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Armadale

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Da hast Du’s! Wenn sich irgendein großes Unglück ereignet, was vollkommen wohl möglich ist, da wirst Du großen Trost in der Erinnerung finden, daß dies alles meine Schuld war!

Willst Du jetzt, da ich dies für Dich gethan habe, auch etwas für mich thun?

Es verlangt mich, die kurze Zeit, die mir noch hier bleibt, auf meine eigene Weise zu verträumen. Sei eine barmherzige Mutter Oldershaw und verschone mich mit den Widerwärtigkeiten des ganzen Manövers und dem Dafür und Dawider bezüglich meiner Aussichten in diesem neuen Unternehmen. Kurz, denke für mich, bis ich für mich selber zu denken gezwungen bin.

Ich will lieber nichts weiter schreiben, da ich sonst leicht etwas Wüthendes sagen dürfte, das Dir nicht behagen möchte. Ich habe heute Abend einen meiner Wuthanfälle. Ich sehne mich nach einem Gatten, den ich ärgern, oder nach einem Kinde, das ich schlagen könnte. Ergötzest Du Dich zuweilen daran, die Sommerinsecten sich in den Kerzenflammen tödten zu sehen? Ich thue dies oft. Gute Nacht, Madame Jesabel Je länger Du mich hier lassen kannst, desto besser. Die Luft sagt mir zu und ich sehe charmant aus.

L. G.
Mrs. Oldershaw an Miß Gwilt
Meine liebe Lydia!

Manche Leute an meiner Stelle würden sich durch den Ton Deines letzten Briefes ein wenig beleidigt fühlen. Aber ich bin Dir so innig zugethan! Und wenn ich ein Wesen liebe, ist es schwer für dieses Wesen, mich zu beleidigen! Mache das nächste Mal keinen so langen Spazierritt und trinke nur ein kleines Glas Bordeaux. Mehr sage ich nicht.

Wollen wir unser Wortgefecht jetzt aufgeben und einmal ernstlich reden? Wie außerordentlich schwer es den Frauen zu werden scheint, einander zu verstehen – namentlich wenn sie die Feder in der Hand haben! Doch wollen wir’s versuchen.

Zum ersten also entnehme ich aus Deinem briefe, daß Du den weisen Entschluß gefaßt hast, das Thorpe-Ambrosesche Experiment zu versuchen – und Dir gleich beim Beginn eine vortreffliche Stellung zu sichern, indem Du ein Mitglied von Major Milroy’s Familienkreise wirst. Sollten die Umstände Dir ungünstig sein und eine andere Person die Gouvernantenstelle erhalten, so wird Dir nichts übrig bleiben, als in einer andern Rolle Mr. Armadales Bekanntschaft zu tauchen. In jedem Falle wirst Du meines Beistandes bedürfen, und der erste Punkt, der zwischen uns entschieden werden muß, ist deshalb die Frage in Bezug auf das, was ich zu thun bereit und zu thun im Stande bin, um Dir zu helfen.

Eine Frau von Deinem Aussehen, meine liebe Lydia, Deinen Manieren, Deinen Talenten und Deiner Erziehung kann fast jede ihr beliebige Stellung in der Gesellschaft erlangen, wenn sie Geld in der Tasche und für den Nothfall achtbare Empfehlungen aufzuweisen hat. Erstens, was das Geld betrifft. Ich verpflichte mich, dasselbe zu verschaffen, unter der Bedingung, daß Du Dich meiner Hilfe mit entsprechender Pecuniärer Dankbarkeit erinnerst, falls Du den Armadaleschen Preis erringst. Dein Versprechen, in dieser Weise meiner gedenken zu wollen, soll in Verbindung mit deutlichen Zahlen von meinem eigenen Advokaten zu Papier gebracht werden, damit wir die Sache sofort abmachen und unterschreiben können, wenn ich Dich in London sehe.

Dann, was die Empfehlung betrifft. Hier stehen Dir meine Dienste abermals zu Gebote – unter einer andern Bedingung. Dieselbe ist folgende: Du führst Dich unter dem Namen in Thorpe-Ambrose ein, den Du seit jener fürchterlichen Angelegenheit bezüglich Deiner Heirath wieder angenommen hast – ich meine Deinen Mädchennamen Gwilt. Ich habe hierbei nur einen einzigen Zweck im Auge; ich wünsche keine unnöthige Gefahr zu laufen. Meine Erfahrung als vertraute Rathgeberin meiner Kunden in mancherlei romantischen Fällen geheimer Verlegenheiten hat mich gelehrt, daß ein falscher Name in neun Fällen unter zehn eine sehr unnöthige und sehr gefährliche Art von Betrug ist. Deine Annahme eines falschen Namens könnte durch nichts gerechtfertigt werden als durch die Furcht, von dem jungen Armadale erkannt zu werden – eine Furcht, von der wir glücklicherweise durch das Verfahren seiner Mutter befreit sind, die ihre frühere Bekanntschaft mit Dir vor ihrem Sohne wie vor allen andern Leuten geheim gehalten hat.

