Das Mitternachtsschiff

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Abdi-ashirta sah nach dem Zeitstab. Die Katzengöttin warf ihren Schatten kaum auf die Hälfte der Tagstunden, als der am rechtsseitigen Ufer gelegene Stadthafen auf sie zu schwamm. Nur einmal hatten sie Halt gemacht, in On versorgte ein Arzt die Wunde zweier Schiffsmänner, denen die untere Rah die Kopfhaut aufgerissen hatte. Der Sidoner vermisste die Meereswinde Zors. Die Schwüle über der Lotusblüte, dem Mündungsland, nahm den Atem. Abdi-ashirta fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre, den Wunsch nach einer Besichtigung des Kanals zu verbergen, auch wenn der Pharao am Tag nach der Audienz selbst den Befehl erteilt hatte, sein Eliteboot herzurichten.

»Man zeige meinem Admiral den Kanal bei Bast. Mögen die Taten, die Kemeten vollbringen, ihn stärken. Der Schweiß von Helden ist Nektar für den Mutigen, aber nicht die Salbe der Faulen.« So hatte der Göttergleiche mit dem Munde des Neith-Priesters gesprochen. Am Tag danach trug sie Gott Hapi durch seine Welt.

Dem Sidoner war schon in den ersten Augenblicken die Wasseruhr aufgefallen. Sie war rot bemalt, mit Löwe und Stier und einem Flusspferd, das ein Krokodil auf dem Rücken trug. Den Tieren folgte ein Mann, der die Arme breitete.

»Unsere Leitsterne für die Messung der zwölf Nachtstunden. Mit ihrem Stand am Himmelsbogen bestimmen wir die Zeit«, hatte Kerifer-Neith erklärt und begonnen, dem Sidoner die entsprechende altkemetische Schrift zu zeichnen. Schon nach kurzer Zeit hatte sich Abdi-ashirta Deutungen eingeprägt und erste Begriffe geschrieben.

»Übernehmt unsere Zeichen. Sie sind einfacher«, hatte er gesagt.

»Dann verstehen sie vielleicht auch die Ruderer«, war die Antwort gewesen. »Was Thot uns gab, ist heilig. Und wie werden die Beamten fett, wenn auch schwielige Hände schreiben können? Du weißt doch, dass nichts in alter Schrift auf den Listen der Kämmerer steht. Wir setzen seit vielen Regentschaften bei unseren Geschäften die Zeichen waagerecht.« Kerifer-Neith packte den Arm des Sidoners. »Träume nicht! Die Zeit rinnt auch ohne dich. Schau auf die Stadt! Sieh es an, dein Bast! Dort sind die Residenzen der Großen von gestern. Am Ende der Überschwemmung zog das Personal ab, und jetzt schon grüßt das Tor nach Süden als geschminkte Hure. Die einst hier zu graben begannen, gruben bis zum Mittelteil und zogen gestern in ihre Dörfer. In drei Tagen werden jene heimgeschickt, die ihre Arbeit am Lazurwasser verrichten. Die Flutung des Bittersees war schon vorbereitet. Es ist vorbei, du erster Seefahrer Zors. Kein Schiff des Inneren Meeres wird das Lazurwasser erreichen können. Basts Bausiedlung liegt verwahrlost. Bricht ein Hammerschlag die Stille? Hörst du die Stille, Phenesch, wie sie aus den Rissen der morschen Häuser dringt? Siehst du Kinder auf den Dächern? Bast schrumpft auf die Maße von einst. Hier handelt nur noch die Hälfte der Händler, keine Tänzer tanzen auf lustigen Plätzen. Bast stirbt, Phenesch, stirbt unter dem giftigen Atem blöder Beamten, die befürchten, ihr Wohlstand könne unter der kühnen Idee leiden. Der Kanal ließe die Welt größer werden, und das macht die Herren kleiner. Halte deine Zunge still, später auf dem Dach des Palastes wird Ma’at mich die rechten Worte finden lassen«.

