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Armadale

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Hier habe ich bereits eine ganze Seite in meinem Tagebuche beschrieben und noch kein Wort gesagt, das von der allermindesten Wichtigkeit für mich ist! Ich muß meine erbärmliche Erdichtung hier sogleich aufzeichnen, solange die Umstände derselben noch frisch in meinem Gedächtnisse leben, oder wie kann ich ihrer sonst später, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, zutreffend erwähnen?

In meiner Erzählung war nichts Neues – das gewöhnliche Leihbibliothekengewäsch. Ein verstorbener Vater, ein verlorenes Vermögen, ungerathene Brüder, die ich wiederzusehen mich fürchte, eine bettlägerige Mutter, welche sich allein auf meine Hilfe zu verlassen hat – nein, ich kann’s nicht niederschreiben! Ich hasse mich, ich verachte mich, wenn ich bedenke, daß er es glaubte, weil ich es sagte, daß er sich darüber betrübte, weil er es für meine Geschichte hielt. Lieber will ich riskieren, mir zu widersprechen, ich will es aus Entdeckung und Verderben ankommen lassen, Alles lieber, als noch einen Augenblick bei jenen verächtlichen Lügen verweilen.

Endlich hörten sie wirklich auf. Und dann sprach er von sich selbst und von seinen Aussichten. O welche Erleichterung diese Wendung der Unterhaltung mit sich brachte! Welche Erleichterung sie mir jetzt gewährt!

Er hat das Anerbieten angenommen, wegen dessen er mir nach Thorpe-Ambrose schrieb, und ist jetzt als gelegentlicher auswärtiger Correspondent der neuen Zeitung angestellt. Sein erster Bestimmungsort ist Neapel. Ich wollte, es wäre ein anderer Ort gewesen, denn ich habe gewisse Beziehungen zu Neapel, deren Emeuerung mir durchaus nicht angenehm ist. Es ist bestimmt, daß er England nicht später als am elften nächsten Monats verlassen soll. Dann also muß ich, da ich ihn begleiten soll, als seine Gattin mit ihm gehen.

Mit der Heirath hat es nicht die allergeringste Schwierigkeit. Dieser ganze Theil meines Plans ist so leicht, daß ich Unglück zu fürchten beginne. Der Vorschlag, die Sache streng geheim zu halten, ein Vorschlag, den zu machen mich in Verlegenheit hätte setzen dürfen, kommt von ihm. Da er mich unter seinem wahren Namen heirathet, dem Namen, den er vor aller Welt außer mir und Mr. Brook geheim gehalten, ist es in seinem Interesse daß keine Seele bei der Ceremonie zugegen ist, am allerwenigsten aber sein Freund Armadale. Bereits ist er seit einer Woche in London. Nach Ablauf einer zweiten gedenkt er sich den Heirathsdispens zu verschaffen und sich in der Kirche des Sprengels, dem sein Hotel angehört, mit mir trauen zu lassen. Dies die einzigen nothwendigen Formalitäten. Ich hätte nur ja zu sagen, sprach er zu mir, und mich um die Zukunft weiter nicht zu sorgen. Ich sagte das Ja mit einer so verzehrenden Angst um die Zukunft, daß ich fürchtete, er werde es bemerken. Welche selige Minuten aber waren dann die wenigen nächsten, während er mir entzückende Worte ins Ohr flüsterte, als mein Gesicht auf seiner Brust ruhte.

Ich faßte mich zuerst wieder und brachte ihn auf Armadala da ich meine Gründe hatte zu erfahren, was sie gestern mit einander gesprochen, nachdem ich sie verlassen hatte.

Die Art und Weise, in der Midwinter mir antwortete, verrieth mir, daß er unter dem Zwange einer vertrauten Mittheilung von seinem Freunde spreche. Lange, bevor er geendet, entdeckte ich, worin das Geheimniß bestand. Ganz, wie ich erwartet, hatte ihn Armadale wegen seiner Entführungsheirath zu Rathe gezogen. Obwohl er ihm Vorstellungen dagegen gemacht zu haben scheint, das Mädchen heimlich aus ihrem Hause fortzunehmen, hat Midwinter dem Anscheine nach doch einiges Widerstreben gefühlt, sich zu entschieden über die Sache auszusprechen, sich erinnernd, daß er selbst eine heimliche Heirath im Sinne habe. Jedenfalls entnahm ich aus dem, was er sagte, so viel, daß seine Vorstellungen sehr geringen Eindruck gemacht und daß Armadale seine lächerliche Absicht, den ersten Schreiber in der Expedition seines Londoner Advocaten zu Rathe zu ziehen, bereits verwirklicht hat.

