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Der Mann im Mond

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VERSÖHNTE LIEBE

Das Mädchen war sprachlos vor Staunen; es wußte nicht, wie ihm geschah, und traute seinen Augen nicht. In glänzender Uniform, schön und freundlich wie der Tag, ganz hingegossen in reuevoller Zärtlichkeit lag Emil vor ihr auf den Knien, hatte ihr Händchen gefaßt und preßte heiße, glühende Küsse der Liebe darauf, Sie wollte die Hand zurückziehen, sie zog ihn mit herauf, und ehe sie sich es recht versah—doch das konnte man doch nicht sagen—sie sah sich mit einem blitzschnellen Viertelsseitenblickchen nach Ladenstein um; doch der schien gar nicht auf sie beide zu achten; denn er schaute unverwandt durch die Scheiben in die Nacht hinaus—also ehe sie sich kaum recht versah, lag sie in des Grafen Armen, fühlte sie seine Lippen auf ihren Lippen und—"Solch ein Kuß, das ist ein Kuß!"

Und nun bat der arme Sünder um Verzeihung; er sagte ihr, wie ihn die Gräfin so eifersüchtig gemacht hatte, wie er geglaubt habe, der Rittmeister mache ältere Rechte geltend, wie er in der Verzweiflung der Gräfin die Cour gemacht, wie er—nun, er hatte sich stark versündigt, aber sie ließ ihn nicht weiter reden; mit dem ersten Wort seiner Reue war ja auch ihr Kummer verschwunden. Sie legte ihm das weiche, zarte Flaumenhändchen auf den Mund und wisperte ihm errötend zu, daß sie alles vergeben und vergessen wolle; und jetzt ging es von neuem los. Da wollte er erstens ein kleines Küßchen zum Zeichen der Vergebung, dann den größeren Versöhnungskuß, dann einen langen dito, daß sie ihm nimmer bös sei, dann einen noch längeren, daß sie ganz gewiß nimmer zürne, dann den ganz ellenlangen zur Erlaubnis, daß er morgen zum Papa gehe und um sie anhalte.

"Aber Kinder, es wird spät," sprach endlich schon zum drittenmal der alte Herr und tippte Ida auf das Ärmchen, das den reuevollen Geliebten umschlungen hielt, daß sie erschrocken und über und über bepurpurt aufsprang und nicht wußte, wohin sie sehen sollte; denn an diesen Zeugen hatte sie in ihrer Seligkeit gar nicht mehr gedacht.—"Kinder, es wird spät, und die Bilder könnten alle schon zehnmal gezeigt sein; wir müssen hinunter zur Gesellschaft."

"Nur ich nicht," bat Martiniz; "mir graut, vom Himmel, in dem ich war, herabzusteigen in einen nüchternen irdischen Tee."

Es wurde ihm zugestanden, aber unter der Bedingung, daß er morgen recht bald kommen solle. Ladenstein versprach, ihn selbst hinüber zu spedieren, und trieb immer wieder zum Aufbruch. Nun, so unbarmherzig konnte er doch nicht sein, den allereinzigen Gutenachtkuß mußte er gestatten. Er würde in zwölf kleine Portionen verteilt und nach alter Vorschrift eingegeben, und jetzt endlich trennte man sich.

Idchen war es ganz schwindlig zu Mut; tausend Gedanken stiegen in ihr auf und nieder; sie hatten gar nicht alle recht Platz in dem Köpfchen und drängten und trieben sich daher wirbelnd um und um. Nur eines war ihr recht klar und deutlich, daß sie recht glücklich, unendlich glückselig sei, daß er sie gek— Sie errötete vor dem Gedanken, und dennoch spitzte sie das Mäulchen und probierte es noch einmal im Geiste, wie sie es gemacht hatten, daß es so wundersüß schmeckte.

