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Französische Lyrik alter und neuer Zeit in deutschen Versen

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Der bleiche Mann

 
Du bleicher Mann, kennst Du der Sonne Strahl?
Wie alle Welt hab ich gehofft einmal,
Er würde leuchten mir in frohen Stunden,
Ein Los vergolden auch für mich vielleicht …
Des Elends Dämmerlicht hab ich gefunden,
Das hat mein rotes Blut schon längst gebleicht.
 
 
Du bleicher Mann, ist Hunger Dir bekannt?
Wie alle Welt hofft ich am Straßenrand
Das Brot zu finden zum bescheidnen Mahle,
An Wein zu denken hab ich auch gewagt …
Geleert hab ich des Elends bittere Schale,
Die Satten haben frech mein Brot zernagt.
 
 
Du bleicher Mann, kennst Du der Liebe Macht?
Wie alle Welt hab ich einmal gedacht,
Auch meiner würde sie sich noch erbarmen,
Mir würde auch ein Stückchen Glück beschert …
Das Elend preßte mich mit starken Armen.
Es hat mein Hirn, es hat mein Herz geleert.
 

Emile Verhaeren

geb. 1855

Vlämische Kunst

I

 
Kunst Flanderns, Du hast sie gekannt,
Die Dirnen waren Dein Entzücken!
Den Busen hat, den breiten Rücken
Verewigt Deiner Meister Hand.
 
 
Ob Göttinnen der Pinsel malte,
Ob Nymphen, die aus klarer Flut
Emporgetaucht zur Sonnenglut,
Zum Lichte, das sie frei umstrahlte,
 
 
Ob üppige Formen er verlieh
Der Jahreszeiten frohem Reigen,
Wen immer uns die Bilder zeigen,
Die Dirnen sind es, immer sie!
 
 
Du schufst sie uns, die drallen Schönen,
Ganz Sinnenlust, ein Feuer bricht
Durch ihre Haut hervor, ein Licht
Von ungekannten Farbentönen.
 
 
Sie strahlen hell, das Auge glüht
Wie Sternenglanz, und ohne Hülle
Schwillt ihres runden Busens Fülle,
Ein Strauß, der auf der Leinwand blüht.
 
 
Um sie herum in frechen Schwärmen
Des Waldes Götter, liebestoll;
Sie wälzen sich, des Wahnsinns voll,
Im Dickicht, wo die Vögel lärmen.
 
 
Sich selbst verspottend bohren dreist
Den heißen Blick sie durch das Dunkel,
In seinem lüsternen Gefunkel
Erglänzt ihr Lächeln fett und feist.
 
 
So wittern in der Brunst die Hunde!
Die Schönen sperren sich, doch bald
Zwingt sie der eignen Lust Gewalt,
Es ist nur Trotz der ersten Stunde,
 
 
Der Trotz, der keinen Sieg gewinnt!
Sie bäumen sich, die Hüften schwellen,
Der Nacken, über den in Wellen
Des Haares breiter Goldstrom rinnt,
 
 
Verlockt den Feind, den Sturm zu wagen,
Verheißt den Sieg in kurzer Frist,
Obschon die Weibchen voller List
Den ersten Kuß zum Schein versagen.
 

II

 
Ihr hochgepriesenen Meister gabt
Ein reiches Leben jenen Leibern,
Den saft- und kraftgeschwellten Weibern,
Die Ihr geliebt, bewundert habt.
 
 
Chlorosen mochtet Ihr nicht schildern,
Nie haben Fratzen fahl und bleich
Wie Mondesschein im tiefen Teich
Herumgespukt auf Euren Bildern,
 
 
Mit Stirnen, düster wie die Nacht,
Wie Klagelieder müd und traurig,
Mit Augen, daraus flackernd, schaurig
Das Siechtum, die Verzweiflung lacht,
 
 
Die Grazien, mit erlognen, ekeln,
Gefälschten Reizen, die geziert,
Im Morgenkleide, parfümiert
Und schlaff sich auf dem Sofa räkeln.
 