Die nächste und letzte Schwierigkeit, meine Liebste, betrifft Deine Aussichten, in Major Milroy’s Familie als Gouvernante Aufnahme zu finden. Sobald Du einmal im Hause bist, kannst Du mit Deinen Talenten für Musik und Sprachen, vorausgesetzt, daß Du Deine Heftigkeit zu beherrschen im Stande bist, Deine Stelle zu behalten sicher sein. Wie die Sachen jetzt stehen, ist der einzige Zweifel nur der, ob Du dieselbe erlangen wirst.

Bei der Schwierigkeit, in der der Major sich augenblicklich befindet, spricht alles dafür, daß er durch Zeitungsannoncen eine Gouvernante sucht. Nehmen wir an, er thut dies – wohin wird er dann die Bewerberinnen bestellen? Darin liegt die wahre Schwierigkeit für uns. Giebt er eine Adresse in London an, so mögen wir nur sofort jeder Chance zu Deinen Gunsten Lebewohl sagen, und zwar aus dem Grunde, weil wir seine Annonce nicht unter allen ähnlichen Annoncen von Leuten herauszuerkennen im Stande sein werden, die ebensalls Gouvernanten suchen und ebenfalls Adressen in London angeben. Falls aber unser Glück uns nicht im Stiche läßt und er seine Correspondenten an einen Kaufladen oder ein Postamt oder was sonst immer in Thorpe-Ambrose verweist, so ist uns unsere Annonce dadurch so deutlich bezeichnet, wie wir es nur wünschen können. In diesem Falle hege ich wenig oder gar keinen Zweifel darüber, daß Du – mit Hilfe einer Empfehlung von mir – Deinen Weg in den Familienkreis des Majors finden wirst. Wir haben einen großen Vorzug vor den andern Personen voraus, die sich ebenfalls um die Stelle bewerben werden. Vermöge meiner Nachforschungen am Orte selber wissen wir, daß Major Milroy ein armer Mann ist, und wir wollen einen so niedrigen Gehalt fordern, daß der Major sich sicherlich dadurch verlocken läßt. Was den Stil des Briefes betrifft, so möchte ich wissen, wer uns beide in der Abfassung einer bescheidenen und interessanten Bewerbung um die Stelle zu übertreffen im Stande wäre?

Alles dies liegt indessen noch in der Zukunft. Für jetzt geht mein Rath dahin, daß Du bleibst, wo Du bist, und nach Herzenslust fort träumst, bis Du wieder von mir hörst. Ich halte die Times regelmäßig, und Du magst Dich darauf verlassen, daß die Annonce meinem scharfen Auge nicht entgehen wird. Wir können dem Major glücklicherweise Zeit lassen, ohne dadurch unserm eigenen Interesse zu schaden, denn es steht für jetzt noch nicht zu befürchten, daß das Mädchen Dir zuvorkommen wird. Der öffentliche Empfang wird, wie wir wissen, nicht vor Ende des Monats stattfinden können, und wir dürfen uns mit Sicherheit darauf verlassen, daß die Eitelkeit des jungen Armadale ihn vom Hause fern halten wird, bis alle seine Schmeichler zu seiner Bewillkommnung versammelt sind. Laß uns noch wenigstens zehn Tage warten, ehe wir die Gouvernanten-Idee aufgeben und die Köpfe zusammenstecken, um einen neuen Plan ausfindig zu machen.

Ist es nicht merkwürdig, wie viel von der Entscheidung dieses pensionierten Offiziers abhängt? Was mich betrifft, so werde ich jetzt jeden Morgen mit einem und demselben Gedanken erwachen. Welche Adresse wird der Major angeben, wenn er eine Annonce in die Zeitung setzt – Thorpe-Ambrose oder London?

Immer von Herzen die Deine
Maria Oldershaw.

Sechstes Kapitel

Allan stand am Morgen nach seiner ersten Nacht in Thorpe-Ambrose frühe auf und betrachtete mit einem gewissen Mißbehagen darüber, daß er sich in seinem eigenen Haufe so fremd fühlte, den Theil seines neuen Besitzthums, den er durch das Fenster seiner Schlafstube erblicken konnte.