Nein, so ging es nicht, sie mußte sich zusammennehmen, ehe sie zur Gesellschaft ging; es war ihr, als sollte sie allen Menschen um den Hals fallen und ihnen ihr stilles Glück verkünden. So ging es nicht, da mußte man es gleich merken; sie stellte sich vor den deckenhohen Spiegel und probierte recht ernsthafte oder gleichgültige Gesichter; aber sie mochte es machen, wie sie wollte, immer guckte wieder ein lustige Köpfchen mit einem spitzigen Mäulchen aus dem reinen, hellen Glas. Endlich schalt sie sich selbst recht aus, nannte sich einen Kindskopf, einen Wildfang und alles mögliche, und siehe, da ging es endlich; mit dem gleichgültigsten Gesicht von der Welt trat sie wieder ins Zimmer und behielt zu ihrer eigenen Verwunderung die gleichgültige Miene, bis man sich verabschiedete.

Doch nein, einmal wäre sie beinahe herausgeplatzt, und sie hatte zu beißen und zu schlucken, daß kein Kichern hervorkam.

Die Gräfin beklagte sich noch einmal gegen die Sorben, die jetzt ihre Gesellschaftsdame spielte, daß der Graf heute sich gar nicht habe sehen lassen. "Das verzeihe ich ihm in den nächsten zwei Tagen nicht," setzte sie preziös hinzu, indem sie die arme Ida dabei fixierte und dachte: "Die verberstet vor Neid," während es nur unterdrücktes Lachen war, was dem lustigen Amorettenköpfchen um die Lippen zuckte,—"wenn er morgen früh mich zu besuchen kommt, wird er nicht angenommen, nachmittags—nicht angenommen, und abends—nun, da will ich ihm ein so saures Gesicht machen, daß er nicht mehr daran denkt, uns einen ganzen Tag zu negligieren."

"Der arme Graf, wie ihn das mitnehmen wird!" lächelte Fräulein von Sorben mit einem schadenfrohen Blick auf Ida.

"Der arme Graf," dachte sie und lachte still in sich hinein; sie konnte sich denken, wie arg dieser schreckliche Vorsatz ihn angreifen werde.

* * * * *

DIE FREIWERBER

Schon seit einer langen halben Stunde hatte am andern Morgen Ida an ihrem Fenster gelauscht. Um neun Uhr, ehe der Vater in die Session ginge, hatte Martiniz kommen wollen, um mit ihm zu sprechen; es war ein Viertel, er kam noch nicht. Daß der Vater ihn erwarten würde, wußte sie wohl; denn der Graf hatte sich anmelden lassen; aber sie fürchtete, der Präsident möchte übler Laune werden, wenn er so lange warten müsse. Ihr Herzchen pochte so ungeduldig, alle Augenblicke wechselte das Rot auf ihren Wangen, der bräutliche Busen flog auf und nieder voll banger Erwartung. Es kann aber auch für ein Mädchen keine erwartungsvollere Stunde geben als die, wenn der Geliebte zum Vater oder zur Mutter gehen will, um sein Mädchen anzuhalten. Freude und Angst, Besorgnis und frohe Hoffnung wechseln dann auf dem lieblichen Brautgesichtchen, ein tiefer Seufzer, wohl auch ein leises Gebet entsteigt dann dem kindlichen Herzen, das zum erstenmal geteilt ist zwischen der Anhänglichkeit an die Eltern und der Liebe zu dem, der sie zu seinem Frauchen machen will.

Zwar konnte Ida nicht zweifeln, daß der Vater diese Partie für sie sehr anständig finden würde; aber sie kannte ihn, wie er alles nach den Dienstverhältnissen abwog. Konnte er nicht aus Furcht vor der allerhöchsten Ungnade nein sagen, weil man in der Residenz den Grafen für eine andere bestimmt hatte? Und dann der Onkel des Grafen,—sie hatte vom Hofrat gehört, daß es einen solchen gebe, einen ältlichen, etwas grämlichen Mann, von dem der Graf sehr abhängig sei; wird er auch seine Einwilligung geben?—

Auch vor der Gräfin war ihr bange. Zwar, es lag kein geringer Triumph darin, die Gegnerin, die alle Höllenkünste aufgeboten hatte, Emils Herz von ihr abzureißen, überwunden zu haben; aber sie scheute sich doch beinahe ebenso sehr vor dem Zorn der Gewaltigen, als sie sich freute, zu sehen, was sie für ein Gesicht machen werde, wenn man ihr es ankündige.

