Zeckenalarm im Karpfenland

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Mordkommission der Stadt Erlangen, am späten Nachmittag des gleichen Tages

Der Erlanger Kommissar der Mordkommission, Gerald Fuchs, und seine adrette Assistentin, Sandra Millberger, betraten gerade das Zimmer ihres Chefs, Hauptkommissar Joerg Kraemer. Eigentlich wollten sie sich in Kürze auf den Nachhauseweg begeben. Es war nichts los. Einen aktuellen Mordfall hatten sie gerade auch nicht. Dann rief Joerg Kraemer beim Kommissar an und bat ihn und Sandra, kurz bei ihm vorbeizuschauen. Als die beiden in das Zimmer ihres Chefs eintraten, saß ein guter Bekannter auf einem der Stühle.

„Herr Dr. Niethammer“, begrüßte ihn Sandra Millberger, „schön Sie mal wieder zu sehen.“

„Ganz meinerseits, schöne Frau“, schmeichelte der Pathologe.

„Hallo, Herr Doktor“, begrüßte ihn auch der Kommissar, „ich ahne nichts Gutes.“

„Nehmt Platz!“, forderte der Hauptkommissar die beiden Ankömmlinge auf. Dann sah er konzentriert in die Runde. „Dr. Niethammer kommt gerade von einem Gespräch mit seinem Chef, und der meinte, dass es besser wäre uns zu informieren, bevor wir die Geschichte morgen in der Zeitung lesen. Eine seltsame Geschichte. Aber erzählen Sie am besten selbst, Herr Doktor!“

Dr. Niethammer räusperte sich, rückte seine runde Nickelbrille auf der Nase zurecht und begann. „Ja, wirklich seltsam. Keine Angst, ich habe zwar einen Toten auf meinem Tisch, aber es handelt sich dabei nicht um einen Mordfall. Ich muss sagen, ein Mordopfer wäre mir sogar lieber. Heute Morgen wurde unter der Kanalbrücke, Richtung Ortsteil Dechsendorf, ein offensichtlich Obdachloser von einem Jogger tot aufgefunden. Dem zugezogenen Notarzt kam das Erscheinungsbild des Toten irgendwie verdächtig vor, und so landete die Leiche auf meinem Tisch. Schon bevor ich mit der Obduktion begann, hatte ich – allein aufgrund meiner visuellen Untersuchung – einen vagen Verdacht.“

„Warum?“, wollte Sandra Millberger wissen.

„Nun ja, das Aussehen der Leiche ließ die Vermutung zu, dass es sich bei der Todesursache um eine sehr seltsame Erkrankung handeln musste. Der ganze Rücken war von Petechien übersät.“

Gerald Fuchs und seine Assistentin sahen sich verständnislos an.

„Kleine Blutungen aus den Kapillaren in die Haut“, klärte sie der Mediziner auf. „Ich vermutete sofort eine bestimmte Infektion. Andererseits aber auch wieder nicht, denn die gibt es in unseren Breitengraden eigentlich nicht. Kurzum, die endgültigen Ergebnisse meiner Untersuchung bestätigten den Anfangsverdacht: Es handelte sich um einen Fall von Krim-Kongo-Fieber.“

„Das müssen Sie uns genauer erklären, Herr Doktor“, forderte Gerald Fuchs den Mediziner auf.

„Nun, das Krim-Kongo-Fieber ist eine für den Menschen sehr gefährliche Infektionskrankheit mit einer hohen Sterblichkeitsrate. Wirklich wirksame Mittel dagegen gibt es bis heute noch nicht. Die Infektion wird normalerweise durch eine besondere Zeckenart übertragen. Die Hyalomma-Zecke. Aber nun kommt es: Diese Tiere leben nicht bei uns in Deutschland, sondern in Süd-Osteuropa, im Nahen Osten, in Gebieten Asiens und in Afrika. Das stellt uns vor ein riesiges Rätsel, da der Verstorbene nachweislich von Hyalomma-Zecken gestochen wurde. Nun fragen wir uns, wie das möglich gewesen sein soll? Wie und wo hat er sich infiziert beziehungsweise wurde er gestochen?“

„Wieso kommen Sie mit diesen Fragen zu uns?“, wollte der Kommissar erneut wissen.