Kerifer-Neith schwang sich über die Wandung. Abdi-ashirta folgte ihm auf den Steg, geriet auf eine zerbrochene Planke und spürte Uliliyas Hand. Wütend trat der Priester das Brett ins Wasser. »Morsch wie die Stadt selbst. Du schlägst gegen eine Hauswand, und das Dach stürzt ein und das des Nachbarn dazu. Das Gefängnis ist das festeste Gebäude, doch es fasst nicht alle Lumpen, die Bast bevölkern. Niemand säubert den Markt gründlich, er ist uneben, nach jedem Regen spiegeln Pfützen die Stände. Die Tuchhändler verkaufen nur noch ein Viertel der Umhänge, die Fleischer preisen dürre Hennen an. Das Elend geht als Gerippe durch die Gassen. Vorbei sind die Jahre, da Bast als fette Kuh im Delta graste. Es wird kein Tor nach Süden geben, durch das die Feinde dringen.«

Kerifer-Neith schickte einen Begleiter zum Verwaltungsgebäude. »Niemand beseitigt den Dreck der Köter. Warum auch in einer Stadt, die Katzen verehrt wie …«

»Herr, bitte sei still. Der Hafenmeister kommt.«

Kerifer Neith schob den Lotsen beiseite, der ihn warnen wollte. »Ich weiß, dass Setup ein Spitzel Ptah-hoteps ist. Aber der da kommt, ist nicht der Hafenmeister. Wer bist du? Wo ist der Hafenmeister?« Der Mann nuschelte seinen Namen. Der Priester forderte ihn auf, verständlich für alle zu reden.

»Setup ist zum Nomarchen Pedu-bastis gerufen, Hoher Herr. Sie besprechen sehr wichtige Dinge. Eure Tiere stehen bereit, die Verpflegung ist gepackt. Setup ist untröstlich, nicht selbst …« Erneut stolperte die Zunge, zwei lockere Zähne hinderten den Gehilfen des Hafenmeisters in seiner Rede.

»Hol die Tiere!« befahl Kerifer-neith. »Hast du seine Sandalen gesehen, Seefahrer?«, fragte der Priester, als der Mann zwischen den Häusern verschwunden war. »Die Verwaltung kann das Kupfer nicht messen für neues Leder. Nechos Vater band Ueset und Menfe wieder aneinander. Nach seiner Rückkehr aus Assyrien gebot er, auf den Hauptmärkten den Münzhandel einzuführen, als Zeichen der neuen großen Zeit. Nun geht Kemet auf dünnen Sohlen. Seit die Hände nicht graben, steht für Bast der Hapi still. Nomarch von Bast, das Amt trug einst goldene Feigen. Jetzt schlagen Ptah-hoteps Befehle den Takt.«

»Nieder! Hrrst! Hrrst!« Die Treiber verbeugten sich vor ihren Tieren, die sich gehorsam hinknieten.

»Keine Pferde?«, fragte Abdi-ashirta verwundert. Der Priester hob die Hände. »Der Göttergleiche erstrebt die Macht der Urahnen. Die Bewohner der Himmelshäuser kannten keine Pferde. Ich glaube aber, dass sie auch diese Tiere nicht kannten. Was schert es dich. Steig auf! Ein Kamel schaukelt kaum stärker als dein Schiff. Wir reiten den Ostweg, der zur Werft am Lazurwasser führt. Diese Straße wird dir bald vertraut sein.«

Abdi-ashirta stieg zwischen die Höcker. Kerifer-Neith lauerte vergeblich auf eine Blöße des ihm anvertrauten Pheneschs. Die Unterweisungen durch Zors Stadtwächter erwiesen ihren Nutzen, nach kurzer Zeit war der Seefahrer schon auf dem Damm zur Insel geritten. Kerifer-Neith zog die Augenbrauen hoch und schwieg noch, als sie schon auf die Straße nach Per-Sepa einbogen.

Sie ritten durch Randgassen, deren Häuser nicht alle offene Luken hatten. Klumpen von Lehm störten den Weg, oft waren aufgeweichte Dächer nicht geräumt. Die Vorsiedlung endete, vor einem letzten Gasthaus pries ihnen der Wirt sein Bier.

»Treibe dein Tier, Phenesch! Die Häuser stehen nur noch wie Zähne in alten Gebissen. Gleich sind wir im Grasland.«

Der Leib Ayteps, des Führers, hing gebeugt zwischen den Höckern.

