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Blinde Liebe

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»Bitte, lassen Sie mich dorthin,« sagte der arme Mensch, »es wird dann sicherlich besser mit mir werden.« Ohne sich seinem Entschluß zu widersetzen, erinnerten ihn die verantwortlichen Direktoren des Hospitals doch daran, daß er im Drang des Augenblicks seine Entscheidung getroffen habe; sie hielten es daher für ihre Pflicht, ihm noch einige Zeit zur genaueren Ueberlegung zu geben.

In der Zwischenzeit hatten einige der Herren, welche an dem Bett standen, indem sie bald den Kranken, bald den philanthropischen Lord ansahen, eine gewisse zufällige Aehnlichkeit zwischen dem Kranken und Lord Harry entdeckt. Die Forderung der Höflichkeit hatte ihnen jedoch nur gestattet, diese merkwürdige Aehnlichkeit unter sich selbst zu besprechen. Später indessen, als die Herren sich verabschiedet hatten und Mr. Vimpany mit Lord Harry sich allein auf der Straße befand, trug der Doktor kein Bedenken, auf den Gegenstand einzugehen, den die Franzosen aus angeborener Höflichkeit nicht berührt hatten.

»Haben Sie sich den Dänen angesehen?« fragte er ganz unvermittelt.

»Natürlich.«

»Und haben Sie die Aehnlichkeit bemerkt?«

»Nein.«

Das laute Gelächter des Doktors machte die Leute, welche auf der Straße neben ihnen gingen, stutzig.

»Das ist wieder ein neuer Beweis für die Richtigkeit des Ausspruches: Kein Mensch kennt sich selbst. Sie können unmöglicherweise diese Aehnlichkeit leugnen.«

»Haben Sie sie denn bemerkt?« fragte Lord Harry.

Mr. Vimpany antwortete auf diese Frage in höhnischem Ton:

»Ist es denn wahrscheinlich, daß ich mich all dieser Mühe unterzogen hätte, um in den Besitz dieses Mannes zu kommen, wenn ich nicht die auffallende Aehnlichkeit zwischen Ihrem und seinem Gesicht gesehen hätte?«

Der irische Lord sagte nichts weiter.

Als ihn sein Freund fragte, warum er denn so schweigsam sei, lautete die kurze und schroffe Antwort:

»Mir behagt das Thema nicht.«

Einundfünfzigstes Kapitel

Am Abend desselben Tages fand Fanny Mere, als sie mit dem Kaffee das Speisezimmer betrat, Lord Harry und Mr. Vimpany allein und entdeckte sofort, als sie die Thür öffnete, daß sie die Sprache, in der sie sich bis jetzt unterhalten hatten, plötzlich wechselten; sie redeten auf einmal französisch mit einander. Fanny verlängerte daher ihren Aufenthalt in dem Zimmer, anscheinend, um die verschiedenen Gegenstände auf dem Buffet in Ordnung zu bringen. Ihr Herr sprach gerade während dieser Zeit; er fragte, ob der Doktor so glücklich gewesen sei, ein Schlafzimmer in der Nachbarschaft für sich zu finden. Mr. Vimpany antwortete darauf, daß es ihm gelungen sei; er habe ferner auch sich mit noch etwas anderem versehen, was er notwendig in Bereitschaft halten müsse, »das heißt,« fuhr er in seinem schlechten Französisch fort, »ich habe einen photographischen Apparat gemietet. Wir sind jetzt genügend vorbereitet, um unseren interessanten dänischen Gast empfangen zu können.«

»Und wenn nun der Mann kommt, was soll ich dann meiner Frau sagen? Woher soll ich eine Entschuldigung nehmen, wenn sie hört, daß ein Kranker aus dem Hospital Ihr Schlafzimmer mit meiner Einwilligung in Besitz genommen hat und daß Sie ihn behandeln wollen?«

Der Doktor schlürfte ruhig seinen Kaffee.

»Wir haben den Berühmtheiten eine Geschichte erzählt, und sie haben sich damit zufrieden gegeben,« antwortete er kalt. »Wiederholen Sie dieselbe Geschichte Ihrer Frau.«

»Sie wird sie nicht glauben,« entgegnete Lord Harry.

