Das Mitternachtsschiff

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Bak-Ptah sah Osiris, sah Thot, den ibisköpfigen Schreibergott, der das Ergebnis der Prüfung festhält, sah Horus, der die Waage überwacht. Und er hatte Angst, der kemetische Bauer Bak-Ptah, dass er nicht das Gefilde Jam erreicht, das fruchtbare, paradiesische Land für ein ewiges Leben. Er schrie, sprang auf und schrie auch noch, als Sudumu kam und ihn bei den Armen packte.

»Der Erhabene kennt deinen Namen. Ptah-hotep hat ihn ausgesprochen. Dein Gott sendet dich aus«, beruhigte der Admiral den Bauern. »Geh und schlaf. Erfülle deine Pflicht! Die Schale mit deinem Herzen wird sich nicht neigen.«

Der Kemete ging wortlos zur Tür, schloss sie hinter sich und kroch zu seinen schlafenden Kameraden. »Möge Ma’at aus dem Munde des Herrn sprechen«, stöhnte er.

»Sudumu, du trägst in der Brusttasche einen Papyrus mit Zeichnungen?«

»Herr, ich habe ihn bei mir, gleich, wo ich bin. Mein Vater war ein Kemete aus Ueset, ein Zimmermann, den Pharao Psammetich, der zum Gott Gewordene, für viele Jahre nach Gebal schickte, den Schiffsbau zu erfahren, um sein Wissen an den Ufern des Lazurwassers zu vermitteln. In Gebal hatte er eine Sidonerin geheiratet, ich war der Erstgeborene. Als er nach Kemet zurückgerufen wurde, begleitete ihn seine Familie in den Süden des Reiches. Später wurde ich Soldat und danach zum Aufseher ausgebildet. Verzeih, Herr, langweile ich dich?«

»Rede weiter!«

»Wir lebten in der Nähe eines Tempels, der am Ufer des Hapi in den Sandstein geschlagen ist.« Sudumu griff in sein Leder und rollte den Papyrus aus. Abdi-ashirta betrachtete die Zeichnung, die in goldenen Sandtönen vier Männer zeigte. »Unser großer König Ramses, erklärte Sudumu, »in vier Deutungen. Ich habe sie aber nicht richtig verstanden als … als … deine Gefährtin sie mir erklärte.«

»Neferheres?« rief Abdi-ashirta.

»Ja, Herr. Sie sah das Bild bei mir und wandte den Blick nicht. ›Du hast das gezeichnet?‹ Sie lobte mich und fragte mich nach meinem Namen. ›Wir verehren beide den gleichen König‹, sagte sie und sprach lange davon, dass sie es war, die unseren Pharao gebeten hatte, den Tempel vom Sand des Mitternachtswindes zu befreien. Das war damals meine erste Aufgabe als Aufseher. In der freien Zeit zeichnete ich den König, Gott Re-Harachte und Nefertari, die Gemahlin des Großen Pharao Ramses. Wir legten den Eingang des Tempels frei. Herr, es wird dich interessieren. An zwei Tagen im Jahr sendet Re sein Licht in das Innere des Tempels und leuchtet auf König Ramses und seinen göttlichen Vater. Willst du auch das Ende meiner Geschichte hören? Zwei Jahre später – ich war Bewacher der Kunst – kam der Befehl aus Menfe, den Tempel wieder mit Sand zu bedecken. Der Hof befürchtete Plünderungen durch Räuber. Ich verweigerte diese Arbeit. Eure Werber kamen in mein Haus und hießen mich, zwischen Steinbruch und Schiff zu wählen. Aber die Erinnerung fährt mit. Und das Lob deiner Gemahlin.«

»Sudumu, geh!« sagte Abdi-ashirta, erregt von den Worten des Aufsehers.

»Herr, habe ich …«

»Nein, du hast nicht falsch geredet. Dein Bericht hat mir gefallen.«

Sudumu verbeugte sich und verließ den Raum. Neferheres, dachte Abdi-ashirta, sie spricht mit einem Aufseher in der Werftsiedlung über seine Zeichnungen! Er wusste von Kerifer-Neith, dass sie Pharao half, die Größe des alten Kemet in das Leben zu holen, und Necho schien geneigt, seine Ohr der geheimen, schönen Tochter zu öffnen. Sie hatte in seinem Palast Erinnerungen an die Zeit der Ahnen ausgelegt. Sie nutze altkemetische Wendungen wie sie es in Ift-ar getan hatte, sie schrieb die Bildsprache, und diente Pharao Necho, der diese nicht beherrschte, als Vermittlerin. Der Gardist, den sie liebte, war nicht der dumpfe Soldat, den er sich gedacht hatte, und er glaubte in dieser Stunde nicht daran, dass die Frau sich nach seiner Rückkehr von Sothur lösen würde. Gleichzeitig hoffte er, dass aus seiner Tat eines Helden eine neue Zuneigung der Frau zu ihm erwüchse.

