Kostenlos

Ein Salomonisches Urtheil

Text
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Ein Salomonisches Urtheil
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Wilkie Collins

Ein Salomonisches Urteil

Ich werde es als eine persönliche Gunst betrachten, begann der Erzähler, ein großer, starker, blonder, melancholisch aussehender und dürftig gekleideter Mann, der sich Heavysides nannte, seines Zeichens ein Zimmermann war und sich gebildeter ausdrückte, als man es nach seiner äußern Erscheinung erwartet hätte – ich werde es als eine persönliche Gunst betrachten, wenn Sie meine wunderliche Geschichte anhören und vor Allem so gut sein wollen, mich, mit Hülfe Ihrer Phantasie, als ein vor fünf Minuten geborenes Kind zu betrachten.



Ich glaube Sie bemerken zu hören, ich sei zu groß und schwer, als daß eine solche Vorstellung möglich wäre. Vielleicht haben Sie Recht, aber bitte, unterlassen Sie jede weitere Anspielung auf meine Größe und Schwere. Mein Gewicht ist das Unglück meines Lebens gewesen; es hat, wie Sie gleich hören werden, meine Stellung und meine Aussichten im Leben verdorben, ehe ich noch zwei Tage alt war.



Meine Geschichte beginnt vor einunddreißig Jahren, Morgens elf Uhr mit dem großen Fehlgriffe meines Eintrittes in die Welt zur See, am Bord des Kauffartheischiffes „Adventure“, Capitän Gillop, fünfhundert Tonnen Last, gekupfert und mit einem praktischen Arzt am Bord.



Da ich mich Ihnen – wie eben geschieht – in dieser wichtigen Periode meines Lebens vorstelle, nämlich im Alter von fünf bis zehn Minuten, und da ich, um Sie nicht mit einer langen Erzählung zu belästigen, mich wieder verabschieden werde, ehe ich noch den ersten Zahn bekomme, so darf ich wohl ohne Weiteres eingestehen, daß meine Kenntniß der Vorgänge nur auf Hörensagen beruht. Dessenohngeachtet verdient mein Bericht vollen Glauben, denn er stützt sich auf die Aussagen Mr. Gillop's, Capitäns des Adventure (der mir seine Mittheilungen in einem Briefe machte), Mr. Jolly's, des praktischen Arztes an Bord des Adventure (welcher mir die Geschichte – ziemlich herzlos, wie ich glaube – in Form einer humoristischen Erzählung überlieferte), sowie auf die mündlichen Berichte von Mrs. Drabble, der damaligen Aufwärterin auf dem Adventure. Diese drei Personen waren in verschiedener Weise Augenzeuge – ich darf wohl sagen verblüffte Augenzeugen – der Vorgänge, die ich zu berichten habe.



Der Adventure segelte zu der Zeit, von der ich spreche, von London nach Australien. Jedermann weiß, wie ich voraussetze, daß vor dreißig Jahren die Goldfelder noch nicht entdeckt waren und daß es damals noch keins der berühmten Klipperschiffe gab. Man beschäftigte sich zu jener Zeit in den neuen Colonieen hauptsächlich mit dem Bauen von Häusern, und in den innern Theilen des Landes mit der Schafzucht; in Folge dessen bestanden denn auch die Passagiere am Bord unseres Schiffes fast bis auf den letzten Mann aus Bauhandwerkern und Schafzüchtern.



Ein Schiff von fünfhundert Tonnen, das volle Ladung hat, gewährt seinen Passagieren keine übermäßigen Bequemlichkeiten. Nicht daß die den besseren Ständen angehörigen Passagiere der ersten Cajüte besondern Grund zur Klage gehabt hätten aber der Ueberfahrtspreis, welcher sich auf eine hübsche runde Summe belief, machte sie zu Ausnahmen. Es standen sogar zwei oder drei Schlafcabinen in diesem Theil des Schiffes leer, denn die Zahl der Reisenden dieser Classe belief sich nur auf vier. Ihre Namen und ihre Qualitäten waren folgende:



Mr. Sims, ein Mann von mittleren Jahren, welcher auf Bauspeculationen ausging; Mr. Purling, ein schmächtiger, junger Mann, den man seiner Gesundheit wegen eine lange Seereise empfohlen hatte, und Mr. und Mrs. Smallchild, ein junges Ehepaar, mit einem mäßigen Vermögen, welches Mr. Smallchild durch Schafzucht in ein großes zu verwandeln trachtete. Dieser letztere Herr war dem Capitän als besonders guter Gesellschafter empfohlen worden – aber die See schien diese Eigenschaft einigermaßen beeinträchtigt zu haben; denn wenn Mr. Smallchild nicht sterbenskrank war, beschäftigte er sich mit Essen und Trinken, und aß und trank er nicht, so schlief er. Er war sehr geduldig und guter Laune und verstand es, sich mit wundervoller Geschwindigkeit in seine Koje zurückzuziehen, wenn ihn eine plötzliche Anwandlung des Uebels überfiel; – was aber seine gesellschaftlichen Talente betraf, so hörte ihn während der Ueberfahrt Niemand zehn Worte sprechen. Das war übrigens kein Wunder; denn der Mensch kann nicht sprechen, wenn ihm übel ist, er kann nicht sprechen, wenn er ißt oder trinkt, er kann es ebensowenig, wenn er schläft. Und daraus bestand Mr. Smallchild's Leben. Was Mrs. Smallchild betrifft, so verließ sie ihre Cabine vom ersten bis zum letzten Tage der Ueberfahrt nicht – aber Sie werden gleich mehr von ihr hören.



Diese vier Cajütenpassagiere hatten es, wie schon bemerkt, ziemlich bequem. Aber die armen Menschen im Zwischendeck – am Bord des Aventure auch in den besten Zeiten ein erbärmlicher Platz – waren, Männer, Frauen und Kinder, zusammengepfercht wie Schafe in einer Hürde, nur mit dem Unterschiede, daß nicht so gute, frische Luft über sie dahinstrich. Es waren Handwerker und ländliche Arbeiter, denen es in der alten Welt nicht mehr gefiel, über deren Zahl und Namen ich aber nichts Genaueres weiß. Es kommt auch nichts darauf an, denn es war nur eine Familie darunter, welche besonders zu nennen ist. Die Familie Heavysides nämlich. Diese Familie bestand aus Simon Heavysides, einem geschickten, rechtschaffenen Zimmermann, Martha Heavysides, seiner Frau, und sieben kleinen Heavysides, ihrer unglücklichen Nachkommenschaft. Sie werden, wenn ich recht vermuthe, nun den Schluß ziehen, dies wären mein Vater, meine Mutter und meine Geschwister gewesen? Aber übereilen Sie sich nicht, lassen Sie sich, wenn ich bitten darf, Zeit, ehe Sie diesen Umstand als gewiß annehmen.



Obgleich ich mich selbst – streng genommen – nicht am Bord befand, als das Schiff London verließ, so hatte sich mein böses Geschick, wie ich fest überzeugt bin, auf dem Adventure eingeschifft, um mich zu erwarten, und demgemäß gestaltete sich die Reise. Das Wetter war niemals schlechter gewesen. Wir hatten Stürme aus allen Richtungen des Compasses, welche mit leichteren widrigen Winden oder vollkommener Windstille wechselten. Der Adventure war seit drei Monaten unterwegs, Capitän Gillop's Heiterkeit begann sich zu trüben, und ich überlasse es Ihnen, zu beurtheilen, ob die Nachricht, welche er am Morgen des einundneunzigsten Tages aus der ersten Cajüte empfing, dazu angethan war, seine Stimmung zu verbessern. Es war wieder einmal Windstille eingetreten, und das Schiff drehte seinen Bug hülflos nach allen Richtungen der Windrose, als Mr. Jolly – dessen herzloser Erzählung ich die Gespräche wörtlich entnehme – auf Deck erschien.



Ich habe Ihnen eine Neuigkeit mitzutheilen, die Sie in Verwunderung setzen wird, sagte er lächelnd und sich die Hände reibend zu dem Capitän.



Obgleich Mr. Jolly so wenig Theilnahme für mein persönliches Unglück an den Tag gelegt hat, kann ich doch nicht in Abrede stellen, daß seine Gemüthsart seinem Namen entsprach. Kein Wetter, und wäre es noch so schlecht gewesen, keine noch so große Anstrengung konnte ihn um seine Laune bringen.



Ich versichere Sie, daß mich nur Eins in Verwunderung setzen könnte. Die Nachricht, daß wir günstigen Wind bekommen sollten, brummte der Capitän.



Wind ist's gerade nicht, den wir in Aussicht haben, aber einen neuen Cajütenpassagier, entgegnete Mr. Jolly.



Der Capitän schaute auf die weite See hinaus, auf welcher kein Schiff, und ebensowenig ein Streifen des tausende von Meile