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Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie.

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Von diesem dritten Menschen giebt es tausend und abertausend Varianten. Die gegenseitige Hemmung und Beeinflussung der Gedankenketten ist es, die uns erst eigentlich das geistige Werden unserer Handlungen zum Bewusstsein bringt und verhindert, dass Impuls und Effect sich bloss reflectorisch auslösen. Man kann sagen, dass wir unserer Gedanken erst recht bewusst werden, wenn sie gehemmt sind und einander bekämpfen, etwa so, wie die Meeresfläche uns erst charakteristische Form gewinnt, wenn wir sie uns als ein Spiel sich brechender Wogen denken. Von einer freien Beeinflussung des Willens aber durch das Bewusstsein kann im buchstäblichen Sinne keine Rede sein. Wir erhalten äussere Eindrücke, wir denken in gewissen vorgezogenen Linien, dieses Denken wird uns unter gewissen Bedingungen durch einen Act, dessen innerste Natur wir nicht ergründen können, bewusst: das ist alles. In diesen Verhältnissen liegen die Wurzeln unseres Glückes und unserer Schmerzen, unserer Fortschritte und unserer Rückschritte. Naturwissenschaftlich sind wir als ehrliche Beobachter gezwungen, die Bedingtheit aller menschlichen Willensacte der Art des geistigen Apparates gemäss als eine Thatsache auszusprechen, die weder juristische noch theologische Forderungen irgendwie erschüttern können.

Diese Forderungen müssen sich mit der Thatsache abfinden. Die Genesis seiner Gedanken und Handlungen zugestanden, bleibt ja praktisch der Mensch mit lauter Gedankenketten, die im Verbrechen gipfeln, schlecht und strafbar und der Mensch, der durch den Zwang seiner Gehirnfurchen zu moralischem Denken und Thun gezwungen wird, gut.

Für den Dichter aber scheint mir in der Thatsache der Willensunfreiheit der höchste Gewinn zu liegen. Ich wage es auszusprechen: wenn sie nicht bestände, wäre eine wahre realistische Dichtung überhaupt unmöglich. Erst indem wir uns dazu aufschwingen, im menschlichen Denken Gesetze zu ergründen, erst indem wir einsehen, dass eine menschliche Handlung, wie immer sie beschaffen sei, das restlose Ergebniss gewisser Factoren, einer äussern Veranlassung und einer innern Disposition, sein müsse und dass auch diese Disposition sich aus gegebenen Grössen ableiten lasse, – erst so können wir hoffen, jemals zu einer wahren mathematischen Durchdringung der ganzen Handlungsweise eines Menschen zu gelangen und Gestalten vor unserm Auge aufwachsen zu lassen, die logisch sind, wie die Natur.

Im Angesicht von Gesetzen können wir die Frage aufwerfen: Wie wird der Held meiner Dichtung unter diesen oder jenen Umständen handeln? Wir fragen zuerst: Wie wird er denken? Hier habe ich die äussere Ursache: was findet sie in ihm vor? Was liegt als Erbe in seinem Geistesapparate, was hat die Bildung und Uebung des Lebens darin angebahnt, welche fertigen Gedankenlinien wird jene äussere Thatsache erregen, wie werden diese sich hemmen oder befördern, welche wird siegen und den Willen schaffen, der die Handlung macht? Ich habe das Wort »mathematisch« gebraucht. Ja, eine derartige Dichtung wäre in der That eine Art von Mathematik, und indem sie es wäre, hätte sie ein Recht, ihr Phantasiewerk mit dem stolzen Namen eines psychologischen Experimentes zu bezeichnen.

