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Eine Ehestandstragödie

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Ich sah ihn an, als sie diese Worte sprach. Seine bräunliche Gesichtsfarbe ging augenblicklich in ein fahles Gelb über, seine Hand faßte nach dem nächsten Stuhle, in den er sich schwer niederfallen ließ.

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte er nach einer Weile, unsicher im Zimmer umher blickend.

»Sie verstehen mich nur zu gut,« entgegnete meine Herrin. »Ihr Gesicht verräth, daß Sie mich verstehen, wenn auch Ihre Zunge es leugnet.«

Herr Smith suchte seine frühere Frechheit mit einer gewaltsamen Anstrengung wieder zu gewinnen. Mit einem Fluche sprang er von seinem Stuhle auf. – Einen Augenblick vorher hatte ich etwas wie ein Frauenkleid an der Salonthür rauschen hören, und eben wollte ich hingehen, um nach der Ursache zu sehen, als sich mein Herr zu mir wandte.

»Lassen Sie mein Bett in der rothen Stube zurecht machen und augenblicklich dort Feuer anzünden,« sagte er mit seinem bösesten Blicke und im rauhesten Tone. »Wenn ich klingle, bringen Sie mir heißes Wasser und eine Flasche Brandy. – Was Sie aber betrifft, mein Herz fuhr er fort, indem er sich an Herrn Meeke wendete, der noch immer bleich und sprachlos mit der Geige im Arme auf seinem Stuhle saß, »so rathe ich Ihnen, augenblicklich das Haus zu verlassen, oder Sie sollen erfahren, daß Ihr Stand Sie gegen meinen Zorn nicht schützt!«

Bei dieser neuen Beleidigung schoß meiner Herrin das Blut ins Gesicht – aber ehe sie noch ein Wort zu sagen vermochte, erhob Herr Smith seine Stimme so laut, daß man jedenfalls ihre Worte nicht vernommen hätte:

»Von Ihnen, Madame, will ich kein Wort mehr hören,« schrie er in der brutalsten Weise. »Sie sprechen wie eine Wahnsinnige, Sie sehen aus wie eine Wahnsinnige – Sie sind jedenfalls, nicht bei vollem Verstande. Verlassen Sie sich darauf, daß ich Ihren Kopf morgen von einem Arzte untersuchen lasse! – Und was zum Teufel, hat dieser Schuft noch hier zu stehen!« schrie er mir zu, indem er sich auf dem Absatze herumdrehte. »Gehorcht man so meinen Befehlen?«

Ich sah meine Herrin an. Hätte sie mir durch einen Wink zu verstehen gegeben, ich sollte ihn niederschlagen, ich hätte es auf der Stelle gethan, so viel größer und stärker er auch war, als ich.

»Thun Sie, was er wünscht, William,« sagte sie, indem sie ihre Hand auf die Brust drückte, als wollte sie den aufsteigenden Zorn niederhalten. »Jedenfalls ist es der letzte Befehl, den dieser Mann Ihnen zu geben hat.«

»So wagen Sie mir zu begegnen, wahnsinniges Weib!« tobte er.

»Ich kann Ihnen nur sagen,« entgegnete sie mit ihrer klaren, ruhigen Stimme, »daß sich Das, was Sie mir angethan haben, weder vergeben noch erdulden läßt, daß ich aber auch nie wieder in die Lage kommen werde, Dinge von Ihnen zu hören, wie ich heute hörte.«

Sie sah ihn bei diesen Worten stolz und ruhig an, drehte sich dann um und ging langsam der Thür zu.

Eine Minute vorher hatte sich Herr Meeke soweit ermannt, aufzustehen und sich ebenfalls dem Ausgange zu nähern. Er schlich sich ängstlich an der Wand hin und hielt die Geige sorgsam unter einem Flügel seines langen Rockes verborgen, als fürchte er, daß sich die Wuth seines Feindes gegen dies unschuldige Instrument kehren könne. Er erreichte die Thür vor meiner Herrin. Als er sie leise öffnete, sah ich, wie er zurückfuhr und gleich darauf ließ sich wieder jenes verdächtige Kleiderrauschen auf dem Corridor hören.