„Weil wir diese Quelle finden müssen, um eine weitere Verbreitung der ansteckenden Krankheit zu vermeiden. Krim-Kongo-Fieber-Viren sind sehr gefährlich und könnten theoretisch sogar als biologisches Kampfmittel eingesetzt werden.“

„Wollen Sie damit sagen, jemand benutzt diese Insekten als Tötungsmaschinen? Bei einem Obdachlosen? Das ist doch lächerlich!“, merkte Sandra Millberger an.

„Das wollte ich damit auch gar nicht zum Ausdruck bringen“, erklärte Dr. Niethammer, „aber erinnern Sie sich an den EHEC-Virus vom Sommer letzten Jahres? Ich möchte nur darauf hinweisen, dass diese Viren extrem gefährlich sind. Vor allem müssen wir unbedingt den Infektionsherd finden. Die Inkubationszeit spielt sich in einem Zeitraum von einem bis zu dreizehn Tage ab. Vielleicht laufen da draußen bereits etliche Infizierte herum. Weiß der Teufel, wo sich diese Zecken eingenistet haben. Im Moment tappen wir völlig im Dunkeln. Deshalb wäre es hilfreich zu wissen, wo sich der Tote überall herumgetrieben hat.“

„Okay“, ergriff nun Hauptkommissar Kraemer das Wort, „Gerald, Sandra, so verrückt die Sache mit den Killerinsekten klingt, wir werden den Kollegen von der Medizin helfen. Die ganze Angelegenheit ist viel zu ernst. Ihr habt derzeit keinen akuten Fall, also hört und seht euch mal unter den Obdachlosen Erlangens um. Durchleuchtet das Leben des Toten. Fragt, wo er sich aufgehalten, welche Plätze er vorwiegend besucht hat. Vielleicht finden wir dort auch die verdammten Zecken. Wie war doch sein Name?“

„Kuno Seitz“, antwortete Dr. Niethammer. „Auf diesen Namen lautet jedenfalls der Personalausweis, den der Verstorbene mit sich geführt hat.“

Gerald Fuchs und Sandra Millberger sahen sich an und zogen die Augenbrauen hoch. „Na gut, dann spielen wir eben Kammerjäger“, meinte die Polizistin. „Und ich wollte demnächst meinen Resturlaub vom letzten Jahr abbauen“, jammerte der Kommissar, „vom Mörderjäger zum Zeckenjäger degradiert!“

Nordbayerisches Tageblatt vom 14./15. Juli 2012, (Wochenendausgabe)

Mörderzecken in Mittelfranken? Erlangen, 13.07.2012 – Panikmache oder Realität?

Erinnern wir uns: Vor etwa einem Jahr wütete in Deutschland der sogenannte EHEC-Virus. Menschen starben. Wochenlang suchten die Behörden nach dem Virus und zogen sich dabei den Zorn der spanischen Gurkenbauern zu. Der Verzehr von Salat und Gemüse ging damals drastisch zurück.

Heute, ein Jahr später, haben wir wieder einen tödlichen, ansteckenden Krankheitsfall. Wie das Gesundheitsamt in Erlangen informierte, wurde ein Obdachloser gestern in den frühen Morgenstunden tot aufgefunden. Er war mit dem gefährlichen Krim-Kongo-Fieber-Virus infiziert. Da kommt die Frage auf: Sensation im Sommerloch oder tödliche Gefahr für ganz Mitteleuropa?