 
Nie habt Ihr mit der Lust gespielt!
Ihr, die Ihr keine Freude scheutet,
Habt nie das Laster angedeutet,
Das frech und lüstern blinzelnd schielt.
 
 
Ihr zeigtet nie im Schmutz der Gasse
Frau Venus, die spazieren geht,
Nie habt durchs Fenster Ihr gespäht,
Ob nacktes Fleisch sich sehen lasse.
 
 
Wie Ohnmacht sich hysterisch spreizt,
Der Schäferin verbuhlte Künste,
Des Schlafgemaches schwere Dünste,
Sie haben niemals Euch gereizt.
 
 
Nein! Eure Frauen, die im festen,
Im großen Schritt, im leichten Tanz
Sich frei bewegten, die im Glanz
Gethront, in schimmernden Palästen,
 
 
Sie waren anders anzuschauen,
Sie führten, von Gesundheit strotzend,
Mit königlicher Miene, trotzend,
Am Narrenseil den geilen Faun.
 

Artevelde

 
Der Riese Tod zieht die Register, greift die Tasten,
Aus seiner Orgel Tiefen quillt der Ruhm hervor,
Der Name des Ruwaert von Flandern steigt empor,
Er wächst noch, wieviel Jahre auch vorüber hasten.
 
 
Gold nur prägt hochgesinnt das Volk. Aus Feuerbränden,
Gemetzel, Bürgerkrieg, Verzweiflung, Leidenschaft
Hat’s die Legende seines Helden aufgerafft,
Es feiert ihn von neuem stets und will nicht enden.
 
 
Von Strahlen warf er ein Geflecht mit dichter Masche
Um Flandern. Wie den Blitz der Belfried zog die Faust
Den Schrecken an. Und wo hernieder sie gesaust,
Verbrannte ihre Glut die Kerker rings zu Asche.
 
 
Die Könige beugten sich, vor seinem Anblick grausend,
An seine Fersen heftete sich dicht der Schwarm
Des Volkes, jauchzend gab es Herz ihm hin und Arm,
Doch er war stärker noch als alle, stark wie tausend.
 
 
Und seine Seele sah sich durch die Zukunft schreiten,
Was jemals sie gedacht, ward Leuchte und ward Brand,
Die erste Fackel! eine fieberheiße Hand
Trug ihre Glut voran im Nebel ferner Zeiten.
 
 
Er fühlte Zaubermacht in sich. Sein Wollen bäumte
Sich auf, die Schranke brach. Nichts blieb ihm unerfüllt,
Bis einst des Todes finstere Nacht das Haupt umhüllt,
Wo Zorn und Wetter schweigend bei einander träumte.
 
 
Und bei der Nacht verschwand er wie ein blutiger König,
Im Brand der Stadt, im wilden Aufruhr, bei der Nacht.
 

Die Bauern

 
Wie Greuze Bauern einst geschildert, sind sie nicht,
In zarten Farben hingehaucht beim Tanz im Freien,
Schmuck angezogen und mit rosigem Gesicht,
Ein heiteres Motiv, gleich andern Spielereien,
Für Rokoko-Salons, sehr zierlich in Pastell.
Grob sind sie, viehisch, plump. Die Zeichnung ist reell.
 
 
In ihrem Dorfe sind sie eingepfercht. Die Leute
Im Flecken nebenan, die sind für sie schon fremd,
Eindringlinge, des Hasses wert, willkommene Beute,
Die man betrügen darf und plündern bis aufs Hemd.
 
 
Das Vaterland …! o weh, soll das sie gar begeistern,
Das ihre Söhne nimmt und zu Soldaten macht?
Das gilt die Erde ihnen nicht, die sie bemeistern,
Die ihre Saaten bis zur Reife treu bewacht.
 
 
Das Vaterland ist ihnen garnichts oder wenig;
In einem Eckchen ihres dumpfen Hirnes wohnt
Der König höchstens, eine Art von Märchenkönig,
Der mit der Krone auf dem Haupt im Purpur thront.
 
 
Ein bunter Flitterkram, ein Schloß, wo Fahnen wehen,
Mit Wappenschildern, funkelnd in dem Glanz des Lichts,
Wo die Soldaten mit Gewehren Posten stehen,
Das wissen sie vom Staat, vom Vaterland. Sonst nichts.
 
