Altstadt-Blues 2.0

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Montag, 27. Juni

Montagmorgen, Punkt zehn Uhr öffnete Mona die Augen. Endlich mal eine Nacht ohne Albträume. Troll war bereits fit wie sie seinem Ausdruck entnahm, aber er hatte sie schlafen lassen.

»Guter Hund.« Schnell eine Tasse Tee aufgebrüht, Croissants würde sie sich gleich auf dem Rückweg gönnen. Jeans, Kurzarmpulli, ein frisches Pflaster auf die wunde Haut der Fußblasen und die anderen Sandalen an, die nicht darauf drückten.

»Los geht’s!« Tür auf…

»Frolleinche, hawwe se es scho geheert – gehling en grausame Mord in unserm schiene Menz… a Knollebobb…«

Liane Liderlich baute sich in voller Pracht vor ihnen auf. Verdammt, sie meinte sicher die Politesse, aber woher wusste die das schon wieder? Ach ja, die Zeitung. Frau Bouvier, eine feine Dame Mitte fünfzig und Monas Übermieterin, schob sich eilig mit

»Guten Morgen«, hinter Lianes Allerwertesten vorbei, der Studentin einen mitleidigen Blick zuwerfend.

»Keine Zeit, Frau Liderlich, sonst pieselt der Hund gleich mächtig die Fliesen voll!« Das wirkte, denn jeglicher Schmutz war Liane abgrundtief verhasst. Sie schob ihre massige Körperfülle freiwillig zur Seite und ließ sie passieren, aber nicht ohne ihnen noch nachzurufen:

»Alla, un imma scheen uffpasse, un nit mit fremde Kerle mitgehn, di hinne nit sin wie vorn.« WAS würden SIE nur ohne die guten Ratschläge von IHR anfangen?

*

Kurz vor dem Zeitschriftenladen stach Mona am Zeitungsständer schon die fett gedruckte Headline des Lokalblatts ins Auge:

»Ungeklärtes Gewaltverbrechen in Mainz!

Tatmotiv rätselhaft? Täter flüchtig!«

Troll legte sich ergeben neben der Eingangstür nieder.

»Eine AZ bitte und zwei Päckchen Caprice.«

»Zwölf Euro neunzig.« Mona rollte die Zeitung zusammen und streifte den dünnen roten Gummi darüber, den ihr die Frau hinter der Theke hinhielt. Sie klemmte die Rolle unter den Arm und konnte es kaum erwarten, mit Troll das Rheinufer zu erreichen, um den Artikel in Ruhe zu studieren.

Die Pressemitteilung auf der ersten Seite lautete:

-In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurde auf der Mainzer Zitadelle ein rätselhafter Mord an der Politesse Gerda B. (41) verübt. Wie der Polizeisprecher mitteilte, wurde die Frau durch sieben Messerstiche in die Brust getötet in Ausübung ihres Dienstes.

-Die Studentin Monika B., Altstadtbewohnerin, entdeckte in der Nacht bei einem Spaziergang mit ihrem Hund, die Dienstkamera der Getöteten und leitete die Polizei dadurch zum mutmaßlichen Tatort und zur Leiche.

-Die Tatwaffe, vermutlich ein Tranchiermesser oder Dolch, wurde nicht aufgefunden, vom flüchtigen Täter sowie vom Tatmotiv fehlen jede Spur!

-Angaben zum Tathergang bitte an die Hotline – Nummer 77778 des SEK im Polizeipräsidium am Valenciaplatz 5 oder an jede andere Polizeidienststelle.

-Für sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen, ist eine Belohnung von insgesamt 1000 € ausgesetzt.

Einen Tarnumhang, der die Zauberkraft besaß sie unsichtbar zu machen wie bei ›Harry-Potter‹, der auch Troll ausreichend Platz böte, könnten sie zurzeit noch dringender gebrauchen als sonst. Eben hatten sie Glück, weil die vermutlich verfetteten Hirnwindungen von Madame Liderlich noch nicht zu voller Leistung hochgefahren waren. Sie hatte doch die Polizisten gesehen, als sie ihre Wohnung verließen. In Kombination mit diesem Artikel… Na prima, da konnte sich die liebste Nachbarin an ihren Würstchenfingern abzählen, dass Mona gemeint war. Umgehend würde die Neuigkeit über ihre Studentin in ihrem Haus, wie ein Lauffeuer durch die gesamte Altstadt kursieren, nach Lianes Visite in der Metzgerei, wo sie üblicherweise jeden Mittwoch die Schweinenieren für das Leibgericht ihres geliebten Haas besorgte. Dieser seltsame Kosename, vielleicht wegen seiner vorstehenden Schneidezähne?

