Das Mitternachtsschiff

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

2

Die dritte Woche lagen nun die Schiffe auf dem Lazurwasser, ein gewohnter Anblick für die Bewohner der Siedlung, die auch jetzt noch keinen Namen trug. Die Vogelschwärme, die der Wind am Beginn der Arbeiten nach Süden geweht hatte, waren längst zurückgekehrt und über Zor in das nördliche Haus geflogen. Lange hatte der Admiral ihnen nachgesehen und sich an die Tage seiner Kindheit erinnert, als er mit Talaya in die Berge gelaufen war, um ihnen näher zu sein. Neue Kolonnen hatten in Bast Schiffe aus Gebal entladen und die in Sidon gefertigten weiteren Schiffsteile auf dem Kanalweg zur Werft getragen. Kam er an den Schlafhallen vorbei, glaubte er noch heute das Stöhnen der erschöpften Männer zu hören.

Die namenlose Siedlung musste keinen so heftigen Regen erleben, dass ihm die dünnen Lehmwände der notdürftig errichteten Wohnstätten nicht widerstanden hätten. Die Häuser der Höheren waren aus Steinquadern gesetzt, die in den Anfangsdekaden Trupps von Männern aus den Brüchen am Hapi herbeischafften. Darin lebten auch Handwerker, denen der Hof eine Zukunft am Lazurwasser aufgezeigt hatte und dessen Verkünder die Siedlung als künftige bedeutsame Hafenstadt sahen. Zu den Zimmerern, Bäckern und Kleinhändlern gesellten sich bald auch Huren, die ein gutes Gespür für die Bedeutung einer wachsenden Siedlung hatten.

Der Admiral sah auf das Meer. In der ruhigen Zeit war Neferheres oft zum Lazurwasser gekommen. Er hatte ihr auf dem ersten Markt, der abgehalten wurde, eine kleine Katze gekauft, die er Taimhotep nannte, weil in diesem kemetischen Namen das Wort Frieden vorkam, den er für sich und die Tochter des Nomarchen wünschte. Sothur fühlte er zu dieser Zeit nicht als Bedrohung für das Leben mit ihr nach dem Ende der Reise. Sie hatte das Tier in der Siedlung gelassen, für ihn, als Zeichen ihres Bundes. So sagte sie.

In der zweiten Hälfte der Bauzeit war der Admiral einige Male in Menfe gewesen, um dem Pharao vom Fortgang der Arbeiten zu berichten Die Villa am Hapi hatte er jedes Mal nur zögernd betretent, als wollte er seinen inneren Frieden nicht durch eine unglückliche Begegnung gefährden.

Nachdem die Tage in der Werftsiedlung unruhiger wurden, die ersten Freiwilligen für die Schiffe eintrafen, neue Spelunken öffneten und auch nachts die Gassen nicht still wurden, waren die Besuche der Frau noch seltener geworden. Sie erklärte es ihm mit der Umgebung, in der er lebte.

Lärm tötete die Melodie der Wellen. Abdi-ashirta wandte sich um und lief in sein Haus. Er wusste, was die nächsten Stunden brachten. In dieser Nacht endete für ihn die ruhige Zeit am Lazurwasser, und die Götterlinie jenes Abends in Zor wurde zur Wirklichkeit.

»Ho!Ho! Das ist der Admiral? Sieht aus wie ein Edler! So einen Schiffsführer hab ich nie gesehen!« Soldaten rissen das grinsende Gesicht aus der Fensteröffnung. »Verzeih, Herr! Wir peitschen ihn!«, riefen sie in das Haus.

»Wartet!« Abdi-ashirta trat das Schutztor auf. Die Nacht der langsamen Schritte hatte begonnen. Brüllende Soldaten trieben die Ruderer zum Ufer. »Wer bist du?«

»Janhamu. Schlagruderer der Kemet. Jetzt werde ich gepeitscht. So ist das.«

»Ich bestimme hier! Lasst ihn los! Nimm!« Abdi-ashirta warf dem Mann ein Stück Bratfleisch vor die Brust. »Hab Dank für deinen Gruß!«

Mit offenem Mund starrte der Ruderer seinem Befehlshaber nach, der hinter sich die Tür zuschlug, dass der Lehm aus der Einfassung bröckelte. »Was für ein seltsamer Mann!«

