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Blinde Liebe

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Dreiundfünfzigstes Kapitel

»Wo ist Lord Harry?« fragte Iris.

Die Antwort, die sie auf diese Frage erhielt, erschreckte sie. »Lord Harry überläßt es mir, Ihnen zu sagen, Mylady, wozu er selbst nicht den Mut besitzt.«

»Ich verstehe Sie nicht, Mr. Vimpany.«

Der Doktor zeigte auf das Farnkraut, das soeben der Gegenstand der sorglichen Bemühungen Lady Harrys gewesen war.

»Sie haben dieser kranken Pflanze geholfen, damit sie weiter leben und weiter gedeihen könne. Neugierde trieb mich, Sie dabei zu beobachten, denn ich habe dasselbe mit einer andern kranken Pflanze vor. Mein Garten ist die leidende Menschheit, meine Kunst die des Arztes. Was es sonst noch ist, das – ich sage es Ihnen offen – wird sich wahrscheinlich nicht sehr angenehm für eine Dame anhören, besonders wenn es ein Mann ausspricht, der alles, wie Sie wissen, frei von der Leber weg redet. Aber nicht böse sein! Ihr ergebener Diener versucht nur, den richtigen Eindruck auf Sie hervorzubringen, und erlaubt sich, in einem gewissen Punkte Lord Harry nicht viel zuzutrauen.«

»In welchem Punkt, Sir?«

»Ich werde es in die Form einer Frage kleiden, Mylady. Hat mein Freund Sie dazu gebracht, Vorbereitungen für Ihren Weggang aus der Villa zu treffen?«

Iris maß Lord Harrys Freund mit den Blicken, ohne sich die Mühe zu geben, ihre wahre Ansicht über ihn zu verbergen.

»Das ist eine unverschämte Frage,« sagte sie. »Wer gibt Ihnen das Recht, sich darnach zu erkundigen, was mein Gatte und ich mit einander gesprochen haben?«

»Wollen Sie mir einen Gefallen erweisen, Mylady? Oder, wenn das zu viel verlangt ist, wollen Sie sich wenigstens selbst Gerechtigkeit widerfahren lassen? Bitte, versuchen Sie es einmal, die Tugend der Selbstbeherrschung zu üben.«

»Ganz nutzlos, Mr. Vimpany. Bemerken Sie gefälligst, daß Sie nicht im stande sind, mich in Zorn zu bringen.«

»Ich danke Ihnen sehr, Lady Harry; Sie ermutigen mich, fortzufahren. Wenn ich kühn genug war, von Ihrem Weggang aus der Villa zu sprechen, so hatte ich dabei nur den guten Zweck im Auge, Sie vor nutzloser Beunruhigung zu bewahren.«

»Und was sollte mich denn beunruhigen?« fragte Iris scharf.

»In dieser unserer kleinen, merkwürdigen Welt,« erwiderte der Doktor gelassen, »genießen wir unser Leben nur unter höllisch harten Bedingungen. Wir leben unter der Bedingung, daß wir sterben. Der Mann, welchen ich heilen will, kann sterben trotz allem, was ich zu thun für ihn im stande bin – er kann langsam dahinsiechen, was wir Aerzte einen harten Tod nennen. Zum Beispiel würde es mich gar nicht verwundern, wenn es mir große Schwierigkeiten verursachen würde, ihn in seinem Bett zu halten. Es kann leicht sein, daß er im ganzen Hause herum tobt und lärmt, wenn ich den Rücken gewendet habe. Es kann aber auch sein, daß er laut schreit und flucht. Wenn Sie so etwas von ihm hörten, würden Sie, wie ich fürchte, sehr entsetzt sein, und trotz meines besten Bestrebens, dies zu verhindern, kann ich, wenn das Schlimmste sich ereignet, doch nicht dafür bürgen, ihn ruhig zu halten; an Ihrer Stelle würde ich – wenn Sie mir erlauben wollen, Ihnen einen freundschaftlichen Rat zu geben –«

Iris unterbrach ihn. Anstatt ihr die Wahrheit zu bekennen, war er so unverschämt, sie einschüchtern zu wollen.