Mr. Vimpany wartete, bis er sich eine neue Cigarre angebrannt und sich zu seiner Befriedigung überzeugt hatte, daß sie es wert war, geraucht zu werden.

»Sie haben sich selbst dieses Hindernis zu verdanken,« sagte er dann. »Wenn Sie meinem Rat gefolgt wären, würde Ihre Frau jetzt nicht im Wege stehen. Ich sehe schon, ich muß die Sache auf mich nehmen. Wenn es Ihnen mißlingt, dann überlassen Sie Mylady nur mir. Wir brauchen aber eine Pflegerin für unsern armen, lieben Kranken; wo sollen wir eine finden?«

Dieser Schwierigkeit Ausdruck gebend, trank er seinen Kaffee aus und sah sich nach der Cognacflasche um, die sonst immer auf dem Tische stand. Dabei bemerkte er zufällig Fanny. Ueberzeugt, daß ihrer Herrin Gefahr drohte nach dem, was sie soeben gehört hatte, war sie von Furcht und Verwirrung so eingenommen, daß sie vergaß, ihre Rolle zu spielen. Anstatt sich wie bisher an dem Büffet zu schaffen zu machen, kehrte sie demselben den Rücken und hörte offenbar zu. Der schlaue Mr. Vimpany gab, nachdem er sich in den Besitz des Cognacs gesetzt hatte, einen einfachen Wunsch zu erkennen, um sie für einen Augenblick zu entfernen.

»Etwas frisches Wasser, wenn ich bitten darf!« war alles, was er sagte. Sobald Fanny das Zimmer verlassen, wandte er sich in englischer Sprache an seinen Freund, während er die Thür im Auge behielt:

»Eine recht angenehme Neuigkeit für Sie, mein Freund – wir sind in eine hübsche Falle geraten – Lady Harrys Kammermädchen versteht französisch.«

»Ganz unmöglich!« erklärte Lord Harry.

»Wir wollen sie auf die Probe stellen,« antwortete Mr. Vimpany. »Geben Sie genau acht, wenn sie wieder hereinkommt.«

»Was haben Sie vor?«

»Ich werde sie mit einigen französischen Worten überrumpeln; achten Sie auf den Erfolg.«

Kurz darauf kehrte Fanny mit dem frischen Wasser in das Zimmer zurück. Als sie die Glaskaraffe vor Mr. Vimpany hinstellte, legte er plötzlich seine Hand auf ihren Arm, sah ihr gerade ins Gesicht und sagte:

» Vous nous avez mis dedans, drôlesse, vous entendez le français.«

Ein Blick, gemischt aus Zorn und Angst, den sie vergeblich zurückzuhalten suchte, schrieb das offene Geständnis auf Fannys Gesicht. Sie war entlarvt und hatte hören müssen, daß man sie » drôlesse« nannte; so stand sie vor den beiden Herren, ihr eigenes Benehmen hatte sie schuldig gesprochen. Lord Harry drohte ihr erzürnt mit sofortiger Entlassung aus seinem Dienst. Der Doktor aber trat dazwischen.

»Nein, nein,« sagte er, »Sie dürfen Mylady nicht so ohne weiteres ihres Kammermädchens berauben – so eines klugen und geschickten Mädchens,« fügte er mit boshaftem Lächeln hinzu. »Fanny ist eine gebildete Person, die französisch versteht und zu bescheiden ist, es einzugestehen.«

Der Doktor hatte Fanny manch ermüdenden und manch erfolglosen Weg geführt, als sie ihm auf seinen geheimnisvollen Wegen nachgeschlichen war; er hatte ihr jetzt mit voller Ueberlegung eine Beleidigung zugefügt, als er sie »drôlesse« nannte, und er setzte nun seiner Beleidigung die Krone auf, indem er verächtlich von ihrer Bescheidenheit und ihrer Kenntnis der französischen Sprache redete. In die Enge getrieben, versuchte jetzt Fanny den geheimen Plan, dessen Seele Mr. Vimpany war, zu entdecken durch ein Vorgehen, verwegen genug, um des Doktors würdig zu sein.

