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Antonia

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Er hielt ein, denn er hatte sich selbst zur Wuth an gestachelt. Seine Augen glühten, seine Wangen waren erhitzt, seine Stimme erhob sich. Hätte er auch nur den mindesten Schimmer von dem Schicksale haben können, welches künftige Jahrhunderte den Nachkommen des Geschlechts, welches jetzt gleich ihm im ganzen civilisirten Europa litt, erblicken – hätte er ahnen können, daß die zu seiner Zeit verachtete Mittelklasse sich zu Recht und Macht erheben, in ihren gerechten Händen die Wage des Blühens der Völker halten, die Bedrückung unterdrücken und die Regierung reguliren, sich in ihrem gewaltigen Fluge über Throne und Fürstenstühle und Rang und Reichthümer erheben, dem Anscheine nach gehorsam, in Wirklichkeit aber gebietend sein würde – hätte er dies voraussehen können – welches Licht müßte in seine Nacht gedrungen, welche Hoffnung ihn in seiner Verzweiflung beschwichtigt haben.

Zu welchen ferneren Extremitäten ihn sein Zorn hätte führen, zu welchen Verfahren der entrüstete Gordian, welcher aus seinem Versteck immer noch zuhörte, seine Zuflucht hätte nehmen können, läßt sich nur schwer bestimmen, denn die Klagen des unglücklichen Bauern und die Gedanken des gebieterischen Gutsverwalters wurden durch einen Tumult unterbrochen, der in diesem Augenblicke um einen Wagen todte, welcher so eben aus dem früher von uns beschriebenen Palaste kam.

Dieses Fuhrwerk sah wie eine einzige Silbermasse aus. Gestickte Seidenvorhänge flatterten aus seinen Fenstern, goldene Zierrathen bedeckten seine polirten Seiten und es enthielt keine geringere Person als den Edelmann welcher das Volk mit Körben voll Fleisch bewirthet hatte. Der Pöbel vor dem Palastthore hatte diese Thatsache erfahren. Eine solche Gelegenheit, seinen Jubel über seine Knechtschaft, seine thatsächliche Servilität in seiner eingebildeten Selbstständigkeit zu zeigen, durfte nicht verloren gehen und es brach daher beim Erscheinen seines Bewirthers in einen solchen Schwall von lärmender Dankbarkeit aus, daß ein in Rom Fremder geglaubt haben würde, daß sich die Stadt im Aufruhr befinde. Es sprang, es lief, es tanzte um die feurigen Rosse, es warf seine leeren Körbe in die Luft und streichelte zufrieden seine gerundeten Bäuche.

Während der Wagen weiter fuhr, erhielt es von allen Seiten neue Rekruten und neue Wichtigkeit. Die Schüchternen flohen vor ihm, die Lärmenden schrieen mit ihm, die Kühnen stürzten sich in seine Reihen und der stete Refrain seines Freudenchors war: »Gesundheit dem edeln Pomponius! Wohlsein den römischen Senatoren, die uns mit ihren Speisen nähren und uns frei in ihre Theater lassen! Ehre dem Pomponius! Ehre den Senatoren!«

Das Schicksal schien an jenem Tage ein Vergnügen daran zu finden, die unersättliche Neugier des Gutsverwalters Gordian zu befriedigen. Das Geschrei der dem Wagen folgenden Menge war kaum in der Entfernung verklungen, als von der entgegengesetzten Seite der Säule die Stimmen zweier Männer in leisem, vertraulichen Tone sein Ohr erreichten. Er schaute vorsichtig herum und sah, daß es Priester waren.

»Welcher ewige Witzling doch der Pomponius ist,« sagte eine Stimme; »er will sich Absolution holen und fährt in seinem Galawagen hin, als ob er seinen Triumph feiern wollte, statt seine Sünden zu beichten.«

»Hat er denn schon wieder eine Unklugheit begangen?«

»Leider ja! Für einen Senator mangelt es ihm entsetzlich an Vorsicht. Vor einigen Tagen warf er in einem Anfalle von Zorn, einer von seinen Sklavinnen einen Trinkbecher an den Kopf. Das Mädchen starb auf der Stelle und ihr Bruder, der sich ebenfalls in seinem Dienste befindet, drohte mit sofortiger Rache. Um unangenehme Folgen für seinen Körper zu verhindern, hat Pomponius den Burschen nach seinen Gütern in Egypten geschickt und geht jetzt in der gleichen Besorgniß, um die Wohlfahrt seiner Seele hin, um von unserer heiligen, gütigen Kirche Absolution zu verlangen.«