Meine Herrin folgte dem Prediger, wendete sich aber auf dem Gange nach der entgegengesetzten Richtung, um die Treppe zu erreichen, die zu ihrem Zimmer führte. Ich ging dann zunächst aus dem Zimmer und ließ Herrn Smith allein.

In der Halle holte ich Herrn Meeke ein und öffnete ihm die Thür.

»Ich bitte um Verzeihung, Sir, aber darf ich Sie wohl fragen, ob Sie einen Lauscher an der Thür des Saales fanden, als Sie dieselbe eben öffneten?« fragte ich.

»Ja, William,« entgegnete er mit zitternder Stimme. »Ich glaube, es war die französische Kammerfrau. Indessen bin ich so aufgeregt, daß ich mich auch getäuscht haben kaum.«

Hat Josephine das Geheimniß erspäht? fragte ich mich besorgt, als ich in der rothen Stube Feuer anzündete. Hatte sie nur von dem Moment an gehorcht, wo ich zuerst das Rauschen ihres Kleides hörte, so konnte sie nichts erlauscht haben, als den letzten Theil des Wortwechsels zwischen meiner Herrin und ihrem schurkischen Manne. Ich sagte mir zur Beruhigung, daß die inhaltschweren Worte: »Ihre neue Frau« wahrscheinlich ausgesprochen wurden, ehe sie sich an die Thür geschlichen hatte.

Sobald das Feuer brannte und das Bett in Ordnung war, ging ich in den Musiksalon zurück, um Herrn Smith zu melden, daß seine Befehle ausgeführt wären. Ich fand ihn mit großen Schritten im Zimmer auf und ab gehen, den Hut hatte er noch immer auf dem Kopfe. Ohne ein Wort zu sagen, folgte er mir nach dem rothen Zimmer – zehn Minuten später klingelte er nach heißem Wasser und Brandy. Als ich ihm das Gewünschte brachte, fand ich ihn beschäftigt, eine kleine Reisetasche, die er mitgebracht hatte, auszupacken. Er schien meinen Eintritt nicht zu bemerken und ich verließ das Zimmer wieder, ohne eine Sylbe mit ihm gesprochen zu haben.

Die Nacht verging ohne Störung.

Am nächsten Morgen hörte ich, daß meine Herrin einen schlimmen Nervenzufall gehabt habe und unfähig sei, das Bett zu verlassen. Da ich wußte, was sie in vergangener Nacht erfahren und erduldet hatte, setzte mich das eben nicht in Verwunderung.

Gegen neun Uhr trug ich heißes Wasser nach der rothen Stube. Nachdem ich zwei Mal geklopft und keine Antwort erhalten hatte, versuchte ich die Thür zu öffnen. Sie war nicht verschlossen und ich trat mit dem Kruge in der Hand ein.

Mein erster Blick fiel auf das Bett, einen zweiten ließ ich durch das Zimmer schweifen – ich sah nirgends eine Spur von Herrn James Smith!«

Das Bett war allem Anschein nach gebraucht. Auf dem Fußende lag das Nachtcamisol. das er getragen hatte. Ich nahm es in die Hand und bemerkte einige dunkle Flecken darauf. Als ich sie genauer in’s Auge faßte, sah ich, daß es Blutflecken waren.

In der ersten Bestürzung und Unruhe, welche diese Entdeckung in mir hervorrief, verlor ich einen Augenblick die klare Besinnung. Ohne recht zu wissen, was ich that, eilte ich in das Dienerzimmer und erzählte, was ich soeben entdeckt hatte. Sämtliche Domestiken eilten stehenden Fußes nach dem rothen Zimmer, unter ihnen Josephine. Der Ausdruck, den ihr Gesicht annahm, als sie das blutige Nachtcamisol und das leere Zimmer erblickte, brachte mich indessen sogleich zur Besinnung. Alle Anderen zeigten sich erschrocken und bestürzt, während sie nach einem Augenblick der Verwunderung ihre ganze Selbstbeherrschung wieder gewann. Ein Strahl von wirklich teuflischer Freude brach aus ihren schwarzen Augen und sie verließ sofort das Zimmer, ohne ein Wort mit Einem von uns zu sprechen. Ihr Benehmen erregte mein Mißtrauen – aber, wie die Folge lehren wird, war ich dennoch weit davon entfernt, den ganzen Umfang ihrer Bosheit zu ahnen.