»Meine Kenntnis der französischen Sprache hat mir allerdings etwas verraten,« begann sie. »Ich habe gehört, Mr. Vimpany, daß Sie eine Pflegerin für Ihren Kranken brauchen. Wollen Sie, wenn es Mylord erlaubt, einen Versuch mit mir machen?«

Diese Kühnheit Fannys war doch mehr, als ihres Herrn Geduld ertragen konnte. Er befahl ihr, sofort das Zimmer zu verlassen.

Der friedfertige Doktor trat wieder dazwischen.

»Mein lieber Lord,« sagte er, »ich bitte Sie, nicht zu hart gegen das junge Mädchen zu sein.« Dann wandte er sich wieder an Fanny und machte den Versuch, wohlwollend auszusehen, was aber nur das boshafte Lächeln auf seinem Gesicht wieder erscheinen ließ. »Ich danke Ihnen, meine Liebe, für Ihr Anerbieten,« sagte er freundlich. »Ich werde Sie morgen wissen lassen, ob wir es annehmen.«

Fannys erzürnter Herr, der nicht vergessen konnte, daß sie ihn getäuscht, zeigte nach der Thür. Sie dankte Mr. Vimpany und ging hinaus.

Lord Harry sah seinen Freund mit ärgerlichem Erstaunen an.

»Sind Sie denn toll?« fragte er.

»Sagen Sie mir erst das eine,« entgegnete der Doktor, »fließt in den Adern Ihrer Familie auch englisches Blut?«

Lord Harry antwortete mit einem Ausdruck seines patriotischen Gefühls:

»Leider muß ich sagen, daß meine Familie auf diese Weise verdorben worden ist, denn meine Großmutter war eine Engländerin.«

Mr. Vimpany nahm diesen Auszug aus dem Familienregister des Lords mit der ihm eigenen Ruhe auf.

»Es gewährt mir eine wahrhafte Erleichterung, dies zu hören,« sagte er, »Sie werden dann vielleicht doch etwas von dem gesunden englischen Verstand durch Ihre Großmutter geerbt haben. Ich will wenigstens versuchen, ob es der Fall ist. Dieses Mädchen ist viel zu verwegen und viel zu klug, um wie ein gewöhnlicher Dienstbote behandelt zu werden. Ich bin sehr geneigt, anzunehmen, daß sie Ihrer Frau als Spionin dient. Ob ich nun recht habe, oder ob ich mich darin irre, das können wir, so viel ich sehe, nur auf eine Weise herausbringen: wir müssen sie zur Pflegerin des Dänen machen. Halten Sie mich jetzt immer noch für verrückt?«

»Für verrückter denn je.«

»Nun, dann haben Sie eben nichts von dem gesunden englischen Verstand Ihrer Großmutter geerbt. Jetzt hören Sie mir einmal zu. Laufen wir denn die geringste Gefahr, wenn Fanny in ihrem Interesse es für nötig hält, uns zu verraten? Wir wollen uns doch einmal fragen, was sie denn eigentlich herausbekommen haben kann. Sie weiß, wir wollen einen kranken Mann aus dem Hospital hierher bringen. Weiß sie aber, wozu wir ihn brauchen? – Nein, das weiß sie nicht. Weder Sie noch ich haben darüber ein Wort verlauten lassen. Sie hat dann ferner gehört, wie wir beide darin übereinstimmten, daß Ihre Frau uns im Wege ist. Was thut das? Hat sie uns denn sagen hören, warum wir nicht wünschen, daß Ihre Frau unsern Plan entdeckt? – Nein, das hat sie auch nicht. Nun also! Wenn Fanny dann Oxbyes Pflegerin ist, so wird sie auch nicht seinen Tod verhindern und somit auch nicht das, was wir durch den Tod des Dänen gewinnen wollen. O, Sie brauchen nicht so entsetzt auszusehen; ich meine selbstverständlich seinen natürlichen Tod, den die Schwindsucht herbeiführen wird. Kein Verbrechen, mein lieber Freund, kein Verbrechen!«

 

Der irische Lord, welcher neben dem Doktor saß, rückte seinen Stuhl eilig weg.