Durch das Fenstergeviert drang Staub, aufgewühlt von hunderten Füßen. Das Geschrei der Bewacher holte die Werftsiedlung aus dem Schlaf. Die Sitten sidonischer Häfen ließen auch diesen Platz nicht aus, der fernab der bewohnten Welt lag. Die Schultern der Männer widersetzten sich den fordernden Fäusten der Begleitmannschaften, ein gespielter Protest auf dem Weg in eine unbekannte Zukunft. Die bandagierten Füße stemmten sich gegen die befohlene Richtung. Die Peitschen der Wachen mieden die Freien, ihre Schläge trafen Sklaven, die unter Schmerzen vorwärts drängten und so die anderen mitzogen. Ihre Ketten klirrten, die Flüche galten allen, die zu dieser Fahrt die Kommandos gaben. Wer abseits der Gruppen lief, blieb unbehelligt. Das waren jene, die den kemetischen Werbern freiwillig gefolgt waren.

Der Admiral entzündete eine dritte Öllampe. Er drehte die Feder in den Händen. Vor der Tür sprachen seine syrischen Wachen leise miteinander. Am offenen Fensterleinen zogen noch immer Leiber vorbei. Die Köpfe blieben hinter der Mauer verborgen. Männer ohne Gesicht – sidonische Umschreibung für Ruderer, da deren Tugend allein die Kraft ihrer Muskeln war. Der Admiral schlug seine Hand auf die Papyri. »Bei Hathor! Wer läuft hier! Die haben noch nie in den Bänken gesessen! Wie sollen solche Arme die Schiffe treiben! Die Könige erlesen ihren Weg in die andere Welt aus dem Totenbuch. Ich schreibe meines selbst.« An den Häusern gegenüber brannten die Fackeln, leuchteten auf die vorbeigetriebenen Leiber, dass deren Schatten über die Wände des Raums zogen.

Abdi-ashirta erinnerte sich jenes stürmischen Abends in Zor, als die im Libanonwind flackernden Öllampen die Gesichter der Ratsherren veränderten. Vor dem Fenster wurden die Rufe drohender. Männer drängten vorbei, die das Possenspiel der langsamen Schritte verweigerten. Sie hatten die Leiber geübter Ruderer, wehrten sich gegen die Aufseher und waren durch ihre Fußfesseln als Gefangene gekennzeichnet. Schultern streiften das Haus.

»He, Ormas! Reiß den Palast des Herren nicht ein!« Die Kumpane lachten, syrische Gardisten stachen ihnen die Dolchspitzen in die Haut und rammten sie beiseite. Fluchend zogen die Ruderer zum Meer. Das Gejohle der künftigen Schiffsleute mischte sich mit den Rufen der Bewohner als tobe eine Schlacht durch die Gassen.

Vor dem Registrierhaus hatten Soldaten einen Kreis gebildet. Die Ruderer lagerten im Sand und sortierten die Bündel mit den Habseligkeiten, die ihnen schlecht gelaunte Beamte ausgehändigt hatten. Ein jeder fand, was der Hof in Menfe für notwendig erachtete, um für mehrere Jahre auf fremden Meeren zu fahren. Die Wachen schlugen mit Pechfackeln nach allen, die sich ihnen mehr als drei Schritte näherten. Es war die letzte Nacht der Männer an einem Strand, den sie kannten.

Abdi-ashirta setzte sich an seinen Tisch, öffnete einen Papyrus und erlebte noch einmal die ersten Tage in Menfe. Erinnerungen drängten in das Geschriebene. Er sah sich in der Kammer von Amasis Herberge, die er kaum verlassen hatte, da er die Schmähungen des Pöbels fürchtete, der unter seinem Fenster zum Vorstadtmarkt zog. Die Untätigkeit dieser Stunden hatte ihn bereit für alles gemacht, das den Aufenthalt in diesem Haus am Hapi beendete.

Erneut drang Lärm aus den Gassen in den Raum. Peitschenleder klatschte auf die Leiber, Gardisten vertrieben grölende Zimmerleute, die in einer Bierschenke das Ende ihrer Arbeit gefeiert hatten.

Abdi-ashirta strich mit dem Daumennagel über eine Stelle des Papyrus. Das Wort Ift-ar war größer gesetzt als die anderen. Er hatte die kemetischen Zeichen verwendet. Die Stunden auf dem Landgut waren der Beginn eines Traums gewesen, sie löschten an vielen Tagen die Zweifel in seiner Seele. Er legte sich auf seine Bettstatt und zog die Knie an, der Leib schmerzte. Der Schlaf war geflohen, das Haus schien auf den Lidern zu lasten, er dachte an die morgige Begegnung mit Kerifer-Neith. Die Bilder vorbeziehender Ruderer verließen ihn nicht. Er schuf sich die ruhigen Wasser des Hapi, doch die Fackeln der Straße und die marschierenden Männer verwischten die friedvolle Landschaft.