Das Schlafzimmer befand sich über der großen Eingangsthür mit ihrem Porticus, ihrer Terrasse und ihrer Stufenflucht, vor der im Hintergrunde der große dichte Park die Aussicht schloß. Der Morgennebel um schwebte leicht die fernen Bäume, und die Kühe weideten gesellig in der unmittelbaren Nähe des eisernen Stakets, das den Park von der Auffahrt zum Hause trennte. »Alles mein !« dachte Allan,«indem er seine Besitzungen verdutzt anstaunte. »Hol’ mich der Henker; das will mir nicht in den Kopf! Alles mein!«

Er kleidete sich an, verließ sein Zimmer und ging den Corridor entlang, der nach der Treppe und der großen Eingangshalle führte, wobei er im Vorüber- gehen der Reihe nach alle Thüren öffnete. Die Gemächer in diesem Theile des Hauses waren Schlafzimmer und Ankleidezimmer, hell, geräumig und vollständig meublirt; alle diese Räumlichkeiten waren unbenutzt, das Schlafzimmer neben Allan’s eigenem Schlafzimmer allein ausgenommen, welches Midwinter angewiesen worden war. Dieser schlief noch, als sein Freund zu ihm hineinschaute, da er bis spät in der Nacht gesessen hatte, um seinen Brief an Mr. Brock zu schreiben. Allan ging bis ans Ende des ersten Corridors, bog im rechten Winkel in einen zweiten ein und sah sich, nachdem er denselben durchschritten, an dem oberen Ende der großen Haupttreppe. »Nichts Romantisches hier«, sprach er bei sich, indem er die mit schönen Teppichen bedeckte bequeme steinerne Treppe hinabsah, die in die moderne helle Eingangshalle führte. »Es ist nichts in diesem Hause, was Midwinters unruhige Nerven zu stören geeignet wäre.« Auch war dort in der That nichts der Art zu sehen; Allan’s durchaus oberflächliche Beobachtung hatte ihn für diesmal wenigstens nicht irre geleitet. Das stattliche Herrenhaus von Thorpe-Ambrose, welches nach dem Abreißen des verfallenen alten Wohnhauses errichtet worden war, war kaum fünfzig Jahre alt. In keinem Theile desselben war irgendetwas Malerisches oder etwas, das im allermindesten an Geheimnisse und Romantik erinnerte, zu finden. Es war eben ein Landhaus in rein conventionellem Stil – das Product der classischen Idee in verständiger Weise durch den commerciellen englischen Geist hindurchfiltrirt. Von außen betrachtet bot dasselbe den Anblick einer modernen Fabrik, die sich bemüht, wie ein Tempel des Alterthums auszusehen; im Innern war es vom Souterrain bis zum Dache ein Wunder von reicher Bequemlichkeit. »Uebrigens ist es ganz recht so«, dachte Allan, indem er langsam und zufrieden die breite flachstufige Treppe hinunterging. »Zum Henker mit aller Heimlichkeit und Romantik! Laßt uns sauber sein und Bequemlichkeit haben, sage ich!«

 

In der Eingangshalle angelangt, stand der neue Herr von Thorpe-Ambrose still und schaute sich ringsum, in Ungewißheit, wohin er sich zunächst wenden solle. Die vier Empfangszimmer im Erdgeschoß, je zwei auf jeder Seite, öffneten sich nach der Eingangshalle. Allan versuchte aufs Gerathewohl die nächste Thür zu seiner Rechten und sah sich im besten Gesellschaftszimmer. Hier gewahrte er das erste Lebenszeichen unter der anziehendsten Gestalt des Lebens. Ein junges Mädchen war im alleinigen Besitz des Gesellschaftszimmers. Das Wischtuch in ihrer Hand schien darauf hinzudeuten, daß ihr die häuslichen Verrichtungen oblagen; in diesem Augenblicke aber gestattete sie den Ansprüchen der Natur den Vorrang vor den Verpflichtungen ihres Dienstes. Mit andern Worten – sie betrachtete ihr eigenes Antlitz in dem Spiegel über dem Kamine.

