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Der Mann im Mond

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DIE FREILINGER

Die Leute in Freilingen sind wie überall; es vergingen keine acht Tage, so wußte jedes Kind, daß Präsidents Ida und der reiche Pole ein Paar seien. Die Freilinger ärgerten sich nur darüber, daß man ihnen Sand in die Augen streuen wolle; daß die beiden Leutchen einander vorher schon gekannt hatten, war am Tage; denn wie sollte Martiniz an gleichem Tage mit ihr ankommen, was sollte er überhaupt in dem obskuren Freilingen so lange tun, als weil er Ida liebte, die, Gott weiß durch was für Kunstgriffe, den Goldfisch in ihr Netzchen gelockt hatte? Papa-Präsident—nun, dem schwefelte man etwas Blaues vor, daß der Herr Graf doch mit Ehren ins Haus kommen konnte; was da beim Tee vorging, das wußte freilich jedermann, weil man hie und da so ein paar Respektspersonen dazu einlud; aber was vormittags im Zimmer, nachmittags im Garten, abends nach dem Tee vorging, das wußte niemand; beten werden sie nicht mit einander, sagten die Leute; da spricht man wohl immer von dem Hofrat Berner, der sei ja hinten und vorn dabei, daß ja nichts Unrechtes geschehen könne; aber man wußte ja von früher her, wie er dem Mädchen alle losen Streiche durch die Finger sah; jetzt wird es nicht viel anders sein, da sie größer ist. So urteilte die Welt; sie urteilte aber noch weiter: das Mädchen, die Ida, tut jetzt so jüngferlich und so zimperlich, als wäre sie in der Residenz eine Vestalin geworden, und vorher war sie wild, ausgelassen, trotzig; das müßte ja ein Gott sein, der aus einer solchen Hummel ein reputierliches Mädchen ziehen wollte. Aber in allen Instituten ist man seit neuerer Zeit viel pfiffiger geworden; da sagt man den Mädchen: Ihr könnt alles tun; aber haltet Maß und treibet es fein! Daher kommt es, daß jetzt lauter Tugendspiegel aus den Instituten kommen. Sonst kamen sie ein wenig affektiert, ein wenig frei nach französischem Schnitt und Ton; jetzt weiß man das ganz anders; sittsam, keusch, ehrbar, alles, was sie sein sollten, sind sie, da fehlt sich's nicht, vollkommen, wenn man es so von der Seite sieht. Kommt aber so ein Pole, so ein Graf Weißnichtwoher und Baron Nirgendan, so bewahrt man den Schein, und damit holla! So urteilten die Freilinger von dem edelsten, besten Mädchen, das in ihren Mauern war; so urteilten sie, und wie das Böse überall schneller um sich greift als das Gute, so wußte und glaubte schon nach acht Tagen die ganze Stadt, was ein paar Muhmen bei einer Tasse Kaffee ausgeheckt hatten. Auch über den harmlosen Martiniz erging das nämliche Gericht.

Leute wie die Freilinger können nichts weniger leiden, als wenn Menschen unter ihnen umherwandeln, von denen sie nicht alles vom A bis zum Z wissen, woher und wohin, was sie für Pläne haben usw. Kauft einer nicht ein Pferd oder ein Paar Ochsen oder ein paar Hufen Landes, so ist er ein unerträglicher Geheimniskrämer, der allein das Vorrecht haben wolle, daß die Leute nicht wissen sollen, was an ihm ist. Dieser Pole vollends versündigte sich auf die impertinenteste Art an Freilingen. Er schien kein Frauenzimmer zu bemerken als Ida; und doch gab es viele, die ihm ihre Aufmerksamkeit da und dort bezeigt hatten; er war reich, gab viel Geld aus, und doch konnte niemand sagen, was er denn eigentlich im Städtchen zu tun habe; schon sein ernstes, bleiches Gesicht war ihnen wie ein verschlossenes Buch, das sie gar zu gerne durchblättert hätten. Das ist ein Bruder Liederlich, sagten die einen, man sieht es ihm an der Farbe an, ein Mensch ohne ein Fünkchen Lebensart; sonst würde er wenigstens seine Tischnachbarn mit seinen näheren Verhältnissen bekannt machen, würde auch in andere anständige Zirkel kommen als nur zu Präsidents. So urteilten sie von Martiniz, zuckten die Achseln, wenn sie von ihm und seinem Verhältnis zu Ida sprachen; darin waren sie aber alle einverstanden, daß der Präsident von seinen Verhältnissen doch etwas wissen müsse; denn er lächelte so geheimnisvoll, wenn man ihn wegen des Fremden anbohrte.

