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Deutsche Humoristen, 4. und 5. Band (von 8)

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Maley und Malone
von
August Kopisch

 
Auf einer Insel im Meere,
da lebten der Hirten zwei,
der eine hieß Malone,
der andre hieß Maley.
 
 
Sie hatten eine Herde
von Schafen beid’ ererbt:
die Erbschaft hat Malonen
sowie Maleyn verderbt.
 
 
Einst trieben sie zusammen;
doch wie im Kriege ging’s;
der wollte rechtshin treiben,
der trieb dann wieder links.
 
 
Und endlich kam’s zum Teilen,
da blieb zuletzt ein Schaf:
der Zank um dieses brachte
sie erst um Ruh’ und Schlaf!
 
 
Malone wollt’ es schlachten:
„Wir haun es dann entzwei!“ —
„Erst soll es Wolle geben!“
behauptete Maley. —
 
 
Maley bedurfte Strümpfe:
„Komm’ scheren wir es heut!“
Malone meint: es wäre
zum Scheren nicht die Zeit.
 
 
„So scher’ ich meine Seite,
scher’ du die andre dann!“
Malone wollt’s nicht leiden;
doch hat’s Maley getan! —
 
 
Nun fiel das Schaf vom Winde
in einen Felsenspalt,
man zog es vor am Morgen,
da war es tot und kalt.
 
 
„Maley, das Schaf erfror da,
weil du’s geschoren hast!“
„Nein,“ sprach Maley, „es stürzte,
weil es der Sturm erfaßt.
 
 
„Hättst du es auch geschoren,
so faßte Sturm es nicht;
und, faßt’ er’s auch, es hielt sich
doch mehr im Gleichgewicht!“
 
 
Sie gehen vor die Richter
und klagen mit großem Schall —
„Ei,“ sagten da die Herren,
„welch intressanter Fall!“
 
 
Sie schlugen nach die Bücher,
man zankte manch ein Jahr:
bis Maley und Malone
ohne Schaf’ und Wolle war.
 

Grad’ aus dem Wirtshaus
von
Heinrich von Mühler

 
Grad’ aus dem Wirtshaus nun komm’ ich heraus!
Straße, wie wunderlich siehst du mir aus;
rechter Hand, linker Hand, beides vertauscht,
Straße, ich merk’ es wohl, du bist berauscht!
 
 
Was für ein schief’ Gesicht, Mond, machst denn du!
Ein Auge hat er auf, eins hat er zu!
Du wirst betrunken sein, das seh’ ich hell;
schäme dich, schäme dich, alter Gesell!
 
 
Und die Laternen erst – was muß ich sehn,
die können alle nicht grade mehr stehn,
wackeln und fackeln, die Kreuz und die Quer,
scheinen betrunken mir allesamt schwer.
 
 
Alles im Sturme rings, Großes und Klein;
wag’ ich darunter mich, nüchtern allein?
Das scheint bedenklich mir, ein Wagestück!
Da geh’ ich lieber ins Wirtshaus zurück!
 

Der Krähwinkler Landsturm.
(Volksweise 1813.)

 
Nur immer langsam voran, nur immer langsam voran,
daß der Krähwinkler Landsturm nachkommen kann.
Hätt’ der Feind unsre Stärke schon früher so gekennt,
wär’ er wahrlich schon früher zum Teufel gerennt!
Nur immer langsam voran, nur immer langsam voran,
daß der Krähwinkler Landsturm nachkommen kann.
 
 
Nun marschieren wir gerade nach Paris herein,
dort, Kinder, soll das Rauchen nicht verboten sein.
 
 
Unser Hauptmann, der ist ein kreuzbraver Mann,
nur schade, daß er’s Schießen nicht vertragen kann.
 
 
Unser Leutnant, der ist von Dinkelsbühl,
Courage hat er wohl, aber nicht sehr viel.
 
 
Nun sind wir schon 50 Meilen weit marschiert,
und 30000 Mann sein erst krepiert.
 
 
Das Marschieren, das nimmt heut gar kein End’,
das macht, weil der Leutnant die Landkart’ nicht kennt.
 
 
Hat denn keiner den Fähnrich mit der Fahne gesehn?
Man weiß ja gar nicht, wie der Wind tut wehn.
 
 
Unser Fähnrich steht mit der Fahn’ auf der Bruck,
wenn es kracht, läuft er immer ganz geschwinde zuruck.
 