»Ich fürchte, daß uns diese Absolutionen, welche fortwährend Leuten bewilligt werden, die zu nachlässig sind, um Reue über ihre Verbrechen auch nur zu heucheln, uns bei dem Volke im Allgemeinen in Mißkredit bringen werden.«

»Was kümmern wir uns um die Ansichten des Volkes, so lange wir seine Herrscher auf unserer Seite haben? Die Absolution ist der Zauber, der diese römischen Wüstlinge an unsern Willen bindet. Wir wissen, wodurch Constantin bekehrt worden ist, durch politische Schmeichelei und die Bereitwilligkeit ihm Absolution zu geben. Das Volk wird Dir sagen, daß es das Zeichen des Kreuzes gewesen sei.«

»Es ist wahr, daß dieser Pomponius reich ist und unsere Einkünfte vermehren kann. Ich fürchte aber doch die Entrüstung des Volkes.«

»Fürchte nichts! Bedenke nur, wie lange es sich durch seine alten Institutionen hat betrügen lassen,und dann bezweifle, wenn Du kannst, daß wir es beliebig nach unsern Wünschen formen können. Bei dem Pöbel wird jede Täuschung von Erfolg sein, wenn das zu ihrer Beförderung angewendete Werkzeug nur eine Religion ist.«

Die Stimmen schwiegen. Gordian, der noch die unbestimmte Absicht hegte, den flüchtigen Gutsbesitzer den senatorischen Behörden anzuzeigen, verwendete die Freiheit welche das Verstummen der Priester seiner Aufmerksamkeit ließ, darauf, sich nach seinem beabsichtigten Opfer umzusehen. Zu seiner Ueberraschung bemerkte er, daß der Mann die Zuhörer, welche er früher angeredet, verlassen hatte und an einem andern Theile der Säulenhalle im ernsten Gespräche mit einem Individuum begriffen war, welches erst vor Kurzem zu ihm gestoßen zu sein schien und dessen Aeußercs so merkwürdig war, daß der Gutsverwalter einige Schritte vorwärts gethan hatte, um es näher zu betrachten, als er wieder von den Stimmen der Priester zurückgelockt wurde.

Auf einen Augenblick unschlüssig, welcher Seite er seine unserupulöse Aufmerksamkeit zuwenden sollte, kehrte er mechanisch nach seiner alten Stelle zurück. Bald jedoch überwog sein Verlangen die geheimnißvollen Mittheilungen zwischen dem Gutsbesitzer und seinem Freunde zu hören, seine Freude über das Eindringen in die theologischen Geheimnisse der Priester. Er wendete sich wieder um, zu seinem Erstaunen waren aber die Gegenstände seiner Neugier verschwunden. Er trat vor die Säulenhalle hinaus und sah sich überall nach ihnen um, aber sie waren nirgends zu erblicken.

Mürrisch und in seinen Erwartungen getäuscht, kehrte er als letzte Zuflucht zu der Säule, wo er die Priester verlassen hatte zurück; aber die auf seine Forschungen nach der einen Gesellschaft verwendete Zeit war seiner Wiedervereinigung mit der andern verderblich gewesen, auch die Priester waren fort.

Durch die Vereitelung seiner Hoffnungen hinreichend für seine Neugier bestraft, marschirte der Gutsverwalter mißmuthig, gegen den Monte Pincio hin, ab. Wenn er sich nach der entgegengesetzten Richtung, der St. Peters-Basilica, zugewendet hätte, so würde er sich wieder in der Nähe des Gutsbesitzers und seines auffallenden Freundes befunden und die Bekanntschaft mit den Gegenständen ihres Gesprächs erlangt haben, welche wir dem Leser im Laufe des folgenden Kapitels bestimmen.

