Weck den Buddha in dir

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Die Bedürfnisse hinter den Gefühlen



Je klarer du dich selbst wahrnehmen kannst, umso leichter wird Mitgefühl sich entfalten. Das liegt daran, dass Mitgefühl Teil deines tiefsten Wesens ist. Du musst es nicht lernen; es ist in dir bereits vorhanden. Zugang bekommst du über das bewusste Erspüren deiner Gefühle. Der nächste Schritt ist dann herauszufinden, welche Bedürfnisse sich hinter diesen Gefühlen verbergen. Denn hinter jedem Gefühl steht ein Bedürfnis.



Sich vom Gefühl zum Bedürfnis gewissermaßen durchzufragen – das ist ein Vorgehen, das der US-amerikanische Psychologe Marshall Rosenberg in seinem Modell der Gewaltfreien Kommunikation

2

 formuliert hat. Diese Methode ist eine große Hilfe, denn sie lässt Klarheit entstehen: »Da sind bestimmte Gefühle in mir, dahinter stecken bestimmte ungestillte Bedürfnisse.« Oder: »Da sind freudige Gefühle in mir, dahinter stecken bestimmte gestillte Bedürfnisse.«



Bist du dir im Klaren über die jeweils ungestillten Bedürfnisse, hast du die Wahl: Du kannst dich um ihre Erfüllung kümmern oder sie ruhen lassen. Du kannst aus dem Erleben deiner Bedürfnisse Wünsche formulieren. Auf die Erfüllung unerfüllter Bedürfnisse zu bestehen würde aber Mitgefühl blockieren und damit Schwierigkeiten vermehren. Viele Bedürfnisse müssen nicht erfüllt werden – aber alle wollen gehört werden.



Im nächsten Schritt kannst du auch im Umgang mit anderen Menschen so vorgehen. Wie du handeln auch sie aufgrund bestimmter Bedürfnisse. Mit Einfühlung kannst du versuchen herauszufinden, Wenn du darauf bestehst, dass deine Bedürfnisse erfüllt werden, blockierst du Mitgefühl.welche Bedürfnisse sie sich dir gegenüber erfüllen wollten. Du kannst erkennen, was geschieht, wenn Menschen auf der Befriedigung ihrer Bedürfnisse beharren und wenn sie untaugliche Strategien wählen. Aber du behältst weiter die Gemeinsamkeiten im Blick, verwechselst den Menschen nicht mit seinen Handlungen und kannst mitfühlend statt wütend reagieren.



Manchmal werfen mir in meiner Arztpraxis Patientinnen vor, etwas falsch gemacht zu haben: Falsche Diagnose, falsche Therapie, zu spät gehandelt, zu früh gehandelt – da gibt es viele Möglichkeiten. Natürlich lassen mich Vorwürfe nicht unberührt. In solchen Momenten frage ich mich: »Was steckt hinter den Vorwürfen?« Vermutlich das Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit. Das kann ich verstehen, und ich brauche meinerseits nicht abweisend zu reagieren, um mich zu schützen.



Genau so können wir mit uns selbst umgehen, wenn wir gerade mal wieder kein gutes Haar an uns lassen. Erinnere dich an dieses Vorgehen, wenn du das nächste Mal Wut empfindest oder Angst hast: »Was brauche ich? Was ist mein Bedürfnis?« Vielleicht Sicherheit, vielleicht Ehrlichkeit, vielleicht Nähe. »Und was ist mein Wunsch?« Schon bist du in Kontakt mit dir. Es bedeutet nicht automatisch, dass dir dein Wunsch erfüllt werden kann. Aber du erkennst jetzt, dass du die Wahl hast, ob und wie du reagieren willst. Auf diese Weise verlieren die Emotionen ihre Macht über dich, und du wirst nicht so schnell etwas tun, was du hinterher vielleicht bereuen würdest.





Deine Kellerkinder kennenlernen



Ohne Einfühlung in die Innenwelt werden die alten Muster in dir aktiv bleiben und neue Wege verstellen. Du wirst weiter deine Sicherheit in Aktivitäten suchen, versuchen Anerkennung für Leistung zu bekommen. Du wirst dann nicht erkennen können, dass es noch andere Möglichkeiten gibt. Die spirituelle Praxis ist wie eine Entdeckungsreise und zugleich ein schöpferischer Prozess: Ich entdecke, erforsche und gestalte.