»Jede Woch’ en Mol un nur for moin Bennohaas«, kredenzte ihm seine moppelige Häsin diese Leckerei, wie sie der Studentin anfangs vertrauensselig verraten hatte: Essigsaure Nierchen mit ganzen Schalotten, angebraten in quadratischen Speckwürfelchen, vereint in Topinamburbröckchen-Soße, dazu gebackene Sagoklumpen und Selleriesalat. (Sinngemäß übersetzt und… Kotz!) Vielleicht, weil Sauer den Ruf besaß, lustig zu machen. Mona hatte bislang noch keinerlei öffentliche Wirkung an Meister Liderlich wahrgenommen, obwohl sie meist mittwochabends, seltsame Grunzlaute durch die Wände zu vernehmen glaubte. Gesetzt den Fall, diese rührten nicht von einer Lachanwandlung dieses ›Herrn Seltenfroh‹, fiel der fantasievollen, jungen Frau nur noch eine plausible, aber pikante Variante ein. Trotz innerem Schüttelanfall und erbsendicker Gänsehaut!

Die ehelichen Pflichten des Hausmeisterpaares nahmen ihren akrobatischen Lauf. Als krönender Nachtisch sozusagen – nach Genuss der essbaren Schweinerei.

»Birds do it, bees do it…«, vermutlich die beiden ebenfalls:

»Jede Woch’ en Mol!«

Doch, falls es zwischen totem Fleisch und fettiger Wurst an einem anderen Wochentag etwas Brandaktuelles zu eruieren oder zu verbreiten gab wie heute, dann könnte ausnahmsweise sicher mal ein profaner Montag, wie der heutige, zum beglückenden ›Rammlertag‹ dieses Hasenpärchens avancieren, bei dem die Liderlichen Wände lustvoll erbebten.

*

So selten wie Mona sich eine Tageszeitung gönnte, musste sie die aktuellen Mainzer News zumindest einmal komplett durchforsten. Es boten sich wie immer bekannte Themen aus der Politik, besonders aber über beginnende Flüchtlingsströme, lokalkolorierte Stadtnachrichten, eine ganze Seite begehrter Dali-Angebote, schwankende Aktienkurse, die ihr nichts sagten, die Lottozahlen, die sie nicht getippt hatte und das Tages-Horoskop, so allgemeingültig formuliert, dass es sicher auf jeden dritten zutreffen könnte. Monas Sternzeichendeutung las sich heute eher wie ein Horrorskop. Es kündigte weitreichende Turbulenzen an unter kosmischem Einfluss einer stürmischen Planetenkonstellation. Aber egal, sie glaubte nur den positiven Weissagungen der Astrologie und die meisten Dinge musste man eh so nehmen, wie sie kamen. Die restlichen Seiten erschienen eng gefüllt mit Kleinanzeigen. An- und Verkäufe, wenigen Stellenangebote für Raumpflegerinnen, Hostessen oder Bardamen, ein Kreuzworträtsel, das heutige Fernsehprogramm, Bekanntgabe von Hochzeiten, Geburten, Jubiläen und last, but not least, die Todesanzeigen hiesiger Inserierter, von denen sie zum Glück niemand kannte. Den Sportteil sparte sie meist aus, aber heute waren gleich zu Anfang Halbkörperfotos von drei neuen Nachwuchsspielern der kommenden Fußballsaison für Mainz 05 abgedruckt: ein Brasilianer, ein Deutscher und ein Spanier – wirklich knackige Jungs.

Vielleicht sollte sie sich als Singlefrau, doch mal ein Livespiel im meist ausverkauften Stadion zu Gemüte führen?

Auf den Wiesen am Rheinufer genehmigten sich schon einzelne Männer und zwei Paare kühle Radeberger, Bitburger, Jever oder sonstige Sorten. Bitteres Bier war noch nie Monas Fall. Erfahrungsgemäß beleidigte es ihre auf süß fixierten Geschmacksknospen auf der Zunge. Außerdem, bei dieser Hitze würde sie sicher nach einem Glas des edlen Gerstensafts, beduselt im Schatten einer Biergartengarnitur dahinvegetieren. Sie schob die erneut gerollte und gummifixierte Zeitung unter den linken Arm, nahm Trolls Leine in die rechte Hand und so trabten sie zurück ins Herz der Altstadt. In der Bäckerei an der Ecke, auch dort, Gesprächsstoff Nummer Eins, der Politessenmord. Mona enthielt sich jeglichen Kommentars und wählte nur zwei ›escht fransösische Crossangs‹, obwohl die in Deutschland überwiegend fettig und lapprig ausfielen. Hatte man einmal die echten, französischen Croissants im Ursprungsland genossen, gab es hier eigentlich keine, ihr bekannte, Backstube, die das Rezept für die richtige Mischung beherrschte.