Er schüttelte den Kopf über das seltsame Gefühl, dass er keinen Zorn auf den Gardisten verspürte, der ihm durch seine Nähe zu Neferheres sogar vertraut geworden war. Er bedauerte zum ersten Mal, ihn nicht kennengelernt zu haben. Diese Nacht lag schwer auf den Menschen, hatte Pabener gesungen, bevor die Männer ihm den Mund zuhielten. Sie hatten erfahren, dass der Name Pabener auf sidonisch »der Süße« bedeutete.

Die enge Kajüte bedrückte den Admiral, die Decke schien sich auf seine Augen zu legen. Er spürte das Pulsieren des Blutes in den Ohren. Die Gedanken kehrten zu Neferheres zurück. Er war unruhig, dass er in den ersten Tagen der Reise über das Ende nachdachte. Er hatte sich mit dem Schicksal von Untergebenen beschäftigt. Das empfand er nun als Belastung, ahnte aber zugleich, dass diese Zuwendung einmal wichtig werden könnte.

Die Leiber fröstelten in der Morgenkühle. Die Soldaten lösten Gruppen von Unfreien aus den Ketten und ließen sie ins Wasser. Schweigend verrichteten die Männer ihre Notdurft, die üblichen Zoten blieben aus. Die Ruderer fluchten der Härte des Admirals, der den Landgang verweigert hatte. Die Sonne stieg über das asiatische Haus, purpurner Hintergrund für Pabener, der dem noch vertrauten Ufer in seiner fremd klingenden Sprache Sidoniens das Lied der Siedler von Quarthadascht sang.

Die Heimat ist das Lächeln der Liebsten im Morgenlicht.

Die Heimat ist mein Name im zärtlichen Mund der Mutter.

Die Heimat liegt hinter hundert Bergen.

Ich sehe die Augen fremder Gesichter.

Ich höre die Worte fremder Zungen.

Die Heimat ist die Erinnerung …

Es war ein Lied, wie Frauen es singen, wenn sie weinen, und es wurde zum Schrei, als Freiruderer Pabener über die Wandung warfen.

»Pabener wird wieder singen.« Horudja nickte heftig. »Er hofft, dass der Wind seine Lieder zu Menschen trägt, die sie lieben. Vielleicht aber holt unser Schiff sie ein.«

2

Im Gleichmaß der Tage verging die Zeit. Hathor hielt den Wind gefangen, menschliche Kraft trieb nun die Schiffe allein voran. Zimri-da verließ sein Zelt und ging zum Bug, Abdiashirta folgte ihm. Am Abend zuvor waren Schreie von der Menfe, dem dritten und kleinsten Schiff der Flotte zu hören gewesen. In der Morgenmeldung hatte dessen Kommandant Ir-nim von Streitereien zwischen Ruderern gesprochen. Der Schiffsführer sah auf das Wasser. Der Schein der Fackeln vertiefte die Linien um Kinn und Mund.

Abdi-ashirta fasst ihn bei der Hand. »Auch jetzt ist die Peitsche bei dir?«

»Ich habe sie einmal zu wenig genommen.«

»In der Großen Bucht?« Abdi-ashirta erinnerte sich an die Expedition zur Westküste Erebs, in deren rauen Wassern Zimri-das Schiff gestrandet war. Mit Erlaubnis des Kommandanten war der Segelmeister Rispin die Küste entlang nach Gadir gezogen, Zimri-da hatte den Weg durch die Berge gewählt. Er brachte seine Männer, die den Großteil der Besatzung bildeten, sicher in die Kolonie. Rispins Gruppe blieb verschollen, ein Opfer von Piraten, wie das Amt in Zor vermutete. Es hatte, das wusste er, gegenüber Zimri-da keine Vorwürfe erhoben.