Alt und jung kannte bald den fremden Grafen, und überall kursierte er unter dem Namen "der Mann im Mond"; denn sein geisterhaft bleiches Gesicht, sein Aufenthalt im Goldenen Mond hatte dem Volkswitz Anlaß zu diesem Spottnamen gegeben, und selbst Ida, als sie es erfuhr, nannte ihn nie anders als den "Mann im Mond".

* * * * *

FEINDLICHE MINEN

Wie es übrigens zu gehen pflegt: die ärgsten Feinde Idas und des Grafen ließen sich öffentlich am wenigsten über dies Verhältnis aus. Frau von Schulderoff und Fräulein von Sorben fühlten sich bis zum Tod beleidigt; aber sie hielten öffentlich an sich und schwiegen.

Beide hatten sich vorher wenig gesehen; denn sie waren etwas über den Fuß gespannt; der Leutnant Schulderoff hatte einmal einen ganzen Winter hindurch dem Fräulein die Cour gemacht; das Verhältnis hatte sich aber aufgelöst, man wußte nicht wie. Jetzt, da sie in einem Spital krank waren, jetzt näherten sie sich wieder, und obgleich das Fräulein in ihrem Herzen der Frau von Schulderoff schuld gab, sie habe den Sohn aus ihren Netzen gezogen, so vergaß sie doch einstweilen diese Kränkung, um diese neuere besser zu tragen oder zu rächen. Die Frauen sehen in solchen Sachen feiner und viel weiter als jeder Mann an ihrer Statt; so hatte die Sorben bald weggehabt, daß das Unglück des Leutnants vor dem Hause des Präsidenten, von dem die ganze Stadt sprach, wohl nicht so zufällig sei, als man es erzählte; sie hatte durch ihre Kundschafter bald weggehabt, daß die Nachtmusik, von den zwanzig Regimentstrompetern aufgeführt, nicht den Grafen, sondern Leutnant Schulderoff zum Urheber habe, der, wie die Juden die Mauern von Jericho, so die Steinwälle und Gußeisentore von Idas Herzen mit Zinken und Posaunen habe niederblasen wollen.

Dies alles fühlte sie recht gut und kalkulierte, was sie nicht wußte, so richtig zusammen, daß sie über den ganzen Roman des Herrn von Schulderoff Rechenschaft geben konnte. Die Mama des verunglückten Liebhabers, der seit der Nachtmusik nur noch spröder behandelt worden war,—mochte sie nun ahnen, daß die Sorben auch ein wenig verletzt sei, oder mochte sie nur einen gewissen Verwandtschaftsneid zwischen dem Fräulein und Ida voraussetzen,—sie besuchte von freien Stücken die Sorben, teilte ihr mit, was sie wußte, und ließ sich mitteilen, was das Fräulein im stillen erlauscht und erspäht hatte. Übrigens lebte auch sie in der festen Überzeugung, Martiniz und Ida haben sich schon lange gekannt und er sei ihr nach Freilingen nachgefolgt; denn von den nächtlichen Leiden des unglücklichen Grafen ahnte niemand auch nur ein Silbchen, so verschwiegen war der Küster des Münsters in dieser Sache.

Unbegreiflich war und blieb es übrigens sowohl der Frau von Schulderoff, als der Sorben, warum der Graf, der doch sein eigener Herr schien, nicht schon lange bei dem Präsidenten um Idas Hand gefreit habe; sie, die sich kein anderes Hindernis dachten, sie, die nur einen Grund sehen wollten, waren einig darüber, daß es dem Grafen entweder nicht recht ernst sei, oder daß es sonst irgendwo ein Häkchen haben müsse. So hatten beide Damen schon seit vielen Nachmittagen und Abenden, die sie bei Kaffee oder Tee miteinander zubrachten, kalkuliert, und immer schien es ihnen, sie haben noch nicht das Rechte getroffen; da traf es sich, daß ein Kammerherr, den Frau von Schulderoff kannte, durch Freilingen kam und der gnädigen Frau, bei welcher Fräulein Sorben gerade auf Kaffee war, während man umspannte, einen Besuch machte.