»So, so, erschreckt nicht vor mir«, sagte Allan, als das Mädchen vor dem Spiegel zurückfuhr und ihn in unaussprechlicher Verwirrung anstarrte. »Ich bin ganz Eurer Ansicht, mein Kind: Euer Gesicht ist sehr wohl des Ansehens werth. Wer seid Ihr? – Das Stubenmädchen – gut! Und Ihr heißt? Susan, wie? Kommt! Euer Name gefällt mir schon. Wißt Ihr, wer ich bin, Susan? Ich bin Euer Herr, obgleich Ihr dies kaum glauben mögt. Euer Zeugniß? O, ja wohl! Mrs. Blanchard hat Euch ein vortreffliches Zeugniß gegeben. Ihr sollt bleiben; fürchtet nichts. Und Ihr werdet ein braves Mädchen sein, Susan, und hübsche Häubchen und saubere Schürzen und bunte Bänder tragen, und werdet hübsch aussehen und die Meubles abstäuben, wie?«

Nachdem er in dieser Weise die Pflichten eines Stubenmädchens zusammengefaßt, spazierte Allan wieder in die Eingangshalle hinaus und entdeckte hier fernere Lebenszeichen. Ein Bedienter erschien und verbeugte sich, wie es einem Vasallen in einer Leinwandjacke zukommt, vor seinem Herrn.

»Und wer mögt Ihr wohl sein?« frug Allan. »Doch nicht der Mann, der uns gestern Abend einließ? Ah, das dachte ich mir wohl. Der zweite Bediente, wie? Zeugniß? O, ja, vortreffliches Zeugniß. Versteht sich, Ihr bleibt. Könnt mich als Kammerdiener bedienen, wie? O, zum Kuckuck mit der Kammerdienerei! Ich kleide mich lieber allein an und bürste meine Kleider am liebsten selbst, und zwar wenn ich schon drin stecke; und wenn ich es nur verstünde, beim heiligen Georg, so möcht’ ich mir sogar die Stiefel selber putzen! Was ist dies für ein Zimmer? Wohnzimmer,y wie? Und dies natürlich das Eßzimmer Gerechter Himmel, welch eine Speisetafel! So lang wie meine Jacht, ja noch länger. Aber hört – beiläufig – wie heißt Ihr? Richard, wie? – Nun Richard, das Schiff, in dem ich segle, habe ich selber gebaut. Was sagt Ihr dazu? Ihr seht mir gerade wie der rechte Mann aus, um mir an Bord als Steward zu dienen. Wenn Ihr auf dem Wasser nicht seekrank werdet – o, Ihr werdet seekrank auf dem Wasser? Nun, dann wollen wir nicht weiter davon reden. Und welches Zimmer ist dies? Ah, ja wohl, das Bibliothekzimmer, versteht sich – schlägt mehr in Mr. Midwinters Fach als in das meinige. Mr. Midwinter ist der Herr, der hier gestern Abend mit mir ankam; und laßt Euch’s gesagt sein, Richard, Ihr alle sollt ihm dieselbe Aufmerksamkeit wie mir erzeigen. Wo sind wir jetzt? Welche Thür ist diese hier hinten? Billardzimmer und Rauchzimmer wie? Das ist herrlich. Noch eine Thür! Und noch mehr Treppen? Wohin führt diese Treppe – und wer kommt hier herauf? Lassen Sie sich Zeit, Madame; Sie sind nicht mehr ganz so jung wie ehedem – lassen Sie sich Zeit!«

Diese humane Warnung galt einer corpulenten ältlichen Frau, welche Allan passender mit »Mutter« denn mit »Madame« angeredet- hätte. Vierzehn Stufen waren alles, was sie vom Herrn des Hauses trennte; sie stieg dieselben mit vierzehnmaligem Stillstehen und vierzehn Seufzern hinan. Die Natur, die sich in allen Dingen so mannigfaltig zeigt, ist im weiblichen Geschlechte ganz besonders mannigfaltig. Es giebt Frauen, deren persönliche Eigenschaften an die Liebesgötter und die Grazien erinnern; und es giebt andere, deren persönliche Eigenschaften an Fetttöpfe erinnern. Die in Frage stehende war eine von den andern Frauen.

