Schattensprung

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

„Ich liebe meinen Beruf. Ich liebe die Fans und den Erfolg. Es macht mich glücklich, dass ich offenbar einen guten Job mache, sonst gäbe es diesen ganzen Hype wohl nicht. Aber, es ist anstrengend. Ich weiß nicht, ob du mal eine Rundreise gemacht hast, bei der du in sehr kurzer Zeit sehr viele Städte besuchen konntest.“ Tom hielt inne, „Das verwirrt. Ich sehe ja auch nie viel von den Orten. Da ist es auf Dauer schwer einen Unterschied zu machen, schwer zu erkennen, ob du nun in New York, Paris oder sonst wo bist.“

Charlotte bemühte sich, es zu verstehen. Es wollte ihr jedoch nicht so recht gelingen.

„Das ist der Teil der nervt. Abgesehen davon, dass sich plötzlich jeder anders benimmt, wenn man dich erkennt.“

Charlotte nickte erneut, wenn auch mechanisch. Mit dieser Rede ließ sich für Sania bestimmt was anfangen. Charlotte nahm noch einen Schluck Tee.

„Was wolltest du mal werden?“, kam plötzlich unerwartet die Frage von ihm.

„Ich?“, plusterte sich Charlotte auf.

„Ja, du. Ist nur fair, wenn ich dir die gleiche Frage stelle, wo das doch ein Gespräch werden soll.“

„Eigentlich sollte ich hier die Fragen stellen“, wich Charlotte aus.

Tom schüttelte den Kopf. „Kein Ausweichen. Ich höre“, bestand er darauf.

Charlotte dachte fiebrig nach. „Keine Ahnung“, schloss sie dann.

Tom hakte nach: „Ach komm, du kannst mir nicht sagen, dass du keine Träume hattest, als du klein warst?“

„Hmm, nein, da muss ich passen. Tut mir leid. Ich habe nie Vorstellungen über meine Zukunft gehabt. Ich lebe von Tag zu Tag.“ war ihre Antwort.

„Von Tag zu Tag leben? Keine schlechte Philosophie“, sinnierte er.

Charlotte versuchte nochmal das Gespräch an sich zu bringen. „Paris? Wie siehst du die Franzosen so?“

„Wie ich sie sehe?“

„Ja, was hältst du von ihnen und ihrer Art?“, sagte sie laut um sich dann zu fragen, warum zum Teufel er ihre Fragen immer wiederholen musste. So furchtbar war ihr Englisch doch nun nicht, auch wenn es seiner gespreizten Aussprache bei weitem nicht nahe kam.

„Nette Menschen sind sie, die Franzosen. Zumindest nach dem, was ich von ihnen sehen konnte.“

„Sprichst du französisch, oder blieb auch dafür keine Zeit, als du in Paris warst?“

„Doch, je parle français. Et toi? Est que tu parle français?“

„Si. Pas mal ton français.“, log Charlotte.

„Merci pour le compliment. Comment est possible, que toi aussi tu parle français?“

„Weil ich jahrelang in Frankreich gelebt habe. Ich durfte einen Teil meiner Kindheit dort verbringen.“

„Du bist in Frankreich geboren?“,fragte er und es klang verblüfft.

„Nein, geboren und teilweise aufgewachsen bin ich in Kanada. Und später dann ab nach Frankreich.“

„Interessant. Einmal um die Welt also, wie es scheint“, meinte Tom höflich.

„Ja, aber kommen wir doch wieder auf das Interview zurück“, drängte Charlotte, ziemlich plump.

Tom amüsierte sich, während Charlotte bemerkte, dass ihr Tee so gut wie leer war. Außerdem war es spät geworden und er ging ihr ziemlich auf die Nerven. Sania hin oder her, sie wollte den Diplomaten im Schauspielerkostüm loswerden. Was sie hatte, musste reichen. Zumal es sich ja auch nur um einen kleinen Artikel in einer unbedeutenden Lokalzeitung handelte.

„Noch eine letzte Frage. Ich nehme an du wirst wieder zurück wollen, bevor du erwischst wirst?“

Tom nickte.

„Nehmen wir an, du hättest dich in deiner Familie. Also du würdest dich von außen betrachten können, du bemerkst, wie die Karriere in Gang kommt. Was würdest du dieser Person raten?“

Tom sah etwas verwirrt drein: „Wie bitte? Das versteh ich nicht.“

„Ich meine, stell dir vor, du bist nicht du, sondern jemand anderes, ein Cousin, ein Onkel, enge Freundin. Du kennst die Person bereits seit Jahren und siehst, wie ihre Karriere anläuft und plötzlich nimmt es überhand. Diese Person ist überall. Was rätst du dieser Person?“, bemühte sich Charlotte.