Wessen das Herz voll ist, des geht der Mund über. Der Kammerherr hatte kaum seine Tagesneuigkeiten vom Hof ausgepackt, als Frau von Schulderoff auch auf Ida und den Grafen kam und den Kammerherrn fragte, ob sie wohl schon in der Residenz liiert gewesen seien.

Der Kammerherr horchte hoch auf bei dem Namen des Grafen Martiniz. "Wie ist mir denn?" sagte er. "Ist das nicht der polnische Graf mit den drei Milliönchen, der unsere Gräfin Aarstein—Ja, wahrhaftig! Jetzt fällt es mir erst ein—in dieser Gegend, sagte man, werde er sich ankaufen, und darum ist er wohl hier. Nein, meine Gnädigen, mit Fräulein Ida von Sanden war der Pole in der Residenz nicht liiert; denn er war noch nie in der Residenz, wird aber dort jeden Tag erwartet; das Verhältnis, das er hier angeknüpft hat,—da können Sie sich auf Ehre darauf verlassen,—ist nur so en passant, weil er vielleicht nichts zu tun hat; nein, der ist nicht für die Sanden!"

Die beiden Damen warfen sich bedeutende Blicke zu, als sie diese Nachrichten hörten. "Sie sprachen vorhin von der Gräfin Aarstein," sagte die Schulderoff, "darf man fragen, wie diese—"

"Die Aarstein will ihn heiraten," warf der Kammerherr leicht hin, "sie hat es jetzt genug, die Witwe zu spielen; der Hof wünscht sie wieder vermählt zu sehen, und zwar soll es, weil der Fürst überdrüssig ist, ihre enormen Schulden zu bezahlen, etwas Reiches sein. Da kommt wie ein Engel vom Himmel dieser Pole ins Land, um sich hier anzukaufen; er ist von seinem Gesandten der Regierung aufs dringendste empfohlen; denn man macht hauptsächlich wegen seines Oheims, der Minister in ….schen Diensten ist, ein großes Wesen aus ihm; kaum hört die Aarstein von den drei Millionen und dem alten Oheim, der ihm einmal ebensoviel hinterläßt, so erklärt sie mit schwärmerischer Liebe—Sie kennen ihr liebevolles, ahnendes Herz–: 'Diesen und keinen andern!' Man ist höheren Orts schon gewöhnt, ihrem Trotzköpfchen nachzugeben, und diesmal traf es ja überdies ganz herrlich mit allen Plänen zusammen; kurz, die Sache ist eingeleitet und, so viel ich weiß, schon so gut als richtig."

"Est-il possible, est-il croyable?" tönte es von dem Mund der erfreuten Damen; die Sorben aber traute doch nicht so ganz. "Ich kann Sie versichern," sagte sie zum Kammerherrn, "Fräulein von Sanden, die Sie aus der Residenz kennen müssen, ist sehr liiert mit dem Grafen, und ich fürchte, ich fürchte, die Gräfin kommt nicht zum Ziel!"