Bis dahin sind unsere Enthüllungen zu Ende und die Aufmerksamkeit des Lesers kann sich wieder der Geschichte zuwenden. Ehe wir uns aber zur Fortsetzung derselben anschicken, möchten wir diejenigen, welche es interessirt, in die innern Gründe der Katastrophe von Rom zu dringen, nochmals bitten, aus einen Augenblick iiber die einzelnen Zeugnisse, welche wir hier für ihn gesammelt haben, nachzudenken. Er möge sich die mitwirkenden Zersetzungen in den Geist zurückrufen, welche die heftige sociale Krankheit bildeten, die zu dieser Periode innerhalb der Mauern der Stadt wüthete und ihren verpestenden Einfluß bis aus die entferntesten Gegenden des Reichs ausdehnte. Er möge mit Einem Blicke die Unwissenden, ausschweifenden, verthierten, bedrückten untern, die gekränkten, verfolgten, verlassenen Mittelklassen, die frivole, unverantwortliche gefühllose Aristokratie, die ehrgeizige, weltliche, heuchlerische Kirche, welche die Verderbniß des Staates hätte verbessern sollen, umfassen, und er wird die wirkliche Tiefe und Ausdehnung der allgemeinen Zersetzung der römischen Gesellschaft in jenem ereignißreichen Jahrhundert entdecken. Er möge sich endlich die Wirkung vorstellen, welche eine in frischer, kräftiger Jugend stehende zu ihrem ungeheuren Zwecke verbundene Nation, wie die Gothen hervorbrachte, als sie plötzlich auf ein Volk ohne Sympathie, Grundsätze, Ehrgeiz oder Hoffnung, um welche sich dasselbe wie um eine moralische Fahne in der Stunde der Noth scharen konnte, hereinbrach – er möge sich dies ausmalen und er wird kaum geneigt sein, Ausstellungen gegen die Wahrscheinlichkeit der Scenen zu erheben, durch die er in den künftigen Theilen dieses Werkes geführt werden wird, er wird nur wenig darüber erstaunen, daß das civilisirte Rom seine blendende Laufbahn mit der Niederwerfung vor einem Heere von Gothen schloß.

Kapitel II
Die Kirche

Im Jahre 324 errichtete Constantin auf der Stelle, wo dem Gerüchte nach, St. Petrus den Märtyrertod erlitten hatte, auf den Ruinen des Neronischen Circus die Kirche, welche die St. Peters Basilica genannt worden ist. Zwölf Jahrhunderte stand dieses von einem wegen seiner Mordthaten und Tyranneien berüchtigten Manne errichtetes Gebäude unverletzt unter allen den Stößen da, welche während jener langen Periode den übrigen Theil der Stadt verheerten. Nach dieser Zeit wurde es durch sein ehrwürdiges und berühmtes Alter bis zum Grunde schwankend von Papst Julius dem Zweiten entfernt, um den Grundlagen der neuen Kirche Platz zu machen.

Auf dieses zwölfhundertjährige von mit Blut befleckten Händen errichtete und doch stürmische Jahrhundert des Krieges hindurch als Stern des Friedens bewahrte, Gebäude wollen wir die Aufmerksamkeit des Lesers richten. Was für die neue Kirche die Kunst gethan, das hat für die alte die Zeit bewirkt. Wenn die eine durch ihre Großartigkeit dem Auge majestätisch erscheint, so ist die andere durch ihr Alter der Erinnerung geheiligt.

 

Wie diese Kirche durch ihre Erbauung die triumphirende Einsetzung des Christenthums als der Religion von Rom verherrlichte, so spiegelte sie in ihrem Fortschreiten auch jede durch den Ehrgeiz, die Verschwendungssucht oder die Frivolität der Priester im Geiste der neuen Gottesverehrung hervorgebrachte Veränderung ab. Anfänglich stand sie Ehrfurcht erregend, imposant und in allen Theilen so schön, wie die Religion, zu deren Ruhme sie aufgebaut war, da. Mächtige Porphyrsäulen zierten ihre Zugänge und umgaben einen Brunnen, dessen Wasser aus einer riesenhaften broncenen Pinie hervorsprudelte. Ihre doppelten Flügelreihen wurden jede durch achtundvierzig Säulen von kostbarem Marmor getragen, ihre flache Decke mit von der Befleckung der heiligen Tempel erretteten Balken von vergoldetem Metall geziert. Ihre Wände waren mit großen Gemälden von religiösen Gegenständen geschmückt und ihr Altar mit elegantem Mosaik besetzt. So erhob sie sich einfach und doch erhaben, ehrfurchtgebietend und doch anlockend in diesem ihren Anfange als Sinnbild des Morgens der Gottesverehrung, die zu vertreten sie errichtet worden war.

Als die Priester aber von ihrem Erfolge angefeuert das Christenthum als ihren Pfad zur Politik und ihr Mittel zur Macht erwählten, begann sich der Anblick der Kirche allmälig zu verändern. Wie der ehrgeizige Mensch langsam und allmälig den Mantel seiner Mysterien, Lehren und Streitigkeiten um die ursprüngliche Reinheit des ihm von Gott gegebenen Gebäudes legt, so begannen auch allmälig prunkende Zierrathen und entstellende Veränderungen die majestätische Basiliea zu beflecken, bis zu dem drohenden und tadelnden Auftreten des Heiden Julian, wo der Kirche sowohl wie den Priestern in ihren verderbten Fortschritten plötzlicher und nachdrücklicher Einhalt gethan wurde.