Der stumme Morgen verkündete den Tod einer Zeit, die geprägt war vom Lärm der Schiffsbauer und den Geschäften der Händler. Die Bewohner strömten durch die Strandgasse zum Hafen der uralten Siedlung, die aus Nechos Willen zu einer chaotischen Stadt gewachsen war, die vielen ihrer unfreiwilligen Bewohner in zorniger Erinnerung bleiben sollte, war ihnen und selbst den Freien doch nur knapper Lohn bemessen worden, denn die Jahre, die auf Pharao Psammetichs Feldzüge gefolgt waren, sahen das Heer als ein gefräßiges Reptil. Syrische Wachen führten die letzten der Ruderer von der Registrierkammer zum Ufer. Umstehende bedrängten sie mit ihren Rufen.

»Ihre Gesichter. Guck den, mit dem breiten Kopf. Der grinst vor Freude, bald im Meer zu ersaufen!« Soldaten schoben die Spötter zur Seite, konnten aber nicht verhindern, dass andere in die Menge brüllten. »Der Phenesch soll krank sein. Seht sein Haus! Ein Priester besucht den Günstling.« Eine Peitsche klatschte in das Gesicht des Schreiers. Der Mann rannte davon. »Soldatenpack! Schlägt Kemeten! Prügelt doch die Fremden!« Er fiel auf die Knie uns spie aus.

»Die Saatzeichen sind längst der Reife gewichen. Bald fällt neuer Emmer in Kemets Erde. Der Tag birgt eine schlechte Nachricht. Du wirst ohne den Abschied des Göttergleichen fahren. Er liegt krank im Palast. Wir bereiten ein neues Hebsed-Fest vor. Die Götter unserer Zeit erlauben es, die Fristen zu verkürzen.« Kerifer Neith fasste den Admiral an den Schultern, wie er es seit den ersten Gesprächen im Delta oft getan hatte. »Höre doch! Ist dir das gleichgültig, weil Neferheres auch heute in Menfe geblieben ist? Die Frau liegt dir als Kette am Hals. Richte den Blick, wohin die Füße dich tragen.« Er scharrte in dem löchrigen Fußboden. »Hier ist kein Ort für Herrinnen.«

»Ist das jetzt wichtig?« Abdi-ashirta beugte sich aus dem Fenster. Lastträger hasteten mit Proviantkisten vorbei. Am Morgen hatten fünf Sklaven versucht, mit einem Boot nach Osten zu entkommen. Ein Wachschiff verfolgte sie. Die Schreie der Ertrinkenden waren am Ufer zu hören gewesen. Sie hatten sich fallen lassen, bevor die Verfolger sie erreichten, war ihnen doch der Tod gnädiger erschienen, als diese Reise, deren Ziel sie nicht verstanden.

 

»Die Hälfte der Besatzung ist unfrei. Wir haben zu viele Unfreie!« Abdi-ashirta stöhnte. »Wie soll ich Libyen mit Sklaven umsegeln?«

»Mit Sklaven oder gar nicht. Noch in den letzten Dekaden zogen Werber durch dein Phenesch-Land. Was sie am meisten bekamen, waren Unglaube und Spott.«

»Es gab auch Freiwillige!«

In den Gefängnissen, dachte der Priester, kein Mann, der bei Verstand ist, geht freiwillig ohne schweren Grund auf diese Fahrt.

»Finde heraus, warum die Freien als Ruderer mitkamen. Ich habe dich über unsere gemeinsame Zeit beobachtet. Du sprichst mit Untergebenen mehr als nötig. Du bist voller Unruhe. Du lässt andere nicht ausreden. Deine Finger trommeln den Takt der Ruder, auch hier in dieser Hütte. Was ist?«, unterbrach er seine Rede, der Admiral hatte die Hände auf den Leib gehalten. Kerifer-Neith wies auf den Hocker. »Schmerzen?«

»Euer steinhartes Brot. Ich habe ein Geschwür im Bauch.«

»Unsere Kräuter werden dich heilen. Sie fressen sogar Geschwüre weg. Vielleicht wird dein Baal dir beistehen.«