Vielleicht gibt es in dir ein Muster von Selbstmisstrauen. Wenn dann andere ein Urteil über dich fällen, übernimmst du es: »Ja, du hast Recht, ich bin unmöglich. Ich bin ein schlechter Vater / eine schlechte Mutter / eine schlechte Partnerin / eine schlechte Arbeitskraft.« Und dann strengst du dich an, um ihrem Bild zu entsprechen und gut beurteilt zu werden. Und wie fühlst du dich dabei? Du spürst vermut lich den Druck des Urteils und die innere Leere. Vielleicht beginnst du nun sogar noch, dich selbst zu beschimpfen, weil du schon wieder deinem alten Muster gefolgt bist.



Das ist genau die Situation, in der es gilt, Mitgefühl mit dir zu entwickeln! Indem du nicht ausweichst, sondern das alles aushältst: die Leere, den Ärger und die Angst – und deine Bedürfnisse nach Akzeptanz und Wertschätzung. So entziehst du den alten Strukturen die Nahrung. Schon wird diese gnadenlose innere Stimme leiser. Und du bemerkst, dass du auch ganz anders reagieren könntest.



Auf diese Weise kommst du in Verbindung mit deinen Kellerkindern. Das sind die Teile deiner Persönlichkeit, die in den Keller gesperrt worden sind. Du hast sie bisher nicht wieder herausgelassen. Lange Zeit mussten sie im Dunkeln leben. Und wie heißen diese Kellerkinder? Sie heißen vielleicht »die Ängstliche« oder »der Scheue«, »die Unsichere« oder »der Kindliche«, »die Sinnliche« oder »der Traurige«. Die Kellerkinder nehmen Einfluss auf dein Verhalten, steuern deinen Alltag mit, aber lange durften sie sich nicht zeigen.



Jetzt – in der Wärme des Mitgefühls – trauen sie sich langsam ans Licht, ins Licht des Bewusstseins. Sie kommen in ihrem eigenen Tempo die Treppe herauf, langsam und vorsichtig, Schritt für Schritt. Nur wenn du geduldig auf sie wartest, zeigen sie sich mehr und mehr. Wenn du sie ins Licht des Bewusstseins zwingen willst, dann werden sie sofort wie scheue Tiere wieder verschwinden.





Alles nicht so einfach



Sicherlich, sich dem Dukkha zu stellen ist nicht leicht. Zweifel, Unsicherheit und Mutlosigkeit können aufkommen. Sie werden genährt vom Verstand, von den Gedanken, von dieser inneren Stimme, Wer nur sieht, was er nicht hat, übersieht, was er hat.die dich dauernd beurteilt – und häufig so hart! Diese vielen verneinenden und bewertenden Gedanken, dieses Sich-Vergleichen mit anderen. Gib dem Verstand nicht so viel Energie! Überlass ihm nicht so viel Macht! Versuche stattdessen, der unerschöpflichen Kraftquelle des Mitgefühls mehr und mehr Raum zu geben.



Auch die ständige Suche nach Besserem blockiert immer wieder den Zugang zum Mitgefühl: »Ich brauche einen besseren Partner / bessere Freundinnen / einen besseren Lehrer / eine bessere spirituelle Gemeinschaft.« Solange du dich immer wieder ausrichtest auf das, was du nicht hast, übersiehst du leicht, was du hast. Getrieben von Gedanken, auf der Suche im Außen wirst du nie zu der Kraft in dir selbst vorstoßen.



Auch Schuldgefühle schwächen das Mitgefühl. Schuldgefühle werden durch entsprechende Gedanken genährt. Wenn jemand krank wird oder etwas schief läuft, wenn Fehler geschehen, wird häufig sofort nach Schuldigen gesucht. Wir versprechen uns emotionale Erleichterung davon, wenn wir jemand anderem die Schuld zuweisen können.



Manchmal geben wir uns aber auch selbst die Schuld. Dahinter stecken selbstzerstörerische Muster. Viel hilfreicher ist, die Ursachen und Bedingungen zu erkunden, die zu den entsprechenden Schwierigkeiten geführt haben. Nur so lassen sie sich auflösen beziehungsweise in der Zukunft vermeiden. Schuldgefühle verursachen oft Blockaden. Ursachen und Bedingungen zu erkunden führen hingegen zu Verständnis und Kreativität – und sind damit Ausdruck von Mitgefühl.



Vermeide auch »Warum-Fragen«: »Warum fürchte ich mich im Dunkeln?«, »Warum bin ich vom Pech verfolgt?«, »Warum kann nicht einmal alles glatt gehen?« Diese Fragen helfen dir nicht weiter. Sie katapultieren dich aus dem Fühlen heraus und ins Denken hinein. Sie sichern die Dominanz der alten Muster.



