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Der Mann im Mond

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DER SELIGE GRAF

"Herzensjunge! liebstes, bestes Gräfchen! Söhnchen! Goldpoläckchen!" alle Schmeichelnamen hätte der Hofrat ausschreien, den trefflichen Redner an sein Herz reißen und mit väterlichen Küssen bedecken mögen —aber das 'ging nicht; ein Diplomat vom Fach—und das war er ja bei seinen jetzigen Negoziationen durch und durch—durfte seine Freude über eine glückliche Entdeckung, über einen unverhofften, köstlichen Fund nicht laut werden lassen; er schluckte alle jene Ausbrüche des Vergnügens wieder hinunter, faßte den Grafen nur mit einem recht zärtlichen, seligen Blick und bestätigte weitläufig sein treffendes Urteil. Er beschrieb ihm das Mädchen, wie er es, seit es den ersten Schrei in die Welt getan, kenne, wie es früher ein lustiger, fröhlicher Zeisig war, wie es jetzt zur ernsten Jungfrau herangewachsen sei; ihre Anmut, ihre Geschicklichkeit in Sprachen und allen Dingen, die ein Mädchen zieren, als da sind: Stricken, Nähen, Schneidern, Sticken, Kochen, Früchteeinmachen, Backen, Blumenmachen, Zeichnen, Malen, Tanzen, Reiten, Klavier- und Gitarrespielen; wie es in der Residenz trotz der hohen Stellung, die es in der Gesellschaft eingenommen, doch immer seinem Sinn für reine Weiblichkeit gefolgt sei, wie es seinen reinen, keuschen, kindlichen Sinn auf dem Boden, wo schon so manches gute Kind ausgeglitscht sei, bewahrt habe.

"Es ist mir unbegreiflich," setzte er, von dem Eifer, der ihn beseelte, fortgerissen, hinzu, "rein unbegreiflich, wie dieses, für alles Schöne und Gute glühende Herz sich in der Residenz so vor aller Liebe bewahrt hat. Unsere jungen Herren schreien gewöhnlich bei solchen Mädchen über Eiskälte und Phlegma; aber Gott weiß, diesem Mädchen kann man dieses nicht nachsagen. Aber unsere jungen Herren sind meistens selbst daran schuld. Kraft- und marklos schlendern sie einher auf den Bällen, stehen sie scharweise zusammen, gucken durch Gläser von Nr. 4 und 5, die für Blinde scharf genug geschliffen wären, nach den Reizen der Ballschönen, lassen ganze Reihen sitzen und tanzen nicht, und geben sie sich auch einmal zu einem Walzerchen und Kotillönchen her, so meint man, sie wollen den letzten Atem ausschnaufen, so wogt es in den ausgedörrten Herzkammern. Kann solche Lumperei einem jungen, schönen, in der Fülle der Kraft strotzenden Mädchen, das zwei solcher Flederwische an die Wand schleuderte, gefallen? Kann man es einem folgen Engelskind, das sich so gut wie jede andere abends im Bettchen mit verschlossenen Augen und verstohlenem Lächeln sein Ideal vormalt und vorträumt, kann man es ihr verargen, wenn sie solche Vogelscheuchen gering achtet und kalt abweist?

"Ein solches Mädchen soll dann kalt sein wie Eis, soll kein Feuer im Leib haben! Habe ich doch über mein Goldmädchen gestern abend solche Urteile hören müssen; geschossen hätte ich mich um sie, wäre ich nur dreißig Jahre jünger gewesen. Sie hätte kein Feuer? Habe ich nicht gesehen, wie sie heute früh, als Sie, Herr Graf, das Kind retteten, das Fenster aufriß und beinahe hinaussprang aus purem Mitgefühl! Und dies es Mädchen hätte kein Feu—"

"Das hat sie getan?" fragte der glückliche Martiniz, bis an die Stirn errötend. "Sie hat das Fenster ein wenig geöffnet und herausgesehen?"