»Baal!« Abdi-ashirtas Lippen zuckten. »Es ist nichts«, beruhigte er den Priester. »Gedanken mit schweren Flügeln. Mein Großvater Samranu kehrte einst mit Drakons Ideen von der griechischen Küste zurück. Gleichheit für alle Freien, forderte er in Zor. Er bekam dafür das Messer. Die Nacht verbarg die Hand, die es führte. Wenn der Löwe umgeht, singt der Vogel nicht. Samranu schrieb in Zors Bibliothek altes Wissen auf neue Tafeln. Ich war ein Kind zu dieser Zeit. Manchmal nahm er mich mit in die Berge zu einer Gemeinschaft von Hirten. Das geschah heimlich, sie war verboten. Der Weise, der sprach, hat Baal als hohlen Gott bezeichnet, geknetet aus Lehm für alle, die ihn brauchen. Wer Besitz hat, stärkt mit Göttern die Gewalt, die ihm den Besitz erhält. Die Gemeinschaft glaubt an eine hohe Macht, die in allem ist, im Inneren der Erde, im Wind und in den Meeren. Sie ist alles, sie erschafft die Welt, bewegt und beendet sie. Mit Baal haben sich die Menschen ihren Gott selbst geformt. Dieser Gott ist tot, der wahre Gott schaffe selber sich die Menschen, so sagen sie in den Bergen. Samranu hat sich später mehr mit euren Gottheiten beschäftigt, vor allem wenn zwei liebevolle kemetische Augen ihn anblickten. Meine Mutter aber lebte für diesen Gott der Hirten, sie betete mit mir zu ihm.«

»Du denkst viel über unsere Welt nach, du wirst es schwer haben. Ich glaube, Ir-nim muss mit offenen Augen leben.«

»Wieso Ir-nim?«

»Ir-nim, Vizeadmiral und dein Vertreter.«

»Wieso denn er? Der Erhabene hat mir die Wahl überlassen. Ich entschied mich für Zimri-da! Ir-nim, der feiste Bauch mit dem dreimal gelegten Schurz der Vornehmen! Dieser Sidoner hat doch seine kemetischen Jahre in Küchen verbracht. Zimrida hat mein Vertrauen, ich kenne ihn noch von Zor.«

»Für uns ist Ir-nim der bessere Mann. Er machte sechs Fahrten für den Hof.«

»Herr! So sieht kein Seefahrer aus. Er kam doch erst in der Siedlung zu uns. Kennt ihn der Pharao?«

»Der Herrscher über Kemet sieht jeden. Und was sagst du über den Schiffsmeister der Kemet?« Kerifer-Neith entrollte das Verzeichnis der Offiziere. »Hier. Vorgeschlagen von eurem Seefahrtsamt. Guwali aus Sidon. Schau dir später seine Hände an. Sind das die Hände, wie sie ein Schiffsmeister braucht? Und seine Sprache! Ich verstehe die Worte nicht, doch er redet anders als ihr.«

»Ich habe ihn nicht ausgesucht, das weißt du. Ich lebte mit den Zimmerleuten, nicht bei den Werbern. Meinen Vertreter bestimme ich selbst. So ist es Brauch. Am dritten Tag werden es die Männer wissen.«

»Eine seltsame Gewohnheit, erst am dritten Tag die Namen der Offiziere zu nennen.«

»Am dritten Tag ist die Heimat schon weit, die Mannschaft erfährt die Ferne. Es wächst die Achtung vor jenen, die ein Schiff zu führen versuchen, und man begegnet ihnen mit Ehrfurcht.«

»Also wird Zimri-da das Admiralsschiff führen?«

»Mit deiner Erlaubnis, Herr.«

»Zimri-da regiert mit der Peitsche. Sein Gesicht ist verschlossen. Er redet in Befehlen. Ist das so? Du nickst.« Der Priester wartete lange, bevor er weiter sprach. »Handle, wie deine Wahrheit es dich lehrt. Du wirst mit ihr allein sein. Doch schweig über unser Gespräch, schweige vor allem vor Ptahhotep.« Kerifer-Neith tippte auf den Papyrus. »Horudja, der Dolmetscher. Der Kleinste in deiner Flotte. Den hat Neferheres ausgesucht. Er wird dir Freude machen.« Der Priester legte Abdi-ashirta erneut die Hände auf die Schultern. »Du wirst bald gesund sein. Auf der Kemet lagern Kräuter, wie sie nur mehrere Männer tragen können. Nimm das Pulver der Schlafbeere vom Strauch, der durch die Wüste rollt. Kemet hat die besten Ärzte der Welt, doch sie weigerten sich mit dir zu fahren. Wir mussten einen Griechen werben, aber er hat Kemets Wissen, spricht deine und unsere Sprache. Aber den kennst du ja.«