Was ist geschehen? Ein obdachloser Stadtstreicher wurde gestern am frühen Morgen von einem Jogger unter der Kanalbrücke, nahe dem Langen Johann, tot aufgefunden. Der hinzugezogene Notarzt stellte ein verdächtiges, äußerliches Krankheitsbild des Verstorbenen fest und ordnete eine Obduktion an. „Mir war klar, dass irgendetwas nicht stimmte“, wird der Arzt zitiert. Er sollte recht behalten. In der Uniklinik Erlangen stellte sich heraus, dass der Mann an dem infektionellem Krim-Kongo-Fieber verstorben war, welches in der Regel von Hyalomma-Zecken übertragen wird. Diese Zeckenart kommt aber in unserer Region nicht vor, sondern ist hauptsächlich in Süd-Osteuropa, im Nahen Osten und anderen warmen Regionen beheimatet. Stellt sich also die Frage, ob, bedingt durch den Klimawechsel, dieses Insekt schon bis in unsere Breitengrade vorgedrungen ist, oder ob es sich mal wieder um eine Panikmache handelt, die ideal in das Medien-Sommerloch passt. Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Die Gesundheitsbehörden bitten nämlich die Bevölkerung vor jedem Gang ins Freie um erhöhte Aufmerksamkeit. Sie weisen besonders auf hochgeschlossene Kleidung hin. Auch ausgiebige Körperkontrollen nach einem Aufenthalt im Freien werden empfohlen. Bei begründeten Verdachtsmomenten sollte unmittelbar ein Arzt aufgesucht werden. Die Reporter des NT werden der Sache nachgehen und weiter über den Fall berichten.

Röttenbach, Fischküche Fuchs, Sonntag, 15. Juli 2012

Kunni Holzmann und Retta Bauer saßen beim Mittagessen. Retta schob sich gerade ein Stück von ihrem Kloß in den Mund, während Kunni an ihrem Schäuferla herumsäbelte. Trotz der Unsicherheit der Wettervorhersage für den Tag ihrer geplanten Geburtstagsfeier, hatten sie nun doch nicht mehr die Absicht länger mit der Auswahl der Gerichte zu warten. Aber erst genossen sie ihr Essen. „Hasd gesdern die Zeidung glesn?“, fragte die Kunni. Ihr Gegenüber verschluckte sich fast an dem Kloß.

„Ja, schlimm, gell? Lässd der bleede Assad in Sierien mehr als zwaahunderfufzich Menschn umbringa. Su a Debb! Dem gheredn die Eier abgschniddn!“

„Ja, dees is wergli arch schlimm, abber dees maani ned. Iech hab den Ardigl vo dem Dodn am Eurobakanal glesen, der wu vo aner – wie haßns die Viecher? – Hiealomma-Zeggn gschdochn worn und dann dro gschdorbn is. Es had ghaßn, dass die Hiealomma-Zeggn bei uns goar ned geben derfed, weil mier gor ned dees richdiche Gliema fier die ham. Abber drodzdem is der Dode vo su an Viech gschdochn worn. Dees had mer zweifelsfrei fesdgschdelld! Is dees ned komisch?“

„Na ja, es haßd doch scho immer, dass die Zeggn die gfährlichsdn Diere in Deidschland sen. Do is doch nix Verwunderlichs dro?“ gab die Retta zurück und spießte ein Stück von ihrem Schweinebraten auf die Gabel. „Dass der gleich dro gschdorbn is, is abber scho a weng ungewöhnlich.“

„Dees woar doch ka Holzbogg, der den gschdochn had“, stellte die Kunni nochmals fest, „sondern a Zegg, dens bei uns ned gibd und der wu den Dodn mid dem Krim-Kongo-Fieber ogschdeggd had!“

„Was isn dees ieberhabd, dees King-Bongo-Fieber? Habbi bisher nunni gherd!“

„Krim-Kongo-Fieber, alde Dolln“, wiederholte die Kunni. „Iech kenn dees aa ned, muss abber gfährlich sei. Sachd mer!“

„Vielleichd woar der Dode ja aa auf Urlaub im Ausland?“, merkte die Retta an.

„Geh, Redda, dees glabsd doch selber ned! A Obdachloser auf Auslandsurlaub! Im Fimbf-Schderne-Hodel in Kenja! Im Scheradon! In aner Luxus-Swied!“

 

„Edz hör na widder auf mid deine sarkasdischn Bemerkunga! Iss lieber dei Schäuferla, sunsd werds nu kald“, beschwerte sich die Retta.