"Was öffnen und heraussehen! Dazu braucht man zwei Minuten; aber aufgerissen hat sie das Fenster, daß sie mir den Schokoladebecher beinahe aus der Hand schlug, sie war in zwei Sekunden fertig! Sehen Sie, so ist das Mädchen; Feuer und Leben, wo es etwas Schönes, wahrhaft Freudiges, Erhabenes gilt, schwärmerisch empfindsam, wenn sie wahre Leiden der Seele sieht aber kalt und abgemessen, wenn die leere, schale Alltäglichkeit sich ihr aufdrängen will."

Mit einem Feuerblick an die Decke, die Rechte auf das lautpochende Herz gelegt, trank Graf Martiniz wieder einen stillen Toast, der nirgends widerklang, als in seinem tiefen Herzen; aber dort traf er so viele Anklänge, daß dieses wehmütige, traurige Herz, das solange nichts kannte—als die Wehmut und den Kummer heimlicher Tränen, im stillen, aber vollen Jubel aufschwoll und sich stolz wie vor Zeiten unter dem Ordensband hob, das es von außen zierte.

Er sagte dem Hofrat, daß er, wenn es möglich wäre, während seines hiesigen Aufenthalts gerne von einem Empfehlungsschreiben an den würdigen Herrn Präsidenten Gebrauch machte, das er heute durch den Gesandten seines Herrn von dem Minister-Staatssekretär bekommen habe. Der Hofrat versprach freudig, ihn dort einzuführen und seine Abende im Umgange mit diesem trefflichen Menschen erheitern zu helfen. Bei sich lachte er aber über den Staatssekretär, der seine Sachen so geschickt einzufädeln wisse; der Graf soll dem Lande bleiben mit seinen drei Milliönchen, aber die Gräfin soll ihn nicht bekommen, dafür steht der Hofrat Berner. Auch trank er jetzt im stillen ein Toastchen und ließ mit einem freundlichen, wohlwollenden Seitenblick die künftige Frau Gräfin leben. Vivat hoch! scholl es in allen Winkeln. seines alten treuen Herzens, hoch und abermal h—

Da brummte in dumpfen Tönen die Glocke vom Münsterturme elf Uhr. Mit wehmütigem Blick sprang Martiniz auf, stammelte gegen den erschrockenen Hofrat eine Entschuldigung hervor, daß er noch einen Besuch machen müsse, und ging. Berner konnte sich wohl denken, wohin der unglückliche Junge ging. Mitleidig sah er ihm nach und lehnte sich dann in seinen Stuhl zurück, um über das, was diesen Abend besprochen worden war, nachzudenken; der Graf hatte einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht; es hatte ihm nicht leicht ein junger Mann so wohl gefallen wie dieser; so viel Grazie und Feinheit des Umgangs, so viele Bildung und Kenntnisse, so viel anspruchslose Bescheidenheit bei drei Millionen Talern; so hohe männliche Schönheit und doch nicht jenes eitle, gefallsüchtige Sichzeigenwollen, das schönen jungen Männern oft eigen ist—nein, es ist ein seltener Mensch und gewiß beinahe so viel wert als mein Idchen, dachte er; wenn die beiden erst einmal ein Paar—Die Mondwirtin unterbrach ihn; mit zornglühendem Gesichte setzte sie sich hastig auf den Sessel, den Martiniz soeben verlassen hatte. "Nein, da traue einer den Männern!" wütete sie, "hätte ich doch mein Leben eingesetzt für diesen Herrn Grafen, hätte geglaubt, er wäre ein unschuldiges, reines Blut und kein so Bruder Liederlich, die an jede Schürze tappen—"

"Nun, was ist denn geschehen?" unterbrach sie der aus allen Himmeln gefallene Hofrat. "Was haben Sie denn, das Sie so aufbringt, Frauchen?"

"Was ich habe? Möchte da einem nicht die Galle überlaufen? So ein schöner, reicher Herr, wo es sich manche Dame zur Ehre rechnen würde, in nähere Bekanntschaft—geht auf nächtlichen, liederlichen Wegen, glaubt, es sei hier in Freilingen auch so eine großstädtische Nachtpromenade; tief in seinen Mantel gehüllt, ist er zum Torweg hinausgewischt mit dem alten Kuppler, dem Brktzwisl. Will haben, man solle das Haus offen lassen bis ein Uhr! Aber die Türe schlage ich ihm vor der Nase zu; ich brauche keinen solchen Herrn im Hause, der bei Nacht und Nebel nicht weiß, wo er steckt."