*

Zwei Anrufe waren in der Zwischenzeit auf Monas AB aufgelaufen. Timo informierte sie darüber, dass ihr Kunstdidaktikseminar ausfiele und die Fachbereichsbibliothek wegen Frau Thrasolds Erkrankung geschlossen war. Hätte er erfahren, als er seine Gipsabgüsse von Freitag kontrollierte. Super! Da musste sie morgen nicht zum ›Taubertsberg‹. Am Ende der Message noch die Frage, ob Mona plane, sich abends das abschließende Feuerwerk am überfüllten Rheinufer anzutun mit gebotenem, anschließendem Besäufnis? Er wolle auf jeden Fall hin, mit einem vielversprechenden, heißen Typ aus dem Schwulenlokal ›Chapeau claque‹ vom Vorabend.

»Falls ja, dann ruf mich bitte an. Ciaoi«, lautete sein letzter Satz. Soso, ein neuer Stern an seinem Eroberungshimmel!

Timo, ein gut aussehender, sportlicher Typ, ausgestattet mit bemerkenswerter Ausdauer beim Einkaufsbummel und einer subtilen Sensibilität, die Mona bisher nur von Frauen kannte, war ja leider verloren für die Damenwelt. Was für ein Jammer! Zum Glück gehörte er aber nicht zur Kategorie jener Homosexuellen, denen man es gleich ansah, oder hörte durch übertriebene, lang gezogene Wortbetonungen oder die ›gebrochenes Handgelenk-Gestik‹, die mancher so an den Tag legte. Mit einem festen Partner an Timos Seite wäre eventuell wieder ein gemeinsamer Absturz ins Nachtleben denkbar, ohne dass er Monas männliche Bekannte heimlich taxierte auf Verführ- oder Verfügbarkeit. Momentan war sie noch ziemlich unschlüssig darüber, was sie abends machen würde.

Der zweite Anruf kam von der Polizei, sie sollte am Dienstag um zehn noch einmal aufs Präsidium kommen. Diese Nervensägen, was die schon wieder wollten? Die Wohnung war brütend heiß, überall stand die Luft trotz der offenen Fenster. Nicht der leiseste Windhauch wehte von der Fußgängerzone. Troll lag hechelnd unterm Tisch. Um sein warmes Pelzkleid beneidete Mona ihn augenblicklich nicht, obwohl sie normalerweise eher zur Spezies der ewig-verfrorenen mit den kalten Füßen tendierte. Nach den Croissants, mit Butter und Kochschinken aufgepeppt, und einer zweiten Tasse Kaffee schmeckte die Zigarette besser als auf nüchternen Magen. Monas kritisch schweifender Rundumblick bestätigte die erfolgreich verdrängte Vorahnung. Spülen, Staubwischen und -saugen waren dringend angesagt. Trolls Sommerfell ließ grüßen. Die unausweichlich anfallende Hausarbeit stank ihr wie immer, doch leider waren keinerlei gute Geister verfügbar. Die legendären, längst ausgestorbenen Kölner Heinzelmänner erledigten die lästigen Aktivitäten ebenso wenig, wie die beliebten klassischen ZDF-Mainzelmänner des Schöpfers ›Wolf Gerlach‹ oder die aktuellen, stark verjüngten und smarten Yuppiekobolde, die viele Bürger nicht so gelungen fanden.

 

»Auf jetzt«, versuchte Mona ihren inneren Schweinehund zu motivieren und hievte den sperrigen ›Dirty Devils‹ hinter der Tür hervor. Das Staubschluckende Monstrum summte und dröhnte laut und Troll verlegte etwas schwerfällig seinen Platz ins Schlafzimmer. Telefon? Sie trat mit dem Fuß auf den Aus-Knopf. Klar, richtig gehört. »Blume.«

»Hi Blümchen, Angie hier.« Wo sollte sie das hinschreiben? Angie meldete sich, aus eigener Initiative.

»Hey du treulose Tomate! Hab schon öfter versucht, dich zu erreichen, aber dein Handy ist meistens aus.«

»Ja, ja, du weißt doch, always busy und immer viel um die Ohren! Außerdem hasse ich es wie die Pest, immer und überall erreichbar zu sein, aber… dafür gibt es ja den roten Aus-Button, den ich auch fleißig drücke. Jetzt suche ich ein williges Opfer, das mit mir über den Künstlermarkt flaniert, wie sieht’s bei dir aus?«

»Gedankenübertragung und gutes Timing. Wann und wo?«

»Geil, dass du heut Zeit hast. An der Litfaßsäule am Markt, wie immer? Passt dir siebzehn Uhr?«

»Ja okay, bis nachher.«

*

Mona räumte den schwarzroten Sauger, den ihre praktische Mutter ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, liebend gerne wieder an seinen Platz. Sie war eh fast fertig. Piep! Piep!

