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Französische Lyrik alter und neuer Zeit in deutschen Versen

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Théophile Gautier

1811-1872

Pastell

 
Ich liebe euch in den ovalen Rahmen,
Vergilbte Bilder einer fernen Zeit,
Euch, längst verblichne Rosen, und euch, Damen,
Die ihr verwelkt seit hundert Jahren seid.
 
 
Die Lilie schwand, die Rose und die Aster
Im Wintersturm, im Regen und im Schnee,
Der Spritzfleck ist jetzt euer Schönheitspflaster,
Verstaubt und rissig liegt ihr auf dem Kai.
 
 
Die Erde sah das Reich der Schönen schwinden,
Die Pompadour, sie würde heute kaum
Ergebene Sklaven, Untertanen finden,
In ihrer Gruft schläft sie und dieser Traum.
 
 
Doch ihr, vergessene Bilder mit den Blüten,
Aus denen Leben längst und Duft entschwand,
Ihr lächelt! Die Erinnerung wollt ihr hüten
An alles, was einst leuchtend vor euch stand.
 

Trost

 
Die Welt ist schlecht! Die Leute sagen,
Du trügest an demselben Platz,
Wo andere die Herzen tragen,
Nur eine Uhr, mein lieber Schatz.
 
 
O nein! Dein junger Busen dehnt sich,
Schwillt wie das Meer zur Zeit der Flut,
Dein junges Herz, es bangt und sehnt sich,
Und feurig kreist dein junges Blut!
 
 
Die Welt ist schlecht! Die Leute sagen,
Der Blick, mit dem du mich entzückst,
Du wüßtest ihn nur aufzuschlagen,
Wenn du auf eine Feder drückst.
 
 
O nein! in mancher bangen Stunde
Hab ich die Träne, süße Frau,
Dir fortgeküßt mit heißem Munde,
In dunkeln Wimpern hing der Tau.
 
 
Die Welt ist schlecht! Die Leute sagen,
Mein Kind, dein Köpfchen wäre hohl,
Die Verse, die ich vorgetragen,
Die hieltest du für Sanskrit wohl.
 
 
O nein! mit siegessicherer Miene
Blickst du mich an, dein Grübchen lacht …
Du liebe, süße, kluge Biene,
Wer hat nur solches Zeug erdacht?
 
 
Weil du mich liebst, laß dir es sagen,
Verfolgt dich böser Mäuler Neid,
Brauchst mich zum Teufel nur zu jagen,
Dann hast du Herz und bist gescheit!
 

Die Alten von der alten Garde 2

 
Mich hat aus meinem warmen Zimmer
Die Langeweile aufgescheucht,
Es war, wie im Dezember immer,
Im Freien neblig, kalt und feucht.
 
 
Ich sah, kaum konnt ich es begreifen,
Wie so etwas passieren mag,
Gespenster durch die Straßen streifen,
Gespenster hier am hellen Tag.
 
 
Ist dies die Nacht ruchloser Helden,
Wo unerlöste Seelen stumm,
Wie dies die deutschen Märchen melden,
In alten Türmen gehen um?
 
 
Ist dies die Nacht, wo Elfen schwärmen,
Wo sie geheimnisvoll und bleich
Im Totentanze seltsam lärmen
Rings um den traumverlornen Teich?
 
 
Ist dies die Nacht, die schaurig helle,
Die Er zur Heerschau ausgewählt,
Wo Er inmitten der Marschälle
Die Schatten der Getreuen zählt?
 
 
Doch Geister auf Pariser Gassen,
Zwei Schritt nur von den Varietés,
Wie können die sich sehen lassen
Im Straßenkot, im feuchten Schnee?
 
 
Ein Anblick, wahrlich, ein aparter!
Kein Zahn, nur Runzeln im Gesicht,
So zeigt der Boulevard Montmartre
Das tolle Volk im Mittagslicht.
 
 
So etwas sang noch nie ein Barde!
Den Tschako schwenkt die kleine Schar …
Die Uniform der alten Garde,
Dazwischen schleicht auch ein Husar.
 
 
Sie kommen langsam angezogen,
Mit müden Schritten, ohne Laut,
Ein jeder kennt die Bilderbogen,
Worauf man diese Alten schaut.
 