 
Tambour, strapezier’ doch die Trommel nicht so sehr,
alleweil sind die Kalbfell’ so wohlfeil nicht mehr!
 
 
Doch der Oberst, das ist ein Mann von Courage,
der beschützt unser Brot und unsre Bagage.
 
 
Herr Hauptmann, mein Hintermann, geht immer so im Trab,
er tritt mir noch die Hinterhacken ab!
 
 
Wird, Kinder, allweil euch zu schwer das Gepäck,
schmeißt vorderhand die Gewehre weg.
 
 
In der Festung war’s doch gar zu schön,
dort konnt man den Feind durch die Gucklöcher sehn.
 
 
Ach, wie wird’s uns in Frankreich noch ergehn!
Dort kann kein Mensch das Deutsch verstehn.
 
 
Du, gib mir einmal den Schnapskolben her!
Im Krieg, da durstet einen gar zu sehr!
 
 
Reißt aus, reißt aus, reißt alle, alle aus!
Dort steht ein französisches Schilderhaus!
 
 
Die Franzosen, die schießen so ins Blaue hinein;
sie bedenken nicht, daß da könnten Menschen sein.
 
 
Bei Leipzig in der großen Völkerschlacht,
da hätten wir beinah’ ein’ Gefangnen gemacht.
 
 
Und als auf der Brucken eine Bombe geplatzt,
potz Wetter, wie sind wir da ausgekratzt!
 
 
Denn wenn so ’n Beest am End’ einen trifft,
hilft einen der ganze Feldzug nicht.
 
 
Jetzt, Bauern, kocht’s Knödel und Hirsebrei,
wenn der Landsturm kommt, wird er hungrig sei’.
 

Schlendrian
(Verfasser unbekannt)

 
Ich gehe meinen Schlendrian
und trinke meinen Wein,
und wenn ich nicht bezahlen kann,
so ist die Sorge mein.
Ja, schlüg’ ich auch dies Glas
in hunderttausend Trümmern,
so hat sich doch kein Mensch,
kein Mensch darum zu kümmern! —
 
 
Ich gehe meinen Schlendrian,
zieh’ an, was mir gefällt;
und wenn ich’s nicht mehr tragen kann,
so mach’ ich es zu Geld,
und sollte auch mein Hemd
durch tausend Löcher schimmern,
so hat sich doch kein Mensch,
kein Mensch darum zu kümmern.
 
 
Ich gehe meinen Schlendrian
bis an mein kühles Grab,
und schlägt mir auch der Sensenmann
den letzten Segen ab.
Ja, sollt’ ich auch dereinst
noch in der Hölle wimmern,
so hat sich doch kein Mensch,
kein Mensch darum zu kümmern.
 

Vom schlafenden Apfel
von
Robert Reinick

 
Im Baum, im grünen Bettchen,
hoch oben sich ein Apfel wiegt,
der hat so rote Bäckchen,
man sieht’s, daß er im Schlafe liegt.
 
 
Ein Kind steht unterm Baume,
das schaut und schaut und ruft hinauf:
„Ach, Apfel, komm herunter!
Hör endlich doch mit Schlafen auf.“
 
 
Es hat ihn so gebeten,
glaubt ihr, der wäre aufgewacht?
Er rührt sich nicht im Bette,
sieht aus, als ob im Schlaf er lacht.
 
 
Da kommt die liebe Sonne
am Himmel hoch daherspaziert. —
„Ach, Sonne, liebe Sonne!
Mach du, daß sich der Apfel rührt!“
 
 
Die Sonne spricht: „Warum nicht?“
Und wirft ihm Strahlen ins Gesicht.
Küßt ihn dazu so freundlich,
der Apfel aber rührt sich nicht.
 
 
Nu schau! da kommt ein Vogel
und setzt sich auf den Baum hinauf.
„Ei, Vogel, du mußt singen,
gewiß, gewiß, das weckt ihn auf!“
 
 
Der Vogel wetzt den Schnabel
und singt ein Lied, so wundernett,
und singt aus voller Kehle —
der Apfel rührt sich nicht im Bett! —
 
 
Und wer kam nun gegangen?
Es war der Wind, den kenn’ ich schon,
der küßt nicht und der singt nicht,
der pfeift aus einem andern Ton.
 