Sobald die kurze Periode des Wiederauflebens des Götzendienstes einmal vorüber war, begannen die Priester, von der erhaltenen Warnung unbeirrt mit erneuter Kraft das zu verwirren, was in ihrem Evangelium wie in ihrer Kirche einst einfach gewesen war. Täglich sendeten sie neue Abhandlungen in die Welt, erhoben hitzige Controversen, spalteten sich in neue Sekten und täglich veränderten sie mehr und mehr das einst edle Aussehen der alten Basiliea. Sie hingen ihre widerlichen Reliquien an ihre mächtigen Mauern, sie steckten ihre winzigen Kerzen an die herrlichen Säulen, sie zogen ihre flitterprunkenden Franzen um die massiven Altäre. Hier polirten, dort stickten sie. Wo ein Fenster zu sehen war, verhingen sie es mit bunten Tüchern, wo sich eine Statue befand, bedeckten sie dieselbe mit künstlichen Blumen, wo eine Ehrfurcht erweckende Nische zu sehen war, verderbten sie ihre feierliche Dunkelheit durch hereingelassenes Licht, bis es ihnen zur Zeit unserer Geschichte so vollständig gelungen war, das Aussehen des Gebäudes zu verändern, daß es im Innern eher wie ein ungeheurer heidnischer Spielwaarenladen, als eine christliche Kirche aussah. Hier und da erhob sich allerdings eine Säule oder ein Altar, in der alten Einfachheit und bildete mit der Ziererei rund umher denselben Kontrast, wie eine Stelle aus der heiligen Schrift, wenn sie in einer Predigt jener Zeit citirt worden wäre.

Was aber den allgemeinen Anblick der Basilica betraf, so schien die ernste Schönheit ihrer ersten Tage unwiderstehlich entflohen und vernichtet zu sein.

Nachdem was über das Gebäude gesagt worden ist, wird sich der Leser leicht vorstellen, daß der Platz, auf welchem es stand, selbst mit noch größerer Schnelligkeit wie die Kirche, alle Großartigkeit, welche er einst besessen haben mochte, verlor. Wenn die Cathedrale jetzt aussah wie ein ungeheuerer Spielwaarenladen, so boten die Säulengänge an derselben den Anblick eines unermeßlichen Jahrmarktes.

er Tag, von welchem wir im vorigen Kapitel gesprochen haben, neigte sich schnell seinem Ende zu, als sich die Bewohner der Straßen auf dem westlichen Ufer des Tiber, darauf vorbereiteten, sich der Menge anzuschließen, welche sie nach der Peterskirche zu an ihren Fenstern vorübergehen sahen. Der Grund dieses plötzlichen Zusammenflusses des Volksstromes zeigte sich allen, die in der Nähe einer Kirche oder eines öffentlichen Gebäudes waren, hinreichend an einem dort zu erblickenden künstlich, ausgemalten, großen Pergamentblatte auf einer hohen Stange, welches durch zwei bewaffnete Soldaten vor der Berührung der neugierigen Menge geschützt wurde. Die Anzeigen auf diesem sonderbaren Plakate waren alle von gleicher Art und richteten sich auf den gleichen Zweck. Auf jedem von ihnen benachrichtigte der Bischof von Rom seine »frommen und ehrenwerthen Brüder« – die Bewohner der Stadt, daß, da der folgende Tag der Jahrestag des Märtyrertodes des St. Lucas sei, nothwendiger Weise an diesem Abend die Vigilie in der St. Peterskirche gehalten und in Betracht der Wichtigkeit des Anlasses vor dem Beginn der Ceremonie die kostbaren, auf den Tod des Heiligen bezüglichen Reliquien gezeigt werden würden, welche ein unschätzbares Erbtheil der Kirche geworden seien und aus einem Zweige des Olivenbaumes, an welchen St. Lucas gehangen worden war, einem Stücke der Schlinge, mit Einschluß des Knotens, die man um seinen Hals gelegt hatte, und einem von seiner Hand gemalten Bilde der Verklärung der heiligen Jungfrau bestanden.