„Drodzdem däd iech gern wissn, wu die Zeggn herkumma sen, die den Moo dodgschdochn ham“, grübelte die Kunni.

„No, die wern scho in irgend su an Busch ghoggd sei odder in aner Wiesn“, vermutete die Retta auf einem Stück Schweinebraten kauend, welches sie mit einem Schluck Kitzmann-Bier hinabspülte. „Ahh, dud dees gud!“, schwärmte sie.

„Dees glaab iech eben ned“, widersprach ihre Freundin, „die leben bloß in Gegenden, wus viel wärmer is als bei uns. Bei uns däden die eigeh. Su schnell schauersd gor ned! Iech begreifs einfach ned.“

„Also Kunni, edz mach der doch kann Kubf wecher denne bleedn Zeggn! Iss dei Schäuferla und Glees goar auf, dann hogg mer uns mid der Wirdin zamm und endscheidn, wie mier unsere Geburdsdoochfeier organisiern und was zum Essn gebn soll. Iech glaab iech beschdell uns scho mal zwaa Willi. Mogsd du aa nu a Bier?“

Die Kunni hörte die Retta wie durch einen dichten Nebel reden. Sie hing immer noch ihren eigenen Gedanken nach. „Die Zeggn kenna doch bloß züchd worn sei“, sprach sie zu sich selbst. „Vielleichd in an Derrarium? Es gibd ja su Leid, die sich su drobische Viecher haldn. Abber wie sen die do rauskumma? Und wenn die aner züchd, waß der denn ned, dass die infizierd sei kenna? Wozu züchdn aner Zeggn? Wozu brauchd mer die denn? Zum Angeln? Vielleichd werd der aa nu gschdochn und waß ned amol, dass sei Viecher voller gfährlicher Viren sen. Abber wenn dees su wär, wu verdammd ham si dann die Zeggn ogschdeggd? Und wenn die aus dem Derrarium erfolgreich dees Weide gsuchd ham, wie sen die zu dem Obdachlosn kumma? Dees bassd alles ned zam! Außer der Züchder waß, dass sei Zeggn ogschdeggd sen, und häld die Viecher drodzdem in seim Derrarium? Dees machd abber aa kann Sinn. Außer, er brauchd seine krangn Zeggn fier an beschdimmdn Zwegg. Zum Forschn vielleichd?“

„Kunni! Kunni, bisd du geisdich nu doo?“ Die Stimme ihrer Freundin Retta drang aus weiter Ferne an ihr Ohr. „Willsd edz nu a Bier, odder ned?“

„Ja Redda, beschdell mier aa nu ans und am besdn an dobbeldn Willi.“

Frühmorgens am Bahnhof Erlangen, Montag, 16. Juli 2012

Die Berufspendler am Bahnhofsvorplatz, in der Bahnhofshalle und auf den Bahnsteigen wuselten in alle Richtungen davon. Die einen kamen aus Nürnberg, Fürth und den dazwischenliegenden Dörfern, um ihren Jobs in Erlangen nachzugehen. Andere fuhren in die entgegengesetzte Richtung, nach Nürnberg und Fürth. Einige schlugen mit der S1 den Weg in Richtung Forchheim und Bamberg ein. Wie jeden Morgen um diese Zeit herrschte ein quirliges Leben auf dem Bahnhofsgelände. Menschen hasteten durcheinander. Stadtbusse und Busse aus der Region fuhren die Haltestellen direkt vor und hinter dem Bahnhof im Neunzig-Sekunden-Takt an. Es war, wie immer, ein turbulentes und hektisches Treiben an diesem Montagmorgen. Mitten drin standen Gerald Fuchs und Sandra Millberger und betrachteten die Szene. Ihr Interesse galt weniger den Berufspendlern als den seltsamen Gestalten, die sich zu dieser frühen Stunde schon in den Wartehäuschen der Bushaltestellen herumtrieben oder in kleinen Gruppen zusammenstanden. Einige dieser Spezies hielten geöffnete Bierdosen in den Händen.