»Freut mich, Sie so wohl zu sehen, Madame«, sagte Allan, als die Köchin – denn als solche offenbarte sie sich – in der Majestät ihres Amtes vor ihm stand. »Sie heißen Gripper, wie? Ich betrachte Sie als die schätzbarste Person im ganzen Hause, Mrs. Gripper, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil Niemand im Hause einen so herzhaften Appetit hat wie ich. Meine Befehle? O, nein, ich wünsche keine Befehle zu geben. Ich überlasse das alles Ihnen. Eine kräftige Suppe – Fleisch, aus dem der Saft nicht heraus gebraten ist – da haben Sie in zwei Worten meine Begriffe von einem guten Diner Aufgepaßt! Hier kommt noch Jemand. O, versteht sich – der Kellerineister. Wir wollen den Wein im Keller von vorne an durchprobieren und uns bis zu Ende durchtrinken, Herr Kellermeister; und wenn ich Euch dann noch keine gründliche Ansicht über denselben abzugeben im Stande bin, wollen wir wieder von vorn anfangen. Da wir vom Weine sprechen – hollah! Hier kommen noch mehr Leute die Treppe herauf. Schon gut, schon gut! Bemüht Euch nicht. Ihr alle habt vortreffliche Zeugnisse und sollt alle bei mir bleiben. Was wollte ich soeben sagen? Etwas über den Wein; ganz recht. Ich will Euch etwas sagen, Herr Kellermeister; es kommt nicht alle Tage ein neuer Herr in Thorpe-Ambrose an, und es ist mein Wunsch, daß wir alle im besten Vernehmen mit einander anfangen: Laßt die Leute unten einen großartigen Schmaus haben, um meine Ankunft zu feiern; und gebt ihnen, was sie am liebsten haben, damit sie meine Gesundheit trinken. Ein Herz, das nimmer froh, ist zu beklagen, nicht wahr, Mrs. Gripper? Nein; ich will mir den Keller jetzt nicht ansehen; ich wünsche auszugehen und vor dem Frühstück ein wenig frische Lust zu athmen. Wo ist Richard? Sagt einmal, habe ich hier irgendwo einen Garten? Auf welcher Seite des Hauses? Auf dieser Seite, wie? Ihr braucht mich nicht herumzuführen. Ich will allein gehen, Richard, und mich womöglich auf meinem eigenen Besitzthum verirren.«

Mit diesen Worten ging Allan, fröhlich pfeifend, die Terrassenstufen vor dem Hause hinunter. Er hatte die ernste Pflicht, seine häuslichen Angelegenheiten zu ordnen, zu seiner eigenen völligen Zufriedenheit erfüllt. »Die Leute reden von der Schwierigkeit, mit ihrer Dienerschaft fertig zu werden«, dachte Allan. »Was in aller Welt wollen sie damit sagen? Ich finde dies durchaus nicht schwer.« Nachdem er durch ein zierliches Gitterthor eingetreten war, ging er, den Weisungen des Bedienten folgend, in das Gebüsch hinein, hinter dem die Gärten von Thorpe-Ambrose gelegen waren. »Ein hübscher schattiger Ort, um eine Cigarre zu rauchen«, sagte Allan, wie er, die Hände. in den Taschen, daher schlenderte. »Ich wollte, ich könnte es mir in den Kopf hinein trommeln, daß dies alles wirklich mir gehört.«

Das Gebüsch öffnete sich auf einen großen Blumengarten, der in der hellen Morgensonne funkelnd in seiner Sommerpracht dalag. Auf der einen Seite führte ein Bogengang, der durch eine Mauer gebrochen war, nach dem Qbstgarten; auf der andern gelangte man vermittelst einer Rasenterrasse aus einen niedrigeren Platz, der wie ein italienischer Garten angelegt war. An den Springbrunnen und Statuen vorübergehend, erreichte Allan abermals ein Gebüsch, das dem Anscheine nach in einen entlegenen Theil der Anlagen auslief. Bis hierher hatte sich nirgendwo ein menschliches Wesen sehen oder hören lassen; doch als er am Ende des zweiten Gebüsches anlangte, war es ihm, als ob er etwas höre. Er stand still und lauschte Es waren zwei deutlich vernehmbare Stimmen – eine ältere, die sehr halsstarrig, und eine jugendliche, die sehr aufgebracht klang.

»Es nützt nichts, Miß«, sagte die erstere Stimme. »Ich darf es nicht erlauben und will es nicht erlauben. Was würde wohl Mr. Armadale dazu sagen?«

»Wenn Mr. Armadale der Gentleman ist, für den ich ihn halte, Ihr altes Ungeheuer«, erwiderte die jugendliche Stimme, »so würde er sagen: »Kommen Sie in meinen Garten, so oft es Ihnen beliebt, Miß Milroy, und pflücken Sie so viele Sträuße, wie es Ihnen gefällt.«

Allan’s klare blaue Augen funkelten muthwillig. Durch einen plötzlichen Einfall angespornt, schlich er leise nach dem Ende des Gebüsches, schoß um die Ecke, sprang über ein niedriges Staket und befand sich in einem zierlichen kleinen Gehege, durch das sich ein Kiespfad hinzog. In kurzer Entfernung erblickte er auf diesem Pfade eine junge Dame, die ihm den Rücken zuwandte und sich an einem alten Manne vorbeizudrängen versuchte, der sich ihr, mit dem Rechen in der Hand, hartnäckig und kopfschüttelnd in den Weg stellte.

»Kommen Sie in meinen Garten, so oft es Ihnen beliebt, Miß Milroy, und pflücken Sie so viele Sträuße, wie es Ihnen gefällt«, rief Allan, ihre Worte wiederholend.