»Wenn in meinen Adern englisches Blut fließt,« sagte er, »so will ich Ihnen etwas sagen, Vimpany: dann fließt in Ihren Adern teuflisches.«

»Alles, was Sie wünschen, nur kein irisches Blut,« entgegnete der kaltblütige Schurke.

Als Mr. Vimpany diese freche Antwort gab, kam Fanny wieder herein mit einer genügenden Entschuldigung für ihr Wiedererscheinen. Sie meldete, daß ein Bote aus dem Hospital draußen sei, welcher den englischen Doktor zu sprechen wünsche.

Es war ein junger Mann, der in dem Sekretariat des Hospitals angestellt war. Oxbye beharrte auf seinem Entschluß und wünschte sehnlichst, in die Behandlung Mr. Vimpanys zu kommen. Die Aerzte wollten sich nur noch über eines vergewissern, und damit war der junge Mann beauftragt. Der ärztlichen Behandlung durch Mr. Vimpany konnten sie vollständiges Vertrauen schenken, aber sie wollten auch ihrer Verantwortlichkeit gegenüber sichergestellt sein, daß der Däne von einer zuverlässigen Wärterin gepflegt werde. Wenn Mr. Vimpany die Person, die er dazu bestimmt hätte, in dem Hospital vorstellen könnte, so würde er ihnen einen großen Gefallen erweisen. Sobald dann auch diese Angelegenheit zur vollständigen Zufriedenheit erledigt sei, könne Oxbye unverweilt in sein neues Quartier überführt werden.

Am nächsten Morgen begab sich in der Villa von Passy der erste in einer langen Reihe von Vorfällen, die kein prophetischer Geist hätte vorhersehen können. Mr. Vimpany und Fanny Mere verließen gemeinsam Passy und fuhren mit einander nach Paris.

Zweiundfünfzigstes Kapitel

Der Tag, an welchem der Doktor die neue Krankenpflegerin mit sich in das Hospital nahm, sollte Iris in traurigem Andenken bleiben.

Am Morgen hatte Fanny Mere sie um die Erlaubnis gebeten, ausgehen zu dürfen. Vor kurzem noch hatte Lady Harry ihr so oft dazu die Erlaubnis erteilt. Diesmal jedoch entschloß sie sich, da die früheren Ausgänge Fannys das gewünschte Ergebnis nicht gehabt hatten und weil sie auch nicht mehr mit ihrer Untergebenen gemeinsame Geheimnisse haben wollte, die Erlaubnis zu verweigern. Fanny versuchte keine Einwendungen und verließ schweigend das Zimmer.

Eine halbe Stunde später klingelte Iris nach ihrem Kammermädchen. Daraufhin erschien die Köchin und meldete als Entschuldigung für ihr Kommen, daß Fanny Mere ausgegangen sei. Iris war über diese unbekümmerte Mißachtung ihres Befehls von seiten einer Person, welche ihr noch vor kurzem ihre dankbare Ergebenheit ausgedrückt hatte, mehr betrübt als erzürnt. Zur Köchin sagte sie nur:

»Schicken Sie Fanny sofort zu mir, wenn sie zurückkommt.«

Zwei Stunden vergingen, ehe dies der Fall war.

»Ich habe Ihnen die Erlaubnis nicht gegeben, heute morgen auszugehen, und Sie haben sich trotzdem die Freiheit genommen, zwei Stunden lang das Haus zu verlassen. Sie hätten mir wohl auf eine etwas passendere Weise zu verstehen geben können, daß Sie die Absicht haben, meinen Dienst zu verlassen.«

Höflich wie immer antwortete Fanny:

»Ich will Ihren Dienst gar nicht verlassen, Mylady.«

»Was soll dann Ihr Benehmen bedeuten?«

»Es bedeutet, wenn Sie nichts dagegen haben, daß ich eine Pflicht zu erfüllen hatte, und daß ich sie erfüllt habe.«

»Eine Pflicht gegen sich selbst?« fragte Iris.