Als ich mich ein wenig gefaßt hatte, schickte ich Alle, mit Ausnahme des Kutschers, hinaus, um den Schauplatz des räthselhaften Verschwindens in Augenschein zu nehmen.

Das rothe Zimmer war das gewöhnliche Gastzimmer. Es lag im Erdgeschoß des Hauses, die Fenster gingen nach dem Garten hin. Wir fanden die Fensterläden, die ich am Abende vorher eigenhändig geschlossen hatte, offen – die Fenster selbst aber geschlossen. Das Feuer schien längst ausgegangen, denn das Kamingitter war kalt. Von der Flasche Brandy welche ich am Abend voll in sein Zimmer gebracht hatte, fehlte die Hälfte. Von irgend einer Gewaltthat, oder einem Kampfe war keine Spur zu finden, obwohl wir die genauesten Nachforschungen hielten und jeden Winkel durchspähten. Der kleine Reisesack des Herrn Smith fehlte.

Als ich in das Domestikenzimmer zurückkehrte, empfingen mich schlechte Nachrichten in Bezug auf das Befinden meiner Herrin. Der ungewöhnliche Rumor und Lärm, der in Folge meiner Entdeckung im Hause entstanden, war bis zu ihr gedrungen. Sie hatte nach der Ursache gefragt und man hatte ihr mitgetheilt, was vorgefallen. In dem angegriffenen Zustande, in dem sie sich befand, hatte ihr die Nachricht eine tiefe Ohnmacht zugezogen, man hatte sie nur mit Mühe wieder zum Bewußtsein gebracht und sie war nun ganz außer Stande, in der Sache irgend einen Schritt zu thun, oder auch nur einen Befehl zu geben.

In der Hoffnung, daß sie sich soweit erholen werde, um mir ihre Willensmeinung wissen zu lassen, wartete ich bis Mittag, indessen ich wartete vergeblich und endlich entschloß ich mich, zu ihr zu schicken und fragen zu lassen, was geschehen solle. Josephine war die passende Person, den Auftrag zu übernehmen, aber als ich nach ihr fragte, war sie nirgend zu finden. Das Hausmädchen, das nach ihr suchte, brachte die Nachricht, daß weder ihr Hut noch ihr Shawl an dem gewöhnlichen Platze hingen, daß sie also ausgegangen sein müsse. Das Stubenmädchen, welches sich im Vorzimmer unserer Herrin aufgehalten hatte, kam eben herunter und fand uns über dies neue räthselhafte Verschwinden eines Menschen in voller Bestürzung. Sie sagte uns, daß Josephine sie gebeten habe, diesen Morgen ihren Dienst bei der Lady zu versehen, weil sie selbst sich nicht wohl befinde. Sie war nicht wohl und dennoch hatte sie das Haus verlassen!

Ich verbot dem Mädchen aufs strengste, ihrer Herrin etwas von diesem neuen Vorfalle zu sagen, und ging selbst hinauf, um an ihre Thüre zu klopfen und sie zu fragen, ob sie einverstanden sei, wenn ich in ihrem Namen an ihren Anwalt in London schriebe, um ihm alle Vorgänge der letzten Tage mitzutheilen, und dann zu dem nächsten Friedensrichter ginge, um ihm ebenfalls Anzeige zu machen. – Ich hätte ihr diese Frage eben so gut durch das Mädchen vorlegen lassen können, aber obgleich von Natur nicht mißtrauisch, fing ich doch an, jeden Menschen mit Argwohn zu betrachten, mochte er es verdienen oder nicht.

 

So brachte ich also meine Frage selbst an. Ich blieb dabei draußen stehen und sprach durch die Thür mit meiner Herrin und sie antwortete mir ebenso. Sie dankte mir mit schwacher Stimme und bat mich, sogleich zu thun, wie ich gesagt.