»Du hast davon gehört, Admiral. Es kam im Rat zur Sprache. Ich hätte Rispin köpfen sollen.« Zimri-da schlug die Peitsche auf die Wandung. »Ich habe versagt! Ich …«

»Du beginnst zu viele Sätze mit dir selbst, Vizeadmiral.«

»Und du lässt keinen die Sätze zu Ende sprechen, Günstling Kemets.«

Sie lachten. Die Wellen schlugen gegen das Schiff. Die Ruder waren eingezogen. Die Männer massierten die schweren Arme.

»Tat es dir leid um Rispin und seine Leute?«

»Eine seltsame Frage! Schiff, Ladung, Mannschaft. Die Dreiheit zum Ziel führen, ist die Pflicht. Auch du hast doch das Gelübde abgelegt. Du bist der beste von uns. Ich hätte Rispin mit meiner Gewalt hindern müssen. Rettet es das Schiff, dann fälle den Mast.«

Zwischen den Bordfackeln der Menfe bewegten sich brüllende Männer. Ruderer warfen die Pechstöcke ins Wasser, die Nachtlichter erregten die Besatzungen, zornige Blicke trafen die Wachen, wenn sie die allabendlich entzündeten. Ihr Schein war zum Symbol des verwehrten Landganges geworden. Manche wütende Worte hatten in den letzten Tagen Sohar gegolten. Erneut verloschen Feuerspuren im Wasser.

»Wir fahren hinüber!«, sagte Abdi-ashirta.

Mit kräftigen Schlägen trieben Janhamu und Pabener das Beiboot zur Menfe.

»Kommandant Ir-nim!«

»Erlaube, Admiral, dass ich gemäß …«

»Neue Fackeln setzen!«

»Lass dir erklären! Ungeduldig warten die Männer …«

»Neue Fackeln, oder ich schicke dich von Sahir in Ketten von Bord!«

Zimri-da stöhnte. »Bei Hathor, Admiral, was du gesagt hast, geschieht! Die Mannschaft hat die Worte gehört!«

»Wachen! Steckt die Fackeln neu! Bringt die Erregten zur Ruhe.« Ir-nims dicke Lippen lächelten den Ruderern zu, seine Gesten dämpften den letzten Unmut. Höhnisch sah er dem Boot des Admirals nach.

»In Ketten von Bord!« Schnaufend kroch er in sein Zelt.

Die Ruderer der Kemet starrten auf ihre Füße. »Noch drei Tage!«, rief der Admiral, »Dann ankern wir vor Sahir. Ihr erhaltet Frauen und Wein. Gleiches in Neh-essan nach zwei Dekaden. Ab Sahir schlaft ihr an Land.«

»Großer Admiral!«, brüllte Ayalu, der Rudermeister. Die Adern an seinen Schläfen schwollen. Widerwillig wiederholten die Männer die Preisung des Herrn. Heftig schloss Abdiashirta die Kajüttür hinter sich.

Schwer prallten die Wellen auf seinen Leib, der Admiral suchte Halt an der Wandung, doch die wich zurück. Hinter einer fremden Küste versank die Sonne, das Schiff folgte ihr in das brennende Meer. Purpurn wölbte sich das Segel, wurde zum Himmel aus dem Hathors Gesicht schrie: »Ezeon Geber! Ezeon Geber!«

 

Abdi-ashirta erwachte und rief nach Paros. Sein Leib schmerzte. Der Wind war in der Nacht stärker geworden, der Morgen war nahe, die Schiffe lagen unruhig. Er sah das Gesicht seines Großvaters, der ihm einst vom Untergang der israelitischen Flotte erzählt hatte.

»Und schuld daran waren die Seeleute Sidons, die nicht die Winde vor Ezeon Geber kannten. So versenkte der Sturm die Flotte, kaum dass sie eine Stunde auf dem Weg nach Ophir war und ein schreckliches Strafgericht kam hinter den sidonischen Grenzen.«

»Paros, mein Leib!«

»Gab die Nacht dir dunkle Gedanken ein? Deine Lungen haben lange die ungewohnte Luft von Menfes in den Leib gezogen. Dein Lebenspneuma ist verbildet und mindert den Zustand der Seele.«

»Dann hilf mir, du Kenner des inneren Menschen, Sohn des Griechen und der Sidonerin. Erfrische mein Hirnpneuma.«