Mit diesen Fragen verbietest du dir zu empfinden, wie du nun einmal empfindest. Du verleugnest deine eigenen Gefühle. Ein Beispiel: Du stehst allein auf einer Party. Und du fragst dich: »Warum fällt es anderen Menschen so viel leichter als mir, ins Gespräch zu kommen?« Und der nächste Gedanke: »Da sieht man’s mal wieder, ich bin unmöglich. Alle amüsieren sich auf dieser Party, nur ich kann das nicht.« So überdeckst du Gefühle und Bedürfnisse mit Selbstbeschuldigungen, statt sie bewusst wahrzunehmen.



Ebenfalls sehr hinderlich sind alle Formulierungen der inneren Stimme, die mit »Ich sollte …« beginnen: »Ich sollte kontaktfreudiger und fröhlicher sein.« Wirst du so kontaktfreudiger? Wohl kaum. »Ich sollte …« bedeutet immer Kampf mit dem, was gerade ist. Wenn du kämpfst, erlebst du Dukkha. Und wenn du gegen dich selbst kämpfst, erlebst du großes Dukkha. Du kommst dir selbst abhanden.





Weitere Zugänge zu Mitgefühl



Zwei Zugänge zum Mitgefühl wurden bisher beschrieben: Die Sehnsucht nach Nähe zu dir und das Spüren deines Körpers. Es gibt weitere: Vielleicht fällt es dir leichter, dich zuerst auf die Schwierigkeiten anderer Menschen auszurichten und Mitgefühl für sie zu entwickeln – und es dann auf dich selbst auszuweiten.



Ein weiterer Zugang zum Mitgefühl für dich selbst kann die Zufluchtnahme zum Buddha sein. Wenn ich Dukkha erlebe, verbeuge ich mich vor dem Buddha und übergebe ihm meine Last. »Wenn du Angst hast, lege deinen Kopf in Buddhas Schoß«, rät der Dalai Lama. Ich stelle mir geradezu bildlich vor, wie ich Dukkha abgebe und der Buddha es aufnimmt. Für mich ist diese Praxis wohltuend und stimmig.



Mir gefällt auch diese kleine Geschichte: Ein christlicher Pater nimmt die Hand eines Menschen, der gerade großes Leid erfahren hat, und zeichnet in die Hand hinein einen Kreis. Und er sagt: »Das ist der Ort, an dem du lebst, und dort ist großer Schmerz, und du kannst diesem Ort nicht ausweichen. Also nimm ihn an!« Und dann bedeckt er mit seiner Hand die Hand dieses Menschen und sagt: »Und es gibt immer noch etwas Größeres – eine Ganzheit, einen Raum der Liebe, in dem sich Leben entfalten kann, immer neu.« Und dann berührt er wieder den Kreis und sagt: »Dieser Schmerz – er kann immer ruhen in der Liebe dieser Hand. Und wenn du beides kennst – den Kreis mit seinem Schmerz und das so viel Größere, was dies alles umfassen kann –, dann kannst du dich selbst heilen.«

 



Auch im Gebet liegt eine große Kraft und ein direkter Zugang zum Mitgefühl. Wir lösen uns von der Dominanz unserer Muster und kommen, je nach unserer Hingabefähigkeit, in Kontakt mit etwas, das viel größer ist als alle unsere gedanklichen Vorstellungen fassen können. (Mehr zum Thema Beten steht im Kapitel »Das Spürbewusstsein entdecken« auf Seite

151

 ff.)





Sich Zeit lassen



Welchen Zugang zum Mitgefühl du auch wählst: Du wirst Mut und Geduld brauchen. Erwarte nicht, dass alles sofort funktioniert. Halte aus, dass sich alte Strukturen nicht Resignierende Gedanken sind auch nur Gedanken. Du kannst ihnen ihre Macht entziehen.von jetzt auf gleich auflösen. Vielleicht tut sich lange Zeit scheinbar nichts. Du hast vielleicht schon viele Vorträge gehört, an Retreats teilgenommen und etliche Bücher gelesen, doch sobald jemand im Alltag bestimmte Knöpfe bei dir drückte, hast du auf die gewohnte Weise reagiert. Resigniere in solchen Momenten nicht, sondern erinnere dich: Resignierende Gedanken sind auch nur Gedanken, denen du ihre Macht entziehen kannst.