»Ja, den kenne ich. Seine Heimat ist das Studierzimmer. Im Geiste hockt er auf dem Katheder wie Pharao auf dem Thron und doziert in die Ohren gehorsam nickender Schüler.«

»Ich habe ihn befragt. Sein Wissen geht auf so viele Rollen, dass sie nicht in Neferheres Kleidertruhen passen, seine Wüstenkräuter heilen Krankheiten, von denen ihr Phoinikos nicht einmal die Namen kennt. Die Säfte seiner Beeren werden sich auch um deine innere Geschwulst legen. Aber reden wir nicht von Paros! Ich will noch einmal die Schiffe sehen.«

»Warum hat Pharao keinen Namen für die Siedlung verfügt?« fragte Abdi-ashirta, als sie durch die kaum geebneten Gassen liefen, deren eintönig langgezogenen Arbeiterunterkünfte zum Siedlungsrand hin von den zweigeschossigen, aus Steinquadern geschichteten Häusern der Zimmerleute, Kontrolleure und Schreiber abgelöst wurden.

»Gebaut, als sollten sie noch die Enkel der Heutigen bewohnen!«

»Und noch deren Enkel. Admiral. Am Ende deiner Fahrt gibt es hier einen Hafen und eine Stadt, die ihren Namen von mir erhalten wird. Ich werde dich in Menfe empfangen und du wirst einer von uns sein.«

Sie verließen die Gasse und bahnten sich ihren Weg durch die halbfertigen Stände der aus dem Landesinneren angereisten Händler, die das vom Palast großzügig an die Besatzungen verteilte Kupfer in ihren Schatullen zurück nach Bast und Menfe tragen wollten.

»Noch eine Stunde!«, rief ein Wanderhändler aus dem Delta und streckte seine dicken Finger in den Himmel. »Ich habe zu allen Göttern gebetet, die ich kenne, dass die Schiffe friedlich abfahren mögen.« Er zeigte seine Waren, als drängten sich schon feilschende Seeleute vor den Tischen. Die aber packten im Lager ihre Bündel für die ewige Reise und hatten sich noch nicht für den Marsch zu den Schiffen formiert. Ihr Gang über den für andere Besucher dann geschlossenen Markt sollte von dem Augenblick ablenken, in dem es kein Zurück mehr gab. Kandierte Früchte, mit einem Ölzweig gezeichnete Krüge, die verbotenen Wein enthielten, Heilsalben, geräuchertes Fleisch, Sandalen und Kleidungsstücke waren ein buntes Angebot an Dingen, von denen die Verkäufer glaubten, sie würden in den langen Tagen auf dem Meer benötigt.

Siedlungshelfer sperrten eine Gasse zum Strand, die Abfahrt war für die Stunde vor dem hohen Sonnenstand festgesetzt. Schon vor Tagen war verkündet worden, der Palast selbst wolle die Schiffe segnen. Abdi-ashirta hoffte, dass es doch der Pharao selbst sein möge, der den Beistand der Götter verkündete. Die Wachen drängten sich zu ihren Herren, denen sich das nach und nach herbeiströmende Volk ungebührlich genähert hatte.

»In Piramesses wärest du brotlos, Sakinu«, spottete der Priester, als er sah wie eng sich der Syrer an den Admiral hielt. »Dort leben die Niederen in Hazor und die Herren in der Oberstadt. Beide begegnen sich nie.«

Sie erreichten den Strand. Die Schiffe lagen einige hundert Ellen im Meer. An die Stege waren nun Transportboote gebunden.

»Warum sprichst du von Piramesse?« fragte Abdi-ashirta.

»Sollte ich lieber von Juna erzählen, von dem Ort, in dem Neferheres den uralten Ben-Vogel sucht, der sich zum Schlaf in ein brennendes Nest legt und morgens wieder geboren aus seiner Asche in den Himmel steigt?«

Abdi-ashirta wandte sich ab, er blickte auf die Schiffe, die den Männern im Spiel der leichten Wellen zunickten wie vertrauten Freunden. Der Himmel über dem Lazurwasser war ungewöhnlich grau, als schickten die Ostgebirge ihren Staub in das Land der Kemeten. Der Wind wehte als willkommener Gast über das Ufer, er schien nur darauf zu warten, die drei Schiffe auf ihren ersten Weg nach Süden zu treiben.

»Habt ihr gar euren Gott Taut auf der Seite, der euch den Schiffsbau lehrte und nun seinen Atem gibt?« fragte der Priester.