Ich glaube gezeigt zu haben, wie gross unsere Unkenntniss im Einzelnen besonders bei der Vererbungsfrage noch ist. Jene Dichtung, von der ich rede, ist in ihrer Vollendung noch ein Traum. Aber das soll uns nicht hindern, rüstig am grossen Bau mitzuschaffen. Einstweilen möge sich vor allem die Klarheit über die Hauptprobleme Bahn brechen. Der Dichter soll anfangen, sich bei der Unzahl von Phrasen etwas zu denken, die auf seinem Gebiete umherschwirren, die Sätze wie: »Es lag in ihm so zu handeln«, »Die Natur brach sich gewaltsam Bahn«, »Er fühlte etwas, was seinen Gedanken blitzschnell eine andere Richtung gab« und ähnliches, sollen ihm einen Inhalt bekommen, er soll einsehen, dass es im Geiste so wenig Sprünge giebt, wie bei einem festen Verkehrsnetz, wo jede alte Strasse so lange wie möglich benutzt wird und eine neue nicht von heute auf morgen gebaut wird, er soll endlich alle die grossen Namen: Schicksal, Erbsünde, Zufall und wie sie heissen mögen, im Einzelnen neu prüfen und auf die Principien hin modificiren, wo es Noth thut. Ich gebe hier keine Aesthetik, sondern beschränke mich auf die naturwissenschaftlichen Grundlagen, es liegt mir fern, in jene Fragen näher einzutreten, die sich daran anknüpfen. Man sagt wohl, die Poesie werde roh und alltäglich, wenn sie sich an die Fragen der Physiologie um Auskunft wende. Wenn ich die Probleme überblicke, auf die der Gang dieser Studie mich geführt hat, so weiss ich nicht, was das heissen soll. Diese Probleme sind die höchsten, die ich mir denken kann. Wir stehen dicht vor der Schwelle des Ewigen, des Unerreichten, und wandeln doch noch auf dem sicheren Boden der Wirklichkeit. Giebt es einen höheren Genuss?

Drittes Capitel.
Unsterblichkeit

Geheimnissvolles Wort, – Unsterblichkeit! Wer die Geschichte der Menschheit anknüpfen wollte an die Geschichte ihrer tiefsten Träume, ihres bangesten, herzbewegtesten Sehnens, der müsste sie anknüpfen an dieses Wort.