Mitgefühl will entwickelt werden. Es geht nicht darum, Mitgefühl zu lernen wie eine Fremdsprache. Vielmehr ist Mitgefühl bereits in dir vorhanden und wird spürbar, wenn du dich aus deinen gedanklichen Verwicklungen entwickelst. Vergiss nicht, dass auch Schwierigkeiten, die du dir selbst eingebrockt hast, nur mit Mitgefühl aufgelöst werden können. Beginne mit Einfühlung in dich selbst: Welche Gefühle waren aktiv, aus welchen Bedürfnissen hast du gehandelt? Erkenne an, dass die Bedürfnisse vermutlich ganz menschlicher Natur waren, du aber einen falschen Weg eingeschlagen hast, mit ihnen umzugehen. Werde dir bewusst, dass es normal ist, Fehler zu machen. Denke aber nicht, dass du falsch bist, weil du falsche Handlungsstrategien gewählt hast. Beschimpfe dich nicht.



Hat sich schon einmal jemand geändert, weil er beschimpft wurde? Ich kenne niemanden. Vielleicht kann man Menschen so dazu bringen, vorübergehend ein wohlfeiles Verhalten an den Tag zu legen. Aber grundlegend ändern wird sich auf diesem Weg niemand.



Du trägst natürlich trotzdem weiterhin Verantwortung für dein Handeln. Doch Verantwortung kannst du nur übernehmen, nachdem dir die Wahlmöglichkeit in der jeweiligen Situation bewusst geworden ist. Um die Wahlmöglichkeit zu sehen, braucht es Verständnis. Und Verständnis erwächst aus Einfühlung und Akzeptanz.



Wenn du so praktizierst, wird das Mitgefühl dich befreien: von deinen Konditionierungen, deiner Härte dir selbst gegenüber, den Stimmen in dir, die dich immer wieder beeinflussen wollen. Es erlöst dich von den vielen subtilen Aversionen dir selbst gegenüber, und es führt dich dazu, dich zu erleben, wie du wirklich bist – fernab von den Mustern und Trugbildern, von denen du bisher glaubtest, du seist mit ihnen identisch. Dieses Erleben wird dich allmählich zu einer Selbstliebe führen, die nichts mit Egoismus und Eigensucht zu tun hat, sondern alle anderen einschließt.







Sein lassen



Um den Bedürfnissen meines Körpers gerecht zu werden, treibe ich gerne Sport. Im Umkleideraum meines Fitness-Studios gibt es Stahlschränke mit Nummern. Wenn ich reinkomme, frage ich mich immer: »Wie alt fühle ich mich heute?« – und dann nehme ich den Schrank mit der entsprechenden Nummer. Manchmal muss ich feststellen: Heute ist es die 85. Nach dem Sport geht es mir zum Glück meistens besser.



Auch du erlebst wahrscheinlich Zeiten, in denen du dich kraftlos fühlst. Krankheiten, Schmerzen oder Verlusterfahrungen gehen oft mit Zuständen von Hilflosigkeit und Mutlosigkeit einher. Du erlebst dich verletzlich und zugleich vielleicht abgetrennt von der Welt und anderen Menschen. Etwas in dir rebelliert. Du sagst Nein zu dem, was du erlebst.



»Mein Leben sollte anders sein!«, denkst du. Oder konkreter: »Diese Krankheit habe ich nicht verdient«, »Es ist nicht in Ordnung, dass man mir gekündigt hat«, »Es darf nicht wahr sein, dass meine Beziehung auseinanderbricht.« Solche Haltungen werden als Widerstand bezeichnet. Widerstand blockiert das Verständnis der Situation und nimmt dir damit die Möglichkeit, etwas daran zu ändern. Widerstand kostet viel Kraft und hält dich davon ab, Zufriedenheit und Harmonie zu erleben. Um Zugang zu deiner inneren Stärke zu finden, ist es darum unerlässlich, bewussten Umgang mit dem Widerstand zu üben und herauszufinden, wie er sich auflösen lässt.





Widerstand hat viele Gesichter



Innerer Widerstand kann viele verschiedene Formen annehmen. Vielleicht äußert sich dein Nein als Kritik oder Empörung gegenüber der Außenwelt. Du schimpfst auf die Regierung, die Hausverwaltung oder einen Menschen, der sich in deinen Augen daneben benommen hat. Gereiztheit, Nervosität und Anspannung sind Formen des Widerstands.Dabei wirst du wahrscheinlich das Gefühl haben, im Recht zu sein, und möglicherweise ist deine Kritik in der Sache ja sogar berechtigt. In deiner Wut empfindest du dich vielleicht als souverän und kraftvoll. Aber der Schein trügt. Alles in dir lehnt sich auf: So sollte es nicht sein! Die Innenwelt rebelliert gegen die Außenwelt. Tieferes Verständnis ist nicht im Spiel. Auf diese Weise schaffst du nicht Souveränität, sondern Dukkha.