»Welche Arbeit!« spottete der Priester. »Schläft er, der Held? Hatte ich durch meinen Boten nicht einen Wachsamen gefordert?«

»Aytep ist wachsam, Herr. Prüfe meinen Sinn durch ein Gespräch. Gewiss bin ich ein Stiller, denn wer auf seine Zunge achtet, schläft nachts ohne Feind.«

»Welch ein Geist wohnt in deinem Herzen! Beginn den Tag mit Frohsinn und lass nie ab davon. So fordert es ein Wandlied im Schlafgemach des Göttergleichen.« Kerifer Neith drängte sein Tier an die Seite des Sidoners. »Höre! Du hast auf dem Schiff gebettelt, von Neferheres zu erzählen. Ich male dir ihr Bild. Das Herz der Edlen ist eine Schatzkammer, die zu viele Worte plündern.«

»Deine Bilder sind schön wie die Frau, die sie beschreiben, doch fehlt mir die Ruhe, sie aufzunehmen. Wann sehe ich das Werk, das Zor auch heute noch als Zukunft preist?«

»Schweig noch einmal die Zahl der Tritte, die dein Tier bis hierher getreten hat, dann küsse kniend, was die Götter verfluchten. Doch jetzt höre mein Lied von Neferheres. Es ist selten gut, die Wahrheit im Maul zu tragen, deshalb singt mein Lied von Kum-ran. Und steckt am Abend unser blöder Führer seine Zunge in das Ohr des Herrn, wird sie Unsinn schwätzen. Was kümmert dich der Kanal in deiner Zukunft! Täglich steigt Re über das Ostgebirge, täglich zieht den Hapi seine Bestimmung in das Innere Meer, seit Tausenden Jahren binden sich die Himmelshäuser an die Unzerstörbaren.«

Kerifer-Neits Umhang rutschte von den Schultern, ungeduldig zog er das Leopardenfell zurecht. »Kum-Ran liegt an einem See, den nie ein Fisch bewohnte. Sein Wasser schmeckt wie die Lauge zum Pökeln. Der dortige Herr befahl: Zieht eine Wasserstraße zum Inneren Meer! Das aber erhob sich über die Ebene von Kum-Ran. Phenesch, warum hörst du nicht zu? Soll ich Melkart bitten, dich durch die Ohren zu stechen? Meine Geschichte ist deine Gegenwart.«

»Vom salzigen See hörte ich schon früher Geschichten. Sprich zu mir von Menfe. Der Spitzel versteht uns nicht. Wird alles sein, wie der Erhabene es sagt?«

»Ja. Wenn du erreichst, was er träumt, ist sein Wort ewig.«

»Auch Neferheres Wort?«

»Phenesch! Du zweifelst an der Tochter eines Nomarchen? Gar an dem Göttergleichen, der deinem Leben einen nicht messbaren Sinn gibt?«

»Nimm mir diese Angst. Der Spitzel hört uns nicht.«

»Ein Spitzel hat Ohren wie Schüsseln, seine Zunge ist ein Rüssel.«

»Bitte, Herr!«

Kerifer Neith seufzte. »Neferheres Mutter wurde in Bast geboren, die Stadt, die Katzen liebt. Sie war vierzehn, da nahm sie ein Steuerbeamter des Hofes zur Frau. Drei Dekaden nach der Hochzeit begleitete sie ihren Gatten zum Obersten Kämmerer nach Menfe. Sie ruhte auf einer Bank in den Südlichen Arkaden, da wurde Necho, Sohn des Pharao, vorübergetragen. Nach zehn Tagen – Schemu, der Erntesommer, hatte noch nicht begonnen – ließ er sie rufen. Der Beamte erhielt ein Säckchen mit den neuen Kupfermünzen und fühlte sich durch die Aufmerksamkeit, die ihm ein Angehöriger der göttlichen Familie erwies, hoch geehrt. Am fünften der Extratage wurde Neferheres geboren. Rechne, aber frage nicht! Frage nie! Der Steuerbeamte wurde Nomarch. Nomarch von Menfe! Sein Amt stopft Mäuler, die fragen.«

 

Sie waren einen Bogen um Bast geritten, stiegen jetzt ab und freuten sich, das Gras an den Füßen zu spüren. Der Priester wies über den Fluss zur Altstadt, an deren Wasserseite sich aufgereihte Häuser zum Katzenfriedhof hinzogen.