Tom begann zu verstehen: „Was ich einem engen Freund in der Lage raten würde? Ich weiß nicht, ich bin vorsichtig mit Ratschlägen. Er sollte vorsichtig sein, wem er traut. Ach und er sollte sich an Einsamkeit und Stress gewöhnen. Und einen Bodyguard für seine Familie anschaffen, sowie sich ein dickes Fell zulegen. Was auch für den Rest der Familie gilt. Egal, mit wem er unterwegs sein wird, es wird immer getuschelt. Und zwar nicht auf die nette Art und Weise.“

„Wow. Gut, bzw. Nicht gut. Ich danke dir“, schloss Charlotte.

Unvermittelt stand sie auf und hielt Tom die Hand zum Abschied hin. Sie wollte gehen, aber er hielt sie auf: „Moment Sania! Bei welcher Zeitung arbeitest du nochmal? Wo kann ich von dir lesen.“

„Ich schreibe für den K.-Kurier“, antwortete ihm Charlotte.

„Gut, ich hoffe ich kann mir das merken. Ich gedenke mir das durchzulesen.“, sagte er und Charlotte stockte kurz.

„Oh ja, zweifelsohne“, dachte sie säuerlich. Sie wollte nur noch fort. Was fand die Frauenwelt nur an so einem Bubi? Viel zu glatt und zu schön, zu höflich und immer so diplomatisch.

5.

Sania bediente weiter. Die Hälfte ihrer Schicht war bereits vorbei, als sie die Nachricht bekam, dass Charlotte weg war, weil sie auf die „Jagd“ ging. Kurz darauf brach der Tumult bei der VIP Party los, als klar wurde, dass der Star des Abends sich anderswo vergnügte. Der Manager ließ umgehend das gesamte Lokal verriegeln. Sollte auch nur ansatzweise das Gerücht verbreitet werden Mr. Donoghue sei nicht mehr vor Ort, drohte sich die Meute aufzulösen und Mr. Donoghue die Gefahr der Entdeckung auf offener Straße ohne jeglichen Schutz. Ein umherirrender Ausländer von fast zwei Metern Größe war nichts, was man im Ort jeden Tag sah. Sofort begann eine fiebrige Suche nach dem Star. Manche begannen die sozialen Netzwerke zu durchkämmen, ob ein Fan den Schauspieler vielleicht schon gefunden hätte, ob es Bilder von ihm gäbe. Andere telefonierten mit anderen Restaurants, Hotels und der Polizei. Sania´s Chef war am Ende mit seinen Nerven. Sein Restaurant war um- und belagert von kreischenden Mädchen, die alle nur Eins wollten: „Donoghue“.

Die Gäste der Weihnachtsfeiern, die gehen wollten, durften nicht, da das Lokal der Fans wegen abgeriegelt war. Alles was Sanias Chef tun konnte war eine Runde nach der Nächsten auszugeben und zu hoffen, so die Gäste bei Laune halten und die Zeit überbrücken zu können. Sania hingegen hoffte, dass Charlotte erfolgreich gewesen sei. Zu gern hätte sie kurz im Personalraum nach ihrem Handy gesehen, ob sie schon eine Nachricht hatte. Doch es sollten noch Stunden vergehen, bis ihr dieser Wunsch erfüllt werden würde.

Kaum war Sania zu Hause angekommen, als sie sich auch schon mit ihrem Laptop ins Bett warf, um ihre Mails zu kontrollieren. Charlotte hatte ihr die Stichpunkte vom Interview zukommen lassen und schrieb zusätzlich noch, dass sie erwarte, Sania könne etwas daraus machen. „Üppig geht anders“, murmelte Sania als sie sah was die Freundin herausgefunden hatte. Der gute Mr. Donoghue war in London geboren, liebte die Heimat … Aha … Er hatte in Paris am Theater gearbeitet und dort französisch gelernt. Ein Französisch, von dem er meinte, er spreche es gut, während Charlotte darüber nur den Kopf schütteln konnte. Seinen Job liebte er genauso wie seine Heimat. In London war er infiziert worden mit Shakespeare und dem Theater. Seit dem Ruhm sei er quer durch die Welt unterwegs, Stress pur. Auch die Dreharbeiten …

Halt! Was schrieb Charlotte noch?