»Ich erlaube einer Person, zu der ich kein Vertrauen habe, nicht, mir zu raten,« sagte sie. »Ich wünsche nichts weiter zu hören.«

»Gestatten Sie mir noch ein letztes Wort,« sagte Vimpany mit seiner unerschütterlichen Zudringlichkeit. »Ich wollte mir durchaus nicht herausnehmen, Ihnen, Mylady, meinen Rat aufzudrängen; ich wollte Ihnen nur in ganz bescheidener Weise einen Wink geben. Wie mir Lord Harry erzählte, befindet sich Hugh Mountjoy wieder auf dem Weg der Besserung. Sie stehen mit ihm in brieflicher Verbindung, wie ich zufällig bemerkte, als ich das Glück hatte, Ihnen den unbedeutenden Dienst mit der Briefmarke erweisen zu dürfen. Warum gehen Sie nicht nach London und überraschen und erfreuen durch einen unerwarteten Besuch Ihren alten Freund? – Harry wird nichts dagegen haben – ich bitte sehr um Entschuldigung, ich hätte sagen sollen Lord Harry. Sehen Sie, meine teure Lady, ich bin ein rauher Knabe, aber ich meine es gut. Geben Sie sich selbst Ferien, und kommen Sie wieder zu uns zurück, wenn Mylord Ihnen schreibt, daß er das Vergnügen haben kann, Sie wieder zu empfangen.« Er wartete einen Augenblick, dann fragte er: »Soll mir nicht das Glück einer Antwort zu teil werden?«

»Mein Gatte wird Ihnen antworten.«

Nach diesen unzweideutig verabschiedenden Worten kehrte Iris dem Doktor den Rücken zu.

Sie trat in das Haus und suchte Lord Harry bald in diesem, bald in jenem Zimmer, aber er war nirgends zu finden. Sollte er absichtlich fortgegangen sein, um nicht mit ihr zusammenzutreffen? – Ihre Erinnerung an Mr. Vimpanys Worte und Benehmen sagte ihr, daß es so sein müsse. Die beiden Männer waren im Bunde mit einander. Von allen Gefahren ist die unbekannte Gefahr die schrecklichste. Die letzten Stützen von Lady Harrys Entschlossenheit brachen zusammen; sie sank ratlos in einen Stuhl.

Nach einem Zeitraum – ob er kurz oder lang gewesen war, das konnte sie mit dem besten Willen nicht entscheiden – hörte sie jemand draußen an der Thür. Hatte sich Lord Harry anders besonnen und kam nun zurück zu ihr?

»Herein,« rief sie hastig, »herein!«

Vierundfünfzigstes Kapitel

Die Person, welche das Zimmer betrat, war Fanny Mere.

Ein einziger Gedanke beschäftigte jetzt Iris.

»Wissen Sie, wo Ihr Herr ist?« fragte sie.

»Ich sah ihn ausgehen,« antwortete das Mädchen; »welchen Weg er aber eingeschlagen hat, darauf habe ich nicht acht gegeben.«

Fanny nahm die Gelegenheit wahr, vor ihrer Gebieterin ihr Herz auszuschütten. Sie beichtete, wie Mr. Vimpany entdeckt hatte, daß sie französisch verstehe, wie dann der Doktor selbst es gewesen, der sie vor dem Zorn ihres Herrn geschützt, und wie er sie höchst merkwürdigerweise dazu ausersehen habe, die Pflegerin des Kranken zu werden, dessen Ankunft bevorstand.

»Mylady werden mich hoffentlich entschuldigen,« sagte sie, »ich habe das Anerbieten angenommen.«

Diese wunderbare Wendung verblüffte Iris vollständig.