»Nein, Mylady, eine Pflicht gegen Sie.«

Gerade als sie diese Antwort gab, wurde die Thür geöffnet, und Lord Harry betrat das Zimmer. Als er Fanny Mere erblickte, kehrte er sogleich um und wollte hinausgehen.

»Ich wußte nicht, daß Dein Kammermädchen bei Dir ist,« sagte er. »Ich werde später wiederkommen.«

Daß ihr Gemahl einen Dienstboten als ein Hindernis ansah, wenn er mit ihr zu sprechen wünschte, war ein durchaus unpassendes Zugeständnis für den Herrn des Hauses und ganz und gar entgegengesetzt seiner gewöhnlichen Ansicht von dem, was ihm zustand. Iris rief ihn erstaunt zurück. Sie sah ihr Mädchen an, das sogleich ihre Herrin verstand und sich zurückzog.

»Was hat denn das zu bedeuten?« fragte sie ihren Gemahl, als sie allein waren. Alsbald bemerkte sie eine gewisse Verlegenheit und Verwirrung in seinem Wesen, die sie beunruhigte. »Ist irgend etwas geschehen,« fragte sie, »das so ernst ist, daß Du Bedenken trägst, es mir mitzuteilen?«

Er setzte sich neben sie und ergriff ihre Hand. Der zärtliche Blick aber, den sie so gut kannte, sprach jetzt nicht aus seinen Augen; sie drückten im Gegenteil Zweifel aus.

»Ich fürchte, ich werde Dich unangenehm überraschen.«

»Laß mich nicht lange im unklaren, was es ist,« entgegnete sie. »Sag' es mir rund heraus.«

Er lächelte gezwungen.

»Es handelt sich um Vimpany.«

Nachdem er so weit gekommen war, schwieg er wieder still. Sie entzog ihm ihre Hand.

»Ich verstehe jetzt,« sagte sie; »ich muß mir Mühe geben, mich zu beherrschen. Du hast mir jedenfalls etwas zu sagen, was mich erregen wird.«

Er hob seine Hände auf in komischem Protest.

»O mein Liebling, da hast Du wieder einmal Deine allzu lebhafte Einbildung, die aus der Mücke einen Elefanten macht, wie es im Sprichwort heißt; es ist nicht halb so ernst, wie Du Dir zu denken scheinst. Ich will Dir nur sagen, daß eine kleine Veränderung stattfinden wird.«

»Eine kleine Veränderung?« wiederholte sie. »Was für eine denn?«

»Nun, mein Liebling, Du siehst –« Er stockte, nahm sich aber dann wieder zusammen und fuhr fort: »Du mußt nämlich wissen, daß Vimpanys Pläne sich geändert haben. Er wird nicht länger das Zimmer hier in unserer Villa bewohnen.«

Iris sah unaussprechlich erleichtert aus.

»Er will endlich weggehen?« rief sie. »O Harry, warum hast Du mich so geängstigt? – Das solltest Du niemals wieder thun. Es sieht Dir gar nicht ähnlich. Es ist grausam, mich wegen nichts zu beunruhigen. Mr. Vimpanys Zimmer wird für mich von jetzt an der interessanteste Raum im ganzen Hause sein, wenn ich abends hineinsehen werde.«

Lord Harry stand auf und trat ans Fenster. Iris kannte den Grund dieser Bewegung nur zu gut, sie folgte ihm und trat an seine Seite. Es war für sie jetzt gar kein Zweifel mehr vorhanden, daß ihr Mann ihr noch mehr zu sagen hatte, und daß er nur noch nicht wußte, wie er es seiner Frau mitteilen sollte.

»Fahre fort!« sagte sie still ergeben.

Er hatte erwartet, daß sie seinen Arm nehmen würde oder daß sie ihm schmeicheln oder ihn wenigstens durch ihre freundlichen Worte oder ihr süßes Lächeln ermutigen würde. Aber die andauernde Selbstbeherrschung, welche sie jetzt bewies, legte er als ein Zeichen zurückgehaltenen Grolls aus.