»Schau zum Horizont! In dem lichten Grün hebt sich Osorkons Festhalle über die Haine. Ihre Wände ließ Necho neu bemalen. Das war der Beginn seines Traums. Am Tag der Arbeitseröffnung gab es gar Dattelwein für die Armen. Der Tempel Pepis daneben ist zerfallen, wie andere Paläste auch. Glanzvoll überstrahlt das Haus der Bastet die dunkle Zeit. Sie verband sich mit Sechmet und wurde zur fernen Göttin.«

»Ferne Göttin?«

»Sie treibt ihr Unwesen in Nubien und bringt als Auge Res Verderben über Kemets Feinde. Hoffentlich begegnest du ihr auf deiner Reise nicht.«

»Wie ist Neferheres?« unterbrach Abdi-ashirta ungeduldig die Rede des Priesters.

»Sie ist die gehorsame Tochter der Macht. Die Macht ist ein hohes Gut. Übt Neferheres sie aus, wird sie von einem lieblichen Gewand bedeckt.«

»Sie liebt einen Mann. Die Zofe sprach von ihm, von Sothur, Nechos Offizier.«

»Sie liebt die Macht. Doch ihre Waffe ist die Blume, nicht das Messer. Der Wille des Herrschers geht im Schritt ihrer Wünsche. Der Glanz Ift-ars wird die Erinnerung an den Gardisten töten.«

»Wird die Erinnerung töten«, wiederholte Abdi-ashirta. »Seeleute kennen nur ein flüchtiges Glück. Zur Frau reifen die Mädchen an der Seite anderer.«

Die Straße zum Lazurwasser führte durch einen Palmwald. Soldaten marschierten nach Per-Sepa. Ihnen folgte ein Rasierter, dessen Finger in die Saiten einer Harfe griffen. Sein Pferd tänzelte vom Weg ab in Richtung der Kamele. Fluchend fassten die Soldaten nach dem Tier. Die Augen des Reiters waren tot.

»Es grüßt dich Kerifer-Neith, der Diener seiner Göttin. Möge sie dir das Glück für deine wichtigen Tage schenken.«

Abdi-ashirta erstaunte die Ehrerbietung in der Stimme des Priesters.

»Er ist blind, wie viele von ihnen«, sagte Kerifer-Neith, als sie wieder allein liefen. »Musikanten sprechen mit den Fingern. Er wird im Palast spielen, wenn du schon auf der Werft bist. Hebsed bringt Pharao die Kraft zurück.«

Sie stiegen wieder zwischen die Höcker. Haine und Grasland glitten vorüber. Händler zogen zum Meer, ihre bunt gewandeten Leiber wiegten sich auf den Rücken der Tiere. »Sie schaffen bereits Waren in die Werftsiedlung«, erklärte Kerifer-Neith, »obwohl erst in zwei Dekaden Zedern aus Gebal eintreffen. Necho wird dir deinen Gedanken, die Planken schon in Kanaan richten zu lassen, mit Gold aufwiegen. Das erspart uns einige Mondläufe … doch schau nach links!«, unterbrach er sich, »dort, wo die Bäume die Ebene brechen, bindet der Hapi Bast an das Innere Meer. Dort grub man in der Anfangszeit. In den ersten Monaten ging die Arbeit gut voran, doch dann schien die Erde Basalt zu bergen. Die Maße wurden langsamer gepfählt, oft nun trugen schwarz bedeckte Kamele Tote in die Gräber. Bald fehlte es an Werkzeug, bald an Knoblauch und Zwiebeln. Du weißt, nimmt man einem Kemeten diese Dinge, nimmt man ihm das Leben. Ift-ars Frauen säen schon diese Pflanzen für deine Fahrt. Der Geruch ihres Pulvers wird dich um Libyen herum begleiten.«

»Was geschah dann?«

»Manchmal blieb der Lohn aus, und die Kanalarbeiter wurden störrisch. Sie legten sich ins Gras, und niemand trieb sie an. Vor wenigen Tagen wurden die Trupps nach Hause geschickt, nur Räumungsarbeiter blieben. Bald frisst der Sanddrache Zors Träume.«

»Zor träumte von Punt, von seinem Gold, dem Fleisch der Götter. Wir träumten, wie Bursa, die Stadt im Meer, zurückbleibt, wie die Ufer der Lotosblüte vorbei ziehen und das Lazurwasser unsere Schiffe umspült. Vorbei, alles vorbei.«

»Für unsere Zeit, Admiral. Doch kennst du die Welt nach hundert Überschwemmungen? Schau nach vorn! Weit nach vorn!« Kerifer-Neith streckte den Arm aus. Ein Graben durchzog die Ebene. Im Osten flogen Kraniche auf, dort riegelte ein Damm den gefluteten Kanalteil ab. »Zwei Stunden weiter gruben sie erneut, am Drittel der Strecke. Sie gruben tief. Sie gruben für Meeresschiffe.«

»Reiten wir zum Wasser?« fragte der Führer.