Bei diesem Punkte angelangt, that Midwinter dann die Frage, vor? der ich wußte, daß sie früher oder später kommen müsse. Er fragte, ob ich etwas dawider habe, daß unsere Verlobung unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit seinem Freunde anvertraut werde.

»Ich selber stehe dafür«, sagt »daß Allan das ihm anzuvertrauende Geheimniß bewahren wird, und will, wenn die Zeit kommt, meinen Einfluß über ihn so benutzen, um seine Anwesenheit bei unserer Vermählung und die Entdeckung zu verhindern, daß mein Name derselbe ist, den auch er trägt. Kann ich ihm die Offenheit, mit der er sich über seine eigenen Angelegenheiten gegen mich ausgesprochen, meinerseits mit ähnlicher Offenheit vergelten, so wird mir das helfen, mich etwas kräftiger über die Angelegenheit zu äußern, die ihn nach London geführt hat.«

Es blieb mir nichts Anderes übrig, als die nöthige Erlaubniß zu geben, und ich that dies deshalb. Von der äußersten Wichtigkeit ist mirs, zu erfahren, welche Schritte Major Milroy nach dem Empfange meines anonymen Briefes hinsichtlich seiner Tochter und Armadale’s zu thun gedenkt, und gewinne ich nicht irgendwie Armadale’s Vertrauen, so darf ich fast sicher sein, daß ich darüber im Dunkeln bleiben werde. Ist’s ihm einmal anvertraut, daß ich Midwinter’s Gattin zu werden im Begriff stehe, so wird er Alles, was er seinem Freunde über seine Liebesangelegenheiten mittheilt, auch mir erzählen.

Darüber einig geworden, daß Armadale ins Vertrauen gezogen werde solle, begannen wir wieder von uns selbst zu Plaudern. Wie die Zeit entfloh! Welch süße Seligkeit es war, in seinen Armen Alles zu vergessen! Wie er mich liebt! Ah, der arme Junge, wie er mich liebt!

Ich habe versprochen, ihn morgen Vormittag in Regentspark zu treffen. Je weniger er hier gesehen wird, desto besser. Die Leute in diesem Hause sind mir allerdings fremd, aber es mag doch gerathen sein, noch immer, wie in Thorpe-Ambrose, den Schein zu bewahren und selbst diese Leute nicht ahnen zu lassen, daß ich mit Midwinter verlobt bin. Würden später, nachdem ich mein großes Wagniß ausgeführt, Nachforschungen angestellt, so dürfte das Zeugniß meiner Londoner Hauswirthin von Werth sein.

Jener scheußliche alte Bashwood! Das Wort Thorpe-Ambrose erinnert mich an ihn. Was wird er nur sagen, wenn die Stadtklatschereien ihn benachrichtigen, daß Armadale allein in einem Waggon mit mir nach London gefahren ist! Es ist wirklich zu lächerlich, wenn ein Mensch von Bashwood’s Alter und Aussehen verliebt sein will!

Den 30. Juli.Endlich eine Neuigkeit! Armadale hat von Miß Milroy gehört. Mein anonymer Brief hat gewirkt. Das Mädchen ist bereits aus Thorpe-Ambrose hinweggeschafft und der ganze Entführungsplan auf immer zu Wasser geworden. Dies war das Wesentlichste, was mir Midwinter zu erzählen hatte, als ich ihn im Parke traf. Ich stellte mich im höchsten Grade überrascht und erheuchelte die erforderliche weibliche Neugier wegen aller Einzelheiten. »Nicht etwa, daß ich meine Neugier befriedigt zu sehen hoffe«, fügte ich hinzu, »denn Mr. Armadale und ich sind im Ganzen doch nur oberflächliche Bekannte.«

»Du bist für Allan weit mehr als eine oberflächliche Bekanntschaft«, sagte Midwinter »Weil ich Deine Erlaubniß dazu hatte, habe ich ihm bereits gesagt, wie nahe Du mir stehst und wie theuer Du mir bist.«

Da ich dies hörte, schien es mir rathsam, ehe ich mich in Fragen über Miß Milroy einließe, meine Aufmerksamkeit zuvor meinen eigenen Angelegenheiten zu widmen und zu erfahren, welchen Eindruck die Ankündigung meiner bevorstehenden Verheirathung auf Armadale gemacht habe. Es war doch möglich, daß er noch immer Argwohn gegen mich hegte und ihm die Nachforschungen, die er auf Mrs. Milroy’s Eingebung in London über mich anstellte, noch im Sinne lagen.