Ich ging nun augenblicklich in meine eigene Stube, schrieb an den Anwalt und erzählte ihm ausführlich, wie Herr Smith ganz unvermuthet angekommen und welche Scene in Folge dessen stattgefunden. Ich meldete ihm sodann die heutigen Vorfälle und bat ihn, so schnell als möglich nach Darrock-Hall zu eilen. Nachdem ich diesen Brief geschlossen, sendete ich sogleich den Kutscher damit ab und trug ihm auf, den nach London fahrenden Postwagen abzuwarten, um ihm die Depesche mitzugeben, so daß sie ohne Verzug bestellt würde.

Meine nächste Aufgabe war nun, einen Friedensrichter aufzusuchen. Der nächste wohnte etwa fünf Meilen von Darrock-Hall und dieser war zugleich ein persönlicher Bekannter meiner Lady. Er war ein alter Junggeselle und lebte mit seinem Bruder, einem Wittwer, in demselben Hause. Beide Männer waren wegen ihrer Milde, Gerechtigkeit und namentlich ihrer Güte gegen die Armen allgemein beliebt in der Gegend. Der Friedensrichter hieß Robert Nicholson, sein Bruder, der Wittwer, führte den Namen Philipp.

Ich wollte eben meinen Hut aufsetzen und besprach mit dem Reitknecht, welches Pferd ich nehmen sollte, als ein offenen Wagen in den Hof fuhr. Darin saßen Herr Philipp Nicholson und zwei Männer, aus denen ich nicht recht klug werden konnte, denn sie sahen weder wie Herren aus, noch wie Diener.

Herr Philipp sah mich, als ich zu ihm trat und den Hut abnahm, ungewöhnlich streng und forschend an, dann fragte er mich nach Frau Smith. Ich sagte ihm, daß sie krank wäre und zu Bett liege. Als er das hörte, schüttelte er den Kopf und sagte dann, daß er ein Gespräch unter vier Augen mit mir wünsche. Ich führte ihn nach der Bibliothek. Einer der vorhin erwähnten Männer folgte uns und setzte sich in der Halle nieder. Der Andere blieb beim Wagen.

»Ich war eben im Begriff, mich wegen eines sonderbaren Falles zu Ihrem Herrn Bruder zu begeben,« sagte ich, indem ich ihm einen Stuhl hinsetzte.

»Ich weiß, was Sie meinem« unterbrach mich Herr Nicholson kurz, beinahe hart. »Aber ich muß Sie aus Gründen, die sich später entwickeln werden, bitten, mir nichts weiter mitzutheilen, bis Sie mich gehört haben. Ich bin hier in einer sehr ernsten Angelegenheit, die Ihre Herrin und Sie direct berührt.«

Die Miene des Mannes kündigte bei· diesem Eingange etwas noch Schlimmeres an, als seine Worte. Mein Herz fing an stärker zu klopfen Und ich fühlte, daß ich blaß wurde.

»Ihr Herr,« fuhr er fort, »kam gestern Abend ganz unerwartet zurück und schlief diese Nacht hier im Hause. Ehe er sich in sein Zimmer zurückzog, hatte er mit Frau Smith einen heftigen Wortwechsel, welcher, wie ich mit Bedauern höre, mit ernsten Drohungen von Seiten der Lady gegen ihren Mann endigte. Die Eheleute schliefen getrennt, in verschiedenen Zimmern Diesen Morgen kamen Sie in die Stube ihres Herrn und fanden ihn nicht. Nur sein Nachtcamisol war vorhanden und dieses zeigte Blutflecken.«

»Ja, Herr,« entgegnete ich so ruhig, als ich vermochte, »so ist es.«

»Ich habe kein Verhör mit Ihnen vorzunehmen,« sagte Herr Philipp. »Ich habe nur vorläufig den Thatbestand aufzunehmen, dessen Wahrheit Sie dann vor meinem Bruder zugeben oder bestreiten mögen.«

»Das klingt ja, als wäre ich angeklagt,« entgegnete ich.

»Man vermuthet, daß Herr Smith ermordet ist,« lautete die Antwort.

Ich erzitterte bei diesen Worten vom Kopf bis zu den Füßen – ich versuchte zu sprechen, aber das Wort erstarb mir auf den Lippen.