Unter den Genannten war auch die jüngere Null-Bock-Generation vertreten. Die meisten in schwarz gekleidet, Piercings in Ohren, Nasen und Augenbrauen. Was an Haaren noch vorhanden und nicht wegrasiert war, war in giftgrün, bonbonrosa, oder sonst einer schreienden Farbe eingefärbt.

Obdachlose und Penner, die in der Bahnhofshalle genächtigt hatten und ihr gesamtes Hab und Gut in Plastiktüten mit sich herumschleppten, standen oder saßen ebenfalls herum.

Rumänische Bettelprofis stiegen in der Goethestraße aus schicken Autos mit dem Stern und machten sich auf den kurzen Weg zur nahen Hauptstraße und in die Fußgängerzone.

„Schlimm, schlimm“, bemerkte Sandra Millberger. „Ja, leider“, bestätigte ihr Chef, „Menschen ohne Perspektive. Siehst du den Alten dort drüben, von uns aus halblinks, mit den struppeligen Haaren und dem roten zerschlissenen Hemd?“

„Der mit den Jesuslatschen?“

„Genau der! Das ist der Rama-Schachtel-Jakob. So heißt er zumindest in der Szene, weil er seinen ganzen Besitzstand immer in einer Rama-Schachtel herumträgt. Den interviewen wir jetzt. Der kennt die ganze Obdachlosenszene.“

Die beiden Beamten steuerten ohne Hast auf den alten Mann zu. Der Siebzigjährige beäugte sie misstrauisch. „Was will denn die Bolizei vo mir? Habbi was verbrochn und waß dees goar ned?“ Sein stoppeliges Gesicht war mit tiefen Falten durchzogen. Er entblößte nur noch wenige, gelblich verfärbte Zahnstümpfe. Die Rama-Schachtel steckte in einer überdimensionalen Plastiktüte von C & A.

„Guten Morgen!“, grüßten die beiden Polizisten höflich. „Keine Sorge, es liegt nichts gegen Sie vor. Wir wollen Sie nur etwas fragen. Kennen Sie diesen Mann?“ Gerald Fuchs hatte ein Foto des toten Kuno Seitz aus seiner Jackentasche gezogen und hielt es Rama-Schachtel-Jakob unter die Nase.

„Fraali kenni den. Vo der Erlanger Dafel. A rechder Eigenbrödler. Maand, der is was Bessers. Der laffd immer allaans rum. Meisdns in Alderlang.“

„Wann haben Sie den Mann das letzte Mal gesehen?“

Der Obdachlose kratzte sich am Kopf und sah in den wolkenlosen Himmel, als stünde dort die Antwort geschrieben.

„Am ledzdn Middwoch! Do woarer am Bohlnbladz auf aner Bäng ghoggd und had was gessn. Ganz allaans.“

„Am Mittwoch, den elften Juli?“ wollte Sandra Millberger ganz genau wissen.

„Kann scho sei! Am ledzdn Middwoch hald. Su gecher aans. Die Kergngloggn had grood gschloogn. Iech bin ganz erschroggn, wie ihn na gsehgn hab. Schlechd hadder ausgschaud. Gans blass woarer, und sei Händ ham blud, habbi gsehgn. Suchns den wohl? Hadder was ogschdelld?“

Die Antworten schuldig bleibend stellte Gerald Fuchs die nächste Frage: „Sie sagten, dass er ein rechter Eigenbrötler sei. Hat er denn überhaupt niemanden, der ihm näher steht oder der mehr über ihn weiß?“

„Iech waß bloß su viel, dass vo uns kaaner mid dem Kondaggd had. Wie gsachd, der is viel zu eingebilded. Den mooch kaaner vo uns! Der is immer allaa. Bis vor umera drei Wochn. Dees woar dees aanziche Mal, dassin mid jemand redn hab gsehgn.“

„Können Sie mir das etwas genauer erklären“, hakte der Kommissar nach. „Wann und wo war denn das?“