»Hätte Taut mit uns gelebt, wäre die Menfe nicht so klein geworden.«

»Ihr Kommandant erspart einiges an Ballast.«

Abdi-ashirta lachte. »Ich frage mich auch, wer den ausgesucht hat. Sein Leib ähnelt den Weinkrügen, die er vielleicht gern in seiner Nähe hat. Mit ihm könnten wir auch bei hohem Wasserstand nicht in der Lotosblüte fahren.«

Der Priester hob die Schultern und wies zum Meer. »In wenigen Stunden steigst du auf dein Schiff. Vielleicht spürst du das gleiche Gefühl wie der junge Kerifer Neith, der, eben zum Priester geweiht, zum ersten Mal den magischen Gang zwischen Chufus Haus und dem Heiligen Wächter betrat.« Entgegen seiner Gewohnheit sprach er leise und stockend. »Damals habe ich erfahren, dass der menschliche Gedanke ein Sandkorn ist. Vereinigt er sich mit dem Wissen und dem Willen der Götter, wird er zur Macht, die andere führt. Die Kemeten schufen sich in hunderten von Jahren die Götter, die tausende Gedanken in sich vereinten und weitergaben. Deine Ruderer, deine Schiffe und das Ziel werden eine Einheit sein. Wir beginnen, die neue Welt zu bauen und werden selbst zu Göttern. In den Augen unserer Vorfahren wären wir es schon heute, denn für sie gliche dieser Tag einer göttlichen Offenbarung. Ich weiß, du verstehst es nicht, ich rede anders über die Expedition Nechos als auf dem Dach in Bast. Die Götter sind die Gedanken und der Wille aller Menschen. Die Kraft der Vielen addiert sich nicht nur, sie potenziert sich zum Göttlichen. Vielleicht hast du es erfahren, wenn du irgendwann wieder an meiner Seite stehst.«

Kerifer-Neith forderte den Admiral auf, nicht über diese Worte nachzudenken. »Jetzt ist die Zeit des Handelns und nicht die der Magie! Schau auf dein Schiff!«, rief er mit gewohnter Stimme. Auf der Kemet richteten Männer gleichzeitig Mast und Segel auf. Der Priester wunderte sich darüber, wehrte aber Erklärungen des Admirals ab. »Ich bin ein Lernender, ich habe nun drei Jahre Zeit, die Geheimnisse des Schiffsbaus kennenzulernen. Auch wir Kemeten haben unsere Erfahrungen damit. Die Masten deiner Schiffe stehen auf zwei Beinen, so verteilen sie das Gewicht besser auf den Rumpf. Sie sind auch niedriger als die auf den Schiffen der Göttergleichen in jener Zeit, die lange vergangen ist. Eure Segel sind breiter. Deine Kajüte ist klein, nicht zu vergleichen mit den Kabinen unserer Königsboote. Ihr liebt den Prunk nicht, der den Männern den Platz nimmt. Die Rah hat Stangen, die miteinander verbunden sind. Deine Kemet trägt den Wasservorrat und die Nahrung für alle. Sie hat einen dicken Bauch, bei ihrer Rückkehr wird die Hälfte der Ruderer ins Wasser springen müssen, damit sie nicht im Hapi aufläuft. Du hörst, ich kann diese Schiffe höchstens ein Zehntel der Stunde lang beschreiben, alles andere wird deine Aufgabe sein, wenn wir in drei Jahren gemeinsam beginnen, Träume zu verwirklichen. Schiffe im Lazurwasser! So wie hier mag das Bild gewesen sein, da in alter Zeit, den heutigen Kemeten unbekannt, Schiffe nach Punt aufbrachen, in das Reich, das den Weihrauch in seinen Bäumen birgt. Punt – wir haben den Namen übernommen aus dem Land der Götter, das es für uns war. Punt – ein heiliger Ort, dessen Harze uns mit den Herren des Himmels verbinden. Unsere Garnisonen am Lazurwasser, die wir verstärken, werden die von Räuberbanden beherrschte östliche Wüste reinigen und den Künftigen eine sichere Seefahrt ermöglichen.« Kerifer-Neith wandte die Augen nach Süden, kreuzte die Arme und genoss Bilder, die nur er sah. »Einst lehrte mich ein weiser Mann aus dem Osten, da war ich noch ein Kind. Er berichtete mir eine uralte Geschichte aus den Städten zwischen den großen Strömen. Ich habe die Namen vergessen, sie wurden für Kemet nicht wichtig, die Zeit hat sie in mir verschüttet wie der Sand den Heiligen Wächter, der Chufus Gesicht trägt. Ich sprach die Worte, als ich unter Pharaos Haus zu den geweihten Räumen ging, allein mit einer Fackel, um zum ersten Mal die Überlieferungen der Alten zu sehen.