»Was soll man nun daraus machen?« fragte sie ratlos. »Ist Mr. Vimpany noch ein verwegenerer Schurke, als ich bisher geglaubt habe?«

»Das ist er ganz gewiß!« antwortete Fanny mit vollster Ueberzeugung. »Was er in Wahrheit dabei beabsichtigt in seinen verworfenen Gedanken, das werde ich schon mit der Zeit herausbekommen; jedenfalls bin ich einstweilen die Wärterin, welche ihn in der Pflege des Kranken unterstützen soll. Als ich heute morgen Ihnen zuwiderhandelte, Mylady, geschah es nur, weil ich Mr. Vimpany in das Hospital begleiten sollte. Ich habe dort auch gleich den Mann gesehen, den ich in Zukunft pflegen werde. Ein armer, schwacher, höflicher Mensch, der aussah, als ob er keiner Fliege an der Wand etwas zu leide thun könnte, und dennoch erschreckte mich sein Anblick, denn ich entdeckte sofort eine auffallende Aehnlichkeit mit jemand.«

»Mit jemand, den ich kenne?« fragte Iris.

»Mit dem, Mylady, der Ihnen von allen Menschen auf der Welt am nächsten steht – eine Aehnlichkeit mit dem gnädigen Herrn.«

»Wie?«

»O, es ist keine Einbildung; ich weiß ganz genau, was ich sage. Für mich hat die Aehnlichkeit des Dänen mit Mylord etwas entschieden Unheimliches; ich weiß nicht, warum. Ich kann nur sagen, daß es mir nicht gefällt, und ich werde nicht eher ruhen, als bis ich herausgebracht habe, was es zu bedeuten hat. Außerdem, Mylady, muß ich noch den Grund ermitteln, warum diese beiden Herren Sie von hier entfernen wollen. Bitte, nehmen Sie Ihren ganzen Mut, Ihre ganze Kraft zusammen. Ich werde Sie noch rechtzeitig warnen, wenn ich von einer Ihnen drohenden Gefahr überzeugt bin.«

Iris wollte nicht zugeben, daß für sie irgendwelche Gefahr aus diesen Dingen erwachsen könne.

»Sie sind es, die sich in Gefahr begeben will!« rief sie aus.

Fanny antwortete ruhig:

»Das geschieht in Ihrem Dienst und zählt daher nicht.«

Obgleich Iris dankbar diesen einfachen Ausdruck der Anhänglichkeit empfand, beharrte sie doch auf ihrer Meinung.

»Sie stehen in meinem Dienst,« sagte sie; »ich lasse Sie einfach nicht fort zu Mr. Vimpany. Geben Sie Ihren Plan auf, Fanny, geben Sie ihn auf!«

»Ich werde ihn aufgeben, Mylady, wenn ich weiß, was der Doktor zu thun beabsichtigt; eher nicht.«

Da ihre Autorität nicht durchdrang, versuchte es Iris mit Ueberredung.

»Als Ihre Herrin habe ich die Pflicht, Ihnen mit gutem Beispiel voranzugehen,« sagte sie. »Eine von uns muß in diesem Wirrwarr die Vernünftige bleiben. Lassen Sie mich versuchen, das zu sein. Es kann nichts Schlimmes, aber wohl viel Gutes bringen, wenn wir in dieser Sache eine Frau um Rat fragen, auf deren Treue und Verschwiegenheit ich bauen kann.«

»Kenne ich die Dame, an welche Mylady dabei denkt?« fragte Fanny. »In diesem Fall wird diese Freundin schon morgen früh wissen, um was es sich handelt; ich habe an Mrs. Vimpany geschrieben.«

»Sie ist es, die ich im Sinn hatte, Fanny. Wann können wir von ihr eine Antwort erwarten?«

»Wenn Mrs. Vimpany kurz besonnen ist,« antwortete Fanny, »werden wir morgen ein Telegramm von ihr haben.«

Ein heftiges Klopfen an die Zimmerthüre schreckte die Beiden aus ihrem Gespräch.

»Wer ist da?« rief Iris argwöhnisch.

Des Doktors rauhe Stimme antwortete:

»Kann ich einige Worte mit Fanny Mere sprechen?« Das Mädchen öffnete die Thür. Mr. Vimpanys schwere Hand faßte sie am Arm, führte sie durch den Hausflur und schloß die Thür hinter ihr. Nach kurzer Abwesenheit kehrte Fanny zurück mit Nachrichten von Mylord.

Ein Dienstmann hatte eine Botschaft an den Doktor gebracht, und Fanny war beauftragt, sie ihrer Herrin mitzuteilen.