Nach einigen wehklagenden Sätzen über die Leiden des Heiligen, die Niemand las und welche hier wiederzugeben unnöthig ist, besagte die Proklamation weiter, daß im Laufe der Vigilie eine Predigt gehalten und später der große Kronleuchter mit seinen Zweitausend vierhundert Flammen angezündet werden würde, um die Kirche zu erleuchten. Endlich forderte der wackere Bischof alle Mitglieder seiner Heerde auf, sich in Betracht der Feierlichkeit des Tages der sinnlichen Vergnügen zu enthalten, damit sie um so frommer und würdiger die ihrem Anblicke ausgesetzten Gegenstände betrachten und die ihrem Geiste gebotene geistige Nahrung verdauen könnten.

Nach dem Pröbchem welches wir bereits vom Charakter des römischen Volkes gegeben haben, werden wir wohl kaum zu sagen brauchen, daß die Hauptlockungen, welche dieser theologische Speisezettel bot, die Reliquien und die Kronleuchter waren.

Die Kanzelberedtsamkeit und die Vigilienfeierlichkeit allein hätten lange ihre nüchternere Anziehungskraft entwickeln müssen, ehe sie auch nur den fünfzigsten Theil der ungeheuern Menge, welche jetzt der entweihten Basilica zueilte, auf die Straßen zu ziehen vermocht hätten. Die bald herbeigeströmte Versammlung war in der That so Ungeheuer, daß die ersten Reihen von Neugierigen bereits die Kirche bis zum Ueberftrömen angefüllt hatten, ehe die Hintersten auch nur die Säulengänge erblickten.

Wie unzufrieden der nicht zum Schauspiel gelangte Theil der Bürger auch über seine Ausschließung von der Kirche sein mochte, so fand er doch einen mächtigen Gegenreiz in den Belustigungen auf dem Platze, wo die Anwesenden vollkommen achtlos gegen die Ermahnungen des Bischofs in Betreff des der Feierlichkeit des Tages angemessenen anständigen Benehmens zu sein schienen. Wie um der von der Geistlichkeit empfohlenen Ruhe und Ordnung Trotz zu bieten, waren aus den breiten Steinen des großen Raumes vor der Kirche volksthümliche Schaustellungen jeder Akt versammelt, Straßentänzerinnen übten auf jeder freien Stelle die »kleidenden Umdrehungen,« welche der wackere Ammianus Marcellinus, sittlichen und historischen Andenkens, so beredt verdammt. Mit Reliquien von zweifelhafter Authenticität vollgestopste Buden, mit nett geschriebenen Auszügen wüthender Streitschriften angefüllte Körbe, in Heiligenbilder umgeschaffene heidnische Götzen, bildliche Darstellungen von sich in der Verdammniß krümmenden Arianern und in Glorien von himmlischen Lichte triumphirenden Märtyrern lockte auf allen Seiten die frömern Zuschauer an. Köche wandelten mit ihren Laden auf dem Rücken umher; rivalisirende Sklavenhändler schrieen Bitten um Kundschaft aus, Weinhändler lehrten, aus ihren Fassern sitzend, die bachische Philosophie, Dichter recitirten zum Verkauf ausgebotene Verse, Sophisten hielten Reden zur Bekehrung der Schwankenden und Verblüffung der Unwissenden. Unablässige Bewegung und unaufhörlicher Lärm schienen die einzigen Entschädigungen zu sein, welche die Menge von dem Ausschluß der Kirche suchte.

Wenn sich ein Fremder, nachdem er die Proklamation des Tages gelesen, nach der Basilica begeben hätte, um seine Augen an der herrlichen Versammlung zu weiden, welche der Bischof seine »frommen und ehrenwerthen Brüder« nannte, so hätte er, falls er sich in diesem Augenblicke unter die Menge mischte, entweder die Wahrheit der bischöflichen Bezeichnung bezweifeln, oder den Bürgern die Verfeinerung des innern Werthes zuschreiben müssen, welcher von zu erhabener Art ist, um aus den Charakter des äußerlichen Menschen Einfluß zu üben.

Als die Sonne unterging, konnte es nichts Malerischeres geben, als den Anblick dieses muntern Schauspiels aus der Ferne. Die dunkelrothen Strahlen des scheidenden Lichtkörpers ergossen ihren Glanz zum Theil hinter der Kirche her über die ungeheure Menge auf dem Platze. Das gesättigte Licht spielte hell und schimmernd auf dem ihm in aller Schönheit seiner natürlichen flüchtigen Form auf dem Brunnen entgegensprudelndem Wasser. In jenem purpurnen Schein gebadet, warfen die glatten Porphhrsäulen chamäleonartige, ätherische, wechselnde Tinten zurück. Die weißen Marmorstatuen überzogen sich mit einer zarten Rosenfarbe und die dunkeln Bäume leuchteten in ihren innersten Laubtiefen wie in einen goldenen Nebel getaucht; während, im seltsamen Contrast mit dem wunderbaren Strahlenglanze um sie her, die ungeheure broncene Pinie in der Mitte des Platzes und die breite Fronte der Basilica sich im dunkeln Schatten unbestimmt und kolossal erhoben; wie böse Geister über der heitern Schönheit des übrigen Schauspiels lauerten und ihre tiefen Schlagschatten mitten in das Licht, dessen Herrschaft sie verachteten, warfen.