 
Er stemmt in beide Seiten
die Arme, bläst die Backen auf
und bläst und bläst und richtig —
der Apfel wacht erschrocken auf
 
 
und springt vom Baum herunter
grad in die Schürze von dem Kind,
das hebt ihn auf und freut sich
und ruft: „Ich danke schön, Herr Wind!“
 

Das Männlein in der Gans
von
Friedrich Rückert

 
Das Männlein ging spazieren einmal
auf dem Dach, ei seht doch!
Das Männlein ist hurtig, das Dach ist schmal,
gib acht, es fällt noch.
Eh sich’s versieht, fällt’s vom Dach herunter,
und bricht den Hals nicht, das ist ein Wunder.
 
 
Unter dem Dach steht ein Wasserzuber,
hinein fällt’s nicht schlecht;
da wird es naß über und über,
ei, das geschieht ihm recht.
Da kommt die Gans gelaufen,
die wird’s Männlein saufen.
 
 
Die Gans hat’s Männlein ’nuntergeschluckt,
sie hat einen guten Magen;
aber das Männlein hat sie doch gedruckt,
das wollt’ ich sagen.
Da schreit die Gans ganz jämmerlich;
das ist der Köchin ärgerlich.
 
 
Die Köchin wetzt das Messer,
sonst schneidt’s ja nicht:
Die Gans schreit so, es ist nicht besser,
als daß man sie sticht;
wir wollen sie nehmen und schlachten
zum Braten auf Weihnachten.
 
 
Sie rupft die Gans und nimmt sie aus,
und brät sie,
aber das Männlein darf nicht ’raus,
versteht sich.
Die Gans wird eben gebraten;
wie kann’s dem Männlein schaden?
 
 
Weihnachten kommt die Gans auf den Tisch
im Pfännlein;
der Vater tut sie ’raus und zerschneid’t sie frisch.
Und das Männlein?
Wie die Gans ist zerschnitten,
kriecht’s Männlein aus der Mitten.
 
 
Da springt der Vater vom Tisch auf,
da wird der Stuhl leer;
da setzt das Männlein sich drauf,
und macht sich über die Gans her.
Es sagt: Du hast mich gefressen,
jetzt will ich dich dafür essen.
 
 
Da ißt das Männlein gewaltig drauf los,
als wären seiner sieben;
da essen wir alle dem Männlein zum Trotz,
da ist nichts übergeblieben
von der ganzen Gans als ein Tätzlein,
das kriegen dort hinten die Kätzlein.
 
 
Nichts kriegt die Maus,
das Märlein ist aus.
Was ist denn das?
Ein Weihnachts-Spaß;
aufs Neujahr lernst
du, was?
den Ernst.
 

Dichters Naturgefühl
von
Annette von Droste-Hülshoff

 
Es war an einem jener Tage,
wo Lenz und Winter sind im Streit,
wo naß das Veilchen klebt am Hage,
kurz, um die erste Maienzeit;
ich suchte keuchend mir den Weg
durch sumpf’ge Wiesen, dürre Raine,
wo matt die Kröte hockt’ am Steine,
die Eidechs schlüpfte übern Steg.
 
 
Durch hundert kleine Wassertruhen,
die wie verkühlter Spülicht stehn,
zu stelzen mit den Gummischuhen,
bei Gott, heißt das Spazierengehn?
Natur, wer auf dem Haberrohr
in Jamben, Stanzen, süßen Phrasen
so manches Loblied dir geblasen,
dem stell’ dich auch manierlich vor!
 
 
Da ließ zurück den Schleier wehen
die eitle viel besungne Frau,
als fürchte sie des Dichters Schmähen;
im Sonnenlichte stand die Au,
und bei dem ersten linden Strahl
stieg eine Lerche aus den Schollen
und ließ ihr Tirilirum rollen
recht wacker durch den Äthersaal.
 
 
Die Quellchen, glitzernd wie kristallen —
die Zweige glänzend emailliert —
das kann dem Kenner schon gefallen,
ich nickte lächelnd: „Es passiert!“
Und stapfte fort in eine Schluft,
es war ein still und sonnig Fleckchen,
wo tausend Anemonenglöckchen
umgaukelten des Veilchens Duft.
 
 
Das üpp’ge Moos – der Lerchen Lieder —
der Blumen Flor – des Krautes Keim —
auf meinen Mantel saß ich nieder
und sann auf einen Frühlingsreim.
Da – alle Musen, welch ein Ton! —
Da kam den Rain entlang gesungen
so eine Art von dummen Jungen,
der Friedrich, meines Schreibers Sohn.
 