„Grüße vom himalaja nach old germany! Notruf getätigt? War’s der schreckliche NACHTCRABB oder hat polizei den blutenden kameradieb schon geschnappt? Alles halb so schlimm, oder? Ciao M.“ Micha hatte eine Nachricht gesimst und süß, sich an Monas schwäbischen Ausdruck für einen nächtlichen Unhold erinnert. Wenn der wüsste! Sie tippte umgehend die Antwort:

„Von wegen! Schlimmer! Kamera gehörte toter Politesse, erstochen auf Zitadelle. Demnächst mehr. LG – Mona.“ Paraapp!

Der Sendebericht. Die elektronische Post wurde schon geliefert an ihn hinterm Mond. Handys und Smartphones! Gute Erfindungen! Was hatten die Menschen nur vorher ohne gemacht? Noch drei Stunden bis zum Treffen mit Angie. Ihre Mails hatte Mona seit einer Woche nicht abgefragt.

Der neue Laptop fuhr leise summend hoch.

Internet-Einwahl-Startpage-Verbunden. Mailadresse, Kennwort? Fünfundfünfzig ungelesene Mails, davon lediglich drei authentische. Die der ›shockwave.com‹ landete sofort in Ablage P, genau wie die restlichen im Spamordner, obskure Re-Mails und unseriöse Angebote, oft Offerten billiger Viagraimitationen von Unbekannten aus aller Welt oder Seiten, die sie sich irgendwann einmal unverbindlich angeschaut hatte, bombardierten einen mit Angeboten. Die zweite echte Nachricht stammte von ihrer älteren Schwester Andrea aus Freiburg, die an Monas Geburtstag zu Besuch kommen wollte samt Töchterchen Zoé. Wäre schön, obwohl die Schwestern sich oft kabbelten und ihre, in der Jugend sehr enge Beziehung, heute leichte Tendenzen einer latenten Hassliebe aufkeimen ließ, falls sie sich länger auf der Pelle hockten. Die dritte Mail, eine animierte, witzige Grußkarte von Simone, vor etwa einer Stunde vom Rathaus gesendet. (›I‹_!_›I‹) Sicher hatte sie gerade etwas Leerlauf im Job. Mona verspürte aber keinen Drive, ihr oder Andrea umgehend zu antworten, und verließ das World-Wide-Web wieder.

Im nächsten Semester würde sie ihre Hausarbeit auf dem Laptop verfassen müssen. Sie war heilfroh, dass sie sich den neuen Laptop kaufen konnte, als das betagte Notebook nach zahlreichen Crashs und Abstürzen vor kurzem den Geist aufgegeben hatte. Leider jedoch kein Apple- Notebook! In den Staaten gab es ihr Traumlaptop wesentlich günstiger als in Deutschland, der Favorit aller Kreativen, das Notebook mit dem MacOs-Betriebs-System. Es benötigte nicht einmal ein Antivirusprogramm, weil kriminelle Virenerzeuger die kleine Randgruppe der Mac-User nicht als lohnend empfand. Der Laptop mit dem angebissenen Apfel, ein schöner Traum! Doch leider… verschieben wir’s auf später… Und jetzt, eine blitzschnelle Runde ›Spidersolitär‹… ging sofort auf. Nicht schlecht. Das Spiel besaß leichtes Suchtpotenzial, aber nach diesem Ergebnis konnte Mona in Ruhe aufhören. Cursor auf Start. Beenden. Der neue Rechner summte ganz leise beim Herunterfahren.