»Schien Mr. Armadale überrascht zu sein«, fragte ich, »als Du ihm unsere Verlobung meldetest und als Du ihm sagtest, sie müsse geheim gehalten werden?«

»Er schien sehr überrascht, als er hörte, daß wir uns verheirathen würden«, erwiderte Midwinter. »Doch als ich ihm sagte, die Sache müsse geheim gehalten werden, erwiderte er blos, daß vermuthlich von Deiner Seite Familienrücksichten hierfür vorhanden seien.

»Was hast Du auf diese Bemerkung entgegnet?« fragte ich.

»Auf meiner Seite, sagte ich, seien die Familienrücksichten«, erwiderte Midwinter. Und ich hielt es, da ich mich erinnerte, wie Allan sich durch das dumme Mißtrauen in Thorpe-Ambrose gegen Dich hatte irre leiten lassen, nur für recht, hinzuzufügen, daß Du mir Deine ganze traurige Lebensgeschichte mitgetheilt und Dein Widerstreben, unter gewöhnlichen Verhältnissen von Deinen Familienangelegenheiten zu sprechen, völlig gerechtfertigt hättest?«

Ich athmete auf. Er hatte genau gesagt, was gesagt werden mußte, und ganz in der rechten Weise. »Ich danke Dir«, sagte ich, »daß Du mich Deinem Freunde im rechten Lichte dargestellt hast. Wünscht er mich zu sehen?« fragte ich, um wieder zu dem andern Gegenstande, zu Miß Milroy und der Entführung zurückzukommen.

»Er sehnt sich, Dich zu sehen«, sagte Midwinter.

Der arme Junge ist in großer Bekümmerniß; ich habe mein Möglichstes gethan, ihn zu trösten, glaube aber, daß die Theilnahme eines weiblichen Wesens dies weit wirksamer thun kann als die meinige.«

»Wo ist er jetzt?« fragte ich.

Er war im Gasthofe, und ich schlug deshalb augenblicklich vor, uns dorthin zu verfügen. Es ist dies ein stark besuchtes, geschäftiges Haus, und wenn ich meinen Schleier niederlasse, laufe ich dort weniger Gefahr, mich zu compromittiren, als in meiner stillen Wohnung. Außerdem ist es von der größten Wichtigkeit für mich, zu erfahren, was Armadale nach dieser gänzlichen Veränderung der Umstände zunächst vornimmt, denn ich muß sein Thun so weit in meine Gewalt bekommen, daß ich ihn womöglich aus England fortschaffe. Wir nahmen einen Fiaker. Meine Sehnsucht, dem untröstlichen Liebenden meine Theilnahme zu bezeugen, war so groß, daß wir einen Fiaker nahmen!

 

Etwas so Lächerliches wie Armadale’s Benehmen bei der zwiefachen Erschwerung, welche ihm die Doppelwunde verursacht, daß die junge Dame ihm entrückt und daß ich mich mit Midwinter verheirathen werde, ist mir im ganzen Leben noch nicht vorgekommen. Wollte ich ihn ein Kind nennen, so wäre dies eine Verleumdung aller Kinder, die nicht blödsinnig zur Welt gekommen sind. Er beglückwünschte mich wegen meiner bevorstehenden Vermählung und verwünschte das unbekannte Scheusal, das den anonymen Brief geschrieben, wobei er sich wenig träumen ließ, daß er in einem Athem von einer und derselben Person sprach. Einmal gab er unterwürfig zu, daß Major Milroy seine Rechte als Vater habe, und dann tobte er wieder über den Major, weil dieser für nichts Anderes fühlen könne, als für seine Uhr. In der einen Minute sprang er mit Thränen in den Augen auf und erklärte seine Herzens-Neelie für einen Engel, und in der nächsten saß er verdrossen da und meinte, daß ein Mädchen von ihrem Muthe wohl auf der Stelle hätte fliehen und ihn in London treffen können. Nachdem diese lächerliche Komödie eine halbe Stunde gewährt hatte, gelang es mir, ihn zu beruhigen, und dann erlangte ich vermittelst einiger theilnehmender Fragen das, was ich ausdrücklich sehen wollte, nämlich Miß Milroy’s Brief.