 

Lord Harry ließ aus Paris sagen, er sei von einigen Freunden eingeladen worden, mit ihnen in das Theater zu gehen und dann mit ihnen zu soupiren. Wenn er daher erst spät nach Hause käme, so solle sich Mylady deswegen nicht ängstigen. Ihr Gatte hatte also die bestimmte Absicht gehabt, nachdem er Mr. Vimpanys Dazwischentreten in dem Garten gutgeheißen, eine nochmalige Unterredung mit seiner Frau zu vermeiden. Iris blieb allein und konnte nun über diese Entdeckung nachdenken, denn Fanny hatte Befehl erhalten, das Schlafzimmer für die Aufnahme des Kranken zurecht zu machen.

Fünfundfünfzigstes Kapitel

Gegen Abend wurde der Däne in die Villa gebracht.

Ein Gefühl von Stolz, welches ihr verbot, irgend welche Neugier zu zeigen und welches vielleicht noch durch die unüberwindliche Scheu vor Mr. Vimpany verstärkt wurde, hielt Iris in ihrem Zimmer zurück. Nichts als der Schall von Fußtritten auf der Treppe sagte ihr, daß der kranke Mann in das für ihn zurecht gemachte Zimmer gebracht wurde, das in demselben Stockwerke lag. Fanny erzählte ihr später, daß der Doktor die Lampe auf dem Korridor klein geschraubt habe, bevor der Kranke die Treppen heraufgetragen wurde, um zu verhindern, daß die Herrin des Hauses das Gesicht genau sehen und so die auffallende Aehnlichkeit mit ihrem Gatten erkennen könnte.

Die Stunden schlichen dahin, das Geräusch des häuslichen Lebens versank in Stillschweigen, alle, nur Iris allein nicht, ruhten friedlich in ihren Betten.

Während der schlaflosen Nacht lastete das Gefühl ihrer traurigen Lage schwer auf ihr. Die Heimlichkeiten und die durch sie drohende unbekannte Gefahr beunruhigten sie im höchsten Grade. Das Haus, in welchem sie die ersten glücklichen Tage ihres ehelichen Lebens verbracht hatte, konnte über kurz oder lang der Schauplatz irgend einer schändlichen That werden, welche die lebenslängliche Trennung von ihrem Gatten erforderte. Welch entsetzlicher Gedanke!

Die frühen Morgenstunden kamen heran; immer noch lauschte sie vergebens auf den Klang der Fußtritte auf der Treppe, die ihr Lord Harrys Rückkehr ankündigen sollten; immer noch hatte sie nicht das vorsichtige Oeffnen seines Vorzimmers gehört. Iris verließ jetzt den Stuhl und legte sich auf das Bett. Nach einiger Zeit übermannte sie die Müdigkeit doch, und sie schlief ein.

Als sie spät am Morgen wieder erwacht war, klingelte sie nach Fanny Mere. Lord Harry war soeben nach Hause gekommen. Er hatte den letzten Nachtzug nach Passy versäumt, und anstatt das viele Geld, das ein Wagen um diese Zeit kosten würde, zu verschwenden, hatte er das freundliche Anerbieten eines Freundes angenommen, der ihm ein Bett in seinem Hause zur Verfügung stellte. Er wartete jetzt unten in der Hoffnung, Lady Harry beim Frühstück zu sehen.

Iris begab sich hinunter in das Speisezimmer.

Selbst nicht während der Zeit ihrer Flitterwochen war der irische Lord ein so unwiderstehlich liebenswürdiger Mann gewesen als an diesem denkwürdigen Morgen. Seine Entschuldigung, daß er die Rückkehr zur rechten Zeit versäumt, war ein kleines Meisterstück von gewinnender Liebenswürdigkeit. Dann berichtete er mit köstlicher Laune über die Theatervorstellung, die er am vergangenen Abend gesehen. Seine beißenden Bemerkungen über das Stück standen in ergötzlichem Gegensatz zu der fein begründeten Anerkennung des Spiels der Mitwirkenden. Die Zeit war vorüber, wo Iris eine solche unbarmherzige Spielerei mit ihren Gefühlen übel vermerkt haben würde. In früheren, glücklicheren Tagen hätte sie ihn in freundlicher Weise an ihr Anrecht auf sein Vertrauen erinnert; sie hätte alles versucht, was Liebenswürdigkeit und Geduld thun konnten, um ihn zu einem Bekenntnis des Einflusses zu bringen, welchen sein schlimmer Freund auf ihn ausübte, und sie hätte dagegen den ganzen Einfluß ihrer Liebe und ihrer Entschlossenheit aufgewendet, um diese verhängnisvolle Verbindung zu lösen, welche schließlich doch zu dem Verderben ihres Gatten führen mußte.