*

Irgendwie hatte eine leise Katerstimmung sie heute im Griff, ganz ohne Alkohol am Vorabend. Vielleicht sollte sie mal etwas Handfestes essen, immer nur Brötchen, Kuchen und Croissants, waren nicht so das Gelbe vom Ei. Auf schnelle Pasta verspürte Mona jederzeit Appetit. Oh ja, Spaghetti al pesto. Gesagt, getan. Troll kriegte auch etwas ab, natürlich kein Pesto. Sie löffelte ihm einige Pal-Fleischhappen darüber, sahen aus wie Gulasch, stanken grässlich, aber schmeckten ihm hörbar gut. Ilse befand sich jetzt inmitten ihres aufregenden ›Tete-a-Tetes‹, dessen Report Mona mit Spannung entgegensah. Sie könnte in Freiburg bei Andrea anklingeln, die dann zurückrufen würde mit ihrer praktischen Endlosquatschen-Flatrate. Fünfmal Freizeichen. Der AB nicht auf Aufnahme und alle ausgeflogen. Na, dann eben nicht. Ihren stellenweise abgeblätterten Fingernägeln würde eine Neulackierung mit perlmuttfarbenem Lack gut tun und eine belebende Gesichtsmaske mit Gurkenextrakt war auch nicht zu verachten. Beim strengen Duft des Nagellackentferners nieste Troll laut. Er lupfte die Augenlider ein wenig auf Habacht-Stellung und beobachtete ergeben Monas Tun, zwischendurch klappten sie aber unaufhaltsam wieder nach unten.

»Ja, so ein Hundeleben ist doch was Feines. Fressen, Schlafen, Streicheleinheiten, Spielen und Gassigehen. Ab und an mal Bellen, hinter Hündinnen herschnüffeln und nachts ‘ne Digikamera finden… und wer hat jetzt den Trouble am Hals?«

Er hatte alles genau verstanden, stellte die Vorderbeine auf und reckte sich Mona entgegen.

»Nein, mein Guter, nichts mit kraulen. Der Lack ist noch feucht. Leg dich wieder hin, gleich geht ‘s um die vier Ecken.«

Auf Hin- und Rückweg zur Grünmeile am Rhein begegnete ihnen niemand im Treppenhaus. Wunderbar. Sie schloss alle Fenster wegen Trolls bekannter Phobie vor den späteren Leuchtexplosionen, vielleicht blieb sie doch länger auf dem Fest … man wusste ja nie… »Jetzt muss ich aber los – bis nachher, Troll.«

*

Durch die zähen Massen mehr geschoben als gegangen erreichte Mona pünktlich um siebzehn Uhr den vereinbarten Treffpunkt neben Pitts Brezelbude. Angie war nirgends zu sehen und Mona hasste Warten. Sie zündete sich eine Caprice an und beobachtete die vorüberziehenden Passanten, die meisten unverkennbar bereits in bester Feierlaune. Um siebzehn Uhr vierzehn fiel ihr die ehemalige Studienfreundin strahlend um den Hals.

»Na, endlich!«

»Sorry, Blümchen, nur das akademische Viertelstündchen. Meine Fans warten immer gerne.« Klaro, typisch Angie. Unterwegs zum Rheinufer sang sie Mona aufgekratzt Loblieder auf die traumhafte, neue Dessouskollektion, die sie am Samstag ins Programm aufgenommen hatten, aus der superteuren Modelmarke

›Vicotoria Secrets‹.

»Der Schleimsack von Vertreter hat mir sogar einen BH mit passendem String daraus geschenkt. Nachdem ich meine zögerliche Chefin vom unbedingten Muss dieser Luxusunterwäsche für unser exquisites Repertoire überzeugt hatte. Du wirst es nicht glauben. Mit Kennerblick und fast sabbernd hat er auf Anhieb die richtige Größe für meinen Alabasterarsch, (O-Ton, uah!), herausgefischt. Dann noch fix hinterher geschoben,

»Sorry, aber nehmen sie’s als Kompliment, schöne Lady!« Sicher kein Kostverächächter dieses geschniegelte Brechmittel!« Grinsend zog sie den Rand der eh tief sitzenden Lederjeans noch weiter nach unten:

»Guck mal, Mona, rattenscharf, oder?« Schwarze, größermaschige Spitze mit magentafarbenen, leicht glitzernden Röschen, die auch die seitlichen, dünnen Stringschnüre zierten, blitzte Mona entgegen. Daneben eine winzige Tattoo-Rose auf der Pobacke, die sie noch nicht kannte.

»WOW«, fiel ihr dazu nur ein. Zwei pubertierende Jungs blieben abrupt stehen und starrten höchst ungeniert.

»Zieh deine Hose wieder rauf. Die Jungspunde sind schon ganz wuschig!«

»Sollen sie doch, ihr Problem. Ich steh nur auf richtige Männer, nicht auf solche Milchreisbubis«, stellte Angie klar und schob ihre Jeans wieder in Position. »So etwas solltest du dir auch mal zulegen, ich geb dir auch Prozente. Immer bereit sein, ist die Devise.« Deine vielleicht, blöde Kuh!

»Für wen denn bitte? Für den hinkenden Briefträger oder unseren griesgrämigen Hausmeister. Oder vielleicht für Troll? Dem tränen anschließend sicher die Augen«, entgegnete Mona etwas indigniert auf Angies maliziösen Kommentar.