"Habe ich doch Wunder geglaubt, was es gibt," sagte der Hofrat, wieder freier atmend; "da dürfen Sie ruhig sein. Der geht nicht auf schlimmem Wege; er macht noch einen durchaus ehrbaren Besuch; ich weiß wo, darf es aber nicht sagen."

Die Wirtin sah ihn zweifelhaft an. "Ist es aber auch so?" sprach sie freundlicher. "Ist es auch so, und machen Sie mir keine Flausen vor? Doch Ihnen glaube ich alles aufs Wort, und ich ärgere mich nur, daß ich gleich so Schlimmes dachte, aber die Welt liegt jetzt im argen, unsern jungen Herren ist nicht mehr über die Straße zu trauen. Sagen Sie ihm aber um Gottes willen nichts! Ich glaube, er könnte mich mit einem einzigen Blick verbrennen; es war ja lauter christliche Liebe zu meinem Nebenmenschen."

Der Hofrat lächelte fein, indem er ihr die Hand zum Versprechen und zugleich zum Abschied bot, er jagte ihr alle Röte auf die hübschen Wangen, sie wußte nicht, wo sie hinsehen, ob sie lachen oder zürnen solle; denn schon im Fortgehen begriffen, wisperte er ihr ins Ohr: "Es war all nichts als lauter christliche, nebenmenschliche— Eifersucht!"

* * * * *

GUTE NACHRICHT

Man hätte glauben sollen, das Haus des Präsidenten sei ein großer Vogelbauer geworden, in welchem Nachtigallen, Kanarienvögel, Stärchen und alle Gattungen gefiederter Bewohner wären. Es hüpfte etwas Treppe auf, Treppe ab; ein süßes Stimmchen hörte man bald in gehaltenen, wehmütigen Tönen singen, bald in fröhlichen, scherzenden Rouladen jauchzen und jodeln wie die Kanarienhähnchen, bald zwitschern und plaudern wie Stärchen; aber Hähnchen, Nachtigallen und Stärchen, sie alle waren in einer Person, Idchen, das vor Freude, vor Sehnsucht, vor Langeweile und Geschäftigkeit Treppe auf- und abflog, mit allen Menschen anband, alle auslachte, alle begrüßte und neckte, allen zugleich befahl und schalt.

Graf Martiniz hatte dem Vater eine Karte und den Empfehlungsbrief des Staatssekretärs geschickt; der alte Herr war mit beidem zu ihr gekommen und hatte sie förmlich um Rat gefragt, was nun zu beginnen sei: nach seiner Ansicht,—wenigstens war es vor zwanzig Jahren noch so,—mußte man den Fremden zum Mittagessen bitten, zwei Tage nachher zum Tee, nach zwei Tagen wieder zum Nachtessen, und vor seiner Abreise mußte ihm ein kleiner Hausball gegeben werden.

Das selige Mädchen drückte die Augen zu und biß die Purpurlippen zusammen, um ihre Freude nicht zu verraten; nach ihrer Ansicht—und das war endlich doch die vernünftigste—sollte man ihn auf Mittag zu einer Suppe laden, nachmittags setzte er sich dann zu ihr ans Klavier, abends trank er mit ihr Tee, und dann konnte ja ein kleiner Hausball mit einem Souper den seligsten Tag ihres Lebens schließen; doch nein; sie nahm sich zusammen und erklärte ihm, wie sie das in der Residenz ganz anders gelernt habe.