Aber aus Iris Henley war jetzt ganz eine Lady Harry geworden. Sie gab sich den Anschein, als ob sie für das, was ihr Gatte sprach, lebhaftes Interesse fühle, und wartete nur auf eine passende Gelegenheit, um ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Ohne es zu wissen, bot er ihr selbst diese Gelegenheit dar, indem er die gleiche Falle aufstellte, um seine Frau zu fangen, welche Iris anzuwenden beabsichtigte, um ihren Gatten zum Bekenntnis der Wahrheit zu zwingen.

»Jetzt habe ich aber mehr als genug von meinen Vergnügungen am vergangenen Abend erzählt,« sagte er. »Die Reihe ist nun an Dir, Liebling. Hast Du den armen Menschen, den der Doktor kuriren will, schon gesehen?« fragte er ganz unvermittelt. Es lag ihm sehr viel daran, herauszubekommen, ob sie die Aehnlichkeit zwischen Oxbye und ihm selbst bemerkt habe.

Ihre Augen ruhten gespannt auf ihm.

»Ich habe den Mann noch nicht gesehen,« antwortete sie. »Hegt Mr. Vimpany Hoffnung, ihn wiederherzustellen?«

Lord Harry zog seine Cigarrentasche heraus.

»Es liegt kein Grund vor, Schlimmes zu befürchten,« sagte er mit übertriebener Aufmerksamkeit für die Auswahl seiner Cigarre. »Mr. Oxbye befindet sich in guten Händen.«

»Viele Leute sterben an dieser Krankheit,« bemerkte sie ruhig.

Ohne darauf etwas zu erwidern, zog er sein Feuerzeug aus der Tasche. Seine Hand zitterte ein wenig. Der erste Versuch, ein Zündholz anzubrennen, mißlang.

»Die Aerzte machen zuweilen auch Fehler,« fuhr Iris fort.

Er blieb immer noch schweigsam. Der zweite Versuch mit dem Zündholz gelang, und er setzte seine Cigarre in Brand.

»Angenommen nun, Mr. Vimpany machte einen Fehler,« sagte Iris wieder. »Das würde in diesem Fall zu sehr bedauernswerten Folgen führen.«

Jetzt verlor Lord Harry seine Ruhe und mit ihr seine Farbe.

»Was zum Teufel soll das heißen?« fragte er zornig.

»Ich möchte meinerseits fragen,« antwortete sie, »was ich denn gesagt habe, das Dich so zornig werden läßt? Ich machte doch nur eine ganz einfache Bemerkung.«

In diesem kritischen Moment trat Fanny Mere ins Zimmer; sie hatte ein Telegramm in der Hand.

»Für Sie, Mylady.«

Iris öffnete das Telegramm; es war von Mrs. Vimpany unterzeichnet und enthielt folgende Worte:

»Sie sollten schleunigst zu Ihrem Vater kommen, er ist gefährlich erkrankt.«

Lord Harry sah seine Frau plötzlich die Farbe wechseln, und alsbald war in seiner schuldbewußten Seele der Argwohn rege.

»Betrifft das Telegramm mich?« fragte er.

Iris händigte ihm schweigend das Papier ein. Nachdem er es gelesen hatte, fragte er, was sie zu thun gedenke.

»Das Telegramm spricht deutlich genug,« entgegnete sie. »Hast Du etwas dagegen, wenn ich Dich verlasse und zu meinem Vater gehe?«

»Nicht das mindeste,« antwortete er schnell. »Du mußt auf alle Fälle gehen.«

Iris erhob sich, um auf ihr Zimmer zu gehen; er begleitete sie bis zur Thüre.

