Kostenlos

Französische Lyrik alter und neuer Zeit in deutschen Versen

Text
Autor:
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Maris stella

 
Von Tannenholz der Schuh, die Haube weiß wie Schnee,
Aus Wollenstoff das Kleid, die Schürze von Perkale,
Sie liegen auf den Knien, ach, zum wievielten Male,
Am steilen Klippenrand, in Bangen und in Weh.
 
 
Die Männer, Väter, Söhne, Brüder sind auf See
Mit denen von Paimpol, Audierne und Cancale,
Im Norden stellen sie dem Hering nach, dem Wale,
Hart ist des Fischers Los und hart war es von je.
 
 
Fromm tönet übers Meer, das sich unendlich weitet,
Der Bittgesang zum Stern, der jeden Schiffer leitet,
Und die bewegte See wird mählich wieder still;
 
 
Der Abendglocken Ruf läßt alle Häupter neigen,
Sie schallen von Roscoff, vom Turm von Sybiril,
Der Himmel färbt sich rot, sie schwellen an und schweigen.
 

An Ernesto Rossi

Nach einer Dante-Deklamation.


 
O Rossi, ich hab Dich gesehn, da Du gelassen
Opheliens Herz zertratst wie eine Blume, Dir
Hab zitternd ich gelauscht, da Du, ein wildes Tier,
Desdemona erwürgt – , ich konnte es nicht fassen.
 
 
Den Macbeth habe ich bewundert und den Lear,
Ich sah Dich letzten, der zu lieben weiß, zu hassen
Auf Italienerart, wie Juliens Mund, den blassen,
Du küßtest. Größer schienst Du eines Abends mir.
 
 
Da hab ich es erlebt, erschüttert und begeistert,
Zum ersten Mal, wie die Terzinen Du gemeistert,
Sie schmetterten gleich ehernem Drommetenklang.
 
 
Und meine Seele wähnte bebend, voller Grauen,
Umzuckt von roter Lohe Dante selbst zu schauen,
Leibhaftig, wie der Hohe den Inferno sang.
 

Jacques Normand

geb. 1848

Nach dem Essen

 
In dem Ledersessel friedlich,
Höchst gemütlich,
Sitzt der Gastfreund. Wie ein Schlauch
Bläst er aufwärts im Verdauen
Dichten blauen
Leicht gewellten Tabaksrauch.
 
 
Nach der glänzenden Verpflegung,
Der Erregung,
Dem Geschwätz beim Mittagsmahl
à l’anglaise sich zu strecken,
Sich zu recken,
Das ist einfach ideal.
 
 
Und dann sitzt man so vertraulich
Und beschaulich
„Unter uns“, nicht jedermann
Will im Bilde ängstlich bleiben
Und umschreiben,
Was man deutlich sagen kann.
 
 
Nein, wir sprechen frei! O Wunder,
Der Burgunder
Löst die Zunge. Manchem schon
Hängt der Himmel voller Geigen,
Weshalb schweigen?
Jetzt riskiert man einen Ton.
 
 
Nur nicht Politik, nicht Wahlen,
Keine Zahlen,
Solche Themen sind zu fein,
Sowas darf man sich nicht leisten,
Denn die meisten
Schlummern dabei friedlich ein.
 
 
Lieber so ein Anekdötchen,
So ein Zötchen,
Das die Laune nicht verdirbt,
Das im enggeschlossnen Kreise
Seine Reise
Fröhlich antritt und auch stirbt.
 
 
Man erfährt von Eingeweihten
Neuigkeiten,
Das Ballett wird durchgesiebt,
Dankbar hört man Jagdgeschichten
Neu berichten,
Die der Ahnherr schon geliebt.
 
 
Was nach einem guten Essen
Angemessen,
Wird mit Wichtigkeit erzählt,
So gewährt des Geists Entfaltung
Unterhaltung,
Die das ernste Haupt nicht quält.
 
* * *
 
Einsam sitzen unterdessen,
Fast vergessen,
Schöne Damen. Edler Stil
Sind sie alle und Vollendung,
Jede Wendung
Zeigt beim Plaudern Halbprofil.
 
 
Jeder kann von diesen Sternen
Etwas lernen,
Was ihn mit der Welt versöhnt,
Von dem Wetter oder lieber
Noch vom Fieber
Und wie Baby man entwöhnt.
 