 
Im übrigen beschwert sie keiner Weisheit Bürde,
Denn Bücher, bis auf den Kalender, sind vervehmt.
Der Holzschuh könnte Freiheit, Recht und Menschenwürde
Zertreten ohne Wahl. Instinkt ist’s, was sie lähmt.
 
 
Wenn in der Stadt des Aufruhrs rote Blitze zucken,
Wenn ferner Donner grollt, sie bleiben unbewegt,
Gewohnt, in dieses Lebens Schlachten sich zu ducken,
Weil den, der aufrecht steht, das Wetter niederschlägt.
 

Kato

 
Den weiten Faltenrock bis hoch ans Knie gerafft
Hat sie das rote Maul gewaschen ihren Kühen,
Die Streu zurecht gemacht, den Dung hinaus geschafft,
Die Luken aufgesperrt beim ersten Morgenglühen.
 
 
Jetzt darf die Kato, die grobknochige, dicke Magd,
Sich auf den alten wackeligen Schemel setzen;
Die Schatten drücken schwer, die Stalllaterne blakt,
Den Nacken deckt ihr ein zerschlissenes Tuch, ein Fetzen.
 
 
Im Holzschuh stecken ihre Füße nackt und bloß,
Ein grober, harter Lederschurz bedeckt die Lenden,
Die Beine breit gespreizt hält sie auf ihrem Schoß
Den Eimer, und den Euter streicht mit beiden Händen
 
 
Sie auf und nieder flink, ein Strahl spritzt blendend weiß
Ins zinnerne Gefäß, und Blase perlt an Blase,
Wie von Ranunkeln steigt der Duft berauschend heiß
Empor, behaglich schlürft ihn Katos breite Nase.
 
 
Beim ersten Dämmerschein und wenn der Tag verglimmt,
Wenn er im Mittag steht, sitzt Kato bei den Kühen,
Das ist ihr Amt, sie melkt. Ihr leerer Blick verschwimmt,
Sie träumt von ihrem Schatz, die roten Wangen glühen.
 
 
Der Müllerbursche ist’s, ein Junge, der’s versteht,
Ein derber, großer Kerl, so einer von den dreisten,
Er paßt ihr immer auf, wenn sie zur Mühle geht,
Und schmatzt sie gründlich ab, sie weiß, er kann was leisten.
 
 
Doch ihre Kühe halten sie zurück im Stall,
Zehn, zwanzig, dreißig, die im Fette alle glänzen,
Sie recken ihre breiten Kruppen, straff und prall,
Die glatten Flanken peitschen sie mit langen Schwänzen.
 
 
Sind sie gepflegt? nichts leuchtet heller, als ihr Fell!
Und stark? an denen geht das Futter nicht verloren!
Das Wasser peitscht im Trog ihr Hauch, wie Sturm den Quell,
Mit ihren Hörnern können sie ein Brett durchbohren.
 
 
Und jeder Bissen wird zermalmt, das Maul verschlingt
Den Klee, die Esparsette, Rüben, Kleie, Möhren,
Der Hals ist langgestreckt, ein lautes Schnaufen dringt
Zufrieden aus der Brust, behaglich anzuhören.
 
 
Wenn Kato mit den Schwielenhänden Rüben schabt,
Dann stoßen sie den Korb, wie um die Magd zu necken;
Das trockne Heu, das auf dem Boden lagert, labt
Sie schon, wenn durch das Loch dort oben sie’s entdecken.
 
 
Aus Fachwerk ist der Stall. Gar seltsam drollig reckt
Auf seinem hohen Stuhl das alte Dach die Glieder,
Schwer sitzt es da, mit Stroh und Binsen eingedeckt,
Tief hangen die zerzausten Flügel seitwärts nieder.
 
 
Die Sonne fällt von oben durch das Bodenloch,
Sie wärmt das Vieh im Stand mit ihren Feuerduschen,
Die letzten Strahlen hauchen auf die Riste noch
Den leisen Rosaton, wenn sie vorüber huschen.
 