 
Den Efeukranz im flächsnen Haare,
in seiner Hand den Veilchenstrauß,
so trug er seine achtzehn Jahre
romantisch in den Lenz hinaus.
Nun schlüpft’ er durch des Hagens Loch,
nun hing er an den Dornenzwecken
wie Abrams Widder in den Hecken,
und in den Dornen pfiff er noch.
 
 
Bald hatt’ er beugend, gleitend, springend,
den Blumenanger abgegrast
und rief nun, seine Mähnen schwingend:
„Viktoria, Trompeten, blast!“
Dann flüstert’ er mit süßem Hall:
„O, wären es die schwed’schen Hörner!“
Und dann begann ein Lied von Körner;
fürwahr, du bist ’ne Nachtigall!
 
 
Ich sah ihn, wie er an dem Walle
im feuchten Moose niedersaß
und nun die Veilchen, Glöckchen alle
mit sel’gem Blick zu Sträußen las,
auf seiner Stirn den Sonnenstrahl;
mich faßt’ ein heimlich Unbehagen,
warum? Ich weiß es nicht zu sagen,
der fade Bursch’ war mir fatal.
 
 
Noch war ich von dem blinden Hessen
auf meinem Mantel nicht gesehn,
und so begann ich zu ermessen,
wie übel ihm von Gott geschehn:
o Himmel, welch ein traurig Los,
das Schicksal eines dummen Jungen,
der zum Kopisten sich geschwungen
und auf den Schreiber steuert los!
 
 
Der in den kargen Feierstunden
Romane von der Zofe borgt,
beklagt des Löwenritters Wunden
und seufzend um den Posa sorgt,
der seine Zelle, kalt und klein,
schmückt mit Aladdins Zaubergabe
und an dem Quell, wie Schillers Knabe,
Violen schwingt in Kränzelein!
 
 
In dessen wirbelndem Gehirne
das Leben spukt, gleich einer Fei,
der – hastig fuhr ich an die Stirne:
„Wie, eine Mücke schon im Mai?“
und trabte zu der Schlucht hinaus,
hohl hustend, mit beklemmter Lunge,
und drinnen blieb der dumme Junge
und pfiff zu seinem Veilchenstrauß!
 

Die Stubenburschen
von
Annette von Droste-Hülshoff

 
Sie waren beide froh und gut
und mochten ungern scheiden;
die Jahre fliehn, es lischt der Mut,
der Tag bringt Freud’ und Leiden,
Geschäft will Zeit, und Zeit ist schnell,
so unterblieb das Schreiben,
doch öfters sprach Emanuel:
„Was mag der Franzel treiben?“
 
 
Da trat einst Wintermorgens früh
ein Mann in seine Stube,
seltsam verschabt wie ein Genie
und hager wie Coeur-Bube,
sah ihn so glau und pfiffig an
und blinzelt vor Behagen:
„Emanuel, du Hampelmann!
Willst du mir denn nichts sagen?“
 
 
„Er ist es!“ rief der Doktor aus
und reicht ihm beide Hände.
„Willkomm, willkomm! wie siehst du aus?
Ei, munter und behende.“ —
„Ha,“ rief der andre, „Sapperment,
man sieht, du darfst nicht sorgen!
Wie rot du bist, wie korpulent!
Du hast dich wohl geborgen.“
 
 
Drauf saß man zu Kamin und Wein,
ließ von der Glut sich rösten
und ätzte sich mit Schmeichelein,
den Alternden zu trösten.
Ein jeder warf den Hamen hin
als wohlgeübter Fischer,
und jeder dachte still: „Ich bin
gewiß um zehn Jahr frischer.“
 
 
Man schüttelte die Hände derb,
dann ging es an ein Fragen.
Reich war des Medikus Erwerb,
und dennoch mocht’ er klagen.
Er sah den Franz bedenklich an
und dacht’, er steck’ in Schulden,
doch dieser prahlt’: er sei ein Mann
von „täglich seinem Gulden“.
 
 
Zwei Jahre hat er nur gespart
und dann, ein kecker Kämpfer,
gerasselt mit der Eisenfahrt,
gestrudelt mit dem Dämpfer!
O wie er die „Stadt Leyden“ pries
und der Kajüte Gleißen!
Nach seiner Meinung dürfte sie
„Viktoria“ nur heißen.
 