 
Eine Schneiderin empfehlen
Gute Seelen,
Andere wissen andern Rat;
Diesen Winter trägt man Loden,
Nein, die Moden
Sind abscheulich, in der Tat.
 
 
Manches läßt man sich wohl bieten,
Doch Visiten
Nicht erwidern ist nicht fein,
Bleibt man selber welche schuldig,
Soll geduldig
Immer hübsch der andere sein.
 
 
Ein Roman, den jedes Wesen
Schon gelesen
Oder augenblicklich liest,
Wird bewundert. Sehr erquicklich
Und auch schicklich
Ist es, was man da genießt.
 
 
Der Tenor … um Gottes Willen!
Meine Pillen
Tuen glücklich ihre Pflicht,
Ach, die Leute … alle Tage
Solche Plage,
Nein, man glaubt es wirklich nicht.
 
 
Unser Doktor ist sehr peinlich.
Höchst wahrscheinlich
Gehn wir diesmal an die See.
Vom Theater wird gesprochen.
In die Wochen
Kommt sie wieder mal … o weh!
 
 
Unerschöpflich quillt der Segen,
Dauerregen
Netzt in Strömen das Gesträuch.
Trotzdem sieht sofort der Kenner,
Ohne Männer
Plagt die Langeweile euch.
 
 
Arme Damen, seid bedauert,
Denn ihr lauert
Auf das stärkere Geschlecht.
Ach, Ihr könnt noch lange harren,
Die Zigarren
Fordern mitleidlos ihr Recht.
 
* * *
 
Gott sei Dank, da sind sie endlich!
Selbstverständlich
Duften alle nach Tabak,
Nach dem Kraute der Havanna,
Frisches Manna
Hat ganz anderen Geschmack.
 
 
Doch die Frauen sind ja alle
Ohne Galle!
Manches liebliche Duett
Tönt sofort. Nein, was ich sage,
Ohne Frage,
Dieser Abend war zu nett.
 

Taubenschießen

 
Nachmittag ist es, lau und linde,
Kein Sonnenschein, kein Hauch im Winde.
 
 
Des Himmels Blau ist nicht recht klar,
Wie Seide glänzt es auf ein Haar.
 
 
Die weiche Luft, die schwere, satte,
Ist wie ein dichter Bausch von Watte.
 
 
Behagen, Frieden ringsherum
Und Schweigen, alles still und stumm.
 
 
Ein kurzes Rollen nur, ein matter
Halblauter Ton, Gewehrgeknatter.
 
 
Ein Taubenschießen. Drüben stehn
Die Schützen, deutlich kann man sehn,
 
 
Wie von dem Hintergrund die Gruppen
Sich lösen gleich bewegten Puppen.
 
 
Sie treten nach der Reihe an,
Korrekt und aufrecht jedermann.
 
 
Von Zeit zu Zeit auf grünen Matten
Ein flüchtiger bewegter Schatten.
 
 
Der Vogel flattert auf erschreckt,
Schon ist er von dem Blei gestreckt.
 
 
Ein scharfes, abgehacktes Knallen,
Zu Boden sieht man etwas fallen.
 
 
Der Hund springt zu, er packt es fest,
Er gibt dem armen Tier den Rest.
 
 
So geht es weiter ohne Gnade,
Kein Ende nimmt die Füsillade.
 
 
Durch blaue Lüfte zuckt der Blitz,
Ein Messerstich, kurz, scharf und spitz.
 
 
Gemetzel, sinnlos, feig, empörend,
Des Tages heiligen Frieden störend.
 
 
In dieses Himmels reiner Luft
Der Mensch allein ein Schelm, ein Schuft,
 
 
Der Hekatomben, weil’s ihn lüstet,
Zum Opfer bringt und sich noch brüstet,
 
 
Der rings des Todes Saaten sät,
Damit die Stunde schnell vergeht.
 

Aufrichtig

 
Jüngst las ein Buch ich, das ein Symbolist geschrieben,
Ein höchst profunder Geist, ein starker Geist, mag sein,
Jedoch so stark und tief, dabei so zart und fein,
Daß mir von der Lektüre Kopfschmerz nur geblieben.
 