Ja, befahl Kerifer-Neiths Gebärde.

Re erhob sich fünf Handbreit über der Lotosblüte und ließ die asiatische Nacht noch hinter dem Horizont. Abdi-ashirta stand auf dem Damm, blickte in die Richtung der Stadt Bast und auf die Stelle des Himmels, unter der er Zor wusste. Er drehte das Gesicht in den Morgen und malte sich das Lazurwasser.

»Ich weiß um deine Gefühle«, sagte der Priester ungewohnt leise. »Ich wollte dir von Kum-Ran erzählen, von seinem Herrscher, dessen große Ideen von Zweiflern zerstört wurden. Überall sind diese Zweifler, sie schlafen nie. Sie hören einen Vorschlag und sagen: Das geht nicht! Erst dann denken sie und finden in ihren Köpfen die Gründe.«

Abdi-ashirta drängte sein Kamel dicht neben Kerifer-Neiths Tier. »Du bedauerst Nechos Entscheidung? Du, ein Priester?«

»Ich bin nicht Ptah-hotep. Der hat die Augen hinter den Ohren. In Nechos Kanal wären die Wasser des Hapi in eine neue Zeit gezogen. Wir reiten zur Nacht in die Altstadt von Bast. Auf dem Dach des Palastes wirst du Ma’ats Stimme hören, so wie ich es versprach.«

»Hat einst ein König diesen Palast bewohnt?«, fragte Abdiashirta, nachdem Bedienstete sie auf Liegen gebettet hatten. Die Fackeln der Torwächter beleuchteten die bröckelnden Säulen des Vorbaus. Gott Chons schwamm als Barke, sein schwaches Licht verschönte die rissigen Plattenwege, die zu den Empfangszimmern und Zeremonienräumen führten. Das kräftige Rot des Erscheinungsfensters war selbst in diesem Halbdunkel erkennbar.

»Am Tag, als der Bau begann, besuchte der Göttergleiche Bast. Damals glaubten die Hoffenden, dass die neue Zeit neu geboren wird. Hunderte Arbeiter waren Mondläufe zuvor angetreten, das Werk vergessener Ahnen zu erneuern. Sie schleppten Quader von Per-Ramses‘ Ruinen heran, die den Palästen neuen Glanz verleihen sollten. Du hast das Kalksteinbecken im Hof gesehen, auch das kam diesen Weg. Doch nur ein Zehnt des Nötigen wurde ausgebessert. Pharao misst seine Bedeutung an der Größe der Vorgänger. Er will durch deine Tat wachsen. Die Vorbereitungen begannen, noch bevor du nach Menfe kamst. Zwinge den Kreis, Sidoner! Zieht einst der Göttergleiche in das Untere Haus, wird deine Expedition auf seinem Stein genannt sein. Im neuen Leben wirst du an der Seite des Gottgleichen wandeln.«

Abdi-ashirta sah in den Nachthimmel, sah die vertrauten Sterne zwischen dem Nordhorizont und den Unzerstörbaren. »Der Kanal …«

»… wird eine Straße zum Lazurwasser, die du bald gehen wirst. Nach dem Aufbruch der Schiffe wird aus der Werft eine neue Stadt. Das ist der Wille Pharaos.«

Abdi-ashirta richtete sich auf. »Das bedeutet, Sidonien muss künftig Kemets Gnade erbitten, um in das Südliche Haus zu gelangen? Wir mieten am Lazurwaser Schiffe und stehen unter Menfes Regiment?«

»Ja!«

»Zur Audienz zeigten die Kaufleute im Rat ihre Verzweiflung über Nechos Entschluss, den Kanal nicht zu bauen.«