 
Das hat den Medikus gerührt,
ihm den bescheidnen Schlucker
lebendig vor das Aug’ geführt,
der Klöße aß wie Zucker.
Und gar als jener sprach: „Denkst du
noch an die halbe Flasche?“
Der Doktor kniff die Augen zu
und klimpert’ in der Tasche.
 
 
Dann ging es weiter: „Denkst du dort?
und denkst du dies? und jenes?“
Die Bilder wogten lustig fort,
viel Herzliches und Schönes.
Wie Abendrot zog ins Gemach
ein frischer Jugendodem
und überhauchte nach und nach
der Pillenschachteln Brodem.
 
 
Am nächsten Morgen hat man kaum
den Doktor mögen kennen,
man sah ihn lächeln wie im Traum
und seine Wangen brennen;
im heiligen Studierklosett
hört’ man die Gläser klingen
und ein mißtöniges Duett
aus Uhukehlen dringen.
 
 
Nicht litt am Blute mehr der Mann,
am Podagra und Griese;
sah er den dürren Franzel an,
so schien er sich ein Riese;
hat er den Franzel angesehn
mit seinem Gulden täglich,
so mußt’ er selber sich gestehn,
es geh’ ihm ganz erträglich.
 
 
Doch als der dritte Tag entschwand,
da sah man auch die beiden
betrübten Auges stehn am Strand,
und wieder hieß es: Scheiden!
„Leb’ wohl, Emanuel, leb’ wohl!“ —
„Leb’ wohl, du alte Seele!“
Und die „Stadt Leyden“ rauschte hohl
durch Dunst und Wogenschwele.
 
 
Drei Monde hat das Jahr gebracht,
seit Franzel ist geschieden,
mit ihm des Hypochonders Macht;
der Doktor lebt in Frieden.
Und will der Dämon hier und dort
sich schleichend offenbaren,
so geht er an des Rheines Bord
und sieht „Stadt Leyden“ fahren.
 

Führ’ uns nicht in Versuchung!
von
Franz von Gaudy

 
Da ständ’ ich wieder an der Ecke!
Höchst wunderbar! Wie kam es nur?
Die Beine wollen nicht vom Flecke,
recht nach Philisterpferds-Natur.
Der Weinkranz, der im Winde schwanket,
er winkt und winkt: So tritt doch ein!
Ja, locke nur! Gott sei’s gedanket,
auf ewig schwur ich ab dem Wein.
 
 
’s ist doch recht heiß! Mir klebt die Zunge
am Gaumen. Wie die Sonne sticht!
Der Kellner grüßt. Schön Dank, mein Junge!
Was sagst du? Laut! – Ich höre nicht. —
Leicht möglich, daß ich was vergessen —
wohl gar vom letzten Male her
die Zeche. Zahlen gern – indessen
Wein trinken – nun und nimmermehr!
 
 
Was gibt es? Nichts? – Der Schlingel freute
sich nur, mich so gesund zu sehn.
Das ist wohl hübsch, mein Kind, doch heute —
ich bin – ich habe – ich muß gehn.
Nein, nein – ich sagt’ es klar und deutlich:
ich trinke nicht. Wem soll dies Glas? —
Ei, nun, die Blume ist ganz leidlich —
und, was du sagst, vom neuen Faß?
 
 
Nun ja, für Wein vom vor’gen Jahre
passiert er, läßt sich wacker an.
Doch weißt du, daß mit junger Ware
ich nie mich recht befreunden kann.
Ja, meine alte Sorte kennst du —
bring mir ein Achtel doch von der —
ein Schöppchen höchstens – und – was rennst du —
bring lieber gleich ’ne Ganze her.
 
 
Wie kommt’s, daß, geht erst auf die Neige
die Flasche, stets das letzte Glas
am liebenswürdigsten sich zeige?
Ein Phänomen – wie deut’ ich das?
Heißt es: noch eine? – Ob ich’s wage?
Sie sprechen: So jung käme man
nicht mehr zusammen. – Nun, ich frage
beim Schicksal, Knöpfe zählend, an.
 
 
Ja – nein – ja – nein – Wie? schon der letzte?
O weh, der letzte Knopf brummt: nein.
Das harte Schicksal widersetzte
sich meinem Durst – es soll nicht sein. —
Und weil der Spruch mit nein beschlossen,
wär’ ich gebunden? Kinderei!
Nein, just dem dummen Knopf zum Possen
trink’ ich noch eine – ja, noch zwei.
 