Derselbe war unerhört lang und unzusammenhängend, kurz der Brief einer Närrin. Ich mußte durch einen Haufen gemeiner Empfindsamkeit und Lamentation waten und Zeit wie Geduld über weinerlichen Zärtlichkeitsergüssen und widerlichen Küssen, die in Tintenkreise eingeschlossen waren, verlieren, bis ich endlich zu der Auskunft gelangte, die ich suchte und die in Folgendem besteht:

Es scheint, daß der Major unmittelbar nach Empfang meiner anonymen Warnung seine Tochter zu sich bescheiden ließ und ihr den Brief gezeigt hat. »Du weißt, Neelie, welch ein trauriges Leben ich mit Deiner Mutter führe, mache es nicht dadurch noch trauriger, daß Du mich hintergehst.« Mehr sagte der arme alte Herr nicht. Ich habe den Major stets gern gehabt und weiß, daß er mich ebenso gern hatte, obwohl er sich fürchtete, dies merken zu lassen. Seine Worte, falls man ihr glauben darf, schnitten seiner Tochter ins Herz. Sie brach in Thränen aus (man kann sich darauf verlassen, daß sie nie eine Gelegenheit zum Weinen vorübergehen läßt) und bekannte Alles.

Nachdem er ihr Zeit gelassen, sich wieder zu fassen – es wäre zweckdienlicher gewesen, hätte er ihr eine Ohrfeige gegeben! – scheint es, daß der Major ihr gewisse Fragen vorgelegt und gleich mir die Ueberzeugung gewonnen hat, daß seine Tochter wirklich in Armadale verliebt ist. Diese Entdeckung hat ihn offenbar ebenso sehr überrascht als betrübt. Scheinbar hat er gezögert und seine ungünstige Meinung über Miß Neelie’s Liebhaber eine geraume Weile beibehalten. Doch die Thränen und Bitten seiner Tochter haben ihn endlich Wanken gemacht (das sieht dem lieben schwachen alten Herrn so ähnlich!). Obgleich er sich entschieden weigerte, vor der Hand in eine Verlobung einzuwilligen, ließ er sich doch bewegen, die heimlichen Zusammenkünfte im Park zu verzeihen, und Armadale’s Tauglichkeit, sein Schwiegersohn zu werden, durch gewisse Bedingungen auf die Probe zu stellen.

Diese Bedingungen bestehen darin, daß aller Verkehr, der persönliche sowohl als der schriftliche, zwischen seiner Tochter und Armadale für die nächsten sechs Monate abgebrochen bleibt. Die Zwischenzeit soll der junge Herr nach Gefallen und die junge Dame zur Vollendung ihrer Erziehung verwenden. Sind sie nach Ablauf der sechs Monate noch beide desselben Sinnes, und ist Armadale’s Verhalten währenddessen der Art gewesen, um den Major zu einer bessern Meinung von ihm zu berechtigen, so darf er dann um Miß Neelie werben, und wenn während noch fernerer sechs Monate Alles gut geht, soll dann die Heirath stattfinden.

Ich möchte den lieben alten Major küssen, wenn ich ihn nur hier hätte! Selbst wenn ich ihm zur Seite gestanden und ihm selbst die Bedingungen dictirt hätte, hätte ich mir nichts Besseres wünschen können. Sechs Monate völliger Trennung zwischen Armadale und Miß Milroy! Ich müßte wahrhaftig Unglück haben, wenn ich nicht in der Hälfte dieser Zeit, während aller Verkehr zwischen ihnen abgebrochen ist, in den erforderlichen Trauerkleidern einhergehe und öffentlich als Armadale’s Wittwe anerkannt bin.

Aber ich vergesse ihren Brief. Sie gibt die Gründe ihres Vaters in dessen eigenen Worten an. Der Major scheint so vernünftig und so gefühlvoll gesprochen zu haben, daß er seiner Tochter wie Armadale keine andere schickliche Alternative gelassen, als sich zu ergeben. So gut ich mich erinnern kann, hat er sich ungefähr folgendermaßen gegen Miß Neelie ausgesprochen:

»Denke nicht, daß ich grausam gegen Dich bin, mein liebes Kind, ich verlange nur von Dir, daß Du Mr. Armadale aus die Probe stellst. Es ist nicht nur recht, sondern sogar durchaus nothwendig, daß Du auf einige Zeit keinen Verkehr mit ihm hast, und ich will Dir sagen, warum. Erstens würden die Regulative einer Schule, die um anderer Mädchen willen unerläßlich sind, Dir nicht gestatten, Mr. Armadale zu sehen oder Briefe von ihm zu erhalten; und bist Du wirklich dazu bestimmt, Herrin von Thorpe-Ambrose zu werden, so mußt Du noch in eine Pension kommen, denn Du würdest Dich schämen und ich gleichfalls, Dich in einer solchen Stellung zu sehen, ohne die zu derselben gehörige Bildung zu besitzen. Zweitens wünsche ich zu sehen, ob Mr. Armadale’s Zuneigung zu Dir ohne die Ermunterung persönlichen oder schriftlichen Verkehrs mit Dir unverändert dieselbe bleibt; habe ich Unrecht, wenn ich ihn für flüchtig und unzuverlässig halte, und stellt sich Deine Meinung von ihm als die richtige heraus, so ist dies keine unbillige Prüfung für den jungen Mann, denn eine wahre Liebe überlebt weit längere Trennungen als eine Trennung von sechs Monaten. Und wenn diese Zeit überstanden und glücklich überstanden ist, und wenn ich ihn dann noch sechs Monate unter meiner eigenen Beobachtung gehabt und eine ebenso gute Meinung von ihm gewonnen habe wie Du, selbst dann, mein liebes Kind, nach all diesem fürchterlichen Warten, wirst Du noch vor Deinem achtzehnten Jahre eine verheirathete Frau sein. Bedenke dies, Neelie, und beweise mir Deine Liebe und Dein Vertrauen dadurch, daß Du aus meinen Vorschlag eingehst. Ich selbst will keinerlei Verkehr mit Mr. Armadale unterhalten. Ich will es Dir überlassen, an ihn zu schreiben und ihn von dem Beschlossenen zu unterrichten. Er mag einmal, doch nur ein einziges Mal, zur Erwiderung an Dich schreiben, um Dich von seinem Entschlusse in Kenntniß zu setzen. Dann aber darf um Deines Rufes willen nichts weiter gesagt und nichts weiter unternommen werden, und die ganze Sache muß streng geheim gehalten werden, bis die sechs Monate verstrichen sind.«

So sprach der Major. Miß Milroys Brief aber ist außerordentlich dumm und langweilig. Nachdem sie feierlichst verkündet, daß sie sich den Wünschen ihres geliebten Vaters opfern will – die Dreistigkeit, mit der sie sich nach dem Geschehenen als eine Märtyrin darzustellen sucht, übersteigt Alles, was ich je gehört oder gelesen habe! – erwähnt Miß Neelie, daß der Major auf die wenigen Tage, die noch vergehen müssen, ehe sie nach der Pension reist, der Luftveränderung wegen mit ihr nach einem Seebade zu gehen gedenke. Armadale solle seine Antwort mit umgehender Post, an ihren Vater adressiert, nach Lowestoft senden. Hiermit und mit einem letzten Ausbruche zärtlicher Betheuerungen, die krumm und schief in eine Ecke der Seite hineingedrängt waren, endete der Brief. (NB. Der Zweck des Majors bei dieser Seereise ist klar genug. Er hegt noch immer ein heimliches Mißtrauen gegen Armadale und ist weislich entschlossen, ferneren verstohlenen Zusammenkünften im Park vorzubeugen.)

Als ich mit dem Briefe zu Ende war – ich hatte um Erlaubniß gebeten, gewisse Stellen, die ich besonders schön fand, zum zweiten und dritten Male zu lesen! – berathschlagten wir alle auf das freundschaftlichste, was Armadale thun solle.

Anfangs war er thöricht genug, gegen Major Milroy’s Bedingungen zu protestieren. Mit seinem unausstehlichen rothen Gesicht, das eine thierische Gesundheit verräth, erklärte er, daß er eine sechsmonatliche Trennung von seiner geliebten Neelie nimmermehr überleben werde. Wie leicht begreiflich, schien sich Midwinter seiner ein wenig zu schämen und vereinigte sich mit mir, um ihn zur Vernunft zu bringen. Wir machten ihm begreiflich, was Jedem, der nicht eben ein blödsinniger Tölpel, klar genug gewesen wäre, daß ihm keine andere ehrenvolle oder selbst nur schickliche Alternative übrig bleibe, als das Beispiel von Unterwürfigkeit nachzuahmen, welches ihm die junge Dame gegeben habe. »Warten Sie, und Sie werden sie zur Gattin bekommen«, sagte ich. »Warte, und Du wirst den Major zwingen, seine ungerechte Meinung von Dir zu ändern«, setzte Midwinter hinzu. Da zwei geschickte Leute dergestalt Vernunft in seinen Kopf hineinhämmerten, brauche ich kaum zu sagen, daß sein Kopf endlich nachgab und er sich darein fand.