Endlich—ja, er war es; in seiner glänzenden Uniform wie gestern trat er heraus,—mit ihm Ladenstein; nein, wie aber dieser geputzt war! Sie hatte, als sie sich bei Hof präsentieren ließ, einmal einen ….schen Gesandten gesehen, gerade so war er gekleidet; der Frack starrte von goldener Stickerei, ein handbreites Ordensband ging ihm über die Brust quer herab, auf der Brust—was tausend! Da hatte er ja sogar einen Stern! "Nun, das muß doch ein vornehmer Herr sein, der Herr von Ladenstein," dachte Ida und machte große Augen, "und sonst sieht er doch ganz schlicht aus."

Es kam die Treppe herauf, es pochte an ihrer Türe; gewiß wollte Emil noch einmal—nein, es war nur Ladenstein, aber auch dieser war ihr willkommen. Aber so freundlich er lächelte, so war es ihr doch, als könne sie heute nicht so ungeniert sein als früher. Sie machte einen tiefen, tiefen Hof- Gala-Knix, als er so bebändert, besternt und übergoldet zu ihr eintrat, und wußte nicht gleich recht, wie sie ihn empfangen sollte; er aber lachte ihr gerade ins Gesicht: "Ich weiß wohl, woran es liegt, daß mich Fräulein Ida nicht empfängt wie einen alten Freund; die paar Ellen Band da! Ei, ei, das hätte ich doch nicht gedacht, daß sich eine junge Dame dadurch gleich so einschüchtern ließe!" Sie sammelte sich und lachte sich jetzt selbst recht aus, daß sie ihn so steif und förmlich wie eine ungeheure Respektsperson empfangen habe; er zog sie zutraulich zu sich auf den Divan und erzählte, daß Emil in diesem Augenblick mit seiner Werbung vor dem Papa stehe und sie hoffentlich recht bald als Bräutchen umfangen werde.—

Das Mädchen ward feuerflammrot; sie hatte sich noch von keinem Menschen Braut nennen hören, es war ihr ein so ungewohntes Wörtchen, und doch kam es ihr selbst wieder vor, als sei es ihr recht bräutlich zu Mut.—

Er selbst, fuhr der freundliche Alte fort, sei als Reservebataillon und Hinterhalt aufgestellt; er habe sich darum mit all seinem Flitterputz angetan, um damit dem Herrn Papa-Präsidenten, wenn er etwa noch einiges Bedenken tragen sollte, über den Hals zu fallen.

Ida ward recht nachdenklich, als sie aus Ladensteins Mund hörte, daß es denn doch fehlen könne, und sagte: "Ach, vor meinem Vater ist mir nicht so bange, der gibt am Ende schon nach, wenn ich ihn recht schön bitte; aber der Onkel—"—"Nun, was für ein Onkel ist denn das?" fragte Ladenstein aufmerksam und neugierig.

"Emils Onkel, wissen Sie denn nichts von dem? Ach Gott! Das soll ein gar böser alter Herr sein,"—Ladensteins Gesicht zog sich immer mehr in die Länge bei diesen Nachrichten—"das hat mir Hofrat Berner, der den jungen Grafen und seine Verhältnisse kennt, gesagt; von ihm hängt Emil ab; denn er soll ihn so lieb haben wie seinen Vater, und der alte Herr soll auch sehr viel an dem Neffen tun—"—es zuckte wie tiefe Rührung in Ladensteins Gesicht—"wenn nun dieser die Sache erfährt," setzte sie traurig hinzu, "wenn er dem Grafen eine Schönere, eine Bessere ausgesucht hätte, wenn er nein sagt—"

 

"O, er sagt nicht nein, er kann keine Bessere finden," unterbrach sie der alte Herr voll wunderbarer Rührung.