Die junge Dame wandte sich mit einem hellen Aufschrei zu ihm um; ihr Musselinröckchen das sie vor sich emporhielt, entglitt ihrer Hand, und aus demselben stürzte ein ganzer Schoß voll Blumen auf den Kiespfad.

Ehe noch ein Wort weiter gesagt werden konnte, trat der unerschütterliche alte Mann vor und ging mit der größten Gelassenheit auf den Gegenstand seines eigenen persönlichen Interesses ein, wie wenn durchaus gar nichts vorgefallen und außer ihm und seinem neuen Herrn Niemand zugegen gewesen wäre.

»Ich heiße Sie bescheidentlich in Thorpe-Ambrose willkommen, Sir«, sagte der Alte. »Ich heiße Abraham Sage und bin seit mehr als vierzig Jahren in diesen Anlagen angestellt gewesen; ich hoffe, daß Sie die Güte haben werden, mir meine Stelle zu lassen.«

Mit diesen Worten, nur sein eignes Interesse verfolgend, redete der Gärtner seinen neuen Herrn an – und sprach vergebens. Allan lag auf dem Kiespfade auf den Knieen, um die gefallenen Blumen aufzusammeln, und empfing seine ersten Eindrücke von Miß Milroy. Sie war hübsch und auch wieder nicht hübsch; sie bezauberte, sie enttäuschte, sie bezauberte abermals. Nach dem gewöhnlichen Maßstabe für weibliche Schönheit war sie zu klein und zu entwickelt für ihr Alter. Und dennoch würden wenige Männer ihre Gestalt anders gewünscht haben als sie war. Ihre kleinen Hände waren so hübsch gerundet und hatten so niedliche Grübchen, daß es schwer war, zu bemerken, wie roth sie seien vor Uebermaß gesegneter Jugend und Gesundheit. Ihre Füße waren eine zierliche Entschuldigung für ihre alten schlecht sitzenden Schuhe, und der Anblick ihrer Schultern entschädigte für das Musselingewand, das dieselben zu bedecken bestimmt war. Ihre dunkelgrauen Augen bezauberten durch die klare Weichheit der Farbe, durch ihre Lebhaftigkeit, Zärtlichkeit und die sanfte Gutherzigkeit des Ausdrucks; ihr Haar war, soweit ein abgetragener alter Gartenhut dasselbe sichtbar werden ließ, gerade von derjenigen helleren Schattierung von Braun, die durch den Contrast den Werth der dunkleren Schönheit ihrer Augen erhöhte. Nach diesen Reizen aber fingen die dieselben begleitenden kleinen Fehler und Unvollkommenheiten dieses sich selbst widersprechenden Mädchens wieder an. Ihre Nase war zu kurz, ihr Mund zu groß, ihr Gesicht zu rund und zu rosig. Die grausige Gerechtigkeit der Photographie würde kein Erbarmen mit ihr gehabt und die Bildhauer des alten Griechenland würden sie mit Bedauern aus ihrem Atelier herauscomplimentirt haben. Allein, alles dies zugegeben, war der Gürtel, der Miß Milrotys Taille umschlang, dennoch ein Venus-Gürtel, und Allan hatte sich bereits in sie verliebt, ehe noch die zweite Handvoll Blumen aufgesammelt war.

»O, thun Sie das nicht, bitte, Mr. Armadale, thun Sie das nicht!« sagte sie, die Blumen unter Protest entgegennehmend, wie Allan dieselben in den Schoß ihres Kleides zurückwarf. »Ich bin so beschämt! Ich beabsichtigte gar nicht, mich in dieser dreisten Weise in Ihren Garten einzuladen; meine Zunge ging mit mir durch – glauben Sie es mir! Was kann ich nur zu meiner Entschuldigung sagen? O, Mr. Armadale, was müssen Sie nur von mir denken!«

Allan sah plötzlich eine Gelegenheit zu einem Compliment und warf ihr dasselbe sofort mit der dritten Handvoll Blumen zu.

»Das will ich Ihnen gleich sagen, Miß Milroy«, antwortete er in seiner offenen knabenhaften Weise. »Ich denke, daß der glücklichste Spaziergang, den ich in meinem ganzen Leben gemacht habe, derjenige ist, der mich heute Morgen hierher führte.«

 

Er sah dabei lebhaft und schön aus. Er redete nicht zu einem Weibe, das von Bewunderung übersättigt war, sondern zu einem Mädchen, das eben erst sein Frauenleben begann – und es that ihm jedenfalls keinen Abbruch, daß er in der Rolle des Herrn von Thorpe-Ambrose sprach. Der reumüthige Ausdruck schwand allmählig aus Miß Milroy’s Gesichte; sie blickte bescheiden und lächelnd auf die Blumen in ihrem Schoße.