Es ist nicht wahr, dass dieses Wort nicht auch uns noch immer im Grunde all' unseres Denkens fortzitterte: – die uralten Phantasieen des Volkes vom Nilstrande, in denen der Zauber desselben zuerst eine dämonische Macht geworden, sind von all' dem Alten, Verklungenen vielleicht noch das Lebendigste und greifbar Deutlichste, was mitten durch unsere junge Welt wandelt. Wir sind anders geworden, besser, freier, wir stehen nicht mehr im Morgenschein der Jahrtausende, der helle Mittag wölbt sich über uns, der grosse, helle Mittag, von dem wir noch kein Ende sehen, – und doch – und doch. Das Wort Unsterblichkeit ist nach wie vor eine zwingende Gewalt. Es ist die Basis aller Metaphysik in der Religion. Die Zeiten sind herum, wo die Menschheit einen Gott in Donnerwolken oder Knechtsgestalt zur Erklärung ihrer Sittengesetze brauchte: die Frage des ewigen Looses nach aller Zeitlichkeit fordert auch heute noch den kühnen Flug über die Grenzen des Erkannten, und wenn alle dogmatische Religion sich sonst zersetzen sollte, so wird ihre letzte lebenskräftige Ranke sich immer wieder emporwinden an der festen Säule des Trostes am Grabe unserer Todten. Aber wie die meisten Fragen, die eine religiöse Bedeutung besitzen, ist auch diese zugleich auf's Engste verwachsen mit der Dichtung. Ihre Behandlung unter den Prämissen realistischer Aesthetik und Poesie scheint mir um so dringender geboten, als die allgemeine Ansicht von der Stellung der exakten Naturwissenschaft zu ihr vielfach eine einseitige oder geradezu falsche ist. Dank einer gewissen Sorte von voreiligem und bei bestem Willen hochgradig ungeschicktem Popularisiren physiologischer Erkenntniss, hat man sich daran gewöhnt, ein Dilemma aufzustellen, das thatsächlich nicht stichhaltig ist. Man wiederholt unaufhörlich die beiden Sätze: Entweder unsere Seelen sind unsterblich, – oder mit dem Tode ist alles aus für ewige Zeiten und in jeder Bedeutung, – wobei es dann als Folgerung der Wissenschaft nahe gelegt wird, dass die erste Möglichkeit in Wahrheit keine sei und die zweite als Kehrseite der andern die nothwendig richtige sein müsse. Der Fehler liegt in dem »entweder – oder«. Ich will versuchen, das exact zu entwickeln. Die moderne Physiologie ist, um den ersten Punct zunächst allein in's Auge zu fassen, allerdings, sobald sie ehrlich sein will, gezwungen, die gewöhnlichen Vorstellungen von Unsterblichkeit sämmtlich zu vernichten. Die Seele im Volkssinne ist für sie lebend wie todt ganz gleichmässig ein Gespenst. Das, was wir so nennen, ist ein Complex von Erscheinungen höchst verwickelter Art, die wir unabänderlich als Parallelphänomene gewisser molecularer Vorgänge finden und zwar so parallel, dass jeder molecularen Verschiebung auch eine Verschiebung des Psychischen entspricht und das so genau, dass, wie ich es im vorigen Capitel für ein bestimmtes Gebiet durchgeführt habe, schematische Bilder des psychischen Mechanismus auf den molecularen passen und umgekehrt. Möglicherweise ist jede moleculare Erscheinung in der Welt von entsprechenden psychischen begleitet, doch werden letztere uns erst bemerkbar bei einer gewissen Summirung und Ordnung der Molecularphänomene, wie sie in der organischen und hier vor allem der höheren organischen, der thierischen und schliesslich der menschlichen Molecularstructur sich finden. Diese höhere Structur ist lediglich ein Anordnungsproblem, eine Constructionsaufgabe, bei der einfachste Bestandtheile schliesslich den complicirtesten Bau liefern. Obwohl durch gewisse, uns zur Zeit noch verschlossene Zeugungs- und Vererbungsgesetze mit der nächsten Generation ähnlicher Gebilde verknüpft, hat die einzelne Molecularpyramide, die in ihrer ungeheuren Massenanhäufung für bestimmte Zwecke auch die erstaunlichsten psychischen Parallelerscheinungen aufwies, die je geleistet worden waren, doch eine endliche Dauer und zerfällt nach einer gewissen Zeit wieder in ihre kleinen molecularen Bausteine. Letzteren Vorgang nennen wir Tod. Dass die psychischen Phänomene, die sich parallel mit den molecularen zu einer colossalen Gesammtleistung für die Dauer der molecularen Massenordnung vereinigt, im Momente des Zusammenbruchs der molecularen Pyramide ebenfalls als Ganzes verschwinden und sich in die problematischen geringsten Procentsätze auflösen, die möglicherweise an jedem Einzelmolecül haften, ist vollkommen selbstverständlich. Das Schema des physiologischen Todes: Zerfallen einer kunstvollen mathematischen Figur in lose, durch das Spiel neuer Kräfte bald nach allen Richtungen verschobene Puncte, muss sich nothwendig auch decken mit dem Schema des psychologischen Todes. Der Naturforscher muss als absolut sichere Thatsache constatiren, dass noch niemals an irgend einem Puncte der bekannten Welt psychische Erscheinungen ohne entsprechende moleculare beobachtet worden sind, und der Inductionsschluss vom Bekannten auf das Unbekannte tritt mit allem Rechte in Kraft. Das Suchen nach körperlosen Seelen, wie es in spiritistischen Kreisen als angebliches Problem behandelt wird, kann gerade vom methodologischen Standpuncte aus nur mit dem Eifer verglichen werden, mit dem jener berühmte Bürger der guten Stadt Schilda das Tageslicht vermittelst einer Mausefalle zu fangen versuchte, um es in das fensterlose Rathhaus zu überführen. Alles was in's Gebiet dieser theoretischen wie practischen Narrheiten gehört, kann physiologisch nicht scharf genug zurückgewiesen werden. Der Dichter, der hier pikante Stoffe zu finden glaubt, ist zu bedauern. Ich bin sogar der Ansicht, dass, abgesehen von den Geistererscheinungen, die keine Dichtung uns mehr im Ernste auftischen kann, der rechte Poet auf so manche kleinen Effecte verzichten soll, die man sich im Banne älterer Anschauungen noch gefallen liess. Wenn er einen Todten schildert, soll er nicht mehr die Reporterphrase verwenden: »Die Mienen des Entschlafenen bezeugten den tiefen Frieden, zu dem er eingegangen.« Die Gesichtsmuskeln werden nach eingetretenem Tode meist schlaff und geben den Zügen etwas Lächelndes. Aber man sollte das nicht mehr als Anhaltspunct benutzen, nachdem man weiss, dass es in Wahrheit nichts besagt und eine körperliche Erscheinung ganz gleicher Natur wie die nachfolgenden der Verwesung ist, die kein Mensch als Effecte ausspielen möchte.