Nachdem die nötigsten Reisevorkehrungen getroffen, wollte Iris noch einen letzten Versuch machen, das Vertrauen ihres Gatten zu gewinnen. Aber er war weder in seinem Zimmer, noch in einem andern Teil des Hauses, noch im Garten zu finden. Die Stunde drängte; Iris mußte allein zu Mittag essen. Zum zweitenmale vermied er sie; zum zweitenmal hatte er Furcht vor dem Einfluß, den seine Fran auf seine Handlungen ausüben könnte! Mit schwerem Herzen traf sie ihre Vorbereitungen zur Abreise mit dem Kurierzug.

Fanny war durch ihre Pflichten als Krankenpflegerin in der Villa festgehalten. Von Sorge um das treue Mädchen erfüllt, das sie zurückließ, – welchem Schicksal, wer konnte es wissen? – küßte sie Iris beim Abschied.

Fannys blaßblaue Augen füllten sich mit Thränen; sie trocknete sie rasch und hielt die Hand ihrer Herrin einen Augenblick fest.

»Ich weiß, an wen Sie jetzt denken,« flüsterte sie. »Der gnädige Herr ist nicht hier, um Ihnen Lebewohl zu sagen. Lassen Sie mich sehen, ob ich in seinem Zimmer etwas für Sie finde.«

Iris hatte sich zwar schon überall im Zimmer Lord Harrys umgesehen in der Hoffnung, einen Brief zu finden, ohne etwas derart entdecken zu können, aber sie ließ Fanny hinauf eilen, um noch einmal nachzusuchen. Bald kam das Mädchen zurück mit einem kleinen Stück zusammengefalteten Schreibpapiers in der Hand.

»Meine häßlichen Augen sind besser als die Ihrigen,« sagte sie. »Der Wind muß zum Fenster hereingeweht und es vom Tisch heruntergeblasen haben.«

Iris las hastig den Brief:

»Ich darf Dir nicht verschweigen, daß es für Dich besser ist, wenn Du für die nächste Zeit nicht bei uns bleibst, aber nur für eine kurze Zeit. Verzeihe mir, Liebste, ich kann den Mut nicht finden, Dir Lebewohl zu sagen.«

Diese wenigen Worte waren alles, was er ihr zu sagen hatte!

Seine Frau antwortete ihm ihrerseits kurz, aber nicht unfreundlich:

»Du hast mir einen schmerzlichen Augenblick erspart. Darf ich hoffen, bei meiner Rückkehr den Mann zu finden, dem ich vertraut, den ich geachtet habe? – Lebe wohl!«

Wann sollten sie sich wiedersehen? – Und wie?

Sechsundfünfzigstes Kapitel

Es galt jetzt nur noch eine Person aus dem Hause Lord Harrys zu entfernen: das war die Köchin. Unter der Bedingung, daß sie sofort weggehe – als Grund wurde größere Einschränkung angegeben – empfing sie von ihrem Herrn noch einen Monatslohn mehr, als ihr eigentlich zukam, und ein Zeugnis, das ihren vielen guten Eigenschaften mehr als gerecht wurde. Die Arme verließ ihre Stelle mit den innigsten Segenswünschen aus dankbarem Herzen.