 
Doch drin im Stalle steigt ein Nebel feucht und warm
Vom Dung und von der Streu empor und von den Raufen,
Es qualmt der Mist, im heißen Dampfe summt ein Schwarm
Von großen Fliegen um den hochgetürmten Haufen.
 
 
Das ist das Reich, wo die vierschrötige Kato haust,
Fern von des Bauern Zorn und von des Pfarrers Predigt,
Wo auf dem Heu der Müllerbursch sie zwackt und zaust,
Wo er sie herzt, nachdem das Tagewerk erledigt.
 
 
Verschlafen träumt der Stall, geschlossen ist das Tor,
Der Nacht, die schweigend sie umgibt, gebührt Vertrauen;
Kein Laut schlägt jetzt an des verliebten Pärchens Ohr,
Als einer wachen Kuh Geschmatz beim Wiederkauen.
 

Des Mönches Tod

 
Des alten Mönches Stündlein schlägt. O Herr, erbarm
Dich seiner Seele, nimm sie gnädig in den Arm,
 
 
Wenn Mühsal endlich ihn erkennen läßt und ahnen,
Daß er nicht länger sich den steilen Pfad kann bahnen;
 
 
Wenn starr und gläsern schon sein mattes Auge blickt,
Ein letztes Lebewohl dem Sternenhimmel schickt;
 
 
Wenn seine bleichen Lippen, die im Fieber brennen,
Noch einmal Deinen heiligen Namen leise nennen;
 
 
Wenn kalter Schauer Not das schwache Fleisch ergreift
Im Augenblicke, da der Todeshauch es streift;
 
 
Wenn schwere Finsternis schon auf dem Geiste lastet
Und zitternd noch einmal die Hand zum Kreuze tastet;
 
 
Wenn man ihm, da des letzten Kampfes Schrecken dräut,
Die Arme kreuzt und Asche auf die Stirne streut;
 
 
Wenn sie zum Abschied Deinen Leib dem Müden reichen
Als Zehrung für den Weg und der Erlösung Zeichen;
 
 
Wenn bitterer Todesschweiß, der aus den Poren bricht,
Das blasse Antlitz wäscht beim Kerzenflackerlicht;
 
 
Wenn sich die Brüder betend zu der Leiche bücken,
Für alle Ewigkeit die Augen zuzudrücken;
 
 
Wenn dieser abgezehrte Leib, im Tod erstarrt,
Den Keim des Wurmes trägt, der seines Mahles harrt;
 
 
Wenn er, bevor die Sonne noch zur Rüste schreitet,
Zur Ruhe bei den andern draußen wird geleitet;
 
 
Wenn gleich darauf sein Grab Vergessenheit verschließt,
Ein Schloß auf einem Buch, das keiner kennt noch liest;
 
 
O Herr, empfange Deinen Diener dann in Gnaden,
Laß seine Seele sich in Deinem Lichte baden.
 

Betrachtung

 
Beglückt, o Herr, wer ruhig in Dir wohnt und still!
Des Tages Qual wird niemals ihm den Frieden rauben,
Der Tod erschreckt ihn nicht, nie frißt an seinem Glauben
Der finstere Wahn der Zeit, die Dich nicht kennen will.
 
 
Der Ruhm ist eitel, Menschenwerk zählt nur nach Tagen,
Was ward aus jenen Spöttern, die sich frech gebläht?
Ihr alle, die Ihr an der Gruft vorüber geht,
Fragt nur die Würmer, die an ihrem Fleische nagen.
 
 
Die Tage folgen sich in ruheloser Hast,
Kurz währt die Freude nur, ob Ihr auch klagt und jammert;
Dieweil Ihr Euch an Euer Glück, das hohle, klammert,
Fühlt Eure Hand den Moder nicht, den sie umfaßt.
 
 
Kein Wissen, das den Zweifel nicht im Innern trüge
Gleich einer Frucht, erstorben schon im Mutterschoß!
Zieht Eures Weges nur und dünkt Euch frei und groß,
An dieser Schranke enden Eures Geistes Flüge.
 