Im Hafen
von
Heinrich Heine

 
Glücklich der Mann, der den Hafen erreicht hat,
und hinter sich ließ das Meer und die Stürme,
und jetzo warm und ruhig sitzt
im guten Ratskeller zu Bremen.
 
 
Wie doch die Welt so traulich und lieblich
im Römerglas sich wiederspiegelt,
und wie der wogende Mikrokosmus
sonnig hinabfließt ins durstige Herz!
Alles erblick’ ich im Glas,
alte und neue Völkergeschichte,
Türken und Griechen, Hegel und Gans,
Zitronenwälder und Wachtparaden,
Berlin und Schilda und Tunis und Hamburg,
vor allem aber das Bild der Geliebten,
das Engelköpfchen auf Rheinweingoldgrund.
 
 
O, wie schön! wie schön bist du, Geliebte!
Du bist wie eine Rose!
Nicht wie die Rose von Schiras,
die Hafis-besungene Nachtigallbraut;
nicht wie die Rose von Saron,
die heiligrote, prophetengefeierte; —
du bist wie die Ros’ im Ratskeller zu Bremen!
Das ist die Rose der Rosen,
je älter sie wird, je lieblicher blüht sie,
und ihr himmlischer Duft, er hat mich beseligt,
er hat mich begeistert, er hat mich berauscht,
und hielt mich nicht fest, am Schopfe fest,
der Ratskellermeister von Bremen,
ich wäre gepurzelt!
 
 
Der brave Mann! wir saßen beisammen
und tranken wie Brüder,
wir sprachen von hohen, heimlichen Dingen,
wir seufzten und sanken uns in die Arme,
und er hat mich bekehrt zum Glauben der Liebe —
ich trank auf das Wohl meiner bittersten Feinde,
und allen schlechten Poeten vergab ich,
wie einst mir selber vergeben soll werden;
ich weinte vor Andacht, und endlich
erschlossen sich mir die Pforten des Heils,
wo die zwölf Apostel, die heil’gen Stückfässer,
schweigend pred’gen, und doch so verständlich
für alle Völker.
 
 
Das sind Männer!
unscheinbar von außen, in hölzernen Röcklein,
sind sie von innen schöner und leuchtender
denn all die stolzen Leviten des Tempels
und des Herodes Trabanten und Höflinge,
die goldgeschmückten, die purpurgekleideten —
hab’ ich doch immer gesagt,
nicht unter ganz gemeinen Leuten,
nein, in der allerbesten Gesellschaft
lebte beständig der König des Himmels!
 
 
Hallelujah! Wie lieblich umwehn mich
die Palmen von Beth-El!
Wie duften die Myrrhen von Hebron!
Wie rauscht der Jordan und taumelt vor Freude! —
Auch meine unsterbliche Seele taumelt,
und ich taumle mit ihr, und taumelnd
bringt mich die Treppe hinauf, ans Tageslicht,
der brave Ratskellermeister von Bremen.
 
 
Du braver Ratskellermeister von Bremen!
Siehst du, auf den Dächern der Häuser sitzen
die Engel und sind betrunken und singen;
die glühende Sonne dort oben
ist nur eine rote, betrunkene Nase,
die Nase des Weltgeists;
und um die rote Weltgeistnase
dreht sich die ganze, betrunkene Welt.
 

Mir träumt: ich bin der liebe Gott
von
Heinrich Heine

 
Mir träumt: ich bin der liebe Gott
und sitz im Himmel droben,
und Englein sitzen um mich her,
die meine Verse loben.
 
 
Und Kuchen ess’ ich und Konfekt
für manchen lieben Gulden,
und Kardinal trink’ ich dabei,
und habe keine Schulden.
 
 
Doch Langeweile plagt mich sehr,
ich wollt’, ich wär’ auf Erden,
und wär’ ich nicht der liebe Gott,
ich könnt’ des Teufels werden.
 
 
„Du langer Engel Gabriel,
geh, mach dich auf die Sohlen,
und meinen teuern Freund Eugen
sollst du herauf mir holen.
 
 
„Such ihn nicht im Kollegium,
such ihn beim Glas Tokaier;
such ihn nicht in der Hedwigskirch’,
such ihn bei Mamsell Meyer.“
 
 
Da breitet aus sein Flügelpaar
und fliegt herab der Engel,
und packt ihn auf, und bringt herauf
den Freund, den lieben Bengel.
 