Der kranke Däne stellte Fanny Meres Standhaftigkeit auf eine harte Probe. Dieser Landsmann Hamlets, wie er sich selbst mit Vorliebe nannte, war ein lebender Protest gegen die eingewurzelten Gefühle der Verachtung und des Hasses, mit denen seine Pflegerin gewohnt war, jeden Mann zu betrachten. Wenn die Schmerzen ihn zeitweise verließen, dann zeigte Mr. Oxbye ganz die glänzenden blauen Augen und das gewinnende Lächeln, welches so sehr an Lord Harry erinnerte. Sein bartloses Gesicht, das in den unteren Partien sehr schmal war, vervollständigte die Aehnlichkeit nur bis zu einem gewissen Grade, denn der kühne Ausdruck, den Lord Harrys Züge nicht selten anzunehmen pflegten, erschien bei Mr. Oxbye niemals. Fanny pflegte ihn sorgfältig und kam auf das gewissenhafteste ihren Pflichten nach; sie befand sich in dem Bannkreis eines Mannes, der in den schmerzlosen Zwischenpausen seiner Krankheit kleine Gedichte zu ihrem Preise verfaßte, der sie bat, ihm einige Blumen aus dem Garten zu holen, und dann aus ihnen zierlich zusammengestellte Bouquets band, die er ihr dann schenkte; der weinte, wenn sie ihm sagte, er sei ein Narr, und der ihr dann doch kaum fünf Minuten später die Hände küßte, wenn sie ihm die Medizin reichte, obgleich sie ihm nichts Süßes dazu gab, das im stande gewesen wäre, den bittern Geschmack in seinem Munde zu vertreiben. Dieser liebenswürdige Patient liebte Lord Harry, liebte Mr. Vimpany und liebte Fanny, so wenig dieselbe davon wissen wollte. Nachdem sie es hartnäckig verweigert hatte, ihm die Geschichte ihres Lebens zu erzählen, obgleich er ihr selbst mit gutem Beispiel vorangegangen war, verlegte er sich darauf, sich selbst eine Geschichte ihres Lebens zu bilden, und kam zu dem Schluß, daß dieses interessante Mädchen das Opfer eines schweren Herzenskummers sein müßte. »Sie sehen entsetzlich bleich aus,« sagte er. »Sie werden bald sterben; bei mir wird dann ein Blutgefäß springen, und ich werde Ihnen bald nachfolgen. Dann werden wir neben einander über den Wolken weilen und immerfort zusammen singen unter der Begleitung himmlischer Harfen. O, was für ein Hochgenuß wird das sein!« Wie ein Kind schrie er laut, wenn er Schmerzen hatte, und wie ein Kind lachte er, sobald sie wieder vorüber waren. Sagte sie ärgerlich zu ihm: »Wenn ich gewußt hätte, was für ein Mensch Sie sind, so würde ich es niemals übernommen haben, Sie zu pflegen,« dann antwortete er ihr nur: »Meine Liebe, lassen Sie uns gemeinsam Gott danken, daß Sie es nicht gewußt.« Er konnte niemals in Zorn gebracht werden, und was noch schlimmer war, an besseren Tagen, wenn er sich wohler befand, war es nicht möglich, ihn zu überzeugen, daß er nicht lange genug leben würde, um seine Pflegerin zu heiraten. Oft genug hatte er ihr diesen Antrag gestellt. Was war mit einem solchen Mann anzufangen? – Fanny suchte sich einzureden, ihr schwacher Patient sei ihr höchst gleichgültig. Dabei aber bereitete sie die Mahlzeiten für ihn eigenhändig zu, während die anderen Bewohner der Villa, da die Köchin ja nicht mehr da war, sich mit der wenig verlockenden Kost eines benachbarten Gasthofes zufrieden geben mußten.

Dabei lag Fanny immer sorgsam auf der Lauer, ob es ihr nicht einmal gelinge, Vimpanys Absichten zu durchschauen. Vorderhand aber bemerkte sie nur mit immer wachsendem Interesse die Aufmerksamkeit, mit welcher der harmlose Däne von Mylord und dem Doktor beobachtet wurde. Auch bemerkte sie sehr wohl, daß Lord Harry sich in beständiger Aufregung befand. Bald wanderte er aus einem Zimmer in das andere oder durchstreifte, beharrlich rauchend, den Garten nach allen Richtungen hin; bald ritt er aus oder fuhr mit der Bahn nach Paris und blieb dann den ganzen Tag weg. Verhielt er sich einmal ausnahmsweise ruhig, so hatte er gewiß seine Zuflucht in das Zimmer seiner Gattin genommen. Fanny beobachtete ihn dann des öfteren durch das Schlüsselloch und sah ihn auf dem Stuhl seiner Frau sitzen. Es schien einleuchtend, daß er sich lebhaft nach Lady Harry sehnte; aber was hatte seine Besorgnis um Mr. Oxbye zu bedeuten? Aus welchem Grunde ging er so viel als möglich – ohne den Versuch zu machen, es zu verbergen – Mr. Vimpany aus dem Wege, und wie kam es, daß dieser sein elender Freund, obgleich er so unliebenswürdig behandelt wurde, niemals darüber gekränkt, sondern eher belustigt erschien.