Nachdem wir ihn bewogen hatten, die Bedingungen des Majors anzunehmen – ich trug Sorge, ihn, ehe er an Miß Milroy schrieb, daran zu erinnern, wie meine Verlobung mit Midwinter ihr wie jedem Andern ein Geheimnis; bleiben müsse – mußten wir zunächst eine Entscheidung hinsichtlich seiner Pläne für die Zukunft treffen. Ich hatte die nothwendigen Argumente in Bereitschaft, um ihn davon abzuhalten, nach Thorpe-Ambrose zurückzukehren, wenn er dies zu thun im Sinne gehabt hätte. Doch sagte er nichts hiervon, sondern erklärte im Gegentheil, nichts in der Welt könne ihn bewegen, dorthin zurückzukehren. An Ort und Menschen knüpften sich ihm die unangenehmsten Gedanken. Dort sei jetzt keine Miß Milroy, die er im Parke treffen. und kein Midwinter, der ihm im Herrnhause Gesellschaft leisten könne. »Lieber will ich Steine auf der Chaussee klopfen«, war seine verständige und heitere Bemerkung, »als jetzt nach Thorpe-Ambrose heimkehren.«

Hierauf kam der erste Vorschlag von Midwinter. Der listige alte Pfarrer, der mir und Mrs. Oldershaw so viel Noth machte, ist krank gewesen, wie es scheint, soll sich aber seit kurzem in der Genesung befinden, wie berichtet worden ist. »Warum nicht nach Sommersetshire reisen«, sagte Midwinter, »und unsern beiderseitigen guten Freund Mr. Brock besuchen?«

Bereitwillig genug ging Armadale auf diesen Vorschlag ein. Er sehnte sich erstens, »den lieben alten Brock« und zweitens seine Yacht zu sehen. Nachdem er noch ein paar Tage mit Midwinter in London zugebracht habe, wolle er mit Freuden nach Sommersetshire reisen. Doch was dann?

Hier ersah ich mir meine Gelegenheit. »Sie haben eine Pacht, Mr. Armadale«, sagte ich, »und wissen, daß Midwinter nach Italien reist. Warum nicht, wenn Sie Sommersetshires überdrüssig sind, eine Fahrt nach dem Mittelländischen Meere machen, um Ihren Freund und dessen Frau in Neapel zu besuchen?«

Ich machte die Anspielung auf die Frau des Freundes mit der aller kleidsamsten Bescheidenheit und Verwirrung. Armadale war entzückt. Ich hatte den besten Plan von der Welt erdacht, ihm über die lange Zeit hinwegzuhelfen. Er sprang aus und drückte mir in einer wahren Ekstase von Dankbarkeit die Hände. Wie verhaßt mir die Leute sind, welche ihre Gefühle nur dadurch auszudrücken vermögen, daß sie andern Leuten die Hände bis zum Wehthun drücken!

Midwinter war über meinen Vorschlag ebenso erfreut wie Armadale, doch sah er Schwierigkeiten für die Ausführung desselben voraus. Er hielt die Yacht für zu klein zu einer Fahrt nach dem Mittelländischen Meere und meinte, es werde besser sein, wenn Allan ein größeres Fahrzeug miethe. Sein Freund war anderer Ansicht. Bei diesem Streite ließ ich sie allein. Es genügte mir vollkommen, vor der Hand so viel erreicht zu haben, daß Armadale nicht nach Thorpe-Ambrose zurückkehrt und bewogen worden ist, eine Reise nach Italien zu machen. Meinestheils würde ich die kleine Yacht vorziehen, denn es scheint einige Aussicht vorhanden zu sein, daß sie mir den unschätzbaren Dienst leisten dürfte, ihn zu ertränken.

Fünf Uhr. Das Bewußtsein, daß ich Armadale’s künftiges Thun völlig in meiner Gewalt habe, machte mich so unruhig, daß ich, nach meiner Wohnung zurückgekehrt, wieder ausgehen und etwas unternehmen mußte. Da es mir an einem neuen Interesse für meine Gedanken fehlte, begab ich mich nach Pimlico, um mit der Mutter Oldershaw eine Lanze zu brechen.