»Gut,« sagte er, »es ist nur das: Du darfst abends in dieses Zimmer nicht gehen.«

»Warum denn nicht?«

»O, aus dem einfachsten Grunde auf der Welt: Du könntest nämlich jemand darin finden.«

Diese Antwort erregte ihre Neugier; fragend ruhten ihre Augen auf ihm.

»Einen Deiner Freunde?« fragte sie.

Er fuhr fort, gute Laune zu heucheln, die sich aber durch die Art und Weise, wie sie zum Ausdruck kam, nur zu sehr als erkünstelt erwies. »Ich muß gestehen, es kommt mir vor, als ob ich vor einem Gerichtshof stände und von einem Richter verhört würde; nun, mein Liebling, nein, nicht ganz ein Freund von mir.«

Sie dachte einen Augenblick nach.

»Du meinst doch hoffentlich nicht etwa einen Freund von Mr. Vimpany?« fragte sie.

Er that, als ob er diese Frage nicht gehört hätte, und zeigte durch das Fenster hinaus in den Garten.

»Haben wir heute nicht einen prächtigen Tag? Komm, wir wollen ein wenig hinausgehen und uns die Blumen ansehen,« schlug er vor.

»Hast Du nicht gehört, was ich soeben gesagt habe?« entgegnete sie.

»Entschuldige, Liebling, ich dachte gerade an etwas anderes. Wollen wir nicht in den Garten gehen?«

Iris blieb ruhig am Fenster stehen, fest entschlossen, eine Antwort zu erzwingen.

»Ich fragte Dich, Harry, ob die Person, welche an Stelle Mr. Vimpanys das Zimmer beziehen wird, einer von dessen Freunden ist.«

»Sagen wir ein Patient von Mr. Vimpany, und Du wirst der Wahrheit schon näher gekommen sein,« antwortete er ungeduldig.

Sie konnte ihm unmöglich glauben.

»Ist es wirklich eine kranke Person?« fragte sie.

»Natürlich!« antwortete er.

»Ein Mann oder eine Frau?«

»Ein Mann.«

»Darf ich fragen, ob er aus England kommt?«

»Er kommt aus einem der französischen Hospitäler. Wünschest Du sonst noch etwas zu wissen?«

Iris ließ jetzt ihrem Gatten Zeit, seine gute Laune wiederzugewinnen, und ging zu ihrem Stuhl zurück. Das sonderbare Geständnis, welches sie ihm entlockt, hatte einen geradezu betäubenden Eindruck auf sie gemacht. Ihre Liebe zu ihm, ihre feine weibliche Beobachtung seines Charakters, ihre genaue Bekanntschaft mit all seinen Vorzügen und Fehlern konnten diesmal keinen vernünftigen Anhaltspunkt finden für die Erklärung dessen, was sie vernommen. Sie sah sich nach ihm um mit dem gemischten Gefühl des Erstaunens und der Bekümmernis.

Er stand immer noch am Fenster, aber er hatte demselben den Rücken zugekehrt. Seine Augen hingen voll heimlicher Erwartung an seiner Frau. In der That nahm sie noch einmal das Wort.

»Ich muß offen bekennen,« sagte sie, »daß ich nicht ganz das Opfer verstehe, welches Du Mr. Vimpany bringen zu wollen scheinst. Willst Du mir sagen, Harry, was das zu bedeuten hat?«

Hier bot sich die günstige Gelegenheit, dem Rate des Doktors zu folgen und die Leichtgläubigkeit seiner Frau auf die Probe zu stellen. Würde sie, da sie Vimpany genau kannte, wirklich die Geschichte glauben, welche sein nobler Freund und er den fremden Aerzten im Hospital vorgelogen hatten? – Lord Harry war entschlossen, wenigstens den Versuch zu machen; welches auch das Ergebnis sein mochte, jedenfalls war er der Verantwortlichkeit ledig, die ihn jetzt so schwer bedrückte. Er brauchte nichts mehr zu sagen, wenn die Täuschung gelang. Er konnte nichts mehr thun, wenn dies nicht der Fall war. Unter dem Einfluß dieser beruhigenden Ueberlegung gewann er seinen Mut wieder; sein hübsches Gesicht erstrahlte von neuem in seinem liebenswürdigen, jugendlichen Lachen.