"Nicht zum Ziel?" lachte der Kammerherr. "Nicht zum Ziel? Das wäre doch kurios; man spricht ja in allen Cercles von dieser Verbindung; die Gräfin nimmt zwar noch keine Gratulationen an; aber ihr Lächeln, mit dem sie es ablehnt, ist so gut als Bestätigung; und wenn er auch nicht wollte, er muß sie heiraten; denn er kann doch nicht unsern Hof vor den Kopf stoßen. Was wird er aber nicht wollen? Bedenken Sie, die Gräfin ist so gut als anerkannt von unserem Hof, hat unleugbar mehr Gewicht als alle übrigen zusammen, ist schön, blühend, macht das beste Haus; er wäre ja ein Narr, wenn er nur den leisesten Gedanken hätte, sie auszuschlagen. Und Fräulein Ida? Nun, das soll mich doch wundernehmen, wenn die sich endlich einmal hat erweichen lassen. Unsere Herren in der Residenz knieten sich die Knie wund vor diesem Marmorengel, aber alles soll umsonst gewesen sein; zwar erzählte man sich allerlei von dem Rittmeister von Sporeneck; sie sollen aber gebrochen haben, weil sie seine Liaison mit der Aarstein erfuhr. Nun, Glück auf! Wenn der Graf die zahm gemacht hat, dann paßt er zu der Gräfin; und ich sehe nicht ein, was dieses Verhältnis schaden könnte; die Gräfin Aarstein wird als Gemahlin des Polen ihre Liebhaber nebenher auch nicht aufgeben. Doch was schwatze ich! Ihr Onkel, Fräulein von Sorben, kann Ihnen über diese Sache die beste Auskunft geben; denn ich müßte mich sehr irren, wenn er nicht die Hand dabei im Spiel hat." Der Reisewagen fuhr vor; der Kammerherr empfahl sich und ließ die beiden Damen in frohem Staunen und Verwunderung zurück.

 

"Arme Ida!" sagte die Sorben spöttisch. "So viel Routine hast du denn doch noch nicht, daß du Geschmack daran finden könntest, die Nebenbei des Grafen Martiniz zu spielen. Nein, wie das Dämchen, das also in der Residenz die Spröde so schön zu spielen wußte, aufschauen wird, wenn der gute Mann im Mond, den sie schon ganz sicher in Ketten und Banden hat, wenn der amoroso Bleichwangioso auf einmal morgens verschwunden ist, am nächsten Posttag aber ein Paket einläuft mit Karten, worauf Graf Martiniz mit seiner Gemahlin, verwitwete Gräfin von Aarstein, deutlich zu lesen ist."

"Nicht mit Gold ist sie zu bezahlen, diese Nachricht," bemerkte die Schulderoff mit triumphierender Miene, "und um so mehr wird sie sich ärgern, daß es die Gräfin Aarstein ist; denn diese hat ihr ja, wie Sie hörten, auch den herzigen Jungen, den Sporeneck, abgespannt—"

"Sie kennen den Sporeneck, gnädige Frau?" fragte die Sorben, und ihr gelbliches Gesicht schien tief über etwas nachzusinnen.

"Wie meinen Sohn," versicherte jene; "wie oft war er aus Besuch bei uns in Schulderoff, als er in Garnison in Tranzow lag! Mich nimmt es nicht wunder, wenn er Ida kirre gemacht hat; denn wo lebt ein Mädchen, das er, wenn er es einmal auszeichnete, nicht für sich gewann!"

"Herrlich, das muß uns dienen," fuhr das Fräulein fort; sie setzte auseinander, daß ihr scheine, als habe der Graf doch etwas zu tief angebissen bei Präsidents und als wolle er vor der Hand nicht an die Gräfin denken; da wolle sie nun ihren Onkel, den geheimen Staatsrat von Sorben, gehörig präparieren, und sie stehe davor, daß der Graf die längste Zeit im Mond logiert haben werde. Am besten wäre es, wenn man die Aarstein selbst in Freilingen haben könnte; doch sei dies bei dieser Jahreszeit nicht wohl möglich; darum solle auch Frau von Schulderoff Schritte tun. Sporeneck werde ihr schon die Gefälligkeit erweisen, auf einige Tage hieherzukommen; seine Sache sei es, den Grafen recht eifersüchtig zu machen. Habe man diesen nur erst dahin, daß er nicht so ganz auf die Scheinheiligkeit Idas baue, so sei auch im übrigen bald geholfen.

Frau von Schulderoff umarmte die Rednerin stürmisch und ergänzte den Plan vollends—"und wenn der Graf aus dem Netz ist, wenn man dann fühlt, daß man sich doch ein wenig sehr prostituiert hat, dann ist auch mein Leutnant wieder gut genug; aber dann soll er mir sie auch nicht nehmen, die stolze Prinzessin, als bis der Herr Papa-Präsident mit seinen Friedrichsdors herausrückt und unsern Schulderoff wieder flott macht; um die zimpferliche Schwiegertochter bekümmere ich mich dann nicht so viel; die mag sehen, wie sie mit meinem Monsieur Tunichtgut auskommt."