"Eine Treuere wenigstens nicht, keine, die ihn mehr ehren würde; ach, wenn man nur den erweichen könnte! Sehen Sie, Ladenstein," sagte sie unter Tränen lächelnd, "ich habe mir eine kleine List ausgedacht, es ist zwar eine Kriegslist, aber doch wohl eine erlaubte, und Sie habe ich dazu ausersehen, daß Sie mir dabei helfen. Sie kennen die Szene aus der Kirche, die ich Ihnen gestern zeigte; die habe ich nun ganz eigentlich für den alten Martiniz entworfen. Sehen Sie, wenn er etwa zweifelt, daß ich seinem Neffen so recht von Herzen gut bin, so—das tun Sie mir schon zu Gefallen, und Sie kennen den alten Herrn gewiß—so zeigen Sie ihm die Gruppe da, sagen Sie ihm, ich sei es gewesen, die seinen Emil von dem schrecklichen Wahn befreite; wollen Sie?"

Der alte Herr nickte ihr stumm seine Einwilligung zu, die hellen Tränen rollten ihm durch die gefurchten Wangen, er war so tief gerührt, daß er nicht sprechen konnte; er faßte ihre Hand und zog sie an seine Lippen. Endlich faßte er sich doch wieder; er wischte die Tränen hinweg, er war freundlich wie zuvor und fand auch die Sprache wieder.

"Ich will es ihm geben, dem alten Gesellen," sagte er lächelnd, "ich kenne ihn so gut wie mich selbst und darf sagen, daß ich sein innigster—bester Freund bin; haben Sie keine Sorgen, Töchterchen, der Alte schlägt mit Freuden ein; aber das Bild da soll er haben, und wie ich ihn kenne, wird er es hoch anschlagen, es wird sein bestes Kabinettsstück sein."

* * * * *

FORTSETZUNG DER FREIER

Sie wurden von Emil unterbrochen, der in stürmischer Eile Ladenstein zum Präsidenten hinabrief. Dieser ging und ließ die beiden allein. Emil sagte seinem Mädchen, daß der Papa durchaus nicht abgeneigt scheine; nur habe er bange, was der Hof dazu sagen werde. Er für seinen Teil könne diese Bedenklichkeiten nicht begreifen; denn offenbar gehe es den Hof nicht im mindesten etwas an, wen er heiraten wolle. Ida konnte wohl ahnen, was ihr Vater unter diesen Bedenklichkeiten wegen des Hofes verstand; aber sie scheute sich, den Geliebten darüber zu belehren. Es wäre aber auch Sünde gewesen, ihn in seinem Glück zu stören. Er saß so selig neben dem bräutlichen Mädchen, er war so trunken von Wonne und Glück, daß er nichts anderes mehr zu hören und zu denken schien als sie.

Man konnte aber auch nichts Holderes, Lieblicheres sehen als das Mädchen. Ihr Auge glänzte voll Liebe und Seligkeit, auf den Wangen lag das heilige Frührot der bräutlichen Scham, um den Mund spielte ein reizendes Lächeln, das bald Verlegenheit über den ihr so ungewohnten Stand einer Braut, bald Wonne und Freude verriet.

"Mein holdes, einziges, mein bräutliches Mädchen," rief der glückliche Martiniz, nachdem er sie lange mit seinen trunkenen Blicken angeschaut hatte. "Mein lieber, guter Emil," lispelte sie und sank in seine Arme und barg ihr tief errötendes Köpfchen an seiner Brust. Aber obgleich es ihm Freude machte, das Engelskind so an sein treues Herz geschmiegt zu sehen, das schöne Haar mit seinen Ringellöckchen zu betrachten und in den herrlich gewölbten Nacken, so rein und weiß, so glänzend wie aus Wachs geformt, niederzublicken, so machte ihm doch die Kehrseite mehr Freude. Er faßte das Engelsköpfchen an dem sanften Kinn und hob es aufwärts. Wie mild, wie treu blickten ihn diese Augen an, wie würzig wölbten sich die Purpurlippen ihm entgegen! Er schlang den Arm um den schlanken Leib, er preßte sie an sich und sog in langen, langen Küssen das süßeste Leben in sich ein.