»Und es thut mir leid, Ihnen sagen zu müssen,« fuhr Herr Philipp fort, »daß der Verdacht zunächst auf Ihre Herrin und Sie fällt.«

Es würde vergeblich sein, wenn ich versuchte, zu beschreiben, was ich bei dieser entsetzlichen Anklage fühlte. Ich stand wie versteinert und starrte Herrn Philipp an, ohne ein Wort zu sprechen, ja es schien mir, als stünde selbst mein Athem still. Wenn er oder ein Anderer mich in diesem Moment geschlagen hätte, ich glaube, ich hätte es kaum gefühlt.

»Wir Beide, mein Bruder und ich,« fuhr Herr Philipp fort: »hegen indessen eine so hohe Achtung für Ihre Herrin und halten uns so fest überzeugt, daß es ihr gelingen wird, ihre Unschuld zu beweisen, daß wir ihr gern jede mögliche Erleichterung und Schonung angedeihen lassen möchten. Ich bin deshalb selbst mit den beiden Männern herüber gekommen, die den Auftrag haben, die Verhaftsbefehle meines Bruders zu vollstrecken.«

»Verhaftsbefehle, Herr!« rief ich jetzt, die Sprache wiedergewinnend »Einen Verhaftsbefehl gegen meine Herrin?«

»Gegen Frau Smith und Sie,« sagte Herr Philipp. »Sie und die Lady sind durch eine Zeugin, die ihre Aussagen beschworen hat, des Verbrechens angeklagt!«

»Wer ist diese Zeugin?« fragte ich.

»Die französische Kammerfrau der Lady. Sie kam heute Morgen zu meinem Bruder und hat ihre Aussagen in legaler Form niedergelegt.«

»Diese Aussagen sind falsch!« schrie ich leidenschaftlich. »Jedes Wort, das sie gegen Frau Smith und mich aussagt, ist eine Lüge!«

»Ich hoffe – nein, ich gehe noch weiter, ich glaube, daß es so ist,« sagte Herr Philipp. »Aber die Lüge muß bewiesen, die Untersuchung muß eingeleitet werden. Mein Wagen fährt zurück und Sie werden in Begleitung des Mannes, der den Verhaftsbefehl gegen Sie zu executiren hat, davon Gebrauch machen. Ich meinestheils will mit dem andern Manne, der in der Halle wartet, hier bleiben und jedenfalls den Arzt sprechen, ehe wir zur Verhaftung der Lady schreiten.«

»O, meine arme Herrin,« rief ich. »Sie wird das nicht überleben.«

»Seien Sie überzeugt, daß ich Alles thun werde, um den Schlag, der sie trifft, zu mildern,« sagte Herr Philipp. »Ich bin nur zu diesem Zwecke hergekommen und hege, wie ich schon bemerkte, die höchste Achtung und Theilnahme für Frau Smith. Ich verspreche Ihnen, daß ihr jede mögliche Rücksicht und Erleichterung zu Theil werden soll.«

An Herrn Philipps Stimme hörte ich, wie ernst er es mit diesem Versprechen meinte, und das war ein, wenn auch noch so schwacher Lichtstrahl in dem Unglück, das über Darrock-Hall hereingebrochen war. Ich fühlte mich ihm dankbar dafür, empfand zugleich einen brennenden Haß in mir gegen die Person, welche meine Herrin und mich in diese Lage gebracht hatte. – Uebrigens kam ich mir vor, wie ein Mann, der vom Blitze betäubt, seine Besinnung noch nicht ganz wiedergewonnen hat.

Herr Philipp war genöthigt, mich zu erinnern, daß die Zeit kostbar wäre und daß es gerathen sein würde, wenn ich von seinem freundschaftlichen Anerbieten bezüglich des Wagens sofort Gebrauch machte. Ich sah das auch ein und empfahl mich ihm, aber es schien sich ein Nebel über meine Augen zu legen, als ich mich umdrehte, um zu gehen. Ich vermochte kaum die Thür zu finden – Herr Philipp öffnete sie für mich und sagte mir einige freundliche Worte, die ich nur halb hörte. – Der Mann, der in der Halle wartete, brachte mich bis an den Wagen zu seinem dort wartenden Collegen; ich stieg ein und fuhr davon – zum ersten Male im Leben ein Gefangener.