 
Ich muß gestehn, ich hab Ästhetik nie getrieben,
Für diese Welten ist mein armes Hirn zu klein,
Solch hoheitsvolle Denker gehen mir nicht ein,
Mit einem Wort: Ich bin ein Schaf. Ganz nach Belieben.
 
 
Ich bin ein Schaf. Gut. Abgemacht. Es bleibt dabei.
Ich finde niemals, ob gezwungen oder frei,
Die Schönheit, wo die Worte sich im Dunkeln balgen.
 
 
Ich bin ein Spießer, ein Philister, einerlei,
Darauf laß ich mich hängen. Doch mein letzter Schrei
Ist noch: Die Klarheit hoch! Jetzt schleppt mich hin zum Galgen.
 

Um den Ruhm

 
Beerdigung allerersten Ranges. In den Hallen
Der Madeleine ist heute ganz Paris zu sehn,
Kunst, Presse, Parlament, kaum kann man sich noch drehn.
Das war ein Mann! Kein Apfel kann zur Erde fallen.
 
 
Er starb. Hat er gelebt? Er lief dem Ruhm nach, allen
War er im Wege. Nichts ist ohne ihn geschehn,
Da hieß mit einem Mal der Tod ihn stille stehn,
Es war vorbei. Er packte ihn mit Geierskrallen.
 
 
Der greise Priester mit dem dünnen Silberhaar,
Mit seinem schönen Kopf, mit Augen hell und wahr,
Hebt die Monstranz. Kein Laut im weiten Heiligtume.
 
 
Hier dieser Lebende und dort der Tote. Zwar
Bin ich kein Großer, doch dies eine ist mir klar:
Ein Schritt zu Gott gilt mehr als tausend Schritt zum Ruhme.
 

Jean Richepin

geb. 1849

Unsere Vergnügungen

 
Wenn uns mal, dieweil wir jung,
Lustig stimmt ein guter Trunk,
Kläfft die ganze Meute.
Ach, die Tage eilen so,
Und nicht jeder Tag ist froh,
Wir sind arme Leute.
 
 
Narren nennt uns jedermann,
Aber keiner denkt daran,
Daß, um muntere Lügen
Durchzuführen, mancher friert
Und vor Hunger fast krepiert,
Das ist kein Vergnügen.
 
 
Kälte, Durst und Hunger sind
Untertan dem Königskind,
Das sie Dichter heißen.
Armer König, oft gäb er
Dreimal seine Krone her,
Hätt er was zu beißen.
 
 
Manchem, dem einst ferne Zeit
Sicherlich ein Denkmal weiht,
Blühen späte Rosen;
Wißt ihr, was ihm besser frommt,
Bis es einmal dazu kommt?
Ein Paar neue Hosen.
 
 
Wenn uns heller Glanz bestrahlt,
Mord und Tod! Der ist bezahlt,
Ist’s mit Wucherzinsen.
Und der Magen, der uns zwackt,
Schlägt zu der Musik den Takt,
Hört sie an mit Grinsen.
 
 
Die ihr heimlich trinkt und zecht,
Die ihr täglich regelrecht
Dreimal findet Futter,
Macht nicht immer gleich Skandal,
Wenn auch unsereiner mal
Kommt zu Brot und Butter.
 
 
Wenn ihr schon ein Lied wo hört,
Das euch die Verdauung stört,
Nur kein Donnerwetter!
Trockne Kehle, leerer Bauch,
Lieben Wein und Braten auch,
Nicht bloß Lorbeerblätter.
 
 
Nehmt es drum nicht zu genau,
Heute ist der Himmel blau,
Also lustig heute!
Ach, die Tage eilen so,
Und nicht jeder Tag ist froh,
Wir sind arme Leute.
 

Unsere Rache

 
Der Bourgeois nährt sich, still verdaut
Der brave Bursche dreimal täglich,
Und wenn er einen Dichter schaut,
Dann lacht er, denn dem geht es kläglich.
 
 
Mitunter dreht der Spieß sich um!
Dann sieht der Dichter mit Behagen
Vorm Schauspielhaus das Publikum
Sich um die Eintrittskarten schlagen.
 
 
Und wenn sodann das Spiel beginnt,
Kann man sie leicht zu Tränen rühren;
Wie selten merkt das große Kind,
Daß wir es an der Nase führen.
 