Nein, wahrhaftig, so sonderbar war ihr in ihrem ganzen Leben nicht zu Mut gewesen wie in diesen Augenblicken. Es prickelte und zuckte ihr durch alle Nerven, durch alle Glieder und Gliedchen, bis hinaus in die Fingerspitzen, bis hinab in den großen Zehen. Es war ihr so wohl, so wonnig zu Mut, als sollte sie, aufgelöst in innige Liebe, vergehen. Sie wollte ihn ansehen und hatte doch das Herz nicht dazu, sie wollte sich schämen und schalt sich wieder aus über die Torheit; denn es war ja ihr Bräutig—; nein, das fiel ihr eben siedendheiß ein, es war noch nicht ihr Bräutigam, Papa hatte ihm seine Einwilligung noch nicht zugesagt—es schickte sich doch nicht so recht; sie wand sich verschämt aus seinen Armen und wollte eben sagen, daß er doch ein wenig einhalten—

Da ging die Türe auf und mit freudestrahlendem Gesicht, den lächelnden Präsidenten an der Hand, schritt Ladenstein herein. "Ich gratuliere," rief er, "der Herr Papa willigt ein." Ida flog an den Hals ihres Vaters. Sie weinte, sie lachte in einem Atem, sie streichelte seine Wangen und küßte ihn und war ein so munteres, wöhliges Kind, als habe er ihr eine hübsche Puppe zum Weihnachten oder als Geburtstagsangebinde geschenkt.

Auch Emil war aufgestanden und zum Präsidenten getreten. Er fragte ihn voll Freude, ob es ihm erlaubt sei, ihn Vater zu nennen.

Der Präsident lächelte und zeigte auf Ladenstein. "Nach dem, was Seine Exzellenz, Ihr Herr O—" ein Wink des alten Herrn machte, daß er sich schnell korrigierte—"was Herr von Ladenstein mir sagte, ist durchaus kein Zweifel mehr in mir, der dieser Verbindung entgegen wäre."

Die Glücklichen sanken sich in die Arme, sie umarmten sich, den Vater, den guten Ladenstein, ja, es schien fast, als möchten sie noch mehr Zeugen ihres Glückes. Und nun ging es an ein Akkordieren wegen der Hochzeit; der Graf wollte lieber heut als morgen und hätte gerne sein liebes Bräutchen nur so im Hauskleidchen, wie sie dastand, ins Münster geführt. Aber dagegen sträubte sie sich selbst. Sie sah gar zu naiv aus, als sie so ernsthaft sagte—"Nein, wenn es einmal sein muß, so muß es auch recht sein. Im Hausüberröckchen traut man kein reputierliches Fräulein." Der Präsident stimmte bei; er sagte: "Sie haben ja noch gar nichts, wo sie nur ihr Haupt hinlegen könnten, keine Wohnung, keinen Stuhl, kein Bette!"

Aber dagegen protestierte wieder Ladenstein feierlich: "Ein Vierteljahr ist viel zu lang, und was den Ort betrifft, wo sie ihr Haupt hinlegen könnten, da habe ich ein so anständiges Plätzchen ausersehen, wie man es nur wünschen kann. Da ist—" er zog eine große Schreibtafel hervor, nahm mehrere Papiere heraus und entfaltete sie—"da ist ein gerichtlich ausgefertigter Kaufbrief von Schloß und Herrschaft Groß-Lanzau, drei Viertelstunden von hier, angekauft für den Herrn Grafen Emil von Martiniz, wenn Sie ihn kennen, und ihm von seinem Oheim zur Morgengabe übermacht, kann heute schon bezogen werden, wenn es ihm gefällig ist."

Die drei machten große Augen. Emil stürzte dem alten Herrn an den Hals. "Mein teurer väterlicher—"

"Still, still, ist schon gut," unterbrach ihn der alte Herr, indem er ihm die Hand auf den Mund legte, "bedenke dein Versprechen. Ich habe hier nur den Geschäftsträger gemacht, danke deinem Onkel, wenn er einmal da ist!"– "Ach, wo ist er denn, der gute Onkel," rief Ida, "daß ich ihm danken kann für seine unendliche Güte?"

"Wird auch kommen zu seiner Zeit," antwortete Ladenstein, indem ihm eine Träne der Rührung im Auge blinkte, "er wird schon kommen und eine Freude an seinem holden Töchterchen haben; einstweilen soll ich Idchen in seinem Namen küssen." Er gab ihr einen recht väterlichen Kuß auf die schöne Stirne.