„Der muss anscheinds doch was ausgfressn ham!“, stellte Rama-Schachtel-Jakob fest und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Dabei entblößte er seine gelben Zahnstümpfe und verströmte einen Hauch von abgestandenem, billigem Rotwein. „Also, iech woar dees ledzde Mal am ledzdn Middwoch im Juni bei der Erlanger Dafl.“

„Moment“, unterbrach ihn die Polizistin, „das war der siebenundzwanzigste Juni!“

„Sie wollns abber immer ganz genau wissn! Wenn Sies soogn, werds scho schdimma!“, bestätigte der Alte. „Jedenfalls habbi den, Seitz glaabi haßd der, bei der Erlanger Dafl gsehgn. Iech bin grood okumma, do is der scho widder raus. Wie iech dann a halba Schdund schbäder am Bohlnbladz vorbeikumma bin, do hoggd der auf aner Bänk und red mid an Moo, der ausgschaud had wie a Siemens-Mänädscher. Gschniegld und biegeld! ‚Was will denn der vo dem Sandler?’, habber mer nu dengd. ‚Was haddn der mid dem zu beredn?’ Weil, die hamm ieberhaubd ned zammbassd.“

„Wissen sie noch, wie der Fremde ausgesehen hat und was er anhatte? Wie alt war er ungefähr?“ wollte der Kommissar wissen.

„Edz herns abber auf!“, entrüstete sich Rama-Schachtel-Jakob, „dees is fasd drei Wochn her. Dees woar a junger Moo, nu ka dreißg Joahr. A Sunnabrilln hadder aufghabd.“

„Wie groß etwa?“, hakte die Polizistin nach.

„Wuher solln iech dees wissn? Der woar ghoggd!“

„Würden Sie den Mann wiedererkennen?“, wollte Gerald Fuchs wissen.

„Vielleichd, vielleichd aa ned!“

„Okay, lassen wir es dabei!“, meinte der Polizist. „Danke, Sie haben uns sehr geholfen. Wo können wir Sie wieder treffen, falls es nötig sein sollte?“

Der Obdachlose lachte herzhaft und zeigte wieder seine Zahnstummel. „Irgendwo in Erlang“, antwortete er. Dabei breitete er seine Arme in alle Richtungen aus, gerade so, als wollte er sagen „Da seht her, das alles ist meine Stadt“. „Fragens einfach nachn Rama-Schachdl-Jakob, irgend aaner werd scho wissen, wu iech grood bin.“

Am gleichen Tag im Haus des Mörders

Der Zeckenmörder, alias Till Stemmann, saß in seinem Wohnzimmer. Der Artikel „Mörderzecken in Mittelfranken?“ aus dem Nordbayerischen Tageblatt vom Wochenende lag ausgeschnitten auf dem Wohnzimmertisch.

Seine kleinen Lieblinge hatten hervorragende Arbeit geleistet. Nicht verwunderlich, sie waren auch sehr hungrig gewesen. Die Tatsache, dass dieser superaufmerksame Notarzt die Leiche von Kuno Seitz zur Obduktion anmeldete und der Pathologe somit auf das Krim-Kongo-Fieber stieß, ärgerte ihn maßlos. Das hatte er so nicht vorausgesehen. Das war so nicht eingeplant. Ärgerlich, aber nicht mehr änderbar! Das Gesundheitsamt hatte Alarm geschlagen. Jetzt suchten sie bestimmt ganz Mittelfranken nach Hyalomma-Zecken ab. Sollten sie. Der Mörder grinste und stellte sich die Hektik bei den Gesundheitsbehörden vor. Sie würden keine finden, und zum Kaffee würde er die Leute sicherlich nicht einladen, um ihnen seine kleinen, regen Lieblinge zu zeigen. Trotzdem ärgerlich, die ganze Sache. Die Suche nach dem Krankheitserreger hatte längst begonnen. Da war er sich sicher. Nun würden die sogenannten Experten auf ihrer Suche jeden Stein umdrehen. Jede Person, die mit dem Toten Kontakt hatte, ist für die ein potentiell Infizierter, der den Erreger weiter tragen könnte. Er war sehr vorsichtig gewesen. Das wusste er. Niemand würde die Verbindung zwischen dem verstorbenen Obdachlosen und ihm aufdecken. Dennoch, er würde etwas Zeit verstreichen lassen, bevor er den zweiten Mordanschlag ausführen würde. Nichts übers Knie brechen! In der Ruhe liegt die Kraft. Es war alles schon geplant. Vielleicht würde er an dem einen oder anderen Detail noch etwas feilen. Konnte jedenfalls nicht schaden. Hoffentlich waren seine kleinen Lieblinge beim zweiten Anschlag ebenso erfolgreich. Er griff nach Kugelschreiber und Papier und nach fünfundzwanzig Minuten hatte er die zweite Strophe seines Liedes niedergeschrieben:

à Der Rotweinbruder ist gestorben,

Habt meinen Dank und Lob erworben.

Und nun ihr lieben Zecken,

Der Schmarotzer soll verrecken.

Müsst noch vier Wochen warten,

Dann könnt ihr wieder starten.

Schon bald gibt es Schmarotzerblut,

Das tut euch Zecken auch ganz gut.

Er summte die Melodie leise vor sich hin und wiegte seinen Oberkörper hin und her. Euphorisch griff er sich eines der Meerschweinchen aus dem Käfig und setzte es auf der Miniaturwiese seiner kleinen Lieblinge aus. Er beobachtete es, wie es zwischen den Sauerampferstängeln hin und her lief. Es dauerte nicht lange, bis sich eine der Hyalomma-Zecken mit ihren Vorderbeinen fest in das zottelige, weiß-braune Fell des kleinen Nagers festgeklammert hatte und langsam unter dessen Bauch verschwand.

Der Mörder hatte mit seiner Vermutung Recht: Die Gesundheitsbehörden, koordiniert durch das Robert-Koch-Institut, hatten zwischenzeitlich längst Großalarm ausgelöst. Auch die „Tagesschau“ und „ZDF heute“ sollten über den Fall berichten. Dies stand jedenfalls zur Debatte. Die ganze Sache wurde sehr ernst genommen. Deutschlands bekannteste Insektenforscher waren bereits zu Rate gezogen worden. Es ging um die Frage, ob sich die Hyalomma-Zecken bereits bis in süddeutsche Gefilde verbreitet haben könnten.

„Unmöglich!“, konstatierte der berühmte Zecken-Experte, Dr. Dr. Julius von Echterbach. „Hyalomma-Zecken kommen nur in wärmeren Regionen wie südlich des Balkans vor. Bei uns sind sie nicht überlebensfähig.“

„Denkbar, aber ungewöhnlich“, meinte Dr. Hasenfuß von der Uni in Heidelberg. „Manchmal bringen Zugvögel die Parasiten aus dem Süden mit. Auch Touristen könnten sie eingeschleppt haben. Alles ist möglich.“

„Warum nicht? Die Auswirkungen des Klimawechsels schreiten viel schneller voran, als wir uns das vorstellen können!“, gab sich Prof. Dr. Harald Ziegenbart aus Dresden unverbindlich sicher.

 

Am Ende waren die Experten der Gesundheitsbehörden genauso schlau wie vorher. „Wir wissen es nicht, könnte aber sein“, fasste Dr. Hyronimus von Bleibtreu von der schnellen Einsatztruppe des Robert-Koch-Instituts zusammen. „Die Angelegenheit ist zu ernst, schließlich rangiert der Erreger weltweit auf Platz sieben der zehn tödlichsten Viren. Klar, das Krim-Kongo-Fieber muss nicht zwingend epidemieartig ausbrechen, dennoch wir müssen die Bevölkerung informieren. Es besteht zwar ein geringes, aber dennoch potenziell lebensbedrohliches Infektionsrisiko. Die Medien haben bereits Lunte gerochen. Ich habe keine Lust darauf, mir später Vorwürfe machen zu lassen, dass wir zu spät reagiert hätten, sollten weitere Menschen von der Infektion befallen werden. Ein weiteres Todesopfer wäre eine Katastrophe! Das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten trifft ganz klare Regelungen. Noch etwas. Wir sollten vorsorglich Ribavirin bevorraten, auch wenn das Medikament nur zu Beginn des Krankheitsbefalls wirksam sein kann.“