 
Der Tod gab sie nicht wieder heute,
Kein Trommler hat sie aufgeschreckt,
Es hat nur ein paar alte Leute
Des Kaisers Heimkehr aufgeweckt.
 
 
Seit sie die letzten Schlachten schlugen
Nahm dieser zu und jener ab,
Die Kleider, die sie damals trugen,
Sind dem zu weit und dem zu knapp.
 
 
Armseliger Trödel, heilige Fetzen,
Ihr Lumpen mit dem roten Band,
In keines Königs reichsten Schätzen
Trifft man ein schöneres Gewand!
 
 
Ein Haarbusch, der sich mühsam fristet,
Ein Pallasch mit zerbeultem Griff,
Die Motte hat sich eingenistet
Im Loch, durch das die Kugel pfiff.
 
 
Die Hosen schlagen tausend Falten,
Die Sporen fraß beinah der Rost,
Es schlottert mancher dieser Alten
Erbärmlich bei dem harten Frost.
 
 
Und wieder andere sieht man keuchen,
In ihren Dolman eingezwängt,
Mit wohlgepflegten dicken Bäuchen,
Die Nähte werden fast gesprengt.
 
 
Kein Spott! es wäre jammerschade,
Nehmt eure Hüte in die Hand,
Seht Helden einer Iliade,
Wie kein Homer sie je erfand.
 
 
Habt Ehrfurcht! diese Bronzefarbe
Hat aller Zonen Hauch gebeizt,
Die Stirn zeigt manch verharschte Narbe,
Die vieler Jahre Furchen kreuzt.
 
 
Ägyptens Wüste, heiß und trocken,
Sie dörrte jenen schwachen Greis,
Dem Rußlands kalte Winterflocken
Die braunen Haare färbten weiß.
 
 
Es zittern ihre müden Hände …
Die Beresina weiß, wovon!
Die Füße hinken … welch ein Ende
Von Moskau bis nach Lissabon!
 
 
Der geht gebückt … in hundert Nächten
Hielt ihn das Fahnentuch nur warm!
Dem fliegt der Ärmel an der rechten …
Gewiß, ihm fehlt der rechte Arm!
 
 
Drum keinen Spott! laßt sie nur gehen,
Die jeder Bube heut verlacht,
Den Morgen haben sie gesehen,
Wir aber sehen nur die Nacht.
 
 
Was ihr verlort, hier blieb’s erhalten!
Die Grenadiere, der Husar,
Seht vor der Säule diese Alten,
Da steht ihr Gott, ragt sein Altar.
 
 
Stolz auf das Leid, das sie getragen,
So hören Frankreichs Herz sie jetzt
Laut unter ihren Lumpen schlagen,
Die längst die Zeit zernagt, zerfetzt.
 
 
In Tränen wandelt sich das Lachen,
Rings wird es still mit einem Mal,
Entschlafene Zeiten, sie erwachen,
Das ist ein heiliger Carneval.
 
 
Und über diesem Maskenzuge
Und über dieser bunten Schar,
Da breitet noch einmal im Fluge
Den Fittich aus der Kaiseraar.
 

Charles Baudelaire

1821-1867

Mißgeschick

 
Zu schwer wiegt dieser Last Gewicht,
Kaum kann ein Sisyphus sie heben,
Die Kunst währt lang und kurz das Leben,
Selbst wenn es nicht an Mut gebricht.
 
 
Nie hab an ruhmbekränzten Särgen
Ich aufgeschluchzt, mich packt das Weh,
Der Gram, wenn ich an Gräbern steh,
Die namenlose Tote bergen.
 
 
Manch Kleinod ward in Nacht versenkt
Und Finsternis, kein Spaten denkt
Nach dem vergessenen Schatz zu schürfen;
 
 
Still haucht manch Blüte in die Luft
Wie ein Geheimnis ihren Duft,
Den tiefe Einsamkeiten schlürfen.
 

Das Ideal

 
O nein, sie sind es nicht, die leicht umrissnen Fratzen,
Die tauben Früchte dieser Zeit, vermorscht, verrucht,
Die hohlen Puppen, die geschmeidig falschen Katzen,
Sie sind es nicht, o nein, die meine Seele sucht.
 