 

Was das Benehmen des Doktors gegenüber seinem Patienten anbetraf, so war es nach der Ansicht Fannys keineswegs eines Arztes würdig.

Er schien kein Interesse für den Mann zu fühlen, der auf seinen eigenen Wunsch zu ihm aus dem Hospital geschickt worden war und den zu heilen, wie er vorgegeben, sein höchster Ehrgeiz war. Wenn Mr. Oxbye von seinen Schmerzen sprach, so gab sich Mr. Vimpany kaum den Anschein, als ob er zuhörte; mit finsterem Gesicht wendete er das Stethoskop an, fühlte den Puls und besah sich die Zunge und zog seine Schlüsse in ärgerlichem Stillschweigen; wenn die Pflegerin einen günstigen Bericht abzustatten hatte, kehrte er ihr brutal den Rücken, wenn aber entmutigende Folgen der Behandlung während der Nacht sich zeigten und Fanny es für ihre Pflicht hielt, dieselben zu melden, dann lächelte er höhnisch, als ob er zweifelte, daß sie die Wahrheit spreche. Mr. Oxbyes unerschöpfliche Geduld und Liebenswürdigkeit fand endlose Entschuldigungen für seinen ärztlichen Berater. »Es ist mein Unglück, daß ich meinen hochverehrten Doktor in einem Zustand von immerwährendem Aerger halte,« pflegte er zu sagen, »und wir alle wissen, was es für eine Geduldsprobe ist, in unaufhörlicher Ungewißheit zu schweben. Ich habe zu Mr. Vimpany das beste Vertrauen.«

Fanny hütete sich wohlweislich, ihre eigene Meinung zu verraten. Die Bedenken, die sie gegen den Doktor hegte, beunruhigten sie mehr und mehr. Sobald sich nur irgend welche Gelegenheit bot, beobachtete sie ihn auf das sorgfältigste. Eine Lieblingsbeschäftigung seiner Mußestunden bestand in Versuchen mit dem photographischen Apparat. Er machte zuerst kleine Aufnahmen von den Zimmern der Villa; dann folgten Bilder aus dem Garten. Nachdem er damit fertig geworden, setzte er die Pflegerin erst recht in Verwunderung dadurch, daß er ein Bild von dem Dänen verfertigte, während dieser eines Tages schlafend dalag, nachdem sich in der letzten Zeit eine kleine Besserung in seinem Befinden gezeigt hatte. Fanny bat um die Erlaubnis, das Bild sehen zu dürfen. Der Doktor aber betrachtete es zuerst selbst, zerriß es dann und ließ die Stücke in alle Winde fliegen. »Ich bin nicht damit zufrieden,« erklärte er kurz. Neben ihm stand zufällig ein Gartenstuhl; er setzte sich darauf nieder und sah aus wie ein Mann, der von seinen eigenen Gedanken gequält wird.

Hätte sich die Wirkung der Medikamente, die Vimpany dem Kranken verabreichte, als eine bedenkliche erwiesen, dann würde Fannys Argwohn ein ernster geworden sein; aber die Veränderung, die mit Oxbye vorging, seitdem er in reinerer Luft schlief und bessere Nahrung erhielt, als sie ihm im Spital gegeben werden konnte, zeigte eine entschiedene Zunahme seiner Kräfte. Seine hohlen Wangen füllten sich wieder. Auf der Blässe der Haut begann sich etwas Farbe zu zeigen. So sonderbar nun auch das Benehmen Lord Harrys und Mr. Vimpanys sein mochte, es bot sich insoweit keine Möglichkeit dar, dasselbe in Verbindung zu bringen mit der Lage, in der sich der dänische Gast befand. Niemand, der sein Gesicht gesehen hatte damals, als er in die Villa gebracht worden war, konnte es nach dem Verlauf von vierzehn Tagen wieder betrachten, ohne Hoffnung auf seine Wiedergenesung zu schöpfen.