Sie könne ihn nicht ausstehen? Er sei ihr zu glatt, zu diplomatisch und zu wasserdicht? Wisse auf alles eine nette Antwort. Zudem sähe er wie der Prototyp eines Engländers aus. „Ah so.“ Sania starrte auf den Bildschirm.

Es gab nichts Brisantes, das war sicher. Aber, sie setzte sich aufrechter hin, sie könnte sicherlich etwas daraus machen. Für den Kurier würde es alle mal ausreichen. Und Sania machte sich an die Arbeit.

Schon am nächsten Morgen erschien ihr Artikel im Kurier. Sania platzte fast vor Stolz, als sie sah, dass er eine ganze Seite umfasste und der Redakteur noch ein kleines Foto von ihr mit abgedruckt hatte. Der Bericht schlug ein wie eine Bombe. Das Telefon stand kaum still. Zahlreiche andere Zeitungen begannen sich nach ihr zu erkundigen und wollten sie für Beiträge gewinnen. Sania schwelgte im Glück. „Das müssen wir feiern gehen!“, juchzte sie am Telefon mit Charlotte. „Klar musst du mit dabei sein! Du hast ja für mich recherchiert!“

„Gern geschehen“, meinte Charlotte kühl am anderen Ende, „Aber du weißt, dass mach ich gern für dich. War ja auch ganz amüsant.“

„Also, wann treffen wir uns? Und wo?“, fragte Sania.

„Weiß nicht. Lass uns Mittagessen gehen“, lautete Charlottes Vorschlag. Sania stimmte zu.

6.

„Du bist einem ordentlichen Irrtum aufgesessen!“, lautete Sandras Urteil.

Tom sah sie überrascht an. „Was meinst du? Wovon redest du bitte?“

„Von diesem Mädel, dem du damals in diesem deutschen Dorf ein Interview gegeben hast.“

Tom überlegte. Interview? Deutschland? Er wusste immer noch nicht, wovon seine Beraterin sprach. Er schüttelte den Kopf und zog fragend die Augenbrauen hoch und wollte sich gleich wieder seinem Skript zuwenden. Aber Sandra kam ihm zuvor und haute ihm einen gerrollten Papierstapel gegen den Arm.

„Ich frage dich noch mal Sandra, wovon sprichst du?“

„Von dem Interview das du ohne meine Absprache gegeben hast! An dem Abend, als du unbedingt flüchten musstest. Muss ich noch deutlicher werden?“

„Uppss“, bei Tom dämmerte es. Er nahm die Füße vom Stuhl. „Ja ich erinnere mich. Habe ich irgendwas gesagt, was ich nicht hätte sagen sollen?“, erkundigte er sich.

 

„Tja … so kann man es nicht nennen. Es sei denn ein Übermaß an Diplomatie gilt als Affront“, seufzte Sandra.

„Na dann“, entgegnete Tom und drehte sich wieder um.

„Das war ein Schwindel, hörst du?“, rief sie.

„Was für ein Schwindel denn?“, stöhnte er.

„Du meintest doch nach dem Gespräch, die Lady sei ein Schneewittchen gewesen.“

Tom nickte.

„Die hier“, Sandra entrollte die Papiere, die sie in der Hand hielt und wies auf das kleine Foto, „sieht aus, als sei Schneewittchen zu lang auf der Sonnenbank gewesen!“

Tom schnappte sich den Artikel und studierte das abgedruckte Bild. Nein, die Gesichtsfarbe war zu gesund. Zudem hatte die junge Dame auf dem Bild eine wilde Lockenmähne und die Augenfarbe war so blau wie die See.

„Eindeutig nicht Alice“, schloss Tom.

„Alice, warum Alice? Hier steht sie heißt Sania Bessasys“, rief Sandra aufgebracht.

„Der Name stimmt, aber das Aussehen nicht“, murmelte Tom.

Sandra hingegen schäumte vor Wut.

„Was nun?“, fragte er sie.

„Wie was nun?“, brauste Sandra auf, „Die haben wohl kaum ein Recht darauf das unter falschem Namen zu drucken. Wir werden herausfinden müssen, wer wirklich mit dir gesprochen hat. Das kann es ja nicht sein“, zeterte sie weiter.

Tom sah ihr zu.