 
Ich gönne Gavarni,3 dem Dichter der Chlorosen,
Dies Volk und sein Gekreisch, ihm und dem Hospital,
Nie blüht in wilder Pracht bei diesen bleichen Rosen,
Nie blüht auf diesem Beet mein rotes Ideal.
 
 
Es lebt ein andres Bild auf meines Herzens Grunde,
Der Lady Macbeth gleicht’s in ihrer Schicksalsstunde,
Dem Traum, der Aeschylus groß vor der Seele stand.
 
 
Dir gleicht es, ewige Nacht, wie einst in stolzen Tagen
Dich Michelangelo hat aus dem Stein geschlagen,
Dir, deren düsterer Reiz Giganten zwingt und bannt.
 

Der Vampyr

 
Die du gleich einem scharfen Stahl
Mir in das zage Herz gedrungen,
Die du, ein Dämon, mir zur Qual
Hast gleißend meinen Sinn bezwungen,
Du, die der Seele Schwung mir brach,
Die sie entweiht zum Lotterbette,
Die mich gefesselt an die Schmach,
Wie den Verbrecher an die Kette,
 
 
Wie Spieler an des Teufels Buch,
Wie Säufer an die vollen Gläser,
Wie ekle Maden an die Äser …
Verfluchte, dafür meinen Fluch!
 
 
Ich bat das Schwert: Hilf schnell und ehrlich
Mit einem Hieb, der offen trifft!
Verzweifelnd heischte und begehrlich
Erlösung ich vom feigen Gift.
 
 
Umsonst! sie höhnen und versagen,
Das schlechte Gift, das gute Schwert:
Du sollst die Ketten ewig tragen,
Du bist der Freiheit nicht mehr wert.
 
 
Füg Feigling dich! du wirst es müssen,
Denn brächten wir Erlösung dir,
Erwecktest du mit deinen Küssen
Zu neuem Leben den Vampyr.
 

Die Katze

 
Mein Kätzchen, zieh die scharfen Krallen ein,
Du liebes Ding darfst mich nicht kränken,
Ich will in deiner schönen Augen Schein,
In Stahl mich und Achat versenken.
 
 
Wenn meiner Finger Spiel dich niederzwingt,
Wenn aus dem Rücken, der sich windet,
Ein Funken in die Hand mir überspringt,
Den sie gleich einem Blitz empfindet,
 
 
Seh ich mein Weib. Ihr Blick trifft wie ein Pfeil,
Dem deinen ähnlich, scharf und frostig,
Er schneidet und er spaltet wie ein Beil;
 
 
Des leisen Duftes Zauber kost ich,
Der so gefährlich ist, so sicher siegt,
Der ihren braunen Leib umschmiegt.
 

Ganz und gar

 
Heut morgen, als die Hähne krähten,
Hat der Versucher mich beehrt,
Mit List ist er herangetreten,
Zu wissen hat er schlau begehrt:
 
 
„Von allen Reizen, die sie schmücken,
Von Farben, die an ihrem Leib
Dich so bezaubern und berücken,
Sag mir, was ist an diesem Weib
 
 
Das süßeste? Laß mich’s erkennen.“
Da sprachst du, liebe Seele mein:
„Ich kann nicht scheiden, kann nicht trennen,
Denn Balsam ist ihr ganzes Sein.
 
 
Da alles siegt, mag ich nicht sorgen,
Welch Zauber mich zum Sklaven macht,
Sie leuchtet, wie der helle Morgen,
Sie tröstet, wie die dunkle Nacht.
 
 
Wie könnte ich von tausend Liedern,
Die meines Ohres Muschel fing,
Die Harmonieen je zergliedern?
Mein Witz ist dafür zu gering.
 
 
Ein Traum erscheint mir ihre Nähe,
Doch welchem Sinn, ich weiß es nicht,
Musik ist alles, was ich sehe,
Ein Blütenhauch ist, was sie spricht.“
 

Nachmittagslied

 
Sonderbar ist dein Gesicht,
Hexe mit den bösen Brauen,
Mit den Augen, mit den schlauen,
Einem Engel gleichst du nicht.
 
 
Doch du reizest mich, Frivole,
Schreckliche, weckst meine Gier,
Schauernd nahe ich mich dir,
Wie der Priester dem Idole.
 