 

Wirbelnde Winde trugen den Adler

Durch die Wolken in die Nachtwelt der Götter.

Das Meer ward zum See,

der See zum Wassertropfen.

Auf dem Rücken des Adlers saß der Held des Epos. Wer es auch immer war, was er sah, prägte mich. Unsere Erde war eine winzige Kugel, ein Stern unter Sternen. Ich will forschen, Admiral, ich will alles wissen, was den Göttern eigen ist, ich will zu ihnen gehören, ich will ein Gott werden in der neuen Welt. Ich werde durch das Portal gehen und unsterblich sein.«

Abdi-ashirta sah in das Gesicht des Priesters, das die fanatischen Gedanken des Mannes widerspiegelte. Über Kerifer-Neiths Wangen liefen Tränen, es waren Tränen der Zorns, dass er die Zeit nicht zu beschleunigen vermochte, die ihn von der Erfüllung seiner Träume trennte. So hatte er ihn schon einmal erlebt, als Ptah-hotep Andeutungen über eine künftige kemetische Flotte mit einem verächtlichen Lächeln quittiert hatte. Er hatte den Hass gespürt, den Hass eines Mannes, dessen große Gedanken durch die Alltäglichkeit von Höflingen getötet wurden, die nicht fähig waren, Gewohntes zu verlassen. Der Priester stöhnte auf, als der Admiral ihn in die Welt des heutigen Tages zurückholte und mit beruhigender Stimme auf ihn einsprach.

»Sieh doch zu den Schiffen, wie schräg die Menfe im Wasser liegt!«

»Ist sie eher in Gefahr, weil sie kleiner ist?«, fragte der Priester.

»Nein. Der Ballast ist noch nicht ausgewogen verteilt. Ich werde dir berichten, welches der Schiffe sich am besten verhielt. Nicht immer ist die Größe entscheidend. Das Meer wird uns die Antwort geben.«

Der Priester nickte. »Nach deiner Rückkehr besprechen wir meinen Plan, Schiffe durch die Säulen des Melkart zu schicken. Warte an der Westküste nicht auf Ped-Osiris. Der Verblendete wird den Tod finden, auf einem Weg, der für Kemet sinnlos ist. Sein Marsch vom Hapi in Seths Land war gut für uns. Er fand mit seinen dreihundert Eseln die alten Wasserdepots im Feuermeer und Chufus Namen im Fels. Einst, in alter Zeit, als man die Jahre noch nach den Zählungen der Rinderherden berechnete, brachen die Ahnen auf, um aus Libyens Innerem den Farbstoff für die Tempel zu holen. Das war noch, ehe die Boten mit Krummstäben unter trockener Erde das rettende Wasser suchten und die dortigen Völker in der Hitze regenloser Jahre vor der beginnenden Herrschaft des Sanddrachens zum göttlichen Hapi flohen. In unseren Jahren blieben dort grüne Inseln, Unterschlupf für Schmuggler und Verbrecher, die schlimmere Piraten sind als Pheneschs. Diese Berichte des Wanderers waren nützlich, doch sein kommendes Ende stiehlt dir Zeit.«

Sie gingen über die Werft, deren Zimmerleute schon vor Tagen die Werkzeuge geordnet hatten. Neben den Gerüsten lagen noch Reste der Beplankung. Männer trugen Pinnen für die Ersatzruder zu den Booten und legten sie neben die Tafeln mit den Schiffsnamen. Einem der Arbeiter fielen Holznägel zu Boden, fluchend scharrte er sie aus dem feuchten Sand. Necho hatte gefordert, die Bauteile an Land zu fertigen und auf dem Wasser zusammenzufügen. Neferheres hatte, so sagte es Kerifer-Neith noch in Menfe, dem Göttergleichen alte Berichte vorgelesen, in denen einst die Kemeten bei ihren Flussfahrten in den Süden die Großboote an den Katarakten zerlegt und über das Land getragen hatten. Abdi-ashirta hatte geschwiegen, so wurden die Schiffe auch in Sidonien gebaut.

»Wer gab den Schiffen ihre Namen?«, fragte er plötzlich. Bisher war das für ihn nicht wichtig gewesen, doch die Tafeln hatten ihn auf diesen Gedanken gebracht.