Auf dem Wege benutzte ich die rückkehrende Besinnung, um darüber nachzudenken, was Josephine zu dieser nichtswürdigen Anklage veranlaßt haben könnte. Ihre Worte, ihre Blicke und ihr ganzes Benehmen an jenem unglücklichen Tage, als meine Herrin sich soweit vergessen hatte, sie zu schlagen, kam mir wieder ins Gedächtniß und ich mußte mich schließlich überzeugt halten, daß Rache für die ihr damals widerfahrene Unbill wenigstens zum Theil das Motiv zu ihrer That gegeben habe. Das erklärte aber nur ihr teuflisches Beginnen gegen Frau Smith, nicht gegen mich. Was hatte ich ihr gethan, daß sie mich anklagte? Vergebens zerbrach ich mir den Kopf, um auf diese Frage eine Antwort zu suchen. Ich vermochte, soweit mein Gedächtniß reichte, nicht den kleinsten Punkt aufzufinden, der mir einiges Licht gegeben hätte.

Bald nach meiner Ankunft wurde ich vor Herrn Robert Nicholson geführt und der Französin gegenübergestellt. Der Anblick ihres Gesichtes, auf dem sich ein abscheulicher Triumph spiegelte, war mir so unangenehm, daß ich den Kopf abwendete und sie während der ganzen Zeit über nicht weiter ansah, aber ich lauschte mit beinahe athemloser Aufmerksamkeit auf ihre Aussagen und war entsetzt über die Geschicklichkeit, mit welcher sie Wahrheit und Dichtung verwebte, um daraus eine Anklage gegen meine Herrin und mich zu schmieden.

Nachdem sie die unerwartete Ankunft des Herrn James Smiths in Darrock-Hall geschildert, gestand die Zeugin, Josephine Durand, daß sie an der Thür des Musikzimmers gehorcht und gehört habe, was man darin mit lauter Stimme gesprochen.

Sie gab nun den letzten Theil des Wortwechsels zwischen den Eheleuten ziemlich getreu wieder und erzählte dann weiter, daß sie nach diesen Vorgängen gefürchtet, es könne etwas Schlimmes passiren und deshalb wachend in ihrer Stube sitzen geblieben sei, die in demselben Stockwerke mit den Zimmern ihrer Herrin lag. Zwischen zwei und drei Uhr Morgens hätte sie leise die Thür der letztern öffnen hören und Frau Smith, die in der Hand eine kleine Lampe trug, heraustreten sehen. Unbemerkt wäre sie ihr den Corridor entlang und die Treppe hinab in die Halle gefolgt, wo sie sich in der Portierloge versteckt und von da aus gesehen habe, wie die Lady nach dem rothen Zimmer gegangen sei, einen Dolch in grüner Scheide in der Hand haltend. Sie hätte sie dann immer unbemerkt weiter begleitet und wahrgenommen, wie sie leise die Thüre des rothen Zimmers geöffnet habe und eingetreten sei, nachdem die langen hörbaren Athemzüge des Herrn Smith sie überzeugt, daß er schlafe. Sie selbst, Josephine, wäre dann in ein Nebenzimmer geschlüpft und hätte dort eine und eine Viertelstunde auf die Rückkehr der Lady gewartet, bis diese endlich wieder mit dem Dolch in der Hand herausgekommen und nun nach meinem Zimmer gegangen sei. Sie hatte, wie sie angab, das Klopfen an meiner Thür und darauf meine Antwort gehört, hatte das Versteck in der Portierloge wieder eingenommen und von da aus beobachtet, wie wir Beide, meine Herrin und ich, in das rothe Zimmer eintraten, dessen Thür wir hinter uns schlossen. In der Furcht, entdeckt und selbst ermordet zu werden, hätte sie, die Zeugin, nun nicht weiter gewagt zu lauschen, sondern sich in ihr Zimmer zurückgeschlichen, wo sie bis zum Morgen geblieben wäre.