Ich ging zu Fuße und kam unterwegs zu dem Entschlusse, mich mit ihr zu zanken. Da der eine meiner Wechsel bereits bezahlt ist und Midwinter die andern beiden einlösen will, sobald dieselben verfallen, so stehe ich gegenwärtig dem alten Geschöpfe so unabhängig gegenüber, wie ich mir nur wünschen kann. Kommt es zwischen uns zum Streite, so behalte ich stets die Oberhand und finde sie, sowie ich sie habe fühlen lassen, daß mein Wille der stärkere ist, außerordentlich höflich und gefällig In meiner derzeitigen Lage dürfte es mir in verschiedener Hinsicht von Nutzen sein, wenn ich mich ihres Beistandes versichern könnte, ohne ihr Geheimnisse anzuvertrauen, die ich jetzt mehr denn je für mich behalten will. Das waren meine Gedanken, während ich nach Pimlico wanderte. Der Mutter Oldershaw erst die Nerven zu erschüttern und sie dann um meinen kleinen Finger zu wickeln, erschien mir als eine interessante Beschäftigung für den Rest des Nachmittags.

 

Als ich in Pimlico anlangte, harrte meiner eine Ueberraschung. Das Haus war verschlossen, und zwar nicht nur auf Mrs. Oldershaw’s Seite, sondern auch auf der des Doctor Downward. Die Ladenthür war mit einem Vorlegeschloß versehen, und ein Mann ging auf der Lauer umher, der allerdings ein gewöhnlicher Bummler sein konnte, mir aber sehr das Ansehen eines verkleideten Polizeiers hatte.

Da ich weiß, welchen Gefahren sich der Doctor in seinem besonderen Zweige der Praxis aussetzt, vermuthete ich augenblicklich, daß etwas Ernstliches vorgefallen sei und daß selbst die pfiffige alte Mutter Oldershaw sich diesmal compromittirt habe. Darum rief ich, ohne stehen zu bleiben oder irgendwie mich zu erkundigen, den ersten Fiaker an, der an mir vorüberkam, und fuhr nach dem Postbureau, nach dem ich mir Briefe nachbestellt, wenn nach meiner Abreise von Thorpe-Ambrose noch solche in meiner dortigen Wohnung für mich einliefen.

Auf meine Anfrage ward mir ein Brief an Miß Gwilt eingehändigt. Er war in Mrsk Oldershaw’s Handschrift und theilte mir, ganz wie ich erwartet hatte, mit, daß der Doktor in ernstliche Ungelegenheiten gerathen, daß sie leider selbst mit in die Sache verwickelt sei und daß sie sich beide vor der Hand versteckt hielten. Der Brief schloß mit einigen ziemlich giftigen Redensarten über mein Verhalten in Thorpe-Ambrose und der Drohung, daß Mrs. Oldershaw noch nicht mit mir fertig sei. Dieser Ton ihres Briefes gewährte mir einige Erleichterung, denn hätte sie eine Ahnung von meinen wahren Plänen gehabt, so würde sie höflich und kriechend gewesen sein. Sobald man mir Licht heraufgebracht, verbrannte ich den Brief. Und damit haben die Beziehungen zwischen Mutter Jesabel und mir für jetzt ein Ende. Alle meine schmutzige Arbeit muß ich nun selbst verrichten und werde vielleicht um so sicherer sein, als ich mich nur auf meine eigenen Hände verlasse.

Den 31. Juli. Ich habe weitere nützliche Auskunft erhalten. Unter dem Vorwande, daß mein Ruf leiden könne, wenn er zu oft in meiner Wohnung gesehen würde, traf ich mit Midwinter wieder im Park zusammen und hörte die letzten Neuigkeiten von Armadale, die sich ereignet, seit ich gestern das Hotel verlassen.

Nachdem Armadale an Miß Milroy geschrieben hatte, ergriff Midwinter die Gelegenheit, von seinen häuslichen Angelegenheiten während seiner Abwesenheit vom Herrnhause mit ihm zu sprechen. Man beschloß, daß die Dienerschaft Kostgeld empfangen und Mr. Bashwood die Oberaufsicht erhalten solle. Dieses Wiederauftauchen von Mr. Bashwood in Verbindung mit meinen jetzigen Interessen gefällt mir eigentlich nicht, allein es läßt sich nicht ändern. Die nächste Frage, hinsichtlich des Geldes, ward sofort von Armadale selbst beseitigt. All sein baares Geld, das sich auf eine beträchtliche Summe belief, sollte von Mr. Bashwood in Armadale’s Namen in Coutts’ Bank deponiert werden. Dies, sagte er, werde ihm die Plackerei ferneren Briefwechsels mit seinem Verwalter ersparen und ihn in Stand setzen, sich, wenn er ins Ausland reise, ohne Verzug mit den erforderlichen Summen zu versehen. Da dieser Vorschlag unbedingt der einfachste und sicherste war, so ward er mit Midwinter’s vollster Zustimmung angenommen, und somit würde die geschäftliche Besprechung ein Ende gehabt haben, wenn nicht der ewige Mr. Bashwood wieder zum Vorschein gekommen wäre und die Unterhaltung verlängert hätte.