"Es würde dem guten Grafen ein wenig kleinstädtisch vorkommen, wollten wir ihn gleich von vornherein zum Mittagessen einladen. Wir müssen einen Bedienten hinüberschicken und ihm sagen lassen, daß wir ihn zur Teestunde erwarten, da wird er dann nicht fehlen; wir bitten Direktors Pauline und Fräulein Sorben, den Hofrat, meinetwegen einen oder den andern Ihrer jungen Räte dazu. Ich mache die Honneurs beim Tee, und um neun Uhr marschieren die Herrschaften wieder ab. Dem Grafen sagen Sie, Sie wünschen ihn öfter bei uns zu sehen und namentlich um die Teestunde. Ist er einigemal dagewesen, so bittet man ihn, einmal beim Nachtessen zu bleiben; nachher koche und backe ich eines Tages recht flott und anständig, Sie, lieber Papa, geben ihm morgens nur so en passant einen Besuch heim und lassen fallen, ob er nicht einmal, etwa heute, eine Suppe mit uns essen wolle; es wäre unartig, es auszuschlagen. Die Idee mit dem Hausball ist recht hübsch, übrigens darf nur er allein merken, daß es ihm zu Ehren geschieht; wir würden uns lächerlich machen, wollten wir den Leuten sagen, daß wir dem Grafen Martiniz einen Ball geben; es kann ja heißen, Papa gebe mir einen Einstand in sein Haus."

 

Papa Präsident war alles zufrieden, nur wollte ihm die neue Sitte, daß man sich stelle, als sei alles Natur, was doch nur immer wieder die alte Kunst ist, nicht recht einleuchten. Er hatte ihr die Schlüssel des Hauses und alle Gewalt im Boden und Keller übergeben, und das Mädchen rumorte jetzt als tätige Hausfrau in dem großen Gebäude umher, als sollte sie zwanzig Wagen voll Gäste empfangen. Sie sollte ihn sehen, sie sollte ihn sprechen, er mußte, wenn er nur halbwegs so artig war, als er aussah, jetzt alle Wochen wenigstens viermal herüberkommen—Nein, es war nicht zu sagen, wie himmlisch selig das Mädchen war! Um zehn Uhr hatte es angefangen zu tollen und zu rumoren, und schon um zwölf Uhr war das Teezimmer bereitet, wie es heute abend sein mußte. Erschöpft von den Haushaltungsgeschäften, warf sie sich in ein Sofa; sie machte die Augen zu, um sich den Abend schon recht selig zu träumen, sie besann sich, wie man ihm den Abend recht schön mache, daß er recht oft wiederkomme, sie suchte ihre beste Musik zusammen, um ihn zu erheitern und die Schwermut von seiner Stirne zu bannen, so—o, es mußte einen herrlichen Abend geben; da fiel ihr auf einmal die Gräf in Aarstein ein, und alle Freude, aller Jubel war wieder hinweggeflogen; Träne auf Träne stahl sich aus dem Auge, sie klagte alle Menschen an und war auf sich, auf die Welt bitterböse. Aber Berner, der nachmittags nur im Flug ein wenig bei ihr einsprach, verscheuchte diese Wolken. Er war zwar zu vorsichtig, um ihr den tiefen Eindruck zu schildern, den sie auf den geliebten Fremden gemacht hatte; aber das sagte er mit triumphierender Miene, daß sie vor der Aarstein nicht bange haben solle; er habe gute, köstliche Nachrichten, die dies vollkommen bestätigen. Weg war er, ehe sie ihn noch recht fragen konnte, und sie hatte doch so viel, so unendlich viel zu fragen. Er hatte ihr nur von der Aarstein gesprochen und wollte sich nichts weiter merken lassen, der gute Hofrat! Aber wo ist ein Mädchen, das die Flamme der ersten, reinen Liebe im Herzen trägt, wo ist ein solches Engelskind, das nicht in ein paar Stunden die größten Fortschritte in der Kunst zu schließen und zu berechnen gemacht hätte? Man sprach so viel von magnetisierten Schläferinnen und Clairvoyantes, man schrieb viele gelehrte Bücher über solche seltene Erscheinungen, und wie gewöhnlich ließ man, was am nächsten lag, unbeachtet! Das sind ja die eigentlichen Clairvoyantes, die Mädchen mit der ersten, kaum erkannten Sehnsucht in der Brust; wohl haben sie die Augen niedergeschlagen, aber dennoch sehen sie weiter als unsereiner mit der schärfsten Brille; die Liebe hat sie magnetisiert, hat ihnen das Auge des Geistes geöffnet, daß sie in den Herzen lesen. So auch Ida; sie merkte dem Hofrat wohl an, daß er mehr wisse, als er sagen wolle; mit der Gräfin war es nichts, aber ebensogut mußte er wissen, daß es auch mit keiner andern etwas sei, sonst hätte er nicht so vergnügt, nicht so schelmisch gelächelt. Er wußte,—das sah die neue Clairvoyante jetzt hell und klar,—er mußte sogar wissen, daß Martiniz sie