 
Doch vom Theater abgesehn,
So haben wir noch gegen Laffen,
Die protzig stets im Wege stehn,
Verschiedene andere gute Waffen.
 
 
Wir haben Leben, Lieder, Lust,
Den Geist, der schweres leicht erledigt,
Den großen Stolz in unserer Brust,
Der uns für manches Leid entschädigt.
 
 
Dann gab ein Gott uns zweierlei,
Um dessentwegen sie uns hassen:
Wir sind noch jung, wir sind noch frei,
Keck dürfen wir uns sehen lassen!
 
 
So’n Kerl wirft sich in Positur:
„Oho, Ihr seid die rechten grade,
Ihr lauft ja auf die Groschen nur,
Mein Kind, das ist für Euch zu schade.“
 
 
Wir mögen saure Früchte nicht,
Dein Töchterlein ist dürr zum Lachen,
Das Geld verschönert kein Gesicht,
Es kann auch keinen Busen machen.
 
 
Die Vogelscheuche! neben ihr
Sitzt Deine Frau, Du armer Schächer;
Ein flüchtiger Blick … hier sitzen wir,
Und sie errötet hinterm Fächer.
 
 
Das Mägdlein halte Dir getrost,
Denn wir sind Kenner, unsere Zunge
Verschmäht solch kümmerliche Kost —
Wir haben Deine Frau, mein Junge!
 

Mein Glas ist leer

 
Einst goß ich, ein froher Zecher,
Meinen Lieblingswein
In den hell geschliffnen Becher
Ohne Sorgen ein.
Wenig konnte nie genügen,
War der Wein auch schwer,
Trank ich doch in vollen Zügen …
Dieses Glas ist leer.
 
 
Wein des Ruhms, an jedem Orte
Wirst Du hoch gelobt!
Auch ich hätte diese Sorte,
Ach, wie gern geprobt.
Perlen sah ich ihn und schäumen,
Mehr und immer mehr
Schlürfte ich – in meinen Träumen …!
Dieses Glas ist leer.
 
 
Liebe, brr! ein saurer Krätzer,
Dem gar mancher flucht,
Trotzdem hab ich harter Ketzer
Oftmals ihn versucht,
Danach stand in jungen Tagen
Immer mein Begehr,
Hab auch ziemlich viel vertragen …
Dieses Glas ist leer.
 
 
Älter ward ich und mein Sehnen,
Einsam und allein
Hab ich auch aus salzigen Tränen
Schon gekeltert Wein.
Um mein Kreuz, da standen alle,
Mancher hob den Speer,
Lachend trank ich bittere Galle …
Dieses Glas ist leer.
 
 
Soll ich zürnen, soll ich hadern,
Tut kein Wein mir gut?
Ha, das Blut in meinen Adern
Kreist noch, schlechtes Blut!
Muß vom eignen Blute zehren,
Bringt den Becher her,
Laßt mich auch noch diesen leeren …
Dieses Glas ist leer.
 

Moderne Studie nach der Antike

 
Bah! Die Antike bleibt ein Bild von kalter Tugend,
Wir respektieren sie … ein Nachklang nur der Jugend!
Ein Vorurteil, mein Freund, gleich andern ist auch dies;
Nichts ist erlebt, nichts klar, nichts einfach, nichts praecis.
Wir wollen heut Detail und keine leeren Phrasen,
Die Alten … lieber Freund, da geht der Esel grasen.
 
 
… Die Hütte steht am Strand, mit Binsen leicht gedeckt,
Aus Weiden ist die Wand. Dort liegen ausgestreckt
Zwei Fischer auf dem Bett von Gräsern dürr und trocken.
Daneben Fanggerät. Die Köder, welche locken,
Die Angeln mit der Schnur, die Haken, etwas Tang,
Die Netze, Körbe auch zu bergen ihren Fang.
Geflochtne Reusen. Dann im Hintergrund, am Ende,
Zwei Ruder mit den Spuren harter Schwielenhände,
Ein wackeliges Boot auf Rollen und auf Stützen,
Armselige Lumpen und zwei alte Fischermützen.
Als Decken noch ein paar ganz abgenutzte Matten,
Dies alles, wie sie’s grade hingeworfen hatten,
Ihr ganzes Hab und Gut, ein Durcheinander bunt.
Nichts weiter, keine Tür, ja nicht einmal ein Hund.
Wozu denn auch? es würde kaum der Mühe lohnen,
Da beide ganz allein in dieser Öde wohnen.
Die Hütte liegt verlassen in der Einsamkeit,
Denn ihre Armut schützt sie vor der Menschen Neid.
 
