Sprichst du noch, oder kommunizierst du schon?

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Burnout für alle

dem großen schottischen Dichter Robert Burnsout gewidmet

Nachdem Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo dem Medien- und Machtstrizzi Karl-Theodor zu Guttenberg das Büßerhemd maßgeschneidert hatte, auf dass Deutschland künftig auf einen eigenen Berlusconi nicht länger würde verzichten müssen, fühlte er sich ein wenig ermattet. Außerdem war er von der langen Quakelei durstig geworden, doch wie es so geht bei unseren top-creativen Blattmachern, erwuchs di Lorenzo der etwas lasche Daseinszustand sofort wieder ins Produktive. »Ich bin müde, hab’ auch Brand, bin ich etwa ausgebrannt?«, formulierte der alerte Medienmann quasi druckreif, und so titelte die Zeit: »Noch jemand ohne Burnout?«

Wer aber will das wissen? Burnout ist als Thema ziemlich ausgebrannt und ausgeleiert, ausgebrannt sind quasi alle, zumindest, wenn es sich um Männer handelt, noch dazu um ganz wichtige. Frauen und Memmen leiden unter Depressionen, Männer haben Burnout. Im Gegensatz zum Drückebergerdepressiven hat sich der Burnoutler seinen Zustand hart erarbeitet. Wer Burnout hat, der hat vorher gekämpft! Ist »ans Limit gegangen«, hat »sein Potential abgerufen« und »seine Leistung gebracht«, hat sich »ausgepowert« und sich »weiter optimiert«, solange »noch Luft nach oben« war. Wenn ihm die aber doch einmal ausging, hat er »mental an sich gearbeitet« und sogar auf eigene Kosten einen »Motivationstrainer« beschäftigt, um nicht schlappzumachen.

Irgendwann kommt trotzdem der Befund,

der ihn restlos aus den Schuhen haut:

Die Fassade zwar wirkt noch gesund.

Doch dahinter flüstert’s schon: Burn out, Burn out...

Ohne Burnout geht nichts mehr bei Männern, Vattiland ist ausgebrannt. Niemand, dem es schlecht genug geht, wenn er ausgelaugt ist, erschöpft, fix und fertig, völlig alle, so richtig durch oder der einfach nicht mehr kann. Nein, das reicht nicht, das ist für Weichlinge und vor allem überhaupt nicht auf der Höhe der Zeit. Ins modisch-idiotische Nirwana wegformuliert klingt das so: »Depression war gestern. Jetzt ist Burnout.«

Wenn nicht sogar Burnout-Syndrom, denn Syndrom ist immer gut: Velodrom, Motodrom, Tempodrom, Burnoutsyndrom. In einem »Asterix«-Band wären das prima Vornamen, ähnlich wie in »Asterix und die Normannen«, in dem die Krieger aus dem Norden Maulaf heißen, Dompfaf oder Ganzbaf, und in dem es ja auch um Psychologie geht, also um Angst.

Burn out, mein Herz, und suche Freud...

Or und Ar und Schlecker

Wie man Drogerieketten abstreift

Sprachliche Überempfindlichkeit kann Schaden verhüten; so wie eine empfindliche Nase die Zusichnahme schlechter Nahrung verhindert, so kann auch ein gut ausgebildetes Trommelfell vor der Verletzung der innen angrenzenden Organe schützen. Jedenfalls habe ich es ausschließlich meiner Sprachidiosynchrasie und meiner Phantasie zu verdanken, dass ich niemals eine Filiale der Drogeriemarktkette Schlecker betrat. Die Vorstellung, jemand könne sich ausgerechnet bei Schlecker mit Toilettenpapier eindecken, ist entsetzlich und geradezu erbrechenmachend.