Am Rheinufer erwartete sie eine johlende Menschenansammlung, welche die Sensation des Rummelplatzes enthusiastisch bestaunte. Eine wild durch die luftige Höhe schleudernde, sich um sich selbst drehende Silberkugel an Bungeeseilen.

»Mensch GEIL, das Ding kommt tierisch rüber! Bringt garantiert den Superkick. Circa zwei Stufen hinterm Klitoralorgasmus.«

Brr, immer diese Vergleiche unterhalb der Gürtellinie. War das wirklich nötig? Es war eh nicht zu überhören, dass Angie völlig aus dem Häuschen war.

»Komm mit, bitte, bitte! Zu zweit kotzt sich’s besser.«

»Nein, danke. Mir wird schon schwindlig vom Zuschauen. Außerdem wollten wir doch KUNST gucken gehen.«

»Du olle Spaßbremse! Allein macht’s keinen Spaß! Irgendwann muss ich mir einen Trip auf diesem Hammerteil unbedingt hineinpfeifen.«

Die Künstlerstände präsentierten sich dicht gedrängt, aneinandergereiht entlang der Uferpromenade von der Rheingoldhalle bis zum Kaisertor. Von Keramik über Bilder, Puppen, Lederwaren bis zu Schmuck und Glasobjekten reichte das Angebot. Viel Kitsch, aber auch schöne Arbeiten, die entsprechend hochpreisig waren.

»Hey, ist das nicht unser Andy? Andreas Herzog?«

Angie riss Mona aus der konzentrierten Betrachtung der illustren, überwiegend kunstgewerblichen Produktpalette.

»Und so schlank geworden.« Er lachte ihnen entgegen.

»Tja, ein guter Hahn wird selten fett! Schau an, unser ehemaliges Dreamteam vom Fachbereich. Wieder mal gemeinsam unterwegs, Jung und Alt den Kopf zu verdrehen? Ewig nicht geseh’n, was treibt euch denn so an, Mädels?«

Angie erzählte in höchsten Tönen; vom Wochenendtrip zum Ballermann 8 auf Malle mit der Exkollegin. Von bacchantischen Nächten in der Schinkenstraße mit einem Kegelclub voll buhlerischer Ruhrpottler, von ausschweifenden Spielchen am mondbeschienenen Sandstrand, vom superlustigen Miss Wet-T-Shirt Wettbewerb, moderiert durch Jürgen Drews, dem Möchtegernkönig von Mallorca. Von einem unsoliden Segeltörn auf dem Rhein bei Ingelheim letztes Wochenende und, und…! Mona ertappte sich dabei, dass sie gar nicht richtig hinhörte, sondern über ihre eigene, vergleichsweise eher lauwarm plätschernde, derzeitige Lebenssituation sinnierte, die momentan weder Fisch noch Fleisch zu sein schien. Der Besucherstrom bewegte sich noch in angenehmen Grenzen.

»Leider mehr Seh- als Kaufleute unterwegs. Etwas Zusatzknete käme nicht schlecht. Muss ja jetzt ne Familie ernähren.«

Die letzten, sehr stolz klingenden Worte von Andy durchdrangen Monas Gedankenflüge. Seine immer schon originellen Lichtobjekte waren ihr doch gleich farbiger und leuchtender erschienen als sonst. Sicher ein Ausdruck inneren Glücks und keine Halluzinationen von ihr.

»Mensch, nä, DU ‘ne family? Echt krass! Lass hören«, drängte Angie gespannt. Der, zu Studienzeiten immer rast- und ruhelose Andy, schwärmte in den höchsten Tönen. Von der kleinen Tochter Sina, vier Monate alt und seiner französischen Frau Berenice, die er vor dreizehn Monaten, während eines Studienaufenthaltes in Aix-en-Provence kennen- und lieben lernte… von dem gemütlichen Nest in Wiesbaden-Taunusstein… und, und… Und es hat BOOM gemacht! Nagender Neid beschlich Mona. Bei manchen klappte alles problemlos. Ratzfatz, einfach so!

»Echt? Beim ersten Schuss gleich ein Volltreffer? Geil! Congratulations, Papa Andy«, freute sich Angie mit imitierter hoher Kinderstimme, während sie sich um den Stand herumschwang und ihm einen dicken Schmatzer auf die Wange drückte.

 

»Danke, danke«, antwortete er leicht verlegen.

»Von mir auch. Herzlichen Glückwunsch.«

Monas Grundstimmung ließ sich wohl nicht verleugnen, die leichte Steilfalte zwischen den Augenbrauen und ihr Tonfall sprachen sicher Bände.