Der Bericht, er hatte ihn kurz überflogen, war ihm egal. Es stand nichts drin, was ihn kompromittieren würde. Aber das Schneewittchen ihm gegenüber unehrlich gewesen war, fand er nicht in Ordnung. Er wollte zu gern wissen warum. Und, was war noch alles unecht an ihr und ihrer ganzen Geschichte?

„Warum all der Terz?“, fragte er laut.

Sandra sah ihn überrascht an. „Weil es nicht sein kann, dass man dich nicht ernst nimmt und dich so auflaufen lässt! Dass man sich so unprofessionell verhält!“, zeterte Sandra. „Deswegen all der Terz! Oder wovon redest du?“, wollte sie wissen.

„Ich habe mich nur gefragt, welchen Grund es für diese Art von Versteckspiel geben sollte. Gut, ihre Gesichtsfarbe war nicht sonderlich blühend und sie war bestimmt nicht hübsch im herkömmlichen Sinn“, erwiderte er, „Aber so hässlich, dass sie nicht präsentabel wäre, war sie nun auch nicht.“ Tom sah seine Beraterin an. „Also, warum?“

Sandra Anderson zuckte die Schultern und Tom warf ihr einen bettelnden Blick zu: „Kannst du anrufen?“

„Anrufen? Wo?“

„Bei diesem Blatt. Sag ihnen, wir geben, das heißt ich gebe, noch ein Interview. Unter der Bedingung, dass sie die gleiche Journalistin schicken“, schlug er vor.

Seine Beraterin blickte ihn ungläubig an. Dann schüttelte sie ihren Kopf und sagte: „Tom, wie stellst du dir das vor?“ Sie stemmte die Hände in die Hüften, als Tom sie weiterhin flehend ansah. „Wer bitte interessiert sich für so ein kleines Provinzblatt? Und wer bitte will wissen, warum die so eine Maskerade abgezogen haben?“ Tom klimperte mit den Wimpern und schob die Unterlippe vor. Als er Sandra seufzen hörte, wusste er, er hatte gewonnen. Doch dann sagte sie bloss: „Tom, wie stellst du dir das vor? Noch einen Termin? Unser Kalender ist randvoll. Von hier aus geht es direkt nach Rom. Es geht nicht.“

„Klar geht das“, warf er ein.

„Vielleicht für dein neues Projekt“, schlug Sandra ihm vor, „Aber für die kommenden Monate geht es nicht.“

„Typisch!“, dachte sich Tom. Da war sie wieder, die Schattenseite des Ruhms. Er konnte nicht mehr selbst über sein Leben verfügen. Freie Entscheidungen, spontane Verabredungen, wie lang war das her? Nun denn, er würde sich fügen. Aber, aus den Augen würde er die Sache nicht verlieren. Er würde dieses Versteckspiel nicht vergessen. Wer auch immer diese Frau gewesen war, sie hatte Recht behalten. Es war ein ungewöhnliches Gespräch gewesen.

7.

Während für Tom Donoghue sein neues, altes Leben mit Reisen quer um die Welt von Premiere zu Premiere, von Stadt zu Stadt und von Land zu Land weiterging, ging auch das Leben der zwei Frauen unverändert weiter, die ihm ab und zu in stillen Momenten manchmal Kopfzerbrechen bescherten.

Für Sania Besassys lief das Leben ebenfalls in den alten Bahnen weiter. Sania rieb sich Tag für Tag auf, um das Geld für ihre Versicherungen und die Miete aufbringen zu können. Während sie von dem Rest ihrer Familie nur zu hören bekam, dass sie doch nicht ewig in drei Jobs gleichzeitig arbeiten könne. Vor allem, wenn es nicht genug Gehalt brachte.

Sanias Bruder Gian scherzte immer wieder gern, sie sollte zusehen sich, statt noch einer weiteren Geldquelle, lieber einen solventen Gatten zuzulegen. Der könne sie dann versorgen und seine kleine Schwester könnte sich tagein, tagaus um den geliebten Neffen und noch ihre eigenen Kinder kümmern.

Gian war der Meinung, auf die Art und Weise seien alle zufrieden.

Das Sanias Traumleben ganz anders aussah, dass interessierte in der Familie niemanden.

„Ich möchte nur von den Artikeln leben können“, erklärte Sania Charlotte, die ihre bockige Tochter gerade verbissen daran zu hindern versuchte die Wohnzimmerwände mit Ketchup vollzuschmieren.