Der Traktat, der noch einige geheime Artikel enthielt, war gemacht und beschworen. Schon nach zwei Stunden ging eine Depesche von Fräulein von Sorben an ihren Onkel in die Residenz ab, worin mit bewunderungswürdiger Klarheit dargetan war, wie die Tochter des Präsidenten einen jungen Polen in ihre Netze zu ziehen suche, daß man schon von einer Heirat zwischen beiden spreche, und daß sie nur bedaure, daß dadurch der Residenz ein glänzendes Haus entzogen werde; denn Ida scheine darauf zu bestehen, daß der polnische Graf sich in Freilingen niederlasse.

Der Brief, das wußte sie, konnte seine Wirkung nicht verfehlen. Wenn auch der Oheim-Geheime Rat nicht daran gedacht hätte, bei der eingeleiteten Heirat zwischen Martiniz und der Gräfin Aarstein seine Hand im Spiel zu haben, so hätte ihn doch der letzte Punkt des Briefes dazu vermocht, alles aufzubieten, um die Niederlassung des Grafen in Freilingen zu hintertreiben. Der Gedanke, daß ein großes Haus mehr in die Residenz kommen könnte, war begeisternd für ihn. Unter allen Sterblichen schätzte er die am höchsten, welche Häuser machten; darunter verstand er freilich nicht Zimmerleute oder Maurer, sondern die, welche ihm Schildkrötensuppen, fette Austern, feine Ragouts, gute fremde Weine vorsetzten, die, welche regelmäßig einmal in der Woche des Abends Türen und Tore öffneten, um frohe Gäste bei sich zu sehen, hohe Spiele arrangierten, köstliche Bälle zu geben wußten. Solche Häusermacher liebte der alte Sorben; denn er war ein altes Weltkind und ein feiner Schmecker aller Delizen, sie mochten tot oder lebendig, vier- oder zweifüßig sein, mochten dem Gaumen oder der Nase, dem Ohre, dem Auge oder dem Tastsinne schmeicheln—er war ein Kenner, und daher mußte es in seinen Wünschen liegen, ein Dreimillionen-Gräfchen in die Residenz zu bekommen.

So hatte ihn seine gewandte Nichte, ohne daß er es merkte, bei allen fünf Sinnen zumal nur durch ein paar kleine Worte gefaßt, und sie durfte überzeugt sein, er fange Feuer. Aus dem Freiherrlich Schulderoffschen Palais, das für jetzt, in Ermangelung eines bessern, nur aus einigen Mansardenstübchen bestand, lief ein Brief ab, der keinen geringeren Hagelslärm, kein schwächeres Hallo in die Residenz machen sollte als die zwanzig Trompeter letzthin, als sie die Reveille vor Idas Fenster bliesen. Er war an Se. Freiherrliche Gnaden, den Herrn Rittmeister von Sporeneck, bei Husaren Nr. 3, überschrieben und lautete wie folgt:

"Freilingen,

11. Dez.

1825.

"Herr Bruder!

"In meiner Garnison dahier geht es eigentlich noch immer so ledern zu wie vordem. Das halbe Dutzend Reitpeitschen habe ich erhalten und sende hier den Betrag. Sie sind recht schwank und sehen flott genug aus. Den Säbel erwarte ich noch bestimmt vor Neujahr; vergiß nicht, daß der Korb, wie bei den badischen Dragonern, doppelt sei. Dahier hat sich vor kurzem auch etwas zugetragen, was Dir, Herr Bruder, vielleicht auch interessiert; die junge Sanden ist mit einem Galan hier angekommen, der ihr jetzt täglich und stündlich die Cour schneidet. Begreife übrigens nicht, wie sie dazu kommt, da man hier allgemein sagt, sie habe Dich sehr schnöde abgewiesen. Auf Ehre, Herr Bruder, es tut mir leid; aber ein Kerl wie Du, der seine vierundzwanzig Liebschaften des Monats hat, sollte nicht so von sich sprechen lassen. Solltest Du wegen dieser Affäre, was ich fürs beste hielte, selbst einige Wörtchen entweder mit dem neuen Courtisan, oder mit dem Fräulein selbst sprechen wollen, so steht Dir mein Logis zu Dienst. Der junge Herr ist ein Pole, Graf von Martiniz, soll schwer Geld haben und scheint meines Erachtens der angeführte Teil; denn sie hat ihn in der Kuppel, daß er weder links noch rechts kann. Lebe wohl, grüße alle Kameraden bei Nr. 1, 2 und 3 und verbleibe in Bruderliebe Dein "Franz von Schulderoff, Leutnant bei Königin-Dragoner."