 
Das Fleisch vergeht, ach, seine Stunde naht gar schnell,
Von Anbeginn setzt sich der Fluch auf seine Fährte,
Zerrissen ward noch jede Brust, die Hochmut nährte —
Denkt an die Hunde jener stolzen Jezebel!
 

Die Bäume

 
Des Abends, wenn im Herbst die Sonne rosig zart
Im Untergehen färbt das bleichende Gelände,
Sieht man vom Kreuzweg aus in Fernen ohne Ende
Die Bäume alle wandern auf der Pilgerfahrt.
 
 
Die Pilger brechen auf, in stiller Trauer wallen
Sie durch den Abend fromm, gedankentief einher.
Die Riesenpilger ziehn die Straße, langsam, schwer,
Verdüstert lassen sie des Laubes Träne fallen.
 
 
Die Pilger schreiten fort im langen Doppelglied,
Seit wieviel Jahren schon? kein Ruhen und kein Rasten
Verzögert ihren Gang nach dem schon längst verblaßten,
Verwelkten Ruhm, der sie zum Horizonte zieht.
 
 
Die Pilger gehn des Wegs, im Dämmerlicht verlängert
Der Mantel sich, er schleppt von goldnem Glanz getränkt,
Den ihm die Sonne in die dunkeln Falten hängt,
Die Straße ist von Staub und Weihrauchdunst geschwängert.
 
 
Die Pilger steigen an, wo es zur Höhe geht,
Stumm blicken auf den Zug entlang der ganzen Strecke
Verzückte Dörfer, glut- und inbrunstvolle Flecke,
Sie fallen auf die Knie und harren im Gebet.
 

Die Tränke

 
In einer tiefen Falte der gewellten Erde
Dehnt stille träumend sich des Teichs Melancholie,
Als Schwemme dient der Ort dem bunt gefleckten Vieh,
Im Wasser bis zum halben Leibe steht die Herde.
 
 
Da sind sie, wo der Weg zur Tränke niedersteigt,
Die Kühe schreiten schwer, die muntern Rosse laufen,
Die Ochsen schwarz und rot, die stets in dichten Haufen
Den Hals zur Sonne blökend strecken, die sich neigt.
 
 
Nun sinkt das All ins Nichts, mit jedem Tage sterben
Den längst gewohnten Tod die Dinge, es entfärben
Sich Licht und junger Trieb und Glanz und Blütenduft;
 
 
Ein Leichentuch legt auf die Saat sich feuchte Luft,
Endlos versinkt der Weg in Wolken grauen Dampfes,
Die Rinder röcheln wie im Schmerz des Todeskampfes.
 

Der Schrei

 
Still liegt der Weiher, braune Wasser träumen träge,
Im schwanken Schilfe hängt der Abendsonne Strahl,
Ein schriller Vogelschrei hallt durch das müde Tal,
Er kündet traurig eines Herzens letzte Schläge.
 
 
Wie schwach und schüchtern er aus tiefer Ferne taucht,
Wie er verzweiflungsvoll und jammernd näher schreitet,
Wie er sich dehnt, wie er im Flug sich streckt und weitet,
Wie er am Horizont verschwindet und verhaucht!
 
 
Sein Röcheln mißt die Zeit im Gleichmaß der Sekunden,
Ein kleiner, dünner Ton, der klagend weiter schwingt;
Der matte Widerhall, der durch die Lüfte hinkt,
Erzählt verzagt vom Schmerze trüber Dämmerstunden.
 
 
Kein Netz fängt diesen Schall, der träg vorüber zieht,
Dies unermüdliche, gedehnte Abschiedsläuten!
Wer ihn auch immer hört, weiß diesen Klang zu deuten,
Der einer Seele gilt, die aus dem Leben schied.
 
 
Ist es die Rose, sind es bunte Schmetterlinge,
Ist’s weißer Blütenduft, ein Käfer, ein Insekt,
Ein ferner Flug, der kühn zur Sonne sich gereckt,
Und jetzt im Moose ausruht mit gebrochner Schwinge?
 