Irgendwann las ich einen Boykottaufruf gegen Schlecker; es ging um den Vorwurf, die Direktion der Firma lasse Angestellte bei der Arbeit ausspähen und bespitzeln. Mich musste man mit dieser bösen Geschichte nicht zum Schlecker-Boykott agitieren, ich ging ja ohnehin nicht hin – würde aber, ebenfalls aus rein sprachlichen Gründen, niemals »Schlecker? No way!« oder »Schlecker ist ein No go!« sagen.

In der Marketingabteilung von Schlecker scheint man von den positiven Wirkungen negativer Werbung überzeugt zu sein; anders ist die Parole »For you. Vor Ort« schwer zu erklären. Man muss die Kurzwörter nur einmal halblaut vor sich hin sprechen: »For you. Vor Ort«, dreimal »or« in vier Silben, das klingt nach Mordor und den Orks.

Ausgedacht hatte sich den mundbrecherischen Slogan eine Werbeagentur Grey; beauftragt und bezahlt von der neuen Schlecker-Generation: Meike und Lars Schlecker, den Nachfolgern ihres Vaters Anton Schlecker, dem Begründer der Schlecker-Dynastie im schwäbischen Schleck-, nein: Ehingen. Mit der »For you. Vor Ort«-Kampagne, so ließen die Schlecker-Youngsters einen Unternehmenssprecher verkünden, ziele Schlecker speziell auf Kunden der »niederen bis mittleren Bildungsniveaus«.

Dabei kann doch jedes Kind die Worte For you, vor Ort, Toilettenpapier und Schlecker kombinieren und feststellen: Der Name Schlecker ist eine Abkürzung. Vorne fehlen ein A und ein r, dann stimmt’s. Es gibt viele Gründe, Filialen der Firma Schlecker zu meiden; mir reicht dieser.

Weg oder runter?

Eine Betrachtung des Brechens

»Dem Tagesspiegel sind zwei große Anzeigenkunden weggebrochen«, erzählt ein Kollege, und während er noch über die Folgen spricht, über den Niedergang der Presse im allgemeinen und über Entlassungen im besonderen, bin ich noch ganz im Wort: weggebrochen? Wie muss ich mir das vorstellen, wenn Anzeigenkunden wegbrechen? Wohin brechen sie weg? Brechen sie durch den Boden, oder erbrechen sie sich?

Jedenfalls wird viel weggebrochen im Land. »Uns brechen hier die Leute weg«, sagt der Chef eines Kulturclubs, und nicht nur im Osten Deutschlands wird häufig die Klage erhoben, dass »viel Identität weggebrochen« sei.

Identität wegbrechen, wie geht das? Bricht die selbständig weg oder lässt sie sich willenlos wegbrechen? Und ist bei allem, was man von sich bricht, nicht immer auch eine Identität dabei, wenigstens »ein Stück weit«? Denn auch das wird tadel- und skrupellos weggesprochen: »Uns ist hier ein Stückweit Identität weggebrochen.« Man kann nur hoffen, dass ein ausreichend großes Gefäß zum Auffangen in Wegbrechnähe stand.

Später im Café höre ich eine Frau zu einer anderen sagen. »Theoretisch ist mir alles klar, aber ich muss noch lernen, das auf meinen Alltag runterzubrechen.«

Runterbrechen? Wie bricht man etwas runter? Zerbricht man es in kleine Stücke, die dann herunterfallen? Hat runterbrechen mit Bruchrechnen zu tun? Oder mit einem Leben als Bruchpilot? Trifft das, was einer runterbricht, auf das, was weggebrochen ist? Oder kann man das, was zuvor weggebrochen ist, dann auch noch runterbrechen, und wenn ja, auf was? Kann man eine weggebrochene Identität auf den Alltag runterbrechen? Wie sähe das aus? Wie fühlte sich das an? Und wie röche das?

Es gibt reichlich zu brechen in Deutschland, sei es nun weg, runter oder rade, und deshalb muss man manchmal dringend aufbrechen. So vieles ist schon weggebrochen, nur radegebrochen hat noch nie jemand, das wäre ja falsches Deutsch; richtig heißt es geradebrecht und kann gerade auf Brecht nicht runtergebrochen werden.