Der Präsident hatte indessen die Papiere durchgesehen. Je länger er las, desto größer und staunender wurden seine Augen. Ehrfurchtsvoll faltete er die Papiere zusammen und sagte: "Nein, das ist zu arg, das ist zu viel; bedenket, Kinderchen, nicht nur das herrliche Groß-Lanzau mit dem schönen, neuen Schloß, ganz durch und durch elegant ausmöbliert, mit Stallung und Pferden, mit Scheunen und Knechten, mit Wäldern und Feldern, weiß Gott, seine zweimalhunderttausend Taler unter Brüdern wert, nein, bedenkt auch noch—"

"Still, alter Herr," unterbrach ihn Ladenstein. "Macht kein solches Wesen von dem Zeug! Ihr wißt, der alte Martiniz kann es geben und gibt es gern. Da ist auch noch etwas in den Papieren für das liebe Bräutchen, nämlich ein kleines Schlößchen, hart am Fluß, ein Stündchen von hier. Man hat mir gesagt, daß Idchen immer gerne an jenem Plätzchen gewesen sei, und deswegen hat es der Herr Onkel seiner lieben Nichte erb- und eigentümlich zum Brautgeschenk übermacht."

Voll freudigen Schreckens schlug das Mädchen die Hände zusammen. "Doch nicht mein liebes Blauenstein?" rief sie. "Ebendasselbe," antwortete Ladenstein und überreichte ihr die Schenkungsakte.

Sie konnte es nicht fassen, sie tanzte mit dem großen Brief im Zimmer umher wie närrisch und rief immer: "Mein Blauenstein, mein liebes, herziges Blauenstein!" daß die drei unwillkürlich über die possierliche Freude des Mädchens lachen mußten.

Es ist aber auch wahr, man kann nichts Schöneres sehen als dieses Blauenstein. Ein allerliebstes Schlößchen mit fünf bis sechs elegant eingerichteten Zimmern und einem Salon, auf drei Seiten von einem schönen Wald umgeben und die vierte Seite, die Fassade des Schlößchens, gegen den schönen Fluß geöffnet, und eine paradiesische Aussicht hinüber in Täler und Berge—und dieses lauschige, liebliche Plätzchen ihr ganz eigen, ihr, dem fröhlichen Bräutchen, und dort zu wohnen als Frauchen mit ihrem Emil— gewiß, ein solcher Gedanke hätte manche andere tanzen gemacht!

Und jetzt hatte der Präsident auch nicht das geringste mehr einzuwenden, und die Hochzeit wurde vor den Ohren des errötenden Mädchens auf die nächste Woche festgesetzt. Heute abend aber wollte Papa Präsident große Gesellschaft geben und dort das junge Paar als Braut und Bräutigam präsentieren.

* * * * *

DIE SOIREE

"Was aber der Präsident Sanden dick tut!" sagten die Freilinger, als jetzt die Lakaien in der Stadt umherflogen und zum Souper einluden. Die meisten dachten, es geschehe der Gräfin Aarstein zu Ehren, bei welcher er sich auf alle mögliche Weise zu insinuieren suche, um später einmal Minister zu werden.

Als man aber abends in den Salon des Präsidenten trat, wurde man noch mehr von diesem "Dicketun" überzeugt. Außer den prachtvollen Lüstres, die gewöhnlich bei Gesellschaften angezündet wurden, war eine ganze Galerie der geschmackvollsten Wandleuchter von Bronze angebracht, und Walratlichter, so durchsichtig und klar wie Glas, eine ganz nagelneue Erscheinung für Freilingen, strahlten ein Feuermeer von sich. Die Wände waren mit Festons von Blumen und grünen Zweigen geschmückt, die sich in den deckenhohen Spiegeln zu einem ganzen Wald von Kränzen und Girlanden vervielfältigten. Ein ganzer Hausrat der prächtigsten Kristalls, Vasen, Teller, Becher, Platten, Schüsseln, Bouteillen blinkte mit seinen geschliffenen Figuren in tausend vielfarbigen Lichtern. Das schwerste Silber an Bestecken und Leuchtern ward heute aufgesetzt, und jedermänniglich war erstaunt über diese Pracht.