O! wer das Mädchen jetzt gesehen hätte, wie es das Köpfchen in die Ecke des Sofas barg, wie alles Blut nach dem vom süßen Schauer der ersten Liebe bebenden Herzen hinauf und hinab wogte, wie der jungfräuliche Busen zitterte und hüpfte, wie ein nie gekanntes Gefühl wie eine Mitternachtssonne in den Nächten des Nordpols im Tiefsten ihres Innern mit ihren zuckenden, blitzenden Strahlen aufging! Wahrlich, es liegt eine rührende Zaubermacht in einem solchen Gesichtchen voll stiller Seligkeit, es ist der Lichtpunkt des jungfräulichen Lebens, zu dem sie einen kurzen Weg hinauf, von welchem sie lange, oft traurige Stufen hinabsteigt!

* * * * *

DER LANGE TAG

Aber der Nachmittag war auch gar zu lange, die Stunden gingen so träge hin! Sie konnte sich ordentlich über sich selbst ärgern, daß sie schon heute früh das Teezeug gerüstet hatte; sie fing an zu arbeiten, zehnerlei nahm sie vor und legte es ebenso schnell zurück. Sie hatte ein Bukett von Phantasieblumen angefangen, sie hatte sonst mit Lust und Liebe daran gearbeitet, aber nein! Es war doch auch gar zu langweilig; erfunden war etwas bald, man malte seine Gedanken recht artig aufs Papier, aber bis man alle die Blätter und Blättchen zusammenband—zurückgelegt bis auf weiteres! Sie nähte so wunderhübsche Tapisserien; sie machte ihre Kreuzstiche so fein und gleich, als habe sie in den besten Fabriken gelernt, und alles ging ihr so schnell von der Hand, daß es eine Freude war. Ihre Freundinnen in der Residenz hatten sich immer Stücke von Paris und London kommen lassen; da waren die schönsten Girlanden von Rosen, Astern, alle möglichen Blumen und Farben; in der Mitte war leerer Raum gelassen, daß die Damen nach ihrem Belieben hinein nähen konnten, was sie immer wollten; natürlich stachen meistens die schönen Pariser Girlanden sonderbar ab gegen die Dessins der Residenzdamen; Ida hatte immer nur ihr leeres Stickstramin vorgenommen, hatte sich selbst mit geübter Hand Zeichnungen entworfen und war noch vor ihren Freundinnen fertig, die Idas Arbeit für Zauber, für nicht möglich gehalten hätten, wenn sie nicht unter ihren Augen entstanden und vollendet worden wäre. Sie hatte noch in der Residenz ein prachtvolles Fußkissen für Papa angefangen; sie nahm es jetzt auch wieder vor; aber sie konnte sich selbst nicht begreifen, wie sie früher so langweilige Arbeiten machen, Stich über Stich und immer wieder Stich um Stich machen konnte—zurückgelegt bis auf weiteres! Sie zeichnete mit schwarzer Kreide so fein, so gefällig für das Auge, daß sie der Stolz ihres Zeichenlehrers war; auch hier war ihre Geduld unermüdlich gewesen; wenn andere ihre Kopien kaum durchgezeichnet und, mit den ersten Schatten versehen, schon weggeworfen oder dem Zeichenmeister zur Vollendung auf einen Geburts- oder Namenstag übergeben hatten, so hatte Ida fortgemacht, und man sah allen ihren wunderlieblichen Bildern an, daß sie con amore ausgeführt waren; denn hatte sie einmal etwas angefangen, so mußte es auch vollendet werden. Sie hatte eine angefangene Madonna della sedia mitgebracht; sie öffnete jetzt die Mappe, breitete das Bild, das schon in seinen Umrissen viel versprach, vor sich aus, spitzte die Kreide, nahm sich vor, mit recht viel Geduld zu zeichnen, aber bald gab die Kreide keine Farbe, bald wurden die Striche zu dick und mußten verwischt werden; sie wurde von neuem gespitzt, aber—war die Spitze zu fein oder die Zeichnerin zu ungeduldig oder die Kreide zu grobkörnig?—alle Augenblicke brach sie unter dem Messer ab, und Finger bekam man so schwarz, daß sie kaum mehr rein gemacht werden konnten; sie entsetzte sich wie Lady Macbeth vor ihren eigenen Händchen, packte die Madonna schnell ein und legte sie ad acta. Sie setzte sich vor ihre Kommode, zog alle Schubfächer heraus, wühlte in Blonden und Bändern und besah sich Stück vor Stück, auch der Schmuck wurde hervorgezogen und gemustert; aber hatte sie dies alles nicht hundertmal gesehen und wiedergesehen? Schnell Schmuck, Bänder und Blonden in die Fächer und zugeschlossen! Alle diese Herrlichkeiten wollten das unruhige Herzchen nicht zerstreuen.