 
Balsam strömt aus deinem Haar,
Strömt aus des Gewandes Falten,
Deine Art, den Kopf zu halten,
Zeigt mir, wie die Sphinx einst war.
 
 
Schwülen Weihrauchduftes Wellen
Hüllen deinen Körper ein,
Schmeichelnd, wie im Dämmerschein
Warme Abendlüfte schwellen.
 
 
Ha! kein Liebestränklein schmeckt
Wie der Trank aus deinen Händen,
Künste weißt du anzuwenden,
Deren jede Tote weckt.
 
 
Liebe ist es, die dein Rücken,
Die dein Busen wild ersehnt,
Wenn dein Leib sich lässig dehnt,
Lacht das Kissen vor Entzücken.
 
 
Wenn dich Lüsternheit zerreißt,
Ihre Flammen dich verzehren,
Suchst du wütend dich zu wehren,
Und dein Mund, er küßt und beißt.
 
 
Lächelst du, dann gräbt ein Stichel,
Senkt ein Dolch sich in mein Herz,
Doch dein Auge heilt den Schmerz,
Milde wie des Mondes Sichel.
 
 
Meine Zukunft zwängest du,
Meinen Genius, du süße,
Siegreich unter deine Füße,
Unter deinen Atlasschuh.
 
 
Bin durch dich gesund geworden!
Aus dem kalten Erdreich sproßt
Leben, du bezwingst den Frost
Wie die Geiser fern im Norden.
 

Das Gespenst

 
Ein Engel, dessen Blick erblichen,
Komm ich in dein Gemach geschlichen,
Geräuschlos nahe ich und sacht
Als Schatten dir in tiefer Nacht.
 
 
Mein Lieb, du wirst gewiß erschrecken,
Wenn Küsse, kalt wie Eis, dich wecken,
Wenn einer Schlange feuchter Glast
Den braunen Leib umspielt, umfaßt.
 
 
Naht dann des Morgens blasser Schimmer,
Du findest deinen Liebsten nimmer,
Der Platz bleibt bis zum Abend kalt.
 
 
Was liebend andere erringen,
Soll Furcht und Schrecken mir erzwingen,
In meinem Reiche herrscht Gewalt.
 

Die Eulen

 
Die Eulen sitzen stumm, versenken
Den Blick in Nacht, ihr Auge flieht
Des Lichtes Strahl. In Reih und Glied
Wie Hexen hocken sie und … denken.
 
 
Bewegungslos ist ihre Rast,
Die Augen blinzeln müd, die matten,
Bis in der Dämmerung die Schatten
Sich recken, bis das Licht verblaßt.
 
 
Der Weisheit Vogel will uns lehren,
Die wir uns ruhelos verzehren,
Was unserm wilden Leben fehlt.
 
 
Ein Tropfen schon kann uns berauschen,
Wir stoßen uns, gehetzt, gequält,
Begierig stets, den Platz zu tauschen.
 

Trauriges Madrigal

 
Bist du nur klug? Taugt das den Frauen?
Sei traurig und sei schön, mein Kind!
Die Zähren, die den Blick betauen,
Sie schmücken, wie der Bach die Auen,
Wie Regen, der auf Blüten rinnt.
 
 
Ich hab es gern, wenn düsteres Schweigen
Die Stirne dir umkränzt und Leid,
Wenn plötzlich in gespenstigem Reigen
Empor die finstern Schatten steigen,
Die Schatten der Vergangenheit.
 
 
Ich hab es gern, wenn deine Wangen
Die Träne, warm wie Blut, verschönt,
Wenn deine Brust, von mir umfangen,
In Ängsten keucht, wenn voller Bangen
Sie wie im Todeskampfe stöhnt.
 
 
Ich trinke sie in vollen Zügen,
Die Seufzer … Götter, welch ein Fest …
Mehr, mehr, ich kenne kein Genügen,
Wie sie zum Diadem sich fügen,
Die Perlen, die sie fallen läßt!
 
 
Ich kenne es, das alte Feuer,
Das dir noch tief im Busen flammt,
An Manen zahlst du Zoll und Steuer,
Den Stolz, ihn kenn ich auch, der teuer
Nur solchen ist, die Gott verdammt!
 