 
Jetzt, Freundchen, darfst Du die Kritik zum besten geben!
Ist dieses Bild praecis, natürlich, hat es Leben,
Zeigt es Dir das Detail ganz einfach, ohne Schwall?
Sprich Dich nur offen aus, was sagst Du zu dem Fall?
 
 
Die Studie findest Du, ich will den Zweifel stillen,
Als einundzwanzigste in Theokrits Idyllen.
 

Auf Wache 5

 
Mein Junge, Du bist an der Reih,
Du hast die Wache bis um drei,
Wie willst Du Dir die Zeit vertreiben?
Lang wird die Nacht Dir am Kompaß,
Willst schlafen Du? ein schlechter Spaß!
Und träumen? Junge, das laß bleiben!
 
 
Horch lieber, wie die Woge braust,
Und horche, wie der Sturmwind saust,
Horch auf der Winde tollen Reigen;
Vielleicht gelingt Dir ein Gedicht,
Das wie ihr Laut zum Herzen spricht,
Das Herzen peinigt, wie ihr Schweigen.
 

Die Küste

 
Eine Festung, dies Gestade!
Lang gestreckt und weiß und grade
Liegt es da, ein fester Wall,
Und die Wogen, die Schwadronen,
Brechen sich in tiefem Fall
Jählings an den Mauerkronen,
 
 
Wälzen sich umsonst heran,
Stürmen stets von neuem an,
Um die Brüstung zu erreichen.
Vorwärts jetzt mit frischer Kraft,
Die Besatzung kommt ins Weichen,
Vorwärts jetzt, die Bresche klafft!
 
 
Drauf und dran, ihr wilden Koppeln,
Müßt die Kräfte jetzt verdoppeln,
Horch, wie toll die Trommel schlägt!
Hört ihr nicht den Sturmwind pfeifen?
Schnell die Böschung blank gefegt,
Wagt nur mutig anzugreifen.
 
 
Stücke Erde, groß und klein,
Stürzen ab und Felsgestein,
So, jetzt wanken schon die Zinnen!
Trümmer liegen überall,
Häufen draußen sich und drinnen,
Abgebröckelt ist der Wall.
 
 
Dringt durch die gesprengte Mauer!
Wütend flutet kalter Schauer,
Immer größer wird die Not.
Heulend nahen neue Gäste,
Reiche Ernte hält der Tod
In der fast erlegenen Veste.
 
 
Leichen häufen sich zum Turm,
Dämmen jetzt den wilden Sturm,
Decken rings die feuchte Erde.
Von Verstümmelten ein Hauf
Packt die abgehetzten Pferde,
Hemmt der müden Rosse Lauf.
 
 
Eine Festung, dies Gestade,
Lang gestreckt und weiß und grade!
Ohne Zagen wirft und baut
Diese Festung ohne Gleichen,
Daß es allen Feinden graut,
Barrikaden auf von Leichen.
 

Trockne Kiesel

 
Ach, ihr enttäuscht mich, meine Lieder,
Ihr gebt die Farbenpracht nicht wieder!
Sind auch die Worte noch so reich,
Sie scheinen unecht und erlogen,
Vergleiche ich sie mit den Wogen,
Wie sind doch meine Farben bleich!
 
 
Was aus dem Herzen mir geflossen,
Das hab ich treu hinein gegossen
In eines Mannes redlich Werk.
Wie fröhlich regte ich die Hände!
Jetzt da die Arbeit ging zu Ende
Erscheine ich mir wie ein Zwerg.
 
 
Du kannst nur leere Reime schmieden,
Dir ist ja doch kein Sieg beschieden,
Das freie Meer bezwingst Du nie.
Der Vers, den mühsam Du erdachtest,
Den zu Papier mit Fleiß Du brachtest,
Hat eine andere Melodie.
 
 
Sobald die Flut zurückgetreten,
Dann leuchtet, wie aus Blumenbeeten,
In aller Farben frohem Schein,
In weißem, rotem, grünem Schimmer,
In tausendfältig buntem Flimmer
Aus nassem Sand der Kieselstein.
 