Endlich, endlich schlug es fünf Uhr, und sie konnte sich jetzt doch, ohne sich von ihrem Zöfchen auslachen zu lassen, zum Tee anziehen. Sie studierte jetzt recht ernsthaft, was sie wählen sollte; einen vollen Anzug oder ein Hausnegligé? In der Residenz hätte sie, ohne sich zu besinnen, das erstere gewählt. Dort fing ja der Tag eigentlich erst abends recht an, und zur zweiten Toilette konnte sie dort kein Negligé wählen; aber hier in Freilingen, wo Morgen Morgen, der Mittag Mittag, der Abend nur Abend war, hier schien ein Negligé für den Abend ganz am Platz, um so mehr, da die paar Fräulein, die sie geladen hatte, wahrscheinlich recht geputzt kommen würden. Sie wählte daher ein feines Hausnegligé, ein allerliebstes weißes Batistüberröckchen, das nach einem Muster, wie man es hierzulande noch nie gesehen hatte, gemacht war; und wie glücklich hatte sie gewählt! Das knappe, alle Formen hervorhebende Überröckchen zeigte den in jugendlicher Frische blühenden Körper; den Teint hob zwar keine Perle, kein Steinchen, aber er war so schneefrisch, so zart, so blendend weiß, daß er ja gar keines Schmuckes bedurfte. Aber das Haar wurde dafür so sorgfältig, so glänzend als möglich geordnet. Die seidenen Ringellöckchen schmiegten sich eng und zart um Schläfe und Stirne, die Pracht ihrer Haarkrone war so entzückend, daß sie sich selbst gestand, als sie beim Glanz der Kerzen in den Spiegel blickte, als sie ihre höher geröteten Wangen, ihr glänzendes Auge sah, mit Lust und heimlichem Lächeln sich gestand, heute ganz besonders gut auszusehen.

Und nun musterte sie noch einmal mit Kennerblicken den Teetisch. Der große Lüster verbreitete eine angenehme Helle über das ganze Zimmer. Die Sitze waren im Kreise gestellt; ihr Platz neben dem Sofa; neben ihr mußte der Graf sitzen; die silberne Teemaschine, den Hahn ihr zugekehrt, dampfte und sang lustige Weisen, die Tassen standen in voller Parade, die goldenen Löffelchen alle rechts gekehrt. Die Vasen mit Blumen von ihrer eigenen Arbeit nahmen sich gar nicht übel zwischen dem Backwerk und den Kristallflaschen mit Arrak und kaltem Punsch aus. Die kleineren Partien, als Zucker, geschlagener Rahm, kalte und warme Milch, Zitronen, waren in ihren silbernen Hüllen gefällig geordnet,—es fehlte nichts mehr als—weil es einmal in Freilingen Ton war, beim Tee zu arbeiten—eine geschickte Arbeit für sie; auch diese war bald gefunden, und kaum hatte sie einige Minuten in Erwartung gesessen, so fuhr ein Wagen vor.