 
So lang dein Herz im Traum nicht fühlte
Der ganzen Hölle heiße Last,
So lang das Schwert darin nicht wühlte,
Nicht Gift die Pulse dir durchspülte,
So lang du dies erlebt nicht hast,
 
 
So lang vom Albdruck, der dich quälte,
Dich nicht erlöst ein wilder Schrei,
So lang die Qual dein Herz nicht stählte,
Sich nicht der Ekel ihr vermählte,
So lange bist du noch nicht frei.
 
 
So lange ist dir’s nicht gegeben,
Die du mich liebst, vor Schrecken bleich,
Dich, Sklavin, Herrin, zu erheben,
Zu jauchzen in verjüngtem Leben:
Mein König du, ich bin dir gleich!
 

Der Mahner

 
Wer wirklich wert ist, Mensch zu sein,
Fühlt ewig eine Schlange nagen,
Sie hemmt sein Hoffen und sein Wagen,
So oft er ja sagt, sagt sie nein.
 
 
Wenn Nixenaugen dich berücken,
Wenn sie dich locken und umstricken,
Mahnt stechend sie: Denk an die Pflicht.
 
 
Sei Dichter, träume Liebesträume,
Belebe Marmor, pflanze Bäume,
Sie höhnt: Du siehst den Abend nicht.
 
 
Beginne du nur und verlange!
In der Minute mahnt sie dich,
Und schaudernd fühlst du ihren Stich,
Den Stich der widerlichen Schlange.
 

Lösegeld

 
Zwei Felder sind es, die nach Fug
Und Recht, um Lösegeld zu zahlen,
Wir düngen unter Müh und Qualen,
Und die Vernunft ist unser Pflug.
 
 
Damit nur ein paar Rosen sprießen,
Vielleicht gar nur ein kärglich Reis,
Muß unsere Träne, unser Schweiß
Den Acker immerfort begießen.
 
 
Es ist die Liebe und die Kunst!
Wenn einst des jüngsten Tages Licht
Erstrahlt, wenn einst das Weltgericht
Beginnt, dann wird des Richters Gunst
 
 
Nur dem zu Teil, der dann inmitten
Der Scheuern reiche Ernten weist,
Denn wenn die Frucht den Sämann preist,
Dann werden Engel für ihn bitten.
 

Der Mensch und das Meer

 
O Mensch, du liebst das Meer, wie trotzig, frei und groß
Liegt es zu Füßen dir! in seinen Wellenhügeln,
In seinen Tälern siehst du sich die Seele spiegeln,
Die in dir wohnt, gleich ihm unendlich, ruhelos.
 
 
Du suchst in Not und Qual, o Mensch, dein eigen Bildnis,
Du hältst es in der Hand, dein scharfes Ohr, es lauscht
Der Flut, die in dir selber wogt und schäumt und rauscht,
Dem ungestillten Schmerz in dieser grausen Wildnis.
 
 
Was ihr nicht zeigen wollt, das ruht in guter Hut,
Ihr seid ja alle beide finster und verschwiegen!
Du hüllst die Schätze ein, die in der Tiefe liegen,
Und du verbirgst, was tief dir in der Seele ruht.
 
 
Trotzdem bekämpft ihr euch seit Anbeginn der Zeiten,
Ihr, die ihr doch so ganz einander ähnlich seid,
Gemetzel liebt ihr, Mord und grimmen Haß und Neid,
Geschwister eines Bluts, müßt ihr denn ewig streiten?
 

Klage eines Icarus

 
Wer klug ist, muß die Liebe kaufen,
Dann weiß er sicher, was er hat;
Was mich betrifft, bin ich es satt,
Den leeren Schatten nachzulaufen.
 
 
Dank wenigen Sternen hell und klar,
Die mir das Auge einst geblendet,
Wird heut der Blick, zurück gewendet,
Nur Sonnen überall gewahr.
 
 
Vergebens wollt empor ich dringen,
Im Flug durchmessen Zeit und Raum,
Ein heißes Auge streift mich kaum,
Und schon sind mir gelähmt die Schwingen.
 
 
Versengt hat mich der Schönheit Glut,
Ihr Flammenstrahl hat mich erschlagen,
Ach, nie wird meinen Namen tragen
Der Abgrund, wo mein Leichnam ruht!
 