»Wüsste ich, ob du dich gegen die Ernährung vergangen hast! Speistest du im Sommer zu trocken oder im Winter zu feucht? Bist du nach den Mahlzeiten zu hart mit dir umgegangen, dass feste Stoffe und Flüssigkeiten sich mischten? Hat das Gemüse nicht zur Jahreszeit gepasst? Hast du kurz nach dem Essen eine Frau gehabt? Hattest du zur Hauptmahlzeit noch unverdaute Speisen im Magen? Vor Jahren wurde ich zu einem Kaufmann gerufen, der an gleichem litt. Ein Heilkundiger hatte ihm zweimal in der Dekade die Daumen in den Leib gedrückt und geflüstert: ›Ich drücke und drücke das Böse heraus. Hängen Jungfrauen einen Krug Gedärm ins Geäst, kommen die Raben, geht die Krankheit‹. Ein anderes Mal …«

»Hör auf, du sidonischer Grieche!« Abdi-ashirta lachte, presste dabei aber die Hände gegen den Bauch. Paros nickte verständnisvoll. »Nein, Sprüche sage ich erst, wenn ich keine Hilfe weiß.«

»Vielleicht höre auch ich sie eines Tages.«

Der Arzt langte nach einem Glas. »Vierfingerkraut. Dazu Knoblauch und gebranntes Kupfer. Und kemetische Wüstenkräuter! Alles in Wasser gelöst. Noch ehe du dir das nächste Mal die Nägel schabst, kannst du einen rohen Fisch verschlingen.«

»So hat ein jeder Stand sein Zeitmaß. Der Garkoch rechnet mit verzehrten Ochsen.«

»Dein Seelenpneuma lebt auf, Herr!«

Abdi-ashirta winkte den Arzt zum Tisch und schob ihm einen Sessel hin. »Jetzt spricht Sidoner mit Sidoner. Vergiss den Griechen in dir, sei Sohn deiner Mutter. Warum hasst man uns?«

»Uns … du meinst …«

»Uns, die Sidoner.«

Paros strich das Haar aus der Stirn. Sein Blick wanderte unruhig durch den Raum, als wäre das richtige Wort in Truhen verborgen. »Vielleicht ist die Antwort giftig wie die Dämpfe der Sümpfe.« Sogar im matten Kajütlicht glänzte das geölte Haar des Arztes, das weiße Strähnen durchzogen. Der Admiral blickte auf die mageren Arme, auf das Gesicht, dessen lebendige Augen oft die Antwort vorweg nahmen. Er wusste, wie sehr der Arzt auf die Bestätigung durch Kerifer-Neith gewartet hatte. »Sag mir deine Wahrheit.«

Die Finger des Arztes glitten über den Tisch, als schrieben sie das Gesagte unsichtbar mit.

»Als einst noch die Siedlung Uschku-amir bei Zor lag …«

»Ein Gleichnis?« unterbrach der Admiral.

»Seit der Mensch von den Göttern die Sprache bekam, hüllt er die Wahrheit in bunte Gewänder. Dem, der diese Wahrheit hören will, steht es frei, sie zuzugeben oder nicht zu verstehen. Jeder kann entscheiden, ob er mit ihr leben will oder ob sie an ihm vorbei gehen soll. Gefällt dir meine Wahrheit nicht, habe ich dir nur eine Geschichte erzählt. Höre und entscheide!

Uschku-amirs Häuser hielten länger, die Besitzer des Wassers waren reicher, die Natur gab größere Früchte, die Armen erhielten mehr Brosamen als anderswo. Keiner der Bewohner besiedelte je andere Küsten des Inneren Meeres, da niemand unzufrieden mit seinem Leben war. Das erwuchs den Händen Suptuns. Er, der Arzt der Siedlung, hatte einst in den Bergen heilendes Wasser gefunden, dass Siechende kräftigte und Todgeweihte genesen ließ. Sein Ruf drang durch jede Pforte. Bedürftige aller Stände kamen, Besitzende knieten vor ihm im Staub. Zors Herrscher forderte ihn auf, die Quelle zu zeigen. Doch Suptun schwieg, es schwiegen die Bewohner der Siedlung, die ihm das Wasser zutrugen. Das Kupfer lag ihm schwer auf der Zunge. Sie wurden in allen Siedlungen gehasst, ihr Wasser brauchte man und damit sie selbst.«