Dies war das Schreiben, womit die Frau von Schulderoff den Rachegeist für Ida beschwor. Noch war des guten, unschuldigen Kindes Himmel rein und heiter; aber indem es in das reine Blau des Äthers hineinsah und sich dessen freute, zog Wolke um Wolke am Horizont auf und drohte ihr stilles Glück zu suchen und zu zerschmettern.

* * * * *

GEHEIME LIEBE

Aber so gewiß die Freilinger alles zu wissen glaubten, so wußten sie doch nichts. Es ist eine eigene Sache um die Liebe, besonders um die erste. Es gehen so zwei Menschen neben einander hin, still vergnügt, still selig; sie sehen aus wie Kinder, denen etwas recht Hübsches träumt, und einem andern käme es grausam vor, sie aufzuwecken. Sie gehen neben einander hin, sprechen von den gleichgültigsten Dingen und denken an das, was ihr Herz erfüllt; sie wagen es nicht auszusprechen, und doch verstehen sie sich so gut durch die Augen; denn sie tragen den Schlüssel zu dieser Zeichensprache nebst Wörterbuch und Formenlehre in ihrem treuen Herzen. So war es auch bei Martiniz und Ida. Sie wußten, daß sie sich liebten; aber noch hatte der Graf nie deutlich darüber gesprochen, noch hatte ihm Ida keine Gelegenheit gegeben, sich zu erklären.

Der Hofrat Berner sah diesem allem halb freudig, halb unmutig zu. Er liebte die beiden guten Leutchen, als wären es seine eigenen Kinder; darum hätte er ihnen auch alles Gute und Liebe gegönnt, eben darum konnte er aber dieses verschämte Treiben nicht leiden. Er war so halb und halb des Grafen Vertrauter; denn dieser hatte ihm ja alle Tage von des Mädchens Schönheit, seinem Reichtum an stillen Tugenden vorgeschwatzt, hatte ihm gestanden, daß er glaube, Ida sei ihm gut; aber dabei blieb es auch, und Berner war zu zart, bei dem Grafen den Kuppler zu spielen. Auch Idas Vertrauter war er, er kannte ja ihr Herzchen beinahe, seit es schlug; er wußte jede Schattierung in ihren Lebenssternen zu deuten, er sah ganz deutlich den Schelm mit Pfeil und Bogen in ihren klaren Pupillen, und doch wollte auch sie nicht recht voran; doch konnte er es ihr, als einem Mädchen, weniger übel nehmen als ihm.

"Nein, wer mir je so etwas gesagt hätte," dachte er, "dem hätte ich mit Fug und Recht unter die Nase gelacht; ein polnischer Garde- Ulanen-Rittmeister, mit dem Rang eines Oberstleutnants in der Linie, und wagt nicht einmal, ein Mädchenherz, das ihm gewogen ist, anzugreifen." Er hätte mögen aus der Haut fahren, wenn er daran dachte, wie man zu seiner Zeit gelebt und geliebt habe und wie die Welt in den letzten Jahrzehnten sich so ändern konnte. Aber wie, wenn Martiniz aus Gewissenh—ja, das war nicht unmöglich, es konnte Gewissenhaftigkeit sein, daß er sich nicht erklärte; befand er sich, der unglückliche junge Mann, ja doch immer noch in demselben Zustande, wie er hier angekommen war.

Der Küster, der jetzt regelmäßig nachmittags sein Däpschen hatte, ohne daß seine Frau begreifen und ergründen konnte, wo er das Geld dazu herbringe, der Küster hatte dem Hofrat alle morgen referiert, wie es in der Nacht zuvor mit dem Grafen in der Kirche gegangen sei; er hörte zwar, daß er seit neuerer Zeit weniger stark wüte; daß er aber desto mehr weine und jammere. Es war ein eigenes Ding mit diesem Zustand; es war kein Zweifel, daß der Graf jede Nacht um dieselbe Stunde davon befallen werde, und doch sah man ihm den Tag über keine Spur von Wahnsinn an; nur seine zarte Blässe, das Wehmütige, das noch immer in seinem Wesen vorherrschte, konnte darauf hindeuten, daß er körperlich oder geistig angegriffen sei.