Die Nacht

 
Die weite Ebene schläft, der müde Tag ergraut,
Der Schatten wälzt den Stein, er schlägt ihn und er hämmert,
Die Mauer wächst empor, und durch den Abend dämmert
Ein Escurial, aus schwarzem Silber aufgebaut.
 
 
Tief wölbt aus Ebenholz und Gold sich dieser Himmel,
Die Pinie reckt sich hoch von Zaubermacht belebt,
Dem schlanken Pfeiler gleich, der nach der Kuppel strebt,
Die Sterne flammen auf, von Augen ein Gewimmel.
 
 
Wie Leichentücher, die die Fackel grell erhellt,
Erglänzen stille Seen, vom Mondschein übergossen,
Die Äcker, durch das Licht umrissen und umschlossen,
Sind ein gewaltiges, verträumtes Gräberfeld.
 
 
Jetzt baut das Schloß, darinnen Furcht und Schrecken lauert,
Geheimnisvoll die Nacht mit rätselhafter Hast,
Für einen unbekannten Kaiser den Palast,
Der irgendwo in tiefen Finsternissen trauert.
 

Die Straßen

 
An Flämmchen, die durch endlos lange Gassen irren,
Entzünden die Laternen sich beim Straßenbord,
Jetzt die und dann die nächste, und so immerfort
Den Schatten nach, die leise durch den Abend schwirren.
 
 
Gradaus streckt sich die Straße, traurig eingefaßt
Von Häusern, die in ödem Einerlei sich gleichen,
Um draußen tief im Sand ihr Ende zu erreichen,
Ein abgebrochner Stumpf. Dahinter ein Morast.
 
 
Die dicken Nebel drücken nieder, sie benützen
Des Daches First, dort hakt das Leichentuch sich ein,
Durch dunkle Wolken bricht des Mondes bleicher Schein,
Er spiegelt zitternd sich in fäulnisschwangern Pfützen.
 
 
Ein Karren schwankt hinaus, der Rosse Atem dampft,
Der Wagen ächzt und kreischt, selbzweit mit steifen Beinen
Keucht müde das Gespann auf abgetretenen Steinen,
Die seiner Hufe abgetretenes Eisen stampft.
 
 
Im grauen Dunst erwacht das Firmenschild am Laden,
Das jetzt ein heller Strahl der Gaslaterne trifft,
Wie Tränen glänzt der Riesenlettern goldne Schrift,
Die Scheiben bluten rot, die Herzen der Fassaden.
 
 
An Flämmchen, die durch endlos lange Gassen irren,
Entzünden die Laternen sich beim Straßenbord,
Jetzt die und dann die nächste, und so immerfort
Den Schatten nach, die leise durch den Abend schwirren.
 

Das Idol

 
Von Efeu eng umspannt und schwer bedrückt von Pinien
Hebt von des Horizontes fahlem Dämmerschein
Der Berg sich, einem schwarzen Riesenbild von Stein
Vergleichbar sind die großen, feierlichen Linien.
 
 
Die Sonne, die sich neigt, umkränzt mit Strahlenpracht
Die Stirn, ein Feuer loht von Bronze und Karfunkel,
Und dieses goldene Geschmeide, das im Dunkel
Den reichen Glanz verschwendet, lockt aus tiefem Schacht
 
 
Die Schatten grauser, rätselhafter Göttersage,
Erinnerung versunkner Zeiten, die erstarrt
Auf ungeheurer Genien Werden einst geharrt,
Aus deren Blick Äonen ihrer Schöpfungstage
 
 
Ins Leere schaun. Der Berg beherrscht den Raum, die Last
Ruht wuchtig auf dem Wald, bedrückt das Blachgefilde;
Das Haupt hebt sich vom Platz, nach seinem Spiegelbilde
Umzuckt vom Wetterstrahl zu spähen im Morast.
 
 
Und wenn die Täler, wenn des Waldes Wipfel schwinden,
Wenn mit dem Nebel dieses Abends Klagelied
Nach oben trauernd steigt, erwacht der Traum und sieht
Das Opfer sich im Qualm der roten Flamme winden.
 