 

Die strenge Wissenschaft geht übrigens noch weiter. Sie verneint nicht nur die individuelle Fortdauer der psychischen Processe über den Tod hinaus, sondern sie bedroht auch ernstlich die letzte Zuflucht der Unsterblichkeitsträume, die bedingte Fortdauer der Väter in den Nachkommen. Es giebt gewisse nicht wohl anfechtbare Schlüsse, die das ewige Bestehen des Menschengeschlechts für die Zukunft ebenso unsicher machen, wie es auf Grund der paläontologischen Forschung für die Vergangenheit ist.

Cosmologische Erscheinungen, die theils als Ergebniss unendlich kleiner, aber unablässig anwachsender Störungen, theils in Form gröberer Catastrophen eintreten können, sind möglich, die den Planeten, an dessen Existenz und Temperaturhöhe das organische Leben gebunden ist, gänzlich vernichten oder doch zum Bewohnen untauglich machen können. Auch jener Fortdauer durch Zeugung ähnlicher Nachkommen wäre damit ein Ziel gesetzt.

Das ist mit runden Worten die eine Seite der Frage. Die Antwort der Wissenschaft ist bei aller Mangelhaftigkeit unserer physiologischen Erkenntniss in diesem Falle decidirt genug, um alle leichtfertigen Träumereien auszuschliessen. Die Dichtung kann nichts thun, als die Thatsache annehmen, wie sie ist. Wir dürfen weder poetisch darstellen, wie ein verstorbener Mensch aus dem Jenseits zurückgekommen, noch dürfen wir überhaupt den Anschein erwecken, als hielten wir die psychische Existenz eines lebenden Wesens für etwas, was von der physiologischen Erscheinungsform so unabhängig wäre, dass es beim Zerfallen der Letzteren selbstständig weiter existiren könne.

Mit Entschiedenheit muss ich mich nun aber gegen die zweite Hälfte jenes Doppelsatzes wenden. Ich frage: was will der Satz »mit dem Tode ist Alles aus«? In dem »Alles« steckt eine Vermessenheit, die derselbe Naturforscher, der eben die bestimmte, positive Einzelannahme eines Fortlebens der individuellen Seele zurückweisen musste, darum noch lange nicht kritiklos nachzusprechen gezwungen ist. In jenem »Alles« wäre enthalten, dass wir eine factische Kenntniss vom Wesen der ganzen Welt, wie des Individuums hätten. Das ist nicht der Fall. Es muss ganz scharf unterschieden werden: die bestimmte psychisch-physiologische Weltansicht des Naturforschers und die Welt an sich, die Welt, die sich hinter dem Bilde verbirgt, das wir sehen. Der Naturforscher ist ein Mensch. Er sieht Dinge um sich her, so weit seine Sinnesorgane und sein Gehirn ihm das erlauben – nicht mehr. Die schärfsten Beweise sprechen dafür, dass diese Sinnesorgane und dieses Gehirn ihm nur einen ganz beschränkten Theil der wirklichen Welt zeigen, und es giebt eine Reihe von Puncten, die nahe zu legen scheinen, dass sogar dieser kleine Theil beeinflusst und möglicherweise gefälscht ist durch die feste Form seines beobachtenden und reflectirenden Organes. Da Alles, was wir gewahren, erst in unserm Centralorgan zum Bilde wird, so kann die Vermuthung nicht wohl widerlegt werden, dass die Structur dieses Organs auf die Form dieses Bildes einen Druck ausübt; man hat mit einiger Wahrscheinlichkeit bereits ausgesprochen, dass die Begriffe des Raumes, der Zeit und der Causalität in unserm subjectiven Weltbilde erst Wirkungen dieses Druckes wären und somit überhaupt nur in uns, nicht in der Aussenwelt existirten; man hat mit ziemlicher Sicherheit den Begriff des Stoffes in uns selbst verlegt, während von Aussen nur Krafteindrücke kommen. Und es wird für den Laien am Besten ermöglicht, sich in diese kühnen, aber nicht unbegründeten Hypothesen hineinzudenken, wenn er sich an rohe Facta der Sinnenwelt hält (beispielsweise die Farben, welche bekanntlich nicht an den Gegenständen haften, die wir roth, blau oder grün sehen, sondern in unserm Auge sind) und sich mit ihrer Hilfe die Möglichkeit vergegenwärtigt. Während diese Ideenkreise die Fälschung unseres Weltbildes durch unser eigenes Denkorgan als wahrscheinlich hinstellen, zwingt andererseits die Forschung selbst zur Erkenntniss fester Grenzen. Wir sind nicht im Stande, jenen Parallelismus von Psychischem und Molecularem, von dem auf diesen Blättern bereits so oft die Rede gewesen ist, irgendwie zu verstehen. Wenn eine Molecülreihe rechts schwingt beim Gefühl des Schmerzes, links bei dem des Angenehmen, so ist damit noch keine Brücke geschlagen von der Schwingung zum Gefühl und wir können lediglich den nie wechselnden Parallelismus constatiren. Wenn wir den Begriff des Molecüls zerlegen und die tieferen Geheimnisse dessen aufzudecken versuchen, was wir mechanische Kraft nennen, so verwickeln wir uns nicht aus Unkenntniss der Sachen, sondern durch offenkundiges Versagen der Logik in unlösbare Widersprüche. Wir können nicht umhin, ein derartiges Aufhören aller wissenschaftlich gangbaren Strassen als Grenze zu bezeichnen. Wir fühlen sehr wohl, dass jenseits derselben noch sehr Viel liegt, ja, die fundamentale Kenntniss des Daseins eigentlich erst ihren Anfang nehmen würde, aber es ist nichts zu machen, wir können mit dem Gehirn, das wir haben, einfach nicht weiter. Ob unsere Urenkel mehr vermögen werden, muss ihnen ihr vielleicht weiter entwickeltes Gehirn sagen, es geht uns gegenwärtig nichts an.