Seinen Entschluß, den alten Brktzwisl um die Krankheit seines Herrn zu fragen, hatte der Hofrat noch immer nicht ausführen können; je näher er den jungen Mann kennen lernte, je mehr Achtung er täglich vor seinem gediegenen Charakter, vor seinem ausgebreiteten Wissen bekam, desto unzarter schien es ihm, auf diesem Wege in seine Geheimnisse eindringen zu wollen.

Aber unablässig verfolgte ihn der Gedanke, daß er vielleicht, wenn er das Nähere über des Grafen Krankheit wüßte, helfen könnte. So saß er eines Morgens in seinem Zimmer, dem man die Junggesellenwirtschaft wohl ansah; der Küster hatte im Vorbeigehen zum Schnapshaus ein wenig bei ihm eingesprochen und erzählt, gestern nacht sei der fremde Herr so zahm gewesen wie ein Lamm, aber geweint habe er wieder, daß ein Töpfer die Hände darunter hätte waschen können. Er sann hin und her, wie man dem Geheimnis benommen könnte; da klopfte es bescheiden an der Tür, und der alte Brktzwisl trat zu ihm ins Zimmer.

Der Hofrat konnte den alten Diener wohl leiden; er schien so fest an seinem jungen Herrn zu hängen, schien so väterlich für ihn besorgt zu sein, daß man sah, er müsse ihn schon seit Kindesbeinen gekannt und gepflegt haben; recht erwünscht kam er daher gerade in diesem Augenblick, wo Berner so ganz mit Gedanken an seinen Herrn erfüllt war. Der Alte war anfangs ein wenig in Verlegenheit, was er sagen solle; denn daß er nicht aus Auftrag des Grafen komme, hatte Berner gleich weggehabt. Nachdem er sich in allen Ecken sorgfältig umgesehen hatte, ob nicht sonst wer im Zimmer sei, trat er näher.

 

"Mit Exküse, Herr Hofrat," sagte er, "nehmen Sie es einem alten Dienstboten, der es gut mit seiner Herrschaft meint, nicht ungnädig, wenn er ein Wörtchen im Vertrauen sprechen möchte!"

"Wenn es keine Klagen über deinen Herrn sind, so rede immerhin frisch von der Leber weg!" sagte Berner.

"Klagen! Jesus Maria, wie käme ich bei unserem jungen Herrn zu Klagen; habe ich ihn doch auf den Händen getragen, als er's Vaterunser noch nicht kannte, und ihm gedient bis auf den heutigen Tag, und er hat mir noch kein unschönes Wort gegeben, so wahr Gott lebt, Herr, und das sind jetzt fünfundzwanzig Jahre. Nein, aber sonst etwas hätte ich anzubringen, wenn es der Herr Hofrat nicht ungnädig nehmen wollen. Ich weiß, Sie sind meines Herrn bester Freund in hiesiger Stadt, ja, ich darf sagen, im ganzen Land hier, und mein Herr hat mir dies nicht nur zehnmal versichert, ich weiß auch vom Küster, daß Sie schon seit dem ersten Tag unseres Hierseins etwas wissen, das Sie keiner Seele wiedergesagt haben, was Ihnen Gott lohnen wolle—"

"Nun ja," unterbrach ihn der Hofrat, "und Du willst mir erzählen, wie Dein Herr in diesen unglücklichen Zustand kam, daß er alle Nacht von einer Art von Wahnsinn befallen wird, willst mich fragen, ob ich nicht etwa helfen könne?"

"Ja, das wollte ich," fuhr jener fort, "aber—eine Art von Wahnsinn nennen Sie das? Ich versichere Sie, es ist ein Wahnsinn von so echter Art, wie man sie nur im Tollhaus finden kann; aber ich will erzählen, wie er dazu kam."

* * * * *