Nachdem die Französin die Wahrheit dieser Aussagen durch einen Eid bekräftigt, sprach sie ihre Ueberzeugung aus, daß Herr James Smith von seiner Frau ermordet und daß ich ihr Mitschuldiger sei. Befragt, ob sie einen Grund zu dieser entsetzlichen That wisse, gab sie an, daß Herr Meeke der Liebhaber ihrer Herrin gewesen sei, daß Herr Smith ihm das Haus verboten, ihn dessen ungeachtet aber bei seiner Rückkehr allein bei seiner Frau gefunden habe. Auch hier mischte sie geschickt ein Körnchen Wahrheit unter die Lüge – sie erwähnte unter Anderm den Besuch meiner Herrin im Pfarrhause – und ich mußte selbst zugestehen, daß ihre Angaben dadurch an Wahrscheinlichkeit gewannen.

Ich wurde in der üblichen Weise verhört und gefragt, ob ich etwas zur Berichtigung der gegen mich erhabenen Beschuldigung zu sagen habe. Ich antwortete, daß ich unschuldig wäre, daß ich mich aber nicht vertheidigen würde. bis ich einen Advocaten zum Beistand hätte. Damit war das erste Verhör vorüber und man brachte mich auf’s Neue in Gewahrsam.

Drei Tage später wurde Frau Smith in ähnlicher Weise vernommen. Ich durfte zwar nicht mit ihr in Verbindung treten, aber ich erfuhr, daß der Londoner Advocat zu ihrem Beistande herbeigeeilt sei. Gegen Abend besuchte der Anwalt auch mich. Ich fragte ihn nach dem Befinden der Lady – er schüttelte besorgt den Kopf.

»Ich fürchte,« sagte er, »daß die schreckliche Lage, in die jenes nichtswürdige Weib sie versetzt, ernste und verderbliche Folgen gebracht. Sie war durch die vorhergegangenen Aufregungen bereits sehr geschwächt und der letzte Schlag, so schonend Herr Nicholson auch verfuhr, scheint ihre Kraft vollends gebrochen zu haben. Ihr Verhalten im heutigen Verhör war ein ganz eigenthümliches. Sie beantwortete alle an sie gestellten Fragen bestimmt und klar, aber beinahe mechanisch. Gesicht, Ton, Sprache und Manieren blieben vollkommen unverändert von Anfang des Verhörs bis zum Ende – mit einem Worte, sie zeigte nicht eine Spur von Gefühl oder Bewegung. Es ist schlimm, William, wenn Frauen in solchen Lagen der Trost der Thränen versagt ist – und ihre Herrin hat keine Thränen vergossen , seit sie Darrock-Hall verließ.«

»Aber wenn meine Aussagen nicht genügten Josephine Durand der Lüge zu bezichtigen, so werden doch die Angaben meiner Herrin das Gewebe von Falschheit und Verleumdungen zerrissen haben,« sagte ich.

»Das könnte nur durch den Beweis geschehen, daß Herr Smith nicht ermordet ist, sondern lebt,« entgegnete der Anwalt. »Offen gesprochen, ich glaube, daß der Richter moralisch ebenso, wie mir, überzeugt ist, daß die Französin einen falschen Eid geschworen hat. Moralisch ist er auch überzeugt, daß die Lady die Wahrheit spricht, wenn sie sagt, daß die Worte, die sie unglücklicherweise brauchte:

 

»Thun Sie, was Herr Smith wünscht; es ist jedenfalls der letzte Befehl, den er Ihnen zu geben hat,« nur ihre Absicht andeuteten, am andern Morgen mit Ihnen nach London zu reisen, um sich unter meinen Schutz zu stellen. Herr Nicholson weiß das und glaubt es – und ich, der ich ein, wenig besser unterrichtet bin, als er, ich behaupte sogar, daß Herr James Smith sich in der Stille der Nacht davon machte, weil er eine Anklage auf Bigamie fürchtete. Kann ich ihn aber nicht finden, kann ich nicht beweisen, daß er lebt, lassen sich vor allen Dingen die Blutflecken im Nachtcamisol nicht erklären, so bleiben die heftigen Worte der Lady, die unangenehmen Scenen, die schon früher zwischen den Eheleuten vorkamen, der verbotene Verkehr mit Herrn Meeke als ebenso viele Beweise gegen sie stehen und der Richter kann dann nichts thun, als Sie Beide festzuhalten und die Sache ihren Gang gehen zu lassen.«