Kerifer-Neith verscheuchte mit beiden Händen ein Insekt. »Necho berief sie, um die Macht der Militärs zu brechen. Das bezeugt seine Weitsicht. Er will die Große Zeit mit der Waage und nicht mit dem Schwert erschaffen. Es ist in Menfe wie in Zor. Kaufleute sind schlau, aber selten klug. Sie verlieren im Kanal den Handelsweg, erkennen aber nicht die goldene Zeit, die dein Erfolg bringen könnte. Nicht selten frisst Sobek an ihrem Hirn und das Schwert zerschlägt die Waage. Manche bereiten vielleicht dein Scheitern vor.« Den letzten Satz flüsterte er in altkemetischen Worten, die außer den Priestern kaum jemand verstand. Er zerrte das Fell zu Seite und schob den Kopf über den Dachrand, öffnete die Luke und nickte zufrieden. »Die langen Ohren stören unsere Stunde nicht. Ich wollte dir schon am Tage von Kum-Ran erzählen, von einem Kanal zu dieser Seesiedlung, die Balsam hat und Asphalt, der deine Schiffe dichtet. Du wolltest es nicht hören. Kaum bliesen Boten dem Volk diese Idee in die Ohren, erhob sich klagendes Landgeschrei: Wir werden ersaufen! Du wolltest nicht hören, wie man Kum-Rans Herrscher ein neues Spielzeug wies: Den Weg nach Osten, in das Land, dessen Berge die Sterne berühren und in dem die Gebieter der Erde wohnen. So sagt man. Du wolltest nicht hören, dass der Führer zum Himmel irdischen Lohn verlangte und man ihm ein schönes Wesen versprach, das dem Herrscher näher stand, als es sich schickte. Man hätte mit einem Schlag zwei schwarze Pferde getrieben. Du wolltest es nicht wissen und so spricht Ma‘at eben jetzt. Sie wird dir sagen, dass Geschichten sich wiederholen.

Neferheres band sich einst an Sothur, Obrist in Nechos Garde. Aus der Schwärmerei eines Mädchens wurde die Liebe einer Frau. Aber eure Zukunft vereint stärker als Gefühle, sie wird dir Gefährtin sein. Du bist ihre Möglichkeit, das Landgut Ift-ar zu gewinnen. Wer ist dann noch Sothur? Frag sie, wenn ihr Ift-ar besucht, nach der Zeit hinter der Expedition, frag sie aber nicht nach dem Gardisten. Neferheres wird Sothur vergessen, denn wer vom Essen nur träumt, wird nicht satt. Neferheres, sie ist etwas Besonderes, sie schaut mit Necho in die Große Zeit zurück und lässt in den Siedlungen nach deren Zeugnissen suchen. Sie kann die Inschriften der Gräber lesen und spricht oft mit den Wendungen unserer alten Dichter. – Aber berichte mir jetzt von dir, schildere den Augenblick, der dich nach Menfe rief. Ich will den Mann Abdi-ashirta kennenlernen. Wir haben noch zwei gemeinsame Jahreszeiten vor uns, ehe deine Schiffe die Bugspitzen nach Süden richten.«

Abdi-ashirta erzählte von dem Tag, an dem der Libanon seinen Wind nach Zor schickte, der zum Abend den Sturm gebar, berichtete von den Frauen, die ihren Söhnen den Namen toter Seeleute gaben, und er sagte dem Priester die Worte Hir-Rectars, seines Königs, wie er ihn nannte. Aber er sagte nur, was er für richtig hielt.

Die Dachfackeln erhellten Kerifer-Neiths Gesicht, das weicher erschien als unter Res Augen. Seit dem Tag, an dem ihm die kindlichen Haarlocken geschnitten wurden, hatten Schemu und Peret keine zwanzig Mal gewechselt. Es fehlten in dieser dunklen Stunde die herrischen Gesten, die seine Reden gewöhnlich begleiteten.

»Jetzt willst du etwas über mich wissen?«, fragte er spöttisch, »über mich, einen Priester? Wir Priester bewahren die Wahrheit in den Lehren der Götter, bis man in diesen Lehren die Wahrheit findet. Hättest du in On nicht von Neferheres geträumt, wärest du unserer alten Geschichte begegnet. Rede nicht!« wehrte Kerifer-Neith die Einwände des Sidoners ab. »Erkenne, dass Nechos Ideen dem Willen der Götter gleich sind und von ihrer Kraft getragen werden. Die Zeit begann, als die Götter in den Himmel stiegen. Atum stand auf Benben, dem Urhügel in On und erschuf aus seinem Samen die Welt. Die Großen Häuser sind Orte, an denen sich Götter und Menschen begegnen. Mit unseren Taten halten wir das Gleichgewicht dieser Welt im ewigen Kampf zwischen Nun, dem Chaos, und Ma’at, der Ordnung. Das ist auch dein Auftrag. Du fährst im Dienste Ma’ats, du bist ein wichtiger Teil unserer kemetischen Welt geworden. Glaube das, Admiral. Wir Diener der Götter sind Wissende. Wir wurden gelehrt unter dem Großen Haus, wo heiliges Wasser Gott Osiris umfließt. Dort steht geschrieben, was schon die Ahnen wussten. Dreimal drei Tage empfingen wir die Kraft der Unzerstörbaren, die uns über die göttlichen Himmelsschächte zuströmte. Ich weiß, dass ich unsterblich bin, denn das Leben ist ein Kreis. Schließt er sich, öffnet sich eine neue Welt.«