 
Umrahmt von feuchter Tropfen Kranze
Erstrahlt der Stein im hellsten Glanze,
Er funkelt, wie in Gold gefaßt.
Die Sonne und die Winde kommen,
Schnell ist die Glut verlöscht, verglommen,
Schnell ist der Diamant verblaßt.
 
 
So leuchten mir auch die Gedanken,
Wenn meine Träume sie umranken,
Wie Kiesel auf dem feuchten Strand;
Doch ach, die Träume, sie verfliegen,
Seh auf dem Tisch Papier ich liegen,
Das nüchtern allen Glanz verbannt.
 
 
Was prächtig eben noch gefunkelt,
Das ist verblichen und verdunkelt,
Die bunten Farben halten nicht;
Die Phantasien, die mich locken,
Entschwinden, grau erscheint und trocken
Der Kieselstein und mein Gedicht.
 

Jean-Arthur Rimbaud

1854-1891

Mein Zigeunerleben

 
Ich bummelte, die Hände in den leeren Taschen,
Mein schöner Überzieher war längst in Verfall,
Der Himmel schien so hoch. O Muse, Dein Vasall
Versuchte träumend Liebesgötter zu erhaschen.
 
 
In meiner einzigen Hose war ein großes Loch.
Ich Däumling, der die Reime aus den Hülsen schälte
Und keck den großen Bären zum Quartier erwählte,
Vernahm das süße Rauschen meiner Sterne noch,
 
 
Als ich am Straßenrand mich lauschend niedersetzte;
Des Herbstes Abendtau, der meine Stirn benetzte,
Hat mich wie starker Wein begeistert und erquickt.
 
 
Zur Leier griff ich. Während rings die Schatten flogen,
Hab ich den Gummi aus dem kranken Schuh gezogen
Und flott drauf los gereimt, den Fuß ans Herz gedrückt.
 

Lebenstiefe

 
Wenn in des Abends Blau das Ährenmeer sich wiegt,
Streift mich der Halm, der mir sich neigt auf schmalen Pfaden,
Die Kühle fühl ich träumend, die den Fuß umschmiegt,
Und frei darf das entblößte Haupt im Winde baden.
 
 
Das Denken schlummert ein, dem Mund entflieht kein Wort,
Empor steigt grenzenlos die Liebe, still, allmählich;
Wie ein Zigeuner wandere fort ich, immer fort,
Allein mit der Natur … mit diesem Weibe selig.
 

Faunskopf

 
Im Laub, dem grünen, goldgefleckten Schrein,
In schwanken Ästen, die ihn zitternd hüten,
Schlief seines Mundes Kuß, der bittere, ein;
Jetzt hebt er wieder aus gewirkten Blüten
 
 
Den geilen Blick, der liebestolle Faun,
Die großen Blumen schlingt sein offner Rachen,
Dem Blut des alten Weines gleicht ihr Braun,
Durch das Gebüsch hallt sein verrücktes Lachen.
 
 
Schon ist er weiter wie ein Eichhorn flink,
Nur das Gelächter hängt noch in den Zweigen;
Den goldnen Kuß verscheucht ein frecher Fink,
Stumm ist der Wald und überall ruht Schweigen.
 

Aufregung

 
Im hellen Kellerfenster ducken
Fünf Kinderchen sich still und gucken
In kalter Nacht
Mit langem Hals und offnem Munde,
Wie man das Brot, das schöne, runde,
Da unten macht.
 
 
Sie sehn den grauen Teig, es wenden
Gesellen ihn mit flinken Händen,
Hoch aufgestreift,
Sie hören, wie vergnügt und lecker
Das Brot backt, wie der dicke Bäcker
Ein Liedchen pfeift.
 
 
Des Feuers milde Flammen locken
Wie einer Mutter Schoß; sie hocken
Ganz still, kein Glied
Bewegt sich, bis mit nacktem Arme
Der Bursch das Brot heraus, das warme,
Um ein Uhr zieht.
 
 
Wenn dann zur Mitternacht, zur stillen,
Der Brotgeruch, der Sang der Grillen
Steigt mit dem Rauch,
Dann spüren die zerlumpten Kleinen
Dort oben auf den kalten Steinen
Des Lebens Hauch.
 