Unkraut

 
Der Aberwitz sproßt wie das Kraut der tauben Nessel
Aus unseres Herzens Grund, aus Seele und Gehirn,
Kein Heiland mehr steht auf, kein Held mit freier Stirn
Und wir verkommen in des Köhlerglaubens Fessel.
 
 
Zum Stumpfsinn führt mein Weg, zur Sonne, die das Feld
Bleich wie der Mond am Tag bestrahlt, zu seinem tollen,
Verrückten Widerhall, das Echo hör ich rollen
Und auch den roten Hund, wie er da unten bellt.
 
 
Vom Schnee umrahmt ein See in tiefer Abendröte,
Ein Vogel, der vom Sturm gewiegt zu nisten wagt,
Im Dunkel gähnen Höhlen, unbeweglich nagt
Davor an einem Stückchen Grün die goldne Kröte.
 
 
Um nichts sperrt sich des Reihers Schnabel auf, es loht
Ein Strahl, die Fliege sitzt erstarrt im warmen Kreise,
Frohsinn, der längst sich selbst vergaß, tickt müd und leise …
Ich weiß es wohl, das ist des Narren stiller Tod.
 

Gebet

 
Du Mond von Frost in goldner Grotten tiefer Stille,
Silberne Schwerter, Klingen ihr von Erz und Stahl,
Du Mitternacht, die du geheimnisvoll im Tal
Emporsteigst wie ein stummer, zielgewisser Wille,
 
 
Es harrt mein Herz des Dolchs, den ihm dein Schweigen wetzte,
Der letzten Hülle harrt, des Grabes harrt die Gier,
O helle Mitternacht, der Fackel weih ich hier
Des Lebens großen Traum, den Speer und Spieß zerfetzte.
 
 
Mein heißes Auge späht in deine tiefen Schauer,
Es ringt die leere Hand, die zitternd allerwärts
Gesucht, getastet hat, nach deines Rates Erz,
O Mitternacht, wie kalt fällst du auf meine Trauer!
 
 
So manch erstorbner Blick, so manches Auge graute
Vor deinem Angesicht, verzweiflungsvoll gespannt,
Vom Sonnenuntergang gefesselt und gebannt
Dort, wo der Winter seine Leichenkammer baute.
 
 
Nichts wird von dem was meine Klage war beharren,
Denn alles Menschenwerk, es ist umsonst getan;
O stille Mitternacht, laß meines Herzens Wahn,
Das Leid, das Lied und auch die Angst zu Eis erstarren.
 

Das Schwert

 
Einst hat mir einer, der ein blankes Schwert getragen,
Voll Hohn ob meines dürren Stolzes prophezeit:
Nichts wirst Du sein! in Deiner Zukunft leeren Tagen
Harrt Deiner Reue nur um die Vergangenheit.
 
 
Der Ahnen reines Blut wird in Dir schal und trocken,
Dein schwacher, träger Leib bricht unter jeder Last,
Gekrümmt vom Fieber wirst Du an dem Fenster hocken,
Dieweil vorüber wogt des goldnen Lebens Hast.
 
 
Verdorrte Nerven ziehen Deinem Willen Schranken,
Die Nägel werden weich und schlaff an Deiner Faust,
Zum Grabe wird die Stirn ohnmächtigen Gedanken,
Sie schreckt Dich, wenn des Nachts Du in den Spiegel schaust.
 
 
Flieh vor Dir, wenn Du kannst. Es wird Dir nicht gelingen,
Dir selbst und allen Menschen Knecht bist Du nicht frei,
Dein Rücken ist gebeugt, Dein Fuß verstrickt in Schlingen,
Längst ward Dein Haupt entthront, längst füllt die Adern Blei.
 
 
Da draußen wogt der Kampf, dort wird die Schlacht gewonnen,
Es hat Dein bleicher Mund das Banner nie geküßt,
Dein Herz ist welk, in alte Texte eingesponnen,
Die blöder Witz wie Tuch zerschneidet und vermißt.
 
 
Du bleibst allein. Zurück zur Jugend spähn die Sterne
Des Auges, doch vergebens lockt sie der Magnet,
Verzweifelnd lauschst und einsam Du, wenn in der Ferne
Der Siege frohes Wetter donnernd niedergeht.