»Ich verdiene tüchtig ausgezankt zu werden«, sagte sie. »Ich verdiene keine Complimente Mr. Armadale, am allerwenigsten von Ihnen.«

»O, doch!« rief der ungestüme Allan, indem er behende aufsprang. »Und übrigens ist es kein Compliment; es ist wahr. Sie sind das hübscheste – ich bitte um Vergebung, Miß Milroy! Diesmal ging meine Zunge mit mir durch.«

Nichts fällt wohl der weiblichen Natur im Alter von sechzehn Jahren schwerer, als ernst zu sein. Miß Milroy kämpfte mit sich – kicherte – kämpfte abermals – und bezwang sich dann für den Augenblick.

Der Gärtner, der noch immer regungslos an derselben Stelle stand und auf die nächste passende Gelegenheit wartete, erblickte dieselbe jetzt und schob sanft sein persönliches Interesse in die erste Spalte des Schweigens, die sich für ihn geöffnet, seit Allan auf dem Schauplatze erschienen war.

»Ich heiße Sie bescheidentlich in Thorpe-Ambrose willkommen, Sir«, sagte Abraham Sage, hartnäckig seine kleine Vorstellungsrede noch einmal anfangend. »Ich heiße —«

Ehe er noch seinen Namen aussprechen konnte, blickte Miß Milroy zufällig in das halsstarrige Gesicht des Gartenkünstlers – und verlor augenblicklich und unwiderruflich alle Macht über ihren schwer errungenen Ernst. Allan, niemals abgeneigt, jeder Art von geräuschvollem Beispiele zu folgen, stimmte mit großem Behagen in ihr Gelächter ein. Der weise Mann der Gärten verrieth weder Erstaunen, noch zeigte er sich gekränkt. Er wartete einen abermaligen Augenblick des Schweigens ab und suchte denselben, als die beiden jungen Leute innehielten, um Athem zu schöpfen, wiederum mit einigen Worten zu Gunsten seiner persönlichen Interessen auszufüllen.

»Ich bin seit mehr als vierzig Jahren«, fuhr Abraham Sage unerschütterlich fort, »in diesen Anlagen —«

»Ihr sollt noch vierzig Jahre in diesen Anlagen beschäftigt bleiben«, erwiderte Allan, sobald er zu sprechen im Stande war, »wenn Ihr nur den Mund halten und Eurer Wege gehn wollt!«

»Danke Ihnen bestens, Sir«, sagte der Gärtner mit der äußersten Höflichkeit, doch ohne irgendein Anzeichen, daß er den Mund halten und seiner Wege gehen wolle.

»Nun?« sagte Allan.

Abraham Sage räusperte sich sorgfältig, nahm seinen Rechen aus der einen Hand in die andere, und indem er dieses unschätzbare Werkzeug mit ernstem Interesse und großer Aufmerksamkeit betrachtete, wandte sich dieser unerschütterliche Alte abermals an Allan: »Ich wünsche bei einer passenderen Gelegenheit einmal von meinem Sohne achtungsvollst zu Ihnen zu reden, Sir. Es wird Ihnen vielleicht im Laufe des Tages gelegener sein? Ihr ergebenster Diener, Sir, und meinen besten Dank. Mein Sohn ist streng mäßig. Er ist an den Stall gewöhnt und ein Mitglied der anglicanischen Kirche – ohne eine belästigende Familie.« Nachdem Abraham Sage in dieser Weise seinen Sohn provisorisch der Achtung seines Herrn empfohlen, schulterte er seinen unschätzbaren Rechen und humpelte langsam von dannen.

»Wenn dies eine Probe von einem zuverlässigen alten Diener ist«, sagte Allan, »so denke ich, daß ich es lieber wagen will, mich von einem neuen betrügen zu lassen. Jedenfalls, Miß Milroy, sollen Sie nicht wieder von ihm belästigt werden. Alle Blumenbeete in diesen Gärten stehen Ihnen zu Diensten – und alles Obst in der Obstzeit ebenfalls.

»O, Mr. Armadale, Sie sind sehr, sehr gütig. Wie soll ich Ihnen danken?«

Allan sah abermals eine Gelegenheit zu einem Complimente – einem sehr zierlichen Complimente – diesmal in Gestalt einer Schlinge.

»Sie können mir die größte Gefälligkeit erweisen«, sagte er, »indem Sie mir zur Verschönerung meiner Anlagen behilflich sind.«

»Mein Himmel! Wie das?« frug Miß Milroy unschuldig.