»Liebeskummer, Mona?«, folgte retour auf ihre Gratulation.

»Das wird schon wieder. Auf Regen folgt immer Sonnenschein.«

»JA, sicher«, gab sie einsilbig und nicht überzeugt zurück. Keinen Bedarf, ihr zurzeit nicht existentes Liebesleben breit zu treten. Es reichte schon, dass etliche Leute behaupteten, ihr Gesicht sei ein offenes Buch. »Geh’n wir weiter, Angie?«

»Ja. Mal sehen, was oder wer heut noch unseren Weg kreuzt bei dem tollen Wetter. Weiter so, Andybaby, ciao, ciao! Und grüß deine family – unbekannterweise, von zwei heißen Girls.«

»Okay, tschüss Mädels und – Mona, Kopf hoch«, rief er ihnen hinterher.

»So viel Glückseligkeit ist ja kaum auszuhalten«, murmelte Mona vor sich hin.

»Was ist?«, fragte Angie. »Ach nichts!«

Sie hatte Monas leicht missgünstigen Kommentar scheinbar nicht verstanden und war schon bei den nächsten Ständen, deren Angebot eher nach Fabrikware oder »Made in China« aussah. Eigentlich nicht zugelassen beim Künstlermarkt, aber wo kein Kläger, da kein Richter. Sie drehten um und gingen jetzt auf der Gegenseite zurück. Ein Angebot von glitzerndem Modeschmuck in allen Farben hatte es Angie angetan und sie wühlte begeistert in einer verblichenen Pappschachtel mit lauter Einzelstücken.

»Wie findest du den hier?«, fragte sie Mona, ihr einen längeren, grünen Strassohrring vor der Nase schwenkend.

»Schön, doch…!«

»Bingo, der passt SUPERschön zu deiner roten Mähne. Den schenk ich dir jetzt und dann lachst du mal wieder.«

Bezahlte und drückte den Ohrring, verpackt in ein durchsichtiges Zellophantütchen, der verdutzten Freundin in die Hand.

»Oh, danke.« Das fand Mona jetzt richtig süß und die ›Blöde Kuh‹ von vorhin, die nahm sie wieder zurück.

*

Zurück auf dem Rathausplateau ließen sie sich vor dem Café mit Rheinblick nieder, wo erstaunlicherweise noch Tische frei waren. ›Sex on the Beach‹ 4,50 €, wurde in steiler Kreide-Handschrift neben anderen Longdrinks auf einer Extratafel angepriesen.

»Wie passend! Komm, das testen wir mal«, beschloss Angie für sie beide, bevor Mona etwas sagen konnte, und orderte mit kokettem Augenaufschlag:

»Zweimal, bitte – diesen Sexdrink«, beim italienischen Kellner und fügte noch leicht spöttisch hinzu,

»Hoffentlich hält dieser ominöse Drink auch, was der Name verheißt. Apropos, wie heißen SIE denn?«

»Giacomo, Signorina.«

»Oha, wie der Herzensbrecher Casanova?«

Augenscheinlich den Zusammenhang nicht ganz verstehend, antwortete der gut gebaute Giacomo,

»Grazie, Signorina«, und ging etwas verwirrt zum Buffet zurück.

»Du kannst es nicht lassen! Mach den Armen doch nicht so an«, konnte Mona sich nicht verkneifen.

»Mensch Blümchen, seit wann denn soo spießig? Ein bisschen Flirten ist doch das Salz in der Alltagssuppe. Solltest du auch mal probieren und so ein richtig geiler Stecher in der Kiste, würde dir auch mal wieder gut tun!« Vielen Dank für den heißen Tipp!. Neben die im Aschenbecher abgelegten, qualmenden Zigaretten platzierte Giacomo die Gläser mit den roten Strohhalmen in den gelb-orangefarbenen, geeisten Drinks,

»Prego, Signorinas«.

»Superlecker! Was ist denn da drin? Oder sind sie nur der Saftschubser hier?«, fragte Angie mit blitzenden Augen.

»Ich weiß alle Drinks«, antwortete der Keller stolz und rezitierte die Formel aus dem Stegreif in Angies staunendes Gesicht.

»4 cl Wodka, 3 cl Pfirsichlikör, 6 cl Ananassaft, 6 cl Orangensaft, 4 cl Cranberrysaft, mit Ice in Shaker mixen und on the Rocks servieren! C ‘apice?« Dann drehte er sich um und ging.