Abgeholt und mitgenommen

Man solle »die Sorgen und Nöte der Menschen ernstnehmen«, sagt ein Politiker und ergänzt eindringlich: »Wir müssen die Menschen abholen!« Einer seiner Kollegen nimmt den Faden auf und fordert: »Wir müssen die Menschen mitnehmen!«

Wenn man als einer von »den Menschen«, über die stets im Plural gesprochen wird, nicht weghört, kann man sich fragen: Wer sind eigentlich diejenigen, die sich immerzu »wir« nennen? Und wer sind »die Menschen«, von denen sie reden? Es muss sich jedenfalls um zwei voneinander ganz verschiedene Gruppen handeln, zwischen denen es keine Verbindung gibt und von denen die erste aus aktiven und die zweite aus passiven Mitgliedern besteht. Die einen holen ab und nehmen mit, die anderen werden »die Menschen« genannt, abgeholt und mitgenommen. Sie sind Objekte und werden verwaltet. Aber haben sie darum überhaupt gebeten?

Wer über »die Menschen« spricht, legt damit nahe, dass er selbst etwas anderes sei. In dem kleinen Wort »die« liegt etwas Trennendes, Distanzierendes und auf Fremdheit Verweisendes. Auf der einen Seite steht das handelnde »Wir«, auf der anderen stehen nicht Menschen, sondern im Gegenteil eben »die Menschen«. Sie wurden auch schon »die Menschen draußen im Lande« genannt, was nicht ohne Rätselkraft ist: Wer »im Lande« ist, befindet sich drinnen und soll dennoch draußen sein? Und wo befindet sich derjenige, der alle anderen »draußen im Lande« wähnt? Drinnen vor der Tür?

Wer die Sprache der Politik auch nur halbwegs ernst und für voll nehmen will, kollidiert schnell mit der Logik, gewinnt aber Erkenntnis über das Selbstverständnis der Sprechenden. Die Mitglieder der »politische Klasse« genannten Kreise sind ohne jeden Zweifel davon überzeugt, dass ihnen Definitionsmacht und Handlungsmandat zustehen: Sie repräsentieren diejenigen, die sie wie mit einem Gummihandschuh über der Zunge als »die Menschen« bezeichnen, sie sprechen in ihrem Namen und agieren für sie.

Die Frage, ob sie dazu legitimiert worden sind, stellt sich ihnen nicht mehr; sie halten sich für gewohnheitsrechtlich ermächtigt. Wer bestimmt, was er mit »den Menschen« tun muss, ohne sie gefragt zu haben, ob ihnen das überhaupt recht ist, hat das Prinzip der Entmündigung anderer längst verinnerlicht, es ist ihm zur Selbstverständlichkeit geworden. Wer »die Menschen abholen« oder »mitnehmen« muss, als chauffiere er einen Schulbus, hat sich von denen, über und für die er spricht, ohne jemals mit ihnen zu sprechen oder ihnen zuzuhören, längst so weit entfernt, dass er weder sie noch den Vorgang des Sichentfernthabens überhaupt wahrnimmt.

Wenn einer über »die Menschen« spricht, weiß man, dass er mit realen Menschen keinen Kontakt hat, sondern nur mit seinesgleichen, mit denen er über andere bestimmt. Die Politiker- und Medienformulierung »die Menschen« meint eben nicht Menschen, sondern eine amorphe, mundlos dumpfe Masse. Der Versuch, mit Sprachmenschelei humanes Interesse zu simulieren, ist durchsichtig. »Die Menschen« ist reiner Verfügungsjargon; die Steigerung »die Menschen haben ein Recht darauf« legt sogar nahe, der Sprecher könne Rechte worauf auch immer gewähren oder entziehen. In der Formel von »den Menschen« offenbart sich ein Selbst-, Welt- und Menschenbild, das sich so teilnahmsvoll und egalitär gibt, wie es gleichgültig und hochmütig ist.

