegnete Lomi. »Magdalene wird durch diese Heirat reich werden, deshalb wünsche ich dieselbe und wir Alle werden Nutzen daraus ziehen.«

»Was sollte mir Wohlstand nützen? Was sind Menschen mit Geld, was ist Geld selbst für einen Mann meines Standes,« sagte der Pater.

»Geld ist für Jeden ein nützliches Etwas,« entgegnete Lomi.

»So? Hast Du schon gehört, dass ich mir je Geld wünschte? Gib mir so viel, dass ich mir das tägliche Brot kaufen, meine Wohnung und die notwendigsten Bedürfnisse bezahlen kann, gib mir noch Einiges für die Armen und ich wünsche darüber hinaus für mich nichts weiter.

»Hast Du mich schon einmal geldbedürftig gesehen? Helfe ich Dir hier nicht unentgeltlich, nur aus Liebe zu der Kunst und aus Liebe für Dich? Habe ich Dich nicht stets nur um einiges Geld für meine Armen gebeten? Was nützt einem Manne Geld, den seine Oberen heute nach Rom oder an das äußerste Ende der Erde schicken dürfen, und welcher auch in jedem Augenblick bereit wäre, ihrem Rufe zu folgen. Was soll einem Manne Geld, der weder Weib noch Kind besitzt und nur die geheiligten Interessen der Kirche zu vertreten hat.«

»Das ist sehr schön und edel, gedacht,« entgegnete Lomi, »aber ich denke anders.«

»Und jetzt erkläre mir doch, weshalb Du dennoch wünschtest, dass Magdalene Fabio heirate, da Du andere Leute, die weniger reich waren als er, und die sich um ihre Hand bewarben, niemals als Magdalenens zukünftige Gatten anerkennen wolltest.«

»Ich sagte Dir das bereits ja vor Monaten!« entgegnete Rocco, »als Fabio zuerst hierher kam.«

»Das war sehr unbestimmt; willst Du es mir heute nicht bestimmter mitteilen?«

»Ja, ich will es! Erstlich gefällt mir der junge Mann; er ist vielleicht etwas launenhaft und unbestimmt, aber er hat keinen Fehler an sich, den er nicht ablegen könnte.

»Außerdem muss ich Dir nun noch sagen, dass Alles, was Fabio von seinen Vorfahren erbte und was er jetzt rechtmäßig sein Eigentum nennen darf – von Betrügereien und Raub an unserer heiligen Mutterkirche ausgeübt, herrührt.«

»Tadele seine Vorfahren dafür, aber nicht ihn!« entgegnete Lomi.

»Ich werde ihn so lange tadeln, bis er diesen Raub zurück erstattet.«

»Woher weißt Du übrigens, dass sein großes Vermögen nur aus dieser Quelle floss?«

»Ich habe sorgfältiger als irgend Jemand die Bürgerkriege Italiens studiert: daher weiß ich es bestimmt, dass die Ahnen Fabio d’Ascolis der Kirche in deren schwachen Tagen viele Schätze abnahmen. So verlor die Kirche Land und Geld, und ich werde Alles daran setzen, dass die heilige Kirche zurück erhalte, was sie verlor.«

»Was antwortet denn Fabio auf diese Forderung, Bruder?«

»Ich habe nie mit ihm über diesen Gegenstand gesprochen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich bis jetzt noch keinen Einfluss auf ihn habe. Hat er ein Weib, so wird dieses für mich handeln.«

»Du denkst an Magdalene, glaubst Du, dass sie das für Dich tun wird?«

»Habe ich sie nicht erzogen? Sie kennt die Pflichten, welche die Kirche verlangt, sehr genau.«

Lomi zögerte, dann sagte er: »Ist die Summe, welche Du der Kirche wieder zuführen willst, bedeutend?«

»Ich werde Dir das später beantworten, Luca,« entgegnete der Priester, »Du weißt jetzt genug, weshalb ich diese Heirat durchaus wünsche, ohne selbstsüchtige Interessen, wie Du sie leider hegst. Von den großen Reichtümern, welche Fabio der Kirche zurückgeben wird, soll auch nicht ein Paoli in meine Tasche wandern. Ich bin ein armer Priester, ich kämpfe nur so eifrig für die Kirche, wie ihr Weltmenschen dies für irdische Güter zu tun pflegt.«

Mit diesen Worten verließ er seinen Bruder und sprach nicht mehr; er ging zu seinem Werktische zurück, zog ein Stück Papier aus dem Tischkasten und schrieb darauf: —

»Komm morgen in das Atelier. Fabio wird hier sein, aber Nanina wird nicht mehr zurückkehren.«

Dann schrieb er die Adresse darauf und übergab den Zettel zusammengefaltet seinem Bruder mit der Bitte, es seiner Tochter abgeben zu wollen. – Das Blatt trug keine Unterschrift.

»Sage mir, Rocco,« fragte Lomi und drehte dabei das Blatt zwischen seinen Fingern, » glaubst Du, dass Magdalene mit Fabio glücklich sein wird?«

»Es ist möglich!« entgegnete Rocco.

»So, nur möglich! Glaubst Du?«

»Ja, wahrscheinlich!« entgegnete Rocco, gab seinem Bruder die Hand und verließ das Atelier.