Heauton timoroumenos

 
Ich will dich schlagen, doch nicht hassen,
Wie Metzger schlagen, ohne Zorn,
Will, wie einst Moses jenen Born
Aus Fels schlug, Wasser springen lassen,
 
 
Die Flut, die deinem Aug entquillt,
Will meine Wüsten damit tränken,
Mein Schiff durch Tränenmeere lenken,
Dem voller Gier das Segel schwillt,
 
 
Will deinem Schluchzen jauchzend lauschen,
Dem Stöhnen, das mit wilder Macht
Mich lockt, wie Trommelschall zur Schlacht,
Den Seufzern, die mein Herz berauschen.
 
 
Bin ich ein schriller Mißakkord
Im reinen Klange ewiger Sphären,
Soll Selbstgespött den Geist verzehren?
Die Ironie, sie wird zum Mord!
 
 
Sie kreischt in mir und beißt und wiegelt,
Sie, die mein Blut vergiftet hat,
Der Spiegel bin ich, trüb und matt,
In dem sich die Megäre spiegelt.
 
 
Ich bin die Wunde und der Pfeil,
Das Opfer und der Überwinder,
Der Henker und der arme Sünder,
Ich bin der Hals und bin das Beil.
 
 
Der Vampyr bin ich meines Lebens!
Verdammt bin ich, durch alle Zeit
Zu lachen bis in Ewigkeit,
Und will ich lachen, ist’s vergebens.
 

Abel und Kain

 
Sohn Abels, du darfst essen, trinken,
Gott schaut dir wohlgefällig zu,
 
 
Brut Kains, du sollst im Schlamm versinken,
Ersticken wirst im Kote du.
 
 
Sohn Abels, Liebling deines Herrn,
Dein Opfer duftet süß vor Gott,
 
 
Brut Kains, verjährte Sünden zerren
Dich täglich wieder aufs Schaffot.
 
 
Sohn Abels, sieh die Saat gedeihen,
Rund ist das Vieh, die Traube schwer,
 
 
Brut Kains, hörst du den Hunger schreien?
Sind deine Eingeweide leer?
 
 
Sohn Abels, wärme dich am Herde,
Füll deinen Wanst mit warmer Kost,
 
 
Brut Kains, du schläfst auf kalter Erde,
Der Schakal, horch, er heult vor Frost!
 
 
Sohn Abels, du darfst dich vermehren,
Dieweil dein Geld sich auch vermehrt,
 
 
Brut Kains, bezähme dein Begehren,
Solch Appetit ist dir verwehrt.
 
 
Sohn Abels, saug dich voll an andern,
Du Wanze, stets willkommner Gast,
 
 
Brut Kains, du sollst im Staube wandern,
Du findest nirgends Ruh noch Rast.
 
* * *
 
Sohn Abels, Mist nur auf den Saaten,
Zerstieb zu Dung, du und dein Wahn!
 
 
Brut Kains, von allen deinen Taten
Sind erst die wenigsten getan.
 
 
Sohn Abels, sieh die Schmach sich türmen,
Vergeh in Schanden und in Spott,
 
 
Brut Kains, du wirst den Himmel stürmen,
Hinab zur Erde schleudere Gott!
 

Nachschrift für ein verbotenes Buch

 
Mein Leser, der du voll Behagen,
Der du naiv und nüchtern bist,
Wirf dieses Buch voll Gram und List
Ins Feuer, ohne viel zu fragen.
 
 
Falls du, als Satan vorgetragen,
Nicht das Kolleg gehört, ermißt
Du nie, was hier geschrieben ist,
Ich bin hysterisch, wirst du sagen.
 
 
Doch wenn mit unbestochnem Ernst
In meine Tiefen du kannst dringen,
Lies mich, daß du mich lieben lernst;
 
 
Du Seele, die in heißem Ringen
Ihr Paradies verzweifelnd sucht,
Beklage mich … sonst sei verflucht.
 