»Was für eine wunderbare Frau Du bist!« rief er aus. »Stehe ich denn nicht gerade deshalb hier, um Dir zu sagen, was ich meine, und meine kluge Frau durchschaut mich ganz und gar und erinnert mich daran, was ich thun muß. Zahle mir aber erst meinen Lohn, Iris, gib mir einen Kuß. Die Erklärung wird mir sehr erleichtert werden, wenn Du an eines denkst: Vimpany und ich sind alte Freunde, und es gibt nichts, was wir uns nicht gegenseitig gern zu Gefallen thäten.«

Die dumme Erdichtung, welche der Doktor erfunden hatte, übte auf Iris eine Wirkung aus, auf welche Lord Harry gar nicht vorbereitet war. Je länger Iris zuhörte, um so befremdeter sah sie ihren Gatten an. Nicht ein Wort fiel von ihren Lippen, als er geendet hatte; er bemerkte, daß sie blaß wurde – es schien ihm fast, als ob er sie erschreckt hätte.

Wenn sein kleiner Verstand Ursache und Wirkung hätte vereinigen können, das wäre gerade das Resultat gewesen, welches er hatte erreichen wollen.

Man verlangte von ihr, zu glauben, daß eine neue Methode in der ärztlichen Behandlung von einem Menschen wie Mr. Vimpany erfunden worden sei. Man verlangte von ihr, zu glauben, daß ein Kranker aus einem fremden Hospital, der außerdem Lord Harry vollständig unbekannt war, aus reiner Menschenfreundlichkeit in die Villa aufgenommen werden sollte. Man verlangte von ihr, zu glauben, daß dies erstaunliche Zugeständnis dem Doktor als ein Tribut der Freundschaft gezollt würde, nachdem ihr Gatte ihr doch selbst gesagt hatte, daß er bedaure, Vimpany zum zweitenmal zu sich eingeladen zu haben. Hier war ein unwahrscheinlicher Umstand auf den andern gehäuft, und man stellte nun an eine kluge Frau die lächerliche Zumutung, die ungeheuerlichen Beweggründe, die man ihr auftischte, als glaubwürdige Thatsachen anzunehmen. Unwiderstehlich warf die Furcht vor irgend etwas Schlechtem einen tiefen Schatten über ihr Gemüt. Es war kein Irrtum von Lord Harry, als er Iris blaß werden sah, und als er fürchtete, er habe sie erschreckt.

»Wenn meine Erklärung Dich zufrieden stellt,« begann er jetzt wieder, »so brauchen wir nicht mehr darüber zu reden.«

»Ich stimme mit Dir vollständig überein, wir wollen nicht weiter darüber sprechen.«

Es wurde ihr zu eng in demselben Zimmer mit dem Mann, der sie absichtlich belog und der doch ihr Gatte war. Sie erinnerte Lord Harry daran, daß er einen Spaziergang in den Garten vorgeschlagen. In der freien Luft, unter freiem Himmel hoffte sie leichter atmen zu können.

 

»Wir wollen nach den Blumen sehen,« sagte sie.

So gingen sie beide zusammen in den Garten – die Frau, die ihren lügnerischen Gatten fürchtete, und der Mann, der seine kluge Frau fürchtete.

Während sie wie zwei Fremde schweigend neben einander hergingen, sahen sie sich hie und da die Blumen und sonstigen Gewächse an. Iris bemerkte ein zartes Farnkraut, welches sich von der Stütze losgemacht hatte, an der es sich bisher festgehalten hatte. Sie blieb stehen und beschäftigte sich damit, es wieder aufzurichten; als sie damit fertig war und wieder aufblickte, war ihr Gatte verschwunden, und an seiner Stelle stand Mr. Vimpany.