 
Dann merken diese Kinderseelen
Nicht mehr, wie Frost und Kälte quälen,
Und leise flieht
Aus Mäulchen, die heut kaum gegessen,
Die sie ans kalte Gitter pressen
Ein altes Lied.
 
 
Dort unten lacht zu ihren Füßen
Der Himmel, den sie frierend grüßen,
Es schmeckt und schmatzt
Das kleine Volk, und alle bücken
Sich so weit vor, daß auf dem Rücken
Das Höschen platzt.
 

Der Schläfer im Tal

 
Ein grüner Winkel, wo im engen Bette munter
Das Bächlein singt und Silberfetzen aufgeräumt
An Gräser hängt, wo von dem stolzen Berg herunter
Die Sonne glänzt, ein Tal, das hell im Lichte schäumt.
 
 
Ein junger Krieger schläft barhaupt mit offnem Munde,
Der Nacken badet tief im frischen blauen Kraut,
Der bleiche Jüngling dehnt sich auf dem weichen Grunde,
Das grüne Lager ist vom Sonnenlicht betaut.
 
 
In Lilien ist der Fuß gebettet, um die Wangen
Spielt eines kranken Kindes Lächeln, das umfangen
Vom Traume ruht. Natur, umhüll ihn warm und gut,
 
 
Denn ihm ist kalt. Die Brust trinkt nicht der Blumen Düfte,
Er schläft im Sonnenbrand, die Hand auf seiner Hüfte,
Darunter sickert aus dem Herzen rotes Blut.
 

Der Schrank

 
Ein reich geschnitzter großer Schrank in dunkel Eichen,
Uralt, gleich alten Menschen blickt er gut und fein,
Die Tür steht auf, die Düfte, die daraus entweichen,
Umschmeicheln lockend Herz und Sinn wie alter Wein.
 
 
Ganz vollgestopft ist er mit tausend Kinkerlitzen,
Verblichner Wäsche, Wohlgerüchen, Weibertand,
Verkramtem Kinderzeug, mit längst verschlissnen Spitzen,
Mit Tüchern von der Großmama und buntem Band.
 
 
Dort finden sich vergessne Medaillons und Locken,
Weiß oder blond, Porträts, auch Blumen, welk und trocken,
Ihr Staubgeruch und Obst in stiller Harmonie.
 
 
Von ihren Vätern könntest künden Du den Söhnen,
Du alter Schrank, Geschichten wüßtest Du …! sowie
Sich Deine Türen langsam öffnen, mußt Du stöhnen.
 

Jules Jouy

1855-1897

Lied der Bergarbeiter

 
Woher kommt Ihr, sagt mir’s doch!
In der Erde schwarzem Schlunde
Hausen wir, im finstern Loch,
Auf verderbenschwangerm Grunde.
Da unten strahlt die Sonne nicht,
Im Schatten, bei der Grubenlampe Licht
Entflieht in trübem Einerlei die Stunde.
Das Leben jagt, des Schicksals Kugel rollt,
Wenn es uns auch grollt,
Ist’s dem Reichen hold,
Die schwarze Kohle wird zu rotem Gold.
 
 
Warum flieht Ihr, sagt mir’s doch!
Sind dem Tode grad entsprungen,
Unten erntet er im Loch
Und vergiftet uns die Lungen,
Wie schwarze Vögel durch die Nacht
Rauscht das Verderben durch den dunkeln Schacht,
Es rafft dahin die Alten und die Jungen,
Wir fahren täglich ein um kargen Sold.
Wenn das Schicksal grollt,
Ist’s dem Reichen hold,
Die schwarze Kohle wird zu rotem Gold.
 
 
Was verdient Ihr, sagt mir’s doch,
Wenn Ihr emsig schafft da drinne?
Unsere Arbeit dort im Loch
Bringt uns Elend zum Gewinne.
Vom Morgen bis der Tag erblaßt
Sitzt an dem Tisch der Hunger uns als Gast,
Die Kinder gehn in Lumpen, Herz und Sinne
Verdorren, unser Schicksal hat’s gewollt!
Wenn es uns auch grollt,
Ist’s dem Reichen hold,
Die schwarze Kohle wird zu rotem Gold.
 
5Der Dichter war in seiner Jugend Schiffsjunge.