»Welches Schicksal erlitt dein Uschku-amir?«

Paros hob die Hand. »Vielleicht haben es zornige Füße zertreten, und seine Bewohner ziehen ruhelos durch ferne Länder. Vielleicht aber ist es noch mächtig und ahnt nicht, dass eine neue Zeit es strafen wird.«

»Uschku-amir ist Sidonien. Sidoniens Seefahrt das Wasser.«

»Zürnst du mir?«

»Die Fahrten nach Ophir auf König Hirams Befehl, der Weg in Erebs Norden, die Reisen nach Kanar und in das Zweite Innere Meer – davon wissen nur die Ämter in Sidon und Zor und bevorzugte Seeleute. Warum, Paros? Wir sind ein kleines Volk, gezwängt in einen Streifen zwischen Berge und Meer. Sidonien ist ein Käfer, den Gebirgswinde auf das Wasser bliesen. Er überlebte, weil er etwas lernte, was seine Feinde nicht konnten: Das Schwimmen. Nicht die Weinbauern gaben dem Land das Leben, sondern seine Seefahrer. Unsere Kenntnisse wurden zur Macht von Königen. Teilen wir das Wissen, teilen wir die Macht.«

»Wer braucht die Macht? Das Meer ist so groß. Wie glücklich könnten die Menschen an seinen Ufern leben.« Der Arzt sah den Admiral an, doch dessen Stirn blieb glatt.

»Geh!« sagte Abdi-ashirta. »Du bist doch nur ein Grieche.«

»Eines sollst du wissen, Herr. Diese Fahrt gibt meinem Leben eine Wende. Ich bin diesen Weg gegangen, als ich erfuhr, dass du uns führst. Ich weiß nicht, wie lange unsere Reise dauert, aber du wirst an dein Ziel kommen und mich auch das meine erreichen lassen.«

»Was ist dein Ziel? Ruhm?«

»Nein, ich will …«

»Sidoner! Hört, Sidoner!« Zimri-das langgezogener Ruf weckte die Schlafenden. Der übliche Lärm hob an. Uliliya brachte Wasser. Der Arzt hob bedauernd die Schultern und verließ die Kajüte.

Abdi-ashirta dachte an den einen Tag in Menfe, der die Bewohner mit unsicheren Schritten gehen ließ, denn Nebel war aus dem Hapi gestiegen, vom Flussgott mit Hilfe eines leichten Morgenwinds in die Gassen geschickt, eine ungewöhnliche Erscheinung zu dieser Zeit, die Ängstliche ihre Gebete verdoppeln ließ. Mit seinen Gardisten war er die Nacht über auf der östlichen Handelsstraße in die Stadt Pharaos geritten, besuchte in der Mittagszeit Neferheres, auch zur Freude Merit-Res, der Dienerin, die Uliliya noch nicht vergessen hatte. Stunden später traf er Paros das erste Mal, den nicht mehr jungen griechischen Arzt, der am wiedererrichteten Ptah-Tempel auf ihn wartete. Ein Vertrauter Kerifer-Neiths führte sie in das Viertel des Neunten Hügels, eine lange Wegstrecke durch verwirrend gewinkelte Gassen, bis sie vor dem Tor eines Hauses standen, dessen Lehmziegel ausgewaschen, die Fenster zugemauert waren.

Paros zog seinen Admiral durch eine Seitentür. Sakinu nahm das Schwert, doch der Arzt beruhigte ihn mit einer Geste. Sie standen auf einem riesigen Innenhof. Soldaten eilten auf die Gruppe zu, Abdi-ashirta zeigte ihnen einen gesiegelten Papyrus Pharaos. Ein mit dreifach gewundenem Schurz angetaner Kemete stellte sich als Großkaufmann des Erhabenen vor und bat sie unter Verbeugungen in eine Halle, deren Mobiliar aufgereihte Holzplanken waren. Paros eilte durch die Gänge, drehte sich im Kreise und wies auf die Vielfalt ausgelegter Kräuter. Der herbe Geruch des Lagers , die trockene Luft des Gebäudes mit seiner durchsichtigen Dachkonstruktion, die der Sonne den Platz ließ, die Medikamente zu dörren, bereiteten Abdi-ashirta Unbehagen. Er versuchte zu schätzen, mit welchem Gewicht an Kupfer das aufgewogen werden müsste, was hier auf den Bänken ausgebreitet lag. Er hatte die Vollmacht Pharaos, zu nehmen, was Paros als wichtig erachtete. Ein Beamter des Hofes stellte sich ihnen zur Seite, der Arzt begann die Aufzählung und verwirrte seinen Herrn mit ungezählten Namen und Therapien. Der kannte nur wenige der Pflanzen, bekam auch Zweige gezeigt, die Suchtrupps aus der Wüste des Totenlandes geholt hatten und die in einer von Wachen gesicherten Kammer lagerten.