Während die Experten die Pressesprecherin des Robert-Koch-Instituts beauftragten eine Pressemitteilung zu verfassen, beschlossen sie, die Suche nach den Hyalomma-Zecken auf Betriebe wie Schäfereien, Landwirtschaften mit freilaufenden Huftieren und Milchbetriebe zu konzentrieren. In Schlächtereien sollten Tieren stichprobenartige Blutproben entnommen werden.

Die attraktive blonde Tagessschausprecherin blickte wie immer konzentriert und freundlich in die Kamera. Sie berichtete darüber, dass die schwachen Konjunkturdaten die Wall-Street-Indices moderat ins Minus drückten, dass Ägyptens Ex-Präsident Mubarak in einer Gefängnisklinik gestorben war, dass Kofi-Annan zu Syrien-Gesprächen in Moskau weile, und dass wegen des Ankaufs einer weiteren Steuer-CD ein neuer Streit zwischen Deutschland und der Schweiz drohe. Schließlich informierte sie noch kurz über den Weltklimadialog in Berlin. Kurze Filmberichte untermauerten die Neuigkeiten. Dann holte sie tief Luft und fuhr mit ernsterer Miene fort: „Wie heute die zuständigen deutschen Gesundheitsbehörden informierten, ist in Erlangen ein Fall des gefährlichen Krim-Kongo-Fiebers bekannt geworden. Ein Obdachloser war gestern an den Folgen der Infektion verstorben. Bei dem Krim-Kongo-Fieber handelt es sich um ein virusbedingtes hämorrhagisches Fieber, gegen welches es noch keine wirksamen Medikamente oder vorbeugende Impfungen gibt. Unter den zehn tödlichsten Viren weltweit rangiert es auf Platz sieben. Wo sich der Verstorbene infiziert hat, ist noch völlig unklar. Überträger der Krankheit sind normalerweise Hyalomma-Zecken, eine Zeckenart, welche in unseren Breitengraden üblicherweise nicht vorkommt. Bei der Hyalomma-Zecke handelt es sich um eine sogenannte Schildzecke mit auffallend rot-gelb geringelten Beinen.“ Dann wurde ein Foto eingeblendet, welches eines der Tiere mit blutgefülltem Hinterleib zeigte.

„Die Experten stehen vor einem Rätsel. Mitarbeiter des Robert-Koch-Instituts befinden sich bereits im Aufklärungseinsatz und unterstützen die lokal zuständigen Gesundheitsbehörden bei der Suche nach dem Erreger. Die Bevölkerung wird gebeten, nach Besuchen in der freien Natur, besonders aufmerksam zu sein. Erste Anzeichen des Krim-Kongo-Fiebers können urplötzlich auftreten. Dies können sein: konstantes Fieber über mehrere Tage hinweg, Schüttelfrost, Kopf-, Muskel-, und Gliederschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Gesichts-, Bindehaut-, und Rachenrötung. Wer unerklärlicherweise von diesen Symptomen heimgesucht wird, sollte sofort einen Arzt aufsuchen. Weitere Merkmale im Verlauf der Krankheit sind Darmblutungen, Bluterbrechen und Hautblutungen. Wird die Krankheit nicht rechtzeitig bemerkt, kann in bis zu fünfzig Prozent der Krankheitsfälle bereits in der zweiten Woche durch Multiorganversagen der Tod eintreten.

Bei dem virusbedingten hömorrhagischen Fieber handelt es sich um eine meldepflichtige Krankheit. Jeder ist angehalten, einen diesbezüglichen Krankheitsverdacht, eine Erkrankung, beziehungsweise einen aktuellen Todesfall unverzüglich seinen lokalen Gesundheitsbehörden zu melden. Es folgt nun der Wetterbericht.“

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