»Wow, so hilflos ist dieser kleine Macho doch gar nicht! Capice? Und jetzt schieß los, was hast du in letzter Zeit Spannendes erlebt?«, fragte Angie etwas hämisch, offensichtlich wenig erwartend. Erst jetzt fiel Mona ein, dass sie ihr nächtliches Abenteuer bislang nicht erwähnt hatte und holte dies schnell nach. Angie war verblüfft, schien aber ganz angetan.

»Endlich mal etwas los in der langweiligen Bourgeoisie dieser Bischofsstadt und ausgerechnet DU mittendrin. Ich fass es nicht! Schade, dass mir so was nie passiert. Wie ist denn diese Politesse umgekommen, sicher nicht vergewaltigt worden, oder?«

»Nein, ich glaube nicht. Soweit ich weiß, erstochen.«

»Klaro, wer will schon mit diesen faden Mannweibern f…!«

»Lass stecken und sei nicht so zynisch, Angie. So ein Mord ist schon schlimm genug. Auch, dass der Mörder noch immer frei ist.«

»Flirten, meinte ich natürlich! Flirten!! Vielleicht war’s ja auch ‘ne Mörderin. Unter dem Motto: Eliminiere einfach sämtliche weibliche Konkurrenz und die Altstadt wird tausendmal schöner für dich!« »Nicht nur zynisch, sondern richtig bösartig, ja fast nihilistisch bist du, Angelika Wrobel.«

»Nihiwas – kann man das essen? Okay, schon gut, du Moralapostelin, war nur ‘n Joke. Sollen wir los?« Mona erwähnte den blauäugigen Fastkommissar mit keinem Sterbenswort. Sie legte wirklich keinerlei Wert auf einen typischen Angie-Kommentar.

*

Sie schlenderten an ›Keep&Noppengrub‹ vorbei zum belebten Domplatz, wo Timo, rechte Hand und Hüfte lässig am ›Graeger‹- Sekt-Stand geparkt, gestikulierend und mit hochroten Ohren inbrünstig auf ein gut aussehendes, braun gebranntes Gegenüber einredete. Ein zweiter, langschlaksiger, trotzdem athletischer Typ mit kurzen, flaumigen Bartstoppeln im auffallend hellen Gesicht, stand stumm daneben und blickte völlig unbeteiligt zur Domspitze hoch.

»Hey, da ist ja Timo mit Begleitung«, bemerkte Mona freudig.

»Ach was, das ist dein Schwulifreund. Stell mir die Herren doch mal vor«, raunte Angie ihr auffordernd zu.

»Obwohl, den farblosen Milch-Bubi mit den Panzerknackeraugen kannst du dir sparen!«

»Ha, ha, Timos Kavaliere kenne ich auch nicht.« Monas Kommilitone war so vertieft, dass er die zwei Frauen erst bemerkte, als sie ihm leicht auf die Schulter tippte. Stürmische Begeisterung sprach nicht gerade aus seinem leicht ertappten Blick, als er sich umdrehte. »Hey, auch schon unterwegs?«

Angie musterte unverhohlen interessiert Timos gebräunten Begleiter, der mit funkelnden Augen belustigt zurückschaute.

»Hallo! Darf ich vorstellen, mein Kommilitone…«, setzte Mona an, doch Angie ließ sie nicht ausreden und wandte sich gleich an Timos Eroberung.

»Und wer bist DU, schöner Fremder?«

»Gestatten, Raffael«, antwortete dieser grinsend mit angedeutetem Militärgruß, »Und das ist unser Stubenhocker Rainer Mosbach, mein Zimmernachbar im Wohnheim, den ich heute mal ans Sonnenlicht gequält hab.«

»Hi«, sagte dieser nur mit gesenktem Kopf und Blick, den er auch nicht hob, als Mona ihn direkt ansah und sich vorstellte. Angie behandelte Timo und diesen Rainer wie Luft und hatte nur Augen für Timos Gesprächspartner.

»Angie. Sehr angenehm. Raffael? Ein Namensvetter vom gefallenen Erzengel oder eher dem Patron von Ärzten und Apothekern? Und? Est Nomen Omen?« Dies war der vielversprechende Auftakt zu einem blumigen, mit Sekt gepuschten Wortgeplänkel zwischen den beiden, bei dem Timo zunehmend unruhiger wurde. Er tat Mona irgendwie leid, darum versuchte sie nach dem zweiten Glas, Angie loszueisen. Laut verkündete sie das dringliche Bedürfnis nach Troll zu schauen und schlug vor, sich mit den Jungs zum Feuerwerk zu verabreden. Treffpunkt: Viertel nach neun vor ihrer Tür oder am Altstadtcafe´. Angie blieb nichts anderesübrig, als Mona widerwillig zu folgen.

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