Nicht immer ist der Widerstand so klar erkennbar wie in der Wut. Manchmal äußert er sich milder, zum Beispiel als Gereiztheit oder als Nervosität. Du stehst zum Beispiel vor einem Fahrstuhl, und der will und will nicht kommen. In dir steigt Ungeduld auf; wieder und wieder drückst du auf den Knopf, als käme der Fahrstuhl dadurch schneller. Oder du erwartest einen wichtigen Anruf und fängst an, nervös mit dem Fuß zu wippen. Schließlich trommelst du vor lauter Anspannung mit den Fingern auf die Tischplatte. Wann klingelt endlich das Telefon? Du lehnst den gegenwärtigen Moment ab, weil du einen anderen herbeisehnst. Die Folge dieses Widerstands ist Dukkha, hier in Form von Unruhe.



Ärztlicher Notfalldienst in Berlin. Ich stehe mitten in der Nacht in einem Mietshaus. Einsatz im 8. Stock. Der Aufzug ist mal wieder kaputt. Ich bin müde und weiß: Ich muss jetzt da hochgehen. »Ich habe schon seit zwei Wochen nicht mehr gut geschlafen«, höre ich dann oben. Der Patient ist 22 Jahre alt und hätte ohne Probleme am nächsten Tag zu seinem Hausarzt gehen können, aber den Notarzt zu rufen war bequemer.



Was geschieht in dir in solchen Momenten? Wie reagierst du, wenn jemand achtlos mit dir umgeht? Wirst du wütend? Lässt du eine sarkastische Bemerkung fallen und machst dich unzufrieden auf den Rückweg? Nimmst du alles klaglos hin und frisst deinen Frust in dich hinein?



Vielleicht hat sich dein Widerstand mit der Zeit zu Niedergeschlagenheit verdichtet, ohne dass dir klar ist, warum du dich so kraftlos fühlst. Du bist halt gerade nicht so gut drauf, denkst du. Und wenn dich jemand fragt, wie es dir geht, dann sagst du: »Es geht so … « oder sogar »Muss ja.« Vielleicht erlebst du auch, wie Gedanken unkontrolliert durch dein Bewusstsein jagen und dich nicht zur Ruhe kommen lassen. Ständig spürst du Spannung in dir und empfindest dich als sprunghaft, fahrig und nervös. Durch diese Gefühle können zusätzlich Angst oder Resignation aufkommen: »Wie soll das nur alles weitergehen?«





Chance statt Bedrängnis



Die Verdichtung von Frust und Widerstand ist nach meiner Beobachtung typisch für die westliche Kultur: Wir erleben es als Bedrängnis, wenn etwas anders läuft als geplant oder die Dinge durcheinander gewirbelt werden, wenn sich Widersprüche auftun und es nicht mehr weitergeht wie bisher. In größeren Krisen empfinden wir uns als zerrissen. Wir haben keine klare Vorstellung mehr von unserem Leben und wissen nicht, was zu tun ist – und darunter leiden wir.



In der östlichen Kultur werden solche Zeiten eher als Chancen gesehen. Etwas Altes bricht zusammen, die gewohnten Konzepte taugen in diesem Moment nichts mehr und machen Platz für neue.



Auch du kannst dich für neue Erfahrungen und Lösungen öffnen, statt mit Widerstand auf Veränderung zu reagieren. Voraussetzung dafür ist, dass du Unklarheit und Unangenehmes zunächst aushältst und bewusst spürst, möglichst ohne dich dagegen aufzulehnen.



Die Negativität ist wie eine Sackgasse. Du fährst immer tiefer in sie hinein, findest keinen Platz mehr zum Wenden und sabotierst dich damit selbst. Konstruktive Lösungen werden unmöglich und deine Wahrnehmung verengt sich mehr und mehr. Du siehst keine anderen Wege, alles erscheint dir durch und durch negativ. Du empfindest die Welt nur noch als übermächtig und bedrohlich.



Der Widerstand vergiftet deine Lebensatmosphäre in Form von Ungeduld, Ärger und Wut. Er raubt dir die Kraft, Widerstand verhindert, was du dir wünschst, und stärkt, was du auflösen willst.indem er dich aussaugt wie ein Vampir. In deiner Widerstandshaltung verhin

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?