„Wer träumt nicht davon?“, gab Charlotte zurück. „Sania, du weißt dein Bruder ist ein totaler Macho. Warum hörst du ihm überhaupt noch zu?“, fragte sie, nachdem sie es vollbracht hatte, Tochter und Ketchup zu trennen. „Und ich sagte: NEIN!“, fuhr sie Regan an.

Sania sah zu, wie ihre Freundin versuchte ihr Kind zu händeln und fragte: „Hast du dir dein Leben mal so vorgestellt?“

Charlotte gab einen erstickten Laut von sich er alles hätten sein können. Wut, Enttäuschung und Entrüstung. „Sania, über das Thema willst du nicht mit mir reden“, sagte sie.

„Warum nicht?“, plärrte Regan dazwischen. „Weil“, lautete die kategorische Antwort ihrer Mutter, „Dafür bist du viel zu klein, es geht dich nichts an. Iss das Zeug da auf!“ Danach warf Charlotte Sania einen strengen Blick zu. „Keiner kriegt was er will, aber alle was sie verdienen“, sagte Charlotte, „Das weiß doch jeder.“

Sania wollte sich nicht damit abfinden.

„Hast du nie versucht dein Leben umzukrempeln?“, fragte Sania. „Ich mag meinen Beruf. Es reicht nur noch nicht zum Leben. Eine Festanstellung ist aber nicht drin, sagt Frederick. Er kann es sich im Moment einfach nicht leisten.“

„Ne Festanstellung? Ist das alles, was du willst?“, fragte ihre Freundin.

Als Sania nickte, sagte sie „Gott, bist du bescheiden. Ich würde schon mehr von meiner guten Fee fordern, so ich eine hätte.“

Sania, für die Charlotte alles hatte, was sie sich wünschen konnte, sah sie fragend an. Was könnte Charlotte sich noch wollen? Sie hatte genug Geld, um ruhig und ohne Probleme zu leben. Sie war abgesichert durch einen großzügigen Exmann, der in seine Frau und in seine Tochter blind vernarrt war. Warum die Ehe nicht mehr bestand, wussten nur die Götter. Warum Charlotte immer noch in der kleinen Ortschaft festsaß und noch nicht in Paris, London oder Berlin war, war nur ihrer Tochter zuzuschreiben, die trotz ihres Namens fest mit dem Ort verbunden war, so dass man sie „mit den Füßen zuerst raustragen“ müsste, wollte man Regan von dem Ort trennen.

„Was würdest du dir wünschen, wenn du könntest?“, fragte Sania.

Charlotte überlegte kurz. „Weiß nicht. Ein anderes Leben?“, meinte sie mürrisch.

„Ein anderes Leben?“, wiederholte Sania ungläubig.

„Ja, na was weiß ich denn?“, sagte Charlotte genervt und fing an die Teller einzusammeln. „Hast du nie Träume gehabt? Wolltest du nie was erreichen? Wovon hast du geträumt, als du klein warst?“

Sania dachte nach.

Natürlich hatte sie auch ihre Träume. Teilweise hatte sie sich diese auch schon erfüllt. Ihr Auto zum Beispiel, dass sie sich vor zwei Jahren gekauft hatte. Oder die Reise nach England vor ein paar Jahren. Oder ihr Studium, welches sie gegen den Willen ihrer Familie durchgezogen hatte.

All das waren Wünsche, die sie sich selbst ermöglicht hatte. Und nun war sie ihr eigener Chef, wenn man das so sehen wollte.

Das nächste Ziel was Sania jetzt noch hatte, war die Festanstellung als Journalistin, um endlich ein stetiges Einkommen zu haben.

„Weiß nicht. Ich hab noch nie wirklich darüber nachgedacht. Ich wollte nur eine eigene Wohnung, einen netten Ehemann, ein oder zwei Kinder und keine finanziellen Sorgen. Nicht so wie bei meinen Eltern, die immer rechen müssen. Vielleicht noch ein oder zwei Reisen in interessante Länder wie Afrika oder Indien.“, antwortete Sania dann, „Aber sonst nichts Aufregendes.“

Charlotte schnaubte: „Standard.“

Sania beachtete diesen Kommentar nicht. „Was wolltest du denn machen?“, gab sie stattdessen zurück.

„Reisen, schön und gut, warum nicht. Aber ich wollte immer nur berühmt werden. Ich wollte die Welt verändern. Was erleben, nicht das Übliche und Kinder und dann ab in die Kiste“, ereiferte sich Charlotte. „Und es sah ja auch gut aus. Ich habe was sehen können von der Welt, aber jetzt, jetzt hänge ich hier fest. Und der Rest meiner Umgebung, der ist so tot.“

Sania sah sie verwirrt an. „Tot?“, fragte sie.