 

»Ich und viele andere Menschen«

Der Präsident, ein Herzchen

Kaum dass Joachim Gauck wusste, dass er nun doch, im zweiten Anlauf, zum Präsidenten gemacht werden sollte, kehrte er sein Inneres nach außen: »Mir ist wichtig, dass die Menschen wieder lernen, dass sie in einem guten Land leben, das sie lieben können«, sprach der Theologe, und man wusste, was die Uhr geschlagen hatte. Die eigene Wahrnehmung und Analyse der Verhältnisse, in denen man lebt, bedeuten nichts. »Die Menschen«, über denen turmhoch der Pfarrer Gauck steht, müssen von ihm lernen, wo sie leben. Das gilt nicht nur für Inländer. Gauck hat Europa zum »besten Ort der Welt« erklärt. Ob er das auch den armen Bewohnern der anderen Kontinente mitteilen wird, die er demnächst heimsuchen wird? Oder kennt er einfach nur nichts anderes?

Fast ein bisschen wehmütig dachte ich an Gustav Heinemanns so klugen wie charmanten Satz »Ich liebe nicht den Staat, ich liebe meine Frau.« Zu der Zeit war Heinemann amtierender Bundespräsident, zu billigen patriotischen Bekenntnissen ließ er sich nicht erpressen, und obwohl er ein Mann der evangelischen Kirche war, hatte er notorischen Antikommunisten schon in den 50er Jahren entgegengehalten, »dass Christus nicht gegen Karl Marx gestorben« sei.

Solcher Scharfsinn ist von Joachim Gauck nicht zu erwarten. Er sei »mit einem gut begründeten Antikommunismus aufgewachsen«, erklärte Gauck, dessen Mutter 1932 und dessen Vater 1934 der NSDAP beigetreten waren. Dafür kann Gauck selbstverständlich nichts. Aber in diesem Zusammenhang ist sein Bekenntnis zu »einem gut begründeten Antikommunismus« ein brauner Akt des retrospektiven Gehorsams. Gauck ist auf einem Kreuzzug in die Vergangenheit unterwegs. Die Entspannungspolitik zwischen BRD und DDR setzt Gauck mit der »Appeasementpolitik« der Westmächte gegenüber Hitler gleich. Kein Wunder, dass ein solcher Hassprediger schon beim ersten Anlauf im Jahr 2010 der Kandidat von Bild war. »Yes we Gauck« trommelte Bild am Sonntag, und am 19. Februar 2012 hatten sich dem dann endlich alle wahlrelevanten Truppen angeschlossen. (Die Linkspartei hatte man gar nicht erst gefragt, und ihre Vertreter, statt sich über den Beweis, diesem Kartell nicht anzugehören, zu freuen, schmollten. Sie würden ja soo gerne dabeisein.)

Joachim Gauck wird allenthalben als »glänzender Redner« gefeiert, die FAZ attestiert ihm die »schönste Sprache«. Die klingt beispielsweise so: »Als Bürger der DDR haben ich und viele andere Menschen im ganzen Osten Europas Ohnmacht erlebt und trotz Ohnmacht Ähnliches geschafft: Es gibt ein wahres Leben im falschen.«

»Ich und viele andere Menschen« ist schon sehr schön gesagt, aber das »wahre Leben im falschen« ist sogar noch größenwahnsinniger, noch eitler. Im falschen Leben gibt es echte Flaschen, wie den Mann, der seit 1990 auf dem Bürgerrechtler-Ticket unterwegs ist. Der »Präsident der Herzen«, zu dem ihn Bild gekürt hat, ist ein Herzchen.