Allan zog die Schlinge fest zu, indem er sagte: »Indem Sie mich auf Ihrem Morgenspaziergange mitnehmen, Miß Milroy.« Er sprach – lächelte – und bot seinen Arm.

Sie sah ihrerseits die Gelegenheit zum Coquettiren. Sie legte ihre Hand in seinen Arm – erröthete – zögerte – und zog dieselbe plötzlich wieder zurück.

»Ich glaube nicht, daß es ganz recht ist, Mr. Armadale«, sagte sie, sich mit der größten Aufmerksamkeit mit ihren Blumen beschäftigend. »Sollten wir nicht irgendeine ältere Dame hier bei uns haben? Ist es nicht unpassend für mich, Ihren Arm anzunehmen, bis ich Sie ein wenig besser kenne? Ich bin dies zu fragen genöthigt, weil ich so wenig Anweisung gehabt habe. Ich habe so wenig von der Gesellschaft gesehen; ein Freund meines Papas sagte einmal, ich sei zu dreist für mein Alter. Was meinen Sie?«

»Ich denke, es ist ein Glück, daß der Freund Ihres Papas jetzt nicht hier ist«, antwortete Allan; »ich würde jedenfalls Streit mit ihm anfangen. Was die Gesellschaft betrifft, Miß Milroy, so weiß Niemand weniger von derselben als ich; doch wenn wir hier eine ältere Dame bei uns hätten, so muß ich meinestheils gestehen, daß sie mir außerordentlich im Wege sein würde. Wollen Sie nicht?« schloß Allan, indem er bittend nochmals seinen Arm anbot. »Bitte!«

Miß Milroy blickte seitwärts von ihren Blumen zu ihm hinauf. »Sie sind ebenso schlimm wie der Gärtner, Mr. Armadale!« Unschlüssig und fast zitternd ließ sie ihre Augen wieder zu Boden sinken. »Ich bin überzeugt, daß es unrecht ist«, sagte sie – und nahm unverzüglich und ohne das geringste Zögern seinen Arm.

Jung, froh und glücklich, schritten sie zusammen über den Rasen des Geheges, während der helle Sonnenschein des Sommermorgens auf ihren blumigen Pfad fiel.

»Und wohin gehn wir jetzt?« frug Allan. »Nach einem andern Garten?«

Sie lachte fröhlich. »Wie außerordentlich sonderbar von Ihnen, Mr. Armadale, dies nicht zu wissen, da es doch alles Ihnen gehört! Sehen Sie Thorpe-Ambrose wirklich heute Morgen zum ersten Male? Wie unbeschreiblich seltsam dies Ihnen erscheinen muß! Nein, nein, machen Sie mir für jetzt keine Complimente mehr. Sie könnten mir sonst den Kopf verdrehen. Wir haben die alte Dame nicht bei uns, und ich muß mich wirklich in Acht nehmen. Lassen Sie mich nützlich sein und Ihnen alles über Ihre eigenen Anlagen erzählen. Wir gehen zu jenem kleinen Pförtchen hinaus, und dann über eine Naturbrücke, und dann um die Ecke der Baumanlagen – wohin wohl? Dorthin, wo ich wohne, Mr. Armadale; nach dem reizenden kleinen Häuschen, das Sie dem Papa vermiethet haben. O, wenn Sie wüßten, wie glücklich wir uns schätzten, die Wohnung zu bekommen!«

Sie schwieg, sah zu ihrem Gefährten auf und hielt dadurch ein abermaliges Compliment zurück, das dem unverbesserlichen Allan eben auf den Lippen schwebte.

»Ich werde Ihren Arm loslassen, wenn Sie es sagen!« rief sie coquettirend. »Aber wir waren wirklich glücklich, das Häuschen zu erlangen, Mr. Armadale. Der Papa sagte an dem Tage, da wir einzogen, daß wir Ihnen große Dankbarkeit schuldig seien. Und ich sagte noch vor einer Woche dasselbe.«

»Sie, Miß Milroy!« rief Allan aus.

»Ja. Es überrascht Sie vielleicht, dies zu hören; aber wenn Sie dem Papa nicht dies Häuschen vermiethet hätten, so glaube ich, hätte ich die Schmach und den Jammer zu erleiden gehabt, daß man mich in die Schule sandte.«

Allan erinnerte sich des halben Kronthalers, den er auf dem Kajütentische seiner Jacht hatte kreiseln lassen. »Wenn sie wüßte, daß ich gewissermaßen das Loos darüber entscheiden ließ!« dachte er schuldbewußt.