„Ja, ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen sollte. All diese Eltern von Regans Freunden! Gott bewahre! Es ist so frustrierend! Ihr Leben ist vorbei, die sind so alt! Sie leben nur noch für ihre Kinder, die sie total vergöttern, als wären es kleine Genies!“ Charlotte holte tief Luft. „Für sie selbst bleibt nichts mehr übrig. Keine Idee, nichts Besonderes, kein Abenteuer mehr. Nur noch der Tod“, sagte sie.

„Etwas hart, meinst du nicht?“, wunderte Sania sich, „Außerdem, wie willst du das wissen? So gut kennst du die doch nun auch nicht. Vielleicht ist genau dieses Leben mit Haus und Kind ihr Traum gewesen.“

„Oh BITTE“ Charlotte rollte die Augen, „Ich habe nur dieses eine Leben. Da will ich doch mehr haben als DAS.“

„Wer weiß“, erwiderte Sania. „Mir würde das Haus von Ritas Mutter locker reichen.“

Charlotte guckte geschockt: „Für so etwas willst du dein Leben wegwerfen? Und dann für ewig dableiben?“

Sania nickte. Was konnte an einem ruhigen Leben mit Haus und Garten falsch sein?

„Wo bleibt das Abenteuer? Der Spaß?“, rief Charlotte.

„Gartenarbeit?“, fragte Sania, die Charlotte nicht mehr folgen konnte.

„Ja, aber irgendwann wirst du tot sein. Und keiner wird sich mehr an dich erinnern.“ Charlotte war richtig in Fahrt. „Sania! Ist es nicht schon ätzend genug, dass wir alt werden, dass wir hässlich werden und Falten kriegen? Es ist furchtbar, dass wir nichts behalten können, von all den schönen Dingen, die wir hier haben. Der Schmuck, die Bücher, die Musik“, Charlotte gestikulierte wild um sich und ließ fast die Teller fallen, „Alles Schall und Rauch.“

Sania wusste nicht, ob sie lachen sollte oder nicht. Charlotte konnte es doch nicht ernst meinen oder doch?

„Der einzige Ausweg daraus besteht darin uns einen Namen zu machen“, schloss Charlotte.

„Ist nicht dein Ernst?“, fragte Sania verblüfft. Als Charlotte nicht antwortete sie hinzu: „Ich glaube du spinnst gerade ein wenig.“

Charlotte drehte sich um und ging in Richtung Küche.

Sania sah Charlottes Tochter an: „Deine Mutter hat eine Midlifecrisis.“ sagte sie zu ihr.

Konnte doch alles nicht wahr sein. Sania war immer klar gewesen, dass sie und Charlotte aus völlig unterschiedlichen Verhältnissen kamen. Charlotte wurde bemerkt, sobald sie einen Raum betrat. Charlotte war geheimnisvoll und selbstsicher, weltgewandt. Sie wusste Bescheid. Aber, dass daraus solche Gier und so ein Hochmut resultieren würden, das hatte Sania bisher nicht wahrgenommen oder sie hatte es nicht sehen wollen. Bis jetzt war Charlotte lediglich die etwas durchgeknallte, extravagante Freundin gewesen, die von Anderen oft für arrogant oder kalt gehalten wurde. Nur wer sie richtig kannte, der wusste, dass Charlotte viel für ihre Familie und Freunde tun würde.

Die Kälte hatte Sania immer auf Charlottes enorme Beherrschtheit zurückgeführt.

Da Charlotte ahnte, dass ihr Leben nicht dem Standard entsprach, war sie zurückhaltend mit Informationen darüber, um eben nicht arrogant zu erscheinen.

„Kann ich etwas dafür von Eltern und Verwandten quer durch die Welt geschickt worden zu sein? Oder dafür, dass die alle früh verstorben sind und noch steinreich waren?“, hatte Charlotte mal geäußert.

Generell gesehen stimmte das schon überlegte Sania. „So wie ich eben viele Verwandte, aber wenig Vermögen habe, so hat sie eben viel Vermögen, aber wenig Verwandte.“ Schuld daran war Charlotte wohl nicht. „Schließlich hat sie, sie ja nicht umgebracht, oder?“, dachte sich Sania.

 
Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?