Schiffsverkehr mit Bono Bongo

»Schiffsvakeeehr!« nölt und huuhlt es aus dem Radio. Nachdem das ärgste Ohrenbritzeln sich gelegt hat, höre ich noch einmal hin: »Schiffsvakeeehr!« Intuitiv ziehe ich die Schultern hoch bis fast zu den Ohren und stelle fest, dass diese schmerzhaft-verspannte Körperhaltung besonders geeignet ist, das Wort »Schiffsvakeeehr!« aus sich herauszuquetschen. Es ist physischer Schmerz nötig, um dieses Geräusch zu erzeugen: »Schiffsvakeeehr!« Herbert Grönemeyer ist eine Ganzkörperverspannung. Das erklärt auch seinen Erfolg: Es gibt so viele zerquälte Deutsche, und Grönemeyer ist ihr Sprachrohr: »Schiffsvakeeehr!«

Eine Leserin fragt, wann der Betroffenheitsprofi Herbert Grönemeyer Profit aus der japanischen Nuklearkatastrophe ziehen und ob dann auch sein Bruder Dietrich Grönemeyer mit einem Medizinalratgeber partizipieren werde. In diesen Branchen kenne ich mich nicht aus, aber mein Kollege Ralf Sotscheck berichtet, dass der U2-Sänger Bono stante pede zum Fukushismatiker wurde und zügig begann, an einem Elend-Abgreif-Album herumzuwerkeln, mit dem er viel Gutes für die Opfer und noch mehr für seine eigene Bonität tun will.

Ralf Sotscheck, der in Irland lebt, bekommt über die irische Band U2 und ihren Chef mehr zu lesen und zu hören, als ihm lieb ist, aber er kennt auch schöne Geschichten über die Nervensäge Bono. Bei einem Konzert in Glasgow bat Bono das Publikum um absolute Ruhe. Dann begann er, in die Hände zu klatschen und sagte: »Jedesmal, wenn ich klatsche, stirbt in Afrika ein Kind.« Woraufhin aus der Halle der Ruf erscholl: »Dann hör doch endlich auf damit!«, die beste mir bekannte Antwort, die man einem Gratismoralerpresser geben kann.

Bono, der das Gefühl für Peinlichkeit nicht kennt, schrieb an Captain Beefheart, der auf einem anderen musikalischen Planeten lebte als Bono und seine Spießgesellen, er könne doch gern einmal gemeinsam mit U2 auftreten. Captain Beefheart schrieb zurück: »Sehr geehrter Herr Bongo, ich weiß nicht, wer Sie sind, aber bitte schreiben Sie mir nicht mehr.« Allein dafür muss man den im Dezember 2010 verstorbenen Captain Beefheart in Ehren halten.

Während der sehr geehrte Herr Bongo weiter das benefizische Meer abgrast. Könnte er dabei nicht einmal mit Herbert Grönemeyer kollidieren, zum »Schiffsvakeeehr!«?

Gestatten, Cello, Terrorist

Auf einem Berliner Flughafen spielt sich folgende Szene ab: Eine kleine zierliche Frau mit einem Cello in der Hand diskutiert mit dem Mann am Schalter der Fluggesellschaft, der Ausweispapiere von ihr verlangt. Im Frachtraum eines Flugzeugs kann einem empfindlichen Instrument viel Böses widerfahren, fürs Handgepäck ist ein Cello zu groß, also hat die Passagierin dem Cello einen regulären Sitzplatz kaufen müssen, und weil sie Musikerin ist und Etta Scollo heißt, hat sie den Platz neben ihrem eigenen auf den Namen Cello Scollo gebucht.

Cello Scollo, das klingt gut und ist lustig, aber Humor wird oft gar nicht oder nur ganz falsch verstanden. Der Mann hinter dem Schalter möchte nun zwei Ausweise sehen. Etta Scollo setzt ihm auseinander, dass es sich bei Cello Scollo um ein veritables Musikinstrument handelt, um ein Cello eben, und dass es für ein Cello keinen Ausweis gibt. Der Angestellte bleibt stur; nein, er muss und will auch den Ausweis von Cello Scollo sehen, Punkt.