Kerifer-Neiths Stimme zitterte. Er griff nach dem Sidoner und drückte die Finger in dessen Schultern.

»Es darf nichts verloren gehen. Sprich von unseren Großen Häusern nicht als Gräbern. Sie sind Kemet selbst. Sie sichern das Universum, sie geben die Kraft, dass sich Körper, Seele und Wille vereinigen. Seit ungezählten Königsherrschaften warnen ihre Priester vor Sandbrüchen und anderen Zeichen Nuns. Einst lag er frei, der Bewahrer, der Chufus Gesicht trägt. Wer heute Kemets Geschichte lesen will, muss tief graben.«

»Zors Wissen wurde in die Berge getragen. Ursprünglich sollte es am Salzmeer vor den Assyrern versteckt werden, doch wohin hunderte Händler um Asphalt kommen, ist kein guter Platz für Schriften. Auch hörte ich schon aus anderem Munde von Nun und Ma’at, da war ich Kind im Ostviertel …«

 

»Vergiss deine Welt, Sidoner. Unsere heiligen Orte wurden von den Göttern gebaut, als die Menschen in Kemets Anfang lebten. Chufu war der Erste, der durch den Nordkorridor zu den Unzerstörbaren aufstieg und diesen Weg für alle Kemeten seiner Zeit ging. Das Wissen darüber soll unter den Füßen des Großen Bewahrers liegen, die hoch der Sand deckt. Ich will diese Schriften finden, das ist meine Expedition. Sie findet im Kopf statt. Meine Taten sind Ideen, mein Abenteuer ist das Denken. Ich möchte in der anderen Welt mit den Göttern leben.«

Kerifer Neith ballte die linke Faust und hielt sie zu den Nordsternen. »Ich erzähle das, um dir zu zeigen, dass deine Fahrt nicht die Fahrt von Krämern ist. Es geht nicht darum, Zedern von Gebal nach Quart-hadascht zu schaffen. Sie ist etwas Größeres als euer von Osiris verfluchtes Ashkalon, das ihr Pheneschs neu errichtet habt. Sie ist größer als Chufus Gesandtschaft in Libyens Zentrum, die nur dazu diente, Mapet für Türpfosten zu besorgen. Necho belebt alle Taten der alten Könige. Er gewährt Ped-Osiris dich zu treffen, doch dessen Geschichte wirst du von dem Wanderer selbst hören. Dieser Mann interessiert mich nicht. Er ist ein Irrer. Necho erweckt das alte Kemet. Sein Handeln stärkt Ma’at, die Ordnung. Du bist uns wichtig, Ped-Osiris werden die Götter verfluchen.«

Der Priester blickte auf den Phenesch, der ihm in dieser Stunde vertraut geworden war und für den er auch in Gedanken kaum noch dieses Wort verwandte. Du hast Feinde, Admiral, sie sehen in dir den Fremden, der Unruhe in das Land trägt, indem er es verändert. Wenn du Libyen umsegelst, werden sie erfahren, wie klein ihre Welt ist. Doch diese Worte sprach Kerifer-Neith nicht aus.

»Lass uns ruhen. Morgen erwartet uns Ptah-hotep. Das wird schlimmer, als der Ritt zu deinem Kanal.«

»Schlimmer? Ist Ptah nicht nur ein Zwergengott?«

»Du wirst dir vielleicht irgendwann wünschen, mit Zwergen auf dem Schiff zu fahren. Zwerge sind geschickte Handwerker. Schlaf jetzt. Deine Zeit in Menfe währt nicht ewig. Die Siedlung erwartet ihren Helden. Dein Abschied wird still sein, noch spricht niemand von der Eroberung des Kreises. Neferheres und mich wirst du vor allem am Lazurwasser treffen. Noch eine Dekade, dann herrscht der Hammer über die Zunge.«