Aus der Ferne betrachtet, bildete diese phantastische Vereinigung blendenden Glanzes und feierlicher Düsterkeit – diese auf der einen Stelle, so daß sie riesenhaft aussahen, verdunkelten, auf der Andern, so daß sie ätherisch zu sein schienen, erhellten Gebäude, diese wogenden Gruppen, die eine auf dem einen Punkte im strahlenden Licht schimmernde, an dem andern in dichten Schatten verdunkeln, bewegliche Masse ausmachten – ein so ungleichartiges und doch so schönes, so groteskes und doch so erhabenes Ganze, daß die Scene für den Augenblick eher einem durch seine Nähe an der Erde halb verdunkeltem bewohnten Meteor als einem irdischen, materiellen Schauspiele glich.

Die Schönheiten dieses atmosphärischen Effektes waren von viel zu ernster und hoher Natur, um die Menge auf dem Platze zu interessiren. Von der ganzen Versammlung beobachteten nur zwei Menschen den herrlichen Sonnenuntergang mit einer Spur der Bewunderung und Aufmerksamkeit, welche er verdiente. Der Eine war der Gutsbesitzer, dessen Unglück wir im vorigen Kapitel erzählt haben, der Andere sein merkwürdig Freund.

Diese beiden Männer bildeten in ihrem Aeußern wie in ihrem Benehmen einen eigenthümlichen Kontrast mit einander, als sie so auf den purpurnen Himmel blickten. Der Bauer war ein untersetzter, ruhelos aussehender Mann, dessen von Natur eckigen Züge jetzt durch einen starren Ausdruck des Elends und der Unzufriedenheit verzerrt waren. Sein scharfer durchdringender Blick schweifte unablässig von einem Orte zum andern, bemerkte alle Gegenstände, ruhten aber auf keinem. Seine Aufmerksamkeit für das Schauspiel vor ihm schien eher durch den Einfluß des Beispiels veranlaßt zu sein, als durch seine eignen, freiwilligen Gefühle, denn er blickte in kurzen Zwischenräumen ungeduldig auf seinen Freund, als erwarte er, daß dieser sprechen würde, aber sein nachdenklicher Gefährte ließ weder ein Wort noch eine Bewegung wahrnehmen. Ausschließlich mit seinen eignen Betrachtungen beschäftigt, schien er für jeden gewöhnlichem äußeren Aufruf vollkommen unempfindlich zu sein.

Seinem Alter und Aussehen nach war dieses Individuum schon betagt, denn es hatte sechszig Jahre gezählt; sein Haar war völlig ergraut und sein Gesicht mit tiefen Runzeln bedeckt. Trotz aller dieser Nachtheile war er aber doch im höchsten Sinne des Wortes ein schöner Mann. Seine abgemagerten Züge waren immer noch kühn und regelmäßig und in dem zur Gewohnheit gewordenen Trübsinn seines Ausdrucks lag eine Höhe und in seinen etwas strengen, ernsten Augen eine Intelligenz, die beredtes Zeugniß für die Ueberlegenheit seiner intellectuellen Kräfte ablegte.

Als er jetzt fest auf den goldenen Himmel hinausblickend mit halb auf seinen Stab gestützter, schlanker magerer Gestalt, fest zusammengepreßten Lippen, leicht gerunzelter Stirn und ruhiger, bewegungsloser Haltung dastand, mußte auch der oberflächlichste Beobachter augenblicklich fühlen, daß er kein gewöhnliches Wesen vor sich hatte. Die Geschichte eines Lebens voll tiefen Denkens, vielleicht auch langer Bekümmerniß schien auf jedem Zuge seines sinnenden Gesichts geschrieben zu stehen und sein Wesen zeigte eine natürliche Würde, die offenbar seinem rastlosen Gefährten abhielt, den Lauf seiner Reflexionen entschieden zu unterbrechen.

 

Langsam und prächtig war die Sonne am Horizont hinabgesunken, bis sie jetzt gänzlich den Blicken entschwand. Als ihre letzten Strahlen an den fernen Bergen verglommen waren, schrak der Fremde aus seinen Träumen auf, näherte sich dem Bauer und deutete mit seinem Stabe auf, die schnellverbleichende Helligkeit des westlichen Himmels.