Frau Scollo erklärt ihm die Sache noch einmal: dass sie, um das Instrument wohlbehalten von A nach B zu bringen, ein zweites Ticket gelöst habe. Und obwohl der Schaltermann ja sehen kann, dass es sich um eine Passagierin und um ein von ihr mitgeführtes Cello handelt, versteht er nicht oder will nicht verstehen und besteht statt dessen weiterhin darauf, die Ausweispapiere von Cello Scollo zu sehen.

Was beinahe wie ein eingeübter Sketch wirkt, ist vollkommen ernst gemeint; der absurde Dialog geht in die Endloswiederholungsschleife, nur die Lautstärke steigert sich kontinuierlich, und die energische Frau Scollo ist bei Stimme. Schließlich wird eine dem Schaltermann Vorgesetzte hinzugezogen, die sich die Angelegenheit kurz schildern lässt und zeigt, dass sie noch alle Gurken im Glas hat: sie lacht. Etta und Cello Scollo können unverzüglich ihre Reise antreten. Doch der biometrietaugliche Ausweis für Musikinstrumente wird kommen, die Sicherheitsparanoiker dieser Welt arbeiten daran.

Man muss nicht Etta Scollo heißen, um den Humor von Uniformträgern zu testen. Wenn einem danach ist, klemmt man sich ein Cello unter den Arm, geht zum Flughafen und kauft ein Ticket auf den Namen Cello, Vorname Violon. Der Rest geht dann ganz von selbst.

Multitasking im Rollkofferkrieg

Das Wort Multitasking beschreibt die Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Männer, heißt es, seien beim Multitasking chronisch überfordert und könnten sowieso bloß stumpf das Eine, während es Frauen leicht falle, simultan mehrgleisig aktiv zu sein. Manche sprechen deshalb auch von Muttitasking, denn Mütter müssen agieren können, als seien sie mindestens siebenarmige Gottheiten oder Leuchter.

Die Wirklichkeit des Multitasking kann man in der Deutschen Bahn studieren, am besten in der ersten Klasse, wo die Elite des Landes beheimatet ist, die sich so oft als Alete entpuppt. Ein Mann im Geschäftsanzug steigt zu, seine rechte Hand umklammert den Griff eines gewaltigen Rollkoffers, in der linken hält er ein Mobiltelefon, in das er für alle vernehmlich hineinschreit, was er seine »Eckdaten« nennt: wo er sich gerade befindet, wie spät es ist, wo er hin möchte und wann er dort ankommen wird.

Das ist ja hochinteressant, denkt man bei sich, während der wichtige Mann gerade feststellen muss, dass sein Rollkoffer zu breit für den Gang zwischen den Sitzreihen ist und festhängt. Ungehalten zerrt der Rollkofferist an seinem Gerät; das nützt aber nichts, und so muss er sein Mobiltelefon wegstecken, mit beiden Händen und beleidigtem Gesicht seinen Koffer entklemmen und ihn zu einem Platz wuchten, wo er sich setzen und mit seinem Koffer den Gang vollstellen kann. Wie kann die Bahn es wagen, sein Breitreifenleben so einzuschränken?

Was hat er bloß in seinem Koffer? So wie er damit hantiert, muss er zentnerschwer sein. Ist es in Deutschland Pflicht geworden, mit seiner toten Schwiegermutter im Gepäck zu reisen? Und ich habe das mal wieder verpasst? Ich habe ja gar keine Schwiegermutter, beruhige ich mich, aber so wie der Mann sich abrackert, hat er zum Ausgleich zwei davon. Und beide liegen tot in seinem Rollkoffer. Ich habe den Mann durchschaut: Er ist ein Bigamist und ein Doppelherzmörder.