"Wenn dies Marti—" doch nein, er konnte es nicht sein, die paar Schritte aus dem Goldenen Mond herüber machte er wohl ohne Wagen; die Flügeltüre rauschte auf—Fräulein von Sorben! "Wenn nur die andern auch bald kämen," dachte Ida, indem sie das Fräulein empfing; denn diese war nicht die angenehmste ihrer Freilinger Bekannten; sie war wenigstens acht Jahre älter als Ida, spielte aber doch immer noch das naive, lustige Mädchen von sechzehn Jahren, was bei ihrer stattlichen Korpulenz, die sich für eine junge Frau nicht übel geschickt hätte, schlecht paßte. Sie mußte übrigens von Präsidents mit Schonung und Achtung behandelt werden, weil sie einigermaßen mit ihr verwandt waren und ihr Oheim in der Residenz eine der wichtigsten Stellen bekleidete. Sie flog, als sie eingetreten war, Ida an den Hals, nannte sie Herzenscousinchen und gab ihr alle mögliche süße, verbrauchte Schmeichelnamen. Nachdem sie ihr Haar vor dem deckenhohen Spiegel ein wenig zurecht geordnet, die Falten des Kleides glattgestrichen hatte, fragte sie, wer heute abend mit Tee trinken werde. Kaum hatte Ida zögernd, als würde er dadurch entheiligt, den Namen Martiniz ausgesprochen, so machte sie einige mühselige Entrechats und küßte Ida die Hand: "Wie danke ich dir für deine Aufmerksamkeit, daß du mich zu ihm eingeladen hast! Du bemerktest gestern gewiß auch, wie er mich mit seinen schwarzen Kohlenaugen immer und ewig verfolgte? Und heute früh, ich hatte mich kaum frisieren lassen, war schon mein guter Graf zu Pferd vor meinem Haus, das macht sich herrlich, so ein kleiner Liebeshandel en passant. Lache mich nur nicht aus, Herzenscousinchen! Aber du weißt, junge Mädchen, wie wir, plaudern gern, und die andern nehmen es nicht so genau, wenn eine eine Eroberung gemacht hat."

Ida hatte zwar auch die Kohlenaugen leuchten sehen, aber nicht nach der alten, gelblichen Cousine; sie stand noch neben ihr vor dem Trumeau, sie warf einen Blick in das helle, klare Glas und überzeugte sich, daß Emil nicht nach der Cousine geschaut haben könne. Das "mein guter Graf" und das "wir jungen Mädchen" aus dem Munde der alten schnurrenden Hummel kam ihr so possierlich vor, daß sie, statt in Eifersucht zu geraten, des heitersten, fröhlichsten Humors wurde. "O du Glückliche," sagte sie boshaft, "wer auch so im Flug Eroberungen machen könnte!"—"Es gehört nichts dazu, mein Kind, als Routine, nichts als eine gewisse Gewandtheit, die man freilich so schnell nicht erlernt; die Gewohnheit, der Geist muß sie geben. Du bist hübsch, Cousinchen, du bist gut gewachsen, an Anstand, an schönen gesellschaftlichen Formen fehlt es dir auch nicht,—ehe drei Jährchen ins Land kommen, angelst du Grafen, als hättest du von Jugend auf gefischt."

 

Ida brach, weil sie das Lachen nicht mehr halten konnte, in lauten Jubel aus. "Das wäre schön, das wäre herrlich, Grafen fangen!" rief sie, nahm ihre naive Lehrerin unter dem Arm und flog mit ihr im rasenden Schnellwalzer um den Teetisch.

Von Anfang ließ sich die Sorben diese rasche Bewegung gefallen, obgleich ihr, da sie bei ungemeiner Korpulenz bis zum Ersticken geschnürt war, der Walzer nicht sehr behagte; aber sie wußte, wenn man nur erst aufhöre zu tanzen, so werde man gleich unter das alte Eisen gezählt, und gab sich also alle Mühe, leicht zu tanzen. Als aber das Teufelskind, dem der Schelm aus Augen, Mund und Wangen hervorsah, immer rasender walzte, immer rascher im Wirbel tollte, da stöhnte sie: "Ich kann nicht mehr—o—hö—re auf!" Aber Idchen riß sie noch einmal herum und ließ sie dann, weil sie das Geräusch der Kommenden hörte, atemlos und bis zum Tod gepreßt vor der Flügeltüre stehen, die in diesem Augenblicke von zwei Lakaien aufgerissen wurde.

* * * * *