»Der Göttergleiche, Neferheres und ich. Necho schickt seine alte Stadt in die Welt, Neferheres gab ihr geliebtes Kemet als Namen für dein Schiff, und ich hatte das große Ziel vor Augen, als ich Libyen vorschlug.« Der Priester verfolgte die Bewegungen der Schiffe, auf der Menfe richteten Männer zur Probe das Segel gegen den Wind. Kerifer-Neith dachte an Abdiashirtas Erklärungen. »Manchmal sind die Schiffe schnell wie die Pferde, manchmal könnte Amasis, der dicke Wirt sie überholen, der von der Schankstube zum Weinlager mehr als das Zehntel einer Stunde braucht. Strömung und Wind sind die Gesellen der Seeleute, sind treue Kameraden und üble Burschen zugleich.«

Lastträger baten, den Weg frei zu halten. Sie brachten getrocknetes Fleischpulver zur Kemet. Die Säcke rutschten ihnen auf den Schultern hin und her, bis sie endlich neben den Wasserfässern in den Transportbooten verstaut waren und die Gefährte zum Admiralsschiff aufbrachen. Kerifer-Neith richtete seinen gefleckten Umhang. Mich interessieren nicht die Pinnen und Rahen und Brassen, dachte er, nicht das Gewirr von Tauen. Mein Geist gebiert eine große Aufgabe, du aber, Admiral, du wirst ihren Alltag formen. Mögen dich die Götter beschützen auf deiner Reise. Sie ist der Sprung in eine neue Zeit, in der Kemet die Welt beherrscht, unsere neue Welt, die wir entdecken. Der kranke Träumer in seinem Palast ging mit seinem Befehl den ersten Schritt in dieses neue Haus.

Sie verließen die Werft und liefen zu den Siedlungshäusern zurück. Zwei Neugierige mit erst kürzlich geschorenen Stirnlocken folgten ihnen in zu kurzem Abstand. Uliliya stieß ihre Köpfe zusammen und warf die Jammernden beiseite. Der Priester wandte sich um, im leicht wechselnden Wind hatten die Schiffe sich gedreht, als wären sie lebendige Wesen, die ihren Herren nachblickten.

In diesem Augenblick, da nun der Abschied begann, stiegen noch einmal die Zweifel früherer Tage auf. Niemand in den Tempeln glaubte an das Gelingen des Staatsunternehmens. Kerifer-Neith sah auf den Admiral, der von Neferheres sprach, die dieser Stunde fernblieb. Der Priester brauchte diesen Mann, der ihm vertraut geworden war wie ein Freund. Er brauchte ihn vor allem in der Zeit nach dieser Umsegelung einer unbekannten Welt.

Schwer lag der Himmel über dem Land, dessen Mitternachtshorizont dunkle Wolken entstiegen und über die Küste nach Süden jagten. Die Häuser duckten sich unter plötzlichen Regenfällen. Ihren Bewohnern troff die Nässe aus den Umhängen. Gegen Mittag erstarb die Unruhe zwischen Behausungen und Marktständen. Von Soldaten geschützt, ging der Admiral zum Ufer. Die Krämpfe in seinem Leib waren wiedergekommen.

»Der Bastard ist krank! Und der will eine Flotte führen! Bereitet dem Phenesch das Totenbett! Ihr auf den Schiffen! Das Totenbett!« Die Schmähungen flogen zur Kemet. Erschrockene Gesichter blickten zum Ufer. Die Offiziere unterbanden die erregten Gespräche der Mannschaft.

Das Geschrei wurde noch lauter, als eine Frau ins Wasser stieg. »Djedkare! Djedkare! Djedkare!« Das braunhäutige Weib riss sich das Haar. »Bringt ihn mir wieder! Was schert einem Bauern das Meer! Soll er den Emmer ins Wasser säen? Bauern als Seeleute! Das hat der Hapi noch nicht gesehen! Ach, mein Djedkare, wer soll deine Arbeit machen? Der Pflug muss doch ausgebessert werden.« Grobe Soldatenhände erstickten die Worte.

»Sie werden von schlagenden Wassern zerbrochen!« klagte die dünne Stimme eines Alten, »verbrennen unter lohenden Himmeln. Aus den Winden stürzen Drachen, die alles verschlingen.« Fernstehenden wurden die Worte von anderen Mündern weitergegeben. »Den hat doch Abdju ausgespuckt. Halt dein Maul, du Sandschiffer! Rupft ihm den Bart, dem Weiberschreck!«