Eine Wissenschaft aber, die von Grenzen, von Fälschungen ihres Weltbildes zu reden gezwungen ist, kann zwar innerhalb ihres Gebietes sehr wohl diese oder jene Thatsache als sicheres Resultat aufstellen, sie hat aber kein Recht, ihre Urtheile in der Weise zu verallgemeinern, dass sie sich für competent in Fragen der absoluten Welt, der Welt an sich, erklären darf. Die Wissenschaft ist nicht nur berechtigt, sondern genöthigt, ausdrücklich festzustellen, dass so, wie sich die Welt in unsern Menschenaugen deutlich erkennbar spiegelt, ein isolirtes Fortleben der Seele einfach unmöglich ist. Mit dem Tode ist eine Kette von Ereignissen der sichtbaren Welt zu Ende. Was beweist das für die wirkliche Welt, jene Welt, die sich noch unabsehbar hinter unsern Erkenntnissgrenzen dehnt und von der ein ganz kleines, getrübtes Endchen in unser Sehfeld sich erstreckt? Gar nichts. Wir, die wir weder wissen, was psychische und moleculare Vorgänge ihrem innersten Wesen nach sind, noch wie sie zusammen kommen, wir, die wir von Zielen, Zwecken, Sittlichkeit, Gesetzmässigkeit, Anfang, Ende, Schönheit oder Hässlichkeit der wahren Welt auch nicht das Geringste ahnen, wir sollten von etwas sagen, es sei zu Ende? Wir, die wir in einer Welt voll unendlicher, sich im Raum verlierender Linien, voll unendlicher Decimalbrüche, voll unendlich theilbarer Körper leben, wir sollen von irgend einem Ding sagen: Hier ist alles aus? Eine wohlfeile Philosophie, die aus dem schwankendsten unserer Begriffe, der Materie, etwas absolutes macht, mag sich dabei beruhigen; Naturwissenschaft ist das nicht.