Einige aber, die feinere Nasen hatten als die übrigen, legten die Finger daran und klügelten hin und her, was dies alles zu bedeuten habe; denn man wußte so ziemlich allgemein, daß der alte Sanden ohne Not und wichtige Ursache nicht so viele Umstände mache. Doch aus seinem Gesicht konnte man nicht recht vernehmen, was er in petto habe, Er empfing seine Gäste höchst freundlich, aber zeremoniös, sprach mit keinem sehr viel und lange, sondern teilte sich überall und allen mit. Die Gräfin—nun, die kam endlich, sah aber nicht danach aus, als ob ihr das Fest gehöre; denn sie war wie gewöhnlich prachtvoll, aber nicht gerade festlich gekleidet.

Die einzigen von allen Gästen, die mit ihren Erwartungen so ziemlich am nächsten ans Ziel trafen, waren wohl Leutnant Schulderoff und seine Kameraden. Sie waren seit der Duellgeschichte die eifrigsten Freunde des Polen geworden und hatten ihre geheime Schadenfreude daran, daß der Goldfisch wahrscheinlich der Aarstein, welche die Garnisonoffiziere sehr über die Achsel angesehen und ganz obenhin behandelt hatte, entschlüpfen würde. "Wenn die Ida doch keinem von uns gehören soll," hatte Schulderoff geäußert, "so gönne ich sie am liebsten dem Martiniz; er ist Soldat und, das muß man ihm lassen, brav wie der Teufel; stand er doch da, als die blaue Bohne auf ihn zusurrte, als wäre es ein Schneeglöckchen; so kalt und fest habe ich in meinem Leben keinen sich schießen sehen. Und am Ende hatte er doch recht; denn Sporeneck räsonierte doch über die Ida, daß es mir selbst das Herz im Leibe hat zerreißen wollen. Das kommt aber von niemand her als von der Aarstein, die den guten Jungen, den Sporeneck, zum Teufel modelliert hat, und nebenbei kommt es auch von meiner Frau Mama mit ihrer ewigen Planmacherei, mich unter die Haube zu bringen, und nebenbei auch von der falschen Katze, der Sorben, die gegen jedermann ergrimmt ist, der nicht von ihren Reizen hingerissen wird."

 

So urteilte der Leutnant und mit ihm seine Kameraden, so sehr hatte die Uniform und der Orden auf Martiniz' Brust die ganze Sache verändert.

Endlich war die ganze Gesellschaft beisammen. Man konversierte in dem festonierten Saal, ehe man zu den Spieltischen ging, und die Gräfin hatte den größten Hof um sich; denn man dachte nicht anders, als sie müsse doch vielleicht die Königin des Festes sein. Es fehlte niemand mehr; doch ja, Martiniz und Ladenstein fehlten noch; die Gräfin suchte vergebens mit ihren rastlosen Blicken nach dem ersteren. Sie hatte eine tüchtige Schelte einstudiert, um ihn für seine Vernachlässigung zu strafen; überhaupt hatten sich ihr heute so sonderbare Gedanken aufgedrängt—der Graf, der sich doch sonst an sie angeschlossen, dem sie so merklich als möglich ihre Neigung zu ihm gezeigt hatte, war zwei Tage gar nicht für sie sichtbar; sie wußte, daß er heute im Haus gewesen, und doch hatte er sie nicht besucht; der Rittmeister—der war ihr nun ganz unbegreiflich, und sie war bitterböse auf ihn. Im ganzen war er ihr gleichgültig; denn ihre Neigungen waren sehr flüchtiger Natur; auch war ihr der Graf jetzt bei weitem interessanter, und sie gestand es sich selbst, sie hätte ein Wohlwollen zu ihm, das beinahe Liebe war,—aber dennoch sollte der Rittmeister noch immer der Cavaliere servente sein, und dennoch konnte er es wagen, zwei Tage sich nicht mit einem Blick sehen zu lassen. Wenn er auf die Jagd geritten war, wie die übrigen Offiziere äußerten, so hätte er wenigstens ein Billett an sie hinterlassen können—aber sie wollte es ihm entgelten.

Der Arme! er lag gerade jetzt auf seinem Schmerzenslager und fluchte die fürchterlichsten Flüche, daß er sich jemals in die Dienste dieser Sirene begeben habe.

* * * * *