»Probus,« sagte er mit leiser wehmüthiger Stimme. Als ich diesen Sonnenuntergang anblickte, dachte ich an den Zustand der Kirche.«

»Ich sehe an der Kirche wenig zu denken und am Sonnenuntergange nicht viel Bemerkenswerthes,« entgegnete sein Gefährte.

»Wie rein, wie glänzend,« murmelte Jener, kaum die Bemerkung des Gutsbesitzers beachtend, »war das Licht, welches die-Sonne über die Erde zu unsern Füßen warf! Wie herrlich triumphirte seine Helligkeit eine Zeitlang über die Schatten um uns her und doch, wie schnell verblich es trotz der Verheißungen dieses Strahlenschimmers in seinem Kampfe mit der Finsterniß – wie gänzlich ist es jetzt schon von der Erde geschieden und hat die Schönheit seines Schimmers dem Himmel entzogen! Schon Verlängern sich die Schatten um uns und hüllen jeden Gegenstand auf dem Platze in ihr Dunkel ein; kaum noch eine kurze Stunde und die Schwärze der Nacht wird sich – wenn der Mond nicht erscheint – widerstandslos über Rom ausbreiten!.«

»Zu welchem Zwecke sagst Du mir das?«

»Erinnert Dich nicht das, was wir beobachtet haben, an die Laufbahn der Religion, die zu bekennen wir das Glück haben. Bezeichnet nicht jenes erste herrliche Licht ihren reinen vollkommenen Aufgang, jener kurze Kampf zwischen Helligkeit und Finsterniß ihre erfolgreiche Bewahrung durch die Apostel und Väter, das schnelle Verbleichen der Strahlen, ihre Entweihung in späterer Zeit und das uns jetzt umgebende Dunkel, das Verderben, welches sie in dem Zeitalter, wo wir leben, umschlungen hat? – ein Verderben, welches nichts abwenden kann, als die Rückkehr zu dem reinen ersten Glauben, welche jetzt die Hoffnung unserer Religion sein muß, wie der Mond die Hoffnung der Nacht ist?«

»Wie sollen wir reformiren? Kümmern sich Menschen, die keine Freiheit haben, um die Religion?« Wen soll sie belehren?«

»Ich habe es gethan – ich werde es thun. Es ist der Zweck meines Lebens, ihnen die Heiligkeit der alten Kirche zurückzugeben; sie aus den Fallstricken der Hochverräther am Glauben, die die Menschen Priester nennen, zu erlösen. Sie sollen durch mich erfahren, daß die Kirche einst keinen Schmuck? gekannt hat, als die Gegenwart der Reinen, daß der Priester kein schöneres Gewand begehrt hat, als seine Frömmigkeit, daß das Evangelium, welches einst Demuthlehrte und jetzt Uneinigkeit erregt, in früheren Zeiten, die Regel des Glaubens, für alle Bedürfnisse genügend, alle Schwierigkeiten beherrschend – war. Durch mich sollen sie erfahren, daß es in alter Zeit der Hüter des Herzens war, durch mich sollen sie sehen, daß es jetzt ein Spielzeug der Stolzen ist – durch mich sollen sie fürchten, daß es in künftigen Tagen aus der Kirche verbannt werden kann!

»Dieser Aufgabe habe ich mich geweiht, dem Umsturz dieses Götzendienstes, welcher sich mit seinen Bildern, Reliquien, Juwelen und seinem Golde gleich einem zweiten Heidenthume unter uns erhebt, will ich mein Kind, mein Leben, meine Kräfte und Habe weihen. Von diesem Versuche werde ich mich nie abwenden – vor diesem Entschlusse nie zurückweichen. So lange ich noch einen Hauch des Lebens besitze werde ich darauf beharren, dieser gottlosen Stadt die wahre Verehrung des Höchsten wiederzugeben!«

Er brach kurz ab. Die Fülle seiner Bewegung schien ihm plötzlich die Fähigkeit der Rede zu rauben. Jede Muskel im ganzen Körper jenes strengen, trüben Mannes bebte bei den unsterblichen Eingebungen seiner Seele. Es lag fast etwas Weibliches in seiner gänzlichen Hingebung an den Einfluß einer einzigen Empfindung. Selbst der rauhe, verzweifelte Gutsbesitzer fühlte Ehrfurcht vor dem Enthusiasmus des Wesens vor ihm und vergaß das ihm widerfahrene Unrecht, trotz seiner Furchtbarkeit, und sein Elend, so drückend es auch war, als er in das Gesicht seines Gefährten blickte.