Ich hoffe, dass man mich richtig verstanden hat. Alles was wir Menschen sehen, ist Physisches, auch das Psychische, in so fern es stets an ein Physisches geknüpft ist. Innerhalb dieses Physischen giebt es keine Unsterblichkeit. Aber wir haben Grund zu glauben, dass dieses Physische vor unsern Augen nicht das echte Cosmische, das eigentlich Wahre und Seiende ist, sondern bloss ein mattes und lückenhaftes Gleichniss desselben. Innerhalb dieses eigentlich Seienden ist allem Anschein nach das Leben, das psychische wie das moleculare, selbst etwas ganz anderes, und dort mag es Verhältnisse geben, die alle irdischen Conflicte lösen, alles Schiefe versöhnen; die Annahme kann uns nicht bestritten werden, der Naturforscher hat hier nichts mehr zu sagen. Freilich: Wissen thun wir von jener Welt an sich gar nichts, als dass sie besteht. Aber darin liegt viel. Mit ihrer Existenz haben wir einen ruhenden Punct gefunden, der ausserhalb des Irdischen liegt. Mit dem Bewusstsein eines solchen Punctes weicht die drückende Schwere des Vernichtungsgedankens sowohl im Individuellen, wie im allgemeinen Erdenloos. Mag unsere Laufbahn immerhin um sein für die Augen, für das enge Gehirn der verschwindenden Menschenwelle auf dem einsamen Planeten der Sonne. Alles ist damit nicht aus. Hinter dem ewig verschlossenen Vorhang wandelt ein Anderes, ein Grösseres, als wir. Indem der Forscher uns unerbittlich versagt, unsere Unsterblichkeitsträume in Bilder der sichtbaren Welt zu kleiden, eröffnet er uns zugleich durch die Feststellung von Grenzen die Ahnung einer Welt, an die jene Träume sich ungestört heften dürfen. In dem Versagen jenes ersten Punctes muss er denn allerdings seine ganze Strenge walten lassen.

Wohl eröffnet sich uns der tiefe Gedanke, dass unser Leben nicht das Absolute, nicht Leben im eigentlicheren Sinne sei, sondern nur ein seltsamer Traum, ein Wandelbild, das an uns vorüberzieht, wohl mögen wir zugeben, dass der Tod nur eine Episode in diesem Bilde, kein wirklicher Abschluss sei. Aber das ist auch nun von der andern Seite wieder alles. Jene wahre Welt greift nicht als fremder Gott in unsere Welt ein, weder in den Offenbarungen der Religion, noch den Geheimnissen des innersten Seelenlebens, noch auch in den Idealen der menschlichen Kunst. Es giebt keine Puncte im physischen Weltbilde, das wir vor uns sehen, wo wir der Welt an sich näher oder ferner wären; überall stossen wir bei einiger Durchdringung der Erscheinungen auf die ewige Schranke.

Gleichwohl – selbst mit all' diesem Vorbehalt – scheint mir der Poesie vor allem eine mächtige Stütze in dieser Fassung des Unsterblichkeitsgedankens zu liegen. Für sie, die stets das Ganze, das Allgemeine im Auge hat, ist das Resultat des Naturforschers, das hinter der physischen Welt eine andere, wenn auch unbekannte, nachweist, ein gewaltiger Gewinn. Dem Irdischen, das in ungelösten Conflicten auseinandergeht, wahrt sie die Fernsicht in ein Zweites, das dahinter liegt und das zugleich unsere Erkenntnissschwäche, wie unsere Hoffnung einschliesst. Nur wenn sich die Poesie frei macht von dem gewöhnlichen, physischen Unsterblichkeitsglauben und, der Wissenschaft folgend, sich zu dem wahrhaft philosophischen Gedanken erhebt, dass diese Erscheinungen des Lebens, wie des Todes überhaupt nicht das wahre Wesen der Sache, sondern nur das getrübte Bild, wie es unser Gehirn im Zwange fester Ursachen schafft, darstellen – nur dann kann sie mit gutem Gewissen wieder gelegentlich den Schmerz der Tragödie mildern durch ein weises Betonen des tröstenden Gedankens, dass weder mit dem Leben, noch mit dem Tode, weder mit menschlichem Glücke noch menschlichem Unglücke »Alles aus sei.« Und es ist dann sehr einerlei, ob sie mit Hamlet bloss unser Nichtwissen in die geheimnissschweren Worte kleidet: »Der Rest ist Schweigen,« oder ob sie in sieghaftem Vertrauen emporjubelt mit dem Götheschen Chor: »Alles Vergängliche ist nur ein Gleichniss!«