Bei weiterer Ueberlegung scheint es Midwinter eingefallen zu sein, daß man doch nicht die ganze Verantwortlichkeit für die Angelegenheiten von Thorpe-Ambrose auf Mr. Bashwood legen sollte. Ohne das geringste Mißtrauen gegen ihn zu hegen, fühlte Midwinter dennoch, daß er für den Nothfall Jemand haben müsse, bei dem er sich Raths erholen könne. Armadale hatte hiergegen nichts einzuwenden; er fragte blos, wer dieser Jemand sein solle.

Das war nicht leicht zu beantworten. Der eine oder der andere der beiden Rechtsanwälte von Thorpe-Ambrose hätte sich dazu geeignet, wenn Armadale nicht mit beiden auf gespanntem Fuße gestanden hätte. Eine Aussöhnung mit einem so bitteren Feinde, wie der ältere Advocat, Mr. Darch, war außer Frage, und eine Wiedereinsetzung Mr. Pedgift’s in seine vorige Stellung würde von Armadales Seite das Ansehen einer stillschweigenden Billigung des abscheulichen Benehmens des Alten gegen mich gehabt haben, die kaum mit der Achtung und Freundschaft in Einklang zu bringen gewesen wäre, die er für die Dame fühlte, welche so bald die Gattin seines Freundes werden sollte. Nach einiger fernerer Erwägung des Punktes kam Midwinter auf eine neue Idee, welche die Schwierigkeit zu beseitigen schien. Er schlug vor, Armadale möchte an einen achtbaren Rechtsanwalt in Norwich schreiben, ihm in allgemeinen Ausdrücken seine Lage schildern und ihn ersuchen, bei sich bietender Gelegenheit als Mr. Bashwoodss Rathgeber und Vorgesetzter zu fungieren. Da Norwich per Eisenbahn nur eine kurze Strecke von Thorpe-Ambrose entfernt ist, so hatte Armadale gegen diesen Vorschlag nichts einzuwenden und versprach an den Advocaten zu schreiben. In der Besorgniß, Armadale möchte, wenn er ohne Beistand schriebe, irgend ein Versehen machen, hatte Midwinter den nothwendigen Brief zur Abschrift für ihn aufgesetzt, und Armadale war eben beschäftigt, den Brief abzuschreiben und außerdem Mr. Bashwood seine Instructionen über die in Coutts’ Bank zu deponierende Summe zu ertheilen.

Diese Details sind an sich so trocken und uninteressant, daß ich anfangs nicht recht wußte, ob ich sie in mein Tagebuch eintragen solle. Allein ein wenig Nachsinnen hat mich überzeugt, daß sie doch zu wichtig sind, als daß ich sie übergehen dürfte. Von meinem Gesichtspunkte aus bedeuten dieselben, daß Armadale sich durch sein eigenes Thun von allem Verkehr mit Thorpe-Ambrose abschneidet, selbst vom schriftlichen. Für alle, die er dort zurückläßt, ist er bereits so gut wie todt. Die Ursachen, die zu einem solchen Resultate geführt haben, haben doch sicherlich aus den besten Platz Anspruch, den ich ihnen in diesen Memoiren geben kann.

Den l. August. Nichts zu berichten, außer daß ich einen langen, ruhigen, glücklichen Tag mit Midwinter zugebracht habe. Er miethete einen Wagen und wir fuhren nach Richmond und speisten dort zu Mittag. Nach meinem heutigen Zusammensein mit ihm kann ich mich nicht länger über mich selbst täuschen. Komme, was da wolle, ich liebe ihn.

Ich bin förmlich traurig, seit er mich verlassen hat. Es hat sich mir die Ueberzeugung aufgedrängt, daß der glückliche, glatte Verlauf meiner Angelegenheiten, seit ich in London bin, eben zuglatt und zu glücklich ist, als daß er fortdauern könnte. Etwas drückt mich heute Abend, das etwas Anderes ist als die dicke Londoner Luft.

Den 2. August, drei Uhr. Oft genug haben mich meine Vorgefühle getäuscht, wie Andere auch, aber ich fürchte fast, daß mein Vorgefühl von gestern Abend diesmal wirklich ein prophetisches war.