 
„Ja, Jung’, ich bin der liebe Gott,
und ich regier’ die Erde!
Ich hab’s ja immer dir gesagt,
daß ich was Rechts noch werde.
 
 
„Und Wunder tu’ ich alle Tag’,
die sollen dich entzücken!
Und dir zum Spaße will ich heut’
die Stadt Berlin beglücken.
 
 
„Die Pflastersteine auf der Straß’,
die sollen jetzt sich spalten,
und eine Auster, frisch und klar,
soll jeder Stein enthalten.
 
 
„Ein Regen von Zitronensaft
soll tauig sie begießen,
und in den Straßengössen soll
der beste Rheinwein fließen.“
 
 
Wie freuen die Berliner sich,
sie gehen schon ans Fressen;
die Herren von dem Landgericht,
die saufen aus den Gössen.
 
 
Wie freuen die Poeten sich
bei solchem Götterfraße!
Die Leutnants und die Fähnerichs,
die lecken ab die Straße.
 
 
Die Leutnants und die Fähnerichs,
das sind die klügsten Leute,
sie denken: alle Tag’ geschieht
kein Wunder so wie heute.
 

Rhampsenit
von
Heinrich Heine

 
Als der König Rhampsenit
eintrat in die goldne Halle
seiner Tochter, lachte diese,
lachten ihre Zofen alle.
 
 
Auch die Schwarzen, die Eunuchen,
stimmten lachend ein, es lachten
selbst die Mumien, selbst die Sphinxe,
daß sie schier zu bersten dachten.
 
 
Die Prinzessin sprach: „Ich glaubte
schon den Schatzdieb zu erfassen,
der hat aber einen toten
Arm in meiner Hand gelassen.
 
 
„Jetzt begreif’ ich, wie der Schatzdieb
dringt in deine Schatzhauskammern,
und die Schätze dir entwendet,
trotz den Schlössern, Riegeln, Klammern.
 
 
„Einen Zauberschlüssel hat er,
der erschließet allerorten
jede Türe, widerstehen
können nicht die stärksten Pforten.
 
 
„Ich bin keine starke Pforte,
und ich hab’ nicht widerstanden;
Schätze hütend diese Nacht
kam ein Schätzlein mir abhanden.“
 
 
So sprach lachend die Prinzessin
und sie tänzelt im Gemache,
und die Zofen und Eunuchen
hoben wieder ihre Lache.
 
 
An demselben Tag ganz Memphis
lachte, selbst die Krokodile
reckten lachend ihre Häupter
aus dem schlammig gelben Nile,
 
 
Als sie Trommelschlag vernahmen
und sie hörten an dem Ufer
folgendes Reskript verlesen
von dem Kanzelei-Ausrufer:
 
 
„Rhampsenit, von Gottes Gnaden
König zu und in Ägypten,
wir entbieten Gruß und Freundschaft
unsern Vielgetreun und Liebden.
 
 
„In der Nacht vom dritten zu dem
vierten Junius des Jahres
dreizehnhundert vierundzwanzig
vor Christi Geburt, da war es,
 
 
„Daß ein Dieb aus unserm Schatzhaus
eine Menge von Juwelen
uns entwendet; es gelang ihm
uns auch später zu bestehlen.
 
 
„Zur Ermittelung des Täters
ließen schlafen wir die Tochter
bei den Schätzen – doch auch jene
zu bestehlen schlau vermocht’ er.
 
 
„Um zu steuern solchem Diebstahl
und zu gleicher Zeit dem Diebe
Unsre Sympathie zu zeigen,
Unsre Ehrfurcht, Unsre Liebe,
 
 
„Wollen wir ihm zur Gemahlin
Unsre einz’ge Tochter geben,
und ihn auch als Thronnachfolger
in den Fürstenstand erheben.
 
 
„Sintemal uns die Adresse
Unsres Eidams noch zur Stunde
unbekannt, soll dies Reskript ihm
bringen Unsrer Gnade Kunde.
 
 
„So geschehn den dritten Jänner
dreizehnhundert zwanzig sechs
vor Christi Geburt. – Signieret
von Uns: Rhampsenitus Rex.“
 
 
Rhampsenit hat Wort gehalten,
nahm den Dieb zum Schwiegersohne,
und nach seinem Tode erbte
auch der Dieb Ägyptens Krone.
 
 
Er regierte wie die andern,
schützte Handel und Talente;
wenig, heißt es, ward gestohlen
unter seinem Regimente.