»Sie heilen Wucherungen in menschlichen Körpern. Sie werden deinen Magen gesunden lassen«, hatte Paros ihm zugeflüstert, der bald darauf beschäftigt war, den Verwalter zu überzeugen, dass er die dreifache Menge an Sauerfruchtextrakt brauche.

»Er verhindert, dass uns das Maul zuwächst«, rief er und war erschrocken über seine dreiste Rede gewesen. Der Transport wurde von Soldaten begleitet, die vielen Krüge und Säcke im Bauch der Schiffe blieben bis zur Abfahrt bewacht. Diese Vorsorge kannte Zors Admiral nicht, er war dankbar für die Weitsicht der Kemeten.

Gelächter holte ihn aus seinen Erinnerungen. Er stieß die Tür auf. Paros stand im Gang und hielt den Männern seine Instrumente entgegen, er lenkte auch die Blicke der entfernt Sitzenden auf sich.

»Mecht-eft, dein Lieblingsinstrument!«, hatte jemand gerufen, als der Arzt die Zahnzange gezeigt hatte. Sie waren erstaunlich aufmerksam, ließen sich die Funktionsweise von Kathedern, Lanzetten und Sonden erklären, verzogen die Gesichter, als Knochensägen und Brenneisen zum Vorschein kamen, nickten, wenn Paros Kräuterproben erklärte und darauf hinwies, dass die Ablehnung einer Behandlung Befehlsverweigerung war und bestraft wurde. Sie waren vor der Abfahrt auch widerspruchslos durch eine Schleuse gelaufen, die der Arzt vorgeschlagen hatte, in der sie die Untersuchung auf Ungeziefer hinnahmen, auch wenn einigen Petroleum über die Köpfe gegossen werden musste. Die Männer wussten, dass weder in den Siedlungen noch auf den Fahrten Zors so für ihre Gesundheit gesorgt wurde.

»Mein saurer Sud verhindert, dass euch die Münder schwellen. Ich heile eure Geschwüre, ich presse eure Knochen wieder zusammen. Ich öffne eure Schädel und sauge das Blut vom Hirn, wie ich es an den Ostströmen gesehen habe. Das können sogar die kemetischen Ärzte nicht!«, rief der Grieche mit merkbarem Stolz.

Die Ruderer nickten zu den Worten, froh, dass dieser Arzt in seiner fremd klingenden sidonischen Sprache ihnen alles erklärte und für sie da war. Sie ahnten, dass sie einen Wert hatten, sie waren der Schiffsführung nicht gleichgültig. Auch die Führungsleute hatten den Arzt beobachtet und sich anerkennende Worte zugerufen.

»Geh auf die anderen Schiffe!« wies ihn Zimri-da an.

»Natürlich, Herr, natürlich! Sie wollen mich auch hören.« Er stand schon ungeduldig an der Wandung, als zwei Freiruderer das Beiboot ins Wasser warfen.

Der blasse Morgenhimmel schickte den Nordwind als Gruß. Die Kemet zerrte am Tau wie ein ungebändigtes Tier, dem der neue Tag frische Kräfte gab. Vom Heck ertönte die Stimme des Kommandanten:

Hathor hört uns. Sie gibt den Wind.

Die Wellen tragen uns zum Ziel.

Segelt, ihr Kühnen! Segelt schneller als der Wind.

Segelt schneller als die Wellen!

»Ho, ho, ho!« beantworteten die Seeleute den Fahrensspruch des Vizeadmirals. Gazariga, der Segelmeister, hob den Arm. Sein Befehl schreckte die Gehilfen auf. Bald brach der Purpur die Farbe von Himmel und Meer. Das sich bauschende Tuch trieb die von ihren Fesseln befreiten Schiffe nach Süden.

»Zwei Tage bis Sahir!«, rief der Admiral.

»Sahir!«, brüllten die Ruderer. Die Offiziere nickten sich zu. Die versprochenen Genüsse hatten die Stimmung verbessert. Zum ersten Mal zeigte die Besatzung Freude.

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