Einige Minuten lang sprach Keiner von den Männern weiter ein Wort. Bald beschwichtigte jedoch der, welcher zuletzt gesprochen, seine Aufregung mit der Selbstbeherrschung eines Mannes, der gewohnt ist, die Bewegung, welche er nicht ersticken kann, zu unterdrücken, trat auf den Gutsbesitzer zu und ergriff trübe dessen Hand.

»Ich sehe, Probus, daß ich Dich überrascht habe,« sagte er, »aber die Kirche ist der einzige Gegenstand, über welchen ich keine Zurückhaltung besitze. In allen anderen Dingen habe ich die Hitze meiner frühem Jahre besiegt, in diesem muß ich immer noch mit meinem ungeberdigen Herzen kämpfen. Wenn ich auf die Betrügereien, welche um uns aufgeführt werden, blicke, wenn ich eine lügnerische Priesterschaft, ein getäuschtes Volk, eine befleckte Religion sehe, dann gestehe ich, daß die Entrüstung meine Geduld überwältigt, und ich da, wo ich nur zu verbessern hossen sollte, zu vernichten glühe.«

»Ich weiß, daß Deine Einbildungskraft stets höchst lebhaft war; als ich Dich aber das letzte Mal sah, war Dein Enthusiasmus der der Liebe, Dein Weib —«

»Frieden! sie hat mich betrogen.«

»Dein Kind —«

»Lebt bei mir in Rom.«

»Ich erinnere mich ihrer aus ihrer frühesten Jugend, als ich vor vierzehn Jahren Dein Nachbar in Gallien war. Bei meiner Abreise aus der Provinz warst Du so eben von einer Reise nach Italien zurückgekehrt und ohne Erfolg in Deinen Versuchen gewesen, dort eine Spur von Deinen Eltern oder dem älteren Bruder zu entdecken, dessen Abwesenheit von Dir Du beständig zu beklagen pflegtest. Sage mir, hast Du seit jener Periode die Mitglieder Deines vormaligen Haushalts entdeckt? Bisher bist Du so damit beschäftigt gewesen, die Geschichte des mir widerfahrenen Unrechtes anzuhören, daß Du kaum von den Veränderungen gesprochen hast, welche seit unserer letzten Begegnung in Deinem Leben vorgegangen sind.«

»Wenn ich in Bezug auf mich gegen Dich geschwiegen habe, Probus, so ist es deshalb geschehen, weil der Rückblick für mich wenig Anziehendes besitzt. So lange es noch in meiner Macht stand, zu den Eltern zurückzukehren, die ich in meinen Knabenjahren verlassen hatte, dachte ich nicht an Reue, und jetzt, wo sie nur zu gewiß für mich verloren sind, ist meine Sehnsucht nach ihnen nutzlos. Von meinem Bruder, den ich in einem Augenblicke kindischer Eifersucht und Erzürnung verließ und für dessen Verzeihung und Liebe ich selbst meinen Ehrgeiz opfern würde, habe ich noch keine Spur zu entdecken vermocht. Die Entschädigung Derjenigen, welche ich in meinen frühem Jahren verletzt habe, ist ein den Gebeten meines Alters versagtes Vorrecht. Ich schied ungesegnet von meinen Eltern und meinem Bruder und fühle, daß ich dazu bestimmt bin, zu sterben, ohne ihren Segen und ihre Verzeihung erhalten zu haben. Mein Leben ist leichtsinnig, nutzlos, gottlos gewesen, von Raub und Gewaltthat zu Ueppigkeit und Trägheit übergegangen und hat mich zu der Heirath geführt, in welcher ich triumphirte, als ich Dich das letzte Mal sah, die aber, wie ich jetzt fühle, in ihren Beweggründen meiner eben so unwürdig, wie in ihren Resultaten war. Aber gesegnet, dreifach gesegnet sei jenes letzte Unglück meiner gottlosen Existenz, denn es öffnete meine Augen der Wahrheit – es machte mich zu einem Christen, während ich noch das Leben hatte. Damals war es, Probus, als ich mich verlassen und entehrt sah, allein geblieben, um der Hüter meines hülflosen Kindes zu sein, auf ewig aus einem Vaterhause, dem ich selbst entsagt, verbannt, daß ich ernstlich meine Missethaten bereute, daß ich Weisheit in dem Buche des Heils und Lebensregeln bei den Vätern der Kirche suchte.