Als könne der Mann meine Gedanken lesen, spricht er in sein Telefon. »Ach Schatz«, sagt er mit müder Stimme, »der Zug hat drei Stunden Verspätung, ich schaffe es nicht nach Hause, ich muss in Hannover übernachten.« Seine Stimme klingt enttäuscht und alt, er barmt noch ein bisschen, »ja, Schatz, es tut mir leid ... ich dich auch, Schatz«, und das Gespräch ist beendet. Zehn Sekunden später beginnt er ein neues, mit einer jungen, fast jugendlichen Stimme voller Elan und Freude: »Wir können uns sehen, Liebling, ja, in zwei Stunden bin ich da, o ja, ich freue mich auch, Liebling.« Und legt, sehr selbstgesättigt, das Telefon vor sich auf den Tisch.

Monogamie ist eine Ausnahme von der Regel, Ehebruch ist üblich, und mich geht das Ganze nichts an. Aber warum telefoniert der Mann so laut, dass alle anderen im Abteil alles mithören können, ja müssen? Braucht er Publikum? Glaubt er, man hielte ihn für einen ganz dollen Hecht, weil er ausposaunt, wie er als Amateurschauspieler den abendlichen Vollzug einstielt? Handelt es sich um einen jener Fälle von forciertem Talkshowexibitionismus, der keiner Talkshow mehr bedarf? Um Prahlhanselei im Endstadium?

Etwas später steige ich aus, eine Umhängetasche aus Leder über der linken Schulter und eine lederne Reisetasche in der rechten Hand. Der Bahnhof ist gestopft voll, und so gut wie alle Reisenden führen einen Rollkoffer mit sich, manche sogar zwei. Der Lärm, den sie damit produzieren, ist infernalisch; das Pflaster in Bahnhöfen, auf Flughäfen und auf der Straße ist nicht dafür geeignet, Rollkoffer geräuschlos zu bewegen, und weil sie beim Gehen Krach erzeugt, muss die Rollkoffersorte Mensch brüllen, wenn sie sich mündlich oder fernmündlich verständigen will, und das will sie ja permanent und pausenlos.

Aber Rollkoffer sind bequem und praktisch!, ningelt einem die Rollkofferfraktion ins Trommelfell, laut natürlich, noch lauter als die Rollkoffer, die sie hinter oder neben sich herzieht, mit permanentem »RRRRRRRR«-Geräusch. All jenen, die an ihren Rollkoffern hängen, wie diese wiederum an ihnen hängen, sei gesagt: Pragmatismus ist die Wurzel aller Hässlichkeit.

Sein Trommelfell und die dahinter angesiedelten Organe sind dem Rollkoffermenschen egal; ein Kopf ist für ihn das Zeug, das man zum Telefonieren braucht und zum Glotzen, und in das man sich, bevorzugt ambulant und im Gehen, mit der rollkofferfreien Hand etwas zu essen hineinstopft, das mit einem Nahrungs- oder Lebensmittel möglichst nichts zu tun hat, also alles, was es an Bahnhöfen und auf Flughäfen gibt: frittierte Presspappe, gern bitte aber auch mit Salatblatt, der bewussten Ernährung wegen.

Es herrscht offener Rollkofferkrieg im Land, die Rollkofferarmee RollRollRoll marschiert, während die richtige deutsche Armee, die Bundeswehr, in Afghanistan einen richtigen Krieg führt, in den sie allerdings nicht mit Rollkoffern zieht und ausrückt, sondern mit Rucksäcken. Schließlich müssen Soldaten für ihre ganz spezifische Form des Multitasking beide Hände frei haben.

 

Erst wenn Soldaten in den Aggregatzustand »Held« versetzt werden, winkt ihnen der Rollkoffer nach Hause. Ihr oberster Dienstherr hat naturgemäß den größten Rollkoffer von allen. Er ist aus edlem Zink gemacht, und während sein Besitzer das riesige Trumm hinter sich her zerren lässt, spricht er mit Stentorstimme in die Kameras: »Ich bringe die deutschen Soldaten in ihre Heimat zurück.« Zu ihren toten Schwiegermüttern, nehme ich an.

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