Paul Verlaine

1844-1896

An Eugen Carrière

 
Die alten Weisen, die wahrhaftig viel mehr wert
Als die von heute, meinten – noch nicht ganz geklärt
Ist dieser Punkt – ein jedes Menschenschicksal hätte
Zum Leiter seinen Stern, dem es mit einer Kette
Verbunden. Diese Ansicht hat man oft verlacht
Und dabei, wie gewöhnlich, nicht daran gedacht,
Daß Lachen nur beirrt, ein Merkmal stets des Toren!
Dem Menschen, der im Zeichen des Saturn geboren,
Ihm kündet dieser gelblich strahlende Planet,
– Wie es schon in der Nekromanten Büchern steht —
Ein vollgerüttelt Maß von Unglück und von Galle.
Die Phantasie ist seine Herrscherin, zu Falle
Kommt die Vernunft, die sie mit Listen tötlich trifft,
In seinen Adern wird das Blut zu heißem Gift,
Wie Lava brennt der Strom, die Ideale stumpfen
Sich in der Schwüle ab, bis sie zusammen schrumpfen.
So dulden des Saturnus Kinder, bis zuletzt
Sie sterben – daß wir sterblich sind, vorausgesetzt. —
Was sie erstreben, was sie hoffen und beginnen,
Nie können ihrem bösen Sterne sie entrinnen.
 

Nevermore

 
Erinnerung, warum steigst du aus dunkelm Schachte …?
Es war im späten Herbst, die letzte Drossel machte
Sich auf den Weg gen Süd, ein stiller Lichtstrahl brachte
Dem Walde Trost, dess’ kahl Geäst im Sturme krachte.
 
 
Wir gingen ganz allein, ein traumversunken Paar,
Mit den Gedanken flatterte im Wind das Haar,
Da blickte sie mich an, so tief und groß und wahr:
„Was war dein schönster Tag?“ vernahm ich golden klar.
 
 
Ein Laut von Engeln, die durch lichte Sphären schweben!
Ein stilles Lächeln nur hat Antwort ihr gegeben,
In Demut stumm hab ich geküßt die weiße Hand.
 
 
O Blütenpracht, o Mai, wie ist dein Duft berauschend,
O höchstes Glück, das je ein Menschenherz empfand,
Das erste Ja aus dem geliebten Mund erlauschend.
 

Drei Jahre später

 
Und wieder bin durchs enge Pförtchen ich gegangen,
Im kleinen Garten wandle still ich wie zuvor,
Die Morgensonne küßt den bunten Blumenflor,
Darin des Taus verlorene Silbertropfen hangen.
 
 
Es ist noch ganz wie einst. Die weinumrankten Stangen,
Die Laube mit dem Tisch, die Stühle drum von Rohr,
Des Springbronns Wasser murmeln leise wie zuvor
Die ewige Klage, die sie dazumal schon sangen.
 
 
Ich kenne jede einzige Lerche, die hier fliegt,
Die Rosen zittern immer noch, vom Wind gewiegt,
Der durch das Geißblatt rauscht, das in die Höhe klettert;
 
 
Dort hinten steht die alte Velleda sogar,
Der Gips ist nur ein wenig mehr noch abgeblättert,
Und die Reseden duften noch – , ganz wie es war.
 

Sentimentaler Spaziergang

 
Die allerletzten Sonnenstrahlen kosen
Mit winddurchhauchten bleichen Wasserrosen,
Mit großen Wasserrosen, die im Rohr
So traurig leuchten aus dem See hervor.
 
 
Allein mit meinem Schmerz will dort ich gehen,
Wo längs des Ufers stille Weiden stehen,
Wo hinterm Nebelvorhang riesengroß
Gespenster schwanken, grau und hoffnungslos,
 
 
Die schwerer Last erliegend qualvoll ächzen,
Die flügelschlagend mit einander krächzen.
Dort bei den Weiden sind wir ganz allein,
Ich und mein Schmerz. Schon hüllt die Dämmerung ein
 
 
Mit ihrem dichten Leichentuch das Kosen
Der müden Strahlen und der Wasserrosen,
Der großen Wasserrosen, die im Rohr
So traurig leuchten aus dem See hervor.
 
2Am 15. Dezember 1840 wurde Napoleons Leiche in Paris beigesetzt. Seitdem zogen alljährlich an diesem Tage die Veteranen der großen Armee nach dem Invalidendom.
3Zeichner von Karrikaturen und modernen Typen, 1804-1866.